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MitOstmagazin - MitOst e.V.

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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 1<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> magazin<br />

Werte Liebe, Moral in Ost und West (Seiten 16 – 29)<br />

Wirken Interview mit dem Schriftsteller Alexander Ikonnikow (Seite 28)<br />

Warten Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe (Seiten 4/5)<br />

ISSN 1610-6598<br />

Wunden Jakes. Ein guter Ort (Seite 32)<br />

Wichtig <strong>MitOst</strong>-Festival in Pécs (Seite 13)<br />

Weite Begegnungen mit dem Buddhismus in Burjatien (Seiten 34/35)<br />

Mitteilungen des <strong>MitOst</strong> e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa – gegründet von ehemaligen Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 2<br />

EDITORIAL<br />

INHALT<br />

Liebe Leser,<br />

<strong>MitOst</strong> - Projekte im Jahr 2003<br />

Inhalt<br />

Frühjahr<br />

◗ „Kunst und Sprache – Sprache ist (keine?)<br />

Kunst“: 1. Internationale Werkstatt für<br />

Fremdsprachen (Pecín, Tschechien)<br />

◗ <strong>MitOst</strong>-Studienreise nach Sibirien<br />

◗ Zweiter Band der <strong>MitOst</strong>-Editionen „Jan Patocka<br />

und die Idee von Europa“<br />

Sommer<br />

◗ Drittes Gedenkdienst-Seminar in Südpolen<br />

◗ Mitgliederreise nach Weißrussland und Litauen<br />

◗ 5. Internationale Sommerakademie „MEZIUM<br />

Rychnov 2003“ (Tschechien)<br />

Herbst<br />

◗ Russisch-deutsches Filmprojekt – Kurzfilme<br />

über erste Erfahrungen im Ausland<br />

(St. Petersburg und Berlin)<br />

◗ „Theatralische Konzepte – Musiktheater jenseits<br />

der klassischen Gattungen“. Workshop während<br />

der 17. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik<br />

Ganzjährig<br />

◗ „Okno – Fenster zur russischen Kultur“:<br />

Lesungen, Konzerte und Podiumsdiskussionen,<br />

jeweils an einem Sonntag im Monat (Zürich,<br />

Schweiz)<br />

◗ „<strong>MitOst</strong>-Salon Berlin“: Themenabende, Filmvorführungen,<br />

Diskussionsabende, Ausstellungen,<br />

Lesungen, jeweils einmal im Monat (Berlin)<br />

◗ Studierendenprojekt: „Grenzorte – Grenzreisen“<br />

(Polen, Ukraine, Deutschland)<br />

◗ „Soforthilfe-Pool“: Möglichkeit, relativ schnell<br />

und unbürokratisch kleinere Projekte im laufenden<br />

Geschäftsjahr zu realisieren: Lesungen,<br />

Filmvorführungen, Konzerte, Theater uvm.<br />

Weitere Informationen, Projektausschreibungen<br />

und Bewerbungshinweise<br />

unter www.mitost.de<br />

Mit jeder Spende kommen wir unserem Ziel<br />

einen Schritt näher.<br />

Unterstützen Sie die ehrenamtliche Projektarbeit<br />

des gemeinnützigen <strong>MitOst</strong> e.V.! Ihre Spende<br />

kommt zu 100 Prozent den Projekten zu gute,<br />

kein Cent bleibt in der Verwaltung hängen.<br />

Projektkonto: <strong>MitOst</strong> e.V., Deutsche Bank Berlin,<br />

BLZ 100 700 24 Konto-Nr. 101 50 15 00,<br />

Stichwort: „Projektspende“<br />

<strong>MitOst</strong> wird immer attraktiver, die Fakten beweisen das: Die Mitgliederzahlen<br />

des Vereins steigen weiter an, neue Projekte, Initiativen und Foren<br />

entstehen. Das scheint zu bedeuten, dass sich Leute mit gleichen Interessen<br />

und Zielen zusammengefunden haben. Doch was verbindet die <strong>MitOst</strong>-<br />

Mitglieder miteinander ? Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben<br />

ganz individuelle Sichtweisen, manchmal liegen „Welten dazwischen“.<br />

Um diese Frage näher zu untersuchen, beschäftigt sich das Schwerpunktthema<br />

dieses <strong>MitOst</strong>-Magazins mit Werte- und Moralvorstellungen: Menschen<br />

aus Ost und West beschreiben ihre Sichtweisen zu Familie, gesellschaftlichen<br />

Normen und Brüchen, zu Selbstverwirklichung und Zwängen.<br />

Zudem befragten wir die Vereinsmitglieder zu ihren Lebensumständen.<br />

Die Ergebnisse (Seiten 16/17) sind sicherlich nicht repräsentativ, bieten<br />

aber interessante Einblicke.<br />

Die zahlreichen Berichte in diesem Heft geben einen Überblick über das<br />

erheblich angewachsene Angebot des <strong>MitOst</strong> e.V. Darüber hinaus finden<br />

Sie Informationen über Projekte, Praktika und Arbeitsangebote des<br />

Theodor-Heuss-Kollegs, der Programme der Robert Bosch Stiftung und<br />

anderer Initiativen. Künstler-Porträts, Festival- und Reiseberichte runden<br />

das Magazin ab. Außerdem wird das neue Praxishandbuch für Projektleiter<br />

vorgestellt.<br />

Ein herzliches Dankeschön an alle, die uns Artikel und Fotos geschickt<br />

haben. Viel Spaß beim Lesen! Das Redaktionsteam<br />

Dorothea Leonhardt und Arndt Lorenz.<br />

das Magazinteam (v.l.n.r.)<br />

Susanne Töpfer, Dresden (Gestaltung)<br />

Arndt Lorenz, Dresden (Redaktion)<br />

Dorothea Leonhardt, München (Redaktion)<br />

Geschäftsstelle <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Schillerstraße 57<br />

D-10627 Berlin<br />

Tel.: +49 - (0)30 - 31 51 74 - 70<br />

Fax +49 - (0)30 - 31 51 74 - 71<br />

geschaeftsstelle@mitost.de<br />

www.mitost.de<br />

Impressum<br />

<strong>MitOst</strong>-Magazin<br />

Heft Nr. 11| Mai 2003<br />

Herausgeber:<br />

<strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-,<br />

Ost- und Südosteuropa, gegründet von ehemaligen<br />

Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung<br />

Verantwortlich:<br />

Gereon Schuch, Vorstandsvorsitzender <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Schillerstraße 57<br />

D -10627 Berlin<br />

vorstand@mitost.de<br />

Projektleitung, Redaktion:<br />

Dorothea Leonhardt, München<br />

Arndt Lorenz, Dresden/Leipzig<br />

Lektorat:<br />

Susanne Hausner, Robert m. Sobotta,<br />

Julia Holzem, Volker Joksch, Alexandra Zander<br />

Titelfoto:<br />

Sören Urbansky, Frankfurt an der Oder<br />

soeren@urbansky.org<br />

Gestaltung:<br />

Susanne Töpfer, Grafik-Design, Dresden<br />

Tel: +49-(0)351-310 22 60<br />

sus.t@t-online.de<br />

Preis:<br />

Einzelpreis EUR 3,50, bei Vereinsmitgliedern ist der<br />

Bezugspreis im Mitgliederjahresbeitrag enthalten<br />

Druck:<br />

Union Druckerei Dresden GmbH<br />

Auflage:<br />

2.500 Exemplare<br />

Wir danken der Robert Bosch Stiftung für die<br />

Unterstützung<br />

Projekte 2002 - Im Laufe von Zeitlichkeit<br />

- Krakauer Suite<br />

- off-beats – experimentelle Kunst aus Litauen<br />

- Hoch der Diskurs! – <strong>MitOst</strong> Editionen: 2. Band<br />

- Buchmacher in der Sommerfrische<br />

- Lasst uns weiter knüpfen<br />

- Das Klavier kracht zu<br />

- Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof – der Berliner <strong>MitOst</strong>-Salon<br />

<strong>MitOst</strong> intern - „Es war viel wärmer...“ – die ProjektNetzWerkStatt im November 2002<br />

- 1. Internationales <strong>MitOst</strong>-Festival 2003 in Pécs/Ungarn<br />

- Der neue Vorstand<br />

- Regionalisierung von <strong>MitOst</strong>: Die Ländervertreter<br />

- Ein Leben nach Bosch? – Alumnivertreter bei <strong>MitOst</strong><br />

- Leben und leben lassen – Eine <strong>MitOst</strong>-Umfrage<br />

- Undercover-Theologe in Polen<br />

Thema - Land und Liebe<br />

- Rosarot und Himmelblau: Lesben und Schwule in Russland<br />

- „Warme Brüder“ ins kalte Sibirien?<br />

- 12m 2 Lebenslabor<br />

- Contra spem spero – Porträts ukrainischer Frauen<br />

- Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West?<br />

- Verbotenes und Halbverbotenes<br />

- Warum ich als Frau lieber im Westen leben will<br />

- Haushaltsdebatte<br />

Interview - Lachen aus Kummer – ein Interview mit Alexander Ikonnikow<br />

Feuilleton - Unbehagen zwischen den Welten – der ukrainische Fotograf Michailov<br />

- Jakes. Ein guter Ort.<br />

- Kioski<br />

- Ästhetik der Leere. Ein Buch über moderne Architektur in Zentralasien<br />

- Das Sorgentelefon in Rostow am Don<br />

- Kinderplanet Georgien – Hilfe für Kinder<br />

- Grenzen überwinden – Note für Note<br />

Reise - Neujahrsfest in Burjatien<br />

Theodor-Heuss-Kolleg - Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch!<br />

Lektorenprogramme - Boschlektoren in MOE – Interesse so groß wie nie<br />

- Willkommen im Jenseits – Regionaltreffen in Jekaterinburg<br />

- Nicht nur Wodka und Vampire – „n-ost“ stellt sich vor<br />

- 10 Jahre Lektorenprogramme<br />

Kooperationspartner - Angebote, Ausschreibungen und Projekte der Kooperationspartner<br />

Rätsel - Auflösung aus dem vorhergehenden <strong>MitOst</strong>-Magazins<br />

Kochrezept - Piroggen mit Pilzfüllung<br />

<strong>MitOst</strong> Intern - Beitrittsformular<br />

- Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte<br />

- Vorschau auf die nächste Ausgabe<br />

Lyrik - herzlich – ein Gedicht von Gintaras Grajauskas<br />

4/5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

13<br />

14<br />

15<br />

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16/17<br />

18<br />

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20<br />

21<br />

22/23<br />

24/25<br />

25<br />

26<br />

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27<br />

28/29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

33<br />

34<br />

34<br />

35<br />

36/37<br />

38/39<br />

40<br />

40<br />

41<br />

41<br />

42–44<br />

45<br />

45<br />

45/46<br />

46<br />

46<br />

48<br />

Anmerkung: Einige Texte sind in der originalen Orthographie von Autoren aus Ländern in Mittel- und<br />

Osteuropa wiedergegeben.


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 4<br />

PROJEKTE 2002<br />

Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe<br />

Im Laufe von Wahnsinn<br />

Im Laufe von Wahnsinn dachte sie, dass er zurückgekehrt ist und in acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, einem Tag<br />

ihre Hochzeit geschieht, ihr Nestlein in Falun wurde in ihrem Haus gebaut und mit Freude beobachtet sie, wie er sein<br />

Todeskleid nicht mehr trägt. Sie suchen keinen andren Platz in dieser Welt, alles geschieht und geht an ihnen vorbei. Viel<br />

später erfuhren sie, dass eine Reihe Tode in der Welt geschah, Maria Theresia, Leopold der Zweite, andere; sie hatten aber<br />

genug zu tun, um diese Neuigkeiten altern zu lassen, die Kinder wachsen, die Eltern sterben, der ewige Kreis des Lebens<br />

bewegt sich, wie Seewellen, wie Luftströmungen, wie Pflanzen, die von Samen zu Früchten tanzen; man sät, man schneidet,<br />

man mahlt, man hämmert, keine Änderungen und Wandlungen, nur die Kinder werden groß und Eltern alt. Alles aber kann<br />

nicht ewig sein, obwohl die Welt und der liebe Gott ewig sind, das Nestlein wird leer, Söhne und Töchter fliegen irgendwo in<br />

der Welt und teilen seltsame Briefe mit, erster, zweiter, dritter, vierter ist gestorben, allmählich alle, im Nestlein bleiben zwei<br />

Alte, sie und er, er arbeitet noch und sie kann leider ohne Krücke nicht gehen, es bleiben immer weniger Jahre bis zum Tod<br />

und es gibt keine Hoffnung mehr. Eines Tages kommt er nicht zurück, sie hörte ihn am Morgen ans Fenster klopfen und am<br />

Abend kehrte er nicht zurück; in der Nacht verließ sie das Haus und versuchte das Bergwerk zu erreichen, am Mittag des<br />

nächsten Tages erreicht, wurde er schon ausgegraben, aber sie sah den jungen Mann, den sie nur einmal gesehen hat,<br />

Bergmann könnte dieser nicht sein, allmählich kamen die Erinnerungen, er ist lang her gestorben und nur sie bewegte sich in<br />

ihren Jahren, und keine Kinder; kein Nestlein; nur leere 50 Jahre, Tod der Verwandten, einsames Leben, keine Wanderungen<br />

zu irgendwelchen anderen Plätzen, zur Hochzeit zog sie das Todeskleid an, zum Tode wird sie ein Hochzeitskleid tragen, alles<br />

wird mit Seewasser bedeckt, im Seewasser versinken die Jahre, ihr Leben, alles ertrinkt mit Wahnsinnswasser, die ganze Welt,<br />

alles, was am Leben ist, nur er vermied dieses Schicksal, 50 Jahre unter der Erde begraben.<br />

Fotos:<br />

Kamila Mieszczak, Margrit Fiederer<br />

Storokha Bogdan,<br />

27, Literatur-Dozent an der Universität von Poltawa/Ukraine<br />

Lesung mit Jurgis Kuncinas<br />

Im Laufe von Anfang<br />

Im Laufe von Anfang in Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut.<br />

In Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit.<br />

Eine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit sah ihn zum Bergwerk gehen.<br />

Acht Tage vor der Hochzeit sah sie ihn zum letzten Mal zum Bergwerk gehen.<br />

Vor der Hochzeit, Weggegangener, kehrte nicht zurück.<br />

Vor der Hochzeit blieben nur acht Tage.<br />

Nur acht Tage.<br />

Acht Tage.<br />

ach ...<br />

Im Laufe von 50 Jahren<br />

gesäet geschnitten gemahlen gegraben gehämmert<br />

gehämmert gesäet geschnitten gemahlen gegraben<br />

gegraben gehämmert gesäet geschnitten gemahlen<br />

gemahlen gegraben gehämmert gesäet geschnitten<br />

geschnitten gemahlen gegraben gehämmert gesäet<br />

von schmieden von ackerleuten von müllern von bergleuten<br />

von bergleuten von schmieden von ackerleuten von müllern<br />

von müllern von bergleuten von schmieden von ackerleuten<br />

von ackerleuten von müllern von bergleuten von schmieden<br />

gesäet von ackerleuten geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert<br />

Im Laufe von Sterben<br />

Er trifft sie – sie trifft ihn.<br />

Er arbeitet – sie hofft.<br />

Er verspricht – sie träumt.<br />

Er klopft ans Fenster – sie wartet dahinter.<br />

Er kehrt nicht zurück – sie weint.<br />

Er verschwindet – sie erinnert.<br />

Die Jahre gehen vorbei – sie liebt.<br />

Die Leute sterben – sie hofft.<br />

Kriege brechen aus – sie verliert Flamme.<br />

Das Leben geht weiter – sie wird alt.<br />

50 Jahre sind vergangen – sie ist noch Braut.<br />

Er erscheint – sie erkennt.<br />

Er kehrt zurück – sie freut sich.<br />

Er klopft nicht – sie an einer Krücke.<br />

Er schweigt – sie spricht.<br />

Er liegt im Sarg – sie geht fort.<br />

Er ist jung – sie ist tot.<br />

Er ist gestorben – sie ist in der Flamme.<br />

Er ist Leichnam – sie verspricht.<br />

von ackerleuten gesäet von müllern geschnitten von bergleuten gemahlen von schmieden gegraben von ackerleuten<br />

gehämmert von müllern gesäet von bergleuten geschnitten von schmieden gemahlen von ackerleuten gegraben von müllern<br />

gehämmert von bergleuten gesäet von schmieden geschnitten von ackerleuten gemahlen von müllern gegraben von<br />

bergleuten gehämmert von schmieden gesäet von ackerleuten<br />

geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert.<br />

Im Laufe von Werden<br />

Sie wartet auf ihn jeden Morgen an ihr Fenster klopfen, um mal zu schauen und überzeugt zu sein,<br />

dass bestimmt vorbei daran geht und niemand andrer stiehlt diesen Augenblick der Freude von<br />

heutiger Braut und künftiger Frau, die mit allen Kräften ihr Traumnestlein schützt, bis er kommt<br />

und ans Fenster klopft, bis er nicht zurückgekommen ist, bis er nicht zurückgebracht wird, bis er<br />

gestohlen ist, bis sie acht Tage im Gesicht veraltet ist, bis sie hofft, bis die Flamme in der Brust<br />

erlischt, bis nächste Jahre fliehen und die Braut ist noch die Braut, und Frau noch nicht geboren ist,<br />

und Nestlein nur träumend gesehen wird, und kraftlos fließen die nächsten Jahre und Alter, bis es<br />

niemanden gibt, Flamme im Stüblein anzuzünden, und Nestlein liegt tief versteckt, und lieber Mann<br />

liegt im kühlen Bett in Vitriolwasserwäsche und träumt nicht, bis Flammesnestlein in ihrem Herz<br />

stirbt und sie wird Altweib, aber keine Frau, bis alle sterben, die Hindernisse mitzuteilen haben<br />

können, und niemand außer Tod hat sich gemeldet, bis alle ausgestorben sind, bis die Welt ganz<br />

unfähig, ihn zu erkennen, geworden ist.<br />

Im Laufe von Gang<br />

linke rechte krücke linke rechte krücke ausatmen rechte linke krücke rechte linke ausatmen<br />

einatmen ausatmen linke rechte krücke träne linke rechte ausatmen krücke schritt krücke linke<br />

rechte schritt einatmen ausatmen linke rechte rechte linke krücke schritt krücke schritt linke ausatmen<br />

schritt krücke krücke schritt schritt ausatmen träne schritt schritt schritt schritt träne schritt<br />

PROJEKTINFO<br />

Der hier auszugsweise gedruckte Text entstand<br />

in der Literaturwerkstatt, zur der<br />

sich16 Literaturinteressierte aus Deutschland,<br />

Tschechien, Polen, Russland, Lettland<br />

und der Ukraine im September 2002<br />

an der Universität Ostrava einfanden, um<br />

eine Woche lang eigene Texte und einen<br />

Fotoroman zu produzieren. Das ehemals<br />

„stählerne Herz“ der Tschechischen Republik,<br />

Ostrava, sollte der Bergmannsgeschichte<br />

„Unverhofftes Wiedersehen“ von<br />

Johann Peter Hebel die angemessene<br />

Kulisse bieten. Stets mit Hebels Geschichte<br />

im Hinterkopf entstanden Texte<br />

über den Tod, das Warten, das Alleinsein,<br />

über Abschied und Träume, das Unerklärliche,<br />

über die unio mystica von Hochzeit<br />

und Tod.<br />

Die Literaturwerkstatt wurde unterstützt<br />

vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond<br />

Cesko-Nemeck y ’ Fond Budoucnosti<br />

Weitere Informationen:<br />

bei Margrit Fiederer,<br />

M-Fiederer@gmx.de<br />

4<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 5


1<br />

MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 6<br />

PROJEKTE 2002<br />

PROJEKTE 2002<br />

OFF-BEATS –<br />

experimentelle Kunst aus Litauen<br />

Fotos:<br />

Nerijus Grigas-Pluhar<br />

Ein Gespräch mit Egmontas Bzeskas,<br />

Regisseur und Gründer des Tanztheaters „Karman“ aus Vilnius. Das Gespräch<br />

führte Nerijus Grigas-Pluhar von „off-beats – Verein für Kulturkontakt“, Berlin<br />

PROJEKTINFO:<br />

Am internationalen Filmseminar im April<br />

2002 in Krakau nahmen tschechische,<br />

polnische und deutsche Studenten teil.<br />

Die aus 25 Personen bestehende Gruppe<br />

sah sich deutsche Filme zum Nationalsozialismus<br />

an. Während des Workshops<br />

wurden die Streifen ausgewertet und mit<br />

den Meinungen der Teilnehmer konfrontiert.<br />

Das Zusammentreffen sollte helfen,<br />

Kontakte zwischen den Germanisten der<br />

Nachbarländer auszubauen.<br />

Krakauer Suite<br />

oder wie man ein bisschen Schwung gegen<br />

den germanistischen Marasmus 1 aufbringt<br />

Fotos: Kamila Mieszczak<br />

„Krakauer Gruppe“<br />

Germanistikstudenten der Uni Krakau<br />

ALLEMANDE<br />

Alles begann mit zwei Leuten, die sich zufällig in Kosice auf der <strong>MitOst</strong>-Mitgliederversammlung kennen<br />

lernten, dadurch, dass an einem Tisch nur Platz für zwei Personen war. Die beiden nahmen sich<br />

vor, die ewige Nichtstungrenze mit einem Workshop zu überwinden. Boris Blahak, Boschlektor in<br />

Brünn (Tschechien), schlug Gosia Tomaszkiewicz vom Germanistenzirkel an der Uni Krakau vor, zu<br />

seinem lange geplanten Filmseminar in Brünn zusätzlich noch ein Filmseminar in Polen zu organisieren.<br />

Da die Krakauer Gruppe von der Germanistik ein bisschen gelangweilt war, nahm man<br />

Blahaks Angebot mit größter Freude an. Es dauerte keine drei Wochen, bis es nach Brünn ging.<br />

Erwünscht, erträumt, so begann der erste Teil.<br />

COURANTE<br />

Es ist aber so, der Appetit kommt beim Essen! Schon im Zug, während der Rückkehr nach Krakau,<br />

wurde das polnische Seminar geplant. Fünf Germanistikstudenten setzten sich als Ziel, ein Gegentreffen<br />

zu veranstalten und Leute dafür zu gewinnen. Die Jagd nach Teilnehmern ist immer die schwerste<br />

Schufterei. Die Leute sind nun einmal so, dass man ihnen einreden muss – manchmal mit Gewalt –<br />

dass ihnen dieses Abenteuer etwas bringt!<br />

SARABANDE<br />

Keine Mitspieler, keine Lust, weiterzumachen und sich aufzuraffen, im Kopf den Gedanken,<br />

aufzugeben: keine finanziellen Mittel. Plötzlich fiel uns ein, dass wir beim guten alten <strong>MitOst</strong>-Verein<br />

finanzielle Unterstützung finden könnten. In Hast und Eile beantragt, aber gelungen: Das Geld ist da!<br />

Manchmal hätte es Vorteile, wenn es nur einen Organisator gäbe; denn bei demokratischen Vorgängen<br />

muss man Verzögerungen in Kauf nehmen. Viele Mitgestalter, viele Ideen. Einigkeit in der Vielfalt<br />

kann man nur schwer erreichen, doch auch diese Hürde ist zu überspringen. Jetzt nur die Suche nach<br />

Räumlichkeiten, Referenten und allem, was dazu gehört. Die Zeit läuft, und wir müssen den Stein ins<br />

Rollen bringen. Wer sonst?<br />

MENUETT<br />

Was wünschst du dir noch, armer Germanistikstudent? Die Sprache? Die sollte schon Deutsch sein,<br />

oder? Also Muttersprachler fehlen noch. Man hört doch so selten die echte, heilsam ins Ohr<br />

fließende und beruhigende deutsche Sprache. Man muss also Deutsch-Sprechende auftreiben.<br />

Gesagt, getan. Eine binationale Werkstatt verwandelt sich in ein Forum, an dem drei Seiten –<br />

Tschechen, Polen und Deutsche – beteiligt sind. Das bringt Schwung in die anschließende<br />

Diskussion. Stattgefunden. Ein großer Erfolg. Unser Lehrstuhl scheint beeindruckt zu sein. Das<br />

Organisationsteam – und noch wichtiger, die Teilnehmer – zufrieden.<br />

Seit wann arbeitet ihr zusammen, wie habt ihr euch kennen gelernt?<br />

Die Gruppe „Karman“ existiert seit dem Jahr 2000. Gründer sind die Choreografin Karina Krysko und<br />

ich. Der Kern der Gruppe besteht aus fünf Tänzern, die ein Tanzstudium am Konservatorium in Vilnius<br />

absolviert haben und sich vom Studium kennen. Die anderen Teilnehmer unserer Stücke haben<br />

keine tänzerische Ausbildung, sie werden nach den zu spielenden Protagonisten ausgewählt. Das ist<br />

übrigens unsere grundsätzliche Konzeption. Wir sind der Meinung, dass Personen, die wir aus dem<br />

realen Leben für unsere Stücke „einladen“, ihre Rollen besser und überzeugender spielen. Wir zeigen<br />

„echtes“ Leben und versuchen, es nicht mit unnatürlichen Schauspielern oder Bewegungen zu<br />

verstecken. Auf der Bühne betonen wir das, was für jeden authentisch ist, deswegen könnte man<br />

unsere Stücke auch „Reality Show“ nennen.<br />

Ist der Auftritt einer „echten“ Gogo-Tänzerin in dem in Berlin gezeigten Stück<br />

„Struggle with Gravity Pull“ nicht chauvinistisch? Wie hat das Publikum in Litauen und in<br />

Berlin darauf reagiert?<br />

Wir versuchen das echte Leben zu zeigen, ohne etwas daraus zu streichen. Gogo-Tanz existiert – wir<br />

zeigen ihn. Es ist interessant, einen echten Striptease im Theater zu sehen, wenn ihn eine echte<br />

„Straßenfrau“ und keine Schauspielerin aufführt. Oft spürt das Publikum gewisse Hemmungen hinzuschauen.<br />

Feminismus in der Form wie in Deutschland kennen wir gar nicht. Wie in alten Zeiten<br />

dient hier die Frau dem Mann und das ist nicht gut. Einige Szenen in unserem Stück geben dieses<br />

Gefühl wider: das Hämmern eines Hammers an eine Wand und im anderen Raum eine schreiende<br />

und fallende Frau. Das ist aktuell und wir zeigen es.<br />

An einer anderen Stelle in eurem Stück sah man eine Szene, wo nach einer Art Boygroup-<br />

Choreografie getanzt wurde, war das ironisch gemeint?<br />

Sicher, ja. Unser Stück kann man in zwei unterschiedliche Teile teilen. Der erste ist unangenehm, es<br />

geht um innere Probleme des Menschen, Schmerz, Angstgefühle. Das Publikum wird absichtlich in<br />

die Dunkelheit der Gefühle gesteuert. Dann kommt der Tanz: locker, leichtsinnig. Mit Absicht zerstören<br />

wir die Regie- und Gefühlsskala, formen Ungewissheit.<br />

Kurz zu euren neuen Plänen...<br />

Das neue Stück fertigstellen und damit durch die europäischen Theater ziehen, unter anderem auch<br />

an dem neuen Festival „off-beats 2“ teilnehmen.<br />

Haltet ihr euch für typisch osteuropäisch oder eher für westlich?<br />

Typisch litauisch können wir gar nicht sein. Wir sind alle total genetisch durchmischt! Die Reisen, das<br />

Leben in Europa hat uns auch stark verändert. Dem Lebensstil nach sind wir, denke ich, mehr europäisch.<br />

Der Osten hat sich uns auch quasi verschlossen, so dass Europa näher gekommen ist. Viele<br />

junge Leute waren noch nie in Russland, alle versuchen, sich nach Westen zu orientieren. Unser<br />

Theater will seinen eigenen Charakter behalten: Wir filtern das, was aus dem Westen kommt, ohne<br />

dabei das Eigene zu verlieren.<br />

PROJEKTINFO:<br />

Der <strong>MitOst</strong>-Salon Berlin präsentierte am<br />

27. und 28. September 2002 im Rahmen<br />

des „off-beats – Festivals“ für litauische<br />

experimentelle Kunst in Berlin das Tanztheater<br />

„Karman“ aus Vilnius. Ziel des<br />

Festivals war es, Litauen, das 2002 auch<br />

Gastland der Frankfurter Buchmesse war,<br />

in Berlin bekannter zu machen und seine<br />

Kultur vorzustellen.<br />

Realisiert wurde der Auftritt des<br />

Tanztheaters „Karman“ mit Geldern aus<br />

dem Soforthilfe-Pool des <strong>MitOst</strong> e.V. Der<br />

Sofortilfe-Pool ermöglicht die schnelle<br />

und unbürokratische Finanzierung von<br />

kleineren <strong>MitOst</strong>-Projekten.<br />

Weitere Informationen zum Soforthilfe<br />

Pool gibt es bei Kamila Mieszczak,<br />

kamilamieszczak@wp.pl<br />

6<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

GIGUE<br />

Vielleicht sollte man noch ein Seminar machen? Wieder mit einem Film im Hintergrund, diesmal, um<br />

moralisch zu beunruhigen? Die Idee ist längst da, alle Organisatoren sind bereit mitzumachen, leider<br />

immer dieselben. Aber – Moment mal! Warum „leider“, das hat uns doch Spaß gemacht, oder? Jetzt also<br />

krempeln wir die Ärmel hoch und los an die Arbeit! Nur nicht meckern, dafür findet sich immer Zeit...<br />

Vom 23. bis 27. September 2003 lädt das zweite „off-beats Festival“ Künstler aus Litauen, Belarus<br />

und Kaliningrad nach Berlin ein. Weitere Informationen: off-beats – Verein für Kulturkontakt, Nerijus<br />

Grigas-Pluhar, nergrigas@gmx.de<br />

7<br />

Marasmus: allgemeiner geistig-körperlicher Kräfteverfall


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 8<br />

PROJEKTE 2002<br />

Hoch der Diskurs! –<br />

Jan Patocka und die Idee von Europa.<br />

<strong>MitOst</strong>-Editionen: 2. Band<br />

Buchmacher in der Sommerfrische<br />

Anton Rauch<br />

Radiojournalist, Studium der slawischen Philologie und Geschichte Osteuropas, München<br />

Monika Bukantaite,<br />

22, Studentin für Germanistik und Lituanistik, Kaunas/Litauen<br />

Fotos: Michael Klees<br />

Jan Patocka<br />

Foto: © Center for Phenomenological<br />

Research, Prag<br />

PROJEKTINFO:<br />

Jan Patocka und die Idee von Europa<br />

hrsg. von Armin Homp und Markus<br />

Sedlaczek, erschienen bei <strong>MitOst</strong> e.V.,<br />

Berlin 2003, <strong>MitOst</strong>-Editionen 2,<br />

ISBN 3-9808083-1-9<br />

Der hier besprochene zweite Band<br />

der <strong>MitOst</strong>-Editionen entstand im<br />

Anschluss an das Forum Philosophie, das<br />

unter dem Titel „Jan Patočka und die<br />

Idee ‘Europa’“ vom 26. bis 29. September<br />

2002 an der Europa-Universität Viadrina<br />

in Frankfurt/Oder und dem Collegium<br />

Polonicum in Slubice statt fand.<br />

Der Band ist für 2,50 EUR (zuzügl. Porto)<br />

zu beziehen bei: Geschäftsstelle des<br />

<strong>MitOst</strong> e.V., Schillerstraße 57, D-10627<br />

Berlin,<br />

geschaeftsstelle@mitost.de<br />

8 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

„Nur wenn eine Mentalität ausgebildet wird, welche alle Traditionalitäten als Glieder einer notwendig<br />

einseitigen, immer endlichen Enthüllung des Seins des Ganzen zu fassen fähig ist, wird den Gefahren<br />

der Ideologisierung der verhärteten Traditionsmassen im Zeitalter der Giganten, welche die neue<br />

Epoche gestalten werden, entgegengearbeitet werden können, in einem entsprechend planetarischen,<br />

wirklich menschlichen Geist.“ Nur so, schreibt Jan Patocka, könne eine Gesinnung ausgebildet<br />

werden, die das Problem der nacheuropäischen Menschheit zu lösen imstande ist. Patocka fordert<br />

die „offene Seele“ und bewährt sich dadurch als der <strong>MitOst</strong>-Philosoph schlechthin.<br />

Die „nacheuropäische Epoche“ war zu Patockas Zeit vom Ost-West-Konflikt gekennzeichnet, inzwischen<br />

ist die bipolare Welt längst abgelöst durch eine Epoche, in deren Vordergrund die weltweit<br />

agierende Handlungsmacht USA in einer (teil)globalisierten Welt steht. Das spezifisch europäische<br />

Erbe, das sich aus klassischer Antike (attischer polis) und (weströmischem) Christentum speist, hat<br />

machtpolitisch und militärisch sein Gewicht verloren. Selbstbewusstsein gewinnen können die Europäer<br />

jedoch durch andere Werte, zum Beispiel durch ihre Diskussionskultur, durch die Fähigkeit, alles<br />

radikal in Frage zu stellen und Solidarität zu üben, wie Patocka schreibt.<br />

So unterschiedlich wie im Band 2 der <strong>MitOst</strong>-Editionen könnten die Aufsätze zur Idee Europas kaum<br />

sein. Die kluge Einleitung von Markus Sedlaczek umreißt den Bogen, den die Autoren von Chvatík<br />

bis Wassiljew schlagen.<br />

Ludger Hagedorn macht das Wirken Patockas über die Charta 77 und seinen Einfluss auf Václav Havel<br />

in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings deutlich. Fruchtbar ist auch der Vergleich<br />

Hagedorns zwischen dem skeptischen Dissidenten und dem polnischen Mazowiecki: Während<br />

Patocka auf eine radikale Fragwürdigkeit setzt, hält Mazowiecki am Christentum als dem spezifischen<br />

Wert Europas fest.<br />

Gerade die ketzerische Haltung des Philosophen erläutert der bekannte Prager Patocka-Interpret Ivan<br />

Chvatík: Was laut Patocka vom Menschen erwartet wird, „ist nicht Glaube, sondern Einsicht.“<br />

Andrei Laurukhin aus Minsk beschreibt in einer phänomenologischen Analyse, wie schwer sich Demokratie<br />

in einer anders gearteten Lebenswelt durchsetzt, denn „formal importierte Demokratie bleibt<br />

leblos, weil sie eben nicht ihre kulturelle Lebenswelt mitbringt [...], wird sie rein formal imitiert.“<br />

Die Philosophie Danilewskijs greift Gennadij Wassiljew auf. Dieser russische Denker hat die klassische<br />

Frage, ob Russland denn nun zu Europa gehöre oder nicht, so klar verneint wie kaum ein<br />

Slawophiler danach. Es habe „weder Anteil am europäischen Guten noch am europäischen Bösen“,<br />

behauptete Danilewskij und hat es damit mehr als 100 Jahre nach seinem Tod in die Hirne der russischen<br />

Rotbraunen geschafft. Wie diese sein Denken für ihre chauvinistische Sache nutzen, legt Julian<br />

Pänke dar, wobei er Belege für das Übergewicht des gemeinsamen Erbes Russlands und Europas<br />

liefert.<br />

Fazit: Für den wenig mit philosophischen Texten vertrauten Leser sind manche der Artikel<br />

hartes Brot. Aber wie beim Brot entfaltet sich auch hier die Süße der Lektüre nach einigem<br />

Kauen. Das von Armin Homp und Markus Sedlaczek herausgegebene Bändchen bringt viel<br />

Neues und genügend Stoff, über Altes nachzudenken. Die 2,50 EUR Schutzgebühr für den im<br />

Marlboro-Design erschienenen 2. Band der <strong>MitOst</strong>-Editionen sind also in jedem Fall besser<br />

angelegt als in einer Schachtel Billigzigaretten.<br />

Alles hat seinen Anfang, so auch diese Geschichte. Im Frühling<br />

2002 wurde bei uns an der Universität Kaunas Werbung für den<br />

zweiten <strong>MitOst</strong>-Verlagsworkshop gemacht. Ich habe mir die Ausschreibung<br />

gründlich angesehen und entdeckt, dass mich das<br />

Thema sehr interessiert und dass es nicht schaden könnte, auch<br />

im Sommer was fürs Köpfchen zu tun.<br />

Der August ließ nicht lange auf sich warten. Um die Reise angenehm und günstig zu machen, wurde<br />

ein Minibus gemietet. Wir alle aus Litauen waren sehr gespannt auf das, was uns in Gießen erwartet,<br />

denn der Workshop sollte ja international sein, was bedeutet, dass wir mit Studenten anderer<br />

Nationalitäten zusammentreffen würden. Gute Verhältnisse und Austausch sind nicht ganz unwichtig, besonders<br />

jetzt, wenn wir alle der EU beitreten und in Zukunft ein Teil des vereinigten Europas sein wollen.<br />

In Gießen waren wir bereit, alles aufzunehmen, was uns angeboten wurde. Ich selber fand das<br />

Programm sehr gut, weil man vieles praktisch sehen und erarbeiten konnte. Die Übungen reichten<br />

von wissenschaftlicher Textproduktion über die Grundlagen des Textlektorats bis hin zur Erstellung<br />

satzfertiger Dateien am Computer. Außer den praktischen Übungen erhielten wir auch Einführungen<br />

in die Geschichte und den derzeitigen Stand des Verlags- und Pressewesens in Deutschland, in das<br />

Autoren- und Verlagsrecht sowie die Buchpreisbindung. Als Höhepunkte würde ich aber die Besuche<br />

beim S. Fischer Verlag und bei der Gießener Allgemeinen Zeitung hervorheben. Ich selber fand toll,<br />

dass alle sehr freundlich und voller Geduld auf alle unsere Fragen geantwortet haben, zum Beispiel,<br />

wie eine Zeitung heutzutage entsteht und wie es früher gemacht wurde, als die Computer noch nicht<br />

da waren.<br />

Fast genauso wichtig war das Freizeitprogramm: eine Wanderung zum Schiffenberg mit altem Kloster<br />

in schöner Natur, Besichtigungen in Lich und Frankfurt am Main. Was mir auch noch sehr gefallen<br />

hat, waren die gemeinsamen Abendessen. Da hatte man die beste Gelegenheit, mit Professoren,<br />

Lektoren und Studenten zu reden, zu diskutieren und sich auszutauschen.<br />

Das Spektrum der Teilnehmer war breit: Litauer, Polen, Slowaken, Rumänen und Weißrussen. Trotz<br />

ähnlicher Vergangenheit haben sich die Länder auf unterschiedliche Weise entwickelt. Und so sind<br />

während des Workshops zwei große Fraktionen entstanden: die litauische und die polnische. Wir hatten<br />

nur einen männlichen Teilnehmer, welcher sich als Hahn im Korb fühlte, aber wenn man ein<br />

gemeinsames Ziel hat, dann spielen die Nationalitäten eher eine Nebenrolle, und es ließ sich sogar<br />

mit dem Hahn arbeiten.<br />

Am letzten Abend erhielten wir Teilnahme-Zertifikate und so wurde der Abend sehr festlich und lang,<br />

da keiner wollte, dass der Workshop zu Ende geht.<br />

PROJEKTINFO:<br />

Der <strong>MitOst</strong>-Workshop zur Verlagsarbeit<br />

und Editionswissenschaft fand in Gießen<br />

vom 18. bis 24. August 2002 statt.<br />

22 Teilnehmer aus Litauen, Polen,<br />

Rumänien, Deutschland, Slowakei und<br />

Weißrussland sollten lernen, wie eine<br />

Publikation entsteht. Während des Workshops<br />

wurde durchgespielt, wie der Weg<br />

vom Text zum fertigen Produkt erfolgt.<br />

Außerdem erhielten die Teilnehmer Einblick<br />

in das deutsche Pressewesen anhand<br />

von Exkursionen. Der Workshop entstand<br />

in Zusammenarbeit mit der Justus-<br />

Liebig-Universität Gießen und dem<br />

Litblockín- Verlag, Fernwald bei Gießen<br />

Weitere Informationen:<br />

Michael Klees,<br />

klees@kaunas.omnitel.net


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 10<br />

PROJEKTE 2002<br />

Lasst uns weiter knüpfen!<br />

Cartoon:<br />

Elie Nasser<br />

Florian Tilzer,<br />

Mitbegründer des Kulturní Cirkus, tschechischer Koordinator des ACCC<br />

(Austrian Czech Cultural Cooperation), Sprachlektor und Übersetzer,<br />

Brünn<br />

Sandl ist ein kleines Dorf im Mühlviertel unweit der tschechisch-österreichischen Grenze, das<br />

böse Zungen wohl am ehesten als „Kaff“ bezeichnen. Also genau der richtige Ort für ein<br />

Seminar, in dessen Rahmen auch ein international besetzter Roundtable zum Thema „Die<br />

Bedeutung der Kommunikation beim Aufbau von lokalen, regionalen und internationalen<br />

Netzwerken“ stattfand. So trafen sich tschechische, österreichische und deutsche KulturveranstalterInnen,<br />

StudentInnen, Kultur- und SprachvermittlerInnen, KünstlerInnen und KommunikationstrainerInnen<br />

unterschiedlichen Alters, um nicht nur zweisprachig zu quatschen, sondern<br />

auch nonverbal kommunizierend Grenzen zu überschreiten, sich auszutauschen, sich weiterzubilden,<br />

… und nicht zuletzt, Konnektschns zu knüpfen, allerdings nicht für die persönliche<br />

Karriere, sondern – wie soll’s bei einem <strong>MitOst</strong>-Projekt anders sein – zum Wohle der Menschheit.<br />

PROJEKTINFO:<br />

Die Vernetzung von Netzwerken stand im<br />

Mittelpunkt eines Roundtables im Rahmen<br />

des <strong>MitOst</strong>-Kreisseminars „Komunikace<br />

– verbale und andere Grenzüberschreitungen“,<br />

das vom 10. bis 11.<br />

Oktober 2002 in Sandl bei Freistadt/<br />

Oberösterreich stattfand.<br />

Das Projekt Komunikace wurde gefördert<br />

aus Mitteln der Robert Bosch Stiftung,<br />

Stuttgart, und des Europäischen Fonds<br />

für regionale Entwicklung – INTERREG III A<br />

10 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Neben dem Roundtable standen folgende Themenbereiche auf dem Programm: „Kommunikation in<br />

Projektgruppen“ (mit dem Innsbrucker Kommunikationstrainer und Theaterpädagogen Wolfgang<br />

Jäger), „Interkulturelle Kommunikation“ (mit Kamila Hlavsová und Carsten Lenk von der tschechischdeutschen<br />

Jugendaustauschorganisation „Tandem“) und „Grenzüberschreitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“<br />

(mit dem tschechischen Journalisten Ondřej Tomek und dem österreichischen Publizisten<br />

Peter Klimitsch).<br />

Beim Roundtable saßen vier VertreterInnen sehr unterschiedlich aufgebauter mitteleuropäischer<br />

Netzwerke am Tisch. Die Vorstellungsrunde eröffnete Ludvík Hlaváček vom Prager Zentrum für zeitgenössische<br />

Kunst, das zusammen mit anderen Zentren in Mittel- und Osteuropa das mitteleuropäische<br />

Netzwerk I_CAN bildet. Bei den drei anderen Netzwerken handelte es sich um die<br />

Veranstalter des Seminars, das in Kooperation mit der ACCC (Austrian Czech Cultural Cooperation)<br />

und dem Brünner Verein Kulturní Cirkus organisiert worden war, wobei letzterer sowohl <strong>MitOst</strong>-<br />

Mitglied als auch ACCC-Partner ist. ACCC bemüht sich um eine systematische Vernetzung der Kulturund<br />

Kunstszene der tschechisch-österreichischen Grenzregionen, also um den Aufbau eines regionalen<br />

bzw. Regionen verbindenden Netzwerks. <strong>MitOst</strong> stellt dagegen ein internationales Netzwerk<br />

dar, das wohl in erster Linie im Bildungsbereich anzusiedeln ist. Die Mitglieder des Vereins Kulturní<br />

Cirkus wiederum sehen ihren Verein nicht nur als eine Art Knotenpunkt dieser beiden Netzwerke,<br />

sie fühlen mit ihren künstlerischen Aktivitäten in Brünn auch eine starke Verwobenheit mit der<br />

Kulturszene dieser Stadt.<br />

Internationale Projekte werden nicht nur durch gezielte Vernetzung ermöglicht, sondern fördern auch<br />

weitere Vernetzung, woraus wiederum weitere Projekte entstehen können. Ich versetze mich hier in<br />

die Rolle eines Visionärs und stelle mir folgendes Szenario vor: Lasst uns einige Stränge miteinander<br />

verknüpfen zu Projektpartnerschaften. Lassen wir doch im Jahr 2004 entlang der gesamten<br />

tschechischen Grenze Kunst, Kultur und Kommunikation in tausend und einer Sprache aufleben.<br />

Feiern wir beispielsweise in Brünn das Festival Multi-Kulti Brno ohne Bomben und Granaten, aber<br />

mit Farben, Tanz, Musik, Gedichten und Straßenkunst. Natürlich gäb’s in diesem Rahmen auch ein<br />

klassisches <strong>MitOst</strong>-Projekt mit StudentInnen aus ganz Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die beispielsweise<br />

eine Festivalwanderzeitschrift schreiben und herausgeben oder der Frage „Ist Multikultur eine<br />

Monokultur?“ nachgehen oder vielsprachiges Theater spielen… zumindest den Ideen sind hierbei<br />

keine Grenzen gesetzt. Doch an dieser Stelle geht’s eher um eine Skizzierung als um eine umfassende<br />

Darstellung von Möglichkeiten.<br />

Nur folgendes sei noch erwähnt: Es laufen bereits Kooperationsgespräche mit unterschiedlichen<br />

Leuten. Wer Ideen hat und Lust verspürt, mitzumachen, ist aufgefordert, es zu tun! Meldet euch einfach<br />

beim Autor unter folgender Adresse: Kulturní Cirkus, Veverí 59, CZ-602 00 Brno.<br />

kulturnicirkus@quick.cz.<br />

Das Klavier kracht zu<br />

Workshop und Konzert während der<br />

Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik<br />

Foto:<br />

Steffen Giersch<br />

Philipp Unger,<br />

25, Student für Soziologie, Projektassistent am Dresdner<br />

Zentrum für Zeitgenössische Musik<br />

Bei einem internationalen Treffen im Oktober 2002 begegneten sich junge Autoren<br />

und Komponisten aus Ländern Mittel- und Osteuropas in Dresden. Ziel war die Suche<br />

nach Chancen, Lyrik und Musik auf einer gemeinsamen Bühne zu präsentieren. Es<br />

sollten bestehende Barrieren zwischen beiden Künsten aufgebrochen werden. Mit<br />

Unterstützung der Berliner Autorin Marion Porschmann und des Dresdner<br />

Komponisten Hartmut Dorschner erarbeiteten die Teilnehmer ihre Präsentationen.<br />

Elektroakustische Klangteppiche und Hintergrundgeräusche wurden verwendet oder<br />

Gedichte in mehreren Sprachen gleichzeitig vorgelesen. Auf diese Art und Weise entstanden<br />

neue, eigenständige Werke.<br />

Eingebettet wurden die Ergebnisse in ein Konzert des Ensembles THE FRESCOS aus Odessa. Auf dem<br />

Programm standen u.a. drei Uraufführungen; Darija Andovska vertonte Eindrücke aus Mazedonien:<br />

den Krieg der letzten Jahre und die Suche nach innerem Frieden, den Wunsch nach einem Abschluss<br />

mit der Vergangenheit – verarbeitet durch lautes Zukrachen des Klavierdeckels. Eindrücke eines<br />

Aufenthalts auf dem Lande spiegelten sich im Stück von Ludmila Yurina wider. Am Ende des Abends<br />

erklang die Komposition „For Hero“ von Alla Zagaykewytsch, eine Suche nach der Musik eines in<br />

einer Novelle von Milorad Pavic spielenden Quartetts.<br />

PROJEKTINFO:<br />

„Miteinander – Erfahrungen in Mitteleuropa“<br />

unter diesem Motto fand vom<br />

3. - 6. Oktober 2002 in Dresden ein<br />

Workshop und Konzert mit „The Frescos„<br />

Contemporary Music Ensemble, Odessa,<br />

sowie jungen Autoren und Komponisten<br />

aus Mittel- und Osteuropa statt. Während<br />

des Workshops wurde ein musikalischliterarisches<br />

Programm erarbeitet.<br />

Die Teilnehmer aus der Ukraine, Polen,<br />

Deutschland, Mazedonien und Rumänien<br />

stellten zeitgenössische Musik<br />

und Texte zusammen. Außerdem wurden<br />

Konzerte besucht, um sich mit internationalen<br />

Tendenzen in der Zeitgenössischen<br />

Musik auseinanderzusetzen. Das<br />

öffentliche Abschlusskonzert des Workshops<br />

war am 5. Oktober in der Aula der<br />

Betriebsgenossenschaftlichen Akademie<br />

in Dresden.<br />

(Der Workshop wurde auch unterstützt<br />

von der Kulturstiftung des Freistaates<br />

Sachsen und dem Kulturamt Dresden)<br />

Weitere Informationen:<br />

Andreas Lorenz, lorenz@zeitmusik.de<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 11


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 12<br />

PROJEKTE 2002<br />

Es war viel wärmer,<br />

als ich es mir vorgestellt habe<br />

Zitate aus der ProjektNetzWerkStatt im November 2002<br />

MITOST INTERN<br />

PROJEKTINFO:<br />

Die Zitate stammen aus der ProjektNetz-<br />

WerkStatt, die im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />

vom 3.- 6. November<br />

2002 in Werftpfuhl bei Berlin stattfand.<br />

Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof –<br />

der Berliner <strong>MitOst</strong>-Salon<br />

Foto: Nils-Eyk Zimmermann<br />

Boris Blahak, Boschlektor in Brünn/Tschechien<br />

Die Werkstatt war in ihrer heterogenen Zusammensetzung als Kontaktform sehr erfrischend, anregend und<br />

motivierend. Ein Durchexerzieren konkreter Projektbeispiele, die Vergabe von konkreten Textmustern<br />

(Pressemitteilungen, Anträge) sowie eine Verlängerung der Werkstatt um 2-3 Tage, um den informellen<br />

Austausch zwischen den Teilnehmern zu fördern, sind jedoch zu empfehlen.<br />

Anna Sosna, <strong>MitOst</strong>-Mitglied, Polen<br />

Die Teilnahme an der ProjektNetzWerkStatt war für mich eine tolle Gelegenheit, mein Wissen rund um die<br />

Projektarbeit zu systematisieren und zu bereichern. Der Leitfaden, den wir bekommen haben (z.B., wie macht<br />

man die Abrechnung, wie schreibt man eine gute Pressemitteilung), wird mir in Zukunft viel Zeit ersparen und<br />

meine Arbeit konstruktiver machen.<br />

Heike Mall, Boschlektorin, Irkutsk/Russland<br />

Für mich als Boschlektorin war besonders wichtig, direkten Kontakt zu Kollegen und anderen Projektleitern<br />

zu haben, die sonst Tausende Kilometer von meinem Lektoratsort entfernt sind. Die Kreativität, die dabei<br />

freigesetzt wurde und die Ideen haben nicht nur Impulse gegeben, sondern die Projektarbeit weitergebracht.<br />

Weniger hilfreich waren teilweise die Programmangebote, die oft zu allgemein und elementar waren.<br />

Ehrenamtliche Projekte sind vielfältig:<br />

Filmworkshop in Brünn, Studentenzeitung<br />

in Nowosibirsk oder Künstlerfestival in<br />

Tschechien. Aber die konkrete Durchführung<br />

wirft viele Fragen auf: Wie berechne<br />

ich die Projektkosten? Wo lassen sich Partner<br />

und Förderer finden? Wie kann ich<br />

mein Projekt optimal evaluieren und dokumentieren?<br />

Auf der ProjektNetzWerkStatt Nr. 1 wurde<br />

40 Teilnehmern eine umfassende Schulung<br />

im Projektmanagement angeboten. In<br />

kleinen Gruppen und rotierenden Workshops<br />

wurde vier Tage lang intensiv gearbeitet.<br />

Es ging gleichzeitig um die Vernetzung<br />

von Menschen: den eingeladenen<br />

Projektleitern des <strong>MitOst</strong> e.V., des<br />

Theodor-Heuss-Kollegs, der Lektorenprogramme<br />

und des Tutorenprogramms.<br />

Die ProjektNetzWerkStatt soll künftig<br />

regelmäßig stattfinden – das nächste Mal<br />

im Rahmen des Internationalen <strong>MitOst</strong>-<br />

Festivals 2003 in Pécs.<br />

Nils-Eyk Zimmermann, Studium der Politikwissenschaften, Mitarbeit in der Berliner Regionalgruppe und der Internet AG des <strong>MitOst</strong>-Vereins, Berlin<br />

Foto: Jewgenij Muratow<br />

Neben roten, grünen und blauen Salons, Gummi-, Friseur-, Autound<br />

Hundesalons hat die deutsche Hauptstadt seit einiger Zeit auch<br />

einen <strong>MitOst</strong>-Salon. Mit seinem monatlichen Programm hat er sich<br />

mittlerweile etabliert und ist zu einem der Fixpunkte in den Terminplanern<br />

der Berliner <strong>MitOst</strong>-Mitglieder sowie weiterer Bindestrichund<br />

Ohne-Bindestrich-Europäer geworden. Ziele des Salons sind<br />

der Austausch und die Kooperation mit anderen MOE-Enthusiasten:<br />

Bei gemeinsam organisierten Veranstaltungen können diese ihre<br />

Arbeit und ihre Ideen in angenehmer Atmosphäre vorstellen.<br />

Raumzeit<br />

An jedem dritten Mittwoch im Monat ist Salonzeit. Der Ort hängt<br />

vom Thema und vom Programmpartner der jeweiligen Veranstaltung<br />

ab. Die Website des Salons informiert über die genauen<br />

Koordinaten: www.mitost-salon.de. Wem das zu umständlich ist,<br />

der kann sich auch einen regelmäßig erscheinenden Newsletter<br />

zuschicken lassen, der über alle Termine informiert.<br />

Programm und Ausblick<br />

Den Schwerpunkt des Salons bilden kulturelle Veranstaltungen. So<br />

wurde im Januar 2003 der Kurzfilm „Granica“ gezeigt, der vom Alltag<br />

am Grenzübergang auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt/Oder<br />

und Slubice berichtet. In drei Episoden erzählt Granica von deutschpolnischer<br />

Nachbarschaft, von jungen Ganoven und alten Ressentiments,<br />

von Furcht und Liebe. An diesem Abend stellte sich auch der<br />

deutsch-polnische Kulturverein REJS e.V. vor. Ein weiterer Salonabend:<br />

Jenseits von Grass, Goethe und Co. - über das Übersetzen<br />

und aktuelle deutsche Literatur in Polen mit der Übersetzerin<br />

Alicja Rosenau. Sie übertrug Thomas Brussigs „Am kürzeren Ende der<br />

Sonnenallee“ und Richard Wagners „Miss Bukarest“ ins Polnische.<br />

Im April wurde der Film: „Der chinesische Markt“ gezeigt. Er dokumentiert<br />

einen der größten europäischen Märkte in Budapest.<br />

Dieser Platz ist einer der wichtigsten Knotenpunkte von Menschenströmen<br />

im östlichen Europa. Im Collegium Hungaricum, dem ungarischen<br />

Kulturinstitut in Berlin, diskutierte das Publikum mit dem<br />

Regisseur Zoran Solomun.<br />

In den nächsten Monaten sind weitere Kooperationen geplant, etwa<br />

mit der Sprach- und Kulturbörse an der Technischen Universität<br />

Berlin. Einen Austausch wird es auch mit dem internationalen Theaterfestival<br />

Unidram in Potsdam geben, das die Zusammenarbeit mit<br />

Künstlern verschiedener Länder in Gang bringt.<br />

Kontakt und Kooperation<br />

Die Saloneros und Salonitas freuen sich über jedes Interesse sowie<br />

Vorschläge und Ideen.<br />

Kontakt über<br />

tippse@mitost-salon.de<br />

www.mitost-salon.de<br />

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1. Internationales <strong>MitOst</strong>-Festival<br />

11.-16. November 2003 in Pécs/Ungarn<br />

Foto: Gereon Schuch<br />

Anne Stalfort, Geschäftsführerin des <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Das Festival, das die klassischen Mitgliederversammlungen der letzten Jahre ablöst, ist die zentrale<br />

<strong>MitOst</strong>-Veranstaltung im Jahr 2003. Fünf Tage lang präsentieren Vereinsmitglieder und<br />

Partnerinstitutionen einer breiten Öffentlichkeit die Ergebnisse erfolgreicher <strong>MitOst</strong>-Projektarbeit:<br />

internationale Künstlerwerkstätten, länderübergreifende Seminare, Kultur- und Medienprojekte<br />

und vieles andere. Parallel entwickeln die Festival-Teilnehmer in kleinen, fachkundig<br />

betreuten Teams neue Projektideen für das folgende Jahr, werden im Projektmanagement<br />

geschult und nehmen an kreativen Workshops teil.<br />

Mit Teilnehmern aus mehr als 20 Ländern sorgt das Festival für multikulturelles Flair in der<br />

Universitätsstadt Pécs. Zahlreiche lokale und überregionale Partner ermöglichen ein breites kulturelles<br />

Rahmenprogramm und sorgen so für die öffentliche Präsenz des Festivals in der ganzen Stadt. Die<br />

Schirmherrschaft übernimmt der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn, Wilfried<br />

Gruber. Das Festival wird neben der Robert Bosch Stiftung von zahlreichen nationalen und internationalen<br />

Institutionen und Organisation unterstützt.<br />

Ziel des Internationalen <strong>MitOst</strong>-Festivals ist die Förderung ehrenamtlichen Engagements für kulturelle<br />

und künstlerische Ost-West-Verbindungen durch öffentliche Präsentation erfolgreicher Projekte. Das<br />

jährlich in verschiedenen Städten Mittel- und Osteuropas stattfindende Festival soll durch seine Außenwirkung<br />

und die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern einen großen Kreis von Interessierten erreichen,<br />

die ihrerseits als Teilnehmer oder Initiatoren von Folgeprojekten ermuntert, vernetzt und gefördert werden.<br />

Außerdem soll genügend Zeit bleiben, um auch inhaltlich über die weitere Entwicklung des<br />

Vereins zu diskutieren … und natürlich, um gemeinsam zu f e i e r n ! ! !<br />

PROJEKTINFO:<br />

Auf der Homepage www.mitost.de<br />

sind ständig aktualisierte Informationen<br />

zum Festival und zur Anmeldung zu finden.<br />

Das Organisationsteam in Pécs ist für<br />

jede neue Idee offen und freut sich auf<br />

Anregungen und Vorschläge unter<br />

mitost-festival@mitost.de<br />

Anmeldeschluss: 01. August 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 13


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 14<br />

MITOST INTERN<br />

Der neue Vorstand<br />

Regionalisierung von <strong>MitOst</strong>: Die Ländervertreter<br />

Gereon Schuch, (1. v. links) 1. Vorsitzender,<br />

32, Studium der Osteurop. Geschichte, Rechtswissenschaft und<br />

Ethnologie, 1998-2000 Boschlektor in Pécs (Ungarn), 2001-2003<br />

Promotion über ungarische Hochschulgeschichte, seit 2000 im<br />

<strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />

Waldemar Czachur, (ganz rechts) 2. Vorsitzender,<br />

26, Studium der Germanistik, gegenwärtig Promotion an der<br />

Universität Warschau, Seminarleiter beim Theodor-Heuss-Kolleg,<br />

seit 2000 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />

Esther Smykalla, (5. v. links) Schatzmeisterin,<br />

31, Studium der Romanistik, Germanistik und Komparatistik, 1999-<br />

2001 Boschlektorin in Banská-Bystrica (Slowakei), 2001-2003<br />

DAAD-Lektorin in Bratislava (Slowakei), seit 2003 Geschäftsführerin<br />

des Internationalen Universitätskollegs der TU-Chemnitz,<br />

seit 2001im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />

Anna Veigel, (oben) Beisitzerin,<br />

34, Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaften in<br />

Marburg, 2000-2002 Boschlektorin in Szeged (Ungarn), gegenwärtig<br />

Programmkoordinatorin beim Internationalen Christlichen<br />

Jugendaustausch e.V. in Berlin, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vostand.<br />

Barbara Baumann, (2. v. links) Beisitzerin,<br />

29, Studium der Germanistik, Geschichte, Englischen Sprachwissenschaft<br />

und des Deutschen als Fremdsprache, 2000 -2002<br />

Boschlektorin in Pécs (Ungarn), Seminarleiterin im Theodor-<br />

Heuss-Kolleg, gegenwärtig Vorstandsassistentin bei der Signal<br />

Versicherung Budapest, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />

Malgorzata Tomaszkiewicz, (vorne) Beisitzerin,<br />

24, Studentin der Germanistik, Musik (Klavier), der internationalen<br />

Migrationsbewegungen und der Völkerkunde in Krakau (Polen),<br />

seit 2 Jahren erste Vorsitzende des Germanistenkreises an der<br />

Krakauer Universität, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />

Seit langem wird über die Regionalisierung der <strong>MitOst</strong>-<br />

Aktivitäten diskutiert. Die Mitgliederversammlung in Berlin<br />

setzte diese Idee nun um und benannte für jedes <strong>MitOst</strong>-Land<br />

einen „Ländervertreter“. Dieser ist als Ansprechpartner für die<br />

Mitglieder in seiner Region zuständig, betreut sie und koordiniert<br />

gemeinsame Aktivitäten. Anfang Februar 2003 haben<br />

sich die Ländervertreter in Berlin getroffen, um das Profil ihres<br />

Amtes und dessen Zuständigkeiten gemeinsam zu entwickeln<br />

und festzulegen. Auf der Mitgliederversammlung während des<br />

<strong>MitOst</strong>-Festivals im November 2003 werden dann die neuen<br />

Ländervertreter für das Jahr 2004 gewählt.<br />

Hier stellen sich einige Ländervertreter vor:<br />

❚ Slowakei:<br />

Ich heiße Daniela Miceková und studiere Germanistik in Prešov.<br />

Die Arbeit als Ländervertreterin macht richtig Spaß. Ich hoffe, ich<br />

gewinne noch mehr aktive Mitglieder für <strong>MitOst</strong>.<br />

❚ Russland (europäischer Teil):<br />

Ich bin Nikolai Kokko und studiere Internationale Beziehungen an<br />

der Sankt Petersburger Universität. Zusammen mit Sergej Leonow<br />

versuche ich, die Ideen von <strong>MitOst</strong> in Russland bekannt zu machen.<br />

❚ Polen:<br />

Ich bin Dorota Wozowicz aus Rzeszów (Süd-Ost-Polen). Ich betreue<br />

über 50 polnische <strong>MitOst</strong>ler. Oft ist es nicht so einfach, die Mit-<br />

Ost-Mitglieder dazu zu bringen, Rückantwort zu geben. Auf sichtbare<br />

Erfolge muss ich noch ein bisschen warten.<br />

Bisher sind folgende Ländervertreter tätig:<br />

Foto: Anne Stalfort<br />

Liebe <strong>MitOst</strong>-Mitglieder,<br />

Gereon Schuch, 1. Vorsitzender<br />

<strong>MitOst</strong>-Mitgliederstruktur-Länderstruktur<br />

Schweiz 7<br />

USA 1<br />

Belgien 1 Italien 4<br />

Spanien 1 Türkei 1 Österreich 4<br />

Irland 1<br />

Griechenland1<br />

Slowenien 2<br />

Japan 1<br />

Finnland 1<br />

Polen 59<br />

Deutschland 325<br />

Weißrussland 44<br />

Tschechien 43<br />

Mitglieder<br />

Ukraine 37<br />

insgesamt: 718<br />

(Stand 30.05.2003)<br />

Russland 44<br />

Ungarn 28<br />

Slowakei 21<br />

Georgien 27<br />

Litauen 16<br />

Bulgarien 11<br />

Lettland 6<br />

Rumänien 5 Bosnien-Herzegowina 1<br />

Armenien 6<br />

Estland 5<br />

Serbien und Montenegro 3<br />

❚ Baltikum (Lettland, Litauen, Estland): Jurgita Aniunaite<br />

baltikum@mitost.de<br />

❚ Weißrussland: Aksana Zaverakhina<br />

belarus@mitost.de<br />

❚ Georgien: Nino Tshirakadze<br />

georgien@mitost.de<br />

❚ Polen: Dorota Wozowicz<br />

polen@mitost.de<br />

❚ Russland (Sibirien): Maria Sacharowa<br />

russland_sib@mitost.de<br />

❚ Russland (europäischer Teil): Sergej Leonow, Nikolai Kokko<br />

russland_eur@mitost.de<br />

❚ Slowakei: Daniela Miceková<br />

slowakei@mitost.de<br />

❚ Tschechien: Stanislav Jilek<br />

tschechien@mitost.de<br />

❚ Ukraine: Sergej Dovshenko<br />

ukraine@mitost.de<br />

❚ Ungarn: Szilvia Varga<br />

ungarn@mitost.de<br />

Allen, die sich dafür interessieren, Ländervertreter zu werden,<br />

steht Waldemar Czachur vom Vorstand zur Verfügung;<br />

vorstand@mitost.de<br />

14<br />

die Dynamik von <strong>MitOst</strong> ist ungebremst! Rasant startet das neue<br />

Jahr mit zahlreichen Aktivitäten. Auch wenn unsere Mitgliederzahl<br />

mit über 700 schon eine beachtliche Größe erreicht hat, bietet<br />

<strong>MitOst</strong> jedem Einzelnen zahlreiche Möglichkeiten der aktiven Teilnahme<br />

am Vereinsleben, internen Diskussion und Weiterentwicklung:<br />

Erstmals kamen im Februar die „Ländervertreter“ aus allen<br />

<strong>MitOst</strong>-Ländern zu einem Treffen nach Berlin, die „Alumnivertreter“<br />

aller bei <strong>MitOst</strong> präsenten Stiftungsprogramme tagten im April in<br />

Stuttgart, in Pécs treffen sich <strong>MitOst</strong>ler regelmäßig zur Vorbereitung<br />

des <strong>MitOst</strong>-Festivals im November 2003. Im Rahmen des Festivals<br />

werden wir dieses Mal „Länderforen“ veranstalten, bei denen<br />

<strong>MitOst</strong>-Aktivitäten in den einzelnen Ländern entwickelt und initiiert<br />

werden können. Daneben wird es „Programmforen“ für die Alumniarbeit<br />

von ehemaligen Stiftungsstipendiaten, also z.B. ehemaligen<br />

Lektoren oder Tutoren, geben. Außerdem gibt es noch die Internet<br />

AG und die Fundraising AG, das Magazinteam, den <strong>MitOst</strong>-Salon in<br />

Berlin sowie die zahlreichen Projektgruppen...<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> lebt – das zeigt sich deutlicher denn je – vom Engagement<br />

seiner Mitglieder! Wir freuen uns über weitere Ideen und<br />

Aktivitäten!<br />

Seit November 2002 amtiert der neue Vorstand: Barbara Baumann,<br />

Malgorzata Tomaszkiewicz und Anna Veigel wurden neu als Beisitzerinnen<br />

in den Vorstand gewählt.<br />

Eine erste große Aufgabe bestand für den neuen Vorstand darin, die<br />

Anfrage der Robert Bosch Stiftung zur Übernahme des Stiftungsprogramms<br />

„Junge Wege in Europa“ in die Trägerschaft des <strong>MitOst</strong> e.V.<br />

zu diskutieren, den Mitgliedern gegenüber darzustellen und eine<br />

Entscheidung herbeizuführen. Die überwiegend positive Resonanz aus<br />

dem Kreis der <strong>MitOst</strong>ler hat den Vorstand in seiner Meinung bestätigt,<br />

dass sich das neue Programm sehr gut in das <strong>MitOst</strong>-Profil einfügt.<br />

Im Herbst wird die nächste Ausschreibung dieses ab Sommer in<br />

unserer Trägerschaft durchgeführten Programms veröffentlicht.<br />

<strong>MitOst</strong> ist in Bewegung! Und wir alle gestalten den Weg!<br />

Wir wünschen weiterhin viel Spaß bei <strong>MitOst</strong>!<br />

Ein Leben nach Bosch ?<br />

Alumnivertreter bei <strong>MitOst</strong><br />

Katrin Peerenboom war mit dem Programm „Völkerverständigung<br />

macht Schule“ in Krakau<br />

Andreas Goldthau, 2001/2002 Boschlektor in Tjumen/Russland<br />

Nach erfolgreichem Auf- und Ausbau der Projektarbeit im Rahmen<br />

von <strong>MitOst</strong> in den letzten Jahren war auf der Mitgliederversammlung<br />

im November 2002 klar: die Alumniarbeit im Rahmen des Vereins<br />

muss neu aufgestellt werden. Die jeweils zwei Vertreter der vier verschiedenen<br />

Programme (Theodor-Heuss-Kolleg, Völkerverständigung<br />

macht Schule, Lektoren, Tutoren) begaben sich in Stuttgart auf<br />

die Suche nach Struktur, Identität und Bedürfnissen der Altstipendiaten.<br />

Nach zwei Tagen Diskussion, Konzeptentwurf und anschließender<br />

Präsentation in der Stiftung stand das Gerüst für die weitere<br />

Alumniarbeit. Diese sieht vor allem eine inhaltliche und strukturelle<br />

Stärkung der „zweiten Säule“ in <strong>MitOst</strong> vor, der „Alumniplattform“.<br />

Wie geht’s weiter? Die Ergebnisse werden auf der <strong>MitOst</strong>-Homepage<br />

vorgestellt und auf dem <strong>MitOst</strong>-Festival im November 2003 in Pécs<br />

(Ungarn) werden die bis dahin umgesetzten Ideen präsentiert und<br />

neue Alumnivertreter gewählt.<br />

Dies war ein erster Schritt der Vertreter, das Projekt und seine<br />

Umsetzung lebt von Euch! Hinweise, Anregungen und Wünsche zur<br />

Mitarbeit bitte an die Alumnivertreter:<br />

Monika Sus (THK): monika.sus@psi.wroc.pl<br />

Susan Rößling (VmS): susan_roessling@yahoo.de<br />

Katrin Peerenboom (VmS): peerenb@gmx.de<br />

Silvia Machein (Lektoren): mediatrixx@web.de<br />

Andreas Goldthau (Lektoren): andreas@goldthau.de<br />

Sergey Logvinov (Tutoren): logvinov@newmail.ru<br />

Monika Paluch (Tutoren): monika.paluch@gmx.de


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 16<br />

THEMA<br />

Leben und leben lassen…<br />

Dorothea Leonhardt, Marketing-Managerin, München<br />

Arndt Lorenz, Journalist, Dresden<br />

Fotos:<br />

Sören Urbansky, 23, Studium der<br />

Kulturwissenschaften an der Viadrina/<br />

Frankfurt an der Oder.<br />

Die Bilder zeigen Wohnungen in Moskau<br />

und gehören zum Fotoprojekt „Lebenswelten“,<br />

das soziale Milieus untersucht.<br />

soeren@urbansky.org<br />

16 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

... gaben gleich 3 von 71 <strong>MitOst</strong>lern als Lebensmotto an, die sich die Mühe machten, eine Umfrage des <strong>MitOst</strong>-<br />

Magazins zu Werte- und Moralvorstellungen zu beantworten. Es beteiligten sich 33 Mitglieder aus Deutschland,<br />

eins aus Frankreich und 37 aus den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE). Das heißt, etwa jedes zehnte<br />

Vereinsmitglied schickte uns die Antworten zurück. Da pro osteuropäischem Land zwischen einer und sechs E-<br />

Mails eingingen, fassten wir kurzerhand diese Antworten zu einer gemeinsamen„MOE-Gruppe“ zusammen. Unter<br />

den Einsendern war jedes Alter zwischen 18 und 42 vertreten. Viele der antwortenden <strong>MitOst</strong>ler aus Osteuropa<br />

hielten sich gerade in Deutschland auf. Herausgekommen ist eine Statistik, die in keiner Weise repräsentativ ist,<br />

aber trotzdem einige interessante Rückschlüsse zulässt.<br />

Eine große Familie<br />

Allgemein hat sich bei der Auswertung gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Ländern nicht sehr gravierend<br />

sind (Ausnahmen bestätigen die Regel). So möchten viele der Befragten gern mit ihrem Lebenspartner zusammenleben.<br />

Auch den Wert der Familie an sich will niemand in Abrede stellen. Auffällig ist, dass fast alle Befragten<br />

aus MOE-Ländern die Familie wichtig finden - nur einer ist unentschieden -, während von den 33 Deutschen doch<br />

immerhin 3 nichts mit Familie im Sinn haben und 6 sich nicht festlegen wollen. Heiraten wird vor allem in MOE-<br />

Ländern als wichtig erachtet, obwohl es natürlich auch hier Kritik an der Ehe als Institution gibt. So fordert ein Pole,<br />

die Ehe solle doch keine „Wette um das Alter“ sein. Interessant ist, dass sich 19 – also über die Hälfte der 33<br />

Deutschen - in puncto Heiraten nicht festlegen wollen.<br />

Glaube ja – Kirchgang nein<br />

Viele der Befragten messen der Religion eine wichtige Rolle bei. Die meisten gehen jedoch kaum noch in die Kirche<br />

oder beteiligen sich nur sporadisch am Gemeindeleben. Hier gibt es aber von Land zu Land starke Unterschiede:<br />

So wird in religiös stark geprägten Ländern wie Polen erwartungsgemäß die Integration der Religion in den Alltag<br />

viel öfter von den Befragten hervorgehoben als anderswo. Erstaunlich ist, dass unter den polnischen Einsendern oft<br />

der moralische Zwang zum Kirchgang betont wird. In Ländern der ehemaligen Sowjetunion mit eher atheistischer<br />

Tradition spielt die Kirche keine so dominante Rolle. Die Anzahl von Katholiken, evangelisch Gläubigen und<br />

Atheisten unter den deutschen Befragten ist etwa gleich. Die Osteuropäer sind vorwiegend katholisch oder orthodox.<br />

Ein Mitost-Mitglied der Umfrage bekennt sich zum islamischen Glauben.<br />

Orangen und Äpfel<br />

Dem Thema Homosexualität stehen die meisten <strong>MitOst</strong>ler tolerant gegenüber. Manche Befragte aus MOE-Ländern<br />

weisen aber auf Schwierigkeiten hin, mit denen diese Menschen in ihrer Heimat zu kämpfen haben (s. auch S. 20<br />

– 22). Von den 6 an der Umfrage beteiligten Ukrainern empfindet die Hälfte von ihnen Homosexualität als unangenehm.<br />

Aus Weißrussland kam die Antwort, dass jeder ein Recht darauf hätte, was er am liebsten mag: „Orangen<br />

oder Äpfel, Frauen oder Männer“.<br />

Rennende Ratten<br />

Viele geben an, dass der Beruf für sie wichtig sei, schließlich verbringe man ja viel Zeit seines Lebens mit Arbeiten.<br />

Dabei steht für die meisten weniger die Karriere im klassischen Sinne als vielmehr die Selbstverwirklichung und die<br />

Freude an der Tätigkeit im Vordergrund. Vor allem für weibliche Befragte aus MOE-Ländern ist es wichtig, den Beruf<br />

mit der Familie zu vereinbaren. Eine Polin vergleicht den Drang nach Karriere mit einem Rattenrennen, an dem sie<br />

nicht um jeden Preis teilnehmen wolle. Die Selbstverwirklichung spielt manchmal sogar eine untergeordnete Rolle:<br />

ein zwanzigjähriger Ukrainer will Karriere machen, damit er seiner Heimat etwas Gutes tun kann.<br />

Fernsehen macht blöd<br />

Erstaunt hat uns, dass der Einfluss der Massenmedien auf Werte und Moralvorstellungen nur in Deutschland als<br />

hoch eingeschätzt wird - gab es doch gerade in den MOE-Ländern lange Zeit sehr viel Massenpropaganda über Presse,<br />

Funk und Fernsehen. Möglicherweise messen heute die Osteuropäer den Massenmedien nach ihrer Liberalisierung<br />

in den 90er Jahren weniger Bedeutung bei. Also keine Angst vor „den Superstars“? Die meisten der Befragten finden,<br />

dass die Werte- und Moralgrundlagen in erster Linie immer noch von den Eltern im trauten Zuhause vermittelt werden.<br />

Alles wird gut<br />

Bleibt zum Schluss noch die Frage, welches Lebensmotto den Mitostlern eigen ist: „Ora et labora“(Bete und<br />

Arbeite) wird gleich zweimal genannt, aber auch „In die Vollen gehen“. Die Antworten reichen von „Vorbereitung<br />

auf den Tod“ bis hin zum Zweckoptimismus „Alles wird gut“. Zum Glück lässt sich nun wirklich nicht alles in Schubladen<br />

fassen - die unterschiedlichen Antworten zum Sinn des Lebens sprechen für sich. Die Umfrage hat gezeigt, dass<br />

der <strong>MitOst</strong>-Verein eine bunte Truppe ist, deren Mitglieder vieles verbindet und für die gilt: „Leben und leben lassen“.<br />

Umfrage-Auswertung<br />

Foto: Sören Urbansky<br />

Anzahl der Antworten: Deutschland 33, Frankreich 1, MOE = 37<br />

(MOE: Polen = 9, Weißrussland = 6, Russland = 6, Slowakei = 1, Estland = 1, Georgien = 1, Tschechien = 4, Ukraine = 6, Ungarn = 2, Rumänien = 1)<br />

Haben Sie einen Lebenspartner?<br />

Sollte man heiraten?<br />

Ja: D = 21 MOE = 17<br />

Ja: D = 6 MOE = 17<br />

Nein: D = 12 MOE = 20<br />

Unentschieden: D = 20 MOE = 9<br />

Nein: D = 8 MOE = 6<br />

Leben Sie mit Ihrem Lebenspartner zusammen?<br />

Ja: D = 14 MOE = 5<br />

Welcher Religion gehören Sie an?<br />

Nein: D = 12MOE = 20<br />

Keiner: D = 11 MOE = 7<br />

Christlich: D = 0 MOE = 4<br />

Sind Sie verheiratet?<br />

Katholisch: D = 12 MOE = 14<br />

Ja: D = 9 MOE = 4<br />

Evangelisch: D = 11 MOE = 2<br />

Nein: D = 22 MOE = 32<br />

Orthodox: D = 0 MOE = 9<br />

Haben Sie eigene Kinder ?<br />

Islam: D = 0 MOE = 1<br />

Nein: D = 27 MOE = 32<br />

Welchen Stellenwert hat für Sie die Religion?<br />

Ja: D = 7 MOE = 4<br />

Großen: D = 13 MOE = 16<br />

Gesamtzahl „<strong>MitOst</strong>-Kinder“: D = 16 MOE = 6<br />

Unentschieden: D = 7 MOE = 8<br />

Geringen: D = 3 MOE = 3<br />

Wie wohnen Sie ?<br />

Keinen: D = 11 MOE = 7<br />

Eigene Wohnung: D = 26 MOE = 7<br />

Bei den Eltern: D = 0 MOE = 16<br />

Nehmen Sie am kirchlichen Gemeindeleben teil?<br />

In WG: D = 4 MOE = 7<br />

Oft: D = 1 MOE = 4<br />

Mit mehreren im Zimmer: D = 1 MOE = 6<br />

Selten:D = 10 MOE = 11<br />

Nie: D = 11 MOE = 7<br />

Wie würden Sie gerne wohnen?<br />

Allein: D = 4 MOE = 8<br />

Wie denken Sie über Homosexualität?<br />

Mit Lebenspartner: D = 24 MOE = 26<br />

Normal, natürlich: D = 30 MOE = 25<br />

Bei Eltern: D = 3 MOE = 2<br />

Problematisch, unangenehm: D = 3 MOE = 6<br />

Ohne Eltern: D = 2 MOE = 1<br />

Krankhaft: D = 1 MOE = 5<br />

In WG: D = 1 MOE = 1<br />

Wie bedeutet Ihnen Ihre eigene Karriere?<br />

Ist Ihnen Familie und Ehe wichtig?<br />

Wichtig: D = 17 MOE = 15<br />

Ja: D = 25 MOE = 33<br />

Nicht wichtig: D = 6 MOE = 3<br />

Unentschieden: D = 6 MOE = 1<br />

Arbeit muss vor allem Spaß machen: D = 5 MOE = 3<br />

Nein: D = 3 MOE = 0<br />

Will mich selbst verwirklichen: D = 5 MOE = 7<br />

Familie ist wichtiger: D = 0 MOE = 6<br />

Wer hat den größten Einfluss auf Werte- und Moralvorstellungen?<br />

Familie und Bekannte: D = 20 MOE = 32<br />

Bildungswesen: D = 1 MOE = 1<br />

Massenmedien: D = 10 MOE = 2<br />

<strong>MitOst</strong>-Verein: D = 0 MOE = 1<br />

Unentschieden: D = 5 MOE = 3<br />

Was ist Ihr Lebensmotto?<br />

Aktivität: D = 10 MOE = 14<br />

Sorgenfreiheit: D = 11 MOE = 11<br />

Bildung/Erkenntnis: D = 7 MOE = 6<br />

Sonstiges (Geld etc.): D = 6 MOE = 1<br />

(Eine ausführlichere Auswertung ist im Internet unter www.mitost.de abrufbar.)


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 18<br />

THEMA<br />

Undercover-Theologe in Polen<br />

Andreas Prokopf,<br />

Studium der Publizistik und kath. Theologe, seit 2002 Boschlektor in Chelm<br />

Logo: Boris Bartels, dreimarketing GmbH<br />

Land und Liebe<br />

Holger Schnelle, freier Autor und Journalist, München<br />

Fotos: Sören Urbansky<br />

THEMA<br />

Während meines Lektorats für deutsche Landeskunde in Chelm (Ostpolen) merkte ich bald,<br />

dass ich den Schülern Deutschland am besten über für mich vertrautes Terrain, die Religion,<br />

nahe bringen konnte: die (Ab)-Gründe und Konsequenzen des Calvinismus für Schwaben und<br />

Norddeutschland, die deutsche Vorliebe dezentraler Regierungsformen, die Folge eines nachreformatorischen<br />

„cuius regio, eius religio“ 1<br />

war, und die religiös-kultischen Wurzeln des (katholischen)<br />

Karnevals im Gegensatz zur protestantischen Verstandesbezogenheit. Diese Themen<br />

weckten bei den Lernenden Interesse: Neu für die Schüler war, dass so viel Pluralität aus einer<br />

religiösen Quelle entsprang. Dies wurde interessiert, aber auch mit gewissen Vorbehalten<br />

angenommen; kannte man doch bisher nur das Christentum in der polnisch-katholischen<br />

Variante, die im Lande kein Konkurrenzmodell hat – die Kirche gilt als Autorität. Den Schülern<br />

hat diese neue Sichtweise geholfen, die Vielfalt deutscher Mentalitäten anhand der unterschiedlichen<br />

konfessionellen Herkunft zu begreifen.<br />

Neben meiner Tätigkeit in Chelm hatte ich Gelegenheit, einen Gastvortrag an der Hochschule der<br />

Jesuiten in Krakau (Ignacianum) zu halten. Die Vorträge begannen mit einer für mich ‚befremdlichen’<br />

Zeremonie: einem Gebet. Mir als deutschem Theologen war dies beinahe unheimlich, ich fühlte mich<br />

in meiner Privatsphäre belangt.<br />

Wisla Kraków hatte gerade Schalke 04 im Ruhrpott 4:1 abgefertigt, und ich nahm das zum Anlass,<br />

über kultanaloges Verhalten von Fußballfans zu ‚dozieren’: Ein Blick in die wöchentliche Sportpresse<br />

zeigt, wie eng die Bande des Fußballsportes zu den rituell-religiösen Wurzeln geknüpft sind:<br />

„[...] das Unglaubliche geschieht. Der gütige Himmel schenkt dem Tabellenletzten Mainz 05 zwei<br />

Tore. Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich ein Leben nach dem Tod beim FSV Mainz 05 an“.<br />

Hier, fasste ich zusammen, wird Stoff tradiert, den die Fans in ihren Lebensvollzug aufnehmen, hier<br />

geschieht die schriftlich fixierte Überhöhung des Fußballgeschehens. Oft ist die Rede von einem<br />

„Fußballgott“, nicht selten wird ein Tor in die Form einer legendenhaften Wundererzählung gebracht,<br />

einzelne Spieler erhalten eine bestimmte Rolle in der Heilsdramaturgie der Fußballwelt. Das kultische<br />

Ausagieren all dieser Affekte müsste die Fans meiner Meinung nach viel interessanter für die<br />

Kirche machen, denn sie sind bereits eine spielende Gemeinde.<br />

Nach dem Vortrag gab es verhaltenen Beifall. Dann die ersten Rückfragen: Ist das nicht ein wenig<br />

übertrieben, Fußballfans und deren offensichtlich sinnloses Verhalten so überzuinterpretieren? Ich<br />

antwortete, dass ich nur beobachtet hätte, wo Kult und Ritus im deutschen Alltag vorkommen. Ich<br />

wies darauf hin, dass sich nur noch eine Minderheit in der jungen Generation in Deutschland zur<br />

Kirche bekenne und man deshalb die Religion da wahrnehmen müsse, wo sie auftauchte. Nein,<br />

schallte es mir entgegen, Evangelisation und Nachfolge Christi seien zu lehren, man dürfe sich nicht<br />

der ‚Welt’ und ihrem Konsumzwang aussetzen. Ich fragte nach, ob nicht Christus genau in diese Welt<br />

hineingeboren wurde? Es kam zurück, dass er sich aber nicht mit der ‚Welt’ identifiziert habe. Ich hielt<br />

zum Besten, dass er sein Leben aber mit gesellschaftlich randständigen Menschen verbrachte und<br />

diese zu verstehen suchte. Nein, lautete der Konter, er sei ein Menschenfischer gewesen und habe<br />

die Menschen von ihren Götzen befreit.<br />

Einer der ersten Kommentare meiner damals zukünftigen slowenischen Schwiegermutter zu<br />

mir, ihrem deutschen Schwiegersohn, war, dass ein Verhältnis zwischen zwei Menschen aus<br />

unterschiedlichen Ländern, aus rund 800 Autobahn-Kilometer voneinander entfernt liegenden<br />

Geburtsorten, nicht funktionieren könne; warum also überhaupt damit anfangen. Nach zehn<br />

Jahren deutsch-slowenischer Partnerschaft bzw. Ehe mussten wir feststellen, dass 800 Kilometer<br />

tatsächlich zuviel waren. Um mit Elisabeth Beck-Gernsheim zu sprechen: „Die traditionellen<br />

Bindungen der vormodernen Gesellschaft lösen sich zunehmend auf (...) , der Lebenslauf<br />

wird an vielen Punkten offener und gestaltbarer. (...) Das gemeinsame Fundament muss<br />

immer mehr von den beiden Personen individuell hergestellt werden. Dies wird um so<br />

schwieriger, je ferner die Welten sind, aus denen sie kommen.” 1<br />

Wo liegen die Unterschiede? Mein Schwiegervater protestierte, als ich Slowenien als „agrarisch<br />

geprägten Staat” bezeichnete, dessen Einwohner infolgedessen traditionelleren Lebensformen verhaftet<br />

sind, als dies im deutschen Durchschnitt üblich ist. Tatsächlich weist selbst das CIA Fact Book<br />

Slowenien als „starke Wirtschaft” aus. Dennoch kommen auf jeden Slowenen rein rechnerisch<br />

10.000 Quadratmeter Heimatland. In Deutschland bleiben jedem Einwohner 4.300 Quadratmeter; in<br />

Großstädten viel weniger. Ein Stückchen Land zu bestellen spielt in Slowenien eine andere Rolle als<br />

in Deutschland. Allein der Balkon meiner Schwiegermutter – ein geduckter Betonrahmen in einem<br />

70er-Jahre-Block in München – legt dafür beredtes Zeugnis ab. Aus den Früchten, die sie diesen<br />

knappen zweieinhalb Quadratmetern abringt, ließen sich viele Mittagessen bestreiten. Mein Opa<br />

hatte einen Reihenhausgarten – die einzige Nutzpflanze war ein Büschel Schnittlauch, von dem<br />

meine Oma hin und wieder etwas in die Suppe schnitt.<br />

Meine Frau verbrachte ihre Kindheit zu einem Gutteil bei einer Tante auf dem großväterlichen Hof.<br />

Der Hof wurde nie richtig gewerblich genutzt: Opa, Onkel und Tante lebten von ihren Gehältern als<br />

Angestellte bzw. von der Rente. Doch die Zeit nach Feierabend ging ganz in die Bewirtschaftung der<br />

Felder und Tiere. Solange ich denken kann, verbrachte mein Vater seine komplette Zeit im Betrieb;<br />

meine Mutter später dann ihre im Büro. Für eine Art Arbeit auf irgendwelchen Feldern noch so klein hätte<br />

keiner Zeit gehabt. Man arbeitete mit ganzer Kraft am Wirtschaftswunder, nicht an der heimischen Krumme.<br />

So unterschiedlich das Verhältnis zum Land, so unterschiedlich sind auch die Familienverhältnisse:<br />

Als wir unsere älteste Tochter in Lubljana taufen ließen, war die slowenische Verwandtschaft zahlreich<br />

erschienen. Von meiner Seite vertrat nur meine Mutter die Familie. Nach der Feier wurden alle in<br />

Autos verfrachtet und eine Tante irgendwo auf dem Land besucht. Es ist leicht, bei jemandem auf<br />

einen Sprung oder ein Glas selbstgemachten Wein vorbeizuschauen.<br />

Meine Frau fand es immer sehr bemerkenswert, wie lose sich in meiner Familie der Kontakt gestaltet.<br />

Ich telefoniere mit meinem Bruder vier Mal im Jahr, obwohl ich sagen würde, dass wir ein gutes<br />

Verhältnis haben. Meine Frau telefoniert mit ihrer Mutter fast täglich, obwohl auch sie selbst sagen<br />

würde, dass ihr Verhältnis mindestens schwierig ist. In Ihren Gesprächen wimmelt es nur so von<br />

Cousinen, Nichten, Onkeln, Großtanten und weitläufigen Bekannten, deren Eltern irgendein Verwandter<br />

schon lange kennt. Ich selbst habe schon Schwierigkeiten mir zu merken, wie man das verwandtschaftliche<br />

Verhältnis nennt, in dem ich zu den Söhnen meiner Schwester stehe.<br />

Abends traf ich mich dann mit Studenten anderer Fachrichtungen: Wieder kam das Thema Kirche auf,<br />

und nun machte sich eine antiklerikale Haltung breit, die ich nach meinem Erlebnis bei den Jesuiten<br />

nicht erwartet hätte: Der ständige Zwang zum Kirchgang, die unreflektierten Moralhämmer aus dem<br />

klerikalen Lager gegen jugendliche Befreiungsversuche, die Sinnleere moralisierender Predigten<br />

ungebildeter Priester: Auch diese Stimmen gibt es in Polen.<br />

1 „Wessen das Land, dessen ist die Religion“ (Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens 1555, nach dem der<br />

So wie mein Schwiegervater mit dem Verlauf der Ereignisse und unserer bevorstehenden Scheidung<br />

hadert, so haben sich meine Eltern schnell mit den praktischen Konsequenzen unserer Trennung<br />

befasst. Sie selbst haben sich scheiden lassen und nichts anderes vorgelebt. Dort, wo meine<br />

Schwiegereltern am Maßstab eines tradierten Lebensmodells noch eine gewisse Empörung spüren,<br />

sehen meine Eltern nur die Brüche in ihren eigenen Biographien. Kein Wunder, meine Eltern hatten<br />

nie einen Garten.<br />

Landesfürst die Konfession der Untertanen bestimmte) 1 Beck/Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, Suhrkamp, S. 73 und 114<br />

18<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

19


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 20<br />

THEMA<br />

THEMA<br />

dies weniger als Ausdruck eines gestiegenen Demokratieverständnisses<br />

zu werten, sondern vielmehr als ein Zugeständnis an den<br />

Westen. Die Abschaffung des Paragraphen 121.1 war Voraussetzung,<br />

einen Sitz im Europarat zu erlangen. Auch die Zwangspsychiatrisierung<br />

wurde abgeschafft. Die Praxis hat sich seitdem zwar<br />

außerhalb der Metropolen kaum verändert – Lesbisch sein wird<br />

meist weiterhin als Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und Zwangseinweisungen<br />

bleiben an der Tagesordnung – aber immerhin kann<br />

man gegen Missbrauch rechtlich vorgehen.<br />

Die meisten der oben genannten Organisationen bestehen heute<br />

nicht mehr. Erste Zerfallserscheinungen zeigten sich bereits nach<br />

der Abschaffung des § 121.1. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe:<br />

Zum einen wurden die Erwartungen vieler Aktivisten und Aktivistinnen<br />

hinsichtlich der Geschwindigkeit des Demokratisierungsprozesses<br />

in Russland enttäuscht. Zum anderen können die meisten<br />

nichtstaatlichen Organisationen in Russland ohne Hilfe aus<br />

dem Ausland nur schwer bestehen. Finanzielle Unterstützung westlicher<br />

Stiftungen ist jedoch an strenge Vorgaben gebunden, die<br />

häufig an der Realität lesbisch-schwulen Lebens vorbeigehen. An<br />

erster Stelle steht für diese nämlich, Treffs zu organisieren. Diese<br />

sind auch deshalb so wichtig, weil viele in Kommunalwohnungen<br />

oder bei den Eltern leben, wo sie gezwungen sind, eine heterosexuelle<br />

Scheinexistenz aufrechtzuerhalten. Bis heute scheint vielen<br />

Lesben und Schwulen das Risiko eines öffentlichen Outings, das<br />

mit politischer Organisierung verbunden ist, zu hoch.<br />

„Warme Brüder“ ins kalte Sibirien?<br />

In Osteuropa ist Homosexualität immer noch ein Tabu<br />

Nadine Reimer, Studentin, Forschungsarbeiten über Homosexualität in Russland, Universität Bremen<br />

20<br />

Zumindest in St. Petersburg und Moskau können sich Lesben<br />

und Schwule, die auch Rosane (rozavye) und Himmelblaue (golubye)<br />

genannt werden, seit Mitte der 90er Jahre in eigenen<br />

Clubs und Cafes treffen. Längst kennen diese Treffpunkte nicht<br />

nur „Insider“, auch viele junge Heterosexuelle finden diese Clubs<br />

mittlerweile chic. Goldene Zeiten also für Lesben und Schwule<br />

in Russland?<br />

Mitnichten, aber die Situation hat sich seit 1993 verbessert. In<br />

diesem Jahr wurde der Strafrechtsartikel 121.1 („Mannlager“) abgeschafft,<br />

der in den dreißiger Jahren unter Stalin eingeführt worden<br />

war. Homosexualität konnte bis dahin mit bis zu fünf Jahren<br />

Lagerhaft bestraft werden. Dort mussten die Männer unter schwersten<br />

Repressionen leiden. Lesben waren zwar nicht Gegenstand<br />

des Strafgesetzbuches, mussten aber Zwangspsychiatrisierung<br />

befürchten. Diagnostiziert wurden bei ihnen Schizophrenie und<br />

ähnlich schwere psychische Krankheiten. Häufig zog dies auch den<br />

Verlust des Arbeitsplatzes und bei Lesben mit Kindern den Entzug<br />

des Sorgerechts nach sich.<br />

Gesellschaftlich lag lange Zeit über den sowjetischen Lesben und<br />

Schwulen ein Mantel des Schweigens. Sie existierten schlichtweg<br />

nicht in der Öffentlichkeit. Erst durch den unter Gorbačev (1985–<br />

1991) eingeleiteten Demokratisierungsprozess konnte das gesellschaftliche<br />

Tabu „Homosexualität“ gebrochen werden.<br />

Seit Anfang der 90er Jahre häufen sich die Artikel über Lesben und<br />

Schwule in den russischen Massenmedien. Zwar waren und sind die<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Foto: Sören Urbansky<br />

Rosarot und Himmelblau:<br />

Lesben und Schwule in Russland<br />

Inga Karbstein, Magister Osteuropa-Studien, Politikwissenschaften und Soziologie, Berlin<br />

meisten Berichte sensationslüstern und dienen wohl eher der Auflagensteigerung<br />

als der Aufklärung. Trotzdem kann das Aufbrechen des jahrzehntelangen<br />

Schweigens nicht hoch genug eingeschätzt werden.<br />

Neben reißerischen Artikeln über behaarte Mannweiber, kreischende<br />

Tunten und pädophile Schwule gibt es auch Berichte von Lesben und<br />

Schwulen, die ihre Stigmatisierung und gesellschaftliche Isolierung beschreiben.<br />

Doch auch wenn die Diskussion oft in homophoben Klischees<br />

verhaftet bleibt, wird zumindest über Homosexualität gesprochen.<br />

Lesben und Schwule nutzten ihrerseits die durch die Perestrojka<br />

neu gewonnenen politischen Spielräume. Bereits im Jahr 1989<br />

gründete die Dissidentin Evgenija Debranskaja zusammen mit Roman<br />

Kalinin die Moskauer Assoziation für sexuelle Minderheiten. In<br />

den darauffolgenden Jahren formierten sich unterschiedliche<br />

Gruppierungen, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten<br />

einsetzten. MOLLI (Moskauer Bündnis für lesbische Literatur und<br />

Kunst) wurde 1991 ins Leben gerufen. Im Jahr darauf wurde die<br />

ArgoRiskVereinigung (Vereinigung für gleiche Rechte von Homosexuellen)<br />

in Moskau offiziell registriert. Später nahm ein schwul-lesbisches<br />

Archiv seine Arbeit auf, das auch von Journalisten und Wissenschaftlern<br />

genutzt wird. In Petersburg gründeten sich der<br />

Caikovskij-Fond, Kryl’ja sowie der Club der unabhängigen Frauen,<br />

der Lesben in der Provinz miteinander vernetzt. Mitte der 90er<br />

Jahre folgte die Gründung der Lesbenorganisation Labrys, die bis<br />

heute aktiv ist.<br />

Schließlich schaffte die Jelcin-Regierung (1991-1999) Anfang der<br />

neunziger Jahre den Strafrechtsparagraphen 121.1 ab. Allerdings ist<br />

„All the things she said“ – so schallt es derzeit aus allen Radios.<br />

Das Popduo „t.A.T.u.“ sorgt mit ihrem Lolita- und Lesben-Stil<br />

weltweit für Aufsehen. Die Moskowiterinnen geben sich von<br />

Interview zu Interview mal als Paar aus, mal stellen sie dies in<br />

Frage, dann wieder wollen sie normale Familien und Kinder. Die<br />

meisten halten das Auftreten der beiden eher für eine geschickte<br />

Verkaufsstrategie. Aber ob nun homosexuell oder nicht,<br />

entscheidend sind die Reaktionen, die von Entsetzen über<br />

Zensur bis hin zu Verboten reichen. In Großbritannien beispielsweise<br />

wurde die Kuss-Szene der beiden Mädchen aus dem<br />

Video „All the things she said“ herausgeschnitten.<br />

Doch nicht nur die englische Gesellschaft scheint in Bezug auf das<br />

Thema Homosexualität nicht gerade aufgeschlossen. In Russland<br />

versuchten im letzten Jahr einige Duma-Abgeordnete Gesetze<br />

einzubringen, die homosexuelle Handlungen wieder unter Strafe<br />

stellen. Ein ähnliches Gesetz gab es bereits zu sowjetischen Zeiten,<br />

als man Homosexuelle noch nach Sibirien verbannte, ins Gefängnis<br />

oder in die Psychiatrie steckte. Das Vorhaben erfährt durchaus<br />

Rückhalt in der russischen Bevölkerung. Und auch in anderen<br />

Ländern des ehemaligen Ostblocks sind Vorurteile gegen<br />

Homosexuelle allgegenwärtig. So berichtete das Amnesty-<br />

International-Journal vor einigen Monaten in einem Artikel von der<br />

Diskriminierung Schwuler und Lesben in Osteuropa. Bei einem<br />

„Christopher Street Day“ in Belgrad vor zwei Jahren wurde eine<br />

Gruppe Homosexueller von rechten Jugendlichen angegriffen,<br />

weder Polizei noch Passanten griffen ein. In Lettland hatte ein<br />

großes Verlagshaus mit dem Titel „Lettland ohne Homosexualität“<br />

zu einem Literaturwettbewerb aufgerufen, der nicht einmal von der<br />

Menschenrechtskommission des lettischen Parlaments kritisiert<br />

wurde.<br />

Umfragen zeigen, dass rund 90 Prozent der Polen Homosexualität<br />

als etwas Unnatürliches betrachten, in Rumänien wollen 90, in<br />

Litauen 70 Prozent der Befragten nicht in der Nähe von Homosexuellen<br />

wohnen. Mit dem Tabuthema Homosexualität möchte keiner<br />

in Verbindung gebracht werden. Sobald sich jemand damit beschäftigt,<br />

stößt er auf Unverständnis und wird zumeist als Betroffene/r<br />

eingestuft. Viele reagieren mit Schweigen, sind kaum<br />

aufgeklärt über das Thema oder haben keine Meinung dazu.<br />

„t.A.T.u.“ hingegen nutzen dieses Verhalten, indem sie mit diesen<br />

Vorurteilen spielen und provozieren. Im Lied „Ja sošla s uma“ (ich<br />

bin verrückt geworden) heißt es „oni govorjat nado srotšno lečit“<br />

(sie sagen, man müsse mich dringend heilen) und genau so denkt<br />

ein Großteil der russischen Bevölkerung noch immer. Dagegen<br />

anzukämpfen versuchen seit der Perestrojka solche Organisationen<br />

wie der „Caikovskij Fond“ oder „Kryl’ja“ in St. Petersburg. Leider<br />

sind diese Gruppen eine Seltenheit. Zum einen ist die Gründung<br />

solcher Verbände rein rechtlich zwar erlaubt, wird von den<br />

Behörden jedoch auf verschiedene Weisen verhindert. Zum anderen<br />

ist der Wille zur Gründung von Gruppen, die Einzelinteressen<br />

vertreten, in Russland noch immer wenig ausgeprägt. Hinzu kommt,<br />

dass die Gründer oder Vorsitzenden der Organisationen zum Teil<br />

radikale Ansichten vertraten. So forderte der damalige Herausgeber<br />

der homosexuellen Zeitschrift „Tema“, Roman Kalinin, unter<br />

anderem eine Legalisierung von Sex mit Kindern, mit Leichen oder<br />

mit Tieren. Derartige Aussagen bleiben, im Gegensatz zu solchen<br />

der gemäßigteren Vertreter, eher in den Köpfen der Menschen<br />

haften, wodurch ein verzerrtes Bild über Homosexuelle entsteht.<br />

Die Betroffenen selbst zeigen ihre sexuelle Orientierung nur selten<br />

in der Öffentlichkeit. Einerseits ist das berufliche und persönliche<br />

Risiko sehr hoch (Entlassung, Diskriminierung, körperliche und<br />

seelische Angriffe). Zum anderen sehen die meisten es als ihre<br />

Privatsache an, die niemanden etwas angeht. Somit scheint es in<br />

Osteuropa weitaus weniger Homosexuelle zu geben als in anderen<br />

Ländern, was sicher nicht den Tatsachen entspricht.<br />

Vereinzelt versuchen Künstler wie der ukrainische Regisseur Viktjuk<br />

oder der russische Schriftsteller Sorokin solche Tabuthemen anzuschneiden,<br />

erreichen damit jedoch nur einen geringen Teil der<br />

Bevölkerung.<br />

Erschwerend für die Lage der Homosexuellen kommt der Faktor<br />

AIDS hinzu, der in den östlichen Ländern noch immer als die<br />

Krankheit der Schwulen und Lesben gilt. Dieses Vorurteil war auch<br />

das Hauptargument jener Duma-Abgeordneten, die eine Rekriminalisierung<br />

homosexueller Handlungen anstrebten.<br />

Vielleicht erreichen Jugendliche wie „t.A.T.u.“ bei ihrer Generation<br />

eine tolerantere Einstellung zu Homosexuellen, damit<br />

diese in Osteuropa in Zukunft ohne Diskriminierung leben können.


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 22<br />

THEMA<br />

ausgeschaltet wurde. Darauf schrieben mehrere Studenten<br />

gemeinsam einen Brief an den Rektor. Bald funktionierte<br />

das Licht wieder.<br />

12m 2<br />

Lebenslabor<br />

Sergij Dowtschenko, 22, Germanistikstudent an der Pädagogischen Universität Nyschin (Ukraine)<br />

Du hast gedacht, Indien, Nordrhein-Westfalen oder<br />

Japan sind am dichtesten bewohnt? Das ist schon<br />

richtig, aber ich kenne noch andere Plätze, wo die<br />

Überbevölkerung genauso groß ist. Ich denke dabei<br />

an die ukrainischen Studentenwohnheime.<br />

Stell dir ein Zimmer vor, 12 Quadratmeter groß, und auf<br />

dieser Fläche leben vier Mann. Wenn das kräftige Jungen<br />

sind, dann wird es schon manchmal wirklich eng. Bei<br />

solchen Bedingungen muss man Toleranz lernen, weil die<br />

Interessen und Wünsche vier verschiedener Menschen in<br />

einer bestimmten Zeit nicht immer zusammenfallen. Ein<br />

klassisches Beispiel ist es vielleicht, wenn du schlafen oder<br />

etwas lernen möchtest und deine Nachbarn laute Musik<br />

hören oder Lust zum Singen (nicht unbedingt eine schöne<br />

Stimme dazu) haben. Und wenn es mehrere sind? Dann<br />

Fotos: Sören Urbansky<br />

können schon Probleme entstehen. Sie sind zwar nicht so<br />

extrem wie religiöse oder nationale Konflikte, brauchen<br />

aber auch Kompromisse. Zu besonders scharfen „Kämpfen“<br />

kommt es in der Küche, wenn alle etwas essen möchten<br />

und dieses Etwas unbedingt warm sein soll. Dann gibt es<br />

keine Älteren, Damen und Herren, dann gibt es nur eine<br />

graue Masse, die man „hungrige Studenten“ nennt.<br />

Doch nicht alles in unseren Studentenheimen ist so<br />

schwarz zu sehen. Bei solchen Bedingungen lernt man<br />

wirklich Toleranz. Es ist üblich, dass Menschen, die sich<br />

noch nie gesehen haben und aus verschiedenen Orten<br />

kommen, schon nach ein paar Monaten zu Busenfreunden<br />

werden. Auch die Probleme im Heim müssen nicht nur als<br />

etwas Negatives betrachtet werden. Im Angehen dieser<br />

Schwierigkeiten durch die Studenten steckt eine ungeheure<br />

Einigungsmacht. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine<br />

Zeit, als in unserem Heim das Licht mehrmals am Abend<br />

Das Studentenheim würde ich mit einem kleinen<br />

Lebenslabor vergleichen. Dorthin kommen einander fremde<br />

Menschen mit eigenen Interessen und Lebensentwürfen.<br />

Wenn du mehrere Zimmermitbewohner hast, dann<br />

musst du deinen individuellen Lebensstil irgendwie verringern<br />

und ihn anpassen oder mit dem der anderen konfrontieren,<br />

was natürlich nicht die beste Variante ist. Das<br />

Verständnis füreinander kommt meistens nicht nach einer<br />

Woche, sondern ist ein langfristiger und schmerzhafter<br />

Prozess, der vielleicht nie vollendet wird.<br />

Auch die Vielfalt der zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

im Wohnheim ist breit: Liebe, Ehe, Freundschaft, Enttäuschung,<br />

Ärger usw. Diese Gefühle kennen natürlich alle<br />

Menschen. Aber ich bin überzeugt, dass es nirgendwo sonst<br />

eine solche Konzentration verschiedener Gefühle auf so<br />

kleiner Fläche gibt. Es reicht, nur in ein anderes Zimmer zu<br />

gehen und schon trittst du in eine vollkommen andere<br />

Gefühlsatmosphäre.<br />

Ich selbst lebe schon das fünfte Jahr im Studentenwohnheim.<br />

Mehr als 50 Studenten habe ich über ihr Leben<br />

befragt. Auf „Was gefällt dir am Heimleben?“ habe ich folgende<br />

Antworten erhalten: viele Freunde und Bekannte, Spaß,<br />

Freiheit und Selbstständigkeit, außerdem fände man im<br />

Heim alles Notwendige. Dazu kam noch Folgendes: Unterstützung<br />

und Beratung von anderen, Chaos und große<br />

Familie. Als Nachteile wurden genannt: Überfüllung, bis vier<br />

Uhr morgens Musik hörende Nachbarn, defekte Beleuchtung<br />

und Wasserversorgung, fehlende Sportplätze oder der<br />

nervige Dienst in der Küche. Auch schlechte Beziehungen zu<br />

den Heimverwalterinnen (in beiden Häusern in Nyschin<br />

sind das Frauen) wurden bemängelt sowie Kälte im Winter.<br />

Doch trotz aller Nachteile des beengten Lebens, wenn<br />

ich mich zwischen dem Studentenheim und einer Wohnung<br />

entscheiden müsste, meine Wahl würde natürlich<br />

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22<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 24<br />

THEMA<br />

FEUILLETON<br />

CONTRA SPEM SPERO –<br />

Porträts ukrainischer Frauen<br />

In den ersten Märztagen des Jahres 2003<br />

trafen sich in Lviv/Ukraine 22 junge Frauen<br />

aus mehreren ukrainischen Städten und drei<br />

Boschlektorinnen, um sich eine Woche lang<br />

mit dem Thema „Frauen in der Ukraine“ zu beschäftigen.<br />

Ziel war es, ins Gespräch zu kommen<br />

– sowohl untereinander als auch mit<br />

Lviver Frauen, mit denen wir Interviews<br />

führten, um in Porträts ihre Lebenswirklichkeit<br />

in der heutigen Ukraine zu beschreiben. Es ist<br />

ein Buch entstanden: In diesem Land, wo in<br />

den letzten Jahren alte Denkmäler gegen neue,<br />

alte Helden gegen neue Helden eingetauscht<br />

wurden, haben wir die Heldinnen des Alltags<br />

zu Wort kommen lassen.<br />

Vielleicht ist es eine Besonderheit der Ukraine, dass man jede Frau,<br />

die einem zufällig über den Weg läuft, nach ihrer Lebensgeschichte<br />

fragen kann und immer interessante Biografien, Begebenheiten, oft<br />

aber auch Tragödien erfährt. Jede Lebensgeschichte ist es wert,<br />

niedergeschrieben und weitererzählt zu werden. Unser Buch reicht<br />

von Lebensläufen, die man so auch in Westeuropa finden könnte,<br />

über Biographien von Frauen, die irgendwie mit dem Leben in der<br />

heutigen Ukraine zurechtkommen und mit ungeheurer Kraft und<br />

Optimismus den Alltag meistern, bis hin zu Frauen, deren<br />

Schicksale es nicht geben dürfte. Jede der porträtierten Frauen hat<br />

in dem Land, in dem noch immer keine Normalität herrscht, doch<br />

ihre eigene gefunden, finden müssen, und auch ein bisschen Glück<br />

– ein Glück, das wir oft nicht verstehen, weil es sich im Überleben<br />

erfüllt.<br />

Die Geschichte jeder Frau spiegelt zugleich auch einen Teil der<br />

Manja Posselt,<br />

Boschlektorin in Lviv und Regionalkoordinatorin für die Ukraine<br />

Fotos: Kamila Mieszczak<br />

ukrainischen Gesellschaft wider. Oxana, 28jährige Marketing-Dozentin,<br />

schafft sich eine philosophisch-literarische Rückzugswelt,<br />

um Kraft für den täglichen Kampf in ihrer von Männern<br />

dominierten Welt zu finden. Die 1927 geborene Lubov hat ein<br />

beschwerliches Leben, das eng mit der Geschichte ihres Landes<br />

verwoben ist, hinter sich – als 16jährige wurde sie Mitglied der<br />

ukrainischen Widerstandsarmee UPA, 1946 dafür verurteilt, verbrachte<br />

sie zehn Jahre im Arbeitslager in Kasachstan und widmete<br />

die darauffolgenden Jahrzehnte der Pflege von Behinderten und<br />

Alkoholikern. Die Prostituierte Lisa, 19 Jahre alt, erzählt von ihrem<br />

Weg zu diesem Beruf, den ständigen Gefahren, ihrem Verhältnis zu<br />

Kolleginnen, ihren Hoffnungen und Träumen. Laryssa hängt als<br />

Politikerin und Schriftstellerin ebenso in den ukrainischen dynastischen<br />

Netzen von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten wie ihre<br />

männlichen Kollegen und inszeniert sich selbst als moderne, patriotische<br />

Ukrainerin. Die 47jährige Halyna ist ein Beispiel dafür, dass<br />

oft gerade Akademikerinnen in der Ukraine nichts bleibt als der<br />

Handel mit Waren über die Grenze nach Polen und die Arbeit als<br />

Marktfrauen, um ihre Familie ernähren zu können. Natalja ist 19<br />

Jahre alt und Jura-Studentin, ihre Berichte vom Studium legen das<br />

von Korruption durchdrungene Hochschulsystem offen. Lidja, 35<br />

Jahre alt, Gattin eines Geschäftsmannes, Hausfrau und Mutter<br />

dreier Kinder, glücklich im goldenen Käfig, verkörpert exemplarisch<br />

die weibliche Hälfte der „neuen Ukrainer“. Lessja kennt als<br />

Galeristin und Künstler-„Mutter“ die Lviver Szene und weiß aus<br />

eigener Erfahrung, dass die Kunst ein Feld ist, in dem es Frauen<br />

besonders schwer haben. Erschreckend sind Irynas Berichte über<br />

die Zustände des ukrainischen Gesundheitswesens, den Umgang<br />

mit Schwangerschaftsabbruch und Verhütung. Oxana ist 47 Jahre<br />

alt und Ökologin. Sie klärt über die Spätfolgen von Tschernobyl auf,<br />

die in der Ukraine genauso verschwiegen werden wie neuere<br />

Umweltkatastrophen. Das tragischste Schicksal hat Olena, 28. Sie<br />

wurde von ihrem eigenen Mann ins Ausland gelockt und verkauft.<br />

Nach fünf Jahren Prostitution in Tschechien und der Schweiz,<br />

gelungener Flucht und Verurteilung wegen Besitzes gefälschter<br />

Dokumente versuchte sie, in der Ukraine wieder ein neues Leben<br />

zu beginnen.<br />

Die Ukrainerinnen wurden von Ukrainerinnen interviewt und<br />

porträtiert. So haben wir einen Zugang zu den Frauen gefunden,<br />

die es jahrzehntelang gewohnt waren, das Private als Flucht- und<br />

Schutzraum abzuschotten und die Öffentlichkeit fernzuhalten.<br />

Durch die drei deutschen Teilnehmerinnen wurde eine Sicht von<br />

außen eingebracht, die zu hinterfragen und Distanz zu wahren half.<br />

In der Ukraine wie auch in anderen osteuropäischen Staaten verstehen<br />

Frauen sich selbst weniger als Individuen, sondern eifern<br />

dem Ideal „Frau“ nach, das sich in der heutigen Ukraine in einer<br />

Mischung aus Traditionen sowie Bildern aus westlichen Zeitschriften<br />

konstituiert. Es drückt sich in strikter Wahrung der Rollen-<br />

Foto: Sören Urbansky<br />

Wir wohnen in einem souveränen, unabhängigen Staat. Stimmt das ?<br />

Das Leben in der Ukraine ist schwer: hohe Preise, winzige Löhne<br />

und Renten. Junge Leute finden oft keine Arbeit. Viele Menschen<br />

haben die Hoffnung auf normale Lebensbedingungen verloren. Ein<br />

Teufelskreis. Die Menschen suchen einen Ausweg und versuchen<br />

die Ukraine zu verlassen. Dazu gibt es mehrere Wege:<br />

Erstens, Arbeit in einem anderen Staat finden. Viele Ukrainer und<br />

Ukrainerinnen gehen nach Italien, Deutschland und in die Türkei.<br />

Ukrainerinnen arbeiten oft als Tellerwäscherinnen, Dienstmädchen<br />

oder Haushälterinnen. Viele Mädchen gehen in die Türkei, um als<br />

Tänzerin zu arbeiten und enden als Prostituierte. Sie wissen oft nicht,<br />

dass dieses Schicksal in einigen Staaten auf sie wartet. Sie suchen<br />

verteilung, Männerfixierung und hohem Stellenwert des Aussehens<br />

aus. Das Abwerfen alter Ideale und Mythen würde sie mit der<br />

Realität konfrontieren, nämlich, dass sie ausgenutzt und missachtet<br />

werden.<br />

In einer Gesellschaft, in der Kommunikation prinzipiell schwierig<br />

ist, vor allem die Kommunikation zwischen Männern und Frauen,<br />

sind Gespräche von Frau zu Frau wie in den Begegnungen dieser<br />

Projektwoche sehr wichtig. Oft waren wir so betroffen und aufgewühlt,<br />

dass wir bis spät in die Nacht diskutierten. Viele der<br />

Teilnehmerinnen wollen weiter dokumentieren, beobachten,<br />

schreiben. Das Buch erscheint im Sommer 2003.<br />

Weitere Informationen: Manja Posselt, mposselt@yahoo.com<br />

Internet: http://home.arcor.de/womenstudies_ukraine<br />

Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West?<br />

Iryna Khomenko, Studentin und Bibliothekarin, Kirowograd/Ukraine<br />

ein normales Leben und bekommen die Hölle.<br />

Ein zweiter Weg für junge Frauen, ins Ausland zu gehen, ist, einen<br />

Mann in einem westeuropäischen Land zu finden und ihn zu heiraten.<br />

Es geht hier oft nicht um Liebe – sie suchen ein normales Leben.<br />

Dazu gibt es hier viele Heiratsagenturen, die für viel Geld einen<br />

Mann im Ausland finden helfen. Sind die Männer schon verkauft?<br />

Aber! Noch gibt es Leute, die die Ukraine lieben. Und das ist nicht<br />

nur ein Wort. Sie leben hier und wollen hier leben, sie wollen ihre<br />

Situation verändern. Vielleicht sind sie oft hilfslos, aber sie sind<br />

richtige „Heimatlieber“. Sie sagen : „Wir sollten unser Land demokratisieren.<br />

Wir sollten. Wir tun es, wenn es auch lange dauert. Wir<br />

werden es schaffen.“<br />

24<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

25


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 26<br />

THEMA<br />

THEMA<br />

Gespräche verlaufen überschäumend, leidenschaftlich und ungebremst.<br />

Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht wichtig ist,<br />

selbst gehört und verstanden zu werden oder dem anderen zu<br />

lauschen. Entscheidend scheint eher zu sein, sich zu präsentieren, als<br />

Teil einer kommunizierenden Runde präsent zu sein. Lautstärke und<br />

Pathos ist alles, erregte gestische Ausgestaltung selbstverständlich;<br />

Inhalt ist sicher auch ganz nett, aber nicht so wesentlich.<br />

Verbotenes und Halbverbotenes<br />

Marc Sagnol, 1996 bis 2000 Direktor des Französischen<br />

Kulturzentrums in Kiew/Ukraine<br />

Ich bin ein großer Anhänger des Ostens und insofern sicherlich<br />

eine Ausnahme in Frankreich, wo man in der Regel wenig über<br />

Mittel- und Osteuropa weiß. Moral- und Wertvorstellungen sind<br />

natürlich etwas anders als bei uns im Westen. Was mir im Osten<br />

gefällt, sind die Beziehungen der Menschen zueinander. Es ist<br />

einfacher, bei einem Bekannten im Vorbeigehen zu klingeln, es<br />

ist leichter, Kontakt mit den Leuten aufzunehmen und die<br />

Beziehungen sind meistens nicht oberflächlich.<br />

Ich habe während meines Studiums ein Jahr in Ost-Berlin vor der<br />

Wende verbracht. Vor 1989 spürte man dort natürlich den starken<br />

Druck von oben, aber dadurch hielten die Menschen mehr zusammen<br />

und es entwickelte sich eine geistige Kultur des Verbotenen<br />

oder des Halbverbotenen, die sehr reizvoll war. Ein Buch von Kafka<br />

oder Anna Achmatowa zu finden, ein Stück von Heiner Müller oder<br />

Bulgakow zu sehen, war immer ein besonderes Erlebnis. Obwohl<br />

man heute alles bekommen kann, ist trotzdem ein höheres Gefühl<br />

für die geistigen Werte geblieben, auch für die klassische Literatur<br />

und Kunst.<br />

Ich habe vier Jahre in der Ukraine gelebt, dort sind die Menschen<br />

besonders freundlich und aufgeschlossen. In der Familie wird eine<br />

kranke Großmutter nicht allein gelassen oder ins Hospiz gebracht.<br />

Dadurch, dass die Menschen ärmer sind als bei uns, entsteht ein<br />

höheres Gefühl der Solidarität und Geld spielt eine weniger große<br />

Rolle. Trotz der schwierigen Lebensumstände, wird einem Gast<br />

immer alles, was zur Verfügung steht, angeboten.<br />

Was die Liebe betrifft, möchte ich hier nur sagen, dass die Frauen<br />

im Osten meist nicht so kompliziert sind wie in Frankreich. Bei den<br />

gebildeten Leuten ist die Emanzipation der Frau genau so weit fortgeschritten<br />

wie im Westen.<br />

Warum ich als Frau lieber im<br />

Westen leben will<br />

Susanne Hausner, 1994/95 Boschlektorin in Poznan/Polen,<br />

derzeit Lektorin an der Aichi University in Toyohashi/Japan<br />

Gemeinsam ist den Ländern Osteuropas oft eine gesellschaftlich<br />

niedrigere Stellung der Frauen im Vergleich zu den Männern. Die<br />

Ungleichbehandlung zeigt sich im Missbrauch der Frauen als<br />

Arbeitskräfte im nur wenig automatisierten Haushalt und meist<br />

schlecht bezahlter und körperlich harter Erwerbsarbeit, eine aus<br />

den sozialistischen Zeiten rührende scheinbare Gleichstellung der<br />

Frau in Männerberufen, die zwar den Frauen den Zugang zur<br />

Berufswelt ermöglichte, doch zu welchem Preis? Hilfe im Haushalt<br />

und bei der Kindererziehung ist von den Männern dort kaum zu<br />

erwarten, gleichzeitig ist das Unverheiratetsein – im Gegensatz zum<br />

Westen – ein gesellschaftlicher Makel. Kein Wunder also, dass viele<br />

Frauen die Ehe als das kleinere Übel betrachten und sich die<br />

Partnersuche einige Mühe kosten lassen. Ist dieses Ziel erreicht, ist<br />

es mit den Anstrengungen oft vorbei, was zum „Matronen- und<br />

Kittelsyndrom“ führen kann.<br />

Warum ist nun das Leben im Westen so viel angenehmer und einfacher<br />

für eine Frau? Es sind sicherlich auch die Männer, die sich<br />

nicht mehr alles erlauben dürfen, ihre Disziplinierung durch die<br />

Strukturen der westlichen, protestantisch geprägten Gesellschaft.<br />

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Westen ist wohl nicht<br />

nur der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts geschuldet, die in<br />

Osteuropa in dieser Form nicht stattgefunden hat, sondern sicher<br />

auch der Marktwirtschaft, der Aufklärung und den höfischen<br />

Traditionen Europas. Letztere gingen in Osteuropa durch den<br />

Sozialismus zugrunde, der den Gentleman als reaktionär und höfliche<br />

Umgangsformen als bourgeois verachtete.<br />

Westliche Frauen haben in östlichen Ländern einen schweren<br />

Stand, stehen sie doch außerhalb der üblichen Rollenmuster zwischen<br />

den Geschlechtern, quasi als Neutrum, vor allem, wenn sie<br />

nicht verheiratet sind, alleine leben und gut verdienen. Diese<br />

Unabhängigkeit privilegiert sie zwar einerseits, macht sie aber auch<br />

zu Außenseitern in der bestehenden Ordnung, in der die<br />

Geschlechterrollen durch Äußerlichkeiten und Verhalten viel<br />

genauer definiert sind als im Westen.<br />

Haushaltsdebatte<br />

Jörg Kassner, Deutschlehrer in Tbilissi/Georgien<br />

Foto: Sören Urbansky<br />

Die deutsche Sprache kennt grauenhafte Wörter und erfindet<br />

immer noch neue hinzu. Schon länger im Gebrauch ist die<br />

zweifelhafte Formulierung „Gefühlshaushalt“. Sei es nun Trauer<br />

oder Freude, Glück oder Verzweiflung; alle Gefühle, von denen<br />

wir Menschen heimgesucht werden, bilden letztendlich eine<br />

runde Summe. Halten sie sich nicht, wenigstens annähernd, das<br />

Gleichgewicht, so kommen wir emotional ins Straucheln und<br />

sehen uns in Gefahr, entweder vertrocknete Misanthropen,<br />

Serienkiller oder schlimmstenfalls sogar Stammpublikum des<br />

„Musikantenstadel“ zu werden, inklusive des auf dem Gesicht<br />

festgefrorenen Dauergrinsens.<br />

Nun gelten wir Deutschen eher als Leute, die ihre Gefühle auf kleiner<br />

Flamme am Köcheln halten. Man ohrfeigt sich nicht auf offener<br />

Straße, übersteigt nicht zornschnaubend und ein Küchenmesser in<br />

der Hand Nachbars Ligusterhecke, küsst und liebt sich bei ausgeknipster<br />

Deckenbeleuchtung; ja selbst der Gipfel deutschen Frohsinns,<br />

der Kölner Karneval, erinnert weniger an ähnliche Festivitäten<br />

anderenorts als vielmehr an den Kindergeburtstag in der Familie<br />

eines Staatssekretärs im Finanzministerium.<br />

Wie anders die Georgier! Emotionalität ist hier der Treibstoff des<br />

täglichen Lebens. Das geht schon bei der Begrüßung und der Vorliebe<br />

für den Wangenkuss los: Hierzulande wird richtig geschmatzt,<br />

Händeschütteln dagegen gilt als unüblich. An der Intensität einer<br />

georgischen Begrüßung lässt sich, wenigstens für Uneingeweihte,<br />

keinesfalls der Grad der gegenseitigen Wertschätzung ermessen,<br />

man begegnet sich gleichermaßen herzlich, egal, ob man schon vor<br />

zwanzig Jahren gemeinsam Vater-Mutter-Kind gespielt oder sich vor<br />

zwei Tagen zum ersten Mal gesehen hat.<br />

Man kann über schlicht jedes Thema mit Inbrunst sprechen – sei es<br />

darüber, ob Keti gestern in der Oper eine blaue Hose und eine<br />

schwarze Bluse angehabt hat oder sei es über Gottes Wirken im<br />

Lauf der Welt. Schwierig für mich Außenstehenden ist es mitzubekommen,<br />

welche Einstellung die Sprechenden gegenüber Thema<br />

und Gesprächspartner haben – für mich klingt es fast immer so, als<br />

würden gleich die Pistolen gezogen.<br />

Schön finde ich, dass die Georgier wohl kein Volk sind, das nachtragend<br />

ist. Mit welch großem Ungestüm man auch einer Angelegenheit<br />

zugetan sein mag, in der Regel haben sich nach höchstens<br />

drei Tagen die Wogen wieder geglättet. Menschlich vielleicht angenehm,<br />

im Lehreralltag aber mitunter verwirrend, da es keine konsequenten<br />

Strafmaßnahmen gibt, die in einem nachvollziehbaren<br />

Verhältnis zum „Vergehen“ stehen und dann auch durchgesetzt werden.<br />

Der Schüler, der einen wassergefüllten Luftballon durchs<br />

Schulhaus segeln lässt und dabei das Pech hat, einen Lehrer zu treffen,<br />

wird erst mal standesrechtlich der Schule verwiesen und als<br />

Psychopath gebrandmarkt. Eine Woche später ist er wieder da und<br />

kann üben, vorsichtiger zu werfen.<br />

Verblüffend ist für mich, dass Themen, die wiederum in Deutschland<br />

mit dem uns zur Verfügung stehenden Maß an Leidenschaft<br />

debattiert werden, hier keinen hinterm Ofen hervor locken.<br />

Während in Berlin eine gute halbe Million Menschen gegen den drohenden<br />

Irak-Krieg protestierte, ging das an Georgien vorbei, so, als<br />

würde sich das Geschehen irgendwo weit jenseits des Andromedanebels<br />

zutragen.<br />

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(Der Artikel erschien in der „Kaukasischen Post“, einer deutschsprachigen<br />

Zeitung in Tbilissi)<br />

26<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

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INTERVIEW<br />

Wie leisten Sie sich Ihre geistigen Interessen?<br />

Ich arbeite manchmal als Dolmetscher, gebe privat Deutschstunden und schreibe gelegentlich für<br />

Zeitungen. Allerdings habe ich nie behauptet, Schriftsteller zu sein. Ich erzähle lediglich harmlose<br />

Geschichten vom wahren Russland, weit weg von den großen Zentren.<br />

Sie haben Freunde im Westen. Können Sie im Vergleich zu Russland Unterschiede in den<br />

Wertvorstellungen ausmachen?<br />

Die jungen Leute im Westen haben die Möglichkeit, zu reisen und intelligente Leute zu interessanten<br />

Gesprächen zu treffen. Im Gegensatz dazu ist man in Russland isoliert. In der Isoliertheit hat sich der so<br />

genannte russische Chauvinismus entwickelt und der macht mir Angst. Zweifel sind ja nur im Vergleich<br />

möglich. Wenn die Leute aber keine Möglichkeit zum Vergleichen haben, denken sie: Wir sind der Nabel<br />

der Welt. Dazu kommt dann noch der imperiale Größenwahn eines Reiches, das nicht mehr existiert.<br />

Weshalb ist der Chauvinismus in Russland so verbreitet?<br />

Das liegt wohl zum großen Teil daran, dass Chauvinismus von Seiten des Staates gefördert wird. Zum<br />

Beispiel wurde die militärpatriotische Erziehung in den Schulen als Pflichtfach eingeführt. Da üben die<br />

Schüler ein bisschen Schießen mit Gewehren und das Tragen von Gasmasken.<br />

Lachen aus Kummer<br />

Ein Interview mit Alexander Ikonnikow über Umbrüche,<br />

Größenwahn und die Kunst des Überlebens<br />

Sabine Witt,<br />

1999 bis 2000 Boschlektorin<br />

in St. Petersburg,<br />

Journalistin, Zürich/Schweiz<br />

Foto: Andrzej J. Koszyk<br />

Alexander, in Ihrem ersten Erzählband „Taiga Blues“ versammeln Sie recht drastische Geschichten.<br />

Nehmen wir die erste Erzählung, in der eine Frau im Streit ihrem betrunkenen Mann ein Bein<br />

abhackt. Das eigentliche Sujet aber ist die Unfähigkeit der Polizisten, die das Körperteil zu entsorgen<br />

haben. Wollen Sie damit sagen, dass den Menschen die Moral abhanden gekommen ist?<br />

Nein, ganz und gar nicht. Diese Geschichte ist eine wahre Begebenheit. Ein Offizier der Miliz hat sie mir<br />

erzählt. Die Leute waren eben im Suff – damit ist alles erklärt. Man muss das nicht dramatisieren. Die<br />

älteren Generationen behaupten zwar immer wieder, dass früher das Wasser nässer war und das Kilo<br />

schwerer. Aber die heutigen Menschen unterscheiden sich fast nicht von den früheren. Und die wahren<br />

Werte im Leben – Moral und Liebe – sind ebenfalls noch immer reichlich vorhanden.<br />

Nichtsdestotrotz scheint in Ihren Geschichten moralisch vieles schief zu laufen.<br />

Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Russland gerade soziale Umbrüche durchlebt. Der ausgebrochene<br />

pure Kapitalismus bewirkt, dass die Bedeutung des Körperlichen, des Materiellen alles andere<br />

überwiegt. Die Menschen in meinem Alter sind eine Übergangsgeneration: in der Sowjetunion geboren<br />

und jetzt im quasi-demokratischen Russland lebend. Das führt natürlich zu Frustrationen. Der Mensch ist<br />

auf so etwas nicht vorbereitet.<br />

In der Provinz vollzieht sich der Wandel viel langsamer als in den Großstädten. Es finden sich hier noch<br />

Kleinode aus der sowjetischen Erziehung, doch treten sie zumeist in Widerspruch zu den neuen<br />

Verhältnissen.<br />

Was sind das für Kleinode?<br />

Zum Beispiel hatte man uns beigebracht, Bäume zu pflanzen. Von der Schule aus legten wir Parks und<br />

Alleen an. Heute steht in der russischen Gesellschaft jedoch die Überlebenskunst im Vordergrund. Denn:<br />

Erst kommt das Brot und dann das Geistige.<br />

Sie sagten, der Chauvinismus mache Ihnen Angst. Was befürchten Sie?<br />

Dass die Aggressivität immer wieder nur Aggressivität hervorbringt. Man sollte Probleme besser mit dem<br />

Verstand lösen. Der Chauvinismus macht Russland unattraktiv für Investoren. Normale Kontakte mit dem<br />

Ausland lassen sich so nicht herstellen.<br />

Stichwort Überlebenskunst: Was erwarten die Menschen in Ihrer Umgebung vom Leben, welche<br />

Ziele haben sie?<br />

Das einzige Thema vor, während und nach der Abendserie im Fernsehen ist nur noch das Geld. Man<br />

bekommt sein Gehalt nicht rechtzeitig und wenn es kommt, ist es von der Inflation schon wieder überholt.<br />

Die Leute haben es aufgegeben, in Rubeln zu rechnen. Sie rechnen in Euro oder Dollar. Gleichzeitig<br />

sind alle Mittel recht, um sich zu bereichern oder zu überleben. Egal, ob dabei fremde Köpfe rollen. Es ist<br />

ein ständiger Stress um ein paar Rubel. Niemand tut irgendetwas umsonst, wie es früher oft der Fall war. Was<br />

Überlebenskunst bedeutet, ist im Westen wohl kaum vorstellbar.<br />

Früher waren Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft Teil der staatlich verordneten Ideologie.<br />

Was ist davon übrig?<br />

Nichts. Zum Beispiel verleiht man kein Geld mehr. Wenn man früher mit Freunden ausgehen wollte und<br />

gerade kein Geld hatte, machte das nichts. Heute bleibt man dann zu Hause. Das ist doch traurig.<br />

Die Frage von Gut-Sein und moralischem Handeln hat eine lange Tradition in der russischen<br />

Literatur. Welchen Autoren stehen Sie in dieser Hinsicht am nächsten?<br />

In der deutschen Literatur schätze ich Hermann Hesse, in der russischen besonders Anton Tschechow.<br />

Mir fällt dazu ein: Das westliche Bild von Russland ist vor allem durch die russischen Klassiker geprägt.<br />

Aber diese Autoren waren doch überwiegend Adlige, die viel im Ausland gelebt und wenig mit dem wirklichen<br />

Russland zu tun hatten. Diese Vorstellungen sind veraltet.<br />

Sie schreiben gerade an Ihrem ersten Roman. Bleiben Sie darin Ihren Themen treu?<br />

Er spielt in einer Großstadt. Die sozialen Brüche spielen wiederum eine Rolle – die Handlung beginnt in der<br />

Sowjetzeit. Eine einfache junge Frau befindet sich auf der Suche nach Glück und Liebe. Es geht um ganz normale<br />

menschliche Werte, die nicht spezifisch russisch sind. Die Deutung überlasse ich aber lieber den Kritikern.<br />

In den deutschsprachigen Feuilletons wurde an den Kurzgeschichten in „Taiga Blues“ des öfteren<br />

bemängelt, sie seien allzu stark auf Pointen ausgerichtet. Was halten Sie von diesem Vorwurf?<br />

Das kann ich erklären. Gerade im Kummer entwickelt sich oft der Witz, aber auch der Irrwitz. Dort wo die<br />

Lebensumstände nicht gut sind, lachen die Leute lieber und öfter. Als ich die Geschichten von „Taiga<br />

Blues“ schrieb, war ich nahe dran, auszurasten. Ich fragte mich: Wo bin ich hier eigentlich? Das Schreiben<br />

war für mich eine Art Protest. Ohne Humor kann man da allerdings gar nichts machen. Wenn man das<br />

Ganze zu ernst nimmt, möchte man nur noch weinen.<br />

Mit seiner<br />

Kurzgeschichtensammlung<br />

„Taiga Blues“<br />

(Alexander Fest Verlag 2002,<br />

aus dem Russischen von<br />

Annelore Nitschke) sorgte der<br />

junge russische Autor<br />

Alexander Ikonnikow im<br />

deutschsprachigen Raum für<br />

einiges Aufsehen. Ikonnikow<br />

wurde 1974 in Urschum bei<br />

Kirow geboren. Er studierte<br />

Germanistik und arbeitete als<br />

Dorfschullehrer.<br />

Er lebt derzeit in Kirow, gibt<br />

Deutschunterricht, dolmetscht,<br />

schreibt als freier Journalist<br />

und arbeitet an seinem ersten<br />

Roman. Im Herbst 2003 wird<br />

er auf der Frankfurter Buchmesse<br />

auftreten und in Zürich<br />

bei der <strong>MitOst</strong>-Veranstaltungsreihe<br />

„Okno – Fenster zur russischen<br />

Kultur“ lesen.<br />

28<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

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FEUILLETON<br />

FEUILLETON<br />

Unbehagen zwischen den Welten<br />

Der ukrainische<br />

Fotokünstler<br />

Boris Michailov<br />

Susanne Altmann, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Dresden<br />

Foto: Uwe Frauendorf, Presse und Werbefotograf, mail@uwefrauendorf.de<br />

Boris Michailov (*1938) hat die westliche Kunstwelt geschockt.<br />

Und da alle Kuratoren, Galeristen und Theoretiker geglaubt hatten,<br />

dass so etwas längst nicht mehr möglich sei, lieben sie den<br />

Mann aus Charkov (Ukraine). Michailov, neben Ilya Kabakov<br />

einer der international renommierten Künstler aus der ehemaligen<br />

Sowjetunion, misstraut diesem Erfolg. Und das, obwohl er<br />

auch in diesem Jahr wieder zwischen Berlin und London mit<br />

großen Ausstellungen gefeiert wird.<br />

In der Tate Modern (London) zeigt der Fotograf jenen provokanten<br />

Zyklus „Case History“, mit dem ihm 1999 der Durchbruch gelang.<br />

Die 500 Aufnahmen umfassende „Fallstudie“ zeichnet ein bedrükkend<br />

reales Bild aus dem Obdachlosenmilieu seiner Heimatstadt<br />

Charkov und fordert das Kunstpublikum heraus. Auf den großformatigen<br />

Hochglanzprints herrscht das Elend der postsowjetischen<br />

Gesellschaft: heruntergekommene Outcasts, Alkoholiker, mental<br />

und physisch angeschlagene Existenzen und billige Prostituierte<br />

werden zu Protagonisten erhoben, ohne Denunziation oder Verlust<br />

an Würde.<br />

Noch bis vor Kurzem behauptete Michailov hartnäckig seinen<br />

Standort außerhalb der Kunstmetropolen des Westens, denn: „ Der<br />

Westen lenkt mich zu sehr ab. Wo sonst könnte ich so intensiv<br />

arbeiten wie in Charkov?“ Dort entstanden in vier Jahrzehnten<br />

beeindruckende Bilderfolgen wie „By the Ground“. So benannt<br />

nach dem russischen Originaltitel von Maxim Gorkis „Nachtasyl“,<br />

zeigen die Panoramafotografien in quasi nostalgischem Sepiaton<br />

ukrainische Straßenszenen der 90er Jahre. Aufgenommen hat der<br />

Künstler sie aus Bauchhöhe. Den Betrachtern des armseligen, reduzierten<br />

Stadtlebens nötigt er eine Demutsgeste ab, indem er die<br />

Streifen konsequent auf Nabelniveau installiert. Diese ungewohnte<br />

Perspektive leitet der einstige Ingenieur von einer sowjetischen<br />

Fotografiedoktrin ab: 1. Du sollst niemals von einem höheren Standpunkt<br />

als dem 2. Stock fotografieren, schon gar nicht Bahnhöfe,<br />

Fabrikanlagen oder andere Objekte von Spionageinteresse, 2. Nie<br />

sollst Du das Ansehen der Sowjetunion in Deiner Motivwahl herabsetzen<br />

und 3. Keine Aktbilder! Das letzte Gebot brach Michailov<br />

fortwährend; die sklavische Einhaltung der beiden anderen erhob<br />

er zum Stilmittel. Ohne diese Prämissen, ohne das sperrige<br />

Ambiente seiner Heimat scheint sein Werk undenkbar.<br />

Und doch vollzog sich in den letzten Jahren eine Wandlung, die<br />

ihm selbst nicht ganz geheuer scheint. Seit 2002 unterrichtet<br />

Michailov an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig,<br />

als Gastdozent des DAAD. Hier, im von Bildern überfluteten<br />

Westen, stellt er sich eine Grundsatzfrage: „Was kann man heute<br />

überhaupt noch fotografieren?“ Er hat seinen Lebensmittelpunkt<br />

aus logistischen Gründen mittlerweile nach Berlin verlegt und es<br />

kommt ihm vor, als verlöre er langsam seine künstlerische Identität.<br />

Tagebuchartige Skizzen entstehen hier – für uns sicherlich noch<br />

immer großartige Fotografie. Für ihn selbst mangelt es den neuen<br />

Arbeiten an jener Unverwechselbarkeit, die seine sozialen Reflexionen<br />

in der Vergangenheit mit politischen Inhalten verknüpften. Und<br />

genau aus diesem Unbehagen heraus reist Boris Michailov immer<br />

wieder zurück in die Ukraine, als Chronist des dortigen Lebens.<br />

Vielleicht kehrt er eines Tages ganz nach Charkov zurück.<br />

Jakes. Ein guter Ort.<br />

Gabriele Neeb, freie Fotografin, Barcelona<br />

Nahe der Stadt Modrica in Bosnien befindet sich das Heim Jakes, ein Institut für die Behandlung,<br />

Rehabilitation und soziale Pflege psychisch kranker Menschen. In Fachkreisen galt die Anstalt lange Zeit<br />

als Alternative zu den klassischen Behandlungsmethoden der Psychiatrie. Das Konzept basiert auf dem<br />

Prinzip der Offenheit und hatte die Resozialisierung der Patienten zum Ziel.<br />

Der Krieg auf dem Balkan in den 90er Jahren, der zu mehrfachen Übernahmen von Modrica führte,<br />

unterbrach diese auf Kontinuität ausgerichtete Behandlungsmethode drastisch. Die Patienten mussten<br />

in viel zu kleine Ersatzquartiere evakuiert werden. Während um die Anstalt herum Krieg herrschte,<br />

kämpften Ärzte und Patienten um das blanke Überleben. 72 Patienten starben in dieser Zeit an<br />

Infektionen und Hunger.<br />

Im Chaos der Kriegswirren hatte niemand mit den Patienten gearbeitet oder sie auch nur beim Namen<br />

genannt. Die Ärzte mussten nach Ende des Krieges feststellen, dass einige der Patienten ihren eigenen<br />

Namen vergessen hatten. Mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen versuchten die Ärzte<br />

und Pflegekräfte wieder in den normalen Alltag zurückzukehren. Seitdem wurden einzelne Stationen<br />

renoviert und eine Heizung installiert. Die wieder aufgenommene Landwirtschaft ermöglicht eine<br />

Arbeitstherapie.<br />

Für die westliche Welt ist es nicht vorstellbar, dass es Glück auch in schlechten Verhältnissen gibt. Diese<br />

Vorstellung stellt ihre Werte und Normen in Frage: In der hedonistischen westlichen Welt wird Glück im<br />

Äußeren gesucht. Und doch sind die Bewohner von Jakes nicht unglücklich. Das Heim in Jakes ist eine<br />

eigene geschlossene Welt, in der die Bewohner Hilfe und Verständnis erfahren. Die Bewohner treten<br />

nur selten freiwillig durch ein meist geöffnetes Tor ins „normale“ Leben. Jakes ist ein guter Ort.<br />

Die Fotos entstanden als Abschlussarbeit an der Staatlichen Fachakademie für Fotodesign in München.<br />

Kontakt: Gabriele Neeb, atomicswing76@yahoo.de<br />

30<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 32<br />

FEUILLETON<br />

Ästhetik der Leere<br />

Ein Buch über moderne<br />

Architektur in Zentralasien<br />

Cornelia Dörries, Stadtsoziologin und Architekturkritikerin, Zeitungsund<br />

Buchpublikationen, Berlin<br />

Fotos: Anja Heß<br />

Die Glosse ist der Zeitschrift Novokult<br />

entnommen, die vor fast zwei Jahren in<br />

Nowosibirsk gegründet wurde. Die erste<br />

Ausgabe, die aus einer spontanen Idee<br />

entstand, enthielt Neuigkeiten aus<br />

Deutschland, Informationen über Studienund<br />

Stipendienmöglichkeiten, die Adressen<br />

der deutschen Organisationen in<br />

Novosibirsk und einen Kulturkalender.<br />

Nachdem die erste Ausgabe ein Erfolg war,<br />

haben sich der damalige Sprachassistent<br />

des Goethe-Institutes, Jan Helfer, und die<br />

Bosch-Lektorin Anja Heß daran gemacht,<br />

NovoKult regelmäßig herauszugeben. Es<br />

wurden Projektgelder bei verschiedenen<br />

Institutionen beantragt und weitere Leute<br />

zur Mitarbeit angesprochen. Aus den anfänglichen<br />

acht Seiten sind zwanzig geworden.<br />

Mittlerweile arbeiten auch die verschiedenen<br />

deutschen Kulturmittler im<br />

Redaktionsteam der Zeitung, russische<br />

Studenten und Kollegen schreiben Artikel<br />

und helfen beim Layout. Die Zeitung erscheint<br />

in einer Auflage von 1000 Exemplaren.<br />

Die Zeitschrift enthält verschiedene<br />

Rubriken wie „Neues aus Deutschland“,<br />

„Neue deutsche Literatur“, „Interviews“,<br />

„Schwerpunktthema“, „Kulturkalender<br />

Novosibirsk“, „Studieninformationen“ uvm.<br />

32 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Kioski<br />

Jan Helfer, schreibt für Novokult, Goethe-Institut, Projektberater, Saratow/Russland<br />

Kioske gibt es auch in Deutschland. Man kann da Zigaretten oder Zeitschriften kaufen. Man geht zum<br />

Kiosk, weil man zum Beispiel Zigaretten kaufen will. Der Verkäufer sitzt in seinem Kiosk, lächelt glücklich –<br />

wahrscheinlich denkt er gerade: „Oh, ein Kunde! Wie schön!“ – und sagt: „Guten Tag. Was darf’s sein?“<br />

„Guten Tag. Bitte Zigaretten.“<br />

„Hier, bitte. Das macht drei Euro.“<br />

„Danke. Hier drei Euro. Bitte.“<br />

„Ja, danke und einen schönen Tag.“<br />

„Danke, ebenso.“<br />

Geht also ganz leicht, ist aber auch etwas langweilig. Und wer will schon immer Zeitschriften oder<br />

Zigaretten kaufen? In Russland ist das alles besser. An Kiosken kann man alles kaufen außer Waffen und<br />

Pinguinen. Es gibt Schokolade, Chips, Bier und Zigaretten. Man bekommt Waldmeisterlimonade und<br />

Erdbeersaft. Hunger? Schnell zum Kiosk, Fischkonserven kaufen. Es gibt sogar richtige kleine tote<br />

Fische und Kalmare. Taschentücher oder Kondome? Kein Problem. Sie benötigen Damenbinden? Im<br />

Kiosk liegen sie bereit (jetzt müsste man nur noch wissen, was Damenbinde auf Russisch heißt). Der Kiosk<br />

bei mir um die Ecke hat bis vor kurzem auch Blumentöpfe verkauft. Wohl ohne Erfolg, jetzt gibt es Kerzen.<br />

Spielzeug, Tee oder Kaffee? Gibt’s! Kugelschreiber? Gibt’s! Nagelscheren habe ich gesehen, Klopapier, Schuhcreme<br />

und Kleiderbürsten. Gibt es alles, meist 24 Stunden am Tag. Man muss nur wissen, wie es geht.<br />

Nehmen wir an, Sie sind neu in Nowosibirsk und Sie haben auf dem Heimweg Lust auf ein Bier. Ein<br />

freundlicher Abend, nur fünf Grad unter Null. Das Bier wird nicht sofort in der Flasche gefrieren. Da!<br />

Ein Kiosk! Doch es ist keine Verkäuferin zu sehen, der Kiosk hat keine Öffnung. Nach einigen Minuten<br />

entdecken Sie eine Klappe auf Bauchnabelhöhe. Wieder zwei Minuten später fassen Sie Mut. Sie<br />

klopfen. Die Klappe öffnet sich. Sie sind glücklich und warten auf das vertraute „Guten Tag, kann ich<br />

Ihnen helfen?“ Die Klappe schließt sich wieder. So funktioniert es nicht. Sie klopfen erneut, es wird<br />

geöffnet und jemand fragt genervt: „Was?!“ Lassen Sie sich nicht verunsichern. Nennen Sie schnell<br />

eine Biermarke, die Sie aussprechen können. Beugen Sie sich nicht zur Klappe hinunter, das sieht<br />

dämlich aus. Stecken Sie nicht den Kopf durch die Öffnung. Im Kiosk tut sowieso niemand so, als<br />

dächte er: „Oh, wie schön, ein Kunde!“ Dort denkt jemand: „Wer etwas kaufen will, soll sich kurz und<br />

klar artikulieren. Ich will hier nämlich in Ruhe rauchen. Außerdem kommt sonst kalte Luft in meinen<br />

Kiosk.“ Halten Sie sich daran, dann kriegen Sie auch Ihr Bier.<br />

Als ich neulich zu meinem Lieblingskiosk ging, war es schon dunkel und niemand auf der Straße. Ich<br />

beugte mich doch einmal zur Klappe hinunter. Im Kiosk saßen drei Frauen und rauchten. Ich<br />

brauchte einen Blumentopf, es gab aber nur Kerzen. Die drei Frauen rauchten immer weiter, der<br />

ganze Kiosk war schon voller Rauch. Ich nahm meine Kerzen und ging. Als ich mich umdrehte, hatte<br />

der Rauch die ganze Luft im Kiosk verdrängt. Der Rauch, leichter als Luft, stieg auf und löste den<br />

Kiosk von der Erde. Unsicher taumelte er in der Nacht, stieg schneller auf und flog in eleganter Linie<br />

über das Zentrum der Stadt nach Norden. Ich blieb am Boden zurück, sah dem immer kleiner werdenden<br />

Kiosk nach, der still davonschwebte und schon weit entfernt am Nachthimmel glitzerte:<br />

Wohin werden sie wohl fliegen? Was werden sie tun?<br />

Wenn die Rede auf Kasachstan, Usbekistan<br />

oder Kirgistan kommt, ist man gewöhnlich<br />

geneigt, sich im Atlas zu vergewissern, um<br />

welche Regionen der Erde es sich dabei handelt.<br />

Meistens versinken die ohnehin vagen Vorstellungen<br />

in jenem diffusen Nebel, der die<br />

Entwicklung in den Nachfolgestaaten der ehemaligen<br />

Sowjetunion umgibt: Umweltkatastrophen,<br />

Armut, postsozialistische Despotenregimes<br />

und Verfall. Dieses endzeitliche Leitmotiv<br />

lässt vergessen, dass neben diesen verheerenden<br />

Tatsachen in den zentralasiatischen<br />

Ländern allmählich auch Neues entsteht.<br />

Und was könnte den Anbruch einer neuen Zeit<br />

sinnfälliger verkörpern als neue Städte, neue<br />

Häuser, ergo Architektur?<br />

Den Berliner Architekten und Journalisten Philipp Meuser verschlägt<br />

es seit einigen Jahren immer wieder nach Zentralasien.<br />

Diese riesige Region ist weder pittoresk noch einladend, und<br />

unübersehbar von den üblichen gesellschaftlichen, ökonomischen<br />

und ökologischen Verwerfungen gezeichnet. Städte und Landschaft<br />

sind von den Folgen jahrzehntelangen Raubbaus an Mensch und<br />

Umwelt geprägt und werden noch lange an diesen Altlasten tragen,<br />

die auch das sich allmählich herausbildende Neue mit einer schweren<br />

Hypothek belasten. Insofern stellt sich Philipp Meuser einem fast<br />

uneinlösbaren Anspruch, wenn er nach über zehn Jahren<br />

Unabhängigkeit in Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan auf die<br />

Suche nach einer eigenständigen neuen Architektur geht, die das<br />

Erbe des Sowjetzeitalters mit den ethnisch geprägten Bautraditionen<br />

zu vereinen vermag. Dafür bieten die knapp 150 Seiten des<br />

großformatigen Kompendiums schlicht zu wenig Platz. Allerdings<br />

vermitteln die eindrücklichen Fotos mit Texten von insgesamt acht<br />

Autoren einen informativen Eindruck der gegenwärtigen<br />

Entwicklung in Architektur und Städtebau Zentralasiens. Hier löst<br />

das Buch den Anspruch seines Titels ein: Es dokumentiert die<br />

Ästhetik von vier Jahrzehnten städtebaulichen Ehrgeizes in einer<br />

Steppenlandschaft, die so groß ist wie das gesamte Mittel- und<br />

Westeuropa. Dabei beschränkt sich der Herausgeber auf die moderne<br />

Architektur von 1961 bis zur Gegenwart. Die dokumentierten<br />

Neubauten spiegeln einen Aufhol-Prozess wider, mit dem der<br />

Anschluss an die westliche Moderne der Büro- und Hotelquader<br />

gesucht wird und Identität bestenfalls in einer Art vulgarisierter<br />

Folklore daherkommt.<br />

Ein eigenes, erschütterndes Kapitel ist dem ökologisch kollabierten<br />

Aralsee und den sterbenden ehemaligen Fischerdörfern an seinen<br />

Ufern gewidmet. Da geht es weniger um architektonische Aspekte<br />

als vielmehr um einen schockierenden Tatbestand mit beängstigenden<br />

Konsequenzen für Mensch und Natur.<br />

Die Bilder in dem Buch belegen eine gravierende Unausgewogenheit<br />

zwischen Stadt und Land, den Metropolen und ihren unfassbar<br />

weiten Peripherien. Auf der einen Seite gibt es phantasmagorische<br />

Projekte wie die Planung und Errichtung der aseptischen neuen<br />

kasachischen Hauptstadt Astana, die auf Geheiß des Präsidenten<br />

Nasarbajew nach dem Masterplan des japanischen Architekten<br />

Kurokawa in die Steppe geklotzt wird, während andererseits die<br />

kleineren Städte, Dörfer und Siedlungen im Landesinneren verelenden<br />

und verfallen.<br />

Dem vergifteten politischen Humus, auf dem diese fatale Entwicklung<br />

gedeiht, widmet das Buch leider wenig Aufmerksamkeit.<br />

Dennoch gelingt es, die Neugier des Lesers auf Exotisches in tiefer<br />

gehendes Interesse am Schicksal der Länder zwischen Ural und chinesischer<br />

Grenze zu verwandeln.<br />

Philipp Meuser (Hrsg.):<br />

„Ästhetik der Leere. Moderne Architektur in Zentralasien“<br />

Verlagshaus Braun, Berlin 2002. ISBN 3935455135, EUR 29,80<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

33


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 34<br />

FEUILLETON<br />

Wenn du ganz allein bist...<br />

Das Jugendsorgentelefon in Rostow am Don ist oft die letzte Hilfe<br />

Lisa Borsenko und Anna Ermolenko, Journalistik-Studentinnen, Rostow am Don/Russland<br />

Es gibt Probleme, die man auch sehr nahe stehenden Menschen nur schwer mitteilen kann. Sie würden sie sowieso nicht verstehen,<br />

und Freunde lachen vielleicht nur über ernsthafte Sorgen. Zum Psychologen zu gehen wagt nicht jeder. Für manche ist<br />

ein anonymer Anruf das letzte Mittel. Das Rostower Jugendsorgentelefon existiert seit sieben Jahren und wird von der russischen<br />

nichtstaatlichen Stiftung „Humanitäre Initiativen“ getragen.<br />

Telefonnummer des Rostower<br />

Sorgentelefons für Jugendliche:<br />

+7 (8632) 40-39-38<br />

(Russisch)<br />

Foto: Arndt Lorenz<br />

Kinderplanet Georgien<br />

Jeder Anrufer hat das Bedürfnis, dass in seiner schwierigen Situation jemand wirklich<br />

zuhört und hilft. Dazu muss dieser Jemand feinfühlig und verständnisvoll sein. Manchmal<br />

reicht ein kurzes Gespräch am Telefon, manchmal hängt vom rechtzeitigen Rat das Schicksal<br />

des Hilfesuchenden ab.<br />

Die häufigsten Probleme bei Jugendlichen sind die Beziehungen zwischen den Geschlechtern.<br />

Mädchen rufen an, weil sich ihre Freunde für andere Mädchen interessieren.<br />

Oder es gibt Fälle, dass der Partner viel älter ist als das Mädchen und die Eltern deswegen<br />

gegen die Beziehung sind. Im schlimmsten Fall hat der Freund schon anderswo Frau und<br />

Kinder. Oder ein Junge interessiert sich für einen anderen Mann, was seine Umwelt nicht<br />

verstehen würde. Es gibt oft auch Anrufe von Jugendlichen nach dem Sinn des Lebens.<br />

Andere wiederum sind so verzweifelt, dass ihnen ein Selbstmord als das letzte Mittel<br />

erscheint. Mit diesem Problem müssen sich die Seelsorger etwa 20-40 Mal im Monat<br />

auseinandersetzen und schnell Hilfe anbieten.<br />

Die Arbeit beim Sorgentelefon ist ehrenamtlich. Jeder der fast 70 Berater leistet 6-12<br />

Stunden pro Woche Telefondienst. „Für mich ist es ein Ort, wo man mehr über Menschen<br />

und sich selbst erfahren kann. Die stärkste Motivation war, dass mich jemand braucht“, so<br />

eine der Mitarbeiterinnen, die sonst als Wirtschaftswissenschaftlerin tätig ist. Das Alter der<br />

Helfer ist begrenzt, zwischen 19 und 29 Jahre sollten sie sein, weil in diesem Alter die persönlichen<br />

Erinnerungen an die erste Liebe oder an Probleme mit den Eltern noch frisch<br />

sind. Eine große Schwierigkeit besteht darin , dass die Telefonleitung oft besetzt ist, weil es<br />

nur eine Verbindung gibt. Ein zusätzlicher Briefdienst ermöglicht die Kontaktaufnahme für<br />

Jugendliche, die kein Telefon zur Verfügung haben oder nicht anrufen können. Das Rostower<br />

Jugendsorgentelefon ist übrigens keine staatliche und natürlich erst recht keine kommerzielle<br />

Einrichtung, deshalb ist das Problem der Finanzierung immer aktuell.<br />

Die Erfahrung, die die Berater während ihrer Arbeit in Rostow machen, ist unschätzbar. Die<br />

Erlebnisse und Gefühle des Menschen waren und bleiben in allen Zeiten entscheidend auf<br />

dem Weg zu uns selbst. Das Sorgentelefon hilft allen, einander besser zu verstehen.<br />

Rusiko Nikolosischwili, Psychologin und Fotografie-Studentin, Tbilissi/Georgien<br />

Grenzen überwinden – Note für Note<br />

Victoria Owen, Studium der Kommunikationswissenschaften und Musik (Cello), Marketing<br />

Managerin, München<br />

Fotos: Martin Donner (oben), Victoria Owen (unten)<br />

Ein gleißender Augusttag – die Hitze lähmt die Bewegungen der Touristen, die vor dem<br />

Eszterházy Kastély in Fertöd in Ungarn auf Einlass warten. Plötzlich dringt eine Melodie<br />

von Bartók aus dem Gemäuer. Neugierige suchen nach ihrem Ursprung. Tief im Inneren<br />

des Schlosses, in einem unrenovierten Seitenflügel, würden sie eine überraschende<br />

Entdeckung machen: Probt dort doch ein vollständiges Sinfonie-Orchester! Jedes Jahr<br />

im Sommer trifft sich hier das Camerata Pannonica International Chamber Orchestra.<br />

Das Orchester besteht aus Amateur- und Profimusikern. Die meisten Musiker kommen aus<br />

West- und Osteuropa, aber einige nehmen die Reise aus Nordamerika und dem Südpazifik<br />

auf sich, um im Schloss 12 Tage voller Musik zu erleben. Der Aufenthalt im Eszterházy<br />

Kastély endet stets mit einem Konzert, das im wunderschönen Konzertsaal des Schlosses aufgeführt<br />

wird. Das Repertoire des Orchesters bezieht sich auf das historische und kulturelle<br />

Erbe der Region. Normalerweise werden einige Werke von Haydn gespielt, der 30 Jahre seines<br />

Musikerlebens in der Residenz Eszterházys verbrachte. Daneben stehen selbstverständlich<br />

die Werke der ungarischen Musiker Béla Bartók und Zoltán Kodály auf dem Programm,<br />

die beiden nahmen ungarische Volksmusik als Grundlage für ihre Werke.<br />

Das Camerata Pannonica International<br />

Chamber Orchestra wurde vor 12 Jahren von<br />

Dr. Martin Donner und dem Dirigenten Walter<br />

Kobéra gegründet. Die Teilnehmer – Amateurund<br />

Profimusiker – treffen sich jedes Jahr im<br />

Sommer im Eszterházy Kastély in Fertöd.<br />

Anfragen beantwortet Dr. Martin Donner<br />

(Tel.: +43-1-535-4443).<br />

Das Orchester ist offen, eine Teilnahme erfolgt<br />

auf Einladung und hängt jeweils von der<br />

Zusammensetzung des Orchesters ab.<br />

Diesjährige Konzerte:<br />

Donnerstag, den 7. August 2003 um 19:00,<br />

Kammermusik<br />

Sonntag, den 10 August um 11:00,<br />

Sinfonie-Konzert<br />

Reservierungen unter Tel.: +43-1-894-0614<br />

Für behinderte Kinder und Jugendliche wurde im Jahr 2000 in Tbilissi ein Zentrum für Rehabilitation gegründet: Die Kinder erhalten dort umfassende<br />

psychologische Betreuung, Rehabilitation und Sozialanpassung. Eine sehr wichtige Arbeit, denn für behinderte Kinder bestehen ansonsten in<br />

Georgien nur sehr wenige Angebote. Rund 20 Fachleute - Psychologen, Neurologen, Psychiater, Therapeuten und Sozialarbeiter - betreuen zwei<br />

Gruppen mit je 20 Kindern. Eine davon besteht aus Kindern von Flüchtlingsfamilien aus Abchasien, die vor allem durch den Bürgerkrieg traumatisiert<br />

sind und im Rehabilitationszentrum eine kostenfreie Behandlung erhalten. Die Fachleute wenden moderne Therapieformen an: Kunst-,<br />

Bewegungs-, Beschäftigungs- und Spieltherapie, Logopädie und Eurythmie.<br />

Das Zentrum wird ausschließlich privat betrieben und bekommt keinerlei Unterstützung von staatlicher Seite. Der Name „Kinderplanet“ geht auf die<br />

Grace-P.-Kelly-Stiftung zurück, die vor 30 Jahren von der Grünen-Politikerin Petra Kelly gegründet wurde. Diese Einrichtung fördert Projekte wie<br />

dieses in Georgien, um soziale Schutzräume zu schaffen, damit kranke Kinder mit ihren gesunden Geschwistern und Eltern am Ort ihrer Behandlung<br />

zusammen sein können. „Kinderplaneten“ gibt es u.a. in einem Rehabilitationszentrum in Halle/Saale oder in der Rehabilitationsklinik Schönwald/<br />

Schwarzwald. Gerade wird auch ein „Kinderplanet“ in Tibet aufgebaut.<br />

Spenden an „Sonderkonto Kinderplanet Georgien“, Sparkasse Pforzheim Calw, BLZ 60651070, Konto-Nummer 466950.<br />

Weitere Informationen: Rusiko Nikolosischwili (georgien_kinderplanet@gmx.de)<br />

Die Orchestermitglieder verbringen ihre Zeit mit festen Proben am Tag und spontanen<br />

Kammermusik-Spiel am Abend. Daneben genießen sie die schöne Landschaft, den Tokajer<br />

Wein, den Aprikosenlikör Barack und das deftige ungarische Essen. Alle Orchestermitglieder<br />

sind sich einig, dass die Gruppe ein besonderer Geist verbindet. „Man kann das schwer in<br />

Worten beschreiben“, sagt Fons Plansschaert, der Holländische Konzertmeister des<br />

Orchesters, „Gott sei Dank haben wir die Musik, so dass wir auch ohne Worte auskommen<br />

können.“ In jeder Hinsicht ein wichtiges Moment, denn bei so vielen Sprachen ist mit dem<br />

gesprochenen Wort oft nicht viel auszurichten. Was die Musiker verbindet, ist das Spiel, die<br />

Proben, die Konzerte, das Lampenfieber, der Applaus, die Fehlschläge und Erfolge. Nicht<br />

selten entstehen hier langjährige Freundschaften. Die Musiker von Camerata Pannonica<br />

nutzen die unvergleichbare Möglichkeit, Grenzen von Kultur und Sprache zu überwinden –<br />

Note für Note.<br />

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dorothea Leonhardt<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

35


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 36<br />

REISE<br />

REISE<br />

Fotos: Andreas Stocker<br />

Neujahrsfest in Burjatien<br />

Lenin im Moskauer Mausoleum sieht bedeutend schlechter aus, trotz aller aufwändigen Konservierungsmaßnahmen.<br />

Burjatische Nationalspeise: Rindfleisch in<br />

Teigbällchen<br />

Die Burjatische Republik erstreckt sich<br />

im Süden Ostsibiriens entlang des Baikalsees.<br />

Sie gehört zu den ärmsten Regionen<br />

Russlands. Im Süden grenzt Burjatien an<br />

die Mongolei. Der Fläche nach entspricht<br />

Burjatien der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Die Einwohnerzahl beträgt etwa eine<br />

Million, was einer Einwohnerzahl von drei<br />

Personen pro Quadratkilometer entspricht.<br />

400.000 der Einwohner leben in der<br />

Hauptstadt Ulan-Ude. Die vorherrschende<br />

Religion der burjatischen Bevölkerung ist<br />

der Buddhismus tibetischer Richtung (Lamaismus),<br />

daneben sind noch schamanistische<br />

Religionen anzutreffen.<br />

Nur 24% Prozent der Bevölkerung sind<br />

Burjaten, 68% Russen. Auf dem Gebiet<br />

des heutigen Burjatiens wurde Dshingis<br />

Khan geboren.<br />

36 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Andreas Stocker, DAAD-Stipendiat, Irkutsk/Russland<br />

Sagaalganar! Sagaan haraar! Buddhistische Gesänge, endlose Steppe, Holzhäuser mit blauen<br />

Fenstern. Ich reiste in die burjatische Steppe, um dort mit einer Familie auf traditionelle Weise<br />

das buddhistisch-lamaistische Neujahr nach dem Mondkalender zu feiern.<br />

31.1.<br />

Um 6 Uhr morgens erreiche ich die Hauptstadt Burjatiens, Ulan-Ude, wo mich mein Bekannter Aldar<br />

erwartet. Die Begrüßung ist herzlich, aber kurz. Bei –20° Celsius und eisigem Wind verliert man nicht<br />

viele Worte. Im nahegelegenen Studentenwohnheim merke ich gleich, dass ich noch immer in<br />

Russland bin: Trotz Reservierung weiß hier niemand etwas was von meiner Ankunft, das Wohnheim<br />

ist voll belegt. Aldar schlägt vor, bei seinem Cousin in der Stadt zu übernachten. Kurz vor 10 Uhr treffen<br />

wir Aldars Mutter. Sie hat Teigbällchen dabei, mit denen wir uns das Gesicht abtupfen. Der Teig soll<br />

das Schlechte aufnehmen und den Körper vom Bösen reinigen. Auf ein Stück Papier schreiben wir<br />

unsere Wünsche und umwickeln damit den Teig.<br />

Am Abend fahren wir zum größten buddhistischen Kloster Russlands, Iwolginskij Dazan, das außerhalb<br />

Tibets als das wichtigste Zentrum des lamaistischen Buddhismus gilt. Hier findet die traditionelle<br />

Reinigungszeremonie statt, bei der der Körper von schlechtem Karma gereinigt werden soll. Wir<br />

umrunden im Uhrzeigersinn das Klostergelände und drehen die am Weg aufgestellten Gebetsmühlen,<br />

bis wir zum Iwolga Tempel gelangen. Im Inneren des Tempels erinnert wenig an die beschauliche<br />

Ruhe, die ich bei meinem ersten Besuch hier erlebt habe. Eine riesige Menschenmasse wälzt sich bzw.<br />

mich durch den Raum. Ich bin froh, als ich wieder an der frischen Luft bin, aber nicht lange – es hat –35°<br />

Celsius. Ohne Handschuhe, den Fotoapparat stets griffbereit, warte ich eine Stunde auf die Lamas. Als<br />

sie endlich aus dem Tempel kommen ist die Spitze meines Daumens erfroren. Die Lamas begeben<br />

sich zu einem Scheiterhaufen, auf dem sich jetzt die Teigbällchen befinden. Das Feuer wird entfacht, die<br />

Menschenmenge strömt auseinander, ohne zurück zu blicken. Ein Blick in die Flammen bringt Unglück.<br />

1.2.<br />

Am Vormittag erhalten wir bei Dugarow Tschimit-Dorshi, einem buddhistischen Arzt und Freund der<br />

Familie, einen Privattermin. Er fühlt meinen Puls. Über 300 verschiedene Arten davon gäbe es, meint<br />

er. „Man kann daraus den Zustand des Körpers spüren.“ Seine Schülerin packt mir Heilpulver in kleine<br />

Tütchen ab. Ich solle es als Tee trinken, meint sie, dann werde das mit dem Daumen schon wieder.<br />

Der Daumen hat sich danach mehrmals verfärbt und noch drei Wochen geschmerzt, ist jetzt aber<br />

wieder in Ordnung.<br />

Auch heute fahren wir wieder zum Kloster Iwolginskij Dazan. Dort wird der Leichnam eines Mönches<br />

ausgestellt, der seine Schüler beauftragt hatte, ihn 75 Jahre nach seinem Tod auszugraben. Sein Leichnam<br />

ist einwandfrei erhalten. Er sitzt in seiner tiefroten Gebetskleidung mit orangem Tuch in einem Glaskasten.<br />

Im Kloster treffen wir einen anderen Cousin Aldars, Bair Dondukow, in seiner kleiner Holzhütte. Er<br />

unterbricht sein Gebet und empfängt uns freundlich. Man fühlt sich bei ihm nicht nur wegen der warmen<br />

Stube wohl. Bair studiert seit drei Jahren im Kloster. Wir unterhalten uns über das Studium und die<br />

Schwierigkeiten des Buddhismus in Russland. „Aufgrund der Annäherung Chinas und Russlands ist die<br />

gegenwärtige Situation des Buddhismus schwierig“, meint er. Der Dalai Lama sei zuletzt 1991 hier gewesen,<br />

er erhalte schon seit einiger Zeit kein Visum mehr. Man wolle schließlich China nicht verärgern, so Bair.<br />

2.2., Neujahr<br />

Als ich um 5 Uhr aufstehe, betet Aldar schon vor dem Hausaltar. Noch vor den ersten Sonnenstrahlen des<br />

neuen Jahres wollen wir auf der Straße den Gott Paldan Lchamo treffen. Er fliege in diesen Stunden über<br />

die Häuser und bringe denjenigen ein gutes neues Jahr, die frühmorgens aufgestanden sind, erklärt<br />

Aldar. Die Schlafenden hielte der Gott für tot und übergehe sie. Damit er uns nicht übersieht, machen<br />

wir Feuer aus dem Müll, der überall herumliegt. Aldar opfert Tee mit Milch und spricht ein Gebet.<br />

Dann fahren wir zu Aldar nach Hause: nach einstündiger Busfahrt marschieren wir noch eine halbe<br />

Stunde durch die schneebedeckte Steppe. Von weitem sehen wir das neu erbaute Haus mit seinen<br />

typisch burjatischen blauen Fensterläden. Es erwarten uns schon Aldars Vater, seine Mutter und sein<br />

zwölfjähriger Bruder, alle in ihre farbenprächtigen Nationaltrachten gekleidet. Zuerst gehen Aldar und<br />

ich zum Altar und drehen an der Gebetsmühle. Während Aldar betet, schaue ich mich im Haus um.<br />

Es ist an einem Abhang gelegen und bietet einen atemberaubenden Blick über die endlose Weite der<br />

Steppe. Neben der Küche besteht das Haus nur noch aus einem großen Zimmer. Es ist Schlafzimmer<br />

für Kinder und Eltern, Wohnzimmer, Studierzimmer und Gebetsraum in einem. Ein Badezimmer suche<br />

ich vergebens. Telefon und fließendes Wasser gibt es hier nicht. Einmal in der Woche bringt ein<br />

Lastwagen frisches Wasser. Die Toilette ist in einem Häuschen im Garten. Ofen und Herd werden mit<br />

Holz beheizt, Birke natürlich. Die Familie gehört zur neu entstandenen Mittelklasse. Der Vater ist<br />

Zahnarzt, die Mutter arbeitet nicht, ein Zeichen des Wohlstandes.<br />

Erst nach dem Gebet erfolgt die Begrüßung. Ich lege meine Arme unter die ausgestreckten Arme der<br />

Gastgeber als Zeichen meiner Wertschätzung den Ältern gegenüber und spreche die Worte:<br />

„Sagaalganar! Sagaan haraar!“ – „Alles Gute zum Neujahr, zum weißen Monat.“ Wir setzen uns um den<br />

Tisch, der von Leckereien überquillt, Wodka wird gereicht. Der Reihe nach erheben sich die Männer,<br />

Trinksprüche folgen. Auf das Neujahrsfest, auf die Gesundheit, auf die Liebe und die Frauen. Dann<br />

wird gemeinsam die burjatische Nationalspeise zubereitet: Posi, kleine mit Rindfleisch gefüllte<br />

Teigbällchen, die dann ebenfalls verspeist werden.<br />

Auf dem Heimweg am Abend begleitet mich die ganze Familie. Sie singen burjatische Volkslieder. Die<br />

Sonne steht schon tief am Himmel und taucht die schneebedeckte Steppe in glühendes Rot. In der<br />

Ferne stehen vereinzelt kleine Holzhäuser mit rauchenden Kaminen. Ich blicke ein letztes Mal über<br />

die Steppe, bevor ich in den engen Kleinbus einsteige.<br />

Die Gastgeber in Nationaltracht


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 38<br />

THEODOR-HEUSS-KOLLEG<br />

Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch!<br />

Zeitungsmacher im Theodor-Heuss-Kolleg schaffen sich langfristige Strukturen<br />

Karen Hauff, Kollegkoordinatorin beim Theodor-Heuss-Kolleg, Berlin<br />

In den vergangenen 2 Jahren wurden im Theodor-Heuss-Kolleg 10 Zeitungsprojekte von Studenten in<br />

Russland, der Ukraine und der Slowakei ins Leben gerufen. Vor allem in Sibirien ist eine kleine<br />

Presselandschaft studentischer Zeitungen entstanden. Zwei russische und eine ukrainische Zeitung sind<br />

bereits als Nichtregierungsorganisationen registriert und wollen sich auf dem freien Markt behaupten.<br />

„Mit der Registrierung waren hohe Kosten und viel Bürokratie verbunden. Aber es war uns<br />

wichtig, eine Organisation zu gründen, die als offizieller Herausgeber der Zeitung „Freedom“<br />

auftreten kann. Das wird die Suche nach Förderern leichter machen und unsere Auflage über<br />

die Tausender Grenze erhöhen“, berichtet Wladimir Katunzew, Chefredakteur der Zeitung<br />

„Freedom“ in Tjumen. Unermüdlich arbeitet das siebenköpfige Redaktionsteam an einem<br />

immer professionelleren Auftreten des Blattes. Die Artikel der Zeitung erscheinen in drei<br />

Sprachen und enthalten viele Informationen: Stipendienausschreibungen, Auslandsstudium<br />

oder aktuelle Berichte aus Politik und Gesellschaft. Die gleichnamige „Freedom“ in Omsk widmet<br />

sich ähnlichen Themen. Ihre Korrespondenten sind Studenten, die gerade im Ausland sind<br />

oder Nachwuchsjournalisten aus dem weiten Kollegiaten-Netzwerk. Sie sorgen dafür, dass in<br />

den Freedom-Ausgaben verschiedene Ansichten zu Wort kommen und die Zeitung ihrem<br />

Anspruch der Interkulturalität gerecht wird. Der Leser soll ruhig einmal über den eigenen<br />

Tellerrand blicken. Auch „an der Nowosibirsker Verwaltungsakademie ist es schon zu einer<br />

guten Tradition geworden, alle zwei Monate auf die neue Ausgabe der „Odissej“ zu warten“,<br />

erzählen die beiden Chefredakteurinnen Jekaterina Smirnowa und Maria Schamajewa stolz.<br />

Regelmäßig suchen sie das Feedback der Leser in Umfragen oder laden auch schon mal zu<br />

einer öffentlichen Diskussion ihrer Zeitung ein.<br />

Schreib- und Lesernetze<br />

Die Projekte stehen nicht alleine da. Neben dem Korrespondentennetzwerk tauschen alle<br />

Zeitungen, die mit Hilfe des Theodor-Heuss-Kollegs erscheinen, regelmäßig Artikel aus; Kontakte<br />

bestehen auch zum Online Magazin „Spinne“ des Theodor-Heuss-Kollegs, „vitamin de“,<br />

der „Petersburgischen Zeitung“ und Medien der russlanddeutschen Gemeinden. Leser werden<br />

über E-Mail-Umfragen inhaltlich einbezogen und können jederzeit zu Wort kommen. Die<br />

Online-Versionen einiger Zeitungen erleichtern die Verbreitung.<br />

Der Preis der Unabhängigkeit<br />

Das Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung bietet den Zeitungsprojekten durch<br />

Finanzierung und Projektberatung einen Raum zum Experimentieren und freien Arbeiten. Der<br />

Sprung auf den freien Medienmarkt, wenn die Unterstützung des Kollegs abnimmt, wird nicht<br />

einfach sein. Die World Press Association beobachtete die sich entwickelnde Presselandschaft<br />

in jungen Demokratien und musste feststellen, dass der Preis für freies und unabhängiges<br />

Schreiben oft die Kommerzialisierung der Zeitungen bedeutet. Solche Zeitungen bestehen zum<br />

Großteil aus Anzeigenwerbung oder bestellten Artikeln. „Wir wollen durch Partnerschaften mit<br />

europäischen Zeitungsprojekten und Stiftungen der EU eine Kommerzialisierung unserer Zeitungen<br />

verhindern. Trotzdem wird Anzeigenakquise wichtiger werden,“ so Wladimir Katunzew.<br />

Unterstützung oder Partnerschaft mit den Universitätsverwaltungen liegt natürlich nahe – etwa<br />

Foto: Karen Hauff wenn es um die Nutzung von Räumlichkeiten oder Vergünstigungen in der Hausdruckerei geht.<br />

Foto: Ulrike Fischer<br />

Das funktioniert in manchen Fällen und ist eine Erleichterung. Eine der Chefredakteurinnen<br />

winkt jedoch ab: „Mehrfach versuchten Direktoren und Lehrende, auf unsere Inhalte Einfluss<br />

zu nehmen. Da suchen wir uns die Unterstützung lieber anderswo.“<br />

Die persönliche Laufbahn im Blick<br />

Nicht alle Kollegiaten, die nun Zeitungen an ihren Hochschulen herausgeben, haben ihre berufliche<br />

Zukunft im Journalismus gesehen. Sie studieren zum Beispiel Sprachen, Internationale<br />

Beziehungen, Jura oder Informatik. Inzwischen finden sie die journalistische Tätigkeit aber sehr<br />

attraktiv. Sie schärft ihr Auge für Ereignisse oder Missstände in ihrem Umfeld und für wichtige<br />

politische Entwicklungen. Die internationalen Seminare des Theodor-Heuss-Kollegs führten<br />

dazu, dass Themen der Zeitungen sich um Austausch zwischen Ländern drehen. Diese<br />

Einstellung und die Praxiserfahrung in den Zeitungsprojekten ist nun oft die Eintrittskarte zu<br />

anderen Stipendienprogrammen oder Praktikumsplätzen für Journalisten.<br />

Den eigenen Stil finden<br />

In diesem Frühjahr fand schon zum zweiten Mal eine Fortbildung des Theodor-Heuss-Kollegs<br />

für junge Journalisten statt. Dort wurde von früh bis sehr spät Schreiben trainiert, Layout-Kritik<br />

geübt und Strategien für das Zeitungsmanagement diskutiert. So manches ist verbesserungsfähig,<br />

so wird zum Beispiel oft an der Zielgruppe vorbeigeschrieben. Die deutsche Auffassung<br />

von Recherche und journalistischem Schreiben unterscheidet sich stark vom Stil russischer<br />

Journalisten. „Es war mir nicht klar, dass es so unterschiedliche journalistische Schulen gibt“,<br />

staunt Daria Kudrjawzewa aus Moskau. Die lebhafte Diskussion, die sich zwischen einer<br />

deutschen Seminarleiterin und einem russischen Journalisten entspann, verfolgten die<br />

Kollegiaten aufmerksam, um ihre eigenen Standpunkte zu überdenken.<br />

Ein „Dom“ (= Haus) entsteht<br />

„Freedom“ Omsk hat die Organisation von Fortbildungsseminaren übernommen. So können<br />

die Erfahrungen der reiferen Projekte bereits an die jüngere Zeitungsgeneration weitergegeben<br />

werden. Das Informations- und Bildungszentrum „Freedom“ unterstützt neben der Zeitungsherausgabe<br />

auch andere kleine unabhängige Projekte. Ein Zeichen, dass Strukturen sich tatsächlich<br />

festigen. Schon bald werden die neu entstandenen Organisationen immer häufiger als<br />

Partner des Theodor-Heuss-Kollegs bei der Projektarbeit und Seminarorganisation auftreten.<br />

(www.freedomcity.info).<br />

Zeitungs- und Medienprojekte<br />

im Theodor-Heuss-Kolleg der<br />

Robert Bosch Stiftung<br />

Fischka, Jekaterinburg, pusha@inbox.ru<br />

Kipisch, Krasnojarsk, uskanna@yandex.ru<br />

Odissej, Nowosibirsk,<br />

katja.smirnova@mail.ru<br />

Freedom, Omsk,<br />

iragolenkova@yahoo.com<br />

Freedom, Tjumen, vladimir@omen.ru<br />

Obras Rosij, Jekaterinburg,<br />

Ivan-pochta@yandex.ru<br />

Chid, Lwiw, galaguzo@yahoo.de<br />

Interstube, Banska Bystrica,<br />

gabika.alacova@post.sk<br />

Parallelen und Meridiane, Kirowograd,<br />

thomenko@kspu.kr.ua<br />

Kleine Völker im großen Reich<br />

(Artikelzyklus), Ufa, embryo@aport.ru<br />

Information:<br />

karen.hauff@theodor-heuss-kolleg.de<br />

Information zum Theodor-Heuss-Kolleg<br />

der Robert Bosch Stiftung<br />

Das Theodor-Heuss-Kolleg ist ein<br />

Programm der Robert Bosch Stiftung in<br />

Trägerschaft des <strong>MitOst</strong> e.V. Es ermutigt<br />

Jugendliche aus Deutschland und Mittelund<br />

Osteuropa, sich in ihrem Umfeld<br />

öffentlich zu engagieren, demokratische<br />

Spielregeln einzuüben und verantwortliche<br />

Aufgaben in der Gesellschaft<br />

zu übernehmen.<br />

In diesem Jahr wurden aus 540 Bewerbungen<br />

100 junge Erwachsene ausgewählt,<br />

die zweiwöchige Sommerseminare<br />

absolvieren. Dort werden gesellschaftspolitische<br />

Themen diskutiert und in praxisbezogenen<br />

Übungen Kenntnisse von<br />

Demokratie, interkultureller Verständigung<br />

und der Rolle der Medien vermittelt.<br />

Die Kollegiaten entwickeln Ideen für<br />

innovative Projekte, die sie in ihren<br />

Heimatstädten umsetzen können. Bei<br />

der Projektarbeit werden die Kollegi-aten<br />

durch ein Projektstipendium, Projekttreffen<br />

und Fortbildungen unterstützt. Im Kollegjahr<br />

2002/2003 wurden im Theodor-<br />

Heuss-Kolleg 44 Projekte in den Bereichen<br />

Hochschule und Bildung, Kultur, Medien,<br />

Soziales und Politische Bildung durchgeführt.<br />

Informationen:<br />

www.theodor-heuss-kolleg.de.<br />

Kontakt: info@theodor-heuss-kolleg.de<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

39


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 40<br />

LEKTORENPROGRAMME<br />

Boschlektor in MOE – Interesse so groß wie nie<br />

Nicht nur Wodka und Vampire –<br />

Das Korrespondenten-Netz „n-ost“ stellt sich vor<br />

LEKTORENPROGRAMME<br />

Die Robert Bosch Stiftung vergibt jährlich<br />

Stipendien an deutsche Hochschulabsolventen,<br />

die für ein bis zwei Jahre in einem<br />

Land in Mittel- Ost- oder Südosteuropa an<br />

einer örtlichen Hochschule lehren und sich<br />

in studentischer Projektarbeit engagieren.<br />

Ab August 2003 werden rund 90 deutsche<br />

Sprach- und Fachlektoren und 30 Tandemlektoren<br />

(Wissenschaftler aus Mittel- und<br />

Osteuropa) in folgenden Ländern tätig<br />

sein: Estland, Lettland, Litauen, Polen,<br />

Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien,<br />

Serbien, Bulgarien, Ukraine, Weißrussland,<br />

Russland, Georgien und Kasachstan. Rund<br />

die Hälfte der Lektorate befinden sich in<br />

Weißrussland, der Ukraine, und Russland.<br />

Weitere Informationen zum Programm<br />

und den Bewerbungsvoraussetzungen Sie<br />

unter:<br />

www.boschlektoren.de<br />

lektoren@uni-hohenheim.de<br />

Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart<br />

Kaum sind die Regionaltreffen des Jahrgangs 2002/03 mit dem letzten Treffen in Jekaterinburg<br />

abgeschlossen, steht in Stuttgart die Planung für den neuen Lektorenjahrgang an. Rund 460<br />

Bewerbungen für ein Stipendium als Boschlektor in Mittel- und Osteuropa gingen ein. Das<br />

Interesse an einem längeren Aufenthalt in einem der 15 Länder des Programms war so groß wie<br />

nie. Neben Biographien mit fließenden Russisch- oder Tschechischkenntnissen und Studienaufenthalten<br />

in Woronesch, Minsk oder Budapest lagen die Bewerbungen Neugieriger, die nach<br />

Urlaubsaufenthalten endlich tiefer in eine der Kulturen im ehemaligen Ostblock einsteigen<br />

wollten. Die Bewerbungslage ist so bunt wie das Programm. Zwei Wochen haben die persönlichen<br />

Auswahlgespräche für den neuen Jahrgang in Anspruch genommen, 160 Bewerber,<br />

Lebensentwürfe und Ziele. Doch nur rund 45 Lektorate waren neu zu besetzen, da viele der<br />

Lektoren ihren Aufenthalt um ein weiteres Jahr verlängerten.<br />

Im kommenden Jahr wird sich die regionale Verteilung der Lektorate verändern: Da sich in den EU-Beitrittsländern<br />

die Situation an den Hochschulen stark zum Positiven entwickelt hat, konnten Lektorate<br />

dort teilweise geschlossen werden. Die frei werdenden Kapazitäten kommen in diesem Jahr insbesondere<br />

Hochschulen in der Ukraine, Weißrussland und Südosteuropa zu gute, wo mehrere Lektorate<br />

neu eingerichtet werden können. Mit den Entwicklungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas<br />

verändert und entwickelt sich auch das Lektorenprogramm. Wir sind gespannt, wie es weiter geht!<br />

Andreas Merz, Boschlektor in Kaliningrad und Mit-Initiator von n-ost<br />

In Ungarn kauen sie den ganzen Tag auf Paprika herum, Rumänien dient als Brutstätte für Vampire, in<br />

Russland herrscht großflächig Chaos und in China fällt gerne mal ein Sack Reis um. Wir kennen diese<br />

Stereotypen, erzeugt von Journalisten, die durchaus guten Willens sind, aber zu weit entfernt vom<br />

Geschehen. Daneben gibt es die Ruges und Bednarzens, die sich sibirische Flüsse entlang quälen,<br />

mit jakutischen Eremiten den Ziegenkäse teilen und ein Millionen-Publikum begeistern. Der Hunger<br />

nach authentischen Berichten ist groß und wir, die Boschlektoren, können sie liefern – die leisen<br />

Alltagsgeschichten, die täglichen Kuriositäten, das tragische und das wunderbare Leben zwischen<br />

ungarischer und sibirischer Steppe.<br />

Seit März 2003 ist das Korrespondenten-Netz Osteuropa, kurz: n-ost, auf Sendung. 20 Boschlektoren,<br />

die meist als Praktikanten, teilweise aber auch als Profis den Medienbetrieb kennen gelernt haben,<br />

stehen derzeit hinter n-ost. Die Arbeitsweise ähnelt einer Nachrichtenagentur: Ein Korrespondent<br />

spießt vor Ort eine Geschichte auf und schickt sie per Mail an die virtuelle Leitzentrale n-ost@gmx.de,<br />

die derzeit von Kaliningrad und Minsk aus betreut wird. Der Artikel wird gegengelesen, Rückfragen<br />

werden geklärt. Schließlich macht sich der fertige Bericht auf die virtuelle Reise zu deutschsprachigen<br />

Medien. Auf diese Weise sind bereits mehrere Artikel gedruckt worden.<br />

Ob das Neugeborene die fast schon Bosch-typische Eigendynamik entwickelt, hängt auch von Euch<br />

ab. Um den Polizeibericht zu zitieren: Sachdienliche Hinweise sind hier sehr erwünscht. Und wer als<br />

Neu- oder Ex-Lektor zum Netzwerk hinzustoßen möchte, ist herzlich eingeladen. Erste journalistische<br />

Erfahrungen sollten vorhanden sein und der feste Wille, über Wodka und Vampire hinaus ein differenzierteres<br />

Bild von Mittel- und Osteuropa zu zeichnen.<br />

Kontakt:<br />

n-ost@gmx.de;<br />

weitere Informationen:<br />

www.n-ost.de<br />

10 Jahre Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung<br />

Grund zum Feiern und Anlass für<br />

eine besondere Reise!<br />

40<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Willkommen im Jenseits<br />

Regionaltreffen der Russland-Lektoren vom<br />

26.-31. Januar 2003 im asiatischen Jekaterinburg<br />

Andreas Merz, Studium Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Volkswirtschaft,<br />

Boschlektor in Kaliningrad<br />

Das ist der Stoff, aus dem Heldenlegenden gewebt werden: Eine Stadt, die sich als Hinrichtungsstätte<br />

der Zarenfamilie einen Platz in der Weltgeschichte gesichert hat, wird zum Austragungsort des jenseitigsten<br />

Regionaltreffens aller Zeiten. Erstmals strömen alle Russlandlektoren, inzwischen 35, über<br />

Tausende von Kilometern hinweg durch Eis und Schnee hinter dem Ural zusammen – und landen krank<br />

im Bett. Nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip verschwand ein Boschlektor nach dem anderen auf<br />

sein Zimmer im Gästehaus der Uni. Im Laufe von 30 Stunden, je nach Länge des Verdauungstraktes,<br />

erwischte es 25 von 35 Konferenzteilnehmern. Die Ursachenforschung kreiste um Majonäse, Fleisch,<br />

Gemüse, Salat und einen Virus. Aus der Wohnheimküche hieß es lapidar: „Das muss an den deutschen<br />

Mägen liegen.“ Diese wurden mit Kamillentee, Kohlepulver, Cola und Keksen nach zwei Tagen erfolgreich<br />

reanimiert. Geradezu biblische Erfolge zeigte eine Fastfood-Kur, der sich der <strong>MitOst</strong>-Vorsitzende Gereon<br />

Schuch unterzog.<br />

Es spricht für die Helden, dass sie ihre Auszeit genau auf die Phase des Exkursionsprogramms legten<br />

und am abschließenden Arbeitstag wieder mitwirkten. Und auch ein paar positive Eindrücke von<br />

Jekaterinburg, 30 Zugstunden hinter Moskau und 40 Kilometer jenseits des Urals gelegen, gab es<br />

noch. Besonders beeindruckten Studentinnen der Maxim Gorkij Universität mit einem frei auf<br />

deutsch gehaltenen Referat über das doch so unbekannte Gebilde Europa, dem man sich in den<br />

Straßen der (dank Ural-Bodenschätzen) relativ wohlhabenden, asiatischen Stadt näher fühlt als an manchem<br />

mitteleuropäischen Ort. „Europa gemeinsam ist der Zweifel“, fasste der mitorganisierende Boschlektor<br />

Eric Wrasse mit einem Zitat Pierre Bourdieus die Diskussion zusammen. Keinen Zweifel gab es an<br />

der guten Organisation der Konferenz, am deutschen Verdauungssystem dagegen leider durchaus...<br />

Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart<br />

Über 400 Stipendiaten haben ein bis zwei Jahre als Lektoren der Robert Bosch Stiftung in Mittel- und<br />

Osteuropa verbracht und mit ihren Ideen und ihrem Engagement das Programm erfüllt und gestaltet.<br />

Das Lektorenprogramm hat sich in den vergangenen 10 Jahren seines Bestehens ständig weiter<br />

entwickelt, in den Zielländern hat sich manches verändert. Wie ist es wohl, wenn einer der damaligen<br />

Sprachtutoren sich über seine Erlebnisse und Erfahrungen mit einem heutigen Lektor im selben Land austauscht?<br />

Was ist wohl aus den ehemaligen Lektorenkollegen geworden? Über die Verbleibstudie, die<br />

vor 3 Jahren erstellt wurde, konnten wir schon einen Eindruck von den verschiedenen Biographien bekommen,<br />

aber wie wäre das Ganze in natura? Ein Wiedersehen aller ehemaligen Lektoren? Eine Zeitreise<br />

durch die Entwicklung des Programms und der Zielländer? Eine Reise durch Mittel- und Osteuropa!<br />

Über das wie, wer und vor allem wo wurde in den letzten Jahren schon viel spekuliert. Jetzt ist die<br />

Entscheidung gefallen und ein Wiedersehen geplant! Sechs Tage (24. Bis 29. September 2003) soll es<br />

mit dem Lektorenzug durch MOE gehen. Von Berlin aus über Tschechien, die Slowakei, Ungarn und<br />

Polen bringt ein Sonderzug die ehemaligen Lektoren in einige der Länder, in denen sie aktiv waren. Es<br />

wird viel Gelegenheit zum Austausch von Erinnerungen mit alten Bekannten und neuen Unbekannten<br />

geben. Die Reise soll mit eigenen Beiträgen bereichert werden, denn auch die auf dieser Fahrt nicht<br />

besuchten Länder, in denen heute Lektoren der Stiftung arbeiten, sollen präsent sein.<br />

Eingeladen sind alle ehemaligen Lektoren der Robert Bosch Stiftung – und wer die Einladung noch<br />

nicht erhalten hat, sollte dringend seine neue Adresse an 10Jahre@boschlektoren.de schicken!<br />

Über 460 Stipendiaten sind seit 1993 mit<br />

den Lektorenprogrammen der Robert<br />

Bosch Stiftung nach MOE gegangen. Vom<br />

24. bis 29.09.2003 sind alle Ehemaligen<br />

eingeladen, anlässlich des 10jährigen Jubiläums<br />

mit dem Lektorenzug von Berlin<br />

nach Brünn und Budapest, über die hohe<br />

Tatra nach Krakau und wieder zurück nach<br />

Berlin zu reisen.<br />

Infos:<br />

www.sonderzugberlin.de<br />

10Jahre@boschlektoren.de<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 41


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 42<br />

KOOPERATIONSPARTNER<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

jungewege@mitost.de<br />

Junge Wege in Europa<br />

Die Robert Bosch Stiftung schreibt jährlich den Förderwettbewerb „Junge Wege in Europa“ aus.<br />

Besuch und Gegenbesuch, gemeinsame Projekte sind die Schritte, mit denen Schüler- und Jugendgruppen<br />

aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa sich kennen lernen, Vorurteile abbauen und interkulturelle<br />

Kommunikationsfähigkeit erwerben.<br />

Durch die Beschäftigung mit Sprache und Kultur des Partnerlandes bereiten sich die Teilnehmer auf<br />

die Begegnungen vor. Die Projektideen werden von den Jugendlichen gemeinsam erarbeitet, umgesetzt<br />

und öffentlich präsentiert. Unterstützung erfahren sie dabei von Lehrern und Jugendgruppenleitern,<br />

aber auch von kommunalen und regionalen Institutionen.<br />

Die Jugendlichen beschäftigen sich mit Themen, die Alltagserfahrungen und Erwartungen in einem<br />

zusammenwachsenden Europa widerspiegeln: Sie vergleichen Kulturen und Lebensweisen der<br />

einzelnen Regionen, setzen sich mit der Geschichte ihrer Heimatländer auseinander, formulieren<br />

Wünsche und Perspektiven nach dem Ende der Schulzeit, betätigen sich als Umweltexperten auf<br />

lokaler Ebene oder realisieren gemeinsam künstlerische Projekte.<br />

In den bisherigen fünf Förderjahren wurden rund 450 Projektpartnerschaften gefördert, dabei waren<br />

die Länder Polen, Russland und Tschechien am häufigsten vertreten. Ab August 2003 nimmt der<br />

<strong>MitOst</strong> e.V. das Projekt „Junge Wege in Europa“ in seine Trägerschaft auf. Eine Broschüre mit bisherigen<br />

„Junge-Wege“-Projekten schickt die <strong>MitOst</strong>-Geschäftsstelle auf Wunsch gern zu.<br />

Völkerverständigung macht Schule – Praktikum in<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

Studierende und Absolventen geisteswissenschaftlicher Studienfächer können für drei oder sechs<br />

Monate Praxisluft an Schulen in Mittel- und Osteuropa schnuppern. Die Praktikanten hospitieren im<br />

Unterricht und sammeln dabei intensive Praxiserfahrungen, lernen das andere Land und seine<br />

Schüler kennen und initiieren Projekte, die Lust auf interkulturelles Lernen machen. Das Programm<br />

der Robert Bosch Stiftung wird in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Austauschdienst der<br />

Kultusministerkonferenz und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen durchgeführt.<br />

Katrin Peerenboom, ehemalige Stipendiatin von „Völkerverständigung macht Schule“:<br />

„Drei Monate Krakau, drei Monate Eintauchen in den dortigen Schulalltag, drei Monate Polen pur: In<br />

gleich zwei Gymnasien ergründete ich mit polnischen Schülern die Tiefen der deutschen Sprache.<br />

Schön war es in Krakau: die Begeisterung und Aufgeschlossenheit der polnischen Schüler für die<br />

deutsche Sprache und eine „neue Lehrerin“ zu erleben, die unzähligen Sagen und Legenden erzählt<br />

zu bekommen, die sich um Krakau ranken, polnische Traditionen kennen zu lernen. Zu kurz war die<br />

Zeit dort - ein Grund mehr, bald wieder einmal zurückzukehren!“<br />

Kulturmanager – Junge Fachkräfte für<br />

internationales Kulturmanagement<br />

www.bosch-stiftung.de<br />

Die Kulturmanager werden als Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung für zwei bis drei Jahre an<br />

Bildungs- und Kulturinstitutionen in Mittel– und Osteuropa eingesetzt. Sie sind in Zusammenarbeit mit<br />

den örtlichen Verantwortlichen für die Konzeption und Organisation des Kultur- und Bildungsangebotes<br />

zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören die Vernetzung der Institution mit weiteren Kultur- und<br />

Bildungseinrichtungen, Fund Raising, Öffentlichkeitsarbeit und die konzeptionelle Weiterentwicklung<br />

der Gastinstitution. Darüber hinaus bilden sich die Kulturmanager im internationalen Kultur- und<br />

Bildungsmanagement fort und erlernen die Landessprache. Das Programm wird von der Robert Bosch<br />

Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, durchgeführt.<br />

www.bosch-stiftung.de<br />

und<br />

www.ifa.de/ium/dium_bosch.htm<br />

Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für<br />

internationale Aufgaben<br />

42<br />

www.tutorenprogramm.de<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

Internationales Sprachtutorenprogramm<br />

an Hochschulen in Deutschland<br />

Absolventen amerikanischer, französischer, polnischer, tschechischer und russischer Universitäten<br />

können für ein Studienjahr (10 Monate) als Tutoren in verschiedenen Städten Deutschlands leben.<br />

Sie unterrichten vor allem an Universitäten und Fachhochschulen. Zu ihren Aufgaben gehören<br />

Sprachkurse, Gesprächskreise über landeskundliche Themen sowie die Organisation von<br />

Veranstaltungen (z.B. Film- und Musikabende). Außerdem haben sie die Möglichkeit, eigene Projekte<br />

durchzuführen. Das Programm wird von der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem<br />

Deutschen Studentenwerk durchgeführt.<br />

Sergej Logwinow, 26, Wolgograd, Tutor in Marburg:<br />

„Als Teilnehmer des Tutorenprogrammes habe ich in Marburg die Reihe „Gegenwärtiger Film aus<br />

Russland“ organisiert, sowie ein ethnologisch- und musikwissenschaftliches Seminar „Unbekanntes<br />

Russland“ mit zwei Musikern aus Moskau. Immer populärer wird die regelmäßige russische Disco-<br />

Party, die auch Studenten anzieht, für die Russland bloß das graue und böse Bild darstellt, das so oft<br />

in der westlichen Presse zum Ausdruck kommt. Durch die rasanten russischen Rhythmen, traditionellen<br />

Gerichte und Getränke können die deutschen Studenten eine andere Seite der russischen<br />

Kultur und Mentalität erleben, die sich von den grauen Fernsehbildern oder den „ewig trauernden“<br />

Figuren der klassischen russischen Literatur unterscheidet.“<br />

Das Stiftungskolleg für internationale Aufgaben ist eins der Förderprogramme der Robert Bosch<br />

Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Als Ergebnis des Zusammenhaltes der ehemaligen<br />

Kollegiaten wurde im Mai 2000 eine eigene Alumni-Organisation gegründet, die auf den<br />

etwas sperrigen Namen „Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben“<br />

hört. Die Mitgliedschaft steht, anders als z.B. bei <strong>MitOst</strong>, nur Teilnehmern des Programms selbst<br />

offen. Mit rund 60 Mitgliedern sind etwas weniger als die Hälfte aller bisherigen Stipendiaten auch<br />

Mitglieder – kein schlechter Schnitt.<br />

Ziel ist es, etwas von dem Geist des Stiftungskollegs in die Zeit danach zu retten. Der<br />

Netzwerkgedanke steht als ganz praktisches Kalkül dabei im Vordergrund. Aber auch die Ausrichtung<br />

des Kollegs auf „internationale Aufgaben“ soll durch den Verein unterstützt werden. „Überzeugungstäter“<br />

aus einem genau definierten Interessengebiet finden sich hier nicht, eher eine bunt<br />

zusammengewürfelte Truppe, die vor allem aufgrund der Einzigartigkeit ihres Programms und ihrer<br />

Bindung an Robert Bosch Stiftung und Studienstiftung zusammenhalten.<br />

Neben jährlichen Ehemaligentreffen mit wechselndem Austragungsort organisiert der Verein<br />

Vorträge und Veranstaltungen. Im Herbst 2002 konnte mit einem hochkarätigem Kolloquium zur<br />

Zukunft der NATO auch ein interessiertes Fachpublikum angesprochen werden. Dauerprojekt ist die<br />

Förderung der deutsch-kasachischen Universität in Almaty. Gegründet wurde die Hochschule vor fünf<br />

Jahren von der ehemaligen Stipendiatin Ines Berger. Mit Hilfe des Vereins konnte dort die größte<br />

deutschsprachige Bibliothek in Zentralasien aufgebaut werden.<br />

vorstand@stiftungskolleg.de<br />

www.stiftungskolleg.org<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

43


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 44<br />

KOOPERATIONSPARTNER<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

Angebote, Ausschreibungen<br />

Berg heil!<br />

RÄTSEL/KOCHREZEPT<br />

projetsmitost@asbiens.org<br />

www.asbiens.org<br />

DPJW<br />

Büro Potsdam<br />

Postfach 60 05 16<br />

14405 Potsdam<br />

Tel.: 0049-0331-28479-0<br />

buero@dpjw.org<br />

Büro Warschau<br />

ul. Alzacka 18<br />

03-972 Warszawa<br />

Tel.: 0048-22-6162952<br />

biuro@pnwm.org<br />

ASBO - <strong>MitOst</strong> auf Französisch<br />

Der AsBoFoRob „Association des Boursiers de la Fondation Robert Bosch“, kurz ASBO genannt,<br />

wurde 2002 von ehemaligen französischen Tutoren, Lektoren und Journalisten von Austauschprogrammen<br />

der Robert Bosch Stiftung gegründet. Die Mitglieder des Vereins arbeiten an der Vertiefung<br />

der deutsch-französischen Beziehungen vor allem auf persönlicher Ebene. Das Engagement für mittel-<br />

und osteuropäische Länder ist dabei die gemeinsame Basis. Trilaterale Projekte werden in<br />

Zusammenarbeit mit dem <strong>MitOst</strong> e.V. verwirklicht. ASBO ist außerdem auch ein Alumniverein französischer<br />

Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung. Ziel ist es dabei, Kontakte zwischen gegenwärtigen<br />

und ehemaligen Stipendiaten zu schaffen, damit die Projekte und Programme effektiv realisiert werden<br />

und alle Beteiligten aktiv mitwirken können. Neue Stipendiaten werden mit den nötigen Tipps<br />

und Informationen versorgt.<br />

ASBO steht jedem offen, der sich im europäischen Raum engagieren möchte. Aufgrund der Partnerschaft<br />

zwischen <strong>MitOst</strong> und ASBO können Projekte von beiden Vereinen gemeinsam durchgeführt<br />

werden. Die von ASBO initiierten Vorhaben reichen von Unterrichtsprogrammen über Workshops bis<br />

hin zu besonderen Aktionen, die von anderen Institutionen nur schwer finanzierbar sind.<br />

Deutsch-polnisches Jugendwerk<br />

Die Organisation zur Förderung von Jugendkontakten zwischen den beiden Ländern schreibt verschiedene<br />

Projekte aus. Begegnungen zwischen Deutschen und Polen sollen helfen, bestehende<br />

Kontakte und das Verständnis für ein gemeinsames Europa zu entwickeln. Das DPJW ist jedoch nicht<br />

nur für Jugendaustausch zuständig, es unterstützt organisatorisch und finanziell diejenigen- als Hilfe<br />

zur Selbsthilfe -, die ein Projekt selber in die Hand nehmen. Dabei werden Erfahrungen von Partnerorganisationen<br />

weitergegeben. Veröffentlichungen, Seminare, Tagungen und Beratungen sind nur ein<br />

Ausschnitt der vielfältigen Unterstützung.<br />

Was wird gefördert?<br />

Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Polen, ggf. mit Beteiligung von Jugendlichen aus einem<br />

Drittland, Praktika, Fortbildungsveranstaltungen, Gedenkstättenfahrten, Publikationen, Medien usw.<br />

Wer kann einen Antrag stellen?<br />

Öffentliche und nichtöffentliche Organisationen, Initiativen (auch ohne den Status einer „juristischen Person“).<br />

Der deutsche und der polnische Partner planen die Begegnung gemeinsam und stellen einen „gemeinsamen<br />

Antrag“ auf finanzielle Förderung. Zweisprachige Formulare und Richtlinien gibt es in beiden Büros.<br />

Initiative OsteuropaStudierender Deutschland<br />

Dorothea Leonhardt, München<br />

Welcher Berg ist auf dem georgischen Kochbuch abgebildet? Auf diese Frage im vorhergehenden<br />

<strong>MitOst</strong>-Magazin bekamen wir zahlreiche Antworten. Es ist nicht, wie viele<br />

meinten – und was auch nahe liegen würde – der Kasbek, das Wahrzeichen Georgiens.<br />

Es ist auch nicht der Ararat, der Berg der Armenier, der ja immerhin noch in der Region<br />

wäre. Der Berg auf dem Buchtitel ist das Wahrzeichen der Schweiz – das Matterhorn!<br />

Warum der russische Verlag, der das georgische Kochbuch herausgegeben hat, ausgerechnet auf das Matterhorn<br />

kommt, lässt sich wahrscheinlich nur dadurch erklären, dass man einfach eine hübsche Bergansicht aus dem<br />

Internet genommen hat. Ob das nun ein Schweizer Berg ist oder eine Ansicht aus dem Kaukasus – merkt doch eh<br />

keiner! Einsender mit der richtigen Antwort erhielten das Buch „Taiga Blues“ von Alexander Ikonnikow. Wir gratulieren<br />

den Gewinnern an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich!<br />

Ein größeres Bild des Buches ist auch im Internet unter w ww.mitost.de zu sehen<br />

Piroggen mit Pilzfüllung<br />

Piroschki s gribami<br />

Dieses Mal wollen wir ein klassisches russisches Rezept vorstellen.<br />

Allerdings bereiten wir die Piroggen nicht mit einem aufwändigen<br />

Hefeteig, sondern mit einem Teig auf Sauerrahm-Basis zu. Die Piroggen<br />

schmecken warm am besten, eignen sich aber auch hervorragend fürs<br />

Party-Buffet.<br />

Zutaten<br />

Für den Teig:<br />

500 g Mehl<br />

250 g saure Sahne<br />

2 Esslöffel weiche Butter<br />

1 Teelöffel Zucker<br />

1 Päckchen Backpulver<br />

2 Eier<br />

Für die Füllung:<br />

1200 g Champignons oder<br />

Egerlinge<br />

1-2 Zwiebeln<br />

10 g getrocknete Steinpilze<br />

3 Esslöffel Butter<br />

6-8 Esslöffel saure Sahne<br />

1 Bund Petersilie<br />

Zubereitung<br />

1. Die getrockneten Steinpilze 1 Stunde in kaltem Wasser einweichen.<br />

2. Für den Teig Mehl in eine Schüssel geben und eine Vertiefung eindrücken.<br />

Die saure Sahne, Butter, Zucker, Salz und Backpulver hineingeben.<br />

1 Ei trennen. Das Eiweiß mit dem 2. Ei zugeben (Das Eigelb<br />

beiseite stellen). Alles zu einem Teig kneten. Teig zu einer Kugel formen<br />

und 30 Minuten kühl stellen.<br />

3. Für die Füllung Zwiebel fein hacken, Champignons putzen und fein<br />

schneiden. Butter erhitzen, Zwiebel kurz anbraten, Champignons<br />

zugeben und ca. 5 Minuten mitdünsten. Getrocknete Steinpilze durch<br />

ein feines Sieb geben, die Flüssigkeit auffangen. Steinpilze und aufgefangene<br />

Flüssigkeit zu den Champignons geben, in der offenen<br />

Pfanne dünsten, bis die Flüssigkeit verdampft ist, mit Salz und Pfeffer<br />

kräftig abschmecken. Zum Schluss saure Sahne und Petersilie zugeben<br />

(nicht mehr kochen).<br />

4. Teig ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Jeweils etwas<br />

Füllung in die Mitte geben und den Teig so zusammenklappen, dass<br />

ein Oval entsteht. Backblech einfetten und mit Mehl bestäuben. Piroggen<br />

mit der Naht nach unten in kleinen Abständen darauf verteilen.<br />

Die Lage der Osteuropaforschung ist prekär, Forschung und Lehre in Deutschland lassen zu wünschen<br />

übrig. Verschiedene Bildungseinrichtungen wurden geschlossen oder stehen kurz davor.<br />

Wer sind wir?<br />

Wir sind Studierende und Graduierte von osteuropabezogenen Studienrichtungen aus ganz Deutschland,<br />

denen der Erhalt und die Qualität der Hochschulausbildung in ihren Fachbereichen am Herzen liegt.<br />

Was wollen wir?<br />

Wir wollen, dass Osteuropaforschung und -lehre auf dem bisherigen hohen Niveau bestehen bleibt.<br />

Wir wollen die Ausbildung qualifizierter Kräfte auch in Zukunft gesichert sehen. Wir wollen nicht, dass<br />

unsere Fachrichtungen von der Landkarte verschwinden. Wir wollen zwar keine Exoten werden, uns aber<br />

durchaus mit Exotischem beschäftigen dürfen. Gleichzeitig wollen wir eine breitere Öffentlichkeit für<br />

osteuropäische Themen interessieren.<br />

Was haben wir bereits getan?<br />

Wir haben Entscheidungsträger auf die Problematik der osteuropabezogenen Fächer aufmerksam gemacht.<br />

Neben der Gründung eines bundesweiten Verbandes und mehreren Regionalinitiativen wurde<br />

eine Informations- und Austauschbörse im Internet sowie eine Anlaufstelle für studentische Belange in den<br />

mit Osteuropa beschäftigten Fächern eingerichtet.<br />

Was werden wir noch tun?<br />

Wir werden Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien eigene Modelle und Reformvorschläge anbieten.<br />

Um den Studierenden unserer Fächer ein Forum zu sein, werden wir wissenschaftliche und hochschulpolitische<br />

Veranstaltungen organisieren, die uns auch als Kommunikationsplattform nach außen<br />

dienen werden. Wir werden dafür sorgen, dass jede noch so kleine Sparmaßnahme am nächsten Tag<br />

bundesweit bekannt wird.<br />

5. Backofen auf 200° C vorheizen. Das Eigelb verquirlen, Piroggen damit<br />

einpinseln, auf der mittleren Schiene ca. 15 Minuten backen.<br />

✂<br />

IOS (e.V.) Initiative<br />

OsteuropaStudierender Deutschland<br />

Postfach 121123<br />

10605 Berlin<br />

Tel.: 0049-30-450 86 715<br />

info@ios-netz.de<br />

www.ios-netz.de<br />

44<br />

<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />

<strong>MitOst</strong> e.V. – Mitgliedsantrag<br />

Anrede (Herr, Frau, evtl. Titel)<br />

Vorname, Name<br />

Straße, Hausnummer<br />

E-Mail<br />

Land, Postleitzahl, Ort<br />

Telefon mit internationaler Vorwahl<br />

Geburtsdatum<br />

Staatsangehörigkeit<br />

Bitte ankreuzen:<br />

Ich weiß, dass die Verkehrssprache bei <strong>MitOst</strong> e.V. Deutsch ist und versichere, dass<br />

meine Deutschkenntnisse ausreichen, um vereinsinternen Informationen und<br />

Diskussionen folgen zu können.<br />

Ich bin/war Stipendiatin/Stipendiat der Robert Bosch Stiftung, und zwar im<br />

Programm:<br />

(bitte den Namen des Programms angeben)<br />

Ich bin bei folgender Institution/in folgendem Programm tätig (Angabe freiwillig):<br />

Beitrag<br />

Bitte den entsprechenden jährlichen Mitgliedsbeitrag ankreuzen<br />

(entscheidend ist nicht der Wohnort, sondern die Staatsangehörigkeit):<br />

Organisationen und Institutionen in der EU und der Schweiz mind. € 60<br />

Mitglieder in der EU und der Schweiz mit festem Einkommen € 38<br />

Mitglieder in der EU und der Schweiz ohne festes Einkommen € 20<br />

Organisationen und Institutionen östlich der EU mind. € 25<br />

Mitglieder östlich der EU mit festem Einkommen € 20<br />

Mitglieder östlich der EU ohne festes Einkommen € 7<br />

In begründeten Einzelfällen kann auf schriftlichen Antrag an<br />

vorstand@mitost.de eine Reduzierung des Mitgliedsbeitrags auf 5 € gewährt<br />

werden.<br />

Datum, Unterschrift<br />

Da Auslandsüberweisungen sehr teuer sind, können Mitglieder außerhalb<br />

Deutschlands sich unter laendervertreter@mitost.de darüber informieren,<br />

wie und an wen sie ihren Beitrag im jeweiligen Land bezahlen können.


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 46<br />

LEKTORENPROGRAMME<br />

In Zusammenarbeit von<br />

<strong>MitOst</strong> e.V., den<br />

Lektorenprogrammen und<br />

dem Theodor-Heuss-Kolleg<br />

der Robert Bosch Stiftung<br />

Europa machen!<br />

Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte<br />

und Initiativen<br />

Vorschau auf die nächste Ausgabe<br />

des <strong>MitOst</strong>-Magazins<br />

(erscheint im Herbst 2003):<br />

✂<br />

Wie wird aus einer visionären Idee ein konkretes Projekt? Wie erstellt<br />

man einen Kostenplan, verfasst eine Presseerklärung? Welche Wege<br />

gibt es im Dschungel von Visabestimmungen und Antragsformularen?<br />

Zahlreiche Projektleiter aus den deutschsprachigen Ländern und MOE<br />

geben in diesem Praxishandbuch ihre Erfahrungen weiter.<br />

- Projektmanagement von A wie Antragsteller bis Z wie<br />

Zuwendungsbestätigung<br />

- Praxistipps für Einsteiger und Fortgeschrittene<br />

- mit vielen Beispielen, Checklisten und Kopiervorlagen<br />

- aus dem Erfahrungsschatz jahrelanger interkultureller Projektarbeit<br />

Bestellung<br />

zum Preis von 15 EUR pro Exemplar zzgl. Versandkosten bei:<br />

<strong>MitOst</strong>-Geschäftsstelle, Schillerstr. 57, D - 10625 Berlin<br />

Tel.: +49 - (0)30 – 31 51 74 70<br />

geschaeftsstelle@mitost.de<br />

Schwerpunkt der nächsten Ausgabe ist der Auslandsaufenthalt –<br />

ein Thema, das die meisten <strong>MitOst</strong>ler betrifft, schließlich waren bzw.<br />

sind viele hüben oder drüben. Wir wollen uns dabei u.a. mit folgenden<br />

Fragen beschäftigen: Studienaufenthalt im Ausland – was bringt’s?<br />

Warum als Lektor ins Ausland gehen? Auswandern – ja oder nein?<br />

Heimweh – ist es zu Hause doch am schönsten? Wieder zurück –<br />

fremd im trauten Heim?<br />

Beiträge, Vorschläge, Lesermeinungen und Fotos bitte an:<br />

magazin@mitost.de oder per Post an die Geschäftsstelle.<br />

Wir möchten an dieser Stelle die Projektleiter dringend bitten, uns<br />

rechtzeitig interessante Materialien zu den Projekten zu schicken.<br />

magazin@mitost.de<br />

Wegweiser zu neuen<br />

Märkten<br />

kostenloses Probeheft<br />

Senden Sie Ihre Rückantwort bitte an:<br />

OST-WEST-CONTACT, Regenskamp 18, D-48157 Münster<br />

Tel.: 0251 - 92 43 09-0, E-Mail: abo@owc.de<br />

OST-WEST<br />

CONTACT<br />

Das Wirtschaftsmagazin für<br />

OST-WEST-KOOPERATION<br />

Bankeinzug<br />

Mitglieder aus Deutschland bitten wir, uns aus Kosten- und Organisationsgründen<br />

folgende (jederzeit widerrufbare) Einzugsermächtigung zu erteilen.<br />

Fax-Nummer 0251 –92 43 09-99<br />

Ja, schicken Sie mir bitte<br />

ein kostenloses Probeexemplar der Wirtschaftszeitschrift<br />

OST-WEST-CONTACT und Ost-Ausschuss-Informationen<br />

die Anzeigenpreisliste<br />

Ich erteile dem <strong>MitOst</strong> e.V. ab sofort bis auf Widerruf die Berechtigung<br />

zum Einzug meines jährlichen Mitgliedsbeitrags von meinem Konto bei der<br />

<strong>MitOst</strong> e.V.<br />

Firma<br />

Abteilung<br />

Bank, Ort<br />

BLZ<br />

Kontonummer<br />

Geschäftsstelle<br />

Schillerstraße 57<br />

D -10627 Berlin<br />

Herr/Frau<br />

Straße<br />

PLZ Ort<br />

www.owc.de<br />

Kontoinhaber/-in<br />

Telefon Fax e-mail<br />

Datum, Unterschrift<br />

Datum Unterschrift<br />

OWC Verlag für Außenwirtschaft GmbH


MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 48<br />

Gintaras Grajauskas<br />

Der Lyriker Gintaras Grajauskas wurde1966 geboren. Er studierte Jazz am Konservatorium<br />

Klaipeda und ist seit 1994 Literaturredakteur bei der Tageszeitung „Klaipeda“. Daneben ist er Sänger<br />

und Bassgitarrist der Jazzband „Rokfeleriai“. Bisher sind von Grajauskas vier Gedichtbände<br />

erschienen. Seine Gedichte wurden ins Englische, Deutsche, Schwedische und Polnische übersetzt<br />

Die Gedichte wurden im Rahmen des <strong>MitOst</strong>-Workshops<br />

„Übersetzen litauischer Kurzprosa“ ins Deutsche übertragen. Der<br />

Workshop fand vom 19. bis 25. Mai 2002 in Nidda/Litauen statt.<br />

herzlich<br />

wenn wir tatsächlich herzlich wären<br />

würden wir nicht länger von herzlichkeit reden<br />

im allgemeinen würden wir weniger reden<br />

oder ganz schweigen<br />

wenn wir tatsächlich herzlich wären,<br />

würden wir sagen: „unherzliches beileid“<br />

oder „mit unherzlichen grüßen“.<br />

„unherzlich Ihr –<br />

Grajauskas“<br />

im allgemeinen würden wir viel weniger reden<br />

lakonisch<br />

würden wir nicht fragen: wie lebt es sich, wie geht’s?<br />

würden geradeaus fragen, wie steht’s mit dem sterben?<br />

und herzlich antworten: danke, gut.

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