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Der Zwiebelturm - Evangelische Kirchengemeinde Hirschberg ...

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Auf ein Wort:<br />

Manchmal muss man erst in die<br />

Fremde gehen und Neuem begegnen,<br />

bevor man das, was einem vertraut<br />

ist, richtig versteht. Das wussten nicht<br />

nur Abraham und Sarah. Das weiß<br />

inzwischen auch ich. Jedes Jahr, in<br />

den Wochen zwischen Ostern und<br />

Himmelfahrt, erinnere ich mich an<br />

die Erlebnisse, die mir diese Erkenntnis<br />

schenkten: Ich hatte Sehnsucht<br />

nach Johannes, unserem Ältesten,<br />

wollte ihn unbedingt einmal wieder<br />

sehen. Da er sich aber gerade auf<br />

der anderen Seite der Erde befand,<br />

mussten wir in ein Flugzeug steigen<br />

und dem „Land der aufgehenden<br />

Sonne“ entgegenfliegen. Wir waren<br />

gut informiert, wussten, dass es auch<br />

eine Reise in ein Land werden würde,<br />

in dem die christliche Religion bis<br />

heute eher eine Randerscheinung<br />

darstellt und sich nur etwa ein Prozent<br />

der Bevölkerung zu ihr bekennt.<br />

Dass sich mir aber gerade dort Karfreitag,<br />

Ostern und Pfingsten neu<br />

erschließen würden, ahnte ich nicht.<br />

Es wurden eindrückliche Tage. Auf<br />

unserem Programm standen viele<br />

Sehenswürdigkeiten, auch Klöster<br />

und Heiligtümer.<br />

Und der Vorhang im Tempel zerriss (Markus 15, 38)<br />

Einmal standen wir an einem<br />

Shinto-Schrein. Uns begleitete ein<br />

befreundeter Theologieprofessor.<br />

Er erklärte uns, wie nun zu beten<br />

sei: Einmal mit dem Klöppel an die<br />

große Glocke schlagen, damit die<br />

Gottheit uns wahrnehmen könne;<br />

anschließend zweimal in die Hände<br />

klatschen, dann eine Münze in ein<br />

Holzkästchen werfen und gut auf<br />

den Ton hören. Solange der zu hören<br />

sei, genau so lang könne man sich der<br />

Aufmerksamkeit der Gottheit gewiss<br />

sein. Genau so lange habe sich ein<br />

Vorhang aufgetan. Genau so lange<br />

schaue die Gottheit den an, der da<br />

gerade bete. Wenn der Ton verklungen<br />

ist, so die Vorstellung, fällt auch der<br />

Vorhang und die Gottheit sei wieder<br />

verschwunden. Voller Staunen beobachtete<br />

ich die Menschen. Sie<br />

beteten hingebungsvoll und scheuten<br />

sich nicht, dies in aller Öffentlichkeit<br />

zu tun. Mir ging das nahe. Wann hatte<br />

ich zuletzt einen Menschen gesehen,<br />

der an einem Wegkreuz Halt gemacht<br />

und gebetet hatte? Und plötzlich fiel<br />

mir ein Satz aus der Bibel ein. Seit<br />

meiner Kindheit kannte ich ihn gut;<br />

doch bis zu diesem Zeitpunkt war er<br />

mir verschlossen und ein Rätsel gewesen.<br />

„Und der Vorhang im Tempel<br />

zerriss in zwei Stücke von oben an<br />

bis unten aus (Markus 15,38).“ Wie Sie<br />

vielleicht wissen, gehört dieser Satz in<br />

die Geschichte von Jesu Kreuzigung<br />

und Tod. Wer am Karfreitag einen<br />

Gottesdienst besucht, wird ihn wieder<br />

hören. Bisher hatte ich ihn noch nicht<br />

verstanden. Aber hier in Japan, unter<br />

Menschen, die einen völlig anderen<br />

Glauben praktizieren, lüftete sich<br />

für mich des Rätsels Lösung: <strong>Der</strong><br />

Vorhang im Tempel zerriss, weil wir<br />

durch Jesu Leiden und Sterben freien<br />

Zugang zu unserem Gott haben. <strong>Der</strong><br />

Vorhang im Tempel zerriss, damit<br />

wir uns jederzeit an ihn wenden und<br />

sicher sein dürfen, dass er uns anhört.<br />

Nicht nur einen Glockenton lang,<br />

sondern so lange, wie wir unser Herz<br />

vor ihm ausschütten. <strong>Der</strong> Vorhang<br />

zerriss, weil sich unser Gott zeigen<br />

will, weil ER unsere Nähe sucht.<br />

Unsere Reise ging weiter. Pfingsten<br />

wollten wir einen Gottesdienst in<br />

einer kleinen Gemeinde, zu der etwa<br />

200 Menschen gehören, mitfeiern.<br />

Mein Japanisch beschränkte sich auf<br />

5 Worte. Das Englisch der Japaner war<br />

miserabel. Also keine guten Voraussetzungen,<br />

um einander zu verstehen.<br />

Und trotzdem feierte ich genau dort<br />

den schönsten Pfingstgottesdienst<br />

meines Lebens. Gottes Geist war da!<br />

Wir erlebten unser Pfingstwunder:<br />

Ohne die Sprache des anderen zu<br />

verstehen, wussten wir doch um die<br />

Gemeinsamkeit, die uns verband. Wir<br />

waren beisammen, um unseren Gott<br />

zu loben. Wir feierten miteinander<br />

Gottesdienst, um uns daran zu freuen,<br />

dass sein lebendiger Geist dort, wo die<br />

Sonne aufgeht, aber auch dort wo die<br />

Sonne untergeht, Menschen bewegt.<br />

Wir blieben beisammen und brachen<br />

das Brot und tranken den Wein, ohne<br />

dass wir auch nur EIN Wort miteinander<br />

hatten sprechen können.<br />

Als wir dann auseinander gingen,<br />

wussten wir, dass wir einander<br />

wirklich Bruder und Schwester sind,<br />

über Ländergrenzen hinaus und<br />

über Kontinente hinweg. Wir hatten<br />

einander verstanden.<br />

Ihnen, liebe Leser, segensreiche<br />

Wochen<br />

Ihre Pfarrerin Simone Britsch.<br />

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