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PDF - MitOst e.V.

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<strong>MitOst</strong><br />

Magazin für Mitglieder, Freunde und Förderer<br />

Essay: Wie beschreibt man ein Land? (Seite 6)<br />

Über die Arbeit von <strong>MitOst</strong> e.V. im Jahr 2021(Seite 16)<br />

Interview: Greencard in Deutschland (Seite 20)<br />

Sonderseiten: 5 Jahre <strong>MitOst</strong> (Seiten 22–29)<br />

Suche nach dem „Unnormalen“: Novi Sad (Seite 33)<br />

Mitteilungen des <strong>MitOst</strong> e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001


EDITORIAL<br />

Liebe <strong>MitOst</strong>-Mitglieder,<br />

liebe Freunde und Förderer,<br />

www.mitost.de Inhalt<br />

Annette Kraus<br />

Gereon Schuch<br />

Waldemar Czachur<br />

Nina Wendt<br />

Alexandra Zander<br />

es freut uns sehr, dass wir zum fünfjährigen Jubiläum unseres <strong>MitOst</strong>-Vereins diese<br />

neu gestaltete Sonderausgabe des <strong>MitOst</strong>-Magazins vorstellen können. Wir waren<br />

der Ansicht, dass ein solcher Geburtstag durchaus Anlass sein sollte, auf die Arbeit<br />

und das Erreichte der vergangenen fünf Jahre zurückzublicken.<br />

Aus diesem Grund enthält diese Jubiläumsausgabe nicht nur Beiträge über die<br />

aktuellen <strong>MitOst</strong>-Projekte des Jahres 2001, sondern auch eine rückblickende<br />

Zusammenfassung der bisherigen Vereinsarbeit. Hierzu werden einige Ausschnitte<br />

aus den bisher erschienenen sieben <strong>MitOst</strong>-Magazinen vorgestellt. Zudem findet sich<br />

noch allerlei Interessantes zur Entwicklung des Vereins seit seiner Gründung 1996.<br />

Wir möchten damit einen Einblick in das geben, was <strong>MitOst</strong> in den vergangenen<br />

fünf Jahren erreicht und bewirkt hat. Betrachtet man insbesondere die Projekte, die<br />

in dieser Zeit von den unterschiedlichsten Projektgruppen mit den verschiedensten<br />

Teilnehmern in vielen Ländern Ost-, Mittel- und Südosteuropas durchgeführt wurden,<br />

so sind das ganz sicher fünf erfolgreiche Jahre gewesen !<br />

Viel Spaß beim Lesen wünschen<br />

der Vorstand<br />

Annette Kraus, Gereon Schuch<br />

Waldemar Czachur, Nina Wendt,<br />

Alexandra Zander<br />

November 2001<br />

und das Redaktionsteam<br />

Robert Sobotta, Susanne Töpfer<br />

Impressum<br />

Inhalt<br />

<strong>MitOst</strong>-Magazin<br />

Heft Nr.8 | November 2001<br />

Herausgeber:<br />

<strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-,<br />

Ost- und Südosteuropa, gegründet von ehemaligen<br />

Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung<br />

www.mitost.de<br />

Verantwortlich:<br />

Annette Kraus<br />

Pücklerstraße 51<br />

D-10997 Berlin<br />

Tel./Fax +49-(0)30-695 345 11<br />

vorstand.mitost@gmx.net<br />

Projektleitung, Redaktion:<br />

Robert m. Sobotta<br />

robertsobotta@excite.com<br />

Lektorat:<br />

Alexandra Zander, Dorothea Leonhardt, Nina Wendt<br />

Titelfoto:<br />

„Bahnsteig in Europa…“, 2001, Robert m. Sobotta<br />

Fotos S. 17, 34, 36: „Menschen in Osteuropa“,<br />

© Steffen Giersch, Dresden<br />

Gestaltung:<br />

Susanne Töpfer, Grafik-Design, Dresden<br />

Tel: +49-(0)351-310 22 60<br />

sus.t@t-online.de<br />

Preis:<br />

Unentgeltlich für Mitglieder<br />

Spenden von Freunden und Förderern willkommen<br />

Auflage:<br />

2.500 Exemplare<br />

Wir danken der Robert Bosch Stiftung für die<br />

Unterstützung<br />

INHALT<br />

Grußworte - H. Maier: Wie schnell die Zeit vergeht 4<br />

- J. Rogall: <strong>MitOst</strong> aus der Sicht der Robert Bosch Stiftung 5<br />

Essay - Wie beschreibt man ein Land?<br />

Eine neue Perspektive für die Landeskunde 6<br />

Projekte 2001 - Lese- und Begegnungsreise mit der Lyrikerin Zehra Çirak<br />

und dem Objektkünstler Jürgen Walter im Baltikum<br />

- „Wir sind jung - Junge machen Zukunft“: Seminar in<br />

8<br />

Chelm/Polen<br />

- Deutschunterricht und Theater: Workshop in<br />

14<br />

Sudak, Krim/Ukraine 15<br />

- Studienfahrt Rheinland 18<br />

- Menschenbild: 2. <strong>MitOst</strong>-Forum Philosophie in Slubice/Polen 30<br />

- Studienreise Novi Sad/Jugoslawien 33<br />

Deutschland-Russland - Über eine größer werdende Distanz: Schüler von der mittleren<br />

Wolga über deutsch-russische Beziehungen 12<br />

- Interview: Greencard in Deutschland 20<br />

Zukunft des Vereins - Über die Arbeit von <strong>MitOst</strong> e.V. im Jahr 2021 16<br />

5 Jahre <strong>MitOst</strong> - 5 Jahre Kultur und Begegnung in Mittel-, Ost- und<br />

Südosteuropa 22<br />

- Überblick: 41 Projekte in 5 Jahren 23<br />

- Gründungsmythos: Glückwünsche zum Kindergeburtstag 24<br />

- Das Beste aus 5 Jahren <strong>MitOst</strong>-Magazin 26<br />

- Zahlen und Fakten 29/39<br />

Theodor-Heuss-Kolleg - Das Theodor-Heuss-Kolleg: Wer, wenn nicht Du? 34<br />

- „Ich schenke Dir mein Lächeln“: Ein Projekt des Theodor-<br />

Heuss-Kollegs für Litauen 35<br />

- „die spinne“: Das neue Online-Magazin 35<br />

Umfrage - Warum bist Du/sind Sie <strong>MitOst</strong>-Mitglied? 36<br />

Buch-Tipps - Wladimir Kaminer: „Russendisko“ 37<br />

- Friedrich Gorenstein: „Malen wie die Vögel singen“ 37<br />

- Thomas Brussig: „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ 38<br />

Dank - Dank für die Unterstützung des Vereins 39<br />

Dichtung - Lyrik von Wjatscheslaw Kuprijanow 40<br />

Anmerkung: Einige Texte sind in der originalen Orthographie von Autoren aus<br />

Ländern in Mittel-Ost-Europa wiedergegeben. Eingesandte Artikel in alter<br />

Rechtschreibung wurden bewusst nicht redigiert. Die Redaktion bemühte sich um<br />

die neue Rechtschreibung.


4<br />

GRUSSWORT<br />

Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Maier<br />

<strong>MitOst</strong>-Mitglied<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Wie rasch die Zeit vergeht:<br />

Nun ist <strong>MitOst</strong> auch schon fünf Jahre alt! Kein<br />

Jubiläum gewiß, kein „großer Geburtstag“ –<br />

aber doch ein Zeichen, dass sich etwas<br />

bewährt und gefestigt hat und weiterentwickelt.<br />

<strong>MitOst</strong> ist aus dem Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung<br />

für Mittel- und Osteuropa hervorgewachsen, aus einer Initiative von<br />

jungen Ehemaligen, die als Deutschlektoren nach 1990 ins freie,<br />

aber verarmte, an nicht wenigen Stellen sogar chaotische Osteuropa<br />

gingen, um Erfahrungen zu sammeln und zu helfen. Der unge-<br />

wohnte, manchmal jähe Austausch mit einer bis dahin verschlosse-<br />

nen Welt hinterließ einen Impuls: es muß weitergehen „mit Ost“,<br />

mit dem östlichen Teil Europas; die reichen (und befriedeten) West-<br />

europäer dürfen den östlichen Teil des Kontinents nicht allein las-<br />

sen. Es gilt miteinander zu sprechen, sich kennenzulernen, sich bes-<br />

ser zu verstehen, ein Stück Gemeinsamkeit aufzubauen; und wer<br />

könnte das besser als die Jungen?<br />

Ich wünsche <strong>MitOst</strong> auch in den kommenden Jahren Unterneh-<br />

mungsgeist, ein wenig Abenteuerlust, dankbare Rückschau auf<br />

Geleistetes und viel Neugier auf neue Taten!<br />

München, den 20. 07. 2001<br />

<strong>MitOst</strong> aus der Sicht der Robert Bosch Stiftung<br />

Dr. phil. habil. Joachim Rogall<br />

GRUSSWORT<br />

Als ich im Frühjahr 1996 im Referat für Völkerverständigung der Robert Bosch Stiftung die Zuständigkeit für die Förderung in<br />

Mittel- und Osteuropa übernahm, bestand das „Tutorenprogramm zur Förderung der deutschen Sprache und Landeskunde<br />

an Hochschulen in Mittel- und Osteuropa“ bereits seit drei Jahren. Um die Erfahrungen der bisherigen Teilnehmer für die<br />

Weiterentwicklung zu nutzen, wurde für 1996 ein Bilanztreffen der ersten drei Jahrgänge angesetzt. Mit Sabine Krüger, der<br />

für das Programm zuständigen Mitarbeiterin, wurde überlegt, ob analog zum Stiftungsprogramm für amerikanischen<br />

Führungsnachwuchs (Fellowship-Programm) die Gründung einer Alumni-Organisation angeregt werden könnte. In den USA<br />

sind Ehemaligenvereinigungen keine Seltenheit, jede Universität und jedes Stipendienprogramm, das auf sich hält, pflegt<br />

Kontakte mit den Alumni. In Deutschland dagegen gab es nur wenige Vorbilder für ein entsprechendes Netzwerk.<br />

Das Bilanztreffen fand im Oktober 1996 statt, ein Großteil<br />

der Ehemaligen war gekommen, es gab vielfältige Anregungen<br />

(u.a. zur Umbenennung in Lektorenprogramm), und die von Sabine<br />

Krüger behutsam eingebrachte Idee einer Ehemaligenvereinigung<br />

wurde positiv aufgenommen. Sicherlich spielte es eine große Rolle,<br />

daß Sabine Krüger als „Lektorenmutter“ ein besonderer Glücksfall<br />

war und durch ihre starke Integrationsfähigkeit schon während des<br />

Stipendienjahres ein Gemeinschaftsgefühl unter den Lektoren geschaffen<br />

hatte. Daß sich eine Reihe von Ehemaligen bereit fanden,<br />

einen richtigen Verein zu gründen und Ämter in dem neugegründeten<br />

„<strong>MitOst</strong>-Verein“ zu übernehmen, war durchaus ungewöhnlich.<br />

Aus Sicht der Stiftung war dies ein mehrfacher Erfolg. Zum einen<br />

war der Samen, den die Stiftung mit der Verleihung der Stipendien<br />

gestreut hatte, offensichtlich aufgegangen und begann, Früchte zu<br />

tragen. Bei den Ehemaligen entwickelte sich ein dauerhaftes<br />

Interesse an Mittel- und Osteuropa (MOE). Da <strong>MitOst</strong> ausschließlich<br />

ehrenamtlich arbeitete, war der Verein auch ein schönes Beispiel für<br />

das von der Stiftung geförderte ehrenamtliche Engagement. Und<br />

schließlich ermöglichte der <strong>MitOst</strong>-Verein es der Stiftung, den Kontakt<br />

zu den Ehemaligen zu halten und durch sie weitere Projekte in<br />

MOE zu fördern, ein Netzwerk aufzubauen, wie es in dieser Form<br />

keine andere Stiftung besaß.<br />

Die Aktivitäten von <strong>MitOst</strong> waren von Beginn an sehr beachtlich.<br />

Gleich im ersten Jahr beantragte der Vorstand bei der Stiftung die<br />

Unterstützung zahlreicher Projekte. Der Anteil der Stiftungsförderung<br />

am Gesamtbudget von <strong>MitOst</strong> sank von anfänglich 80 Prozent kontinuierlich<br />

bis auf etwas über 50 Prozent. Gleichzeitig wurde der<br />

Verein durch das Einwerben von Drittmitteln „professioneller“ und<br />

baute Kontakte in andere Bereiche auf. Zu den Mitgliedern gehörten<br />

neben dem harten Kern der „Boschewiken“ bald auch ehemalige<br />

DAAD- und IfA-Mitarbeiter sowie Studenten und Partner von <strong>MitOst</strong><br />

aus den MOE-Ländern, darunter auch einige ehemalige Teilnehmer<br />

des Tutorenprogramms zur Förderung der amerikanischen, französischen,<br />

polnischen und tschechischen Sprache und Landeskunde<br />

an Hochschulen in Deutschland, dem Komplementärprogramm zu<br />

den MOE-Lektoren.<br />

Die <strong>MitOst</strong>-Aktivitäten ergänzten die Stiftungsprogramme in MOE in<br />

idealer Weise. Hinzu kam, daß sie durch ihre Einbeziehung der aktiven<br />

Lektoren deren Arbeit in MOE positiv beeinflußten. Es war nicht<br />

zuletzt diese gemeinsame Projektarbeit, welche das Lektorenprogramm<br />

in seiner Weiterentwicklung entscheidend geprägt hat. Die<br />

Stiftung versucht heute alle Lektoren zu entsprechenden Initiativen<br />

zu ermuntern und kann auf <strong>MitOst</strong> als geeigneten Partner verweisen.<br />

Eine Qualitätssteigerung bei der Bewerberauswahl wurde durch die<br />

Beteiligung von <strong>MitOst</strong> im Auswahlgremium erreicht.<br />

Der erhoffte „positive Seilschaftseffekt“ bei der beruflichen<br />

Weiterentwicklung der Stipendiaten stellte sich naturgemäß nicht<br />

sofort und nicht in der erwünschten Größenordnung ein, da nur<br />

wenige Ehemalige in ihrer Anschlussbeschäftigung rasch in<br />

Personalverantwortung kamen und auch in der Stiftung nur wenige<br />

Plätze für Praktika oder Festanstellungen zur Verfügung standen. Das<br />

2001 fertiggestellte Verzeichnis der Ehemaligen zeigt aber eindrucksvoll,<br />

welches Potential mit hoher MOE-Kompetenz hier bei<br />

den ehemaligen Lektoren vorhanden ist.<br />

Sicherlich werden manche neue Lektoren bei ihrem beruflichen<br />

Anschluß nach dem Lektorat von den Kontakten der Ehemaligen<br />

profitieren.<br />

Hervorzuheben ist, daß aus <strong>MitOst</strong>-Aktivitäten, nämlich den Kreisau-<br />

Seminaren für Studenten aus MOE, ein neues Stiftungsprogramm<br />

entwickelt werden konnte: das Theodor-Heuss-Kolleg. Die Entwicklung<br />

des Programms wurde innerhalb eines halben Jahres von<br />

<strong>MitOst</strong>-Mitgliedern zusammen mit der Stiftung durchgeführt. Die<br />

Erfahrungen von <strong>MitOst</strong> konnten hier in besonderer Weise genutzt<br />

werden, um den Entstehungsprozeß eines neuen Stiftungsprogramms<br />

zu beschleunigen.<br />

So stellt sich aus Sicht der Robert Bosch Stiftung die fünfjährige<br />

Geschichte des <strong>MitOst</strong>-Vereins als eindeutige Erfolgsgeschichte dar.<br />

Den runden Geburtstag nehme ich zum Anlaß, den <strong>MitOst</strong>-<br />

Mitgliedern meine Hochachtung für Ihre Arbeit auszusprechen, für<br />

die gute Zusammenarbeit zu danken und der Hoffnung Ausdruck zu<br />

geben, daß sich diese gute Zusammenarbeit auch in den kommenden<br />

Jahren fortsetzen möge.<br />

Ad multos annos, <strong>MitOst</strong>!<br />

Joachim Rogall (Stuttgart, Sommer 2001)<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

5


6<br />

ESSAY<br />

Prof. Dr. Hansjörg Küster,<br />

(Hannover/Deutschland)<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Wie beschreibt man ein Land?<br />

Eine neue Perspektive für die Landeskunde<br />

Foto: Robert m. Sobotta<br />

Blick aus dem Bus<br />

Studienreise Novi Sad/Jugoslawien<br />

(siehe S. 33), Ausflug „Fruska Góra“,<br />

12. Mai 2001<br />

Wer eine Sprache lernt, möchte sich nicht nur in einem anderen Land verständigen<br />

können; er sucht auch Informationen über Land und Leute, Kultur und Sitten. In diesem<br />

Bewusstsein sind die Texte in den Sprachlehrbüchern geschrieben, sogar diejenigen<br />

für die Anfänger: Sie spielen, mehr oder weniger stark angefüllt mit<br />

Klischeevorstellungen, im "Land der Sprache".<br />

Zu einem Sprachenstudium an den Universitäten gehören landeskundliche Lehrveranstaltungen<br />

Dort wird das Wissen vermittelt, das als Hintergrundinformation an Schüler weitergegeben werden kann.<br />

Man lernt nicht nur Englisch oder Polnisch, sondern man will auch etwas über England oder Polen wissen, wenn man<br />

sich mit der Sprache beschäftigt, und zwar auf jeder Ebene des Sprachenlernens.<br />

Landeskundliche Lehrveranstaltungen werden meistens von Dozenten geleitet, die selbst auch die Sprache des<br />

Landes studiert haben und die zum Studium gehörenden landeskundlichen Lehrveranstaltungen gehört haben. Die<br />

Landeskunde Polens wird von einem Polonisten dargestellt, die deutsche Landeskunde von einem Germanisten, die<br />

französische von einem Romanisten. Der Polonist ist also nicht nur der Experte für die Sprache, sondern auch derjenige,<br />

der in das Land Polen einführt, und der Germanist tritt als Botschafter auf, der darstellt, was Deutschland ist. In<br />

der fachlichen Tradition haben dabei einige Aspekte in der Landeskunde besondere Bedeutung erhalten, vor allem die<br />

Kultur des Landes (womit nach älterer Diktion vor allem die "Sitten des Landes" gemeint sind), die Geschichte, Politik<br />

und das tägliche Leben. Geographische Fakten ergänzen das Lehrgebäude; dabei werden aber allenfalls die Gebirge,<br />

Flüsse, Meere usw. schematisch aufgezählt und statistische Angaben vermittelt, also Fläche des Landes, seine<br />

Einwohnerzahl, Bevölkerungsdichte usw.<br />

Die Natur des Landes, seine dadurch bestimmte besondere Eigenheit oder Identität und, wenn man so will,<br />

der Genius loci, der die Sitten des Landes determinierte, kommen eher seltener zur Sprache. Viele Philologen interessieren<br />

sich dafür, aber es ist kaum möglich, sich die notwendigen Daten zur Landesnatur aus dem weit verstreuten<br />

geographischen, geologischen, meereskundlichen und biologischen Schrifttum zusammenzusuchen; die notwendigen<br />

Zusammenhänge zwischen einzelnen Phänomenen werden von den beschreibenden Naturwissenschaftlern zu selten<br />

dargestellt, wenn sie denn überhaupt schon erkannt sind.<br />

Naturräumliche Grundlagen bestimmen das Leben der Menschen, die in einem Land leben, in besonderer Weise. Sie<br />

gehören daher zu den besonders wichtigen Inhalten einer Landeskunde, werden aber häufig zu wenig beachtet, wenn<br />

sich Philologen damit befassen. Natürlich könnten sich auch beispielsweise Geographen mit Landeskunde beschäftigen,<br />

von denen dann aber möglicherweise die kulturellen Inhalte des Fachgebietes vernachlässigt werden.<br />

Für den Charakter eines Landes ist es zum Beispiel entscheidend, ob dort vor allem Laub- oder Nadelbäume vorkommen.<br />

Sie schaffen unterschiedliche Bedingungen für das Leben von Menschen, und die Wälder, die aus bestimmten<br />

Bäumen bestehen, lassen sich in völlig verschiedener Weise nutzen. Besonders viel Gerbstoff enthalten die<br />

Eichen, deren Holz daher zum Bau von Häusern und Schiffsrümpfen besonders begehrt ist; aus diesem Holz kann<br />

man auch Gerberlohe zum Haltbarmachen von Leder gewinnen. Für die Gewinnung von Terpentin und Pech muss<br />

man Kiefernstämme anritzen. Beim Verbrennen von Buchenholzkohle entstehen besonders hohe Temperaturen,<br />

warum man gerade dieses Brennmaterial bevorzugt verwendet, wenn Erz oder Glas geschmolzen und Kalk gebrannt<br />

werden soll. Nadelholz hat ein geringes spezifisches Gewicht und lässt sich daher besonders gut flößen: Kriegsschiffe<br />

mit Masten aus Nadelholz sind leichter als diejenigen, die ausschließlich aus dem schwereren Eichenholz gebaut sind.<br />

Wald ist nicht gleich Wald, er wirkt unterschiedlich auf die Menschen, die in ihm wohnen, und er lässt sich in unterschiedlicher<br />

Weise nutzen.<br />

Entsprechend ist Fluss nicht gleich Fluss: Der eine hat ein großes Gefälle, daher eine starke Strömung und eine tiefe<br />

Fahrrinne, der andere fließt träge daher und ist nur flach, tritt er aber über die Ufer, dauert es sehr lange, bis das<br />

Wasser wieder abgelaufen ist, und seine Eisdecke hält lange.<br />

Meer ist nicht gleich Meer: Das eine hat Salzwasser, so dass sich Salz gewinnen lässt und Fische des Salzwassers darin<br />

vorkommen, das andere enthält Süßwasser mit einer anderen Fauna, in dem einen Meer gibt es Ebbe und Flut, in<br />

dem anderen nicht, das eine Meer ist lange zugefroren, das andere nicht. Völlig verschieden sind die Charaktere der<br />

Gebirge: Das eine besteht aus Sandstein, das andere aus Kalk, so dass jeweils andere Rohstoffe und unterschiedliche<br />

Baumaterialien zur Verfügung stehen, das eine hat schroffe Felsen, das andere schwach geneigte Hänge mit weiten<br />

Hochflächen.<br />

Es gibt Gebiete, in denen das Gras das ganze Jahr über wächst, so dass das Vieh stets Nahrung findet. Anderswo muss<br />

Gras oder Laub geschnitten und getrocknet werden, damit es Heu als Winterfutter gibt. Oder die Hirten müssen mit<br />

ihren Herden im Lauf des Jahres in immer wieder andere Weidegründe ziehen: Dies ist die Ursache für Transhumanz,<br />

das regelmäßige Aufsuchen von zum Teil weit auseinander liegenden Sommer- und Winterweiden.<br />

Diese Charakteristika eines Landes sind grundlegend für seine wirtschaftliche Stellung, und es ist klar, dass auch die<br />

Mythen, Märchen und Geschichten, die innerhalb eines Sprachraumes erzählt werden, von diesen Charakteristika der<br />

Natur bestimmt sind. Von Wölfen und Störchen kann nur dort die Rede sein, wo es diese Tiere gibt. Nur dort erzählt<br />

man sich eine Sage über den Untergang von Siedlungen im Meer, wo der Meeresspiegel tatsächlich anstieg, beispielsweise<br />

an der südlichen Ostseeküste oder am Schwarzen Meer. Die Roggenmuhme kann nur dort ein Kleinkinderschreck<br />

sein, wo Roggen angebaut wird.<br />

Man kann die Mythen, die immer wieder zum Stoff der Literatur wurden, selbstverständlich erzählen, ohne ihren möglichen<br />

Ursprung erklären zu können: Die Geschichte von der Loreley ist schön, aber es wäre gerade in der heutigen<br />

Zeit wichtig, darauf hinzuweisen, dass in der Nähe dieses so genannten Felsens der Rhein enge Biegungen hat und<br />

über Klippen strömte, die erst vor Jahrzehnten beseitigt wurden: Im Mittelalter war die Vorbeifahrt an der Loreley<br />

besonders gefährlich.<br />

Wir brauchen eine bessere Aufbereitung naturwissenschaftlicher Grundlagen zur Landeskunde<br />

Wir brauchen aber auch Experten, die nicht nur in Sprache, Kultur und Geschichte eines Landes, sondern<br />

auch in seine Natur einführen. Sie sollen das Charakteristische der Karpaten erklären können wie den borealen<br />

Nadelwald, die Unterschiede zwischen Nord- und Ostsee und warum der Don so still ist.<br />

Wer sich mit Landeskunde befasst, das Gebiet lehrt und lernt, sollte sich auf alle diese Erfordernisse einstellen können.<br />

Das Fachgebiet braucht eine Erweiterung und eine neue Perspektive aus den beschreibenden Naturwissenschaften,<br />

aus Geologie, Geographie, Klimatologie, Biologie und Ökologie, damit umfassend über ein Land und seine Kultur<br />

unterrichtet wird.<br />

Hierfür müsste ein neues Curriculum entwickelt werden, vielleicht an einer Universität, vielleicht aber auch im Rahmen<br />

eines außeruniversitären Seminarprogrammes, das man unter das elementare Thema stellen könnte: „Wie beschreibt<br />

man ein Land?" Dieses Thema sollte auch in speziellen Lehrbüchern behandelt werden. Ein normaler Reiseführer<br />

reicht dafür nicht aus; es muss uns darum gehen, klarzustellen, was Polen, Estland, Österreich oder Rumänien umfassend<br />

auszeichnet, bevor – sieht man einmal von ein wenig Folklore ab – deren landschaftliche und kulturelle<br />

Identitäten in einem einheitlichen Europa aufgehen, dabei aber auch unerkannt nivelliert werden und untergehen können.<br />

Ein geeintes Europa soll ein Europa der Regionen sein. Dieser Wunsch kann nur in Erfüllung gehen, wenn wir<br />

das Charakteristische jeder Region kennen und wenn jede europäische Kultur bei der Integration Europas ihren<br />

erkennbaren Anteil hat. Dazu kann eine neue Form von Landeskunde einen wichtigen Beitrag leisten.<br />

ESSAY<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001 7


8<br />

PROJEKTE 2001<br />

Lese- und Begegnungsreise mit der Lyrikerin<br />

Zehra Çirak und dem Objektkünstler Jürgen Walter<br />

in Litauen und Lettland<br />

02. – 08. Mai 2001<br />

Landung mit Hindernissen<br />

Ein stechender Schmerz – das war wohl das Erste, was Zehra Çirak empfand, als sie an einem Mainachmittag in<br />

Vilnius/Litauen aus dem Flugzeug stieg. Ein Backenzahn war ihr eine Woche vor ihrer Abreise gezogen worden, nun<br />

schmerzten die Lücke und der Nachbarzahn und machten das Reisen zum Wagnis. Zehra stand etwas blass neben<br />

ihrem Mann Jürgen Walter, als ich die beiden am Flughafen in Empfang nahm, aber sie schien fest entschlossen, „die<br />

Zähne zusammenzubeißen“ und sich die mit Spannung erwartete Baltikumreise (das Ehepaar besuchte Litauen und<br />

Lettland zum ersten Mal, war zuvor nur bis Warschau gekommen) nicht verderben zu lassen. „Jetzt schauen wir uns<br />

erst einmal um!“ – entschied sie noch, und los ging es durch die schöne Vilniusser Altstadt im Abendlicht. Beeindruckt<br />

war die 1961 in Istanbul geborene, in Karlsruhe aufgewachsene und heute mit ihrem deutschen Mann in Berlin lebende<br />

Lyrikerin, die gerade im Februar in München für ihr Werk mit dem diesjährigen Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet<br />

worden war, vor allem von dem „multikulturellen“ Flair der litauischen Hauptstadt mit dem südlichen<br />

Barock-Ambiente und den vielen verschiedenen Kirchen und Glaubensrichtungen, die hier dicht beeinander existieren.<br />

Als Experten für das „Leben zwischen den Kulturen“ hielt es das Künstlerpaar für angebracht, sicherheitshalber an<br />

allen heiligen Stätten für schnelle Heilung des Zahnes und Linderung der Schmerzen zu bitten, sowohl bei der<br />

„Schwarzen Madonna“ im Tor der Morgenröte, als auch in der russisch-orthodoxen Heiliggeistkirche, beim litauischen<br />

Nationalheiligen Kasimir und sogar in einer alten griechisch-orthodoxen Kirche. Unerschrocken genossen die beiden<br />

anschließend die litauische Küche, wogegen allerdings Çiraks wunde Zahnlücke heftig protestierte.<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Myriam Geiser, (Kaunus/Litauen) Fotos: Archiv Myriam Geiser<br />

Abschiedsbild vor der Galerie<br />

(Mitte: Stephanie Grimm,<br />

Myriam Geiser)<br />

Start in Kaunas<br />

Kaunas war die erste Station der Tournee. Hier sollte die audiovisuelle Performance mit dem<br />

Titel „Höhenflug“ zum ersten Mal aufgeführt werden. Die Veranstaltung am 3. Mai bildete zugleich<br />

den Auftakt der Kaunasser Kulturtage „Kultur im Mai aus Deutschland und der Schweiz“<br />

mit festlichem Rahmen in M. Zilinskas Kunstgalerie. Der Tag begann allerdings zunächst mit<br />

einer Tour durch litauische Zahnkliniken. Erst nachdem Antiobiotika und Schmerzmittel verschrieben<br />

und die Lage von einem energischen Zahnchirurgen notdürftig für stabil erklärt worden<br />

war, konnten sich die beiden Künstler auf ihren Auftritt vorbereiten. Nach Ansprachen von<br />

Vertretern der verschiedenen Kulturmittlerorganisationen, der Veranstalter und des Bürgermeisters<br />

der Stadt Kaunas, und nach einem Abstecher der Gäste zum kalten Büfett wurde es ernst:<br />

Über 150 neugierige Zuschauer versammelten sich im verdunkelten Saal und warteten<br />

gespannt, was sich hinter ihren Köpfen ereignen und vor ihnen auf der Leinwand sichtbar werden<br />

würde. An der Rückwand des Saales saß Zehra Çirak mit ihren Texten, vor ihr die<br />

Musikanlage, neben ihr die litauische Übersetzerin Kristina Sprindzinnaite. Hinter einem eigens<br />

dafür konstruierten Gestell mit einem Spezial – Diaprojektor stand Jürgen Walter, bereit, auf<br />

das Startknöpfchen zu drücken. Und dann hieß es nur noch: „Guten Flug!“.<br />

Interkulturelles Experiment<br />

Wie’s aussieht, sind alle zufrieden<br />

PROJEKTE 2001<br />

Zehra Çirak, Jürgen Walter in<br />

Kaunas/Litauen in M. Zilinskas<br />

Kunstgalerie<br />

Die Performance von Çirak und Walter ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Lebens- und<br />

Künstlergemeinschaft. Zu Bildern von Plastiken des Objektkünstlers Jürgen Walter, die auf die Leinwand<br />

projiziert werden, liest Zehra Çirak ihre Gedichte. Dazwischen erklingen Geräusche und Musik. Alles<br />

zusammen handelt vom universellen Traum des Menschen vom Fliegen – ein uraltes Thema, das die beiden<br />

Künstler in ihren Werken immer wieder aufs Neue variieren.<br />

Dieses künstlerische Konzept hatte uns Veranstalter auch zu dem Experiment ermutigt, auf diese Weise das<br />

litauische und lettische Publikum mit den Phänomenen „multikulturelle Gesellschaft“ und „interkulturelle“<br />

Gegenwartsliteratur in Deutschland zu konfrontieren. Es sollte keine klassische Lesereise eines Vertreters<br />

der aktuellen sogenannten Migrantenliteratur mit anschließender Diskussion der Texte und ihrer Inhalte<br />

werden, sondern eine Begegnung mit einem real existierenden deutsch-türkischen Künstlerpaar, das die<br />

unterschiedlichen kulturellen Hintergründe in sein Schaffen integriert und zu einer gemeinsamen<br />

Formensprache vereinigt. Das Motiv der „Sehnsucht nach dem Fliegen“ bildet dabei einen allgemeinmenschlichen<br />

Bezugspunkt, der für Zuhörer/Zuschauer jeder Herkunft leicht zugänglich ist. Die Aspekte<br />

Migration und Kulturenkontakt werden durch die Biographie der Autorin und durch die Lebensgemeinschaft<br />

der beiden Künstler anschaulich. Und mit der aktuellen Chamisso-Preisträgerin konnten wir nicht<br />

zuletzt auch eine der wichtigsten Gegenwartslyrikerinnen deutscher Sprache als Gast präsentieren.<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

9


10<br />

PROJEKTE 2001<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Fluggäste<br />

Abschiedsfoto vor dem Hotel „Prusija“ – nun geht die Fahrt<br />

weiter im Auto des Mitarbeiters der Deutschen Botschaft,<br />

Carsten Schneider (re.), nach Liepaja und Daugavpils in Lettland<br />

Um einem möglichst breiten Publikum die Performance auch sprachlich zugänglich zu<br />

machen, wurden sowohl in Litauen als auch in Lettland eine Auswahl der Gedichte übersetzt<br />

und während der Veranstaltung eingesprochen. Dies ergab dann auch jeweils einen ganz eigenen<br />

klanglichen Reiz, und es war vor allem für Zehra Çirak selbst eine aparte Erfahrung, ihre<br />

eigenen Werke in der fremden Sprache erklingen zu hören.<br />

Wesentlich für die Veranstaltung in Kaunas wie auch für die weiteren drei anschließenden<br />

Auftritte im Baltikum war das (mit Hilfe der Übersetzer geführte) Gespräch mit dem Publikum<br />

nach der Performance. Hier ließen sich Zehra Çirak und Jürgen Walter sogar gerne zu ihrem<br />

Zusammenleben und- arbeiten befragen. Offen und witzig berichteten beide über ihre gemeinsame<br />

Geschichte und den künstlerischen Prozess. Da kam es dann zu so entwaffnend<br />

evidenten Aussagen wie: „Wie kamen Sie auf die Idee, als Lyrikerin und Bildhauer zusammen<br />

zu arbeiten? – Weil wir uns lieben!“ Oder: „Unsere Ehe hat wie jede andere auch Phasen, in<br />

denen man sich gut verträgt und andere, in denen man sich lieber aus dem Weg gehen möchte.<br />

Wenn wir uns nicht vertragen, gehen wir auf Tournee!“ In Kaunas und auch in Klaipeda<br />

waren für interessierte Teilnehmer im Vorfeld der Veranstaltungen Vorbereitungsseminare<br />

zum Thema Migrantenliteratur und zu Person und Werk Zehra Çiraks angeboten worden, in<br />

Klaipeda geleitet von meinem Kollegen Heiko Stern, in Kaunas von mir selbst. In Lettland hatten<br />

die am Projekt beteiligten DAAD-Lektoren Markus Lux und Gotthard List mit ihren<br />

StudentInnen an den Übersetzungen der Gedichte gearbeitet. Auf diese Weise war ein Teil des<br />

Publikums bereits besonders gut mit dem Thema bzw. dem Werk vertraut und konnte auch<br />

gezielte Fragen stellen. Und den beiden Künstlern machte das Gespräch mit ihren Zuschauern<br />

sichtlich Spaß. Im Rückblick nannten sie als größtes Erlebnis ihren Auftritt in Liepaja, wo ein<br />

Großteil des Publikums aus Kindern bestand – die Neugier,<br />

Ernsthaftigkeit und Begeisterung, mit der sich die jungen<br />

Zuschauer auf die doch nicht ganz leicht rezipierbaren<br />

Texte und Bilder einließen, beeindruckte vor allem Jürgen<br />

Walter, der sich bisher noch selten mit Zuschauern dieser<br />

Altersgruppe konfrontiert sah.<br />

Zunächst heißt es: „Das Büfett<br />

ist eröffnet!“<br />

Leibesübungen<br />

So heißt der aktuelle Gedichtband von Zehra Çirak, und dieser Titel lässt sich ebenfalls gut als Motto für ihre Tournee<br />

durch die litauische und lettische „Provinz“ verwenden. Vier Auftritte in fünf Tagen, dazwischen gab es einen „freien Tag“<br />

mit Besichtigungsprogramm in Riga, um den Gästen die heimliche Hauptstadt des Baltikums nicht vorzuenthalten. Die<br />

Veranstaltungen hatten wir allerdings bewusst alle in den zweiten und dritten Städten der beiden Länder stattfinden<br />

lassen, die bei durchziehenden internationalen Künstlern sonst so gerne übersprungen werden. Uns war es wichtig,<br />

dass gerade hier, in unseren jeweiligen „Einsatzorten“, für das interessierte Publikum ein deutsches Kulturprogramm<br />

der besonderen Art angeboten wird. Und die Künstler waren damit auf Anhieb einverstanden. Die einzelnen Stationen<br />

der Tour boten dann jeweils auch ganz unterschiedliche Erfahrungen und Eindrücke. Nach dem „offiziellen“ Auftakt in<br />

Kaunas mit festlichem Rahmen und geladenen Gästen in der modernen Zilinskas - Kunstgalerie erwartete Çirak und<br />

Walter in Klaipeda ein eher gemütliches Ambiente im Simon-Dach-Haus, dem litauisch-deutschen Kulturzentrum, mit<br />

einem kleinen, aber gut vorbereiteten und gesprächsfreudigen Publikum. Die Auftritte in Lettland hatten auch ihren<br />

ganz eigenen exotischen Charakter: In Liepaja fand die Performance in einer surrealen Umgebung im ehemaligen<br />

Kriegshafen statt, wo sich ein alternatives Kulturzentrum etabliert hat, das v.a. mit Kindern arbeitet. Und in Daugavpils,<br />

der letzten Station der Reise, lag die Besonderheit darin, dass, angesichts der dort ansässigen starken russischen Minderheit,<br />

während der Performance Übersetzungen einzelner Gedichte sowohl in lettischer als auch in russischer<br />

Sprache eingelesen wurden. Zur Veranstaltung an der dortigen Pädagogischen Universität am Vormittag waren immerhin<br />

etwa 70 Zuschauer erschienen. Und auch hier regten die Texte und Bilder zu interessanten Fragen und<br />

Gesprächen an. Auf der Rückfahrt von Daugavpils nach Vilnius durch eine wunderbare Frühlingslandschaft mit knallgelben<br />

Löwenzahnwiesen unter blauem Himmel machten wir noch einen kleinen Abstecher zum geographischen<br />

Zentrum Europas, das französische Geographen nördlich der litauischen Hauptstadt verortet haben. Ein symbolischer<br />

Abschluss dieser interkulturellen Lese- und Begegnungsreise, deren Koordinaten im weitesten Sinne von Istanbul über<br />

Berlin bis Riga reichen. Mit vielen neuen Bildern im Kopf und einer Sammlung von Gedichtübersetzungen in drei<br />

neuen Sprachen im Gepäck traten Zehra Çirak und Jürgen Walter ihren Rückflug an. Und das Zahnweh war zuletzt fast<br />

ganz vergessen.<br />

Die „Höhenflug“-Reiseroute im Überblick:<br />

2. Mai Ankunft in Vilnius<br />

3. Mai Auftritt in Kaunas, M. Zilinskas - Kunstgalerie<br />

4. Mai Auftritt in Klaipeda, Simon-Dach-Haus<br />

5. Mai Auftritt in Liepaja, Kulturzentrum „K@2“<br />

6. Mai Freier Tag in Riga<br />

7. Mai Auftritt in Daugavpils, Pädagogische Universität<br />

8. Mai Abflug Vilnius<br />

Veröffentlichungen von Zehra Çirak:<br />

„Vogel auf dem Rücken eines Elefanten“, Gedichte.<br />

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1991.<br />

„Fremde Flügel auf eigener Schulter“, Gedichte.<br />

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1994.<br />

„Leibesübungen“, Gedichte.<br />

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2000.<br />

Eine Auswahl der Objekte Jürgen Walters sind auf der Website<br />

www.juergen-walter.com zu finden.<br />

PROJEKTE 2001<br />

Der Sturm aufs kalte Büfett im Foyer der Galerie<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

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DEUTSCH-RUSSISCHE BEZIEHUNGEN<br />

Sonja Lührmann<br />

Über eine größer werdende Distanz:<br />

Schüler von der mittleren Wolga über deutsch-russische<br />

Beziehungen<br />

12 <strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Fotos: Sonja Lührmann<br />

(ehemalige Lektorin in Joschkar-Ola/Russische Föderation)<br />

„Die Leute in Deutschland sind kulturell offener als in Russland. Das liegt daran, dass die Leute<br />

in Deutschland sehr viel reisen. [...] Und diese Liebe zur Reise bei Deutschland und Deutschen<br />

imponiert mir sehr. Leider habe ich jetzt keine Möglichkeit zu reisen, aber ich träume in der<br />

Zukunft mit meiner Familie viel zu reisen. Wir Russen sind offen, gutherzig, gastfreundlich.“<br />

Natalja Eremina, Joschkar-Ola<br />

Die Spitzenpreisträger mit ihren Arbeiten<br />

(v. li.: Eine Schülerin der Klasse 9A, Gymnasium Kosmodemjansk;<br />

Aleksej Wanjukow, Jekaterina Iljina, beide 3. Schule Kosmodemjansk;<br />

Irina Seliwanowa, 23. Schule Joschkar-Ola; Tatjana Widjagina,<br />

Mittelschule Mari-Turek)<br />

Was wissen Schüler in der russischen Provinz, für die eine<br />

Reise nach Deutschland – heute vielleicht noch mehr als zu den<br />

Zeiten von UdSSR und DDR – meist im Reich der Träume liegt, über<br />

Deutschland und die Deutschen? Ist Fremdsprachenunterricht für<br />

sie nur sinnlose Quälerei, oder hat die Beschäftigung mit Sprache<br />

und Kultur eines anderen Landes Relevanz für ihr Leben? Um diesen<br />

Fragen nachzugehen und gleichzeitig ein kleines Beispiel dafür<br />

zu geben, wie lohnend es sein kann, Deutsch zu lernen, haben<br />

meine Kollegin Olga Maikowa, Lehrkraft für Deutsch und Betreuerin<br />

des Lehrmittelzentrums des Goethe-Instituts an der Marischen<br />

Staatlichen Universität, Joschkar-Ola, und ich im Frühling 2001<br />

einen Wettbewerb für deutschlernende Schüler der Republik Mari El<br />

veranstaltet. In der Ausschreibung regten wir die Schülerinnen und<br />

Schüler der 9. bis 11. Klasse an, sich von dem etwas pompösen<br />

Thema „Deutschland-Russland: Beziehungen gestern, heute, morgen“<br />

nicht einschüchtern zu lassen und Arbeiten in einem selbstgewählten<br />

Medium einzureichen.<br />

Weil selbst die deutsche Reiselust nur selten jemanden nach<br />

Joschkar-Ola führt, hier zunächst ein Text von Ksenija Bachmaer<br />

aus dem Dorf Wisimjari über die Republik Mari El, eines<br />

der Subjekte der Russischen Föderation:<br />

„Die Republik Mari El liegt fast im Zentrum Europas, an<br />

den malerischen Ufern des großen russischen Flusses – der Wolga.<br />

Sie ist klein, aber fein. Das Territorium der Republik beträgt von<br />

Norden nach Süden – 150 km, von Westen nach Osten – 275 km<br />

[...] Die Hauptstadt der Republik heißt Joschkar-Ola. Sie liegt an der<br />

kleinen Kokschaga.“ Wem jetzt immer noch nicht klar ist, wo das<br />

Zentrum Europas ist, der schaue im Atlas etwa 800 km östlich von<br />

Moskau nach. Joschkar-Ola (ca. 250 000 Einwohner) liegt 150 km<br />

nordwestlich von Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan.<br />

Ksenijas Arbeit gehört zu der Gruppe von Beiträgen, die<br />

den eigenen Heimatort für Deutsche vorstellen. Zu diesem Thema<br />

wurden Aufsätze, Briefe, Bilderalben, und Ausstellungswände mit<br />

Bildern und Texten angefertigt. Abstraktere Themen wählten die<br />

Schüler der 3. Schule aus Kosmodemjansk, einer Kleinstadt an der<br />

Wolga, die Aufsätze über Goethe und Puschkin, den Rhein und die<br />

Wolga oder deutsche und russische Kultur im Allgemeinen verfassten.<br />

Zum Thema „Die Gemeinschaft der russischen und deutschen<br />

Kulturen“ fielen Ekaterina Iljina Katharina die Große und in Russland<br />

populäre deutsche Gruppen wie die Scorpions, Ramstein und<br />

Modern Talking ein, abschließend bemerkte sie: „In der letzten Zeit<br />

verbreiten sich Verbindungen zwischen unseren Staaten, dazu trägt<br />

unser neuer Präsident Wladimir Putin, der viele Jahre in der DDR<br />

gelebt hat, bei.“<br />

Aleksej Wanjukow - übrigens der einzige männliche Teilnehmer mit<br />

Einzelbeitrag – zeigte in seiner Arbeit über „Das Alte und das Neue<br />

in den Verhältnissen zwischen Russland und Deutschland“ die erfrischende<br />

Bereitschaft, auch negative Aspekte der deutsch-russischen<br />

Beziehungen anzusprechen: „Es gibt aber auf unserer Erde eine<br />

Generation, deren Väter und Grossväter auf den Schlachtfeldern<br />

zusammengekommen sind. Es waren Stalingrad und Leningrad... Es<br />

war der Plan ‘Ost’. Es gab Konzentrationslager und Einäscherungsöfen...<br />

Ich glaube, dass das nicht zu vergessen ist. Man kann aber<br />

nicht damit leben, nur diesen Seelenschmerz im Gedächtnis halten.“<br />

Über die heutige Zeit schreibt er: „Für viele Deutsche<br />

assoziiert sich das heutige Russland mit solchen Begriffen wie<br />

‘Alkoholismus’, ‘Armut’, ‘Korruption’, ‘Mafia’. Im Fernsehen wird unser<br />

Land negativ gezeigt. Ich meine, dass wir auch schuld daran sind.<br />

Man muss aber wissen, dass der Weg zur neuen Gesellschaft lang<br />

und schwer ist.“<br />

Neben einer allgemeinen Tendenz zur Beschönigung trat ein Problem<br />

des Fremdsprachenunterrichts in Russland sehr klar hervor:<br />

Nur sehr wenige Schulen, zumindest in der Provinz, befähigen ihre<br />

Schüler zum selbstständigen Formulieren von Texten in der<br />

Fremdsprache. Die meisten Arbeiten bestanden aus liebevoll abgeschriebenen<br />

und illustrierten, in einigen Fällen immerhin individuell<br />

etwas abgewandelten Lehrbuch- oder Zeitschrifttexten. In Mari El<br />

scheinen nur die Lehrerinnen der schon erwähnten 3. Schule in Kosmodemjansk<br />

und der 18. Schule in Joschkar-Ola (eine Privatschule<br />

mit einer Art Waldorf-Pädagogik) mit ihren Schülern eigenständige<br />

Textproduktion zu üben. Um die Schüler anderer Schulen nicht zu<br />

benachteiligen, vergaben wir immerhin 40% der erreichbaren<br />

Punkte für die äußere Gestaltung der Arbeit und berücksichtigten<br />

sprachliche Fehler überhaupt nicht. Dennoch bewerteten wir gerade<br />

solche Arbeiten hoch, für die es keine möglichen Quellen zum<br />

Abschreiben gab, wie z.B. Tatjana Widjaginas Beschreibung einer<br />

Reise an ihre Schule in Mari-Turek, einem Dorf im Osten der<br />

Republik, die zwar nicht ganz wahrheitsgetreu, dafür aber bestimmt<br />

von ihr (sicher mit Hilfe der Lehrerin) selbst verfasst war.<br />

DEUTSCH-RUSSISCHE BEZIEHUNGEN<br />

Die Preisträger und ihre Lehrerinnen<br />

(In der Mitte sitzend, v.li.: Sonja Lührmann, Bosch-Lektorin; Soja<br />

Georgiewna, Leiterin des Lehrstuhls für Fremdsprachen; Olga Maikowa,<br />

Betreuerin des Lehrmittelzentrums des Goethe-Instituts)<br />

Ein spezifisches Problem des Deutschunterrichts spricht<br />

eine 9. Klasse der 20. Schule aus Joschkar-Ola an, die ein Video<br />

über Deutsch an ihrer Schule drehte: Früher war Deutsch die verbreitetste<br />

Fremdsprache an den Schulen der Republik, heute wird<br />

es mehr und mehr von Englisch verdrängt. Englisch gilt als die<br />

Sprache, die man in der Geschäftswelt braucht, und Deutschlehrer<br />

klagen, dass ihnen nur noch die schlechten Schüler zugeteilt werden.<br />

Eine zweite Fremdsprache bieten nicht alle Schulen an und<br />

wenn, dann nur mit einer Stunde pro Woche. Während die Schulen<br />

versuchen, sich daraufhin umzuorientieren, ihre Schüler für die<br />

internationale Wirtschaft und das Internet fit zu machen, gilt Deutsch<br />

eher als Kultursprache, die wenig praktischen Nutzen hat. Auch unseren<br />

Wettbewerbsteilnehmern fielen überwiegend Verbindungen aus<br />

Kultur und Geschichte ein, aber niemand von ihnen bezeichnete die<br />

Auseinandersetzung damit als nutzlosen Luxus. Was die Bereicherung<br />

der eigenen Kreativität durch das Erlernen einer Fremdsprache bringen<br />

kann, zeigt sich am besten in Snezhana Malinowas Übersetzungen<br />

von Gedichten von Goethe, Grillparzer und Moritz Hartmann ins<br />

Russische.<br />

Dass wenigstens bei diesem Wettbewerb geistiges<br />

Interesse und materieller Nutzen sich nicht ausschließen, konnten<br />

wir mit den von der Robert Bosch Stiftung und dem Goethe-Institut<br />

gestifteten Preisen unter Beweis stellen: Die etwas enttäuschende,<br />

aber für das erste Mal und die kurze Ausschreibungszeit (Anfang<br />

März bis Mitte Mai) nicht allzu schlechte Zahl von insgesamt 29 Einzel-<br />

und Gruppenbeiträgen machte es möglich, dass alle Teilnehmer<br />

ein Buch, eine Zeitschrift, eine CD oder zumindest eine Tasche und<br />

einen Kugelschreiber erhielten. An die institutionellen Kontakte, die<br />

das Interesse an der deutschen Sprache wieder wecken könnten, erinnert<br />

Aleksej: „Wir müssen auch wiedergewinnen, was wir früher gehabt<br />

haben: Kunstfestivale, Versammlungen der Freundschaft und<br />

der Kultur, die Entwicklung des Tourismus.“<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

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1<br />

2<br />

14<br />

PROJEKTE 2001<br />

„Wir sind jung – Junge machen Zukunft“<br />

Seminar: Chelm (Polen), 01. – 06. Mai 2001<br />

Text 1: Olga Bolochowa, Studentin aus Witebsk, Belarus<br />

Text 2: Zoriana Zombra, Studentin aus Lwiw, Ukraine<br />

Eifrige Beratung am Grünen Tisch<br />

Ausflug nach Majdanek/Lublin, 04. Mai 2001<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Fotos: Ellen Gaus<br />

Das Ziel des Seminars „Wir sind jung“ waren Diskussionen zu den aktuellen Themen: Jungen<br />

und Mädchen, Drogen, Freundschaft oder Liebe. Ich finde das prima. Das wertvollste Gut dieser<br />

Initiative sind neue Möglichkeiten für internationale Kontakte und neue „Brücken der Freundschaft“<br />

und das Verständnis zwischen den Ländern und Menschen.<br />

Die AIDS- Vorlesung prägte sich mir besonders ein. Denn dieses Problem geht jeden von uns<br />

an. Diese Krankheit macht nicht an der Grenze halt. Man soll das besprechen und Schlussfolgerungen<br />

ziehen.<br />

Am schönsten, am besten gefielen mir persönlich die Spiele.<br />

Es war so komisch, aber auch nützlich.<br />

Im Leben jedes Menschen sind bestimmte Daten, Ereignisse und Tage, an die er sich sehr<br />

lange Zeit erinnert, und die Erinnerungen darüber erregen bei ihm ein angenehmes Lächeln<br />

auf dem Gesicht. Zu solchen Ereignissen in meinem Leben gehört mein Aufenthalt im Mai<br />

dieses Jahr auf dem Seminar in Chelm. Das polnische Land sammelte ukrainische, belorussische,<br />

polnische Jugend unter der Leitung der deutschen Kollegen. Das Wichtigste ist, dass es<br />

keinen Unterschied im Umgang, in den Meinungen, in den Aktionen<br />

gab, doch es ist bekannt, dass die jungen Menschen, leben sie in<br />

Amerika oder in Europa, gemeinsam der Wunsch vereint, den anderen<br />

kennenzulernen, die Zeit zusammen zu verbringen, etwas Neues<br />

zusammen zu erkennen.<br />

Was mir am meisten während dieses Seminars gefiel?<br />

Alles! Du kannst es nicht glauben, aber so ist die Wahrheit. Ehrlich<br />

gesagt, hatte ich am Anfang ein wenig Angst, aber das Interesse<br />

hat sie bezwungen. Und schon der erste Tag hat bewiesen, dass<br />

es wirklich lustig und interessant wird. „Scharfe" Diskussionen und<br />

wohlwollender Streit zwischen Jungen und Mädchen gaben süße<br />

Rosinen in unseren Umgang. Wie kann man die Befragung der Jugend in der Stadt vergessen?<br />

Wer hat gesagt, dass die Menschen Komplexe haben? In unserem Lexikon gibt es kein solches<br />

Wort! Aber wie kann man sich ein Seminar ohne Erholung vorstellen? Bei uns war sie einfach<br />

super!!! Die Lieder mit Gitarre und nicht nur in deutscher Sprache, lustige Spiele, Discos,<br />

Spaziergänge durch die Stadt und der Ausflug nach Lublin: wunderschön!<br />

Zwar schließt man in solchen Reisen am meisten Freundschaft. Nein, wir kennen einander<br />

nicht drei Tage, wir sind schon hundert Jahre bekannt und wir werden niemals unsere<br />

Freundschaft verlieren, nicht wahr? Dank solcher Begegnungen erkennen wir die Welt und die<br />

Welt erkennt die Ukraine. Ich sage: bis zu neuen Begegnungen, meine neuen deutschen,<br />

belorussischen, polnischen und ukrainischen Freunde! Auf Wiedersehen...<br />

Deutschunterricht und Theater<br />

Ein Theaterworkshop mit 42 ukrainischen Germanistikstudenten<br />

Sudak/Krim (Ukraine), 16. – 27. Juli 2001<br />

Text : Ellen Gaus, (Bockenem/Deutschland) und<br />

Lenore Becks, (Stuttgart/Deutschland)<br />

Im Sommer war es mal wieder soweit. Die dritte und vorläufig letzte Begegnung des<br />

Projekts „Deutschunterricht und Theater“ stand an. Nach den erfolgreichen Treffen<br />

in Kiew (Mai 1999) sowie in Frankfurt/Main und Marburg (März 2000) sollte es<br />

erneut die Ukraine sein.<br />

Elf Tage Theater pur. Das war eine ziemlich intensive Begegnung der sieben Theatergruppen<br />

aus den Universitäten/Pädagogischen Hochschulen Kiew, Dnepropetrowsk, Rivne, Lviv, Nishyn,<br />

Donezk und Gorlivka. Jeden Morgen nach dem Frühstück ging’s los mit dem gemeinsamen<br />

„Theater“ – Warming up und danach folgte der Theaterunterricht in drei Gruppen mit den<br />

Profis Silvia Pahl, Klaus Wilmanns vom Theater 3 Hasen oben aus Deutschland sowie<br />

Mykola & Vita Shakaraban, Kiew. F.A.U.S.T. stand auf dem Plan. Aber nicht der alte Goethe<br />

sollte es sein, sondern „Furiose Abenteuer und sonderbare Träume“ von Paul Maar und<br />

Christian Schidlowsky. Anhand dieses Stückes sollten den Teilnehmern exemplarisch<br />

Grundlagen eines lebendigen Theaterspiels vermittelt werden. Nach der Mittagpause war noch<br />

Zeit für ein erfrischendes Bad im Schwarzen Meer und dann war<br />

„Spracharbeit“ (Phonetik mit Gisela, Wortschatz mit Leo und<br />

Hintergrundinfo zum Stück mit Ellen) angesagt. Abends hatten die einzelnen<br />

Gruppen schließlich Gelegenheit, ihre eigene „mitgebrachte“<br />

Theaterarbeit zu präsentieren. Ein Ausflug mit dem Schiff nach Jalta sowie<br />

die Besichtigung der genuesischen Festung, in deren Schatten wir zwei<br />

Wochen lebten, rundeten das Ganze ab. Ein Highlight war die Aufführung<br />

des „Theater 3 Hasen oben“: „Da gibt es nichts zu kichern“ nach Daniil<br />

Charms.<br />

Am letzten Abend führten die drei „neuen“ Theatergruppen ihre erarbeiteten<br />

Szenen aus F.A.U.S.T. auf. Klaus und seine Gruppe zeigten in ihrer<br />

Inszenierung, wie man Musik und Geräusche effektiv einsetzen kann, Silvia<br />

legte sehr viel Wert auf die „Körperarbeit“ und Mykolas Gruppe arbeitete mit selbstgefertigten<br />

Gipsmasken. Die drei Gruppen wurden so aufgeteilt, dass in jeder Gruppe zwei Vertreter einer<br />

Uni waren. Auf diese Weise konnten sich die Teilnehmer untereinander besser kennen lernen,<br />

und jede Theatergruppe hat insgesamt die drei verschiedenen Arbeitsmethoden mitbekommen.<br />

Für die Zukunft haben die Teilnehmer schon viele neue Theater-Ideen, deren Umsetzung<br />

bestimmt nicht lange auf sich warten lässt. Auf jeden Fall haben die Studis jede Menge Spass<br />

gehabt, neue Eindrücke und sehr viele gute Tipps und Tricks für ihre Theaterarbeit und ihr<br />

Studium bekommen, so dass sie im folgenden Studienjahr frischen Wind in ihre Theaterarbeit<br />

und ihre Uni bringen können.<br />

Fotos: Ellen Gaus<br />

PROJEKTE 2001<br />

Das Team: (v.li.) V. Shakaraban (Nascentis<br />

Theater, Kiew), L. Becks, Gisela Gibtner<br />

(Goethe-Institut, Kiew), E. Gaus, M. Shakaraban<br />

(Nascentis Theater; Kiew), S. Pahl, K. Wilmanns<br />

Warming up am mittleren Morgen<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

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16<br />

ZUKUNFT DES VEREINS<br />

Robert m. Sobotta<br />

Über die Arbeit von <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

im Jahr 2021<br />

<strong>MitOst</strong> No. 8 | November 2001<br />

Foto: Steffen Giersch, Dresden<br />

(1998-2000 Lektor in Polen, jetzt Dresden/Deutschland)<br />

Zum 25jährigen Vereinsjubiläum 2021 hat<br />

sich <strong>MitOst</strong> e.V. erfreulich entwickelt. Wie<br />

Senior President Wladimir-Dieter Mitosta<br />

auf der jährlichen ZK-Versammlung in<br />

London feststellte, stieg die Mitgliederzahl<br />

auf genau 183.483 Personen in mittlerweile<br />

über 100 Ländern. Dies garantiert eine<br />

kontinuierliche Arbeit auf vielen Ebenen.<br />

Inzwischen sind nicht nur Hunderte weltweite<br />

Projekte mit einem Volumen von<br />

mehr als 2 Mrd. Euro Teil der Vereinsarbeit;<br />

auch die interne Strukturanpassung an das<br />

mehrere Generationen umfassende Spektrum<br />

der Mitglieder ist eine Herausforderung<br />

für die Gremien der Organisation.<br />

Bereits 380 Auszeichnungen für mehr als 20jährige Mitgliedschaften wurden vergeben.<br />

Viele aktive Gründungsmitglieder der frühen Jahre unseres Vereins haben inzwischen das<br />

Rentenalter erreicht. Das Vereinsvermögen ist durch Erbschaften wesentlich gestärkt worden.<br />

Der Vorstand will auf einer baldigen Sitzung die Einrichtung weltweiter Sanatorien und Altersheime<br />

unter der Marke <strong>MitOst</strong> e.V. anstoßen; auf der Hauptversammlung wurde eine entsprechende<br />

Initiative positiv beschieden. Zusätzlich zu den bestehenden Regionalzeitschriften<br />

<strong>MitOst</strong>West, <strong>MitOst</strong>Ost, <strong>MitOst</strong>Süd und <strong>MitOst</strong>Nord soll, zunächst mit globalem Verteiler an<br />

Mitglieder der Geburtsjahrgänge vor 1970, ein Fachmagazin für die Bedürfnisse der älteren<br />

Mitglieder konzipiert werden. Zu diesen Bemühungen zählt auch die Verstärkung der Kreuzfahrtensparte<br />

in der <strong>MitOst</strong>Reisen GmbH.<br />

Projektentwurf für die<br />

Hauptverwaltung des <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

wahlweise in Ulan Bator/Mongolei<br />

oder Lagos/Nigeria, Realisierung<br />

geplant ab 2024<br />

<strong>MitOst</strong><br />

Natürlich ist zu erwähnen, dass gleichzeitig eine Verjüngung des Vereins stattfindet; inzwischen<br />

besteht die Familienmitgliedschaft, die Mitgliedern Reisen in der <strong>MitOst</strong>-Welt durch viele Vorteile<br />

wesentlich vereinfacht. Der erste <strong>MitOst</strong>-Urenkel eines Gründungsmitglieds wurde 2021 geboren. In das<br />

Sortiment der <strong>MitOst</strong>-Kinderausstattung gehört inzwischen eine vielfältige Kinderabteilung. Einer der<br />

beliebtesten Artikel aus diesem Bereich ist der Schnuller mit dem typischen <strong>MitOst</strong>-Logo.<br />

Sämtliche Publikationen des <strong>MitOst</strong> e.V. erscheinen inzwischen in den 28 Sprachen<br />

der Länder mit jeweils mehr als 250 Mitgliedern. Die zunehmende Internationalität des Vereins<br />

lässt die Zeiten vergessen, in denen die Russische Föderation das östlichste Zielgebiet der<br />

Vereinsarbeit war. Längst haben sich die Projekte weiter nach Osten ausgedehnt und Alaska<br />

erreicht sowie davon ausgehend den ganzen amerikanischen Doppelkontinent und schließlich,<br />

weiter nach Osten vordringend, Afrika erschlossen. Neu ist die derzeitige Integration der westlichsten<br />

Länder Europas, Island und Portugal, in das <strong>MitOst</strong>-Netzwerk. Durch die fortschreitende<br />

Expansion nach Osten sind inzwischen im Zirkelschluß die traditionellen westlichen Länder<br />

der <strong>MitOst</strong>-Organisation (Tschechien, Deutschland, Österreich) an ihren Westgrenzen erreicht.<br />

Es gab bereits mehrere Eingaben zur Änderung des Namens unserer Organisation in MitWelt<br />

e.V.; Traditionalisten wehren sich dagegen.<br />

Die Beteiligungen des <strong>MitOst</strong> e.V. haben sich im vergangenen Jahr entsprechend der langjährigen<br />

Tendenz entwickelt: der Bereich Print und Medien des <strong>MitOst</strong> e.V., welcher 2015 die<br />

Mehrheit an der Springer AG, Hamburg, übernommen hat, geht seinerseits eine Partnerschaft<br />

mit der weltweit im Online-Dienst dominanten Nachrichtenagentur TASS-CNN Moskau, ein.<br />

Damit soll insbesondere die Mitgliederakquise in den noch gering repräsentierten, potenziell<br />

für <strong>MitOst</strong> enorm ergiebigen Ländern Indonesien, China, Tibet und Indien optimiert werden.<br />

Gerade in den ehemaligen Entwicklungsländern ist die mediale Kommunikation essenziell für<br />

die <strong>MitOst</strong>-Arbeit. Nur auf diese Weise, so Vorstandsmitglied Human Resources, Sofija del Este,<br />

kann bis 2035 das Ziel von 500.000 Mitgliedern erreicht werden. Im Kontext der Expansion<br />

ist das zehnjährige Jubiläum der erfolgreichen Integration der ehemaligen Robert Bosch Stiftung<br />

GmbH in die Strukturen des Vereins zu verzeichnen.<br />

Die Mitgliederquoten schwanken länderspezifisch zwischen 0,0 und 0,2% der Gesamtbevölkerung<br />

in Uruguay: Republica Oriental [= östlich] del Uruguay. In diesem Land ist schon in der<br />

offiziellen Bezeichnung eine Affinität zu den Vereinszielen erkennbar. Deutliche Zuwächse für<br />

<strong>MitOst</strong> e.V. gab es im vergangenen Jahr vor allem an der Ostküste Afrikas (100% Zuwachs in<br />

Madagaskar, auf 14 Mitglieder). Entsprechend der bisherigen Entwicklung, wird die Eröffnung<br />

eines Regionalbüros auch auf dem fünften Kontinent, Australien, notwendig. Damit wäre<br />

<strong>MitOst</strong> auch organisatorisch weltweit vertreten.<br />

Diese Entwicklungen bringen natürlich auch Probleme mit sich. Seit der Mitgliederversammlung<br />

2004 in Athen fanden die nur noch vierjährlichen Plenarveranstaltungen jeweils in den aktuellen<br />

Olympiastädten statt. Nur in diesen Städten kann <strong>MitOst</strong> e.V. während der mehrwöchigen<br />

Veranstaltungen auf die für bis zu 100.000 Teilnehmer erforderliche Infrastruktur zurückgreifen.<br />

ZUKUNFT DES VEREINS<br />

Langjährige Altmitglieder nach der<br />

Auszeichnung „20 Jahre <strong>MitOst</strong>-Mitglied“<br />

Dennoch ist der Vorstand zuversichtlich,<br />

dass der Verein auch in Zukunft seine<br />

Arbeit in erfolgreicher Weise fortsetzen<br />

kann. Weil <strong>MitOst</strong> e.V. inzwischen ein<br />

weltweit bekannter und aktiver Kulturverein<br />

ist, strebt der Vorstand für die<br />

Zukunft einen Beobachterstatus in der<br />

UNO sowie die Kooperation mit weiteren<br />

Organisationen an.<br />

<strong>MitOst</strong> No. 8 | November 2001<br />

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18<br />

PROJEKTE 2001<br />

Gereon Schuch<br />

…auf Schloß Stolzenfels<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Studienfahrt Rheinland<br />

Stationen deutscher und europäischer Kultur<br />

und Geschichte<br />

Eine Bildungs- und Begegnungsfahrt: 22. – 29. April 2001<br />

Fotos: Gereon Schuch<br />

(1998 - 2000 Lektor in Pécs/Ungarn, jetzt Koblenz/Deutschland)<br />

“Studienfahrt Rheinland – Stationen deutscher und europäischer Kultur und Geschichte.” Unter<br />

diesem Motto starteten Ende April 2001 insgesamt 11 Studierende aus Jugoslawien,<br />

Alle Wege führen nach Europa!?<br />

Rumänien, der Slowakei, Ungarn, der Ukraine und Weißrussland ihre einwöchige Erkundung<br />

bedeutender Orte der deutschen und europäischen Vergangenheit und Gegenwart.<br />

Bewerben konnten sich Studierende aus den oben genannten Ländern mit einem freien Essay<br />

zu der Karikatur „Alle Wege führen nach Europa !?“. Zahlreich meldeten sich Interessierte bei<br />

uns, wir erhielten eine große Menge spannender Essays. Leider konnten wir nur eine recht<br />

kleine Anzahl von Teilnehmern einladen, so dass wir mit unserer Jury aus jedem Land zwei<br />

Studierende auswählen mußten. Stellvertretend für die Vielzahl guter Beiträge sei hier nur ein<br />

Ausschnitt vorgestellt:<br />

„...Wenn die Menschen hier vom Beitritt zur EU hören, fallen Ihnen immer nur die wirtschaftlichen<br />

Vor- und Nachteile ein, aber es geht nicht nur darum. Ich bin der Meinung, dass der<br />

Schlüssel des Tores, das nach Europa führt, in den Händen der Jugend liegt. Die Jugend Ost-<br />

Europas muss über das Wissen verfügen, das den Beitritt ermöglicht. Jedes Land hat<br />

Traditionen, Kulturschätze und Bräuche, die Europa kennenlernen sollte, zumindest so, dass<br />

man einige Besonderheiten eines jeden Landes kennt. Wenn wir einander kennen, können wir<br />

leichter zusammenarbeiten.<br />

Ob viele Wege nach Europa führen, das glaube ich nicht. Sicher gibt es viele Wege, aber nur<br />

manche von ihnen sind die richtigen. Der richtige Weg ist der Weg der Interkulturalität und der<br />

Freiheit. Wir dürfen unsere Kultur und Freiheit auf dem nach Europa führenden Weg nicht verlassen.<br />

Meiner Meinung nach können wir unser Ziel nur dann erreichen, wenn wir den<br />

Schülern und Studenten unseres Landes ermöglichen, nach Westeuropa zu fahren und dort<br />

viele Erfahrungen zu machen. Sie lernen die Bräuche, die Kultur des Gastlandes kennen,<br />

wobei sie wiederum den Gastgebern ihre Traditionen und Kulturschätze zeigen. Ich halte es<br />

für wichtig, dass die westeuropäischen Studenten die osteuropäischen Kulturen und Denkungsarten<br />

kennenlernen, denn wir können nur auf diese Weise zusammenfinden. Wenn wir uns<br />

kennengelernt haben und unsere Erfahrungen ausgetauscht haben, gibt es keine Grenzen<br />

mehr. Dieser Weg führt nach Europa...“<br />

(Fekete Krisztián, Györ/Ungarn)<br />

Im Rahmen dieses <strong>MitOst</strong>-Projekts sollte den Studierenden, die alle noch keine längeren<br />

Aufenthalte in Deutschland erlebt hatten, zum einen die Möglichkeit gegeben werden,<br />

politische und historische Strukturen in Deutschland näher kennenzulernen, zum anderen stand<br />

aber auch der Austausch unter den teilnehmenden sieben Nationalitäten und die Begegnung mit<br />

Studierenden aus Deutschland im Mittelpunkt.<br />

Eine Etappe der Reise war somit die “Europastadt Frankfurt”, die “City of the Euro”,<br />

wo ein Besuch der Europäischen Zentralbank besonders die Ökonomiestudenten begeisterte.<br />

Goethe, Gotik und Geld liegen in dieser Stadt sehr nahe beieinander – aber es wurde auch<br />

deutlich, daß gerade eine solche Stadt nicht frei von sozialen Gegensätzen und Konflikten ist.<br />

Danach ging es in die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz, wo neben einer<br />

Gesprächsrunde mit einem echten Landespolitiker im Plenarsaal des Landtags auch die<br />

Gespräche in den Mainzer Weinstuben einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.<br />

Natürlich wurde auch der “Man of the Millennium”, Johannes Gutenberg, nicht vergessen.<br />

Die Strecke zwischen Bingen und Koblenz war dann eher für die Romantiker, wenngleich<br />

der Blick auf geschwungene Weinberge, verwunschene Burgen und mittelalterliche<br />

Festungen durch das weniger romantische Regenwetter etwas geschmälert wurde. Bonn<br />

wiederum als Ex-Bundeshauptstadt machte vor allem durch das ehemalige Regierungsviertel<br />

und das didaktisch hervorragende “Haus der Geschichte” den wechselvollen Verlauf der deutschen<br />

Vergangenheit(en) deutlich. Und schließlich bot Köln sowohl mit seinem Dom als auch<br />

mit dem Schokoladenmuseum einen eindrucksvollen Abschluß der Bereisung von<br />

Gegenwartskultur und lebendiger Geschichte.<br />

Für alle Teilnehmer, für die Studierenden aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie für die drei<br />

OrganisatorInnen des Projekts, war sicher eines der eindrucksvollsten Erlebnisse, dass wir, aus<br />

völlig verschiedenen Hintergründen kommend, gemeinsam etwas kennengelernt und uns dabei<br />

kennengelernt haben!! Während der Fahrt wurde von allen Teilnehmern abwechselnd ein „Reisetagebuch“<br />

geführt; auch hieraus sei ein Ausschnitt vorgestellt:<br />

PROJEKTE 2001<br />

…und es wurde viel fotografiert<br />

…zwei Ungarn und zwei<br />

Kurfürsten zu Mainz am Rhein<br />

Montag, 23.04.2001<br />

...Gestern blieben wir sehr lange aus, weil wir in Frankfurt einen Kneipenrundgang gemacht haben. Heute<br />

konnten wir deshalb kaum aufstehen. Nach dem Frühstück haben wir die EZB besucht und dort haben wir den interessantesten<br />

Vortrag des Tages gehört. Wir sind ein wenig der Geschichte der EU näher gekommen und haben auch<br />

über das Eurosystem und über die Münzen und Geldscheine einige Informationen bekommen. Später haben wir die<br />

Frankfurter Börse besucht und dort haben wir größten Teils visuelle Eindrücke gesammelt. Wir konnten von oben die<br />

Beamten beobachten und wir haben den Eindruck gehabt als wären sie kleine Fische im Aquarium. Der Vortrag an<br />

der Börse war sehr trocken. Vor unseren Augen liefen nur Zahlen und Abkürzungen, aber trotzdem haben wir uns<br />

gefreut, daß wir auch in die Welt der Börse eingeführt wurden....<br />

Danach haben wir das Kolping Hotel verlassen und wir sind nach Mainz gefahren. Am Abend pflegten wir<br />

die Kneipenkultur weiter. Beim Kerzenlicht in der gemütlichen Studentenkneipe haben wir festgestellt, daß wir zu richtigen<br />

Bierexperten geworden sind. In der Kneipe hatten wir eine sehr nette und lustige Gesellschaft. Wir haben viele<br />

schöne deutsche Jungen kennengelernt.<br />

Wir finden es sehr interessant, daß wir aus verschiedenen Ländern gekommen sind und verschiedene Sprachen sprechen.<br />

Wir fühlen uns manchmal so, als wären wir in die Zeit der Babel-Geschichte zurückversetzt. Vor dem Einsturz<br />

hat uns eine Brücke gerettet, und zwar die deutsche Sprache, die wir alle beherrschen...<br />

(Judit Deli, Novi Sad / Jugoslawien und Laura Pünkösti, Brasov / Rumänien)<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

19


20<br />

INTERVIEW<br />

Sergej kommt wie immer<br />

superpünktlich, aber er ist<br />

verkatert. Er hat eine<br />

Cousine in der Nähe von<br />

München ausfindig<br />

gemacht und am Sonntag<br />

dieses Wiedersehen mit<br />

ihr und ihrem Mann<br />

ordentlich begossen.<br />

Soviel zum Thema<br />

Vorurteile.<br />

Dorothea Leonhardt<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Greencard in Deutschland<br />

Ein Interview mit Sergej Rybinskij<br />

Fotos: Dorothea Leonhardt<br />

(München/Deutschland)<br />

Sergej wurde am 1. Mai 1974 in der Nähe von Krasnojarsk in Sibirien<br />

geboren. Er hat dort Elektrotechnik studiert und dann seine Doktorarbeit<br />

in Moskau geschrieben. In dieser Zeit hat er zeitweise bei der<br />

Deutschen Telekom in Moskau gearbeitet. Im Januar 2001 bekam er<br />

aufgrund seiner Fachpublikationen ein Jobangebot von Sony in München.<br />

Seit Juni lebt er als „Greencard-Russe“ hier und spricht, da Sony erst<br />

mal Englischkurse für wichtiger hält, immer noch kein Deutsch.<br />

Welche Formalitäten sind zum Erhalt einer Greencard nötig ?<br />

Oh, das war alles sehr einfach. Ich bin mit dem Arbeitsvertrag von Sony zur Deutschen Botschaft gegangen<br />

und habe das Visum für 5 Jahre bekommen.<br />

Es gab also keine Schwierigkeiten ?<br />

Die einzige größere Schwierigkeit tauchte erst auf, als ich hier ankam, nämlich die katastrophale<br />

Wohnungsnot in München. Gott sei dank hat Sony einen Makler bezahlt, aber es war trotzdem schwierig<br />

genug, etwas zu finden.<br />

Sergej, gab es einen bestimmten Grund, warum Du in Deutschland arbeiten wolltest ?<br />

Nein, ich wollte gerne im Ausland arbeiten, aber nicht unbedingt in Deutschland, ich wäre auch in die USA<br />

gegangen, wenn ich ein Angebot bekommen hätte.<br />

Warum wolltest Du im Ausland arbeiten ?<br />

Nun, zum einen ist es interessant und erweitert den Horizont, gerade Deutschland hat den Ruf, ein<br />

ruhiges und angenehmes Land zu sein. Zum anderen ist es ganz einfach eine wirtschaftliche Überlegung.<br />

Auch wenn die Situation in Russland besser wird, ist es immer noch sehr schwierig, eine gut bezahlte und<br />

interessante Arbeit zu finden.<br />

Wir sitzen in einem Lokal, das sehr gerne auch von Homosexuellen besucht wird. Um uns herum gruppieren sich<br />

einige homosexuelle Pärchen. Es entspinnt sich zunächst eine ausgiebige Diskussion zu diesem Thema. Sergej meint<br />

zwar, nichts gegen Schwule zu haben, findet aber die Art der Öffentlichkeit in Deutschland doch befremdlich. Wir<br />

sprechen ausgiebig über die verschiedenen Kulturen, kommen aber zu keinem rechten Schluss, außer dass sich unsere<br />

Kulturen da doch unterscheiden.<br />

Du hast vorhin gesagt, dass Du hier erst einmal einen Kulturschock bekommen hast, der bis heute andauert.<br />

Worin äußert sich das ?<br />

Das ist sehr schwer zu sagen, vieles ist einfach nicht so, wie ich es gewohnt bin. Mir fällt folgendes Beispiel<br />

ein: als ich ankam, war ich total erstaunt, wie clean der Flughafen ist. Die Förderbänder der Gepäckausgabe<br />

funktionieren einwandfrei und die Sachen fallen nicht herunter. Als ich nach dem Interview zurück nach<br />

Moskau kam, hatte ich den umgekehrten Schock, Scheremetjewo ist dreckig und bei der Gepäckausgabe<br />

fallen die Koffer ständig vom Band in den Dreck.<br />

Das ist aber nur ein Beispiel, es ist einfach alles anders. Aber ich würde auch nicht von Schock sprechen.<br />

Ich werde mich sicher auch daran gewöhnen, dass der Bus pünktlich kommt.<br />

Ich habe aber auch das Problem, dass ich noch kein Deutsch kann und keinen richtigen Kontakt zu den<br />

Leuten habe, am Leben nicht richtig teilnehmen kann.<br />

Ich glaube, dass der Kulturschock auch vom Kulturniveau und der intellektuellen Fähigkeit eines Menschen<br />

abhängt. Intellektuelle können sich leichter in eine andere Kultur hineindenken. Wichtig ist auch die Kommunikationsfähigkeit.<br />

Wodurch unterscheidet sich München von Moskau ?<br />

Eigentlich in allem, fangen wir doch damit an, worin sie sich ähnlich sind. Ähmm…<br />

Wir überlegen lange, uns fällt aber nichts so recht ein, bis wir drauf kommen: beide sind schrecklich teuer und wenn<br />

man neu zuzieht, ist es mehr oder weniger unmöglich, eine Wohnung zu finden.<br />

Es war aber klug, hier die IT-Branche anzusiedeln. Hier ist es teuer und fast alles, das ich verdiene, gebe ich<br />

auch wieder hier aus und führe es so der deutschen Wirtschaft zu. Wäre hier alles billig, würde ich viel<br />

sparen und nach 5 Jahren ein Haus in Russland kaufen.<br />

Welche Unterschiede bei den Menschen bemerkst Du ?<br />

Dazu kann ich aufgrund der Sprachbarriere wenig sagen. Es fällt auf, dass die Leute hier sehr ruhig sind,<br />

recht selbstsicher. Das Leben geht seinen Gang, fast niemand macht sich Sorgen um den nächsten Tag.<br />

Wie findest Du die Mädels hier ?<br />

Sie kommen mir sehr viel feministischer vor als in Russland. Die Frauen hier wissen, dass sie genau so viel<br />

verdienen wie die Männer und auf eigenen Beinen stehen können. Russische Frauen wirken viel weniger unabhängig<br />

und schwächer. Ich kann mir gut vorstellen, dass das der Grund ist, warum deutsche Männer gerne<br />

russische Frauen heiraten.<br />

Du hast eine Freundin in Moskau, bald willst Du heiraten. Warum ?<br />

Ganz einfach: Ich liebe meine Freundin. Man muß im Leben das machen, was man in diesem Augenblick<br />

machen muß. Ich liebe meine Freundin und die finanzielle Situation erlaubt es uns, zu heiraten. Es gibt im<br />

Augenblick keinen Grund, diesen Schritt nicht zu tun.<br />

Stichwort Alkohol.<br />

Alkohol ist ein Problem für russische Männer, besonders, wenn sie allein sind. In Russland gibt es auch das<br />

Problem, dass die Männer nicht das können, was sie meinen, können zu müssen, z.B. die Familien ordentlich<br />

versorgen. Dann ertränken sie ihre Probleme. Oder sie haben mit 30 alles erreicht, was sie wollten: Arbeit,<br />

Frau, Kind. Sie setzten die Ansprüche an sich zu niedrig und sie trinken quasi aus Langeweile. Es ist ein<br />

nationales Problem.<br />

Provozierende Frage: Du hast mir auf dem Weg hierher auch voller Stolz erzählt, dass Du eine ganze Flasche<br />

Wodka trinken kannst.<br />

Ich bin darauf nicht stolz. Ich wäre froh, wenn ich nicht so viel trinken könnte. Es ist eigentlich nicht so toll.<br />

Stichwort Ausländerfeindlichkeit.<br />

Ich merke davon gar nichts. Es liegt sicher auch daran, dass ich ganz „normal“ aussehe. Aber ich empfinde<br />

Deutschland sehr freundlich und einladend zu Ausländern.<br />

Wie unterscheidet sich die Arbeitswelt ?<br />

Sony ist ein japanisches Unternehmen und ich arbeite in einem internationalen Team, in dem weniger als die<br />

Hälfte Deutsche sind. Ich weiß also nicht, inwieweit sich diese Erfahrung auf andere Unternehmen übertragen<br />

läßt. Ich muß sagen, dass bei Sony sehr viel gearbeitet und wenig privat geredet oder gemacht wird. Ich<br />

habe das Gefühl, die Leute wollen der Firma etwas geben, etwas beisteuern.<br />

Die Arbeitsprozesse sind sehr gut geplant und eingeteilt, und es werden oft Statusabfragen gemacht.<br />

In Russland ist es oft so, dass der Chef sagt, das und das muß bis nächste Woche gemacht werden, dann<br />

hängen sich alle rein und das Projekt wird unter großen Mühen mit Ach und Krach fertig. Danach schauen<br />

wieder alle vier Wochen Löcher in die Luft.<br />

Letzte Frage: Würdest Du anderen Leuten raten, auch nach München zum Arbeiten zu kommen?<br />

Ja klar, auf alle Fälle.<br />

INTERVIEW<br />

Hintergrund:<br />

Ziel der im März 2000 von<br />

der Bundesregierung gestarteten<br />

„Greencard-<br />

Initiative“ ist es, ohne<br />

große Formalitätenaufwand<br />

ausländische IT (Informationstechnologie)<br />

–<br />

Spezialisten für die<br />

deutsche Wirtschaft zu<br />

gewinnnen. Die ausländischen<br />

Spezialisten können<br />

für maximal fünf Jahre<br />

in Deutschland arbeiten.<br />

Bislang haben 8.556 IT-<br />

Spezialisten aus aller Welt<br />

die deutsche Greencard<br />

beantragt und in deutschen<br />

Unternehmen Arbeit gefunden.<br />

(Stand 22. Juli 2001)<br />

Bayern steht in der Verteilung<br />

der Greencard an<br />

absoluter Spitze. Es wird<br />

gefolgt von Hessen und<br />

Baden-Württemberg.<br />

Schlußlicht sind die Länder<br />

Sachsen-Anhalt und<br />

Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Indien steht an erster<br />

Stelle der Herkunftsländer<br />

der Greencardinhaber. Es<br />

wird gefolgt von Russland<br />

(wobei hier auch<br />

Weißrussland und die<br />

Ukraine miteingerechnet<br />

werden), Rumänien,<br />

Tschechische/Slowakische<br />

Republik, ehem.<br />

Jugoslawien und Ungarn.<br />

Weitere Informationen<br />

finden Sie unter:<br />

www.bundesregierung.de<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

21


22<br />

5 JAHRE MITOST<br />

Ein Jahr oder länger an einer Hochschule<br />

in einem Land Mittelost- oder Südosteuropas:<br />

Das ist eine prägende Erfahrung, die für viele<br />

in den Entschluß mündet, Begonnenes<br />

weiterzuführen und neue Ideen umzusetzen.<br />

5 Jahre <strong>MitOst</strong> e.V. –<br />

5 Jahre Kultur und Begegnung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />

Annette Kraus<br />

Die Robert Bosch<br />

Stiftung hat<br />

dieses große<br />

Potenzial erkannt<br />

und fördert den<br />

Verein seit seiner<br />

Gründung<br />

großzügig und<br />

unbürokratisch.<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

1. Vorsitzende <strong>MitOst</strong> e.V. (Berlin/Deutschland)<br />

Am 1. Dezember 1996 gründeten in Stuttgart ehemalige Lektoren, die als Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung an<br />

einer Hochschule Mittel- oder Osteuropas tätig gewesen waren, <strong>MitOst</strong> e.V. als Verein für Sprach – und Kulturaustausch<br />

mit mittel- und osteuropäischen Ländern. Es folgte unmittelbar die Einrichtung der Homepage, 1997 fanden die ersten<br />

Projekte statt und 1998 erschien das erste Magazin.<br />

Seitdem hat <strong>MitOst</strong> in ehrenamtlicher Arbeit eine Fülle von Projekten durchgeführt, konnte insgesamt beinahe vierhundert<br />

Mitglieder aus allen Ländern gewinnen, in denen Aktivitäten stattfinden, und sich insgesamt als Veranstalter und<br />

Partner einen Namen machen. Inzwischen heißt der Verein „<strong>MitOst</strong> e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-,<br />

Ost- und Südosteuropa“ – und diesen Namen nehmen wir ernst.<br />

In ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit haben die von <strong>MitOst</strong> durchgeführten Projekte durchaus gemeinsame<br />

Nenner: Sie sind ein Beitrag zum Kulturdialog und zur politischen Bildung, sie schaffen Raum für Begegnung<br />

und Austausch, sie qualifizieren und ermutigen junge Menschen, ihre kulturellen oder gesellschaftspolitischen Visionen<br />

zu verwirklichen, und sie schaffen Netzwerke, die in ihrer Komplexität und ihrem Wirkungskreis inzwischen beachtlich<br />

sind: Jedes Projekt schafft seine eigenen Ehemaligen, die wiederum häufig aktive Mitglieder des Vereins werden und<br />

neue Projektideen einbringen.<br />

Hier schließt sich ein weiteres Kernanliegen des Vereins an: Neben der Durchführung von Projekten versteht er sich als<br />

Ehemaligen-Verein des Lektorenprogramms der Robert Bosch Stiftung. Die Vereinsaktivitäten bringen die Alumni immer<br />

wieder zusammen. Insbesondere die Mitgliederreisen und die jährliche Mitgliederversammlung sind Foren, bei denen<br />

sich alte Bekannte wiederbegegnen und neue Kontakte entstehen.<br />

Unsere Ziele sind nicht immer einfach zu erreichen: Die Mitgliedschaft lebt verstreut, bei der Durchführung der Projekte<br />

tauchen Hindernisse auf und die Temperamente der einzelnen Beteiligten sind oftmals unterschiedlich. In fünf Jahren erfolgreicher<br />

Vereinsarbeit konnten wir diese Mühen immer wieder aufs Neue überwinden. Die Schlüssel zu diesem Erfolg<br />

sind Engagement, Begeisterung und Spaß an Begegnung und Austausch in und mit Mittel-, Ost- und Südosteuropa.<br />

5 Jahre Projektarbeit<br />

das bedeutet insgesamt 41 Projekte:<br />

Theater<br />

Lesereisen<br />

Mitgliederreisen<br />

Studienreisen<br />

Seminare und Workshops<br />

Ausstellungen<br />

Publikationen<br />

Mitgliederversammlung<br />

5 JAHRE MITOST/FAKTEN<br />

Zusammenstellung: Heike Roll, Nina Wendt, Alexandra Zander<br />

- Festival deutschsprachiger Theatergruppen aus Mittelosteuropa in Lublin, Polen (1997)<br />

und Bratislava, Slowakische Republik (1998)<br />

- Reise des Theaters „Blaue Maus“ in die Tschechische Repubik, die Slowakische Republik und<br />

nach Ungarn (1998)<br />

- „Hotel Europa“ - Teilnahme am Theaterfestival UNIDRAM in Potsdam (1999)<br />

- Deutschunterricht und Theater mit Teilnehmern aus der Ukraine (1999-2001)<br />

- Forumtheater in Bratislava, Slowakische Republik (2000)<br />

- des Autors Christian Liedtke („Heinrich Heine zum 200. Geburtstag“) in die Tschechische<br />

Republik und in die Slowakische Republik (1998)<br />

- der Autorin Emine Sevgi Özdamar durch Polen (2000)<br />

- der Autorin Zehra Çirak und des Bildhauers Jürgen Walter durch Litauen und<br />

Lettland (2001)<br />

- der Autorin Tina Stroheker und der Übersetzerin Anna Wziatek nach Polen (2001)<br />

- auf die Kurische Nehrung (1997)<br />

- nach Galizien und in die Bukowina (1998)<br />

- in die Südbukowina (1999)<br />

- nach Siebenbürgen (2000)<br />

- von Studenten aus MOE-Ländern nach München und Süddeutschland (1998-2000)<br />

- einer Gruppe von Germanistikstudenten aus Novi Sad nach Halle, Dresden und<br />

Berlin (2000)<br />

- und der Gegenbesuch in Novi Sad und Belgrad, Jugoslawien (2001)<br />

- ins Rheinland (2001)<br />

- Studentisches Seminar in Kreisau, Polen (1997-2000)<br />

- Studentisches Seminar für deutsch-tschechische Geschichte – „Begegnung in<br />

Brünn“, Brünn, Tschechische Republik (1999)<br />

- CIRKUL – Internationale Sommerakademie des Kulturni Cirkus (1999-2001)<br />

- „Wer, wenn nicht wir ...“ – Workshop zur interkulturellen Kommunikation,<br />

Poltawa, Ukraine (2000)<br />

- <strong>MitOst</strong> Forum Philosophie, Slubice, Polen und Frankfurt/O., Deutschland (2000-2001)<br />

- Studentisches Seminar „Junge machen Zukunft. Wir sind jung!“ in Chelm, Polen (2001)<br />

- Wanderausstellung „Farben der Roma-Kinder“ (1999-2001)<br />

- Vor Ihnen liegt die 8. Ausgabe des <strong>MitOst</strong>-Magazins<br />

- 5 Jahre www.mitost.de<br />

- Zur Zeit erscheint die erste Ausgabe der „<strong>MitOst</strong>-Editionen“<br />

- Es erschien eine Auswertung der Methoden des Kreisau-Seminars<br />

- Berlin, Deutschland, 1997<br />

- Budapest, Ungarn, 1998<br />

- Prag, Tschechische Republik, 1999<br />

- Krakau, Polen, 2000<br />

- Kosice, Slowakische Republik, 2001<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

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24<br />

5 JAHRE MITOST<br />

Markus Hipp<br />

Fünf Jahre <strong>MitOst</strong> –<br />

Glückwünsche zum Kindergeburtstag<br />

Der Gründungsmythos<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Bilanztreffen Stuttgart 1996, vorne rechts: Frau Irmgard Bosch, Kuratorin der Robert Bosch Stiftung<br />

Fotos: Archiv Markus Hipp<br />

(1996 -1998 1. Vorsitzender <strong>MitOst</strong> e.V., seit 1999 bei der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart/Deutschland)<br />

„Jubiläum“ klingt ein wenig nach alt, etabliert und hochoffiziell. Auch gibt es bestimmt Leute, die Tiefsinniges über<br />

Sinn und Unsinn fünfjähriger Gedenkfeiern sagen könnten. Sowohl dem staubansetzenden Unterton als auch der – in<br />

Vereinen vielgeliebten – Grundsatzdebatte möchte ich (wieder einmal) eher pragmatisch dadurch entkommen, daß ich<br />

<strong>MitOst</strong> heute „nur“ zum fünften „Kindergeburtstag“ gratuliere – zu nicht mehr, aber auch nicht zu weniger! Wie aber<br />

bereitet man einen Kindergeburtstag vor? Man sortiert und klebt z.B. die jüngsten Fotos ins Kinderalbum und blättert<br />

bei der Gelegenheit gerne wieder einmal zurück, ganz zurück – ein paar ältere „Bilder“:<br />

Verliebt...<br />

Energische Tutorinnen und Tutoren (damals noch, heute längst selbstbewußt<br />

Lektoren), irgendwo in Mittel- oder Osteuropa, allein im Einsatz<br />

oder in kleinen Gruppen bei Regionaltreffen, meist in Eiseskälte<br />

mit roten Nasen und Zipfelmützen, aber – auf (fast) allen Fotos – glücklich,<br />

lachend, begeistert. „MOE“, das Kürzel der Geliebten, wird zum Kosenamen,<br />

zum Inbegriff einer intensiven Affäre, in der leidenschaftlich<br />

gefeiert und heftig gestritten wird, einer Affäre jedenfalls, die tiefe<br />

Spuren hinterläßt! Aber wird die Beziehung halten, wenn in den aufgewühlten<br />

MOE-Seelen wieder der deutsche Alltag Einzug hält?<br />

Verlobt ...<br />

Mit der Idee, „etwas zurückzugeben von den schönen Begegnungen<br />

und Erfahrungen in Mittel- und Osteuropa“ – so eine häufige Formulierung<br />

dieser Tage – gehen beim ersten Bilanztreffen der Boschtutoren<br />

im September 1996 in Stuttgart einige schwanger, aber „ein<br />

bißchen schwanger gibt es nicht“. Die Robert Bosch Stiftung, die sich<br />

mit unehelichen Zuständen schwer tut, drängt vorsorglich und programmväterlich<br />

zur Entscheidung: Wie wär‘s denn mit einem richtigen<br />

Ehemaligenverein? Zweifel und Zuspruch halten sich die Waage, aber<br />

am Ende vereinbart ein knappes Dutzend ein baldiges Wiedersehen.<br />

...und eine typische Traufe<br />

(neudeutsch für Trauung und Taufe in einem)<br />

Am 1. Dezember 1996, nachmittags, ein klassisches „Start-up-Gründer-Familienfoto“<br />

(das weiß man aber immer erst später, aus der<br />

Werbung): nicht in der klassischen Garage, aber doch vereint um<br />

den großen Eßtisch von Sabine Krüger – also dort, wo ohnehin schon<br />

seit Wochen und Monaten die Fäden derer zusammenlaufen, die<br />

sich nun endlich trauen wollen, dieser Welt einen weiteren Verein<br />

zu schenken: aus Dresden Uta Schoppe und Birgit Schatt, aus<br />

Hamburg Imke Hoffmann, Karen Oßmann und Kathrin Liedtke,<br />

aus Dortmund Darius Polok, aus Freiburg Martin Faber und aus<br />

München Nina Müller und Markus Hipp. Die Papierstapel wild übereinander,<br />

obligatorisch auch die Pizza, bekanntlich ein modernes<br />

Synonym für Kreativität. Die Abstände zwischen den Wehen werden<br />

kürzer, die Herztöne guter Ideen und Konzepte immer deutlicher,<br />

aber am späten Nachmittag geht es plötzlich nicht mehr weiter, und<br />

vor allem: das Kind hat ja noch gar keinen Namen. „Boschfrösche“<br />

– das kann’s ja wohl noch nicht sein? Ein Ortswechsel soll helfen –<br />

raus aus Stuttgart, hoch auf die Schwäbische Alb, Weite, Inspiration,<br />

frische Luft: Melchingen! Im Hinterzimmer des Theaters Lindenhof,<br />

nach wortverspielt anregendem Kabarett und einigen wehenfördernden<br />

Biohämmern aus Hopfen und Malz setzen urplötzlich die<br />

Presswehen ein, kritzelt der Wehenschreiber auf einen alten Bierdeckel:<br />

Mittel- und Osteuropa ... Mittel- und Ost ... MittelOst ... „Mit-<br />

Oscht“! schreit ein nicht nur von Heimatluft berauschter Schwabe<br />

unvermittelt in den qualmerfüllten Raum. Die sprachlich versierteren<br />

Norddeutscheren erkennen auf Anhieb, dass der zufälligen geographischen<br />

Wortschöpfung eine geradezu genialisch tiefe präpositive<br />

Bedeutung innewohnt: <strong>MitOst</strong> – das steht nicht nur für die alte<br />

Geliebte „MOE“, sondern vor allem für: Mit dem Osten! In postnataler,<br />

glücklicher Erschöpfung wird noch am selben Abend per<br />

Fingerzeig ein erster Elternbeirat, vulgo „Vorstand“ gewählt, die<br />

Gültigkeit solcher Wahl ob der nicht zu leugnenden Wirkung besagter<br />

Medikamente jedoch sofort von einem Mitglied angezweifelt,<br />

woran man erkennt: Jetzt sind wir ein richtiger Verein! Und was für<br />

einer: „für Sprach- und Kulturaustausch mit Mittel- und Osteuropa“!<br />

Hört, hört – die haben sich was vorgenommen. Mehr als ein bloßer<br />

Ehemaligenverein für nostalgisches Sprücheklopfen muß es schon<br />

sein. Frei, offen und international will man sein und bleiben, aber<br />

auch dankbar, deshalb weit mehr als nur eine Reminiszenz:<br />

„Gegründet von Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung“. (Für die<br />

Juristen unter den späteren Historikern: Die Wahl wurde am nächsten<br />

Tag im nüchternen Stuttgart ordnungsgemäß wiederholt und die<br />

Satzung anschließend so feierlich wie möglich von allen Taufpaten<br />

unterzeichnet. Der Rest war – fast – reine Formallogik der deutschen<br />

Vereinsgründungstat).<br />

Keine ruhige Minute ...<br />

Der Fortgang der Geschichte ist schnell erzählt, er überraschte uns<br />

alle: Kaum war die Geburtsanzeige raus, wuchs <strong>MitOst</strong> durchschnittlich<br />

jeden dritten Tag um ein neues Mitglied. Wie ein Fisch im<br />

Wasser lernte der Verein in seinen wunderschön bunten Projekten<br />

in Windeseile spielerisch Tasten, Krabbeln, Laufen, und sein Gesicht<br />

bekam immer deutlichere Konturen. Noch bevor er richtig reden<br />

konnte und sich im <strong>MitOst</strong>-Magazin und Faltblatt klassisch zu artiku-<br />

Sabine Krüger und Markus Hipp,<br />

Regionaltreffen in<br />

Olomouc/Tschechische Republik, 1995<br />

5 JAHRE MITOST<br />

lieren lernte, plapperte er seine kindlichen Entdeckungen in die<br />

www.mitost.de Welt hinaus und fand fortan viele interessierte<br />

Zuhörer. Die „<strong>MitOst</strong>-Kreisau-Seminare“ wurden zu einem echten<br />

Geheimtipp für aufgeweckte Studenten in MOE, so fruchtbar, dass<br />

sie inzwischen Theodor Heuss in Form eines quicklebendigen<br />

Kollegs zu einem erstaunlichen Comeback verhalfen, den Verein<br />

aber auch erstmals vor die schwierige Frage nach dem Umgang mit<br />

dem eigenen Erfolg stellte. Aus noch familiären Wiedersehensfesten<br />

in Dresden und Berlin wurden schnell faszinierende internationale<br />

Treffen in Budapest, Prag und Krakau, die mehr zum Kennenlernen<br />

neuer Gesichter und Geschichten denn zum bloßen Wiedersehen<br />

einluden. Kurz und gut: <strong>MitOst</strong> hielt alle schwer auf Trab und<br />

manchmal kamen wir ihm fast nicht mehr hinterher. An seinem<br />

fünften Geburtstag sind wir deshalb zunächst einfach einmal froh,<br />

dass er bis heute all seine abenteuerlichen Exkursionen ohne größere<br />

Blessuren und Knochenbrüche überstanden hat. Schön ist auch, dass<br />

ihn seine ersten Spielgefährten niemals eifersüchtig für sich allein<br />

reklamierten und er so Jahr für Jahr neue Freunde fand und die alten<br />

nicht verlor.<br />

Geburtstagswünsche<br />

Was wünscht man also einem so lebhaften, phantasievollen und<br />

sommersprossigen Fünfjährigen zum Geburtstag? Weiterhin viel<br />

begeisterndes, kindliches Lachen, das auf andere überspringt. Dazu<br />

ein selbstbewußt unbekümmertes Gemüt, das zwar die Vorsicht,<br />

nicht aber die gefährliche Angst vor der eigenen Courage kennt. Und<br />

wenn <strong>MitOst</strong> nun bald – es läßt sich kaum vermeiden – in die<br />

Schule kommt? Dann soll er um alles in der Welt kein langweiliger,<br />

vereinsmeiernder Streber werden, der seine Mitschüler mit frühreifen<br />

Grundsatzreferaten nervt, sondern einfach „nur“ das aufgeweckte<br />

offene und neugierige Bürschchen bleiben, das schnell lernt und<br />

sich auf neue Situationen pragmatisch einstellt – und dabei doch<br />

seinen Standpunkt nicht verliert! Nur wer sich ändert, bleibt sich<br />

treu. In diesem Sinne – weiter so, <strong>MitOst</strong>!<br />

PS: Sabine, Uta, Birgit, Heike und all die anderen Gründerinnen<br />

sehen das natürlich ganz anders: Für sie ist <strong>MitOst</strong> ein Mädchen –<br />

überstimmt!<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

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26<br />

5 JAHRE MITOST<br />

Auf diesen Seiten geben wir zur Erinnerung<br />

an die bisherige Arbeit und an das, was<br />

<strong>MitOst</strong> auszeichnet, jeweils gekürzte Artikel<br />

aus den alten Heften des Magazins wieder.<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

(Zusammenstellung: Robert m. Sobotta)<br />

Heft 1, S. 12, März 1998, Markus Hipp (1994-1996 Lektor in der Tschechischen<br />

Republik, jetzt Stuttgart/Deutschland)<br />

Bilder einer Süddeutschlandreise: Von München nach Melchingen<br />

So oder ähnlich beginnt jedes <strong>MitOst</strong>-Projekt:<br />

„... nach einer langen Nacht in vollen Zügen und Bussen, übernächtigt, verschwitzt, verfroren./Treffpunkt<br />

„Internationale Presse“ [oder allgemein: „Treffpunkt <strong>MitOst</strong>“, Anm. d. Red.]: 27 Menschen<br />

aus vier Ländern, die sich noch nie gesehen haben, beginnen sich zu finden. Sprachen<br />

verbinden – also zuerst einmal: Slowakisch zu Slowakisch, Polnisch zu Polnisch, Ungarisch zu<br />

Ungarisch, mluvÌs cesky? Ano! Das Oktoberfest hat gerade begonnen. Alle Gäste werden privat<br />

untergebracht. <strong>MitOst</strong>, der noch etwas rätselhafte Gastgeber, bekommt Gesichter und<br />

Namen: Susanne, Nina, Heike, Eva, Veronika, Anika, Wolfgang, Markus. Nochmals ankommen:<br />

duschen, essen, Schlaf nachholen.“<br />

Heft 1, S. 4, März 1998, Jolanta, Anna, Paulina (Polen), Liga, Laura<br />

(Lettland), Olga (Weißrussland)<br />

<strong>MitOst</strong>: Brücke zwischen Ost und West: Studentisches Seminar Kreisau 1997<br />

Typische Worte zum ersten der für <strong>MitOst</strong> typischen Kreisau-Seminare:<br />

„... Die Seminarteilnehmer wurden in die Zeitungsarbeit an Universitäten und Hochschulen<br />

eingeführt./Die Idee zu diesem Seminar kam von den vier Mitgliedern des Vereins, die für die<br />

Durchführung des Seminars zuständig waren./Alle Vier sind ehemalige Stipendiaten der Robert<br />

Bosch Stiftung. Eine weitere Gemeinsamkeit der Vier ist das Interesse an Kultur und an Kontakten<br />

mit Mittelosteuropa. Den Verein haben sie gegründet, um die Arbeit, die sie im Ausland<br />

begonnen haben, fortzusetzen./Alle <strong>MitOst</strong>-Mitglieder treffen sich einmal im Jahr zu einer Vollversammlung.<br />

Die Kommunikation in der Zwischenzeit erfordert viel Geduld, Zeit und Geld.<br />

Alle sind jedoch optimistisch. Sie stehen erst am Anfang ihrer Arbeit. „Der Verein hat immer<br />

noch zu wenige Mitglieder aus dem Osten“, sagt Darius.“<br />

Heft 1, S. 17, März 1998, Susanne Lükö, Anna Szeplaki (Györ/Ungarn)<br />

<strong>MitOst</strong> oder MitWest?<br />

„MITWEST (Deutsch) = MIT VESZT (Ungarisch: Was verliert er?)<br />

Zum Beispiel: „MitWest er?“ = Was verliert er?<br />

Antwort: Die Angst vor der deutschen Sprache.“<br />

1996<br />

1997<br />

1998<br />

1999<br />

2000<br />

2001<br />

Heft 3, S. 19, März 1999, Wassili Kischkurno (Minsk/Weißrussland)<br />

Wer, wenn nicht wir?<br />

Zum Kreisau-Seminar 1998 aus der Sicht eines fleissigen Teilnehmers:<br />

„Demokratie... was ist das? Demokratie im Staat, an der Uni? Gibt es so etwas in der Gesellschaft,<br />

oder ist es nur ein Idyll, eine Utopie? Wen oder was können wir als demokratisch bezeichnen?<br />

Gibt es Grenzen der Freiheit, der Demokratie? Allen diesen Fragen war die Werkstatt<br />

„Demokratie und Mitgestaltung an der Hochschule“ des Zweiten Internationalen Studentischen<br />

<strong>MitOst</strong>-Seminars „Hochschule der Zukunft“ in Kreisau gewidmet. Demokratie muß man lernen.<br />

Was und wie können wir Studenten selbst unternehmen, damit der Grad an Demokratisierung<br />

höher wird?<br />

Diese Frage war Thema der Arbeit der Werkstatt. Wenn wir etwas auf dem Gebiet der Ausbildung<br />

verändern, können diese Veränderungen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft<br />

haben.<br />

Wir fahren mit großer Hoffnung nach Hause, denn wir haben versucht, unsere Lösungen praktisch umzusetzen.<br />

Auch wenn die staatlichen Strukturen undemokratisch sind, können die wirklichen<br />

Veränderungen nur aus der Mitte der Gesellschaft und vor allem von jungen Leuten kommen.“<br />

5 JAHRE MITOST<br />

1996 1997 1998 1999 2000 2001<br />

Heft 3, S. 11, März 1999, Stefan Romer (1997-1999 Lektor in Polen,<br />

jetzt Schwerin/Deutschland)<br />

Mein kleines Stück Polen<br />

Was jeder Gast in MOE erlebt...<br />

„Solche Besuche waren gewöhnlich sehr angenehm. Das Frühstück ging fließend in das zweite<br />

Frühstück über, welches nach einer Stunde dem Mittagessen Platz machte. Die Zeitspanne<br />

zwischen Mittag und Abendbrot wurde mit Kaffee und Kuchen überbrückt. Zum Schluß traten<br />

wir dann, bepackt mit Tüten voller Eier, Äpfel, Kartoffeln und gerupfter Hühner den Rückweg an.“<br />

Heft 2, S. 30, September 1998, Almut Hille (1996-1998 Lektorin in der<br />

Slowakischen Republik, jetzt Berlin/Deutschland)<br />

Die Farben der Roma-Kinder<br />

„Eines der Projekte, die <strong>MitOst</strong> im Jahr 1999 verwirklichen möchte, ist eine Ausstellungsreise<br />

durch Deutschland mit Zeichnungen von Roma-Kindern aus der Slowakei. Die Kinder leben in<br />

Jarovnice, einem kleinen Dorf in der Ostslowakei, unter schwierigen sozialen Bedingungen.<br />

Seit 1992 gibt es in Jarovnice zwei Grundschulen: eine für die „weißen“ slowakischen Kinder<br />

und eine für die Roma. Der engagierte Direktor versucht, das Ausbildungsprogramm auf die<br />

Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder auszurichten.<br />

Am liebsten mögen die Kinder jedoch den Kunstunterricht bei Jan Sajko. Er ist ein einfühlsamer,<br />

enthusiastischer Lehrer, der ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Phantasie und Kreativität in Bilder<br />

umzusetzen. Die Ergebnisse sind faszinierend und haben internationale Anerkennung gefunden.<br />

Die vom Bildungsministerium der Slowakei zur Verfügung gestellten Mittel werden immer weiter<br />

gekürzt. Für die Umsetzung ihrer Ausbildungsziele ist die Schule deshalb auf private<br />

Spenden und Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Mit dem Ausstellungsprojekt könnte <strong>MitOst</strong><br />

nach zwei Seiten wirksam werden: einerseits Unterstützung für die Schule suchen und vielleicht<br />

einigen Kindern aus Jarovnice die Möglichkeit einer Reise geben, indem sie zur<br />

Präsentation ihrer Arbeit eingeladen werden.<br />

Es wäre denkbar, die Zeichnungen der Kinder direkt mit Fotos der Roma-Siedlung in Jarovnice<br />

zu kontrastieren. In ihr leben, streng getrennt vom Rest des Dorfes, über 2500 Menschen in<br />

selbstgebauten Hütten ohne Wasser, Kanalisationsanschluß und Strom. Für die Kinder gibt es<br />

kaum eine Chance zu entrinnen.“<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

27


1996<br />

1997<br />

1998<br />

1999<br />

2000<br />

2001<br />

28<br />

5 JAHRE MITOST<br />

Donaubrücke in Novi Sad<br />

nach 1999<br />

Foto: Susanne Töpfer<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Heft 5, S. 7, März 2000, Frank Weiße (Mitbegründer Kulturní Cirkus)<br />

Kulturní Cirkus<br />

„Vom 30. Juli bis 08.August 1999 fand in Mikulov (Tschechien), an der Grenze zu Österreich<br />

gelegen, die Erste Internationale Sommerakademie „Mikulove 1999“ statt. Organisiert wurde<br />

das Ganze vom eingetragenen Verein „Kulturni Cirkus“, der Mitglied im <strong>MitOst</strong> e.V. ist und<br />

seinen Sitz in Brünn (Tschechien) hat. Lektoren aus Tschechien, Deutschland und Österreich<br />

leiteten folgende Workshops: Fotografie, Keramik, Glasmalerei, Malerei, Grafik, Tanz, Musizieren,<br />

Raumgestaltung, Glasgestaltung, Intuitives Schreiben und Illustration.<br />

Klaus Tilzer behielt die volle Durchsicht mit seiner Glasgestaltung, wobei er nur Abfälle benutzte.<br />

Sehnsüchtig wartete er also auf jede geleerte Flasche, um sie zerschneiden oder wenigstens<br />

ein bisschen verknoten zu können. Glasbruch sei für ihn kein Problem, wobei das beste Glas<br />

ein Glas tschechisches Bier sei, lobte er, sich seiner Einsicht fügend.<br />

Eine Sonnenuntergangsperformance auf einem Gipfel in Mikulov war ein weiterer Höhepunkt.<br />

Es wurde auch das Weben eines Grasteppichs inszeniert, auf dem dann die Kursteilnehmer<br />

davonschweben konnten.“<br />

Heft 5, S. 20f, März 2000, Agata Mierzwa (Krakau/Polen) übersetzt<br />

von Heinz Pascher (ehemals Lektor in Polen)<br />

Aufbruch nach Wien – und umgekehrt ?<br />

„Vom 16. bis 21.Oktober 1999 war eine Gruppe von zehn Soziologiestudenten der Jagiellonen<br />

Universität Krakau in Wien. Geplant waren Treffen mit Wiener Studenten, der Besuch von sozialwissenschaftlichen<br />

Forschungseinrichtungen sowie von Vorträgen zu Themen der Europäischen<br />

Integration.<br />

Trotz des sehr anstrengenden Programms während unserer Reise hatten wir ausreichend Zeit,<br />

um Wien mit seinen Sehenswürdigkeiten, seiner Architektur und seinen Ausstellungen kennen<br />

zu lernen – und tauchten allabendlich in das bunte Nachtleben ein.<br />

Wir hatten jedoch den Eindruck, dass unsere Anwesenheit in Wien keinerlei Interesse bei den<br />

dortigen Studenten geweckt hat. Es war kaum jemand daran interessiert, an dem von der Universität<br />

Wien finanzierten Gegenbesuch in Krakau teilzunehmen. Prof. Kovacs meinte, der Osten<br />

mit seiner historischen Last und seiner ökonomischen Instabilität sei für die meisten nicht attraktiv.“<br />

Heft 6, S. 31f, Oktober 2000, Hans-Joachim Hahn (1998-1999 Lektor in<br />

Polen, jetzt Berlin/Deutschland)<br />

<strong>MitOst</strong>-Studienreise nach Deutschland für Studenten aus Novi Sad, Jugoslawien<br />

Eine ganz „normale“ Studienreise:<br />

„Es war klar, dass der „zivile“ Kontakt zwischen Serbien und Deutschland nicht abbrechen dürfe.<br />

Wie haben Germanistikstudenten und -studentinnen diesen militärischen Konflikt erlebt, bei<br />

dem das Land, dessen Sprache und Kultur sie erlernen, im Bündnis mit anderen Staaten ihren<br />

Wohn- und Studienort bombardierte? Wie wäre es für sie, genau dorthin eine Reise zu unternehmen?<br />

So wurde aus dem Projekt eine äußerlich „normale“ Studienreise unter ungewöhnlichen<br />

Umständen... Die Reise insgesamt schien uns ein schöner Erfolg geworden zu sein.“<br />

Heft 5, S. 27, März 2000, Birgit Schatt (1995-1996 Lektorin in Litauen,<br />

jetzt Dortmund/Deutschland)<br />

Prag im November – Bilanz und Ausblick<br />

„Mitgliederversammlung 1999 des <strong>MitOst</strong> e.V. in Prag: Es hat sich gezeigt, dass auch bewährte<br />

Strukturen und Verfahrensweisen mit der Vergrößerung des Vereins überdacht werden müssen.<br />

Wie kann bei steigender Mitgliederzahl die Effektivität der Zusammenarbeit gewährleistet werden?“<br />

Heft 6, Seite 18ff, Oktober 2000 Frauke Preibisch (1998-1999 Lektorin<br />

in der Tschechischen Republik, jetzt Siegen/Deutschland)<br />

Mitgliederreise Siebenbürgen, Juni 2000<br />

„Der Bus zerreißt die Stille der Hitze, die sich beinahe schwer über die Wiesen und Dörfer legt.“<br />

<strong>MitOst</strong> ist angekommen. (Anm. d. Red.).<br />

<strong>MitOst</strong> Mitglieder leben in…<br />

Zusammenstellung:<br />

Heike Roll, Nina Wendt, Alexandra Zander<br />

Wissenswertes über den Vorstand<br />

treuestes Vorstandsmitglied war<br />

Birgit Schatt mit einer Amtszeit von<br />

4 Jahren<br />

von 15 Vorstandsmitgliedern in 5<br />

Jahren waren 10 Frauen und 5 Männer<br />

die weitesten Wege nahm Olga Mikesova<br />

(Horni Plana/Tschech. Rep.) auf sich<br />

während ihrer Amtszeit bekamen 3 Vorstandsfrauen<br />

ein Baby<br />

wir schauen zurück auf 4 Jahre gelungene<br />

deutsch-deutsche Vorstandsarbeit<br />

fit for Vorstand: Marathonsitzungen,<br />

Matratzenlager, gemeinsamer<br />

Mittagschlaf...<br />

Land 1999 2000 2001<br />

Belgien 1 1<br />

Bosnien-Herzegowina 1 2<br />

Bulgarien 6 8 9<br />

Deutschland 147 176 211<br />

Estland 3 3 4<br />

Großbritannien 1 1 1<br />

Italien 1 1 1<br />

Jugoslawien 2<br />

Kroatien 1 1<br />

Lettland 5 5 7<br />

Litauen 5 4 10<br />

Österreich 3 3 4<br />

Polen 15 20 31<br />

Rumänien 1 1 3<br />

Russland 4 4<br />

Schweiz 1<br />

Slowakische Republik 13 19 17<br />

Tschechische Republik 19 22 24<br />

Ukraine 7 11 18<br />

Ungarn 19 21 19<br />

USA 1 1 1<br />

Weißrussland 4 6 20<br />

Institutionen 2 2 2<br />

Mitglieder insgesamt: 252 311 393<br />

Von Aachen bis Zvolen<br />

Die Gründung des Vereins "<strong>MitOst</strong>" fand am 1.12.1996 in der Gaststätte "Gib acht",<br />

Rotebühlstraße, Stuttgart (Deutschland), statt. Damals waren es 9 Mitglieder.....<br />

Jahr Mitgliederzahl<br />

1996 9<br />

1997 ca. 100<br />

1998 ca. 200<br />

1999 252<br />

2000 311<br />

2001 393<br />

2001<br />

Frauen 243<br />

Männer 148<br />

Eine Mitgliedschaft als Institutionen haben:<br />

Kulturní Cirkus, Brno; Tschechisches Honorargeneralkonsulat, Hamburg<br />

Von den heute 393 Mitgliedern sind 124 ehemalige Lektoren der Robert Bosch Stiftung<br />

Nicht nur von Aachen bis Zvolen…<br />

Kalmer Piskoop, Tallinn<br />

N<br />

John Fanning, San Francisco W O 3 Mitglieder in Woronesch<br />

S<br />

6 Mitglieder in Sofia<br />

5 JAHRE MITOST/ZAHLEN UND FAKTEN<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001 29


30<br />

PROJEKTE 2001<br />

Veränderungen des Menschenbilds an der Schwelle zum 21. Jahrhundert<br />

2. <strong>MitOst</strong>-Forum Philosophie, Slubice/Polen, 21. – 23. September 2001<br />

Zusammenstellung<br />

Markus Sedlaczek (1996-1997 Lektor in der Tschechischen Republik, jetzt München/Deutschland)<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Dr. Stefan Münker mit einigen Teilnehmern des Forums<br />

vor dem Eingang zur Europa-Universität Viadrina<br />

Fotos: Olga Shparaga, Robertas Lukonas, Markus Sedlaczek<br />

Bereits zum zweiten Mal konnte das <strong>MitOst</strong>-Forum Philosophie stattfinden. Vom 21. 9. - 23. 9. 2001 trafen<br />

sich 16 Teilnehmer aus fünf Ländern an der Oder, um über ein Thema zu sprechen, das ebenso umfang-<br />

reich wie aktuell ist. Impulse für die gemeinsame Diskussion in den Seminarsitzungen, die wie voriges<br />

Jahr im Collegium Polonicum im polnischen Slubice stattfanden, lieferten Referate zweier junger<br />

Geisteswissenschaftlerinnen, die eingeladen waren, aus ihrer Sicht und der Perspektive ihrer For-<br />

schungsarbeit bestimmte Aspekte zu beleuchten und ihre Thesen vor internationaler Zuhörerschaft zur<br />

Diskussion zu stellen.<br />

v.li. Markus Sedlaczek, Olga Shparaga, Dr. Stefan Münker und<br />

Vilija Sipaite während der öffentlichen Abschlußveranstaltung<br />

PROJEKTE 2001<br />

Olga Shparaga, Philosophiedozentin aus Minsk (Weißrussland), sprach dabei zum Thema: „Plurale Welt, offene<br />

Identität und der Andere: eine phänomenologische Perspektive auf das Menschenbild an der Schwelle zum 21.<br />

Jahrhundert“. Anhand ausgewählter Schlüsselstellen aus Werken von Edmund Husserl, Jean-Paul Sartre, Maurice<br />

Merleau-Ponty und Emmanuel Lévinas, aber auch unter Bezugnahme auf neuere Erscheinungen in Literatur und Film,<br />

führte sie ein Plädoyer für eine „plurale Welt“ und eine „offene Identität“, die nicht zuletzt auch einer Ideologiekritik<br />

Wege weisen können. In der Diskussion kamen dann recht bald auch die jüngsten Ereignisse zur Sprache, indem die<br />

Frage nach dem Anderen konkret mit der Reflexion über die Terroranschläge vom 11. September verbunden wurde.<br />

Vilija Sipaite, Germanistikdozentin aus Kaunas (Litauen), sprach über „Mythos und Realität. Virtualität der Demokratie<br />

oder des Individuellen? Zum Problem der Ethik im 21. Jahrhundert“. Ausgehend von Peter Sloterdijks Rede<br />

„Regeln für den Menschenpark“ (1999) und der im Anschluß<br />

daran entstandenen Debatte untersuchte sie die<br />

Modellierung von Aussagen. Sie benannte vier „Erzählungen“<br />

in Sloterdijks Text und wies darauf hin, daß viele Mißverständnisse<br />

der Debatte darauf zurückzuführen seien, dass<br />

viele Rezipienten den besonderen Aussagecharakter übersehen<br />

und die Rede als Objektsprache verstanden hätten.<br />

Inhaltlich an den besprochenen Sloterdijk-Text anschliessend,<br />

gab es am Samstagnachmittag dann eine allgemeine<br />

Diskussion aktueller Positionen und Probleme der<br />

Gentechnik bzw. Genethik. Das Gespräch konzentrierte<br />

sich dabei unter anderem auf derzeit aktuelle Probleme<br />

der Embryonenforschung, die Begriffe „Leben“ und<br />

„Person“ sowie die grundsätzliche Frage nach den Grenzen,<br />

die wir Menschen entweder anerkennen oder uns<br />

setzen sollten.<br />

Vilija Sipaite während ihres Referats im Seminar<br />

Den Abschluß bildete am Sonntagvormittag eine öffentliche Veranstaltung im Senatssaal der Europa-Universität<br />

Viadrina in Frankfurt/Oder. Dr. Stefan Münker, promovierter Philosoph aus Berlin, Autor zahlreicher Texte zur Medientheorie<br />

und Gegenwartsphilosophie sowie Kulturredakteur beim ZDF, hielt dabei den Gastvortrag zum Thema „Die<br />

Wirklichkeit aus der Perspektive ihrer digitalen Produzierbarkeit“. Eine seiner Hauptthesen lautete, dass wir es beim<br />

Phänomen der virtuellen Realität keineswegs mit einer zweitrangigen oder nur „scheinbaren“ Realität zu tun haben,<br />

sondern mit einer spezifischen Form einer ästhetischen Weise der Welterzeugung. Was speziell Implikationen für<br />

das Menschenbild betrifft, wies er vor allem auf einen von ihm so genannten „immateriellen Fehlschluß“ hin, demgegenüber<br />

er die Leiblichkeit unserer Erfahrungen auch virtueller Realitäten betonte. An den Vortrag schloß sich eine<br />

Diskussion zwischen dem Redner, den beiden Referentinnen des Seminars sowie den übrigen Teilnehmern an, in<br />

deren Verlauf die Möglichkeiten und Grenzen des Internets diskutiert wurden. S. Münker wies dabei darauf hin, daß das<br />

Szenario in der öffentlichen Debatte oft zu bunt und optimistisch oder im Gegenteil allzu schreckenerregend ausgemalt<br />

wird und bejahte die aufgeworfene These, daß Cyberspace und Internet insofern zu keinem vollkommenen<br />

Wandel des Menschenbilds geführt haben. Im Gegensatz dazu waren die Möglichkeiten einer klaren ethischen Bewertung<br />

der Chancen und Gefahren der neuesten Gentechnologien als brisantes, wenn nicht gar unlösbares Problem<br />

offen geblieben. Was konkrete Forschungen betrifft, überwog bei den Teilnehmern aber eindeutig Skepsis.<br />

Diskussionsbeitrag von Maria Shaton (Maria Shaton, Wirtschafts-Studentin, Weißrussland) „Wieso können die<br />

Menschen die Frage nach dem Leben der anderen Menschen so ruhig entscheiden – ich meine nicht nur das, was<br />

Terroristen tun, auch Gerichte sind nicht immer objektiv, es werden manchmal auch unschuldige Menschen verurteilt.<br />

Vielleicht sprechen wir zu abstrakt. Dostojewski hat gesagt: Die Freude der ganzen Welt ist nicht die Träne eines einzigen<br />

Kindes wert.“<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

31


32<br />

PROJEKTE 2001<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Bitte zuhören!<br />

Vilija Sipaite<br />

während ihres Referats<br />

im Seminar<br />

(2.v.re.: A. Homp)<br />

Thesen der Teilnehmer aus den Bewerbungsessays<br />

„Ich will an einem Einzelfall zeigen, wie philosophische Schlüsse nicht direkt zur unmittelbaren Lösung, sondern zur<br />

Erhellung der Problemstellung beitragen können - und das ist ja doch etwas, was die Praxis betrifft. (. . .) Ich bin<br />

davon überzeugt, daß das Problem der Abtreibung ein semantisches Problem in sich birgt. Wenn wir darüber streiten,<br />

ob Abtreibung Mord ist, streiten wir uns eigentlich um die Bedeutung des Wortes ‚Leben’. (. . .) Der<br />

Lebensbegriff gehört zu unseren Hilfsmitteln, mit denen wir unsere Welt strukturieren und sie uns so verständlicher<br />

machen. (. . .) Ziel meines Essays war zu zeigen, daß die negative oder positive Antwort auf die Frage ‚Ist Abtreibung<br />

Mord?’ davon abhängt, ob wir die Bedeutung des Ausdrucks ‚Leben’ so weit fassen, daß diese auch den Prozeß der<br />

Entwicklung des nichtgeborenen Kindes einbezieht bzw. welche Teile dieser Entwicklung wir als Leben bezeichnen<br />

und welche nicht mehr.“ (Pavel Zahrádka, 24, Philosophie-Student, Tschechische Republik)<br />

„Zweifellos hat uns der Einsatz der Technik einen hohen Lebensstandard gebracht, für den wir aber manchen<br />

Nachteil in Kauf nehmen müssen. Im Gegensatz zur Technik haben sich nämlich Moral, Verantwortungsbewußtsein<br />

und Ethik kaum weiterentwickelt. (. . .) Heutzutage fallen der technisierten Welt voller Hektik und Streß viele<br />

Menschen zum Opfer, die einfach das verrückte Tempo, den ständigen Stress und die Überanstrengung des modernen<br />

Lebens nicht aushalten. Das ist nämlich eines der wichtigsten Probleme der modernen Menschheit, das es früher<br />

nicht gegeben hat.“ (Natalia Lebed, 19, Design-Studentin, Weißrussland)<br />

„Vom Menschen der heutigen Tage können wir als von einem ‚kritischen Menschen’ sprechen. ‚Kritisch’ wird in diesem<br />

Falle in zwei Bedeutungen verstanden. (. . .) Beide Bedeutungen implizieren eine wesentliche Verunsicherung des<br />

Menschen in der Welt. Dieser reagiert darauf im Prinzip auf zwei Weisen: entweder umgibt er sich mit materiellen<br />

Gütern (im Unterschied zu den 50er oder 60er Jahren aber nicht mehr der Familie, sondern nunmehr des Individuums<br />

wegen), oder er beschäftigt seine Sinne in einem Maße, daß er zur Reflexion über sich selbst kaum Zeit<br />

findet. (. . .) Und was sagt der Staat dazu? Als Gemeinschaft der Politiker und Manager kann er nichts anderes tun,<br />

als noch mehr Wohlstand und noch mehr Spaß anzubieten. Analog dazu ist die europäische Integration zu betrachten:<br />

Werden nur die ökonomischen Interessen Europa verbinden, dann ist kaum etwas anderes zu erwarten als die ‚Verwandlung’<br />

des Europäers in einen homo oeconomicus.“ (Michal Jamny, 23, Philosophie-Student, Tschechische Republik)<br />

„Der Mensch bleibt derselbe - mit seinen eigenen Ängsten, Wünschen, Ambitionen usw. Aber die Umgebung des<br />

Menschen ändert sich immer, die Möglichkeiten werden mehr (. . .) Es ist klar, daß die philosophische Aufgabe in diesem<br />

Falle darin besteht, diese Tendenzen zu beobachten und klare Prognosen auszuarbeiten. Wir brauchen dem Fortschritt<br />

nicht zu widerstehen. Aber es ist notwendig, nicht nur die Menschen auf neue Technologien vorzubereiten, sondern<br />

auch mögliche Wege des Umgangs mit den neu entstehenden Dingen zu zeigen, den neuen Typ der Situation<br />

zu begreifen und in keine blinde Abhängigkeit zu geraten.“ (Peter Osadtschij, 21, Philosophie-Student, Weißrussland)<br />

„Der Mensch in der heutigen Welt oder die heutige Welt im Menschen? Wie stark veränderte sich die Beziehung<br />

‚Mensch - Welt’ in den letzten 50 Millionen Jahren? (. . .) Meiner Meinung nach verändert sich die Bewertung des<br />

Zusammenhangs ‚Mensch - Welt’ jeden Tag. Es ist heute schwierig, den Menschen der Natur entgegenzusetzen.<br />

Vielmehr bedeutet die Natur heute - die moderne Welt. Und diese moderne Welt befindet sich im Inneren des<br />

Menschen, gestaltet ihn und hat ohne ihn keine Existenz.“ (Maria Shaton, 21, Wirtschafts-Studentin, Weißrussland)<br />

„Schon Nietzsche hat bemerkt: der Mensch ist jener, der sich selbst überspringen möchte. Erfahrungstier, soziales<br />

Wesen, Vernunfttier - egal, an welche Definition man denkt, es ist immer ein Ungenügen vorhanden. Der Mensch ist<br />

etwas, was verständlich ist, und noch etwas, was darüber hinausgeht. Dies Etwas macht den Menschen zum Menschen.<br />

(. . .) Der Mensch ist immer Übermensch, weil der Mensch nie mit einem von uns wirklich zusammenfällt. Wir haben<br />

Vieles erfunden, um diesen Zwiespalt zu verbergen – Religion, Moral, Institutionen, die uns lehren, was wir tun sollen,<br />

damit wir mit dem Menschenbild zusammenfallen (Kant).“ (Olga Pilate, 24, Philosophie-Studentin, Lettland)<br />

Arndt Lorenz<br />

Suche nach dem „Unnormalen“<br />

06. – 16. Mai 2001 Studienreise Novi Sad/Jugoslawien<br />

Fotos: Susanne Töpfer<br />

Dresden/Deutschland<br />

PROJEKTE 2001<br />

"In Serbien ist alles in Ordnung!" Dieser Wunsch begegnet dem Ankommenden auf Schritt und Tritt.<br />

Novi Sad empfängt seine Gäste mit sauberen Straßen, großen, farbigen Werbetafeln. Flippige junge<br />

Leute gehen spazieren oder sitzen in den vielen Cafés und coolen Bars. Keine altersschwachen<br />

Busse mit Papp-Fensterscheiben, keine Bettler in den Fußgängerzonen.<br />

Novi Sad, 09.05.2001, an der Donau, M. Christalle, A. Lorenz (li.hi.), K. Mauersberger,<br />

E. Kowollik, D. Tomic (Gastgeber), J. Kühn, R. Sobotta, U. Zenner und A. Müller<br />

Novi Sad, 09.05.2001, Büro Otpor (Widerstand), A. Augustin<br />

und R. Sobotta<br />

Lange Gespräche mit den Vojvodinern. Vergebliche Suche in ihren Antworten nach dem erwarteten<br />

"Unnormalen". Sie hassen Milosevic und hätten ihm am liebsten in Jugoslawien den Prozess gemacht. Er ist an<br />

allem, aber auch allem schuld! Die Bombenangriffe der NATO werden ohne Groll, aber mit trauriger Stimme für<br />

schlechtes Wetter und ungewöhnlichen Zeckenbefall verantwortlich gemacht. Versuch der Novi Sader, damit<br />

Situationen zu erklären, durch die sie traumatisiert wurden und die sie nicht verstehen können.<br />

Direkt neben dem Wohngebiet, in dem tausende Menschen leben, der Anblick einer ehemals riesigen<br />

Hängebrücke: auseinandergefetzter Beton, dicke Heizungsrohre ragen zum Himmel, verdrehte Geländer, ins Donauwasser<br />

gefallene Fahrbahnen, aus den Angeln gehobene Fundamente. "In Serbien ist alles in Ordnung!" - am<br />

Strand neben dem zerstörten Bauwerk liegen Liebespaare, Kinder machen die ersten Schwimmversuche.<br />

Ein Militärschiff fährt vorbei. Wer und wo sind die Angehörigen des Novi Sader Militär- Korps? Diese Soldaten waren<br />

1991 verantwortlich für die Massaker im nur 80 Kilometer entfernten Vukovar. Kein Wort davon in den Gesprächen, stattdessen<br />

wird das friedliche Zusammenleben in der Vojvodina angepriesen.<br />

Langsam haben die jungen Studenten die Nase voll von den zermürbenden Polit- Diskussionen. Nach vorn schauen,<br />

Studium, später Arbeit, zur Disko gehen, vielleicht Reisen ins Ausland und das endlich wieder ohne lästiges Visum.<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

33


34<br />

THEODOR-HEUSS-KOLLEG<br />

Infos unter:<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Darius Polok<br />

www.theodor-heuss-kolleg.de<br />

Theodor-Heuss-Kolleg in Aktion?<br />

Wer, wenn nicht Du?<br />

Chancen für engagierte junge Menschen<br />

Foto: Steffen Giersch, Dresden<br />

Koordinator Theodor-Heuss-Kolleg (Berlin/Deutschland)<br />

Sind Dir gute Fragen manchmal wichtiger als fertige Antworten?<br />

Nimmst Du Dinge, mit denen Du unzufrieden bist, gleichgültig hin,<br />

oder willst Du Initiative ergreifen und Dein persönliches Lebensumfeld<br />

verantwortlich mitgestalten?<br />

Möchtest Du Dich in Schule, Universität oder Deinem Heimatort<br />

gemeinsam mit anderen engagieren und brauchst Du dazu Unterstützung,<br />

Kontakte und Wissen?<br />

Dann ist das Theodor-Heuss-Kolleg für Dich eine Chance, Ideen und Ziele mit anderen jungen<br />

Menschen aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa zu verwirklichen. Im Theodor-Heuss-<br />

Kolleg wirst Du über einen längeren Zeitraum begleitet und gefördert.<br />

Die Sommerseminare sind nur der Anfang. Hier erwerben die Kollegiaten in Rollenspielen und<br />

praxisnahen Übungen praktisches Wissen über Demokratie und Medien. Sie üben auch die Durchführung<br />

von Projekten: von der ersten Idee bis hin zur Klärung technischer Details, wie der<br />

Erstellung von Zeit- und Finanzplänen oder der Formulierung von Projektanträgen. Danach<br />

kehren die Teilnehmer heim und arbeiten weiter selbstständig an den entwickelten Projekten.<br />

Sie werden dabei von Mentoren unterstützt und tauschen sich im Herbst bei einem der regionalen<br />

Fortbildungsseminare des Kollegs aus. Im Frühsommer des kommenden Jahres treffen sich alle<br />

Kollegiaten noch einmal, „um die Projektarbeit zu resümieren und sie der Öffentlichkeit vorzustellen“,<br />

sagt Darius Polok, einer der Koordinatoren des Theodor-Heuss-Kollegs.<br />

Auf den Seminaren wird das Wissen um demokratische Verfahren und Prozesse vermittelt. Die<br />

Verhandlungsführung in einer interkulturellen Situation wird zum Beispiel in einem Rollenspiel<br />

geübt, bei dem die in zwei Gruppen aufgeteilten Studenten die Rollen von Kommunalvertretern<br />

aus zwei Orten übernehmen. Ihre Aufgabe besteht darin, einen möglichst erfolgreichen<br />

Abschluß für den geplanten Bau einer Brücke zu erzielen, die über den Grenzfluß die<br />

beiden Orte Links- und Rechtsstadt miteinander verbinden soll.<br />

„Diese spielerischen Übungen helfen nicht nur dabei, uns gegenseitig besser kennenzulernen,<br />

sie vermitteln auch kostbare praktische Kompetenzen. Mit Sicherheit werde ich sie in der Zukunft<br />

nutzen können. Vielleicht sogar schon recht bald, denn gemeinsam mit Teilnehmerinnen<br />

aus Polen, Russland und Ungarn planen wir ein internationales studentisches Seminar, das sich<br />

mit dem Thema „Identität“ beschäftigen wird“, meint Elene Agladse, eine Jurastudentin aus<br />

Tbilissi/Georgien, die sich an ihrer Heimatuniversität in der studentischen Selbstverwaltung<br />

engagiert.<br />

„Ich schenke Dir mein Lächeln“<br />

Ein Projekt von Teilnehmerinnen des Theodor-Heuss-Kollegs<br />

Zwei von neun<br />

Plakatmotiven<br />

THEODOR-HEUSS-KOLLEG<br />

Zwei Beobachtungen des litauischen Alltags stehen am Anfang der Projektidee der beiden<br />

Heuss-Kollegiatinnen Jurgita Aniunaite und Margarita Vogelyte aus Litauen: Die Menschen in<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln schauen trübe und unfreundlich vor sich hin. Über das Leben der Kinder<br />

in litauischen Heimen weiß niemand recht Bescheid. Aus dieser Beobachtung wurde beim<br />

Kollegseminar im März ein Projekt mit Zeit- und Kostenplan entwickelt und schon im April<br />

begannen die beiden Studentinnen mit der Durchführung. Zunächst wurden über das Bildungsministerium<br />

über 100 Bildungseinrichtungen in Litauen angeschrieben. Bis Ende April<br />

gab es bereits über 150 Einsendungen aus Heimen des ganzen Landes.<br />

„Die Bilder von Kindern und Jugendlichen bedeckten zuerst den ganzen Boden unserer<br />

Wohnung. Später wurden in einer Nachtaktion die Fenster im Foyer der Vytautas Magnus Universität<br />

voll mit den verschiedensten Lächeln beklebt und sogar um Mitternacht von den ersten<br />

Zuschauern bewertet. Die Bilder wurden im Rahmen der Deutschen Kulturtage in Kaunas<br />

neben einer Ausstellung von Günther Grass der Öffentlichkeit präsentiert“, berichtet Jurgita.<br />

Während ein Großteil der Bilder anschließend im Pädagogischen Museum in Kaunas ausgestellt<br />

wird, wurden ausgewählte Arbeiten für den Druck bearbeitet. Inzwischen erhielten die<br />

Heuss-Kollegiatinnen die Zusage der Litauischen Staatsbahn, im Herbst die Plakate in den<br />

Zügen aushängen zu dürfen. Auch einige Krankenhäuser in Vilnius und Kaunas haben bereits<br />

ihr Interesse an den Plakaten signalisiert. So werden die Plakate der Kinder aus den Heimen<br />

in den kommenden Monaten Tausenden Litauern ein Lächeln schenken und die graue<br />

Alltagswirklichkeit in Litauen etwas bunter gestalten. Durch diese öffentlichkeitswirksame<br />

Aktion sollen auch Spenden für die beteiligten Kinderheime gesammelt werden. D. Polok<br />

Tjumen und Mannheim, Tartu und Odessa – jetzt neu vernetzt auf<br />

www.spinne-magazin.de<br />

Das deutschsprachige Online-<br />

Magazin „die spinne“ erscheint<br />

jeden Monat und bietet<br />

Informationen und Geschichten rund<br />

um Mittelosteuropa. Die schon<br />

länger existierende Idee für das<br />

Magazin wurde im Märzseminar des<br />

Theodor-Heuss-Kollegs von<br />

Studenten aufgegriffen und während<br />

der Sommermonate konkretisiert.<br />

Wir hoffen, dass „die spinne“ ein<br />

reizvolles Angebot für Euch, Eure<br />

Arbeit, Euer Studium darstellt und<br />

ihr als Leser, Autoren oder Werber<br />

aktiv werdet!<br />

Fotos: Theodor-Heuss-Kolleg<br />

Jurgita Aniunaite Margarita Vogelyte<br />

Mal wieder einen Wajda gesehen? In der Donau geangelt? Weißrussisch gewählt?<br />

Dann solltet Ihr Eure Beobachtungen und Meinungen an „die spinne“ schicken!<br />

Ab sofort könnt Ihr mitplanen, mitschreiben, mitfotografieren ... und natürlich auch lesen, was<br />

andere woanders denken und tun.<br />

Für die monatlichen Ausgaben brauchen wir noch:<br />

- Texte zu den jeweiligen Schwerpunktthemen<br />

- Rezensionen<br />

- Länderreportagen<br />

- Interviews<br />

- Fiktionales<br />

Redaktionsschluss ist jeweils der 20. des Vormonats. Bitte schickt bereits existierende Texte<br />

oder noch neu zu schaffende Werke an<br />

spinne@theodor-heuss-kolleg.de<br />

Dorthin gehen bitte auch alle Eure Vorschläge und Fragen an die Redaktion:<br />

Petra Puhova (SK), Maxim Pimanyonok (BY), Angela Hohlfeldt (D), Heike Fahrun (D)<br />

Spinnt los! Das Redaktions-Team<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

35


UMFRAGE<br />

?<br />

Warum<br />

bist Du/sind Sie <strong>MitOst</strong>-Mitglied ?<br />

Foto: Steffen Giersch, Dresden<br />

Kalmer Piskoop Tallinn, Estland<br />

?<br />

?<br />

Nils-Eyk Zimmermann Berlin, Deutschland<br />

weil mitost meinem typ entspricht (modern, postmateriell und auf<br />

der suche nach der identitaet)<br />

weil es mitost nicht überall zu kaufen gibt<br />

Viktoriya Kovalyshyna Luzk, Ukraine<br />

Für mich ist wichtig, dass ich die deutsche Sprache praktizieren und<br />

andere, die vielleicht aus verschiedenen Kulturen kommen, kennenlernen<br />

kann. Wenn ich ein Mitglied von <strong>MitOst</strong> bin, kann ich<br />

mich besser über unterschiedliche Veranstaltungen erkundigen und<br />

vielleicht über die Organisation auch jemanden nützlich sein. Es<br />

besteht auch Möglichkeit, eigene Ideen zu verwirklichen, falls mir<br />

etwas einfällt, was meiner Meinung nach unbedingt so zu realisieren<br />

wäre. Und ich kann es auch nicht ohne erwähnen lassen, dass<br />

die meisten Kosten für die Teilnahme an den Veranstaltungen<br />

<strong>MitOst</strong> übernimmt - so kann ich mehr Europa sehen.<br />

Meine Teilnahme am <strong>MitOst</strong> Verein ist Weg der Zusammenarbeit,<br />

Zukunftsgrundlage der europäischen Staaten und der Ukraine im<br />

einzelnen. Probleme in jedem europäischen Staat sind Stimulus zur<br />

Entwicklung dieser Staaten und Unterpfand ihres Erfolges.<br />

Austausch zwischen Ländern gibt die Möglichkeit zur schnellen Lösung<br />

von Problemen und ist Triebkraft unseres gemeinsamen Fortschritts,<br />

des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und des Staates.<br />

Meine Teilnahme besteht im schnellen und zugänglichen Informationsaustausch<br />

zwischen den Menschen und Organisationen, die zusammenarbeiten<br />

wollen und zwischen denen nur die sprachliche<br />

Barriere entsteht. Die Barriere, die leicht überwunden sein kann.<br />

Kay Hempel Dresden, Deutschland<br />

Weil ich OHNE OST nicht sein kann.<br />

Alles ist einfach, nicht wahr?<br />

Sabine Krüger und Jörg Rauch Stuttgart, Deutschland<br />

Viktoria Bondarenko Donezk, Ukraine<br />

...weil das gemeinsame Lachen verbindet.<br />

Seitdem ich mich mit der Philosophie befasse, hege ich den Traum, ...entdecke Dein Land durch Kontakt mit dem Fremden.<br />

einmal meine Gesinnungsgenossen zu finden. Dieses Jahr ist mein ...weil es auch kulinarisch noch so viel zu entdecken gibt.<br />

Traum zur Erfüllung gekommen: ich bin zum Mitglied des <strong>MitOst</strong>-<br />

Vereins geworden. Die Mitgliedschaft in der Organisation bietet mir<br />

...weil es schon genug Vorurteile auf der Welt gibt.<br />

die Möglichkeit, viele interessante Menschen – junge, verwegene, Kirill Plotnikov Woronesch, Russland<br />

nach Wahrheit strebende Interessenten und gelehrte, weise Fachleute,<br />

Professoren auf dem Gebiet der Philosophie kennenzulernen.<br />

Was bleibt mit uns das ganze Leben lang? Geld? Arbeit? Würde ich<br />

nicht sagen. Was denn? Freunde und noch mal – Freunde!!!<br />

Verschiedene Kulturen treffen sich im Rahmen dieser Organisation,<br />

Matthias Zillich<br />

und sie schaffen zusammen... Keinen Kampf gegen einander, kei-<br />

Warum ich Mitglied bei <strong>MitOst</strong> bin? Das würde ich selber gerne wisnen Terror... und das ist wichtig zur Zeit, unglaublich wichtig!!! Wir<br />

sen. Das hat sich so ergeben. Wenn man erst mal Lektor bei Bosch sind alle Freunde... und keine Feinde! Das ist, was uns dieser Verein<br />

ist, dann kommt man an <strong>MitOst</strong> kaum vorbei. Es wäre gut mit Ähn- gibt... Meine besten Freunde habe ich in Bratislava am Festival des<br />

lichgesinnten Kontakt zu haben und vielleicht etwas Gemeinsames Deutschen Theaters und auf der Mitgliederversammlung in Krakau<br />

zu entwickeln – ist wohl in erster Linie mein Gedanke dabei. kennengelernt. DAS ist meine Antwort, warum ich Mit-Ostler bin!<br />

Heike Fahrun Berlin, Deutschland<br />

Petja Stefanova Veliko Tarnovo, Bulgarien<br />

Kennst Du nicht diese Drückermethoden, bei denen man nach dem <strong>MitOst</strong> Mitglied bin ich weil <strong>MitOst</strong> vereinigt, weil ich dadurch Leute<br />

Einflößen von zwei Flaschen reinsten polnischen (!) Wodkas und mit ähnlichen Interessen treffen kann, weil ich die Welt besser ken-<br />

unter Vorspiegelung irgendeines mittelosteuropäischen (ein Wort,<br />

das einem in diesem Zustand nur noch schwer über die Lippen<br />

nenlernen kann. Es macht mir Spaß, international beteiligt zu sein.<br />

geht) Brauches ein rötlich-graues Faltblatt unterschreibt (und auch<br />

das nur, um endlich schlafen gehen zu können)?<br />

36 <strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001 ?<br />

(e-mail-Umfrage, August 2001, R. Sobotta und S. Töpfer)<br />

Der „normale Wahnsinn“ unserer<br />

Welt: Russendisko<br />

Wladimir Kaminer „Russendisko“,<br />

Goldmann Verlag, München, 9. Auflage, 2000<br />

Dorothea Leonhardt, (München/Deutschland)<br />

Eigentlich ist dieses Magazin ja eher als Forum für weniger bekannte<br />

Künstler gedacht, aber das Buch „Russendisko“ von Wladimir Kaminer<br />

paßt gut zum Thema (siehe Seite 20-21, Greencard in Deutschland).<br />

Wladimir Kaminer ist zwar weder Greencard-Russe noch IT-<br />

Spezialist, aber er ist ein Russe, der in Deutschland lebt, und er hat<br />

seine Eindrücke als Ausländer im allgemeinen, und als Russe im besonderen<br />

in Essays witzig, satirisch, manchmal auch melancholisch,<br />

immer genau beobachtend, zum Ausdruck gebracht.<br />

Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Nach einer<br />

Ausbildung als Toningenieur studierte er Dramaturgie am Moskauer<br />

Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern<br />

in Berlin. Kaminer ist als freier Autor und „Multikultischaffender“<br />

mittlerweile auch über Berlin hinaus bekannt. Er schreibt für taz und<br />

FAZ, hat eine wöchentliche Sendung „Wladimirs Welt“ beim SFB4<br />

und organisiert im Kaffee Burger Veranstaltungen wie seine mittlerweile<br />

berüchtigte „Russendisko“. Bei dieser Veranstaltung legt er<br />

solange russische Musik auf, bis alle weinen und/oder völlig besoffen<br />

sind. Sehenswert ist die Seite: www.russendisko.de. Die Erzählsammlung<br />

„Russendisko“ ist sein erstes Buch.<br />

Nun aber zum Buch: In „Russendisko“ beschreibt Wladimir Kaminer<br />

wie er, seine Frau Olga, seine Eltern und seine Freunde sich in der<br />

westlichen Welt und Berlin zurechtfinden. Er beschreibt den ganz<br />

„normalen Wahnsinn“ unserer Welt aus der Sicht eines Beobachters<br />

von Außen, mit dem Blick von einem, dem diese Welt fremd ist, die<br />

doch seine eigene ist. Niemals jedoch blickt er dabei von oben<br />

herab. Er zeichnet stets ein liebevolles, einfühlsames Porträt seiner<br />

Alltagsprotagonisten, auch ist seine Ironie niemals böse oder gar verletzend,<br />

sondern stets mit einem Augenzwinkern. So schildert er z.B.<br />

wie sein Vater, die Herausforderungen des Moskauer Alltags vermissend,<br />

beschließt, den Führerschein zu machen und dabei drei<br />

Fahrlehrer „aufarbeitet“, oder wie er seinen Berater vom Arbeitsamt<br />

abends in der Schwulenszene trifft und die nette, pummelige Anlageberaterin<br />

der Sparkasse als Tänzerin in einem Audioballett.<br />

Meist schafft er mit wenigen kurzen Sätzen, eine Charakteristik und<br />

eine ganze Stimmung wieder zu geben, wenn er z.B. eine deutsche<br />

Amtsstube beschreibt: „Seine Krawatte paßte farblich perfekt zu<br />

den Farben der Tapete im Büro. Er klang sehr überzeugend und<br />

verdarb mir für den Rest des Tages gründlich die Laune“.<br />

Wenn man sich wie ich jahrelang bemüht hat, eine fremde Sprache<br />

so perfekt zu lernen, um als Übersetzer sein Dasein zu bestreiten, muß<br />

man - nicht ohne Neid - anerkennen, daß es eine Meisterleistung<br />

ist, in einer fremden Spache zu brillieren wie Wladimir Kaminer.<br />

Susanne Kitlinski, (Lektorin und Regionalkoordinatorin<br />

in Witebsk/Weißrussland)<br />

BUCH-TIPP<br />

Ein Ort, an dem man malt wie die<br />

Vögel singen<br />

Friedrich Gorenstein „Malen wie die Vögel singen“<br />

Ein Chagall-Roman. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin, 1998<br />

Hört man den Namen Witebsk, denkt man vielleicht zuerst an einen<br />

Rechtschreibfehler eines Russen, der Deutsch lernt, sollte es nicht<br />

besser Bizeps heißen? In einem alten russischen Reiseführer bezeichnet<br />

man Witebsk als die Geburts- und Wirkungsstätte Marc Chagalls.<br />

Heute erinnern immerhin noch ein Denkmal, das Geburtshaus und ein<br />

kleines Museum an ihn. Der ukrainische Schriftsteller Friedrich Gorenstein<br />

hat Chagalls Koordinaten genommen und einen Roman daraus<br />

gemacht. Fast ein ganzes Jahrhundert hat es gedauert, Chagalls Leben,<br />

und immer waren der Teufel und das Glück anwesend, laut<br />

Gorenstein. Kein Wunder, denn Chagall wurde in einem brennenden<br />

Haus geboren und war durch den jüdischen Glauben nicht nur<br />

einmal dem Tode ausgesetzt. Das Glück aber schien sein Schicksal<br />

zu sein, denn irgendwie schaffte er es immer wieder, weiterzukommen,<br />

auch wenn er sich nie richtig wohl gefühlt hatte an einem Ort.<br />

Vielleicht waren es gerade seine Bilder und die Wahrnehmung seiner<br />

Umwelt, die ihm Kraft gaben, weiterzumachen. Von Witebsk aus ging<br />

er nach St. Petersburg und später nach Paris. Doch Witebsk und seine<br />

zurückgelassene Familie gingen ihm nicht aus dem Kopf. Vom Heimweh<br />

getrieben, nach kurzem Zwischenstopp in Deutschland, kehrte<br />

er wieder nach Witebsk zurück. Aber auch hier fand Chagall keine<br />

Ruhe, fühlte sich unverstanden und fremd. Zuerst wurde er als Kommissar<br />

für künstlerische Angelegenheiten gefeiert und leitete als Direktor<br />

die Kunstakademie, doch der Kommunismus überrollte ihn, brauchte<br />

seine Kunst nicht mehr. Er wurde wieder fallen gelassen und flüchtete<br />

mit seiner Familie nach Frankreich, wo er auch seinen Lebensabend<br />

verbrachte.<br />

Der leichte, direkte Erzählton und die fast naive Darstellung der Figuren,<br />

gemischt mit Ironie und zeithistorischen Ereignissen, ergeben<br />

einen lebendigen Roman, der viele einzelne Momentaufnahmen<br />

aus dem Leben Chagalls vereinigt. Gorenstein lässt die Figuren<br />

immer selber sprechen, aber die grotesken und prophetischen Hinweise,<br />

wie zum Beispiel die Gastgeschenke in Auschwitz, wo der<br />

Antisemitismus tobt, oder das Gespräch mit einem deutschen<br />

Soldaten, lassen den Leser stolpern und<br />

verdeutlichen die Tragik und die Wunderwelt<br />

von Chagall. Dabei werden Zeitgenossen<br />

wie Degas, Trotzki und Malewitsch<br />

geschickt in die Romanhandlung<br />

eingebunden, und es stellt sich immer<br />

wieder die Frage, ob das wohl wirklich<br />

so war. Alles bleibt so schillernd wie<br />

Chagalls Bilder.<br />

Chagalldenkmal in Witebsk<br />

Foto: S. Kitlinski<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

37


38<br />

BUCH-TIPP<br />

Von deutschen Klassikern und polnischem Lesestoff<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

Thomas Brussig „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“<br />

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main, 2001<br />

Heike Fahrun (1998-2000 Lektorin in Polen, jetzt Berlin/Deutschland)<br />

„Was die Polen lesen“ wird uns z.B. regelmäßig-unregelmäßig in<br />

„DIE ZEIT“ präsentiert. Aber was davon ist auf Deutsch geschrieben?<br />

Auch in Polen ist es nicht anders als auf dem deutschen Büchermarkt:<br />

gekauft wird vor allem Ratgeber-Literatur, die einem nach der<br />

Lektüre Erfolg, Geld oder Liebe verspricht. Und wenn es um die Belletristik<br />

des großen westlichen Nachbarn geht, herrscht in der Nobelpreisträger-Nation<br />

im Allgemeinen gähnende Solidität: „Deutsche<br />

Literatur, das sind bei uns verstaubte Exemplare, die in einem vergessenen<br />

Winkel der Bibliotheken stehen [...] In den Buchhandlungen<br />

erscheinen sporadisch Neuausgaben deutscher Klassiker, an<br />

der Spitze „unser“ Grass, aber Tatsache ist, dass die deutsche<br />

Literatur während der letzten Jahre kein Leckerbissen für unsere<br />

Verleger war.“ – so klagen zumindest zwei Warschauer Germanistik-<br />

Studentinnen in einem Leserbrief an die „Gazeta Wyborcza“.<br />

Nun haben wir alle nichts gegen unseren Nobelpreisträger, aber<br />

betrachtet man, was in polnischen Buchhandlungen an deutschsprachiger<br />

Literatur vorhanden ist, dann muss man den beiden<br />

Studentinnen vorsichtig Recht geben: die deutsche Serie der<br />

Wydawnictwo Literackie z.B. (www.wl.net.pl) wartet auf mit Kleist,<br />

Canetti, Döblin u.a.; ETA Hoffmann ist ebenso wie Franz Kafka jederzeit<br />

lieferbar. Auch wenn man sich die Liste der durch Inter Nationes<br />

geförderten Übersetzungen der letzten Jahre ansieht, trifft der<br />

„Klassiker-Vorwurf“ zu: da stehen „unser“ Grass und Ernst Jünger<br />

neben Goethes „Wanderjahren“ und Gedichten von Eduard Mörike.<br />

Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Walser-Töchter Alissa und<br />

Theresia, Alt-Raver Rainald Goetz und der unvermeidliche Bernhard<br />

Schlink mit seinem „Vorleser“ – und auch die „Hotzenplotz“-Bücher<br />

von Ottfried Preußler scheinen im Rahmen des Kulturaustausches<br />

eine Übersetzung wert.<br />

Aber zumindest in einer Hinsicht können unsere Studentinnen, die<br />

gern auch SchriftstellerInnen wie Karin Duve, Thomas Brussig, Jenny<br />

Erpenbeck und Benjamin Lebert im polnischen Literaturwissen verankern<br />

würden, getröstet werden: Brussigs „Am kürzeren Ende der<br />

Sonnenallee“ soll im Januar 2002 auf Polnisch erscheinen. Nachdem<br />

die Verfilmung von Leander Haußmann schon im November 2000<br />

in den polnischen Kinos lief, nimmt sich Wydawnictwo Czarne<br />

(www.czarne.com.pl) nun der Romanvorlage an. Der kleine Verlag,<br />

der vor allem polnische Schriftsteller herausgibt, wird von Monika<br />

Sznajderman geleitet. Sie ist verheiratet mit Andrzej Stasiuk, einem<br />

der erfolgreichsten polnischen Gegenwartsautoren, der auch für<br />

Teile des Verlagsprogramms verantwortlich ist. Da Stasiuk auf der<br />

Frankfurter Buchmesse im letzten Jahr aus seinem Desinteresse an<br />

deutscher bzw. westlicher Literatur kein Geheimnis machte – der<br />

größte Teil der ausländischen Autoren bei Czarne kommt aus den<br />

süd-/östlichen Nachbarländern, die einzige weitere deutschsprachi-<br />

ge Schriftstellerin dort ist nicht zufällig die Rumäniendeutsche Herta<br />

Müller, muss wohl einiges für Thomas Brussig gesprochen haben.<br />

Schon 1998 konnte man in einer Ausgabe des polnischen Magazins<br />

„Literatura na swiecie“ Auszüge aus Brussigs Roman „Helden wie<br />

wir“ lesen, mit dem der ostdeutsche Autor 1995 berühmt wurde.<br />

Erst vier Jahre später folgte dann, quasi im Kombipack mit der<br />

Verfilmung, „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Warum also das<br />

begeisterte „tak, Aleja, tak“, wie es in einer Mail der Czarne-<br />

Verlegerin an die Übersetzerin Alicja Rosenau heißt, warum nicht die<br />

Geschichte von Klaus Uhltzscht, der durch seinen Penis die Berliner<br />

Mauer zum Einsturz brachte?<br />

Schon Alicja, die nach dem Kinobesuch auf eigene Faust mit der<br />

Übersetzung begann, fand in „Sonnenallee“ beschrieben, was sie<br />

auch als Polin nachvollziehen konnte – in einem unfreien politischen<br />

System trotz allem gut leben zu können. Brussigs Roman<br />

schildere viele „Sehnsüchte, die jetzt nicht mehr existieren“ würden,<br />

weil sie erfüllbar geworden seien. Für Czarne war dies angeblich der<br />

Grund, „Sonnenallee“ dem zu sehr von DDR-internen Dingen dominierten<br />

„Helden wie wir“ vorzuziehen. Das dort im Vordergrund stehende<br />

Stasi- und Mitläufertum habe in Polen nicht die selbe Bedeutung<br />

gehabt und wäre daher auch im Nachhinein nicht von<br />

Interesse. Wenn in „Sonnenallee“ dagegen der lange und mühsame<br />

Versuch beschrieben wird, in den Besitz des 72er-Stones-<br />

Albums „Exile on Main Street“ zu kommen, dann ähnelt dies auch<br />

Andrzej Stasiuks eigenen Erfahrungen, wie er sie in seiner Autobiographie<br />

„Jak zostalem pisarzem“ (Wie ich Schriftsteller wurde) darstellt.<br />

In einer Gesellschaft, die eigentlich alles versuchte, um ihre<br />

Mitglieder unter Kontrolle zu halten, kann Stasiuk sagen: „Ich war frei<br />

und hatte keinen Hunger“. Wie in einem revolutionären Traum.<br />

Gesellschaft scheint hier nur eine Folie zu sein, vor der sich die eigenen<br />

Wünsche und der eigene Freiheitsdrang entfalten (können sollen).<br />

Und mögen die Zeiten unschön und der Ort so verrückt sein<br />

wie das kurze Ende der Sonnenallee, wichtig und berichtenswert<br />

sind die subjektiven Erinnerungen – an die erste Liebe, den ultimativen<br />

Song oder die Entdeckung des eigenen Talents. Das Revolutionäre,<br />

der (pubertäre) Protest folgt keiner politischen, „sondern<br />

vielmehr einer ästhetischen Moral“ – so eine polnische Rezension<br />

zum Film „Sonnenallee“. Man darf annehmen: Es geht um die<br />

Authentizität des eigenen Lebens, die auch vor dem Hintergrund<br />

einer grauen (oder inzwischen zu bunten?) Welt gewahrt werden<br />

will und die in Polen so gefragt ist wie anderswo. Brussigs Held<br />

Micha beschreibt dies in einem Paradox: „Es war von vorn bis hinten<br />

zum Kotzen, aber wir haben uns prächtig amüsiert.“ Gibt es also<br />

doch ein wahres Leben im falschen?<br />

Projektmittel<br />

Projektvolumen 1997-2001 890.000 DM<br />

Anteil Robert Bosch Stiftung GmbH 523.000 DM 59 %<br />

Eigenleistung <strong>MitOst</strong> und Drittmittel 367.000 DM 41 %<br />

Für die finanzielle und ideelle Unterstützung<br />

möchten wir uns bedanken bei:<br />

Robert Bosch Stiftung GmbH (Stuttgart/Deutschland)<br />

Körber Stiftung (Hamburg/Deutschland)<br />

ZAHLEN UND FAKTEN/DANK<br />

Die für 2001 verwendeten Zahlen beruhen auf dem Kosten- und Finanzierungsplan und sind<br />

daher nicht endgültig.<br />

Goethe-Institute an verschiedenen Standorten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />

Stiftung für West-Östliche Begegnungen (Berlin/Deutschland)<br />

Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds (Prag/Tschechische Republik)<br />

Centrum für angewandte Politikforschung (München/Deutschland)<br />

Freudenberg Stiftung GmbH (Weinheim/Deutschland)<br />

Stiftung für Bildung und Behindertenförderung GmbH (Stuttgart/Deutschland)<br />

Österreichisches Ost- und Südosteuropainstitut<br />

Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in Mittel-, Ost- und Südosteuropa<br />

Internationale Jugendbegegnungsstätte Kreisau (Krzyzowa/Polen)<br />

Deutscher Akademischer Austausch Dienst, DAAD (Bonn/Deutschland)<br />

Kulturamt Oldenburg (Deutschland)<br />

Rotary Club<br />

BMW (Deutschland)<br />

Slowak International Tabak (Slowakische Republik)<br />

Europäische Universität Viadrina (Frankfurt/Oder / Deutschland)<br />

Collegium Polonicum Slubice (Slubice/Polen)<br />

Stadt Namest’ nad Oslavou (Tschechische Republik)<br />

Universität Regensburg, Institut für Germanistik (Deutschland)<br />

Verein zur Förderung regional kultureller Vielfalt (Hollabrunn/Österreich)<br />

Außenministerium der Tschechischen Republik (Prag/Tschechische Republik)<br />

Land Hessen (Deutschland)<br />

Freundeskreis Alte Brücke Novi Sad (Berlin/Deutschland)<br />

Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Neuere Deutsche Literatur (Deutschland)<br />

Litblockin Verlag (Fernwald/Deutschland)<br />

Nauczycielskie Kolegium Jezyków Obcych w Chelmie, NKJO (Chelm/Polen)<br />

Direktorium für Entwicklungszusammenarbeit des Schweizer Außenministeriums, DEZA<br />

(Schweiz)<br />

…und bei vielen weiteren Förderern von <strong>MitOst</strong>-Projekten<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 8 | November 2001<br />

39


Wjatscheslaw Kuprijanow<br />

wurde 1939 in Novosibirsk geboren. Er arbeitete zunächst als Bauarbeiter und studierte dann<br />

Mathematik und Germanistik. Er lebt als Lyriker, Schriftsteller, Übersetzer und Literaturwissenschaftler<br />

in Moskau. Er übersetzte unter anderem Werke von Hölderlin, Novalis, Rilke, Brecht<br />

und Jandl. Seit 1986 unternimmt Kuprijanow regelmäßig Lesereisen in die Bundesrepublik. Es<br />

sind mehrere Gedichtbände, Romane und Erzählungen auf Deutsch erschienen.<br />

Dorothea Leonhardt<br />

bald beginnt das leben<br />

bald beginnt das leben<br />

mit zwei (du kannst schon reden<br />

nur das hören stört) mit sieben<br />

(du kannst schon lesen<br />

nur das reden stört) mit 17<br />

(du kannst schon lieben<br />

nur das lesen stört) mit 33<br />

(du kannst schon denken<br />

nur das schreiben stört) mit 41<br />

mit 50 mit 65 mit 100 (es gibt<br />

noch das leben nach dem leben)<br />

bald beginnt das leben<br />

in rußland (in amerika<br />

hat es schon begonnen)<br />

in lettland (im abendland<br />

ist es schon untergegangen)<br />

im gelobten im schlaraffenland<br />

bald beginnt es (der krieg<br />

hat schon begonnen) nach dem<br />

30jährigen 100jährigen<br />

6-tage-krieg nach dem großen<br />

vaterländischen bosnischen<br />

nach dem ersten dem dritten<br />

weltkrieg nach dem kalten<br />

sternschildbürgerkrieg<br />

nach dem frieden abkommen<br />

umbruch umzug frühling sieg<br />

herbst winter unter dem guten<br />

zaren präsidenten generalsekretär<br />

es beginnt im<br />

altertum jugendstil mittelalter<br />

in der eisenzeit eiszeit zeit x<br />

in dem x. dem xx. dem xxx.<br />

jahrhundert unserer zeit im jahr<br />

1849 1861 1917 1945 1953 1991<br />

1996 1997 1998 1999 2000 2996<br />

1996<br />

Die Gedichte wurden von Wjatscheslaw Kuprijanow und Rudolf Stirn ins Deutsche übertragen.<br />

Aus: Wjatscheslaw Kuprijanow: Eisenzeitlupe - Gedichte; Alkyon Verlag, D-71554 Weissach i.T., 1996.<br />

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Alkyon Verlages.<br />

Weitere Gedicht- und Prosabände von Wjatscheslaw Kuprijanow sind beim Alkyon Verlag erschienen.<br />

stilleben<br />

augapfel<br />

glühbirne<br />

und eine träne<br />

dazwischen<br />

Eine Täuschung<br />

Der Dichter, der hellsehende,<br />

bespricht mit den Blindgewordenen<br />

die Aussichten einer Zukunft<br />

der allwissende<br />

fragt die Unverständigen<br />

über das Unerhörte aus<br />

und all das<br />

äußert er lautstark<br />

um es vor den Tauben<br />

auf ewig<br />

zu verbergen<br />

X X X<br />

mit verwirrung<br />

habe ich gelesen<br />

alle rätselhaften völker der geschichte<br />

sind längst ausgestorben<br />

geblieben sind nur<br />

ganz gewöhnliche<br />

nicht ungewöhnlich<br />

daß dieses rätsel der geschichte<br />

ohne lösung bleibt<br />

Rußlands Traum<br />

Rußland schlummert in kühlem Tau<br />

und träumt<br />

es wäre Amerika –<br />

seine Schwätzer – Kongreßmitglieder<br />

seine Faulenzer – Arbeitslose<br />

seine Raufbolde – Gangster<br />

seine Trinker – Drogenabhängige<br />

seine Schwarzhändler – Manager<br />

seine Russen – Neger<br />

Ausflüge zum Mond sind die Regel<br />

Rußland wird wach in kaltem Schweiß<br />

als wäre alles ganz unverändert<br />

Schwätzer die Schwätzer<br />

Faulenzer die Faulenzer<br />

Raufbolde die Raufbolde<br />

Schwarzhändler die Schwarzhändler<br />

Russen die Russen<br />

Man muß nur richtig landen<br />

Und Rußland schlummert wieder ein<br />

und träumt die russische Idee –<br />

daß sich Amerika im Traum<br />

als Rußland sieht

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