E&W Mai 2006 - GEW
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RÜTLI-SCHULE<br />
Lehrerengagement,<br />
externe Hilfe,<br />
gute Rahmenbedingungen<br />
–<br />
das schafft nicht<br />
nur ein besseres<br />
Schulklima, sondern<br />
ermöglicht<br />
auch bessere<br />
Schulleistungen.<br />
Dennoch – die<br />
Hauptschüler im<br />
Bremer Schulzentrum<br />
Koblenzer<br />
Straße leben<br />
nicht in einer heilen<br />
Welt. Strukturprobleme<br />
und<br />
die Perspektivlosigkeit<br />
von Jugendlichenkönnen<br />
nicht durch<br />
noch so viel Einsatz<br />
der Lehrkräfte<br />
wettgemacht<br />
werden.<br />
26<br />
E&W 5/<strong>2006</strong><br />
„Rütli“ ist nicht überall<br />
Ein Bremer Schulzentrum hat Erfolg mit präventiven Maßnahmen<br />
„Neukölln“ gibt es nicht nur in Berlin.<br />
Auch andere Großstädte haben<br />
ihre Problemstadtteile. Aber nicht<br />
überall herrschen Zustände wie an der<br />
Berliner Rütli-Hauptschule. Wenn<br />
Staat und Lehrkräfte an einem Strang<br />
ziehen, lässt sich auch unter schwierigen<br />
Bedingungen passabel Schule machen,<br />
wie das Bremer Schulzentrum<br />
Koblenzer Straße zeigt.<br />
Wenn Direktor Gerd<br />
Menkens (59) in den<br />
Unterricht geht,<br />
nimmt er nicht extra<br />
ein Handy mit,<br />
um womöglich Beistand<br />
gegen rabiate Schüler herbeirufen<br />
zu können. Nein, so schlimm wie an der<br />
Berliner Rütli-Schule sind sie nicht, die<br />
Verhältnisse am kooperativen Sek-I-<br />
Schulzentrum „Koblenzer Straße“ in<br />
der Bremer Trabantenstadt Tenever – einem<br />
multikulturellen Hochhausgebirge<br />
mit Spitznamen „Klein-Manhattan“.<br />
Die Schülerschaft ist zwar ähnlich bunt<br />
wie in Berlin-Neukölln: Die knapp 700<br />
Haupt-, Real- und Gymnasialschüler<br />
stammen zu 85 Prozent aus Migrantenfamilien;<br />
mehr als 40 Nationen sind<br />
hier vertreten. Aber trotzdem ist daraus<br />
keine extrem explosive Mischung entstanden.<br />
„Wir haben sehr früh begonnen, den<br />
Schülern zu spiegeln, wie wir miteinander<br />
umgehen wollen“, erzählt Menkens.<br />
„Denn in diesem Stadtteil können wir<br />
nicht auf gemeinsame Werte zurückgreifen,<br />
sondern müssen sie erst erschaffen.“<br />
Freitags zum Beispiel tagt jeweils der<br />
Klassenrat. Da werden Probleme besprochen<br />
und Regeln vereinbart. Wer<br />
trotzdem wiederholt den Unterricht<br />
stört, muss in den Sozialtrainings-<br />
Raum. Hier klärt eine Lehrkraft oder ein<br />
Sozialpädagoge mit ihm, was gerade<br />
passiert ist und welche Lehren er daraus<br />
zieht. Der Störenfried schreibt darüber<br />
ein Protokoll. Ist der Fachlehrer damit<br />
zufrieden, „ist der Fall erledigt“, sagt<br />
Menkens. Seine Devise: „Klare Rituale,<br />
klare Maßnahmen“.<br />
Externe Psychologen helfen<br />
Bei massiveren Störungen helfen externe<br />
Psychologen. Sie holen die Klienten<br />
nach der Schule ab und machen „therapeutische<br />
Spiele, um sie in ihrer sozialen<br />
Kompetenz zu stärken“, so Menkens.<br />
Sozialtraining, Gruppentherapie – das<br />
geht natürlich nur dank zusätzlicher<br />
Gelder. Die „Koblenzer Straße“ hat das<br />
Glück, aus dem Bremer Landestopf für<br />
Ganztagsschulen gefördert zu werden,<br />
zuletzt mit 190 000 Euro im Jahr. Das<br />
reicht nicht nur für Essenszuschüsse,<br />
sondern auch für die Bezahlung der Sozialpädagogen<br />
und Psychologen, die zudem<br />
aus einem Stadtentwicklungsprogramm<br />
mitfinanziert werden.<br />
Neben den Profis übernehmen auch<br />
Schüler soziale Aufgaben. Einige werden<br />
zu Streitschlichtern oder Schulsanitätern<br />
ausgebildet. Andere sollen als<br />
„Scouts“ künftige Fünftklässler begleiten<br />
oder haben bereits eine Jugendleiterausbildung<br />
absolviert, um in den Pausen<br />
oder in Vereinen Sport anzuleiten.<br />
Menkens’ Ziel ist es, „dass letztendlich<br />
fast alle Schüler soziale Verantwortung<br />
für Mitschüler übernehmen“.<br />
Nicht immer war die „Koblenzer Straße“<br />
so vorzeigbar. Bei der ersten innerdeutschen<br />
PISA-Studie schnitt die<br />
Schule laut Menkens „grottenschlecht“<br />
ab. Die 55 Lehrkräfte mit Durchschnittsalter<br />
50 wollten sich damit jedoch<br />
nicht abfinden und holten sich<br />
Anregungen von auswärts. Am meisten<br />
beeindruckte sie die „Offene Schule<br />
Kassel-Waldau“.<br />
Nach deren Vorbild gibt es jetzt auch in<br />
Bremen-Tenever Jahrgangsteams. Das<br />
Foto: Michael Bahlo