Als PDF downloaden - Volksoper Wien
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Operette aus Dingsda?<br />
<strong>Wien</strong> und die Berliner Operette<br />
Berliner Operette – ein Paradox? Das mag zunächst<br />
so erscheinen, zumal in <strong>Wien</strong>; in der Geschichte des<br />
Genres freilich war sie das nie. Auch wenn die Berliner<br />
Operette im Gegensatz zu ihren ungleich bekannteren<br />
Schwestern aus Paris und <strong>Wien</strong> erst spät ihren Auftritt<br />
hatte: 1899 mit Paul Linckes „Frau Luna“. Von Anfang<br />
an schlichter gebaut als besagte Schwestern, kam sie<br />
unverkennbar von der Posse und anstelle des Walzers<br />
wurde der Marsch zu ihrem Markenzeichen. Und auch<br />
hier war Lincke prägend. Seine „Berliner Luft“ setzte<br />
Maßstäbe, die er selbst bald nicht mehr erfüllen konnte.<br />
Und so verging ein volles Jahrzehnt, bis er in Jean<br />
Gilbert und Walter Kollo Nachfolger fand, die seine<br />
Wirkung bei Weitem übertrafen und in den Jahren<br />
vor dem Ersten Weltkrieg gar die<br />
<strong>Wien</strong>er Konkurrenz überfl ügelten.<br />
Während Kollo erst 1913 mit „Wie<br />
einst im Mai“ und „Juxbaron“<br />
der Durchbruch gelang, überschwemmte<br />
Gilbert schon seit<br />
1910 die Bühnen mit „Polnischer<br />
Wirtschaft“ und „Keuscher<br />
Susanne“, mit „Puppchen“ oder<br />
„Autoliebchen“, so dass sein Librettist<br />
stolz konstatierte: „Dieser<br />
Wucht von immer neuen Erfolgen<br />
gegenüber mußten in den letzten<br />
Jahren die <strong>Wien</strong>er Operettenkomponisten<br />
verstummen.“<br />
Das taten sie freilich nicht. Vielmehr<br />
bezogen sie Position, wie<br />
etwa Emmerich Kálmán, der 1913<br />
einwandte, er wisse nicht, „warum<br />
sich die Operette der Posse unbe- Eduard Künneke<br />
dingt nähern muß. In Deutschland gibt es freilich schon<br />
die Mißform der Possenoperette, die uns sehr schadet.<br />
Das moderne Publikum will im Theater nur noch<br />
lachen ... und die Berliner Komponisten machen ihm<br />
darin die denkbarsten Zugeständnisse.“<br />
Dr. Stefan Frey<br />
(*1962) studierte Theaterwissenschaft, Neuere deutsche<br />
Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in<br />
München. Sein besonderes Interesse gilt der Operette.<br />
Er arbeitet als freischaffender Autor und gehört dem<br />
Beirat der Europäischen Stiftung zur Erhaltung und<br />
Förderung der Operette an. Frey ist zudem ein angesehener<br />
Gast bei Operetten-Tagungen. Publikationen<br />
(Auswahl): „Was sagt ihr zu diesem Erfolg.“ Franz<br />
Lehár und die Unterhaltungsmusik im<br />
20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u. Leipzig 1999,<br />
„Unter Tränen lachen“. Emmerich Kálmán.<br />
Eine Operettenbiographie. Berlin 2003<br />
12_13<br />
Nach dem ersten Weltkrieg schließlich rückte auch die<br />
Berliner Operette von ihrer Possentradition ab. Leon<br />
Jessel machte mit dem „Schwarzwaldmädel“ 1917 den<br />
Anfang, konsequent vollzogen wurde diese Entwicklung<br />
aber von einem Opernkomponisten aus dem Rheinland,<br />
der in Berlin zeitlebens ein Außenseiter blieb: Eduard<br />
Künneke. Vom Theaterdirektor Herman Haller 1919 für<br />
die Operette gewonnen, schrieb er mit Rideamus, dem<br />
Librettisten der „Lustigen Nibelungen“, eine Reihe von<br />
Werken, die 1921 in der Kammeroperette „Der Vetter<br />
aus Dingdsa“ kulminierte. Ohne Chor und Ballett ganz<br />
auf intime Wirkung gestellt, fällt das Werk völlig aus<br />
dem Rahmen nicht nur der Berliner Operette. Und doch<br />
sind in ihm alle Vorzüge des Genres vereint: Melodienreichtum,<br />
raffi nierte Verwendung<br />
aktueller Modetänze, spannungsvolle<br />
Ensembles, hintersinnige<br />
Gesangstexte. Ein Glücksfall, auch<br />
in Künnekes Schaffen, so sehr seine<br />
außerordentliche musikalische<br />
Qualität auch in späteren Werken<br />
durchschlug, wie etwa der revuehaft<br />
„Glücklichen Reise“ oder der ironischen<br />
Barockreminiszenz „Liselott“,<br />
1932 uraufgeführt mit Käthe<br />
Dorsch und Gustav Gründgens.<br />
Mittlerweile hatten auch die <strong>Wien</strong>er<br />
Operettenkomponisten Berlin wieder<br />
für sich entdeckt. An ihrer Spitze<br />
Leo Fall, der schon seit 1913 seine<br />
Operetten bevorzugt dort herausbrachte.<br />
1920 war auch Oscar Straus<br />
an die Spree gewechselt, es folgten<br />
1925 Robert Stolz, 1926 Franz Lehár,<br />
1927 Ralph Benatzky und 1930 Paul Abráhám. Und so<br />
kam es, dass die Berliner Operette der 20er Jahre hauptsächlich<br />
von K.u.k.-Komponisten stammte. Nirgends<br />
wird das sinnfälliger als bei der wohl berühmtesten<br />
Berliner Operette: Ralph Benatzkys „Im weißen Rössl“,<br />
das zwar im Salzkammergut spielt, aber eben aus der<br />
Berliner Perspektive.<br />
Erst in den 30er Jahren erlebten die Berliner Komponisten<br />
Lincke, Kollo und Künneke eine kleine, wenn auch<br />
eher den politischen Zeitläufen geschuldete Renaissance.<br />
Mit ihr endet die Geschichte der Berliner Operette,<br />
deren Ironie sich auch hier erweist. Denn ihr letzter<br />
Erfolg aus dem Jahr 1937 stammte von einem <strong>Wien</strong>er:<br />
Fred Raymonds „Maske in Blau“. <strong>Als</strong>o doch: Berliner<br />
Operette – ein Paradox?<br />
Stefan Frey<br />
Foto entnommen aus: Otto Schneidereit:<br />
Eduard Künneke – Der Komponist aus Dingsda, Berlin 1978