E&W Mai 2006 - GEW
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INTERNATIONALES<br />
Radioaktive Wolken<br />
kennen keine Grenzen<br />
Gastkommentar: Trotz Tschernobyl – Atomkraftbefürworter sehen sich im Aufwind<br />
Am 26.<br />
April 1986<br />
explodierte<br />
keine 1400<br />
km von<br />
Deutschlandentfernt<br />
in<br />
Thomas Breuer Tschernobyl<br />
ein Atomreaktor.<br />
Es war der bislang weltweit<br />
schlimmste Reaktorunfall.<br />
Ein Großteil der nördlichen Hemisphäre<br />
wurde verstrahlt, tausende<br />
Menschen erkrankten, vor<br />
allem an Krebs und Leukämie.<br />
Zehntausende werden an den<br />
Folgen ihrer Krankheit noch<br />
sterben. Beinahe über Nacht<br />
war damals die Umwelt feindlich<br />
geworden. Die Gefahr lauerte<br />
überall und nirgendwo. Sie<br />
war nicht greifbar. Für viele<br />
Menschen – unter ihnen viele<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglieder – veränderte<br />
Tschernobyl die Welt.<br />
Heute, 20 Jahre später,<br />
sehen Politiker der<br />
Union und Konzernchefs<br />
von RWE,<br />
E.ON, Vattenfall<br />
und EnBW ihr Heil<br />
in einem neuen Erstarken der<br />
Atomkraft. Tschernobyl scheint<br />
vergessen. Atomkraft wird plötzlich<br />
als Rettung für das bedrohte<br />
Weltklima gerade von denen benannt,<br />
die neben Atomkraftwerken<br />
auch Kohlekraftwerke betreiben<br />
– bekanntlich die größten<br />
Klimakiller. Auch die Abhängigkeit<br />
Deutschlands von russischem<br />
Gas und arabischem Öl wird gern<br />
ins Feld geführt, wenn Politiker<br />
die Atomkraft wieder salonfähig<br />
reden wollen. Dass in ganz Europa<br />
nicht einmal drei Prozent der<br />
weltweiten Uranvorkommen liegen<br />
und diese Ressource in 65 Jah-<br />
Foto: Greenpeace<br />
ren zur Neige gehen wird, verschweigt<br />
man dagegen gerne.<br />
Das Wiederbeleben der Atomkraft-Akzeptanz<br />
erfolgt dabei<br />
schrittweise und geschickt. Als<br />
erstes geht es „ja nur“ darum, die<br />
vier ältesten Atommeiler der Republik,<br />
die demnächst nach dem<br />
Atomaustiegsplan von Rot-Grün<br />
abgeschaltet werden sollten, weiterzuführen.<br />
Biblis A, Biblis B,<br />
Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel<br />
gehören zu den Reaktoren<br />
Deutschlands mit dem größten<br />
Unfallrisiko. Sie sind am schlechtesten<br />
von allen gegen Terroranschläge<br />
geschützt und mit<br />
bedenklichen bauartbedingten<br />
Mängeln behaftet.<br />
Weg bereitet<br />
Die Argumentation der Atomkraftfreunde:<br />
„Ein bisschen länger<br />
wird es schon gut gehen. Ist ja<br />
bis jetzt noch nichts passiert.“ Als<br />
Zweites wird dann auf den internationalen<br />
Neubau von Atomkraftwerken<br />
verwiesen, mit Wirtschaftsnachteilen<br />
für den Standort<br />
Deutschland gewunken und<br />
1986 Super-GAU in Tschernobyl:<br />
konstruktionsbedingt und verursacht<br />
durch Bedienungsfehler<br />
sowie Verstöße gegen Betriebsvorschriften.<br />
Dabei wurden radioaktives<br />
Strontium, Cäsium und<br />
Plutonium freigesetzt.<br />
Foto: imago<br />
so der Weg für alle möglichen<br />
Atomträume bereitet.<br />
Kein sicheres Endlager<br />
Doch Konzerne und Politiker machen<br />
die Rechnung ohne die deutsche<br />
Bevölkerung. Diese will nach<br />
wie vor keine Atomkraftwerke, ergeben<br />
Umfragen immer wieder.<br />
Weil sie der angeblichen Sicherheit<br />
nicht traut. Weil es bis heute<br />
kein sicheres Endlager für den<br />
Atommüll gibt. Weil Tschernobyl<br />
gezeigt hat, was passieren kann.<br />
Und weil es jederzeit und auch im<br />
dichtbesiedelten Deutschland zu<br />
einem Super-GAU kommen<br />
kann. Oder – und diese Bedrohung<br />
ist aktueller denn je – weil<br />
Terroristen ein Atomkraftwerk als<br />
nächstes Anschlagsziel auswählen<br />
könnten.<br />
Hinzu kommt: Zivile Atomkraft<br />
und militärische Nutzung zum<br />
Bau einer Atombombe lassen sich<br />
nicht voneinander trennen. Der<br />
Streit mit dem Iran ist dafür das<br />
beste Beispiel. Wer Atomkraftwerke<br />
zur Energiegewinnung betreibt,<br />
ist letztendlich auch in der<br />
Lage, Atombomben bauen zu<br />
können. Ein Fakt, der vielen<br />
Menschen klar ist. In Deutschland<br />
gab es schon immer eine starke<br />
Anti-Atombewegung – erinnert<br />
sei nur an Brokdorf, Wendland<br />
und den Boykott der Atommüll-Transporte.<br />
Nach dem GAU<br />
in Tschernobyl wuchs sie zu einer<br />
Kraft, die letzten Endes sogar<br />
zum Atomausstiegsprogramm<br />
der rot-grünen Bundesregierung<br />
1998 führte. Wenn es heute etwas<br />
ruhiger geworden ist im Anti-<br />
Atomlager, dann sollten sich<br />
Atomkraftbefürworter aber keiner<br />
Illusion hingeben. Denn die<br />
Menschen wissen noch immer,<br />
was sie wollen: keine Atomkraft.<br />
Atomkraft ist lebensgefährlich,<br />
unbeherrschbar. Davor die Augen<br />
zu verschließen, ist politisch unverantwortlich.<br />
Thomas Breuer, Greenpeace