MitOstmagazin - MitOst e.V.
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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 1<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> magazin<br />
Werte Liebe, Moral in Ost und West (Seiten 16 – 29)<br />
Wirken Interview mit dem Schriftsteller Alexander Ikonnikow (Seite 28)<br />
Warten Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe (Seiten 4/5)<br />
ISSN 1610-6598<br />
Wunden Jakes. Ein guter Ort (Seite 32)<br />
Wichtig <strong>MitOst</strong>-Festival in Pécs (Seite 13)<br />
Weite Begegnungen mit dem Buddhismus in Burjatien (Seiten 34/35)<br />
Mitteilungen des <strong>MitOst</strong> e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa – gegründet von ehemaligen Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 2<br />
EDITORIAL<br />
INHALT<br />
Liebe Leser,<br />
<strong>MitOst</strong> - Projekte im Jahr 2003<br />
Inhalt<br />
Frühjahr<br />
◗ „Kunst und Sprache – Sprache ist (keine?)<br />
Kunst“: 1. Internationale Werkstatt für<br />
Fremdsprachen (Pecín, Tschechien)<br />
◗ <strong>MitOst</strong>-Studienreise nach Sibirien<br />
◗ Zweiter Band der <strong>MitOst</strong>-Editionen „Jan Patocka<br />
und die Idee von Europa“<br />
Sommer<br />
◗ Drittes Gedenkdienst-Seminar in Südpolen<br />
◗ Mitgliederreise nach Weißrussland und Litauen<br />
◗ 5. Internationale Sommerakademie „MEZIUM<br />
Rychnov 2003“ (Tschechien)<br />
Herbst<br />
◗ Russisch-deutsches Filmprojekt – Kurzfilme<br />
über erste Erfahrungen im Ausland<br />
(St. Petersburg und Berlin)<br />
◗ „Theatralische Konzepte – Musiktheater jenseits<br />
der klassischen Gattungen“. Workshop während<br />
der 17. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik<br />
Ganzjährig<br />
◗ „Okno – Fenster zur russischen Kultur“:<br />
Lesungen, Konzerte und Podiumsdiskussionen,<br />
jeweils an einem Sonntag im Monat (Zürich,<br />
Schweiz)<br />
◗ „<strong>MitOst</strong>-Salon Berlin“: Themenabende, Filmvorführungen,<br />
Diskussionsabende, Ausstellungen,<br />
Lesungen, jeweils einmal im Monat (Berlin)<br />
◗ Studierendenprojekt: „Grenzorte – Grenzreisen“<br />
(Polen, Ukraine, Deutschland)<br />
◗ „Soforthilfe-Pool“: Möglichkeit, relativ schnell<br />
und unbürokratisch kleinere Projekte im laufenden<br />
Geschäftsjahr zu realisieren: Lesungen,<br />
Filmvorführungen, Konzerte, Theater uvm.<br />
Weitere Informationen, Projektausschreibungen<br />
und Bewerbungshinweise<br />
unter www.mitost.de<br />
Mit jeder Spende kommen wir unserem Ziel<br />
einen Schritt näher.<br />
Unterstützen Sie die ehrenamtliche Projektarbeit<br />
des gemeinnützigen <strong>MitOst</strong> e.V.! Ihre Spende<br />
kommt zu 100 Prozent den Projekten zu gute,<br />
kein Cent bleibt in der Verwaltung hängen.<br />
Projektkonto: <strong>MitOst</strong> e.V., Deutsche Bank Berlin,<br />
BLZ 100 700 24 Konto-Nr. 101 50 15 00,<br />
Stichwort: „Projektspende“<br />
<strong>MitOst</strong> wird immer attraktiver, die Fakten beweisen das: Die Mitgliederzahlen<br />
des Vereins steigen weiter an, neue Projekte, Initiativen und Foren<br />
entstehen. Das scheint zu bedeuten, dass sich Leute mit gleichen Interessen<br />
und Zielen zusammengefunden haben. Doch was verbindet die <strong>MitOst</strong>-<br />
Mitglieder miteinander ? Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben<br />
ganz individuelle Sichtweisen, manchmal liegen „Welten dazwischen“.<br />
Um diese Frage näher zu untersuchen, beschäftigt sich das Schwerpunktthema<br />
dieses <strong>MitOst</strong>-Magazins mit Werte- und Moralvorstellungen: Menschen<br />
aus Ost und West beschreiben ihre Sichtweisen zu Familie, gesellschaftlichen<br />
Normen und Brüchen, zu Selbstverwirklichung und Zwängen.<br />
Zudem befragten wir die Vereinsmitglieder zu ihren Lebensumständen.<br />
Die Ergebnisse (Seiten 16/17) sind sicherlich nicht repräsentativ, bieten<br />
aber interessante Einblicke.<br />
Die zahlreichen Berichte in diesem Heft geben einen Überblick über das<br />
erheblich angewachsene Angebot des <strong>MitOst</strong> e.V. Darüber hinaus finden<br />
Sie Informationen über Projekte, Praktika und Arbeitsangebote des<br />
Theodor-Heuss-Kollegs, der Programme der Robert Bosch Stiftung und<br />
anderer Initiativen. Künstler-Porträts, Festival- und Reiseberichte runden<br />
das Magazin ab. Außerdem wird das neue Praxishandbuch für Projektleiter<br />
vorgestellt.<br />
Ein herzliches Dankeschön an alle, die uns Artikel und Fotos geschickt<br />
haben. Viel Spaß beim Lesen! Das Redaktionsteam<br />
Dorothea Leonhardt und Arndt Lorenz.<br />
das Magazinteam (v.l.n.r.)<br />
Susanne Töpfer, Dresden (Gestaltung)<br />
Arndt Lorenz, Dresden (Redaktion)<br />
Dorothea Leonhardt, München (Redaktion)<br />
Geschäftsstelle <strong>MitOst</strong> e.V.<br />
Schillerstraße 57<br />
D-10627 Berlin<br />
Tel.: +49 - (0)30 - 31 51 74 - 70<br />
Fax +49 - (0)30 - 31 51 74 - 71<br />
geschaeftsstelle@mitost.de<br />
www.mitost.de<br />
Impressum<br />
<strong>MitOst</strong>-Magazin<br />
Heft Nr. 11| Mai 2003<br />
Herausgeber:<br />
<strong>MitOst</strong> e.V.<br />
Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-,<br />
Ost- und Südosteuropa, gegründet von ehemaligen<br />
Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung<br />
Verantwortlich:<br />
Gereon Schuch, Vorstandsvorsitzender <strong>MitOst</strong> e.V.<br />
Schillerstraße 57<br />
D -10627 Berlin<br />
vorstand@mitost.de<br />
Projektleitung, Redaktion:<br />
Dorothea Leonhardt, München<br />
Arndt Lorenz, Dresden/Leipzig<br />
Lektorat:<br />
Susanne Hausner, Robert m. Sobotta,<br />
Julia Holzem, Volker Joksch, Alexandra Zander<br />
Titelfoto:<br />
Sören Urbansky, Frankfurt an der Oder<br />
soeren@urbansky.org<br />
Gestaltung:<br />
Susanne Töpfer, Grafik-Design, Dresden<br />
Tel: +49-(0)351-310 22 60<br />
sus.t@t-online.de<br />
Preis:<br />
Einzelpreis EUR 3,50, bei Vereinsmitgliedern ist der<br />
Bezugspreis im Mitgliederjahresbeitrag enthalten<br />
Druck:<br />
Union Druckerei Dresden GmbH<br />
Auflage:<br />
2.500 Exemplare<br />
Wir danken der Robert Bosch Stiftung für die<br />
Unterstützung<br />
Projekte 2002 - Im Laufe von Zeitlichkeit<br />
- Krakauer Suite<br />
- off-beats – experimentelle Kunst aus Litauen<br />
- Hoch der Diskurs! – <strong>MitOst</strong> Editionen: 2. Band<br />
- Buchmacher in der Sommerfrische<br />
- Lasst uns weiter knüpfen<br />
- Das Klavier kracht zu<br />
- Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof – der Berliner <strong>MitOst</strong>-Salon<br />
<strong>MitOst</strong> intern - „Es war viel wärmer...“ – die ProjektNetzWerkStatt im November 2002<br />
- 1. Internationales <strong>MitOst</strong>-Festival 2003 in Pécs/Ungarn<br />
- Der neue Vorstand<br />
- Regionalisierung von <strong>MitOst</strong>: Die Ländervertreter<br />
- Ein Leben nach Bosch? – Alumnivertreter bei <strong>MitOst</strong><br />
- Leben und leben lassen – Eine <strong>MitOst</strong>-Umfrage<br />
- Undercover-Theologe in Polen<br />
Thema - Land und Liebe<br />
- Rosarot und Himmelblau: Lesben und Schwule in Russland<br />
- „Warme Brüder“ ins kalte Sibirien?<br />
- 12m 2 Lebenslabor<br />
- Contra spem spero – Porträts ukrainischer Frauen<br />
- Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West?<br />
- Verbotenes und Halbverbotenes<br />
- Warum ich als Frau lieber im Westen leben will<br />
- Haushaltsdebatte<br />
Interview - Lachen aus Kummer – ein Interview mit Alexander Ikonnikow<br />
Feuilleton - Unbehagen zwischen den Welten – der ukrainische Fotograf Michailov<br />
- Jakes. Ein guter Ort.<br />
- Kioski<br />
- Ästhetik der Leere. Ein Buch über moderne Architektur in Zentralasien<br />
- Das Sorgentelefon in Rostow am Don<br />
- Kinderplanet Georgien – Hilfe für Kinder<br />
- Grenzen überwinden – Note für Note<br />
Reise - Neujahrsfest in Burjatien<br />
Theodor-Heuss-Kolleg - Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch!<br />
Lektorenprogramme - Boschlektoren in MOE – Interesse so groß wie nie<br />
- Willkommen im Jenseits – Regionaltreffen in Jekaterinburg<br />
- Nicht nur Wodka und Vampire – „n-ost“ stellt sich vor<br />
- 10 Jahre Lektorenprogramme<br />
Kooperationspartner - Angebote, Ausschreibungen und Projekte der Kooperationspartner<br />
Rätsel - Auflösung aus dem vorhergehenden <strong>MitOst</strong>-Magazins<br />
Kochrezept - Piroggen mit Pilzfüllung<br />
<strong>MitOst</strong> Intern - Beitrittsformular<br />
- Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte<br />
- Vorschau auf die nächste Ausgabe<br />
Lyrik - herzlich – ein Gedicht von Gintaras Grajauskas<br />
4/5<br />
6<br />
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8<br />
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13<br />
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15<br />
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34<br />
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41<br />
42–44<br />
45<br />
45<br />
45/46<br />
46<br />
46<br />
48<br />
Anmerkung: Einige Texte sind in der originalen Orthographie von Autoren aus Ländern in Mittel- und<br />
Osteuropa wiedergegeben.
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PROJEKTE 2002<br />
Im Laufe von Zeitlichkeit: eine Bergarbeiterliebe<br />
Im Laufe von Wahnsinn<br />
Im Laufe von Wahnsinn dachte sie, dass er zurückgekehrt ist und in acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, einem Tag<br />
ihre Hochzeit geschieht, ihr Nestlein in Falun wurde in ihrem Haus gebaut und mit Freude beobachtet sie, wie er sein<br />
Todeskleid nicht mehr trägt. Sie suchen keinen andren Platz in dieser Welt, alles geschieht und geht an ihnen vorbei. Viel<br />
später erfuhren sie, dass eine Reihe Tode in der Welt geschah, Maria Theresia, Leopold der Zweite, andere; sie hatten aber<br />
genug zu tun, um diese Neuigkeiten altern zu lassen, die Kinder wachsen, die Eltern sterben, der ewige Kreis des Lebens<br />
bewegt sich, wie Seewellen, wie Luftströmungen, wie Pflanzen, die von Samen zu Früchten tanzen; man sät, man schneidet,<br />
man mahlt, man hämmert, keine Änderungen und Wandlungen, nur die Kinder werden groß und Eltern alt. Alles aber kann<br />
nicht ewig sein, obwohl die Welt und der liebe Gott ewig sind, das Nestlein wird leer, Söhne und Töchter fliegen irgendwo in<br />
der Welt und teilen seltsame Briefe mit, erster, zweiter, dritter, vierter ist gestorben, allmählich alle, im Nestlein bleiben zwei<br />
Alte, sie und er, er arbeitet noch und sie kann leider ohne Krücke nicht gehen, es bleiben immer weniger Jahre bis zum Tod<br />
und es gibt keine Hoffnung mehr. Eines Tages kommt er nicht zurück, sie hörte ihn am Morgen ans Fenster klopfen und am<br />
Abend kehrte er nicht zurück; in der Nacht verließ sie das Haus und versuchte das Bergwerk zu erreichen, am Mittag des<br />
nächsten Tages erreicht, wurde er schon ausgegraben, aber sie sah den jungen Mann, den sie nur einmal gesehen hat,<br />
Bergmann könnte dieser nicht sein, allmählich kamen die Erinnerungen, er ist lang her gestorben und nur sie bewegte sich in<br />
ihren Jahren, und keine Kinder; kein Nestlein; nur leere 50 Jahre, Tod der Verwandten, einsames Leben, keine Wanderungen<br />
zu irgendwelchen anderen Plätzen, zur Hochzeit zog sie das Todeskleid an, zum Tode wird sie ein Hochzeitskleid tragen, alles<br />
wird mit Seewasser bedeckt, im Seewasser versinken die Jahre, ihr Leben, alles ertrinkt mit Wahnsinnswasser, die ganze Welt,<br />
alles, was am Leben ist, nur er vermied dieses Schicksal, 50 Jahre unter der Erde begraben.<br />
Fotos:<br />
Kamila Mieszczak, Margrit Fiederer<br />
Storokha Bogdan,<br />
27, Literatur-Dozent an der Universität von Poltawa/Ukraine<br />
Lesung mit Jurgis Kuncinas<br />
Im Laufe von Anfang<br />
Im Laufe von Anfang in Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut.<br />
In Falun in Schweden küsste ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit.<br />
Eine junge hübsche Braut acht Tage vor der Hochzeit sah ihn zum Bergwerk gehen.<br />
Acht Tage vor der Hochzeit sah sie ihn zum letzten Mal zum Bergwerk gehen.<br />
Vor der Hochzeit, Weggegangener, kehrte nicht zurück.<br />
Vor der Hochzeit blieben nur acht Tage.<br />
Nur acht Tage.<br />
Acht Tage.<br />
ach ...<br />
Im Laufe von 50 Jahren<br />
gesäet geschnitten gemahlen gegraben gehämmert<br />
gehämmert gesäet geschnitten gemahlen gegraben<br />
gegraben gehämmert gesäet geschnitten gemahlen<br />
gemahlen gegraben gehämmert gesäet geschnitten<br />
geschnitten gemahlen gegraben gehämmert gesäet<br />
von schmieden von ackerleuten von müllern von bergleuten<br />
von bergleuten von schmieden von ackerleuten von müllern<br />
von müllern von bergleuten von schmieden von ackerleuten<br />
von ackerleuten von müllern von bergleuten von schmieden<br />
gesäet von ackerleuten geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert<br />
Im Laufe von Sterben<br />
Er trifft sie – sie trifft ihn.<br />
Er arbeitet – sie hofft.<br />
Er verspricht – sie träumt.<br />
Er klopft ans Fenster – sie wartet dahinter.<br />
Er kehrt nicht zurück – sie weint.<br />
Er verschwindet – sie erinnert.<br />
Die Jahre gehen vorbei – sie liebt.<br />
Die Leute sterben – sie hofft.<br />
Kriege brechen aus – sie verliert Flamme.<br />
Das Leben geht weiter – sie wird alt.<br />
50 Jahre sind vergangen – sie ist noch Braut.<br />
Er erscheint – sie erkennt.<br />
Er kehrt zurück – sie freut sich.<br />
Er klopft nicht – sie an einer Krücke.<br />
Er schweigt – sie spricht.<br />
Er liegt im Sarg – sie geht fort.<br />
Er ist jung – sie ist tot.<br />
Er ist gestorben – sie ist in der Flamme.<br />
Er ist Leichnam – sie verspricht.<br />
von ackerleuten gesäet von müllern geschnitten von bergleuten gemahlen von schmieden gegraben von ackerleuten<br />
gehämmert von müllern gesäet von bergleuten geschnitten von schmieden gemahlen von ackerleuten gegraben von müllern<br />
gehämmert von bergleuten gesäet von schmieden geschnitten von ackerleuten gemahlen von müllern gegraben von<br />
bergleuten gehämmert von schmieden gesäet von ackerleuten<br />
geschnitten von müllern gemahlen von bergleuten gegraben von schmieden gehämmert.<br />
Im Laufe von Werden<br />
Sie wartet auf ihn jeden Morgen an ihr Fenster klopfen, um mal zu schauen und überzeugt zu sein,<br />
dass bestimmt vorbei daran geht und niemand andrer stiehlt diesen Augenblick der Freude von<br />
heutiger Braut und künftiger Frau, die mit allen Kräften ihr Traumnestlein schützt, bis er kommt<br />
und ans Fenster klopft, bis er nicht zurückgekommen ist, bis er nicht zurückgebracht wird, bis er<br />
gestohlen ist, bis sie acht Tage im Gesicht veraltet ist, bis sie hofft, bis die Flamme in der Brust<br />
erlischt, bis nächste Jahre fliehen und die Braut ist noch die Braut, und Frau noch nicht geboren ist,<br />
und Nestlein nur träumend gesehen wird, und kraftlos fließen die nächsten Jahre und Alter, bis es<br />
niemanden gibt, Flamme im Stüblein anzuzünden, und Nestlein liegt tief versteckt, und lieber Mann<br />
liegt im kühlen Bett in Vitriolwasserwäsche und träumt nicht, bis Flammesnestlein in ihrem Herz<br />
stirbt und sie wird Altweib, aber keine Frau, bis alle sterben, die Hindernisse mitzuteilen haben<br />
können, und niemand außer Tod hat sich gemeldet, bis alle ausgestorben sind, bis die Welt ganz<br />
unfähig, ihn zu erkennen, geworden ist.<br />
Im Laufe von Gang<br />
linke rechte krücke linke rechte krücke ausatmen rechte linke krücke rechte linke ausatmen<br />
einatmen ausatmen linke rechte krücke träne linke rechte ausatmen krücke schritt krücke linke<br />
rechte schritt einatmen ausatmen linke rechte rechte linke krücke schritt krücke schritt linke ausatmen<br />
schritt krücke krücke schritt schritt ausatmen träne schritt schritt schritt schritt träne schritt<br />
PROJEKTINFO<br />
Der hier auszugsweise gedruckte Text entstand<br />
in der Literaturwerkstatt, zur der<br />
sich16 Literaturinteressierte aus Deutschland,<br />
Tschechien, Polen, Russland, Lettland<br />
und der Ukraine im September 2002<br />
an der Universität Ostrava einfanden, um<br />
eine Woche lang eigene Texte und einen<br />
Fotoroman zu produzieren. Das ehemals<br />
„stählerne Herz“ der Tschechischen Republik,<br />
Ostrava, sollte der Bergmannsgeschichte<br />
„Unverhofftes Wiedersehen“ von<br />
Johann Peter Hebel die angemessene<br />
Kulisse bieten. Stets mit Hebels Geschichte<br />
im Hinterkopf entstanden Texte<br />
über den Tod, das Warten, das Alleinsein,<br />
über Abschied und Träume, das Unerklärliche,<br />
über die unio mystica von Hochzeit<br />
und Tod.<br />
Die Literaturwerkstatt wurde unterstützt<br />
vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond<br />
Cesko-Nemeck y ’ Fond Budoucnosti<br />
Weitere Informationen:<br />
bei Margrit Fiederer,<br />
M-Fiederer@gmx.de<br />
4<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 5
1<br />
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PROJEKTE 2002<br />
PROJEKTE 2002<br />
OFF-BEATS –<br />
experimentelle Kunst aus Litauen<br />
Fotos:<br />
Nerijus Grigas-Pluhar<br />
Ein Gespräch mit Egmontas Bzeskas,<br />
Regisseur und Gründer des Tanztheaters „Karman“ aus Vilnius. Das Gespräch<br />
führte Nerijus Grigas-Pluhar von „off-beats – Verein für Kulturkontakt“, Berlin<br />
PROJEKTINFO:<br />
Am internationalen Filmseminar im April<br />
2002 in Krakau nahmen tschechische,<br />
polnische und deutsche Studenten teil.<br />
Die aus 25 Personen bestehende Gruppe<br />
sah sich deutsche Filme zum Nationalsozialismus<br />
an. Während des Workshops<br />
wurden die Streifen ausgewertet und mit<br />
den Meinungen der Teilnehmer konfrontiert.<br />
Das Zusammentreffen sollte helfen,<br />
Kontakte zwischen den Germanisten der<br />
Nachbarländer auszubauen.<br />
Krakauer Suite<br />
oder wie man ein bisschen Schwung gegen<br />
den germanistischen Marasmus 1 aufbringt<br />
Fotos: Kamila Mieszczak<br />
„Krakauer Gruppe“<br />
Germanistikstudenten der Uni Krakau<br />
ALLEMANDE<br />
Alles begann mit zwei Leuten, die sich zufällig in Kosice auf der <strong>MitOst</strong>-Mitgliederversammlung kennen<br />
lernten, dadurch, dass an einem Tisch nur Platz für zwei Personen war. Die beiden nahmen sich<br />
vor, die ewige Nichtstungrenze mit einem Workshop zu überwinden. Boris Blahak, Boschlektor in<br />
Brünn (Tschechien), schlug Gosia Tomaszkiewicz vom Germanistenzirkel an der Uni Krakau vor, zu<br />
seinem lange geplanten Filmseminar in Brünn zusätzlich noch ein Filmseminar in Polen zu organisieren.<br />
Da die Krakauer Gruppe von der Germanistik ein bisschen gelangweilt war, nahm man<br />
Blahaks Angebot mit größter Freude an. Es dauerte keine drei Wochen, bis es nach Brünn ging.<br />
Erwünscht, erträumt, so begann der erste Teil.<br />
COURANTE<br />
Es ist aber so, der Appetit kommt beim Essen! Schon im Zug, während der Rückkehr nach Krakau,<br />
wurde das polnische Seminar geplant. Fünf Germanistikstudenten setzten sich als Ziel, ein Gegentreffen<br />
zu veranstalten und Leute dafür zu gewinnen. Die Jagd nach Teilnehmern ist immer die schwerste<br />
Schufterei. Die Leute sind nun einmal so, dass man ihnen einreden muss – manchmal mit Gewalt –<br />
dass ihnen dieses Abenteuer etwas bringt!<br />
SARABANDE<br />
Keine Mitspieler, keine Lust, weiterzumachen und sich aufzuraffen, im Kopf den Gedanken,<br />
aufzugeben: keine finanziellen Mittel. Plötzlich fiel uns ein, dass wir beim guten alten <strong>MitOst</strong>-Verein<br />
finanzielle Unterstützung finden könnten. In Hast und Eile beantragt, aber gelungen: Das Geld ist da!<br />
Manchmal hätte es Vorteile, wenn es nur einen Organisator gäbe; denn bei demokratischen Vorgängen<br />
muss man Verzögerungen in Kauf nehmen. Viele Mitgestalter, viele Ideen. Einigkeit in der Vielfalt<br />
kann man nur schwer erreichen, doch auch diese Hürde ist zu überspringen. Jetzt nur die Suche nach<br />
Räumlichkeiten, Referenten und allem, was dazu gehört. Die Zeit läuft, und wir müssen den Stein ins<br />
Rollen bringen. Wer sonst?<br />
MENUETT<br />
Was wünschst du dir noch, armer Germanistikstudent? Die Sprache? Die sollte schon Deutsch sein,<br />
oder? Also Muttersprachler fehlen noch. Man hört doch so selten die echte, heilsam ins Ohr<br />
fließende und beruhigende deutsche Sprache. Man muss also Deutsch-Sprechende auftreiben.<br />
Gesagt, getan. Eine binationale Werkstatt verwandelt sich in ein Forum, an dem drei Seiten –<br />
Tschechen, Polen und Deutsche – beteiligt sind. Das bringt Schwung in die anschließende<br />
Diskussion. Stattgefunden. Ein großer Erfolg. Unser Lehrstuhl scheint beeindruckt zu sein. Das<br />
Organisationsteam – und noch wichtiger, die Teilnehmer – zufrieden.<br />
Seit wann arbeitet ihr zusammen, wie habt ihr euch kennen gelernt?<br />
Die Gruppe „Karman“ existiert seit dem Jahr 2000. Gründer sind die Choreografin Karina Krysko und<br />
ich. Der Kern der Gruppe besteht aus fünf Tänzern, die ein Tanzstudium am Konservatorium in Vilnius<br />
absolviert haben und sich vom Studium kennen. Die anderen Teilnehmer unserer Stücke haben<br />
keine tänzerische Ausbildung, sie werden nach den zu spielenden Protagonisten ausgewählt. Das ist<br />
übrigens unsere grundsätzliche Konzeption. Wir sind der Meinung, dass Personen, die wir aus dem<br />
realen Leben für unsere Stücke „einladen“, ihre Rollen besser und überzeugender spielen. Wir zeigen<br />
„echtes“ Leben und versuchen, es nicht mit unnatürlichen Schauspielern oder Bewegungen zu<br />
verstecken. Auf der Bühne betonen wir das, was für jeden authentisch ist, deswegen könnte man<br />
unsere Stücke auch „Reality Show“ nennen.<br />
Ist der Auftritt einer „echten“ Gogo-Tänzerin in dem in Berlin gezeigten Stück<br />
„Struggle with Gravity Pull“ nicht chauvinistisch? Wie hat das Publikum in Litauen und in<br />
Berlin darauf reagiert?<br />
Wir versuchen das echte Leben zu zeigen, ohne etwas daraus zu streichen. Gogo-Tanz existiert – wir<br />
zeigen ihn. Es ist interessant, einen echten Striptease im Theater zu sehen, wenn ihn eine echte<br />
„Straßenfrau“ und keine Schauspielerin aufführt. Oft spürt das Publikum gewisse Hemmungen hinzuschauen.<br />
Feminismus in der Form wie in Deutschland kennen wir gar nicht. Wie in alten Zeiten<br />
dient hier die Frau dem Mann und das ist nicht gut. Einige Szenen in unserem Stück geben dieses<br />
Gefühl wider: das Hämmern eines Hammers an eine Wand und im anderen Raum eine schreiende<br />
und fallende Frau. Das ist aktuell und wir zeigen es.<br />
An einer anderen Stelle in eurem Stück sah man eine Szene, wo nach einer Art Boygroup-<br />
Choreografie getanzt wurde, war das ironisch gemeint?<br />
Sicher, ja. Unser Stück kann man in zwei unterschiedliche Teile teilen. Der erste ist unangenehm, es<br />
geht um innere Probleme des Menschen, Schmerz, Angstgefühle. Das Publikum wird absichtlich in<br />
die Dunkelheit der Gefühle gesteuert. Dann kommt der Tanz: locker, leichtsinnig. Mit Absicht zerstören<br />
wir die Regie- und Gefühlsskala, formen Ungewissheit.<br />
Kurz zu euren neuen Plänen...<br />
Das neue Stück fertigstellen und damit durch die europäischen Theater ziehen, unter anderem auch<br />
an dem neuen Festival „off-beats 2“ teilnehmen.<br />
Haltet ihr euch für typisch osteuropäisch oder eher für westlich?<br />
Typisch litauisch können wir gar nicht sein. Wir sind alle total genetisch durchmischt! Die Reisen, das<br />
Leben in Europa hat uns auch stark verändert. Dem Lebensstil nach sind wir, denke ich, mehr europäisch.<br />
Der Osten hat sich uns auch quasi verschlossen, so dass Europa näher gekommen ist. Viele<br />
junge Leute waren noch nie in Russland, alle versuchen, sich nach Westen zu orientieren. Unser<br />
Theater will seinen eigenen Charakter behalten: Wir filtern das, was aus dem Westen kommt, ohne<br />
dabei das Eigene zu verlieren.<br />
PROJEKTINFO:<br />
Der <strong>MitOst</strong>-Salon Berlin präsentierte am<br />
27. und 28. September 2002 im Rahmen<br />
des „off-beats – Festivals“ für litauische<br />
experimentelle Kunst in Berlin das Tanztheater<br />
„Karman“ aus Vilnius. Ziel des<br />
Festivals war es, Litauen, das 2002 auch<br />
Gastland der Frankfurter Buchmesse war,<br />
in Berlin bekannter zu machen und seine<br />
Kultur vorzustellen.<br />
Realisiert wurde der Auftritt des<br />
Tanztheaters „Karman“ mit Geldern aus<br />
dem Soforthilfe-Pool des <strong>MitOst</strong> e.V. Der<br />
Sofortilfe-Pool ermöglicht die schnelle<br />
und unbürokratische Finanzierung von<br />
kleineren <strong>MitOst</strong>-Projekten.<br />
Weitere Informationen zum Soforthilfe<br />
Pool gibt es bei Kamila Mieszczak,<br />
kamilamieszczak@wp.pl<br />
6<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
GIGUE<br />
Vielleicht sollte man noch ein Seminar machen? Wieder mit einem Film im Hintergrund, diesmal, um<br />
moralisch zu beunruhigen? Die Idee ist längst da, alle Organisatoren sind bereit mitzumachen, leider<br />
immer dieselben. Aber – Moment mal! Warum „leider“, das hat uns doch Spaß gemacht, oder? Jetzt also<br />
krempeln wir die Ärmel hoch und los an die Arbeit! Nur nicht meckern, dafür findet sich immer Zeit...<br />
Vom 23. bis 27. September 2003 lädt das zweite „off-beats Festival“ Künstler aus Litauen, Belarus<br />
und Kaliningrad nach Berlin ein. Weitere Informationen: off-beats – Verein für Kulturkontakt, Nerijus<br />
Grigas-Pluhar, nergrigas@gmx.de<br />
7<br />
Marasmus: allgemeiner geistig-körperlicher Kräfteverfall
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 8<br />
PROJEKTE 2002<br />
Hoch der Diskurs! –<br />
Jan Patocka und die Idee von Europa.<br />
<strong>MitOst</strong>-Editionen: 2. Band<br />
Buchmacher in der Sommerfrische<br />
Anton Rauch<br />
Radiojournalist, Studium der slawischen Philologie und Geschichte Osteuropas, München<br />
Monika Bukantaite,<br />
22, Studentin für Germanistik und Lituanistik, Kaunas/Litauen<br />
Fotos: Michael Klees<br />
Jan Patocka<br />
Foto: © Center for Phenomenological<br />
Research, Prag<br />
PROJEKTINFO:<br />
Jan Patocka und die Idee von Europa<br />
hrsg. von Armin Homp und Markus<br />
Sedlaczek, erschienen bei <strong>MitOst</strong> e.V.,<br />
Berlin 2003, <strong>MitOst</strong>-Editionen 2,<br />
ISBN 3-9808083-1-9<br />
Der hier besprochene zweite Band<br />
der <strong>MitOst</strong>-Editionen entstand im<br />
Anschluss an das Forum Philosophie, das<br />
unter dem Titel „Jan Patočka und die<br />
Idee ‘Europa’“ vom 26. bis 29. September<br />
2002 an der Europa-Universität Viadrina<br />
in Frankfurt/Oder und dem Collegium<br />
Polonicum in Slubice statt fand.<br />
Der Band ist für 2,50 EUR (zuzügl. Porto)<br />
zu beziehen bei: Geschäftsstelle des<br />
<strong>MitOst</strong> e.V., Schillerstraße 57, D-10627<br />
Berlin,<br />
geschaeftsstelle@mitost.de<br />
8 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
„Nur wenn eine Mentalität ausgebildet wird, welche alle Traditionalitäten als Glieder einer notwendig<br />
einseitigen, immer endlichen Enthüllung des Seins des Ganzen zu fassen fähig ist, wird den Gefahren<br />
der Ideologisierung der verhärteten Traditionsmassen im Zeitalter der Giganten, welche die neue<br />
Epoche gestalten werden, entgegengearbeitet werden können, in einem entsprechend planetarischen,<br />
wirklich menschlichen Geist.“ Nur so, schreibt Jan Patocka, könne eine Gesinnung ausgebildet<br />
werden, die das Problem der nacheuropäischen Menschheit zu lösen imstande ist. Patocka fordert<br />
die „offene Seele“ und bewährt sich dadurch als der <strong>MitOst</strong>-Philosoph schlechthin.<br />
Die „nacheuropäische Epoche“ war zu Patockas Zeit vom Ost-West-Konflikt gekennzeichnet, inzwischen<br />
ist die bipolare Welt längst abgelöst durch eine Epoche, in deren Vordergrund die weltweit<br />
agierende Handlungsmacht USA in einer (teil)globalisierten Welt steht. Das spezifisch europäische<br />
Erbe, das sich aus klassischer Antike (attischer polis) und (weströmischem) Christentum speist, hat<br />
machtpolitisch und militärisch sein Gewicht verloren. Selbstbewusstsein gewinnen können die Europäer<br />
jedoch durch andere Werte, zum Beispiel durch ihre Diskussionskultur, durch die Fähigkeit, alles<br />
radikal in Frage zu stellen und Solidarität zu üben, wie Patocka schreibt.<br />
So unterschiedlich wie im Band 2 der <strong>MitOst</strong>-Editionen könnten die Aufsätze zur Idee Europas kaum<br />
sein. Die kluge Einleitung von Markus Sedlaczek umreißt den Bogen, den die Autoren von Chvatík<br />
bis Wassiljew schlagen.<br />
Ludger Hagedorn macht das Wirken Patockas über die Charta 77 und seinen Einfluss auf Václav Havel<br />
in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings deutlich. Fruchtbar ist auch der Vergleich<br />
Hagedorns zwischen dem skeptischen Dissidenten und dem polnischen Mazowiecki: Während<br />
Patocka auf eine radikale Fragwürdigkeit setzt, hält Mazowiecki am Christentum als dem spezifischen<br />
Wert Europas fest.<br />
Gerade die ketzerische Haltung des Philosophen erläutert der bekannte Prager Patocka-Interpret Ivan<br />
Chvatík: Was laut Patocka vom Menschen erwartet wird, „ist nicht Glaube, sondern Einsicht.“<br />
Andrei Laurukhin aus Minsk beschreibt in einer phänomenologischen Analyse, wie schwer sich Demokratie<br />
in einer anders gearteten Lebenswelt durchsetzt, denn „formal importierte Demokratie bleibt<br />
leblos, weil sie eben nicht ihre kulturelle Lebenswelt mitbringt [...], wird sie rein formal imitiert.“<br />
Die Philosophie Danilewskijs greift Gennadij Wassiljew auf. Dieser russische Denker hat die klassische<br />
Frage, ob Russland denn nun zu Europa gehöre oder nicht, so klar verneint wie kaum ein<br />
Slawophiler danach. Es habe „weder Anteil am europäischen Guten noch am europäischen Bösen“,<br />
behauptete Danilewskij und hat es damit mehr als 100 Jahre nach seinem Tod in die Hirne der russischen<br />
Rotbraunen geschafft. Wie diese sein Denken für ihre chauvinistische Sache nutzen, legt Julian<br />
Pänke dar, wobei er Belege für das Übergewicht des gemeinsamen Erbes Russlands und Europas<br />
liefert.<br />
Fazit: Für den wenig mit philosophischen Texten vertrauten Leser sind manche der Artikel<br />
hartes Brot. Aber wie beim Brot entfaltet sich auch hier die Süße der Lektüre nach einigem<br />
Kauen. Das von Armin Homp und Markus Sedlaczek herausgegebene Bändchen bringt viel<br />
Neues und genügend Stoff, über Altes nachzudenken. Die 2,50 EUR Schutzgebühr für den im<br />
Marlboro-Design erschienenen 2. Band der <strong>MitOst</strong>-Editionen sind also in jedem Fall besser<br />
angelegt als in einer Schachtel Billigzigaretten.<br />
Alles hat seinen Anfang, so auch diese Geschichte. Im Frühling<br />
2002 wurde bei uns an der Universität Kaunas Werbung für den<br />
zweiten <strong>MitOst</strong>-Verlagsworkshop gemacht. Ich habe mir die Ausschreibung<br />
gründlich angesehen und entdeckt, dass mich das<br />
Thema sehr interessiert und dass es nicht schaden könnte, auch<br />
im Sommer was fürs Köpfchen zu tun.<br />
Der August ließ nicht lange auf sich warten. Um die Reise angenehm und günstig zu machen, wurde<br />
ein Minibus gemietet. Wir alle aus Litauen waren sehr gespannt auf das, was uns in Gießen erwartet,<br />
denn der Workshop sollte ja international sein, was bedeutet, dass wir mit Studenten anderer<br />
Nationalitäten zusammentreffen würden. Gute Verhältnisse und Austausch sind nicht ganz unwichtig, besonders<br />
jetzt, wenn wir alle der EU beitreten und in Zukunft ein Teil des vereinigten Europas sein wollen.<br />
In Gießen waren wir bereit, alles aufzunehmen, was uns angeboten wurde. Ich selber fand das<br />
Programm sehr gut, weil man vieles praktisch sehen und erarbeiten konnte. Die Übungen reichten<br />
von wissenschaftlicher Textproduktion über die Grundlagen des Textlektorats bis hin zur Erstellung<br />
satzfertiger Dateien am Computer. Außer den praktischen Übungen erhielten wir auch Einführungen<br />
in die Geschichte und den derzeitigen Stand des Verlags- und Pressewesens in Deutschland, in das<br />
Autoren- und Verlagsrecht sowie die Buchpreisbindung. Als Höhepunkte würde ich aber die Besuche<br />
beim S. Fischer Verlag und bei der Gießener Allgemeinen Zeitung hervorheben. Ich selber fand toll,<br />
dass alle sehr freundlich und voller Geduld auf alle unsere Fragen geantwortet haben, zum Beispiel,<br />
wie eine Zeitung heutzutage entsteht und wie es früher gemacht wurde, als die Computer noch nicht<br />
da waren.<br />
Fast genauso wichtig war das Freizeitprogramm: eine Wanderung zum Schiffenberg mit altem Kloster<br />
in schöner Natur, Besichtigungen in Lich und Frankfurt am Main. Was mir auch noch sehr gefallen<br />
hat, waren die gemeinsamen Abendessen. Da hatte man die beste Gelegenheit, mit Professoren,<br />
Lektoren und Studenten zu reden, zu diskutieren und sich auszutauschen.<br />
Das Spektrum der Teilnehmer war breit: Litauer, Polen, Slowaken, Rumänen und Weißrussen. Trotz<br />
ähnlicher Vergangenheit haben sich die Länder auf unterschiedliche Weise entwickelt. Und so sind<br />
während des Workshops zwei große Fraktionen entstanden: die litauische und die polnische. Wir hatten<br />
nur einen männlichen Teilnehmer, welcher sich als Hahn im Korb fühlte, aber wenn man ein<br />
gemeinsames Ziel hat, dann spielen die Nationalitäten eher eine Nebenrolle, und es ließ sich sogar<br />
mit dem Hahn arbeiten.<br />
Am letzten Abend erhielten wir Teilnahme-Zertifikate und so wurde der Abend sehr festlich und lang,<br />
da keiner wollte, dass der Workshop zu Ende geht.<br />
PROJEKTINFO:<br />
Der <strong>MitOst</strong>-Workshop zur Verlagsarbeit<br />
und Editionswissenschaft fand in Gießen<br />
vom 18. bis 24. August 2002 statt.<br />
22 Teilnehmer aus Litauen, Polen,<br />
Rumänien, Deutschland, Slowakei und<br />
Weißrussland sollten lernen, wie eine<br />
Publikation entsteht. Während des Workshops<br />
wurde durchgespielt, wie der Weg<br />
vom Text zum fertigen Produkt erfolgt.<br />
Außerdem erhielten die Teilnehmer Einblick<br />
in das deutsche Pressewesen anhand<br />
von Exkursionen. Der Workshop entstand<br />
in Zusammenarbeit mit der Justus-<br />
Liebig-Universität Gießen und dem<br />
Litblockín- Verlag, Fernwald bei Gießen<br />
Weitere Informationen:<br />
Michael Klees,<br />
klees@kaunas.omnitel.net
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 10<br />
PROJEKTE 2002<br />
Lasst uns weiter knüpfen!<br />
Cartoon:<br />
Elie Nasser<br />
Florian Tilzer,<br />
Mitbegründer des Kulturní Cirkus, tschechischer Koordinator des ACCC<br />
(Austrian Czech Cultural Cooperation), Sprachlektor und Übersetzer,<br />
Brünn<br />
Sandl ist ein kleines Dorf im Mühlviertel unweit der tschechisch-österreichischen Grenze, das<br />
böse Zungen wohl am ehesten als „Kaff“ bezeichnen. Also genau der richtige Ort für ein<br />
Seminar, in dessen Rahmen auch ein international besetzter Roundtable zum Thema „Die<br />
Bedeutung der Kommunikation beim Aufbau von lokalen, regionalen und internationalen<br />
Netzwerken“ stattfand. So trafen sich tschechische, österreichische und deutsche KulturveranstalterInnen,<br />
StudentInnen, Kultur- und SprachvermittlerInnen, KünstlerInnen und KommunikationstrainerInnen<br />
unterschiedlichen Alters, um nicht nur zweisprachig zu quatschen, sondern<br />
auch nonverbal kommunizierend Grenzen zu überschreiten, sich auszutauschen, sich weiterzubilden,<br />
… und nicht zuletzt, Konnektschns zu knüpfen, allerdings nicht für die persönliche<br />
Karriere, sondern – wie soll’s bei einem <strong>MitOst</strong>-Projekt anders sein – zum Wohle der Menschheit.<br />
PROJEKTINFO:<br />
Die Vernetzung von Netzwerken stand im<br />
Mittelpunkt eines Roundtables im Rahmen<br />
des <strong>MitOst</strong>-Kreisseminars „Komunikace<br />
– verbale und andere Grenzüberschreitungen“,<br />
das vom 10. bis 11.<br />
Oktober 2002 in Sandl bei Freistadt/<br />
Oberösterreich stattfand.<br />
Das Projekt Komunikace wurde gefördert<br />
aus Mitteln der Robert Bosch Stiftung,<br />
Stuttgart, und des Europäischen Fonds<br />
für regionale Entwicklung – INTERREG III A<br />
10 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Neben dem Roundtable standen folgende Themenbereiche auf dem Programm: „Kommunikation in<br />
Projektgruppen“ (mit dem Innsbrucker Kommunikationstrainer und Theaterpädagogen Wolfgang<br />
Jäger), „Interkulturelle Kommunikation“ (mit Kamila Hlavsová und Carsten Lenk von der tschechischdeutschen<br />
Jugendaustauschorganisation „Tandem“) und „Grenzüberschreitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“<br />
(mit dem tschechischen Journalisten Ondřej Tomek und dem österreichischen Publizisten<br />
Peter Klimitsch).<br />
Beim Roundtable saßen vier VertreterInnen sehr unterschiedlich aufgebauter mitteleuropäischer<br />
Netzwerke am Tisch. Die Vorstellungsrunde eröffnete Ludvík Hlaváček vom Prager Zentrum für zeitgenössische<br />
Kunst, das zusammen mit anderen Zentren in Mittel- und Osteuropa das mitteleuropäische<br />
Netzwerk I_CAN bildet. Bei den drei anderen Netzwerken handelte es sich um die<br />
Veranstalter des Seminars, das in Kooperation mit der ACCC (Austrian Czech Cultural Cooperation)<br />
und dem Brünner Verein Kulturní Cirkus organisiert worden war, wobei letzterer sowohl <strong>MitOst</strong>-<br />
Mitglied als auch ACCC-Partner ist. ACCC bemüht sich um eine systematische Vernetzung der Kulturund<br />
Kunstszene der tschechisch-österreichischen Grenzregionen, also um den Aufbau eines regionalen<br />
bzw. Regionen verbindenden Netzwerks. <strong>MitOst</strong> stellt dagegen ein internationales Netzwerk<br />
dar, das wohl in erster Linie im Bildungsbereich anzusiedeln ist. Die Mitglieder des Vereins Kulturní<br />
Cirkus wiederum sehen ihren Verein nicht nur als eine Art Knotenpunkt dieser beiden Netzwerke,<br />
sie fühlen mit ihren künstlerischen Aktivitäten in Brünn auch eine starke Verwobenheit mit der<br />
Kulturszene dieser Stadt.<br />
Internationale Projekte werden nicht nur durch gezielte Vernetzung ermöglicht, sondern fördern auch<br />
weitere Vernetzung, woraus wiederum weitere Projekte entstehen können. Ich versetze mich hier in<br />
die Rolle eines Visionärs und stelle mir folgendes Szenario vor: Lasst uns einige Stränge miteinander<br />
verknüpfen zu Projektpartnerschaften. Lassen wir doch im Jahr 2004 entlang der gesamten<br />
tschechischen Grenze Kunst, Kultur und Kommunikation in tausend und einer Sprache aufleben.<br />
Feiern wir beispielsweise in Brünn das Festival Multi-Kulti Brno ohne Bomben und Granaten, aber<br />
mit Farben, Tanz, Musik, Gedichten und Straßenkunst. Natürlich gäb’s in diesem Rahmen auch ein<br />
klassisches <strong>MitOst</strong>-Projekt mit StudentInnen aus ganz Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die beispielsweise<br />
eine Festivalwanderzeitschrift schreiben und herausgeben oder der Frage „Ist Multikultur eine<br />
Monokultur?“ nachgehen oder vielsprachiges Theater spielen… zumindest den Ideen sind hierbei<br />
keine Grenzen gesetzt. Doch an dieser Stelle geht’s eher um eine Skizzierung als um eine umfassende<br />
Darstellung von Möglichkeiten.<br />
Nur folgendes sei noch erwähnt: Es laufen bereits Kooperationsgespräche mit unterschiedlichen<br />
Leuten. Wer Ideen hat und Lust verspürt, mitzumachen, ist aufgefordert, es zu tun! Meldet euch einfach<br />
beim Autor unter folgender Adresse: Kulturní Cirkus, Veverí 59, CZ-602 00 Brno.<br />
kulturnicirkus@quick.cz.<br />
Das Klavier kracht zu<br />
Workshop und Konzert während der<br />
Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik<br />
Foto:<br />
Steffen Giersch<br />
Philipp Unger,<br />
25, Student für Soziologie, Projektassistent am Dresdner<br />
Zentrum für Zeitgenössische Musik<br />
Bei einem internationalen Treffen im Oktober 2002 begegneten sich junge Autoren<br />
und Komponisten aus Ländern Mittel- und Osteuropas in Dresden. Ziel war die Suche<br />
nach Chancen, Lyrik und Musik auf einer gemeinsamen Bühne zu präsentieren. Es<br />
sollten bestehende Barrieren zwischen beiden Künsten aufgebrochen werden. Mit<br />
Unterstützung der Berliner Autorin Marion Porschmann und des Dresdner<br />
Komponisten Hartmut Dorschner erarbeiteten die Teilnehmer ihre Präsentationen.<br />
Elektroakustische Klangteppiche und Hintergrundgeräusche wurden verwendet oder<br />
Gedichte in mehreren Sprachen gleichzeitig vorgelesen. Auf diese Art und Weise entstanden<br />
neue, eigenständige Werke.<br />
Eingebettet wurden die Ergebnisse in ein Konzert des Ensembles THE FRESCOS aus Odessa. Auf dem<br />
Programm standen u.a. drei Uraufführungen; Darija Andovska vertonte Eindrücke aus Mazedonien:<br />
den Krieg der letzten Jahre und die Suche nach innerem Frieden, den Wunsch nach einem Abschluss<br />
mit der Vergangenheit – verarbeitet durch lautes Zukrachen des Klavierdeckels. Eindrücke eines<br />
Aufenthalts auf dem Lande spiegelten sich im Stück von Ludmila Yurina wider. Am Ende des Abends<br />
erklang die Komposition „For Hero“ von Alla Zagaykewytsch, eine Suche nach der Musik eines in<br />
einer Novelle von Milorad Pavic spielenden Quartetts.<br />
PROJEKTINFO:<br />
„Miteinander – Erfahrungen in Mitteleuropa“<br />
unter diesem Motto fand vom<br />
3. - 6. Oktober 2002 in Dresden ein<br />
Workshop und Konzert mit „The Frescos„<br />
Contemporary Music Ensemble, Odessa,<br />
sowie jungen Autoren und Komponisten<br />
aus Mittel- und Osteuropa statt. Während<br />
des Workshops wurde ein musikalischliterarisches<br />
Programm erarbeitet.<br />
Die Teilnehmer aus der Ukraine, Polen,<br />
Deutschland, Mazedonien und Rumänien<br />
stellten zeitgenössische Musik<br />
und Texte zusammen. Außerdem wurden<br />
Konzerte besucht, um sich mit internationalen<br />
Tendenzen in der Zeitgenössischen<br />
Musik auseinanderzusetzen. Das<br />
öffentliche Abschlusskonzert des Workshops<br />
war am 5. Oktober in der Aula der<br />
Betriebsgenossenschaftlichen Akademie<br />
in Dresden.<br />
(Der Workshop wurde auch unterstützt<br />
von der Kulturstiftung des Freistaates<br />
Sachsen und dem Kulturamt Dresden)<br />
Weitere Informationen:<br />
Andreas Lorenz, lorenz@zeitmusik.de<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 11
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 12<br />
PROJEKTE 2002<br />
Es war viel wärmer,<br />
als ich es mir vorgestellt habe<br />
Zitate aus der ProjektNetzWerkStatt im November 2002<br />
MITOST INTERN<br />
PROJEKTINFO:<br />
Die Zitate stammen aus der ProjektNetz-<br />
WerkStatt, die im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />
vom 3.- 6. November<br />
2002 in Werftpfuhl bei Berlin stattfand.<br />
Zwischen Westkreuz und Ostbahnhof –<br />
der Berliner <strong>MitOst</strong>-Salon<br />
Foto: Nils-Eyk Zimmermann<br />
Boris Blahak, Boschlektor in Brünn/Tschechien<br />
Die Werkstatt war in ihrer heterogenen Zusammensetzung als Kontaktform sehr erfrischend, anregend und<br />
motivierend. Ein Durchexerzieren konkreter Projektbeispiele, die Vergabe von konkreten Textmustern<br />
(Pressemitteilungen, Anträge) sowie eine Verlängerung der Werkstatt um 2-3 Tage, um den informellen<br />
Austausch zwischen den Teilnehmern zu fördern, sind jedoch zu empfehlen.<br />
Anna Sosna, <strong>MitOst</strong>-Mitglied, Polen<br />
Die Teilnahme an der ProjektNetzWerkStatt war für mich eine tolle Gelegenheit, mein Wissen rund um die<br />
Projektarbeit zu systematisieren und zu bereichern. Der Leitfaden, den wir bekommen haben (z.B., wie macht<br />
man die Abrechnung, wie schreibt man eine gute Pressemitteilung), wird mir in Zukunft viel Zeit ersparen und<br />
meine Arbeit konstruktiver machen.<br />
Heike Mall, Boschlektorin, Irkutsk/Russland<br />
Für mich als Boschlektorin war besonders wichtig, direkten Kontakt zu Kollegen und anderen Projektleitern<br />
zu haben, die sonst Tausende Kilometer von meinem Lektoratsort entfernt sind. Die Kreativität, die dabei<br />
freigesetzt wurde und die Ideen haben nicht nur Impulse gegeben, sondern die Projektarbeit weitergebracht.<br />
Weniger hilfreich waren teilweise die Programmangebote, die oft zu allgemein und elementar waren.<br />
Ehrenamtliche Projekte sind vielfältig:<br />
Filmworkshop in Brünn, Studentenzeitung<br />
in Nowosibirsk oder Künstlerfestival in<br />
Tschechien. Aber die konkrete Durchführung<br />
wirft viele Fragen auf: Wie berechne<br />
ich die Projektkosten? Wo lassen sich Partner<br />
und Förderer finden? Wie kann ich<br />
mein Projekt optimal evaluieren und dokumentieren?<br />
Auf der ProjektNetzWerkStatt Nr. 1 wurde<br />
40 Teilnehmern eine umfassende Schulung<br />
im Projektmanagement angeboten. In<br />
kleinen Gruppen und rotierenden Workshops<br />
wurde vier Tage lang intensiv gearbeitet.<br />
Es ging gleichzeitig um die Vernetzung<br />
von Menschen: den eingeladenen<br />
Projektleitern des <strong>MitOst</strong> e.V., des<br />
Theodor-Heuss-Kollegs, der Lektorenprogramme<br />
und des Tutorenprogramms.<br />
Die ProjektNetzWerkStatt soll künftig<br />
regelmäßig stattfinden – das nächste Mal<br />
im Rahmen des Internationalen <strong>MitOst</strong>-<br />
Festivals 2003 in Pécs.<br />
Nils-Eyk Zimmermann, Studium der Politikwissenschaften, Mitarbeit in der Berliner Regionalgruppe und der Internet AG des <strong>MitOst</strong>-Vereins, Berlin<br />
Foto: Jewgenij Muratow<br />
Neben roten, grünen und blauen Salons, Gummi-, Friseur-, Autound<br />
Hundesalons hat die deutsche Hauptstadt seit einiger Zeit auch<br />
einen <strong>MitOst</strong>-Salon. Mit seinem monatlichen Programm hat er sich<br />
mittlerweile etabliert und ist zu einem der Fixpunkte in den Terminplanern<br />
der Berliner <strong>MitOst</strong>-Mitglieder sowie weiterer Bindestrichund<br />
Ohne-Bindestrich-Europäer geworden. Ziele des Salons sind<br />
der Austausch und die Kooperation mit anderen MOE-Enthusiasten:<br />
Bei gemeinsam organisierten Veranstaltungen können diese ihre<br />
Arbeit und ihre Ideen in angenehmer Atmosphäre vorstellen.<br />
Raumzeit<br />
An jedem dritten Mittwoch im Monat ist Salonzeit. Der Ort hängt<br />
vom Thema und vom Programmpartner der jeweiligen Veranstaltung<br />
ab. Die Website des Salons informiert über die genauen<br />
Koordinaten: www.mitost-salon.de. Wem das zu umständlich ist,<br />
der kann sich auch einen regelmäßig erscheinenden Newsletter<br />
zuschicken lassen, der über alle Termine informiert.<br />
Programm und Ausblick<br />
Den Schwerpunkt des Salons bilden kulturelle Veranstaltungen. So<br />
wurde im Januar 2003 der Kurzfilm „Granica“ gezeigt, der vom Alltag<br />
am Grenzübergang auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt/Oder<br />
und Slubice berichtet. In drei Episoden erzählt Granica von deutschpolnischer<br />
Nachbarschaft, von jungen Ganoven und alten Ressentiments,<br />
von Furcht und Liebe. An diesem Abend stellte sich auch der<br />
deutsch-polnische Kulturverein REJS e.V. vor. Ein weiterer Salonabend:<br />
Jenseits von Grass, Goethe und Co. - über das Übersetzen<br />
und aktuelle deutsche Literatur in Polen mit der Übersetzerin<br />
Alicja Rosenau. Sie übertrug Thomas Brussigs „Am kürzeren Ende der<br />
Sonnenallee“ und Richard Wagners „Miss Bukarest“ ins Polnische.<br />
Im April wurde der Film: „Der chinesische Markt“ gezeigt. Er dokumentiert<br />
einen der größten europäischen Märkte in Budapest.<br />
Dieser Platz ist einer der wichtigsten Knotenpunkte von Menschenströmen<br />
im östlichen Europa. Im Collegium Hungaricum, dem ungarischen<br />
Kulturinstitut in Berlin, diskutierte das Publikum mit dem<br />
Regisseur Zoran Solomun.<br />
In den nächsten Monaten sind weitere Kooperationen geplant, etwa<br />
mit der Sprach- und Kulturbörse an der Technischen Universität<br />
Berlin. Einen Austausch wird es auch mit dem internationalen Theaterfestival<br />
Unidram in Potsdam geben, das die Zusammenarbeit mit<br />
Künstlern verschiedener Länder in Gang bringt.<br />
Kontakt und Kooperation<br />
Die Saloneros und Salonitas freuen sich über jedes Interesse sowie<br />
Vorschläge und Ideen.<br />
Kontakt über<br />
tippse@mitost-salon.de<br />
www.mitost-salon.de<br />
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1. Internationales <strong>MitOst</strong>-Festival<br />
11.-16. November 2003 in Pécs/Ungarn<br />
Foto: Gereon Schuch<br />
Anne Stalfort, Geschäftsführerin des <strong>MitOst</strong> e.V.<br />
Das Festival, das die klassischen Mitgliederversammlungen der letzten Jahre ablöst, ist die zentrale<br />
<strong>MitOst</strong>-Veranstaltung im Jahr 2003. Fünf Tage lang präsentieren Vereinsmitglieder und<br />
Partnerinstitutionen einer breiten Öffentlichkeit die Ergebnisse erfolgreicher <strong>MitOst</strong>-Projektarbeit:<br />
internationale Künstlerwerkstätten, länderübergreifende Seminare, Kultur- und Medienprojekte<br />
und vieles andere. Parallel entwickeln die Festival-Teilnehmer in kleinen, fachkundig<br />
betreuten Teams neue Projektideen für das folgende Jahr, werden im Projektmanagement<br />
geschult und nehmen an kreativen Workshops teil.<br />
Mit Teilnehmern aus mehr als 20 Ländern sorgt das Festival für multikulturelles Flair in der<br />
Universitätsstadt Pécs. Zahlreiche lokale und überregionale Partner ermöglichen ein breites kulturelles<br />
Rahmenprogramm und sorgen so für die öffentliche Präsenz des Festivals in der ganzen Stadt. Die<br />
Schirmherrschaft übernimmt der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn, Wilfried<br />
Gruber. Das Festival wird neben der Robert Bosch Stiftung von zahlreichen nationalen und internationalen<br />
Institutionen und Organisation unterstützt.<br />
Ziel des Internationalen <strong>MitOst</strong>-Festivals ist die Förderung ehrenamtlichen Engagements für kulturelle<br />
und künstlerische Ost-West-Verbindungen durch öffentliche Präsentation erfolgreicher Projekte. Das<br />
jährlich in verschiedenen Städten Mittel- und Osteuropas stattfindende Festival soll durch seine Außenwirkung<br />
und die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern einen großen Kreis von Interessierten erreichen,<br />
die ihrerseits als Teilnehmer oder Initiatoren von Folgeprojekten ermuntert, vernetzt und gefördert werden.<br />
Außerdem soll genügend Zeit bleiben, um auch inhaltlich über die weitere Entwicklung des<br />
Vereins zu diskutieren … und natürlich, um gemeinsam zu f e i e r n ! ! !<br />
PROJEKTINFO:<br />
Auf der Homepage www.mitost.de<br />
sind ständig aktualisierte Informationen<br />
zum Festival und zur Anmeldung zu finden.<br />
Das Organisationsteam in Pécs ist für<br />
jede neue Idee offen und freut sich auf<br />
Anregungen und Vorschläge unter<br />
mitost-festival@mitost.de<br />
Anmeldeschluss: 01. August 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 13
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 14<br />
MITOST INTERN<br />
Der neue Vorstand<br />
Regionalisierung von <strong>MitOst</strong>: Die Ländervertreter<br />
Gereon Schuch, (1. v. links) 1. Vorsitzender,<br />
32, Studium der Osteurop. Geschichte, Rechtswissenschaft und<br />
Ethnologie, 1998-2000 Boschlektor in Pécs (Ungarn), 2001-2003<br />
Promotion über ungarische Hochschulgeschichte, seit 2000 im<br />
<strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />
Waldemar Czachur, (ganz rechts) 2. Vorsitzender,<br />
26, Studium der Germanistik, gegenwärtig Promotion an der<br />
Universität Warschau, Seminarleiter beim Theodor-Heuss-Kolleg,<br />
seit 2000 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />
Esther Smykalla, (5. v. links) Schatzmeisterin,<br />
31, Studium der Romanistik, Germanistik und Komparatistik, 1999-<br />
2001 Boschlektorin in Banská-Bystrica (Slowakei), 2001-2003<br />
DAAD-Lektorin in Bratislava (Slowakei), seit 2003 Geschäftsführerin<br />
des Internationalen Universitätskollegs der TU-Chemnitz,<br />
seit 2001im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />
Anna Veigel, (oben) Beisitzerin,<br />
34, Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaften in<br />
Marburg, 2000-2002 Boschlektorin in Szeged (Ungarn), gegenwärtig<br />
Programmkoordinatorin beim Internationalen Christlichen<br />
Jugendaustausch e.V. in Berlin, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vostand.<br />
Barbara Baumann, (2. v. links) Beisitzerin,<br />
29, Studium der Germanistik, Geschichte, Englischen Sprachwissenschaft<br />
und des Deutschen als Fremdsprache, 2000 -2002<br />
Boschlektorin in Pécs (Ungarn), Seminarleiterin im Theodor-<br />
Heuss-Kolleg, gegenwärtig Vorstandsassistentin bei der Signal<br />
Versicherung Budapest, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />
Malgorzata Tomaszkiewicz, (vorne) Beisitzerin,<br />
24, Studentin der Germanistik, Musik (Klavier), der internationalen<br />
Migrationsbewegungen und der Völkerkunde in Krakau (Polen),<br />
seit 2 Jahren erste Vorsitzende des Germanistenkreises an der<br />
Krakauer Universität, seit 2002 im <strong>MitOst</strong>-Vorstand<br />
Seit langem wird über die Regionalisierung der <strong>MitOst</strong>-<br />
Aktivitäten diskutiert. Die Mitgliederversammlung in Berlin<br />
setzte diese Idee nun um und benannte für jedes <strong>MitOst</strong>-Land<br />
einen „Ländervertreter“. Dieser ist als Ansprechpartner für die<br />
Mitglieder in seiner Region zuständig, betreut sie und koordiniert<br />
gemeinsame Aktivitäten. Anfang Februar 2003 haben<br />
sich die Ländervertreter in Berlin getroffen, um das Profil ihres<br />
Amtes und dessen Zuständigkeiten gemeinsam zu entwickeln<br />
und festzulegen. Auf der Mitgliederversammlung während des<br />
<strong>MitOst</strong>-Festivals im November 2003 werden dann die neuen<br />
Ländervertreter für das Jahr 2004 gewählt.<br />
Hier stellen sich einige Ländervertreter vor:<br />
❚ Slowakei:<br />
Ich heiße Daniela Miceková und studiere Germanistik in Prešov.<br />
Die Arbeit als Ländervertreterin macht richtig Spaß. Ich hoffe, ich<br />
gewinne noch mehr aktive Mitglieder für <strong>MitOst</strong>.<br />
❚ Russland (europäischer Teil):<br />
Ich bin Nikolai Kokko und studiere Internationale Beziehungen an<br />
der Sankt Petersburger Universität. Zusammen mit Sergej Leonow<br />
versuche ich, die Ideen von <strong>MitOst</strong> in Russland bekannt zu machen.<br />
❚ Polen:<br />
Ich bin Dorota Wozowicz aus Rzeszów (Süd-Ost-Polen). Ich betreue<br />
über 50 polnische <strong>MitOst</strong>ler. Oft ist es nicht so einfach, die Mit-<br />
Ost-Mitglieder dazu zu bringen, Rückantwort zu geben. Auf sichtbare<br />
Erfolge muss ich noch ein bisschen warten.<br />
Bisher sind folgende Ländervertreter tätig:<br />
Foto: Anne Stalfort<br />
Liebe <strong>MitOst</strong>-Mitglieder,<br />
Gereon Schuch, 1. Vorsitzender<br />
<strong>MitOst</strong>-Mitgliederstruktur-Länderstruktur<br />
Schweiz 7<br />
USA 1<br />
Belgien 1 Italien 4<br />
Spanien 1 Türkei 1 Österreich 4<br />
Irland 1<br />
Griechenland1<br />
Slowenien 2<br />
Japan 1<br />
Finnland 1<br />
Polen 59<br />
Deutschland 325<br />
Weißrussland 44<br />
Tschechien 43<br />
Mitglieder<br />
Ukraine 37<br />
insgesamt: 718<br />
(Stand 30.05.2003)<br />
Russland 44<br />
Ungarn 28<br />
Slowakei 21<br />
Georgien 27<br />
Litauen 16<br />
Bulgarien 11<br />
Lettland 6<br />
Rumänien 5 Bosnien-Herzegowina 1<br />
Armenien 6<br />
Estland 5<br />
Serbien und Montenegro 3<br />
❚ Baltikum (Lettland, Litauen, Estland): Jurgita Aniunaite<br />
baltikum@mitost.de<br />
❚ Weißrussland: Aksana Zaverakhina<br />
belarus@mitost.de<br />
❚ Georgien: Nino Tshirakadze<br />
georgien@mitost.de<br />
❚ Polen: Dorota Wozowicz<br />
polen@mitost.de<br />
❚ Russland (Sibirien): Maria Sacharowa<br />
russland_sib@mitost.de<br />
❚ Russland (europäischer Teil): Sergej Leonow, Nikolai Kokko<br />
russland_eur@mitost.de<br />
❚ Slowakei: Daniela Miceková<br />
slowakei@mitost.de<br />
❚ Tschechien: Stanislav Jilek<br />
tschechien@mitost.de<br />
❚ Ukraine: Sergej Dovshenko<br />
ukraine@mitost.de<br />
❚ Ungarn: Szilvia Varga<br />
ungarn@mitost.de<br />
Allen, die sich dafür interessieren, Ländervertreter zu werden,<br />
steht Waldemar Czachur vom Vorstand zur Verfügung;<br />
vorstand@mitost.de<br />
14<br />
die Dynamik von <strong>MitOst</strong> ist ungebremst! Rasant startet das neue<br />
Jahr mit zahlreichen Aktivitäten. Auch wenn unsere Mitgliederzahl<br />
mit über 700 schon eine beachtliche Größe erreicht hat, bietet<br />
<strong>MitOst</strong> jedem Einzelnen zahlreiche Möglichkeiten der aktiven Teilnahme<br />
am Vereinsleben, internen Diskussion und Weiterentwicklung:<br />
Erstmals kamen im Februar die „Ländervertreter“ aus allen<br />
<strong>MitOst</strong>-Ländern zu einem Treffen nach Berlin, die „Alumnivertreter“<br />
aller bei <strong>MitOst</strong> präsenten Stiftungsprogramme tagten im April in<br />
Stuttgart, in Pécs treffen sich <strong>MitOst</strong>ler regelmäßig zur Vorbereitung<br />
des <strong>MitOst</strong>-Festivals im November 2003. Im Rahmen des Festivals<br />
werden wir dieses Mal „Länderforen“ veranstalten, bei denen<br />
<strong>MitOst</strong>-Aktivitäten in den einzelnen Ländern entwickelt und initiiert<br />
werden können. Daneben wird es „Programmforen“ für die Alumniarbeit<br />
von ehemaligen Stiftungsstipendiaten, also z.B. ehemaligen<br />
Lektoren oder Tutoren, geben. Außerdem gibt es noch die Internet<br />
AG und die Fundraising AG, das Magazinteam, den <strong>MitOst</strong>-Salon in<br />
Berlin sowie die zahlreichen Projektgruppen...<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> lebt – das zeigt sich deutlicher denn je – vom Engagement<br />
seiner Mitglieder! Wir freuen uns über weitere Ideen und<br />
Aktivitäten!<br />
Seit November 2002 amtiert der neue Vorstand: Barbara Baumann,<br />
Malgorzata Tomaszkiewicz und Anna Veigel wurden neu als Beisitzerinnen<br />
in den Vorstand gewählt.<br />
Eine erste große Aufgabe bestand für den neuen Vorstand darin, die<br />
Anfrage der Robert Bosch Stiftung zur Übernahme des Stiftungsprogramms<br />
„Junge Wege in Europa“ in die Trägerschaft des <strong>MitOst</strong> e.V.<br />
zu diskutieren, den Mitgliedern gegenüber darzustellen und eine<br />
Entscheidung herbeizuführen. Die überwiegend positive Resonanz aus<br />
dem Kreis der <strong>MitOst</strong>ler hat den Vorstand in seiner Meinung bestätigt,<br />
dass sich das neue Programm sehr gut in das <strong>MitOst</strong>-Profil einfügt.<br />
Im Herbst wird die nächste Ausschreibung dieses ab Sommer in<br />
unserer Trägerschaft durchgeführten Programms veröffentlicht.<br />
<strong>MitOst</strong> ist in Bewegung! Und wir alle gestalten den Weg!<br />
Wir wünschen weiterhin viel Spaß bei <strong>MitOst</strong>!<br />
Ein Leben nach Bosch ?<br />
Alumnivertreter bei <strong>MitOst</strong><br />
Katrin Peerenboom war mit dem Programm „Völkerverständigung<br />
macht Schule“ in Krakau<br />
Andreas Goldthau, 2001/2002 Boschlektor in Tjumen/Russland<br />
Nach erfolgreichem Auf- und Ausbau der Projektarbeit im Rahmen<br />
von <strong>MitOst</strong> in den letzten Jahren war auf der Mitgliederversammlung<br />
im November 2002 klar: die Alumniarbeit im Rahmen des Vereins<br />
muss neu aufgestellt werden. Die jeweils zwei Vertreter der vier verschiedenen<br />
Programme (Theodor-Heuss-Kolleg, Völkerverständigung<br />
macht Schule, Lektoren, Tutoren) begaben sich in Stuttgart auf<br />
die Suche nach Struktur, Identität und Bedürfnissen der Altstipendiaten.<br />
Nach zwei Tagen Diskussion, Konzeptentwurf und anschließender<br />
Präsentation in der Stiftung stand das Gerüst für die weitere<br />
Alumniarbeit. Diese sieht vor allem eine inhaltliche und strukturelle<br />
Stärkung der „zweiten Säule“ in <strong>MitOst</strong> vor, der „Alumniplattform“.<br />
Wie geht’s weiter? Die Ergebnisse werden auf der <strong>MitOst</strong>-Homepage<br />
vorgestellt und auf dem <strong>MitOst</strong>-Festival im November 2003 in Pécs<br />
(Ungarn) werden die bis dahin umgesetzten Ideen präsentiert und<br />
neue Alumnivertreter gewählt.<br />
Dies war ein erster Schritt der Vertreter, das Projekt und seine<br />
Umsetzung lebt von Euch! Hinweise, Anregungen und Wünsche zur<br />
Mitarbeit bitte an die Alumnivertreter:<br />
Monika Sus (THK): monika.sus@psi.wroc.pl<br />
Susan Rößling (VmS): susan_roessling@yahoo.de<br />
Katrin Peerenboom (VmS): peerenb@gmx.de<br />
Silvia Machein (Lektoren): mediatrixx@web.de<br />
Andreas Goldthau (Lektoren): andreas@goldthau.de<br />
Sergey Logvinov (Tutoren): logvinov@newmail.ru<br />
Monika Paluch (Tutoren): monika.paluch@gmx.de
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 16<br />
THEMA<br />
Leben und leben lassen…<br />
Dorothea Leonhardt, Marketing-Managerin, München<br />
Arndt Lorenz, Journalist, Dresden<br />
Fotos:<br />
Sören Urbansky, 23, Studium der<br />
Kulturwissenschaften an der Viadrina/<br />
Frankfurt an der Oder.<br />
Die Bilder zeigen Wohnungen in Moskau<br />
und gehören zum Fotoprojekt „Lebenswelten“,<br />
das soziale Milieus untersucht.<br />
soeren@urbansky.org<br />
16 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
... gaben gleich 3 von 71 <strong>MitOst</strong>lern als Lebensmotto an, die sich die Mühe machten, eine Umfrage des <strong>MitOst</strong>-<br />
Magazins zu Werte- und Moralvorstellungen zu beantworten. Es beteiligten sich 33 Mitglieder aus Deutschland,<br />
eins aus Frankreich und 37 aus den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE). Das heißt, etwa jedes zehnte<br />
Vereinsmitglied schickte uns die Antworten zurück. Da pro osteuropäischem Land zwischen einer und sechs E-<br />
Mails eingingen, fassten wir kurzerhand diese Antworten zu einer gemeinsamen„MOE-Gruppe“ zusammen. Unter<br />
den Einsendern war jedes Alter zwischen 18 und 42 vertreten. Viele der antwortenden <strong>MitOst</strong>ler aus Osteuropa<br />
hielten sich gerade in Deutschland auf. Herausgekommen ist eine Statistik, die in keiner Weise repräsentativ ist,<br />
aber trotzdem einige interessante Rückschlüsse zulässt.<br />
Eine große Familie<br />
Allgemein hat sich bei der Auswertung gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Ländern nicht sehr gravierend<br />
sind (Ausnahmen bestätigen die Regel). So möchten viele der Befragten gern mit ihrem Lebenspartner zusammenleben.<br />
Auch den Wert der Familie an sich will niemand in Abrede stellen. Auffällig ist, dass fast alle Befragten<br />
aus MOE-Ländern die Familie wichtig finden - nur einer ist unentschieden -, während von den 33 Deutschen doch<br />
immerhin 3 nichts mit Familie im Sinn haben und 6 sich nicht festlegen wollen. Heiraten wird vor allem in MOE-<br />
Ländern als wichtig erachtet, obwohl es natürlich auch hier Kritik an der Ehe als Institution gibt. So fordert ein Pole,<br />
die Ehe solle doch keine „Wette um das Alter“ sein. Interessant ist, dass sich 19 – also über die Hälfte der 33<br />
Deutschen - in puncto Heiraten nicht festlegen wollen.<br />
Glaube ja – Kirchgang nein<br />
Viele der Befragten messen der Religion eine wichtige Rolle bei. Die meisten gehen jedoch kaum noch in die Kirche<br />
oder beteiligen sich nur sporadisch am Gemeindeleben. Hier gibt es aber von Land zu Land starke Unterschiede:<br />
So wird in religiös stark geprägten Ländern wie Polen erwartungsgemäß die Integration der Religion in den Alltag<br />
viel öfter von den Befragten hervorgehoben als anderswo. Erstaunlich ist, dass unter den polnischen Einsendern oft<br />
der moralische Zwang zum Kirchgang betont wird. In Ländern der ehemaligen Sowjetunion mit eher atheistischer<br />
Tradition spielt die Kirche keine so dominante Rolle. Die Anzahl von Katholiken, evangelisch Gläubigen und<br />
Atheisten unter den deutschen Befragten ist etwa gleich. Die Osteuropäer sind vorwiegend katholisch oder orthodox.<br />
Ein Mitost-Mitglied der Umfrage bekennt sich zum islamischen Glauben.<br />
Orangen und Äpfel<br />
Dem Thema Homosexualität stehen die meisten <strong>MitOst</strong>ler tolerant gegenüber. Manche Befragte aus MOE-Ländern<br />
weisen aber auf Schwierigkeiten hin, mit denen diese Menschen in ihrer Heimat zu kämpfen haben (s. auch S. 20<br />
– 22). Von den 6 an der Umfrage beteiligten Ukrainern empfindet die Hälfte von ihnen Homosexualität als unangenehm.<br />
Aus Weißrussland kam die Antwort, dass jeder ein Recht darauf hätte, was er am liebsten mag: „Orangen<br />
oder Äpfel, Frauen oder Männer“.<br />
Rennende Ratten<br />
Viele geben an, dass der Beruf für sie wichtig sei, schließlich verbringe man ja viel Zeit seines Lebens mit Arbeiten.<br />
Dabei steht für die meisten weniger die Karriere im klassischen Sinne als vielmehr die Selbstverwirklichung und die<br />
Freude an der Tätigkeit im Vordergrund. Vor allem für weibliche Befragte aus MOE-Ländern ist es wichtig, den Beruf<br />
mit der Familie zu vereinbaren. Eine Polin vergleicht den Drang nach Karriere mit einem Rattenrennen, an dem sie<br />
nicht um jeden Preis teilnehmen wolle. Die Selbstverwirklichung spielt manchmal sogar eine untergeordnete Rolle:<br />
ein zwanzigjähriger Ukrainer will Karriere machen, damit er seiner Heimat etwas Gutes tun kann.<br />
Fernsehen macht blöd<br />
Erstaunt hat uns, dass der Einfluss der Massenmedien auf Werte und Moralvorstellungen nur in Deutschland als<br />
hoch eingeschätzt wird - gab es doch gerade in den MOE-Ländern lange Zeit sehr viel Massenpropaganda über Presse,<br />
Funk und Fernsehen. Möglicherweise messen heute die Osteuropäer den Massenmedien nach ihrer Liberalisierung<br />
in den 90er Jahren weniger Bedeutung bei. Also keine Angst vor „den Superstars“? Die meisten der Befragten finden,<br />
dass die Werte- und Moralgrundlagen in erster Linie immer noch von den Eltern im trauten Zuhause vermittelt werden.<br />
Alles wird gut<br />
Bleibt zum Schluss noch die Frage, welches Lebensmotto den Mitostlern eigen ist: „Ora et labora“(Bete und<br />
Arbeite) wird gleich zweimal genannt, aber auch „In die Vollen gehen“. Die Antworten reichen von „Vorbereitung<br />
auf den Tod“ bis hin zum Zweckoptimismus „Alles wird gut“. Zum Glück lässt sich nun wirklich nicht alles in Schubladen<br />
fassen - die unterschiedlichen Antworten zum Sinn des Lebens sprechen für sich. Die Umfrage hat gezeigt, dass<br />
der <strong>MitOst</strong>-Verein eine bunte Truppe ist, deren Mitglieder vieles verbindet und für die gilt: „Leben und leben lassen“.<br />
Umfrage-Auswertung<br />
Foto: Sören Urbansky<br />
Anzahl der Antworten: Deutschland 33, Frankreich 1, MOE = 37<br />
(MOE: Polen = 9, Weißrussland = 6, Russland = 6, Slowakei = 1, Estland = 1, Georgien = 1, Tschechien = 4, Ukraine = 6, Ungarn = 2, Rumänien = 1)<br />
Haben Sie einen Lebenspartner?<br />
Sollte man heiraten?<br />
Ja: D = 21 MOE = 17<br />
Ja: D = 6 MOE = 17<br />
Nein: D = 12 MOE = 20<br />
Unentschieden: D = 20 MOE = 9<br />
Nein: D = 8 MOE = 6<br />
Leben Sie mit Ihrem Lebenspartner zusammen?<br />
Ja: D = 14 MOE = 5<br />
Welcher Religion gehören Sie an?<br />
Nein: D = 12MOE = 20<br />
Keiner: D = 11 MOE = 7<br />
Christlich: D = 0 MOE = 4<br />
Sind Sie verheiratet?<br />
Katholisch: D = 12 MOE = 14<br />
Ja: D = 9 MOE = 4<br />
Evangelisch: D = 11 MOE = 2<br />
Nein: D = 22 MOE = 32<br />
Orthodox: D = 0 MOE = 9<br />
Haben Sie eigene Kinder ?<br />
Islam: D = 0 MOE = 1<br />
Nein: D = 27 MOE = 32<br />
Welchen Stellenwert hat für Sie die Religion?<br />
Ja: D = 7 MOE = 4<br />
Großen: D = 13 MOE = 16<br />
Gesamtzahl „<strong>MitOst</strong>-Kinder“: D = 16 MOE = 6<br />
Unentschieden: D = 7 MOE = 8<br />
Geringen: D = 3 MOE = 3<br />
Wie wohnen Sie ?<br />
Keinen: D = 11 MOE = 7<br />
Eigene Wohnung: D = 26 MOE = 7<br />
Bei den Eltern: D = 0 MOE = 16<br />
Nehmen Sie am kirchlichen Gemeindeleben teil?<br />
In WG: D = 4 MOE = 7<br />
Oft: D = 1 MOE = 4<br />
Mit mehreren im Zimmer: D = 1 MOE = 6<br />
Selten:D = 10 MOE = 11<br />
Nie: D = 11 MOE = 7<br />
Wie würden Sie gerne wohnen?<br />
Allein: D = 4 MOE = 8<br />
Wie denken Sie über Homosexualität?<br />
Mit Lebenspartner: D = 24 MOE = 26<br />
Normal, natürlich: D = 30 MOE = 25<br />
Bei Eltern: D = 3 MOE = 2<br />
Problematisch, unangenehm: D = 3 MOE = 6<br />
Ohne Eltern: D = 2 MOE = 1<br />
Krankhaft: D = 1 MOE = 5<br />
In WG: D = 1 MOE = 1<br />
Wie bedeutet Ihnen Ihre eigene Karriere?<br />
Ist Ihnen Familie und Ehe wichtig?<br />
Wichtig: D = 17 MOE = 15<br />
Ja: D = 25 MOE = 33<br />
Nicht wichtig: D = 6 MOE = 3<br />
Unentschieden: D = 6 MOE = 1<br />
Arbeit muss vor allem Spaß machen: D = 5 MOE = 3<br />
Nein: D = 3 MOE = 0<br />
Will mich selbst verwirklichen: D = 5 MOE = 7<br />
Familie ist wichtiger: D = 0 MOE = 6<br />
Wer hat den größten Einfluss auf Werte- und Moralvorstellungen?<br />
Familie und Bekannte: D = 20 MOE = 32<br />
Bildungswesen: D = 1 MOE = 1<br />
Massenmedien: D = 10 MOE = 2<br />
<strong>MitOst</strong>-Verein: D = 0 MOE = 1<br />
Unentschieden: D = 5 MOE = 3<br />
Was ist Ihr Lebensmotto?<br />
Aktivität: D = 10 MOE = 14<br />
Sorgenfreiheit: D = 11 MOE = 11<br />
Bildung/Erkenntnis: D = 7 MOE = 6<br />
Sonstiges (Geld etc.): D = 6 MOE = 1<br />
(Eine ausführlichere Auswertung ist im Internet unter www.mitost.de abrufbar.)
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 18<br />
THEMA<br />
Undercover-Theologe in Polen<br />
Andreas Prokopf,<br />
Studium der Publizistik und kath. Theologe, seit 2002 Boschlektor in Chelm<br />
Logo: Boris Bartels, dreimarketing GmbH<br />
Land und Liebe<br />
Holger Schnelle, freier Autor und Journalist, München<br />
Fotos: Sören Urbansky<br />
THEMA<br />
Während meines Lektorats für deutsche Landeskunde in Chelm (Ostpolen) merkte ich bald,<br />
dass ich den Schülern Deutschland am besten über für mich vertrautes Terrain, die Religion,<br />
nahe bringen konnte: die (Ab)-Gründe und Konsequenzen des Calvinismus für Schwaben und<br />
Norddeutschland, die deutsche Vorliebe dezentraler Regierungsformen, die Folge eines nachreformatorischen<br />
„cuius regio, eius religio“ 1<br />
war, und die religiös-kultischen Wurzeln des (katholischen)<br />
Karnevals im Gegensatz zur protestantischen Verstandesbezogenheit. Diese Themen<br />
weckten bei den Lernenden Interesse: Neu für die Schüler war, dass so viel Pluralität aus einer<br />
religiösen Quelle entsprang. Dies wurde interessiert, aber auch mit gewissen Vorbehalten<br />
angenommen; kannte man doch bisher nur das Christentum in der polnisch-katholischen<br />
Variante, die im Lande kein Konkurrenzmodell hat – die Kirche gilt als Autorität. Den Schülern<br />
hat diese neue Sichtweise geholfen, die Vielfalt deutscher Mentalitäten anhand der unterschiedlichen<br />
konfessionellen Herkunft zu begreifen.<br />
Neben meiner Tätigkeit in Chelm hatte ich Gelegenheit, einen Gastvortrag an der Hochschule der<br />
Jesuiten in Krakau (Ignacianum) zu halten. Die Vorträge begannen mit einer für mich ‚befremdlichen’<br />
Zeremonie: einem Gebet. Mir als deutschem Theologen war dies beinahe unheimlich, ich fühlte mich<br />
in meiner Privatsphäre belangt.<br />
Wisla Kraków hatte gerade Schalke 04 im Ruhrpott 4:1 abgefertigt, und ich nahm das zum Anlass,<br />
über kultanaloges Verhalten von Fußballfans zu ‚dozieren’: Ein Blick in die wöchentliche Sportpresse<br />
zeigt, wie eng die Bande des Fußballsportes zu den rituell-religiösen Wurzeln geknüpft sind:<br />
„[...] das Unglaubliche geschieht. Der gütige Himmel schenkt dem Tabellenletzten Mainz 05 zwei<br />
Tore. Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich ein Leben nach dem Tod beim FSV Mainz 05 an“.<br />
Hier, fasste ich zusammen, wird Stoff tradiert, den die Fans in ihren Lebensvollzug aufnehmen, hier<br />
geschieht die schriftlich fixierte Überhöhung des Fußballgeschehens. Oft ist die Rede von einem<br />
„Fußballgott“, nicht selten wird ein Tor in die Form einer legendenhaften Wundererzählung gebracht,<br />
einzelne Spieler erhalten eine bestimmte Rolle in der Heilsdramaturgie der Fußballwelt. Das kultische<br />
Ausagieren all dieser Affekte müsste die Fans meiner Meinung nach viel interessanter für die<br />
Kirche machen, denn sie sind bereits eine spielende Gemeinde.<br />
Nach dem Vortrag gab es verhaltenen Beifall. Dann die ersten Rückfragen: Ist das nicht ein wenig<br />
übertrieben, Fußballfans und deren offensichtlich sinnloses Verhalten so überzuinterpretieren? Ich<br />
antwortete, dass ich nur beobachtet hätte, wo Kult und Ritus im deutschen Alltag vorkommen. Ich<br />
wies darauf hin, dass sich nur noch eine Minderheit in der jungen Generation in Deutschland zur<br />
Kirche bekenne und man deshalb die Religion da wahrnehmen müsse, wo sie auftauchte. Nein,<br />
schallte es mir entgegen, Evangelisation und Nachfolge Christi seien zu lehren, man dürfe sich nicht<br />
der ‚Welt’ und ihrem Konsumzwang aussetzen. Ich fragte nach, ob nicht Christus genau in diese Welt<br />
hineingeboren wurde? Es kam zurück, dass er sich aber nicht mit der ‚Welt’ identifiziert habe. Ich hielt<br />
zum Besten, dass er sein Leben aber mit gesellschaftlich randständigen Menschen verbrachte und<br />
diese zu verstehen suchte. Nein, lautete der Konter, er sei ein Menschenfischer gewesen und habe<br />
die Menschen von ihren Götzen befreit.<br />
Einer der ersten Kommentare meiner damals zukünftigen slowenischen Schwiegermutter zu<br />
mir, ihrem deutschen Schwiegersohn, war, dass ein Verhältnis zwischen zwei Menschen aus<br />
unterschiedlichen Ländern, aus rund 800 Autobahn-Kilometer voneinander entfernt liegenden<br />
Geburtsorten, nicht funktionieren könne; warum also überhaupt damit anfangen. Nach zehn<br />
Jahren deutsch-slowenischer Partnerschaft bzw. Ehe mussten wir feststellen, dass 800 Kilometer<br />
tatsächlich zuviel waren. Um mit Elisabeth Beck-Gernsheim zu sprechen: „Die traditionellen<br />
Bindungen der vormodernen Gesellschaft lösen sich zunehmend auf (...) , der Lebenslauf<br />
wird an vielen Punkten offener und gestaltbarer. (...) Das gemeinsame Fundament muss<br />
immer mehr von den beiden Personen individuell hergestellt werden. Dies wird um so<br />
schwieriger, je ferner die Welten sind, aus denen sie kommen.” 1<br />
Wo liegen die Unterschiede? Mein Schwiegervater protestierte, als ich Slowenien als „agrarisch<br />
geprägten Staat” bezeichnete, dessen Einwohner infolgedessen traditionelleren Lebensformen verhaftet<br />
sind, als dies im deutschen Durchschnitt üblich ist. Tatsächlich weist selbst das CIA Fact Book<br />
Slowenien als „starke Wirtschaft” aus. Dennoch kommen auf jeden Slowenen rein rechnerisch<br />
10.000 Quadratmeter Heimatland. In Deutschland bleiben jedem Einwohner 4.300 Quadratmeter; in<br />
Großstädten viel weniger. Ein Stückchen Land zu bestellen spielt in Slowenien eine andere Rolle als<br />
in Deutschland. Allein der Balkon meiner Schwiegermutter – ein geduckter Betonrahmen in einem<br />
70er-Jahre-Block in München – legt dafür beredtes Zeugnis ab. Aus den Früchten, die sie diesen<br />
knappen zweieinhalb Quadratmetern abringt, ließen sich viele Mittagessen bestreiten. Mein Opa<br />
hatte einen Reihenhausgarten – die einzige Nutzpflanze war ein Büschel Schnittlauch, von dem<br />
meine Oma hin und wieder etwas in die Suppe schnitt.<br />
Meine Frau verbrachte ihre Kindheit zu einem Gutteil bei einer Tante auf dem großväterlichen Hof.<br />
Der Hof wurde nie richtig gewerblich genutzt: Opa, Onkel und Tante lebten von ihren Gehältern als<br />
Angestellte bzw. von der Rente. Doch die Zeit nach Feierabend ging ganz in die Bewirtschaftung der<br />
Felder und Tiere. Solange ich denken kann, verbrachte mein Vater seine komplette Zeit im Betrieb;<br />
meine Mutter später dann ihre im Büro. Für eine Art Arbeit auf irgendwelchen Feldern noch so klein hätte<br />
keiner Zeit gehabt. Man arbeitete mit ganzer Kraft am Wirtschaftswunder, nicht an der heimischen Krumme.<br />
So unterschiedlich das Verhältnis zum Land, so unterschiedlich sind auch die Familienverhältnisse:<br />
Als wir unsere älteste Tochter in Lubljana taufen ließen, war die slowenische Verwandtschaft zahlreich<br />
erschienen. Von meiner Seite vertrat nur meine Mutter die Familie. Nach der Feier wurden alle in<br />
Autos verfrachtet und eine Tante irgendwo auf dem Land besucht. Es ist leicht, bei jemandem auf<br />
einen Sprung oder ein Glas selbstgemachten Wein vorbeizuschauen.<br />
Meine Frau fand es immer sehr bemerkenswert, wie lose sich in meiner Familie der Kontakt gestaltet.<br />
Ich telefoniere mit meinem Bruder vier Mal im Jahr, obwohl ich sagen würde, dass wir ein gutes<br />
Verhältnis haben. Meine Frau telefoniert mit ihrer Mutter fast täglich, obwohl auch sie selbst sagen<br />
würde, dass ihr Verhältnis mindestens schwierig ist. In Ihren Gesprächen wimmelt es nur so von<br />
Cousinen, Nichten, Onkeln, Großtanten und weitläufigen Bekannten, deren Eltern irgendein Verwandter<br />
schon lange kennt. Ich selbst habe schon Schwierigkeiten mir zu merken, wie man das verwandtschaftliche<br />
Verhältnis nennt, in dem ich zu den Söhnen meiner Schwester stehe.<br />
Abends traf ich mich dann mit Studenten anderer Fachrichtungen: Wieder kam das Thema Kirche auf,<br />
und nun machte sich eine antiklerikale Haltung breit, die ich nach meinem Erlebnis bei den Jesuiten<br />
nicht erwartet hätte: Der ständige Zwang zum Kirchgang, die unreflektierten Moralhämmer aus dem<br />
klerikalen Lager gegen jugendliche Befreiungsversuche, die Sinnleere moralisierender Predigten<br />
ungebildeter Priester: Auch diese Stimmen gibt es in Polen.<br />
1 „Wessen das Land, dessen ist die Religion“ (Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens 1555, nach dem der<br />
So wie mein Schwiegervater mit dem Verlauf der Ereignisse und unserer bevorstehenden Scheidung<br />
hadert, so haben sich meine Eltern schnell mit den praktischen Konsequenzen unserer Trennung<br />
befasst. Sie selbst haben sich scheiden lassen und nichts anderes vorgelebt. Dort, wo meine<br />
Schwiegereltern am Maßstab eines tradierten Lebensmodells noch eine gewisse Empörung spüren,<br />
sehen meine Eltern nur die Brüche in ihren eigenen Biographien. Kein Wunder, meine Eltern hatten<br />
nie einen Garten.<br />
Landesfürst die Konfession der Untertanen bestimmte) 1 Beck/Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, Suhrkamp, S. 73 und 114<br />
18<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
19
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 20<br />
THEMA<br />
THEMA<br />
dies weniger als Ausdruck eines gestiegenen Demokratieverständnisses<br />
zu werten, sondern vielmehr als ein Zugeständnis an den<br />
Westen. Die Abschaffung des Paragraphen 121.1 war Voraussetzung,<br />
einen Sitz im Europarat zu erlangen. Auch die Zwangspsychiatrisierung<br />
wurde abgeschafft. Die Praxis hat sich seitdem zwar<br />
außerhalb der Metropolen kaum verändert – Lesbisch sein wird<br />
meist weiterhin als Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und Zwangseinweisungen<br />
bleiben an der Tagesordnung – aber immerhin kann<br />
man gegen Missbrauch rechtlich vorgehen.<br />
Die meisten der oben genannten Organisationen bestehen heute<br />
nicht mehr. Erste Zerfallserscheinungen zeigten sich bereits nach<br />
der Abschaffung des § 121.1. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe:<br />
Zum einen wurden die Erwartungen vieler Aktivisten und Aktivistinnen<br />
hinsichtlich der Geschwindigkeit des Demokratisierungsprozesses<br />
in Russland enttäuscht. Zum anderen können die meisten<br />
nichtstaatlichen Organisationen in Russland ohne Hilfe aus<br />
dem Ausland nur schwer bestehen. Finanzielle Unterstützung westlicher<br />
Stiftungen ist jedoch an strenge Vorgaben gebunden, die<br />
häufig an der Realität lesbisch-schwulen Lebens vorbeigehen. An<br />
erster Stelle steht für diese nämlich, Treffs zu organisieren. Diese<br />
sind auch deshalb so wichtig, weil viele in Kommunalwohnungen<br />
oder bei den Eltern leben, wo sie gezwungen sind, eine heterosexuelle<br />
Scheinexistenz aufrechtzuerhalten. Bis heute scheint vielen<br />
Lesben und Schwulen das Risiko eines öffentlichen Outings, das<br />
mit politischer Organisierung verbunden ist, zu hoch.<br />
„Warme Brüder“ ins kalte Sibirien?<br />
In Osteuropa ist Homosexualität immer noch ein Tabu<br />
Nadine Reimer, Studentin, Forschungsarbeiten über Homosexualität in Russland, Universität Bremen<br />
20<br />
Zumindest in St. Petersburg und Moskau können sich Lesben<br />
und Schwule, die auch Rosane (rozavye) und Himmelblaue (golubye)<br />
genannt werden, seit Mitte der 90er Jahre in eigenen<br />
Clubs und Cafes treffen. Längst kennen diese Treffpunkte nicht<br />
nur „Insider“, auch viele junge Heterosexuelle finden diese Clubs<br />
mittlerweile chic. Goldene Zeiten also für Lesben und Schwule<br />
in Russland?<br />
Mitnichten, aber die Situation hat sich seit 1993 verbessert. In<br />
diesem Jahr wurde der Strafrechtsartikel 121.1 („Mannlager“) abgeschafft,<br />
der in den dreißiger Jahren unter Stalin eingeführt worden<br />
war. Homosexualität konnte bis dahin mit bis zu fünf Jahren<br />
Lagerhaft bestraft werden. Dort mussten die Männer unter schwersten<br />
Repressionen leiden. Lesben waren zwar nicht Gegenstand<br />
des Strafgesetzbuches, mussten aber Zwangspsychiatrisierung<br />
befürchten. Diagnostiziert wurden bei ihnen Schizophrenie und<br />
ähnlich schwere psychische Krankheiten. Häufig zog dies auch den<br />
Verlust des Arbeitsplatzes und bei Lesben mit Kindern den Entzug<br />
des Sorgerechts nach sich.<br />
Gesellschaftlich lag lange Zeit über den sowjetischen Lesben und<br />
Schwulen ein Mantel des Schweigens. Sie existierten schlichtweg<br />
nicht in der Öffentlichkeit. Erst durch den unter Gorbačev (1985–<br />
1991) eingeleiteten Demokratisierungsprozess konnte das gesellschaftliche<br />
Tabu „Homosexualität“ gebrochen werden.<br />
Seit Anfang der 90er Jahre häufen sich die Artikel über Lesben und<br />
Schwule in den russischen Massenmedien. Zwar waren und sind die<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Foto: Sören Urbansky<br />
Rosarot und Himmelblau:<br />
Lesben und Schwule in Russland<br />
Inga Karbstein, Magister Osteuropa-Studien, Politikwissenschaften und Soziologie, Berlin<br />
meisten Berichte sensationslüstern und dienen wohl eher der Auflagensteigerung<br />
als der Aufklärung. Trotzdem kann das Aufbrechen des jahrzehntelangen<br />
Schweigens nicht hoch genug eingeschätzt werden.<br />
Neben reißerischen Artikeln über behaarte Mannweiber, kreischende<br />
Tunten und pädophile Schwule gibt es auch Berichte von Lesben und<br />
Schwulen, die ihre Stigmatisierung und gesellschaftliche Isolierung beschreiben.<br />
Doch auch wenn die Diskussion oft in homophoben Klischees<br />
verhaftet bleibt, wird zumindest über Homosexualität gesprochen.<br />
Lesben und Schwule nutzten ihrerseits die durch die Perestrojka<br />
neu gewonnenen politischen Spielräume. Bereits im Jahr 1989<br />
gründete die Dissidentin Evgenija Debranskaja zusammen mit Roman<br />
Kalinin die Moskauer Assoziation für sexuelle Minderheiten. In<br />
den darauffolgenden Jahren formierten sich unterschiedliche<br />
Gruppierungen, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten<br />
einsetzten. MOLLI (Moskauer Bündnis für lesbische Literatur und<br />
Kunst) wurde 1991 ins Leben gerufen. Im Jahr darauf wurde die<br />
ArgoRiskVereinigung (Vereinigung für gleiche Rechte von Homosexuellen)<br />
in Moskau offiziell registriert. Später nahm ein schwul-lesbisches<br />
Archiv seine Arbeit auf, das auch von Journalisten und Wissenschaftlern<br />
genutzt wird. In Petersburg gründeten sich der<br />
Caikovskij-Fond, Kryl’ja sowie der Club der unabhängigen Frauen,<br />
der Lesben in der Provinz miteinander vernetzt. Mitte der 90er<br />
Jahre folgte die Gründung der Lesbenorganisation Labrys, die bis<br />
heute aktiv ist.<br />
Schließlich schaffte die Jelcin-Regierung (1991-1999) Anfang der<br />
neunziger Jahre den Strafrechtsparagraphen 121.1 ab. Allerdings ist<br />
„All the things she said“ – so schallt es derzeit aus allen Radios.<br />
Das Popduo „t.A.T.u.“ sorgt mit ihrem Lolita- und Lesben-Stil<br />
weltweit für Aufsehen. Die Moskowiterinnen geben sich von<br />
Interview zu Interview mal als Paar aus, mal stellen sie dies in<br />
Frage, dann wieder wollen sie normale Familien und Kinder. Die<br />
meisten halten das Auftreten der beiden eher für eine geschickte<br />
Verkaufsstrategie. Aber ob nun homosexuell oder nicht,<br />
entscheidend sind die Reaktionen, die von Entsetzen über<br />
Zensur bis hin zu Verboten reichen. In Großbritannien beispielsweise<br />
wurde die Kuss-Szene der beiden Mädchen aus dem<br />
Video „All the things she said“ herausgeschnitten.<br />
Doch nicht nur die englische Gesellschaft scheint in Bezug auf das<br />
Thema Homosexualität nicht gerade aufgeschlossen. In Russland<br />
versuchten im letzten Jahr einige Duma-Abgeordnete Gesetze<br />
einzubringen, die homosexuelle Handlungen wieder unter Strafe<br />
stellen. Ein ähnliches Gesetz gab es bereits zu sowjetischen Zeiten,<br />
als man Homosexuelle noch nach Sibirien verbannte, ins Gefängnis<br />
oder in die Psychiatrie steckte. Das Vorhaben erfährt durchaus<br />
Rückhalt in der russischen Bevölkerung. Und auch in anderen<br />
Ländern des ehemaligen Ostblocks sind Vorurteile gegen<br />
Homosexuelle allgegenwärtig. So berichtete das Amnesty-<br />
International-Journal vor einigen Monaten in einem Artikel von der<br />
Diskriminierung Schwuler und Lesben in Osteuropa. Bei einem<br />
„Christopher Street Day“ in Belgrad vor zwei Jahren wurde eine<br />
Gruppe Homosexueller von rechten Jugendlichen angegriffen,<br />
weder Polizei noch Passanten griffen ein. In Lettland hatte ein<br />
großes Verlagshaus mit dem Titel „Lettland ohne Homosexualität“<br />
zu einem Literaturwettbewerb aufgerufen, der nicht einmal von der<br />
Menschenrechtskommission des lettischen Parlaments kritisiert<br />
wurde.<br />
Umfragen zeigen, dass rund 90 Prozent der Polen Homosexualität<br />
als etwas Unnatürliches betrachten, in Rumänien wollen 90, in<br />
Litauen 70 Prozent der Befragten nicht in der Nähe von Homosexuellen<br />
wohnen. Mit dem Tabuthema Homosexualität möchte keiner<br />
in Verbindung gebracht werden. Sobald sich jemand damit beschäftigt,<br />
stößt er auf Unverständnis und wird zumeist als Betroffene/r<br />
eingestuft. Viele reagieren mit Schweigen, sind kaum<br />
aufgeklärt über das Thema oder haben keine Meinung dazu.<br />
„t.A.T.u.“ hingegen nutzen dieses Verhalten, indem sie mit diesen<br />
Vorurteilen spielen und provozieren. Im Lied „Ja sošla s uma“ (ich<br />
bin verrückt geworden) heißt es „oni govorjat nado srotšno lečit“<br />
(sie sagen, man müsse mich dringend heilen) und genau so denkt<br />
ein Großteil der russischen Bevölkerung noch immer. Dagegen<br />
anzukämpfen versuchen seit der Perestrojka solche Organisationen<br />
wie der „Caikovskij Fond“ oder „Kryl’ja“ in St. Petersburg. Leider<br />
sind diese Gruppen eine Seltenheit. Zum einen ist die Gründung<br />
solcher Verbände rein rechtlich zwar erlaubt, wird von den<br />
Behörden jedoch auf verschiedene Weisen verhindert. Zum anderen<br />
ist der Wille zur Gründung von Gruppen, die Einzelinteressen<br />
vertreten, in Russland noch immer wenig ausgeprägt. Hinzu kommt,<br />
dass die Gründer oder Vorsitzenden der Organisationen zum Teil<br />
radikale Ansichten vertraten. So forderte der damalige Herausgeber<br />
der homosexuellen Zeitschrift „Tema“, Roman Kalinin, unter<br />
anderem eine Legalisierung von Sex mit Kindern, mit Leichen oder<br />
mit Tieren. Derartige Aussagen bleiben, im Gegensatz zu solchen<br />
der gemäßigteren Vertreter, eher in den Köpfen der Menschen<br />
haften, wodurch ein verzerrtes Bild über Homosexuelle entsteht.<br />
Die Betroffenen selbst zeigen ihre sexuelle Orientierung nur selten<br />
in der Öffentlichkeit. Einerseits ist das berufliche und persönliche<br />
Risiko sehr hoch (Entlassung, Diskriminierung, körperliche und<br />
seelische Angriffe). Zum anderen sehen die meisten es als ihre<br />
Privatsache an, die niemanden etwas angeht. Somit scheint es in<br />
Osteuropa weitaus weniger Homosexuelle zu geben als in anderen<br />
Ländern, was sicher nicht den Tatsachen entspricht.<br />
Vereinzelt versuchen Künstler wie der ukrainische Regisseur Viktjuk<br />
oder der russische Schriftsteller Sorokin solche Tabuthemen anzuschneiden,<br />
erreichen damit jedoch nur einen geringen Teil der<br />
Bevölkerung.<br />
Erschwerend für die Lage der Homosexuellen kommt der Faktor<br />
AIDS hinzu, der in den östlichen Ländern noch immer als die<br />
Krankheit der Schwulen und Lesben gilt. Dieses Vorurteil war auch<br />
das Hauptargument jener Duma-Abgeordneten, die eine Rekriminalisierung<br />
homosexueller Handlungen anstrebten.<br />
Vielleicht erreichen Jugendliche wie „t.A.T.u.“ bei ihrer Generation<br />
eine tolerantere Einstellung zu Homosexuellen, damit<br />
diese in Osteuropa in Zukunft ohne Diskriminierung leben können.
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 22<br />
THEMA<br />
ausgeschaltet wurde. Darauf schrieben mehrere Studenten<br />
gemeinsam einen Brief an den Rektor. Bald funktionierte<br />
das Licht wieder.<br />
12m 2<br />
Lebenslabor<br />
Sergij Dowtschenko, 22, Germanistikstudent an der Pädagogischen Universität Nyschin (Ukraine)<br />
Du hast gedacht, Indien, Nordrhein-Westfalen oder<br />
Japan sind am dichtesten bewohnt? Das ist schon<br />
richtig, aber ich kenne noch andere Plätze, wo die<br />
Überbevölkerung genauso groß ist. Ich denke dabei<br />
an die ukrainischen Studentenwohnheime.<br />
Stell dir ein Zimmer vor, 12 Quadratmeter groß, und auf<br />
dieser Fläche leben vier Mann. Wenn das kräftige Jungen<br />
sind, dann wird es schon manchmal wirklich eng. Bei<br />
solchen Bedingungen muss man Toleranz lernen, weil die<br />
Interessen und Wünsche vier verschiedener Menschen in<br />
einer bestimmten Zeit nicht immer zusammenfallen. Ein<br />
klassisches Beispiel ist es vielleicht, wenn du schlafen oder<br />
etwas lernen möchtest und deine Nachbarn laute Musik<br />
hören oder Lust zum Singen (nicht unbedingt eine schöne<br />
Stimme dazu) haben. Und wenn es mehrere sind? Dann<br />
Fotos: Sören Urbansky<br />
können schon Probleme entstehen. Sie sind zwar nicht so<br />
extrem wie religiöse oder nationale Konflikte, brauchen<br />
aber auch Kompromisse. Zu besonders scharfen „Kämpfen“<br />
kommt es in der Küche, wenn alle etwas essen möchten<br />
und dieses Etwas unbedingt warm sein soll. Dann gibt es<br />
keine Älteren, Damen und Herren, dann gibt es nur eine<br />
graue Masse, die man „hungrige Studenten“ nennt.<br />
Doch nicht alles in unseren Studentenheimen ist so<br />
schwarz zu sehen. Bei solchen Bedingungen lernt man<br />
wirklich Toleranz. Es ist üblich, dass Menschen, die sich<br />
noch nie gesehen haben und aus verschiedenen Orten<br />
kommen, schon nach ein paar Monaten zu Busenfreunden<br />
werden. Auch die Probleme im Heim müssen nicht nur als<br />
etwas Negatives betrachtet werden. Im Angehen dieser<br />
Schwierigkeiten durch die Studenten steckt eine ungeheure<br />
Einigungsmacht. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine<br />
Zeit, als in unserem Heim das Licht mehrmals am Abend<br />
Das Studentenheim würde ich mit einem kleinen<br />
Lebenslabor vergleichen. Dorthin kommen einander fremde<br />
Menschen mit eigenen Interessen und Lebensentwürfen.<br />
Wenn du mehrere Zimmermitbewohner hast, dann<br />
musst du deinen individuellen Lebensstil irgendwie verringern<br />
und ihn anpassen oder mit dem der anderen konfrontieren,<br />
was natürlich nicht die beste Variante ist. Das<br />
Verständnis füreinander kommt meistens nicht nach einer<br />
Woche, sondern ist ein langfristiger und schmerzhafter<br />
Prozess, der vielleicht nie vollendet wird.<br />
Auch die Vielfalt der zwischenmenschlichen Beziehungen<br />
im Wohnheim ist breit: Liebe, Ehe, Freundschaft, Enttäuschung,<br />
Ärger usw. Diese Gefühle kennen natürlich alle<br />
Menschen. Aber ich bin überzeugt, dass es nirgendwo sonst<br />
eine solche Konzentration verschiedener Gefühle auf so<br />
kleiner Fläche gibt. Es reicht, nur in ein anderes Zimmer zu<br />
gehen und schon trittst du in eine vollkommen andere<br />
Gefühlsatmosphäre.<br />
Ich selbst lebe schon das fünfte Jahr im Studentenwohnheim.<br />
Mehr als 50 Studenten habe ich über ihr Leben<br />
befragt. Auf „Was gefällt dir am Heimleben?“ habe ich folgende<br />
Antworten erhalten: viele Freunde und Bekannte, Spaß,<br />
Freiheit und Selbstständigkeit, außerdem fände man im<br />
Heim alles Notwendige. Dazu kam noch Folgendes: Unterstützung<br />
und Beratung von anderen, Chaos und große<br />
Familie. Als Nachteile wurden genannt: Überfüllung, bis vier<br />
Uhr morgens Musik hörende Nachbarn, defekte Beleuchtung<br />
und Wasserversorgung, fehlende Sportplätze oder der<br />
nervige Dienst in der Küche. Auch schlechte Beziehungen zu<br />
den Heimverwalterinnen (in beiden Häusern in Nyschin<br />
sind das Frauen) wurden bemängelt sowie Kälte im Winter.<br />
Doch trotz aller Nachteile des beengten Lebens, wenn<br />
ich mich zwischen dem Studentenheim und einer Wohnung<br />
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22<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
23
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 24<br />
THEMA<br />
FEUILLETON<br />
CONTRA SPEM SPERO –<br />
Porträts ukrainischer Frauen<br />
In den ersten Märztagen des Jahres 2003<br />
trafen sich in Lviv/Ukraine 22 junge Frauen<br />
aus mehreren ukrainischen Städten und drei<br />
Boschlektorinnen, um sich eine Woche lang<br />
mit dem Thema „Frauen in der Ukraine“ zu beschäftigen.<br />
Ziel war es, ins Gespräch zu kommen<br />
– sowohl untereinander als auch mit<br />
Lviver Frauen, mit denen wir Interviews<br />
führten, um in Porträts ihre Lebenswirklichkeit<br />
in der heutigen Ukraine zu beschreiben. Es ist<br />
ein Buch entstanden: In diesem Land, wo in<br />
den letzten Jahren alte Denkmäler gegen neue,<br />
alte Helden gegen neue Helden eingetauscht<br />
wurden, haben wir die Heldinnen des Alltags<br />
zu Wort kommen lassen.<br />
Vielleicht ist es eine Besonderheit der Ukraine, dass man jede Frau,<br />
die einem zufällig über den Weg läuft, nach ihrer Lebensgeschichte<br />
fragen kann und immer interessante Biografien, Begebenheiten, oft<br />
aber auch Tragödien erfährt. Jede Lebensgeschichte ist es wert,<br />
niedergeschrieben und weitererzählt zu werden. Unser Buch reicht<br />
von Lebensläufen, die man so auch in Westeuropa finden könnte,<br />
über Biographien von Frauen, die irgendwie mit dem Leben in der<br />
heutigen Ukraine zurechtkommen und mit ungeheurer Kraft und<br />
Optimismus den Alltag meistern, bis hin zu Frauen, deren<br />
Schicksale es nicht geben dürfte. Jede der porträtierten Frauen hat<br />
in dem Land, in dem noch immer keine Normalität herrscht, doch<br />
ihre eigene gefunden, finden müssen, und auch ein bisschen Glück<br />
– ein Glück, das wir oft nicht verstehen, weil es sich im Überleben<br />
erfüllt.<br />
Die Geschichte jeder Frau spiegelt zugleich auch einen Teil der<br />
Manja Posselt,<br />
Boschlektorin in Lviv und Regionalkoordinatorin für die Ukraine<br />
Fotos: Kamila Mieszczak<br />
ukrainischen Gesellschaft wider. Oxana, 28jährige Marketing-Dozentin,<br />
schafft sich eine philosophisch-literarische Rückzugswelt,<br />
um Kraft für den täglichen Kampf in ihrer von Männern<br />
dominierten Welt zu finden. Die 1927 geborene Lubov hat ein<br />
beschwerliches Leben, das eng mit der Geschichte ihres Landes<br />
verwoben ist, hinter sich – als 16jährige wurde sie Mitglied der<br />
ukrainischen Widerstandsarmee UPA, 1946 dafür verurteilt, verbrachte<br />
sie zehn Jahre im Arbeitslager in Kasachstan und widmete<br />
die darauffolgenden Jahrzehnte der Pflege von Behinderten und<br />
Alkoholikern. Die Prostituierte Lisa, 19 Jahre alt, erzählt von ihrem<br />
Weg zu diesem Beruf, den ständigen Gefahren, ihrem Verhältnis zu<br />
Kolleginnen, ihren Hoffnungen und Träumen. Laryssa hängt als<br />
Politikerin und Schriftstellerin ebenso in den ukrainischen dynastischen<br />
Netzen von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten wie ihre<br />
männlichen Kollegen und inszeniert sich selbst als moderne, patriotische<br />
Ukrainerin. Die 47jährige Halyna ist ein Beispiel dafür, dass<br />
oft gerade Akademikerinnen in der Ukraine nichts bleibt als der<br />
Handel mit Waren über die Grenze nach Polen und die Arbeit als<br />
Marktfrauen, um ihre Familie ernähren zu können. Natalja ist 19<br />
Jahre alt und Jura-Studentin, ihre Berichte vom Studium legen das<br />
von Korruption durchdrungene Hochschulsystem offen. Lidja, 35<br />
Jahre alt, Gattin eines Geschäftsmannes, Hausfrau und Mutter<br />
dreier Kinder, glücklich im goldenen Käfig, verkörpert exemplarisch<br />
die weibliche Hälfte der „neuen Ukrainer“. Lessja kennt als<br />
Galeristin und Künstler-„Mutter“ die Lviver Szene und weiß aus<br />
eigener Erfahrung, dass die Kunst ein Feld ist, in dem es Frauen<br />
besonders schwer haben. Erschreckend sind Irynas Berichte über<br />
die Zustände des ukrainischen Gesundheitswesens, den Umgang<br />
mit Schwangerschaftsabbruch und Verhütung. Oxana ist 47 Jahre<br />
alt und Ökologin. Sie klärt über die Spätfolgen von Tschernobyl auf,<br />
die in der Ukraine genauso verschwiegen werden wie neuere<br />
Umweltkatastrophen. Das tragischste Schicksal hat Olena, 28. Sie<br />
wurde von ihrem eigenen Mann ins Ausland gelockt und verkauft.<br />
Nach fünf Jahren Prostitution in Tschechien und der Schweiz,<br />
gelungener Flucht und Verurteilung wegen Besitzes gefälschter<br />
Dokumente versuchte sie, in der Ukraine wieder ein neues Leben<br />
zu beginnen.<br />
Die Ukrainerinnen wurden von Ukrainerinnen interviewt und<br />
porträtiert. So haben wir einen Zugang zu den Frauen gefunden,<br />
die es jahrzehntelang gewohnt waren, das Private als Flucht- und<br />
Schutzraum abzuschotten und die Öffentlichkeit fernzuhalten.<br />
Durch die drei deutschen Teilnehmerinnen wurde eine Sicht von<br />
außen eingebracht, die zu hinterfragen und Distanz zu wahren half.<br />
In der Ukraine wie auch in anderen osteuropäischen Staaten verstehen<br />
Frauen sich selbst weniger als Individuen, sondern eifern<br />
dem Ideal „Frau“ nach, das sich in der heutigen Ukraine in einer<br />
Mischung aus Traditionen sowie Bildern aus westlichen Zeitschriften<br />
konstituiert. Es drückt sich in strikter Wahrung der Rollen-<br />
Foto: Sören Urbansky<br />
Wir wohnen in einem souveränen, unabhängigen Staat. Stimmt das ?<br />
Das Leben in der Ukraine ist schwer: hohe Preise, winzige Löhne<br />
und Renten. Junge Leute finden oft keine Arbeit. Viele Menschen<br />
haben die Hoffnung auf normale Lebensbedingungen verloren. Ein<br />
Teufelskreis. Die Menschen suchen einen Ausweg und versuchen<br />
die Ukraine zu verlassen. Dazu gibt es mehrere Wege:<br />
Erstens, Arbeit in einem anderen Staat finden. Viele Ukrainer und<br />
Ukrainerinnen gehen nach Italien, Deutschland und in die Türkei.<br />
Ukrainerinnen arbeiten oft als Tellerwäscherinnen, Dienstmädchen<br />
oder Haushälterinnen. Viele Mädchen gehen in die Türkei, um als<br />
Tänzerin zu arbeiten und enden als Prostituierte. Sie wissen oft nicht,<br />
dass dieses Schicksal in einigen Staaten auf sie wartet. Sie suchen<br />
verteilung, Männerfixierung und hohem Stellenwert des Aussehens<br />
aus. Das Abwerfen alter Ideale und Mythen würde sie mit der<br />
Realität konfrontieren, nämlich, dass sie ausgenutzt und missachtet<br />
werden.<br />
In einer Gesellschaft, in der Kommunikation prinzipiell schwierig<br />
ist, vor allem die Kommunikation zwischen Männern und Frauen,<br />
sind Gespräche von Frau zu Frau wie in den Begegnungen dieser<br />
Projektwoche sehr wichtig. Oft waren wir so betroffen und aufgewühlt,<br />
dass wir bis spät in die Nacht diskutierten. Viele der<br />
Teilnehmerinnen wollen weiter dokumentieren, beobachten,<br />
schreiben. Das Buch erscheint im Sommer 2003.<br />
Weitere Informationen: Manja Posselt, mposselt@yahoo.com<br />
Internet: http://home.arcor.de/womenstudies_ukraine<br />
Tendenzen in der Ukraine – Ost oder West?<br />
Iryna Khomenko, Studentin und Bibliothekarin, Kirowograd/Ukraine<br />
ein normales Leben und bekommen die Hölle.<br />
Ein zweiter Weg für junge Frauen, ins Ausland zu gehen, ist, einen<br />
Mann in einem westeuropäischen Land zu finden und ihn zu heiraten.<br />
Es geht hier oft nicht um Liebe – sie suchen ein normales Leben.<br />
Dazu gibt es hier viele Heiratsagenturen, die für viel Geld einen<br />
Mann im Ausland finden helfen. Sind die Männer schon verkauft?<br />
Aber! Noch gibt es Leute, die die Ukraine lieben. Und das ist nicht<br />
nur ein Wort. Sie leben hier und wollen hier leben, sie wollen ihre<br />
Situation verändern. Vielleicht sind sie oft hilfslos, aber sie sind<br />
richtige „Heimatlieber“. Sie sagen : „Wir sollten unser Land demokratisieren.<br />
Wir sollten. Wir tun es, wenn es auch lange dauert. Wir<br />
werden es schaffen.“<br />
24<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
25
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 26<br />
THEMA<br />
THEMA<br />
Gespräche verlaufen überschäumend, leidenschaftlich und ungebremst.<br />
Man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht wichtig ist,<br />
selbst gehört und verstanden zu werden oder dem anderen zu<br />
lauschen. Entscheidend scheint eher zu sein, sich zu präsentieren, als<br />
Teil einer kommunizierenden Runde präsent zu sein. Lautstärke und<br />
Pathos ist alles, erregte gestische Ausgestaltung selbstverständlich;<br />
Inhalt ist sicher auch ganz nett, aber nicht so wesentlich.<br />
Verbotenes und Halbverbotenes<br />
Marc Sagnol, 1996 bis 2000 Direktor des Französischen<br />
Kulturzentrums in Kiew/Ukraine<br />
Ich bin ein großer Anhänger des Ostens und insofern sicherlich<br />
eine Ausnahme in Frankreich, wo man in der Regel wenig über<br />
Mittel- und Osteuropa weiß. Moral- und Wertvorstellungen sind<br />
natürlich etwas anders als bei uns im Westen. Was mir im Osten<br />
gefällt, sind die Beziehungen der Menschen zueinander. Es ist<br />
einfacher, bei einem Bekannten im Vorbeigehen zu klingeln, es<br />
ist leichter, Kontakt mit den Leuten aufzunehmen und die<br />
Beziehungen sind meistens nicht oberflächlich.<br />
Ich habe während meines Studiums ein Jahr in Ost-Berlin vor der<br />
Wende verbracht. Vor 1989 spürte man dort natürlich den starken<br />
Druck von oben, aber dadurch hielten die Menschen mehr zusammen<br />
und es entwickelte sich eine geistige Kultur des Verbotenen<br />
oder des Halbverbotenen, die sehr reizvoll war. Ein Buch von Kafka<br />
oder Anna Achmatowa zu finden, ein Stück von Heiner Müller oder<br />
Bulgakow zu sehen, war immer ein besonderes Erlebnis. Obwohl<br />
man heute alles bekommen kann, ist trotzdem ein höheres Gefühl<br />
für die geistigen Werte geblieben, auch für die klassische Literatur<br />
und Kunst.<br />
Ich habe vier Jahre in der Ukraine gelebt, dort sind die Menschen<br />
besonders freundlich und aufgeschlossen. In der Familie wird eine<br />
kranke Großmutter nicht allein gelassen oder ins Hospiz gebracht.<br />
Dadurch, dass die Menschen ärmer sind als bei uns, entsteht ein<br />
höheres Gefühl der Solidarität und Geld spielt eine weniger große<br />
Rolle. Trotz der schwierigen Lebensumstände, wird einem Gast<br />
immer alles, was zur Verfügung steht, angeboten.<br />
Was die Liebe betrifft, möchte ich hier nur sagen, dass die Frauen<br />
im Osten meist nicht so kompliziert sind wie in Frankreich. Bei den<br />
gebildeten Leuten ist die Emanzipation der Frau genau so weit fortgeschritten<br />
wie im Westen.<br />
Warum ich als Frau lieber im<br />
Westen leben will<br />
Susanne Hausner, 1994/95 Boschlektorin in Poznan/Polen,<br />
derzeit Lektorin an der Aichi University in Toyohashi/Japan<br />
Gemeinsam ist den Ländern Osteuropas oft eine gesellschaftlich<br />
niedrigere Stellung der Frauen im Vergleich zu den Männern. Die<br />
Ungleichbehandlung zeigt sich im Missbrauch der Frauen als<br />
Arbeitskräfte im nur wenig automatisierten Haushalt und meist<br />
schlecht bezahlter und körperlich harter Erwerbsarbeit, eine aus<br />
den sozialistischen Zeiten rührende scheinbare Gleichstellung der<br />
Frau in Männerberufen, die zwar den Frauen den Zugang zur<br />
Berufswelt ermöglichte, doch zu welchem Preis? Hilfe im Haushalt<br />
und bei der Kindererziehung ist von den Männern dort kaum zu<br />
erwarten, gleichzeitig ist das Unverheiratetsein – im Gegensatz zum<br />
Westen – ein gesellschaftlicher Makel. Kein Wunder also, dass viele<br />
Frauen die Ehe als das kleinere Übel betrachten und sich die<br />
Partnersuche einige Mühe kosten lassen. Ist dieses Ziel erreicht, ist<br />
es mit den Anstrengungen oft vorbei, was zum „Matronen- und<br />
Kittelsyndrom“ führen kann.<br />
Warum ist nun das Leben im Westen so viel angenehmer und einfacher<br />
für eine Frau? Es sind sicherlich auch die Männer, die sich<br />
nicht mehr alles erlauben dürfen, ihre Disziplinierung durch die<br />
Strukturen der westlichen, protestantisch geprägten Gesellschaft.<br />
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Westen ist wohl nicht<br />
nur der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts geschuldet, die in<br />
Osteuropa in dieser Form nicht stattgefunden hat, sondern sicher<br />
auch der Marktwirtschaft, der Aufklärung und den höfischen<br />
Traditionen Europas. Letztere gingen in Osteuropa durch den<br />
Sozialismus zugrunde, der den Gentleman als reaktionär und höfliche<br />
Umgangsformen als bourgeois verachtete.<br />
Westliche Frauen haben in östlichen Ländern einen schweren<br />
Stand, stehen sie doch außerhalb der üblichen Rollenmuster zwischen<br />
den Geschlechtern, quasi als Neutrum, vor allem, wenn sie<br />
nicht verheiratet sind, alleine leben und gut verdienen. Diese<br />
Unabhängigkeit privilegiert sie zwar einerseits, macht sie aber auch<br />
zu Außenseitern in der bestehenden Ordnung, in der die<br />
Geschlechterrollen durch Äußerlichkeiten und Verhalten viel<br />
genauer definiert sind als im Westen.<br />
Haushaltsdebatte<br />
Jörg Kassner, Deutschlehrer in Tbilissi/Georgien<br />
Foto: Sören Urbansky<br />
Die deutsche Sprache kennt grauenhafte Wörter und erfindet<br />
immer noch neue hinzu. Schon länger im Gebrauch ist die<br />
zweifelhafte Formulierung „Gefühlshaushalt“. Sei es nun Trauer<br />
oder Freude, Glück oder Verzweiflung; alle Gefühle, von denen<br />
wir Menschen heimgesucht werden, bilden letztendlich eine<br />
runde Summe. Halten sie sich nicht, wenigstens annähernd, das<br />
Gleichgewicht, so kommen wir emotional ins Straucheln und<br />
sehen uns in Gefahr, entweder vertrocknete Misanthropen,<br />
Serienkiller oder schlimmstenfalls sogar Stammpublikum des<br />
„Musikantenstadel“ zu werden, inklusive des auf dem Gesicht<br />
festgefrorenen Dauergrinsens.<br />
Nun gelten wir Deutschen eher als Leute, die ihre Gefühle auf kleiner<br />
Flamme am Köcheln halten. Man ohrfeigt sich nicht auf offener<br />
Straße, übersteigt nicht zornschnaubend und ein Küchenmesser in<br />
der Hand Nachbars Ligusterhecke, küsst und liebt sich bei ausgeknipster<br />
Deckenbeleuchtung; ja selbst der Gipfel deutschen Frohsinns,<br />
der Kölner Karneval, erinnert weniger an ähnliche Festivitäten<br />
anderenorts als vielmehr an den Kindergeburtstag in der Familie<br />
eines Staatssekretärs im Finanzministerium.<br />
Wie anders die Georgier! Emotionalität ist hier der Treibstoff des<br />
täglichen Lebens. Das geht schon bei der Begrüßung und der Vorliebe<br />
für den Wangenkuss los: Hierzulande wird richtig geschmatzt,<br />
Händeschütteln dagegen gilt als unüblich. An der Intensität einer<br />
georgischen Begrüßung lässt sich, wenigstens für Uneingeweihte,<br />
keinesfalls der Grad der gegenseitigen Wertschätzung ermessen,<br />
man begegnet sich gleichermaßen herzlich, egal, ob man schon vor<br />
zwanzig Jahren gemeinsam Vater-Mutter-Kind gespielt oder sich vor<br />
zwei Tagen zum ersten Mal gesehen hat.<br />
Man kann über schlicht jedes Thema mit Inbrunst sprechen – sei es<br />
darüber, ob Keti gestern in der Oper eine blaue Hose und eine<br />
schwarze Bluse angehabt hat oder sei es über Gottes Wirken im<br />
Lauf der Welt. Schwierig für mich Außenstehenden ist es mitzubekommen,<br />
welche Einstellung die Sprechenden gegenüber Thema<br />
und Gesprächspartner haben – für mich klingt es fast immer so, als<br />
würden gleich die Pistolen gezogen.<br />
Schön finde ich, dass die Georgier wohl kein Volk sind, das nachtragend<br />
ist. Mit welch großem Ungestüm man auch einer Angelegenheit<br />
zugetan sein mag, in der Regel haben sich nach höchstens<br />
drei Tagen die Wogen wieder geglättet. Menschlich vielleicht angenehm,<br />
im Lehreralltag aber mitunter verwirrend, da es keine konsequenten<br />
Strafmaßnahmen gibt, die in einem nachvollziehbaren<br />
Verhältnis zum „Vergehen“ stehen und dann auch durchgesetzt werden.<br />
Der Schüler, der einen wassergefüllten Luftballon durchs<br />
Schulhaus segeln lässt und dabei das Pech hat, einen Lehrer zu treffen,<br />
wird erst mal standesrechtlich der Schule verwiesen und als<br />
Psychopath gebrandmarkt. Eine Woche später ist er wieder da und<br />
kann üben, vorsichtiger zu werfen.<br />
Verblüffend ist für mich, dass Themen, die wiederum in Deutschland<br />
mit dem uns zur Verfügung stehenden Maß an Leidenschaft<br />
debattiert werden, hier keinen hinterm Ofen hervor locken.<br />
Während in Berlin eine gute halbe Million Menschen gegen den drohenden<br />
Irak-Krieg protestierte, ging das an Georgien vorbei, so, als<br />
würde sich das Geschehen irgendwo weit jenseits des Andromedanebels<br />
zutragen.<br />
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(Der Artikel erschien in der „Kaukasischen Post“, einer deutschsprachigen<br />
Zeitung in Tbilissi)<br />
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<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
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INTERVIEW<br />
Wie leisten Sie sich Ihre geistigen Interessen?<br />
Ich arbeite manchmal als Dolmetscher, gebe privat Deutschstunden und schreibe gelegentlich für<br />
Zeitungen. Allerdings habe ich nie behauptet, Schriftsteller zu sein. Ich erzähle lediglich harmlose<br />
Geschichten vom wahren Russland, weit weg von den großen Zentren.<br />
Sie haben Freunde im Westen. Können Sie im Vergleich zu Russland Unterschiede in den<br />
Wertvorstellungen ausmachen?<br />
Die jungen Leute im Westen haben die Möglichkeit, zu reisen und intelligente Leute zu interessanten<br />
Gesprächen zu treffen. Im Gegensatz dazu ist man in Russland isoliert. In der Isoliertheit hat sich der so<br />
genannte russische Chauvinismus entwickelt und der macht mir Angst. Zweifel sind ja nur im Vergleich<br />
möglich. Wenn die Leute aber keine Möglichkeit zum Vergleichen haben, denken sie: Wir sind der Nabel<br />
der Welt. Dazu kommt dann noch der imperiale Größenwahn eines Reiches, das nicht mehr existiert.<br />
Weshalb ist der Chauvinismus in Russland so verbreitet?<br />
Das liegt wohl zum großen Teil daran, dass Chauvinismus von Seiten des Staates gefördert wird. Zum<br />
Beispiel wurde die militärpatriotische Erziehung in den Schulen als Pflichtfach eingeführt. Da üben die<br />
Schüler ein bisschen Schießen mit Gewehren und das Tragen von Gasmasken.<br />
Lachen aus Kummer<br />
Ein Interview mit Alexander Ikonnikow über Umbrüche,<br />
Größenwahn und die Kunst des Überlebens<br />
Sabine Witt,<br />
1999 bis 2000 Boschlektorin<br />
in St. Petersburg,<br />
Journalistin, Zürich/Schweiz<br />
Foto: Andrzej J. Koszyk<br />
Alexander, in Ihrem ersten Erzählband „Taiga Blues“ versammeln Sie recht drastische Geschichten.<br />
Nehmen wir die erste Erzählung, in der eine Frau im Streit ihrem betrunkenen Mann ein Bein<br />
abhackt. Das eigentliche Sujet aber ist die Unfähigkeit der Polizisten, die das Körperteil zu entsorgen<br />
haben. Wollen Sie damit sagen, dass den Menschen die Moral abhanden gekommen ist?<br />
Nein, ganz und gar nicht. Diese Geschichte ist eine wahre Begebenheit. Ein Offizier der Miliz hat sie mir<br />
erzählt. Die Leute waren eben im Suff – damit ist alles erklärt. Man muss das nicht dramatisieren. Die<br />
älteren Generationen behaupten zwar immer wieder, dass früher das Wasser nässer war und das Kilo<br />
schwerer. Aber die heutigen Menschen unterscheiden sich fast nicht von den früheren. Und die wahren<br />
Werte im Leben – Moral und Liebe – sind ebenfalls noch immer reichlich vorhanden.<br />
Nichtsdestotrotz scheint in Ihren Geschichten moralisch vieles schief zu laufen.<br />
Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Russland gerade soziale Umbrüche durchlebt. Der ausgebrochene<br />
pure Kapitalismus bewirkt, dass die Bedeutung des Körperlichen, des Materiellen alles andere<br />
überwiegt. Die Menschen in meinem Alter sind eine Übergangsgeneration: in der Sowjetunion geboren<br />
und jetzt im quasi-demokratischen Russland lebend. Das führt natürlich zu Frustrationen. Der Mensch ist<br />
auf so etwas nicht vorbereitet.<br />
In der Provinz vollzieht sich der Wandel viel langsamer als in den Großstädten. Es finden sich hier noch<br />
Kleinode aus der sowjetischen Erziehung, doch treten sie zumeist in Widerspruch zu den neuen<br />
Verhältnissen.<br />
Was sind das für Kleinode?<br />
Zum Beispiel hatte man uns beigebracht, Bäume zu pflanzen. Von der Schule aus legten wir Parks und<br />
Alleen an. Heute steht in der russischen Gesellschaft jedoch die Überlebenskunst im Vordergrund. Denn:<br />
Erst kommt das Brot und dann das Geistige.<br />
Sie sagten, der Chauvinismus mache Ihnen Angst. Was befürchten Sie?<br />
Dass die Aggressivität immer wieder nur Aggressivität hervorbringt. Man sollte Probleme besser mit dem<br />
Verstand lösen. Der Chauvinismus macht Russland unattraktiv für Investoren. Normale Kontakte mit dem<br />
Ausland lassen sich so nicht herstellen.<br />
Stichwort Überlebenskunst: Was erwarten die Menschen in Ihrer Umgebung vom Leben, welche<br />
Ziele haben sie?<br />
Das einzige Thema vor, während und nach der Abendserie im Fernsehen ist nur noch das Geld. Man<br />
bekommt sein Gehalt nicht rechtzeitig und wenn es kommt, ist es von der Inflation schon wieder überholt.<br />
Die Leute haben es aufgegeben, in Rubeln zu rechnen. Sie rechnen in Euro oder Dollar. Gleichzeitig<br />
sind alle Mittel recht, um sich zu bereichern oder zu überleben. Egal, ob dabei fremde Köpfe rollen. Es ist<br />
ein ständiger Stress um ein paar Rubel. Niemand tut irgendetwas umsonst, wie es früher oft der Fall war. Was<br />
Überlebenskunst bedeutet, ist im Westen wohl kaum vorstellbar.<br />
Früher waren Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft Teil der staatlich verordneten Ideologie.<br />
Was ist davon übrig?<br />
Nichts. Zum Beispiel verleiht man kein Geld mehr. Wenn man früher mit Freunden ausgehen wollte und<br />
gerade kein Geld hatte, machte das nichts. Heute bleibt man dann zu Hause. Das ist doch traurig.<br />
Die Frage von Gut-Sein und moralischem Handeln hat eine lange Tradition in der russischen<br />
Literatur. Welchen Autoren stehen Sie in dieser Hinsicht am nächsten?<br />
In der deutschen Literatur schätze ich Hermann Hesse, in der russischen besonders Anton Tschechow.<br />
Mir fällt dazu ein: Das westliche Bild von Russland ist vor allem durch die russischen Klassiker geprägt.<br />
Aber diese Autoren waren doch überwiegend Adlige, die viel im Ausland gelebt und wenig mit dem wirklichen<br />
Russland zu tun hatten. Diese Vorstellungen sind veraltet.<br />
Sie schreiben gerade an Ihrem ersten Roman. Bleiben Sie darin Ihren Themen treu?<br />
Er spielt in einer Großstadt. Die sozialen Brüche spielen wiederum eine Rolle – die Handlung beginnt in der<br />
Sowjetzeit. Eine einfache junge Frau befindet sich auf der Suche nach Glück und Liebe. Es geht um ganz normale<br />
menschliche Werte, die nicht spezifisch russisch sind. Die Deutung überlasse ich aber lieber den Kritikern.<br />
In den deutschsprachigen Feuilletons wurde an den Kurzgeschichten in „Taiga Blues“ des öfteren<br />
bemängelt, sie seien allzu stark auf Pointen ausgerichtet. Was halten Sie von diesem Vorwurf?<br />
Das kann ich erklären. Gerade im Kummer entwickelt sich oft der Witz, aber auch der Irrwitz. Dort wo die<br />
Lebensumstände nicht gut sind, lachen die Leute lieber und öfter. Als ich die Geschichten von „Taiga<br />
Blues“ schrieb, war ich nahe dran, auszurasten. Ich fragte mich: Wo bin ich hier eigentlich? Das Schreiben<br />
war für mich eine Art Protest. Ohne Humor kann man da allerdings gar nichts machen. Wenn man das<br />
Ganze zu ernst nimmt, möchte man nur noch weinen.<br />
Mit seiner<br />
Kurzgeschichtensammlung<br />
„Taiga Blues“<br />
(Alexander Fest Verlag 2002,<br />
aus dem Russischen von<br />
Annelore Nitschke) sorgte der<br />
junge russische Autor<br />
Alexander Ikonnikow im<br />
deutschsprachigen Raum für<br />
einiges Aufsehen. Ikonnikow<br />
wurde 1974 in Urschum bei<br />
Kirow geboren. Er studierte<br />
Germanistik und arbeitete als<br />
Dorfschullehrer.<br />
Er lebt derzeit in Kirow, gibt<br />
Deutschunterricht, dolmetscht,<br />
schreibt als freier Journalist<br />
und arbeitet an seinem ersten<br />
Roman. Im Herbst 2003 wird<br />
er auf der Frankfurter Buchmesse<br />
auftreten und in Zürich<br />
bei der <strong>MitOst</strong>-Veranstaltungsreihe<br />
„Okno – Fenster zur russischen<br />
Kultur“ lesen.<br />
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<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
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FEUILLETON<br />
FEUILLETON<br />
Unbehagen zwischen den Welten<br />
Der ukrainische<br />
Fotokünstler<br />
Boris Michailov<br />
Susanne Altmann, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Dresden<br />
Foto: Uwe Frauendorf, Presse und Werbefotograf, mail@uwefrauendorf.de<br />
Boris Michailov (*1938) hat die westliche Kunstwelt geschockt.<br />
Und da alle Kuratoren, Galeristen und Theoretiker geglaubt hatten,<br />
dass so etwas längst nicht mehr möglich sei, lieben sie den<br />
Mann aus Charkov (Ukraine). Michailov, neben Ilya Kabakov<br />
einer der international renommierten Künstler aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion, misstraut diesem Erfolg. Und das, obwohl er<br />
auch in diesem Jahr wieder zwischen Berlin und London mit<br />
großen Ausstellungen gefeiert wird.<br />
In der Tate Modern (London) zeigt der Fotograf jenen provokanten<br />
Zyklus „Case History“, mit dem ihm 1999 der Durchbruch gelang.<br />
Die 500 Aufnahmen umfassende „Fallstudie“ zeichnet ein bedrükkend<br />
reales Bild aus dem Obdachlosenmilieu seiner Heimatstadt<br />
Charkov und fordert das Kunstpublikum heraus. Auf den großformatigen<br />
Hochglanzprints herrscht das Elend der postsowjetischen<br />
Gesellschaft: heruntergekommene Outcasts, Alkoholiker, mental<br />
und physisch angeschlagene Existenzen und billige Prostituierte<br />
werden zu Protagonisten erhoben, ohne Denunziation oder Verlust<br />
an Würde.<br />
Noch bis vor Kurzem behauptete Michailov hartnäckig seinen<br />
Standort außerhalb der Kunstmetropolen des Westens, denn: „ Der<br />
Westen lenkt mich zu sehr ab. Wo sonst könnte ich so intensiv<br />
arbeiten wie in Charkov?“ Dort entstanden in vier Jahrzehnten<br />
beeindruckende Bilderfolgen wie „By the Ground“. So benannt<br />
nach dem russischen Originaltitel von Maxim Gorkis „Nachtasyl“,<br />
zeigen die Panoramafotografien in quasi nostalgischem Sepiaton<br />
ukrainische Straßenszenen der 90er Jahre. Aufgenommen hat der<br />
Künstler sie aus Bauchhöhe. Den Betrachtern des armseligen, reduzierten<br />
Stadtlebens nötigt er eine Demutsgeste ab, indem er die<br />
Streifen konsequent auf Nabelniveau installiert. Diese ungewohnte<br />
Perspektive leitet der einstige Ingenieur von einer sowjetischen<br />
Fotografiedoktrin ab: 1. Du sollst niemals von einem höheren Standpunkt<br />
als dem 2. Stock fotografieren, schon gar nicht Bahnhöfe,<br />
Fabrikanlagen oder andere Objekte von Spionageinteresse, 2. Nie<br />
sollst Du das Ansehen der Sowjetunion in Deiner Motivwahl herabsetzen<br />
und 3. Keine Aktbilder! Das letzte Gebot brach Michailov<br />
fortwährend; die sklavische Einhaltung der beiden anderen erhob<br />
er zum Stilmittel. Ohne diese Prämissen, ohne das sperrige<br />
Ambiente seiner Heimat scheint sein Werk undenkbar.<br />
Und doch vollzog sich in den letzten Jahren eine Wandlung, die<br />
ihm selbst nicht ganz geheuer scheint. Seit 2002 unterrichtet<br />
Michailov an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig,<br />
als Gastdozent des DAAD. Hier, im von Bildern überfluteten<br />
Westen, stellt er sich eine Grundsatzfrage: „Was kann man heute<br />
überhaupt noch fotografieren?“ Er hat seinen Lebensmittelpunkt<br />
aus logistischen Gründen mittlerweile nach Berlin verlegt und es<br />
kommt ihm vor, als verlöre er langsam seine künstlerische Identität.<br />
Tagebuchartige Skizzen entstehen hier – für uns sicherlich noch<br />
immer großartige Fotografie. Für ihn selbst mangelt es den neuen<br />
Arbeiten an jener Unverwechselbarkeit, die seine sozialen Reflexionen<br />
in der Vergangenheit mit politischen Inhalten verknüpften. Und<br />
genau aus diesem Unbehagen heraus reist Boris Michailov immer<br />
wieder zurück in die Ukraine, als Chronist des dortigen Lebens.<br />
Vielleicht kehrt er eines Tages ganz nach Charkov zurück.<br />
Jakes. Ein guter Ort.<br />
Gabriele Neeb, freie Fotografin, Barcelona<br />
Nahe der Stadt Modrica in Bosnien befindet sich das Heim Jakes, ein Institut für die Behandlung,<br />
Rehabilitation und soziale Pflege psychisch kranker Menschen. In Fachkreisen galt die Anstalt lange Zeit<br />
als Alternative zu den klassischen Behandlungsmethoden der Psychiatrie. Das Konzept basiert auf dem<br />
Prinzip der Offenheit und hatte die Resozialisierung der Patienten zum Ziel.<br />
Der Krieg auf dem Balkan in den 90er Jahren, der zu mehrfachen Übernahmen von Modrica führte,<br />
unterbrach diese auf Kontinuität ausgerichtete Behandlungsmethode drastisch. Die Patienten mussten<br />
in viel zu kleine Ersatzquartiere evakuiert werden. Während um die Anstalt herum Krieg herrschte,<br />
kämpften Ärzte und Patienten um das blanke Überleben. 72 Patienten starben in dieser Zeit an<br />
Infektionen und Hunger.<br />
Im Chaos der Kriegswirren hatte niemand mit den Patienten gearbeitet oder sie auch nur beim Namen<br />
genannt. Die Ärzte mussten nach Ende des Krieges feststellen, dass einige der Patienten ihren eigenen<br />
Namen vergessen hatten. Mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen versuchten die Ärzte<br />
und Pflegekräfte wieder in den normalen Alltag zurückzukehren. Seitdem wurden einzelne Stationen<br />
renoviert und eine Heizung installiert. Die wieder aufgenommene Landwirtschaft ermöglicht eine<br />
Arbeitstherapie.<br />
Für die westliche Welt ist es nicht vorstellbar, dass es Glück auch in schlechten Verhältnissen gibt. Diese<br />
Vorstellung stellt ihre Werte und Normen in Frage: In der hedonistischen westlichen Welt wird Glück im<br />
Äußeren gesucht. Und doch sind die Bewohner von Jakes nicht unglücklich. Das Heim in Jakes ist eine<br />
eigene geschlossene Welt, in der die Bewohner Hilfe und Verständnis erfahren. Die Bewohner treten<br />
nur selten freiwillig durch ein meist geöffnetes Tor ins „normale“ Leben. Jakes ist ein guter Ort.<br />
Die Fotos entstanden als Abschlussarbeit an der Staatlichen Fachakademie für Fotodesign in München.<br />
Kontakt: Gabriele Neeb, atomicswing76@yahoo.de<br />
30<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 32<br />
FEUILLETON<br />
Ästhetik der Leere<br />
Ein Buch über moderne<br />
Architektur in Zentralasien<br />
Cornelia Dörries, Stadtsoziologin und Architekturkritikerin, Zeitungsund<br />
Buchpublikationen, Berlin<br />
Fotos: Anja Heß<br />
Die Glosse ist der Zeitschrift Novokult<br />
entnommen, die vor fast zwei Jahren in<br />
Nowosibirsk gegründet wurde. Die erste<br />
Ausgabe, die aus einer spontanen Idee<br />
entstand, enthielt Neuigkeiten aus<br />
Deutschland, Informationen über Studienund<br />
Stipendienmöglichkeiten, die Adressen<br />
der deutschen Organisationen in<br />
Novosibirsk und einen Kulturkalender.<br />
Nachdem die erste Ausgabe ein Erfolg war,<br />
haben sich der damalige Sprachassistent<br />
des Goethe-Institutes, Jan Helfer, und die<br />
Bosch-Lektorin Anja Heß daran gemacht,<br />
NovoKult regelmäßig herauszugeben. Es<br />
wurden Projektgelder bei verschiedenen<br />
Institutionen beantragt und weitere Leute<br />
zur Mitarbeit angesprochen. Aus den anfänglichen<br />
acht Seiten sind zwanzig geworden.<br />
Mittlerweile arbeiten auch die verschiedenen<br />
deutschen Kulturmittler im<br />
Redaktionsteam der Zeitung, russische<br />
Studenten und Kollegen schreiben Artikel<br />
und helfen beim Layout. Die Zeitung erscheint<br />
in einer Auflage von 1000 Exemplaren.<br />
Die Zeitschrift enthält verschiedene<br />
Rubriken wie „Neues aus Deutschland“,<br />
„Neue deutsche Literatur“, „Interviews“,<br />
„Schwerpunktthema“, „Kulturkalender<br />
Novosibirsk“, „Studieninformationen“ uvm.<br />
32 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Kioski<br />
Jan Helfer, schreibt für Novokult, Goethe-Institut, Projektberater, Saratow/Russland<br />
Kioske gibt es auch in Deutschland. Man kann da Zigaretten oder Zeitschriften kaufen. Man geht zum<br />
Kiosk, weil man zum Beispiel Zigaretten kaufen will. Der Verkäufer sitzt in seinem Kiosk, lächelt glücklich –<br />
wahrscheinlich denkt er gerade: „Oh, ein Kunde! Wie schön!“ – und sagt: „Guten Tag. Was darf’s sein?“<br />
„Guten Tag. Bitte Zigaretten.“<br />
„Hier, bitte. Das macht drei Euro.“<br />
„Danke. Hier drei Euro. Bitte.“<br />
„Ja, danke und einen schönen Tag.“<br />
„Danke, ebenso.“<br />
Geht also ganz leicht, ist aber auch etwas langweilig. Und wer will schon immer Zeitschriften oder<br />
Zigaretten kaufen? In Russland ist das alles besser. An Kiosken kann man alles kaufen außer Waffen und<br />
Pinguinen. Es gibt Schokolade, Chips, Bier und Zigaretten. Man bekommt Waldmeisterlimonade und<br />
Erdbeersaft. Hunger? Schnell zum Kiosk, Fischkonserven kaufen. Es gibt sogar richtige kleine tote<br />
Fische und Kalmare. Taschentücher oder Kondome? Kein Problem. Sie benötigen Damenbinden? Im<br />
Kiosk liegen sie bereit (jetzt müsste man nur noch wissen, was Damenbinde auf Russisch heißt). Der Kiosk<br />
bei mir um die Ecke hat bis vor kurzem auch Blumentöpfe verkauft. Wohl ohne Erfolg, jetzt gibt es Kerzen.<br />
Spielzeug, Tee oder Kaffee? Gibt’s! Kugelschreiber? Gibt’s! Nagelscheren habe ich gesehen, Klopapier, Schuhcreme<br />
und Kleiderbürsten. Gibt es alles, meist 24 Stunden am Tag. Man muss nur wissen, wie es geht.<br />
Nehmen wir an, Sie sind neu in Nowosibirsk und Sie haben auf dem Heimweg Lust auf ein Bier. Ein<br />
freundlicher Abend, nur fünf Grad unter Null. Das Bier wird nicht sofort in der Flasche gefrieren. Da!<br />
Ein Kiosk! Doch es ist keine Verkäuferin zu sehen, der Kiosk hat keine Öffnung. Nach einigen Minuten<br />
entdecken Sie eine Klappe auf Bauchnabelhöhe. Wieder zwei Minuten später fassen Sie Mut. Sie<br />
klopfen. Die Klappe öffnet sich. Sie sind glücklich und warten auf das vertraute „Guten Tag, kann ich<br />
Ihnen helfen?“ Die Klappe schließt sich wieder. So funktioniert es nicht. Sie klopfen erneut, es wird<br />
geöffnet und jemand fragt genervt: „Was?!“ Lassen Sie sich nicht verunsichern. Nennen Sie schnell<br />
eine Biermarke, die Sie aussprechen können. Beugen Sie sich nicht zur Klappe hinunter, das sieht<br />
dämlich aus. Stecken Sie nicht den Kopf durch die Öffnung. Im Kiosk tut sowieso niemand so, als<br />
dächte er: „Oh, wie schön, ein Kunde!“ Dort denkt jemand: „Wer etwas kaufen will, soll sich kurz und<br />
klar artikulieren. Ich will hier nämlich in Ruhe rauchen. Außerdem kommt sonst kalte Luft in meinen<br />
Kiosk.“ Halten Sie sich daran, dann kriegen Sie auch Ihr Bier.<br />
Als ich neulich zu meinem Lieblingskiosk ging, war es schon dunkel und niemand auf der Straße. Ich<br />
beugte mich doch einmal zur Klappe hinunter. Im Kiosk saßen drei Frauen und rauchten. Ich<br />
brauchte einen Blumentopf, es gab aber nur Kerzen. Die drei Frauen rauchten immer weiter, der<br />
ganze Kiosk war schon voller Rauch. Ich nahm meine Kerzen und ging. Als ich mich umdrehte, hatte<br />
der Rauch die ganze Luft im Kiosk verdrängt. Der Rauch, leichter als Luft, stieg auf und löste den<br />
Kiosk von der Erde. Unsicher taumelte er in der Nacht, stieg schneller auf und flog in eleganter Linie<br />
über das Zentrum der Stadt nach Norden. Ich blieb am Boden zurück, sah dem immer kleiner werdenden<br />
Kiosk nach, der still davonschwebte und schon weit entfernt am Nachthimmel glitzerte:<br />
Wohin werden sie wohl fliegen? Was werden sie tun?<br />
Wenn die Rede auf Kasachstan, Usbekistan<br />
oder Kirgistan kommt, ist man gewöhnlich<br />
geneigt, sich im Atlas zu vergewissern, um<br />
welche Regionen der Erde es sich dabei handelt.<br />
Meistens versinken die ohnehin vagen Vorstellungen<br />
in jenem diffusen Nebel, der die<br />
Entwicklung in den Nachfolgestaaten der ehemaligen<br />
Sowjetunion umgibt: Umweltkatastrophen,<br />
Armut, postsozialistische Despotenregimes<br />
und Verfall. Dieses endzeitliche Leitmotiv<br />
lässt vergessen, dass neben diesen verheerenden<br />
Tatsachen in den zentralasiatischen<br />
Ländern allmählich auch Neues entsteht.<br />
Und was könnte den Anbruch einer neuen Zeit<br />
sinnfälliger verkörpern als neue Städte, neue<br />
Häuser, ergo Architektur?<br />
Den Berliner Architekten und Journalisten Philipp Meuser verschlägt<br />
es seit einigen Jahren immer wieder nach Zentralasien.<br />
Diese riesige Region ist weder pittoresk noch einladend, und<br />
unübersehbar von den üblichen gesellschaftlichen, ökonomischen<br />
und ökologischen Verwerfungen gezeichnet. Städte und Landschaft<br />
sind von den Folgen jahrzehntelangen Raubbaus an Mensch und<br />
Umwelt geprägt und werden noch lange an diesen Altlasten tragen,<br />
die auch das sich allmählich herausbildende Neue mit einer schweren<br />
Hypothek belasten. Insofern stellt sich Philipp Meuser einem fast<br />
uneinlösbaren Anspruch, wenn er nach über zehn Jahren<br />
Unabhängigkeit in Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan auf die<br />
Suche nach einer eigenständigen neuen Architektur geht, die das<br />
Erbe des Sowjetzeitalters mit den ethnisch geprägten Bautraditionen<br />
zu vereinen vermag. Dafür bieten die knapp 150 Seiten des<br />
großformatigen Kompendiums schlicht zu wenig Platz. Allerdings<br />
vermitteln die eindrücklichen Fotos mit Texten von insgesamt acht<br />
Autoren einen informativen Eindruck der gegenwärtigen<br />
Entwicklung in Architektur und Städtebau Zentralasiens. Hier löst<br />
das Buch den Anspruch seines Titels ein: Es dokumentiert die<br />
Ästhetik von vier Jahrzehnten städtebaulichen Ehrgeizes in einer<br />
Steppenlandschaft, die so groß ist wie das gesamte Mittel- und<br />
Westeuropa. Dabei beschränkt sich der Herausgeber auf die moderne<br />
Architektur von 1961 bis zur Gegenwart. Die dokumentierten<br />
Neubauten spiegeln einen Aufhol-Prozess wider, mit dem der<br />
Anschluss an die westliche Moderne der Büro- und Hotelquader<br />
gesucht wird und Identität bestenfalls in einer Art vulgarisierter<br />
Folklore daherkommt.<br />
Ein eigenes, erschütterndes Kapitel ist dem ökologisch kollabierten<br />
Aralsee und den sterbenden ehemaligen Fischerdörfern an seinen<br />
Ufern gewidmet. Da geht es weniger um architektonische Aspekte<br />
als vielmehr um einen schockierenden Tatbestand mit beängstigenden<br />
Konsequenzen für Mensch und Natur.<br />
Die Bilder in dem Buch belegen eine gravierende Unausgewogenheit<br />
zwischen Stadt und Land, den Metropolen und ihren unfassbar<br />
weiten Peripherien. Auf der einen Seite gibt es phantasmagorische<br />
Projekte wie die Planung und Errichtung der aseptischen neuen<br />
kasachischen Hauptstadt Astana, die auf Geheiß des Präsidenten<br />
Nasarbajew nach dem Masterplan des japanischen Architekten<br />
Kurokawa in die Steppe geklotzt wird, während andererseits die<br />
kleineren Städte, Dörfer und Siedlungen im Landesinneren verelenden<br />
und verfallen.<br />
Dem vergifteten politischen Humus, auf dem diese fatale Entwicklung<br />
gedeiht, widmet das Buch leider wenig Aufmerksamkeit.<br />
Dennoch gelingt es, die Neugier des Lesers auf Exotisches in tiefer<br />
gehendes Interesse am Schicksal der Länder zwischen Ural und chinesischer<br />
Grenze zu verwandeln.<br />
Philipp Meuser (Hrsg.):<br />
„Ästhetik der Leere. Moderne Architektur in Zentralasien“<br />
Verlagshaus Braun, Berlin 2002. ISBN 3935455135, EUR 29,80<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
33
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 34<br />
FEUILLETON<br />
Wenn du ganz allein bist...<br />
Das Jugendsorgentelefon in Rostow am Don ist oft die letzte Hilfe<br />
Lisa Borsenko und Anna Ermolenko, Journalistik-Studentinnen, Rostow am Don/Russland<br />
Es gibt Probleme, die man auch sehr nahe stehenden Menschen nur schwer mitteilen kann. Sie würden sie sowieso nicht verstehen,<br />
und Freunde lachen vielleicht nur über ernsthafte Sorgen. Zum Psychologen zu gehen wagt nicht jeder. Für manche ist<br />
ein anonymer Anruf das letzte Mittel. Das Rostower Jugendsorgentelefon existiert seit sieben Jahren und wird von der russischen<br />
nichtstaatlichen Stiftung „Humanitäre Initiativen“ getragen.<br />
Telefonnummer des Rostower<br />
Sorgentelefons für Jugendliche:<br />
+7 (8632) 40-39-38<br />
(Russisch)<br />
Foto: Arndt Lorenz<br />
Kinderplanet Georgien<br />
Jeder Anrufer hat das Bedürfnis, dass in seiner schwierigen Situation jemand wirklich<br />
zuhört und hilft. Dazu muss dieser Jemand feinfühlig und verständnisvoll sein. Manchmal<br />
reicht ein kurzes Gespräch am Telefon, manchmal hängt vom rechtzeitigen Rat das Schicksal<br />
des Hilfesuchenden ab.<br />
Die häufigsten Probleme bei Jugendlichen sind die Beziehungen zwischen den Geschlechtern.<br />
Mädchen rufen an, weil sich ihre Freunde für andere Mädchen interessieren.<br />
Oder es gibt Fälle, dass der Partner viel älter ist als das Mädchen und die Eltern deswegen<br />
gegen die Beziehung sind. Im schlimmsten Fall hat der Freund schon anderswo Frau und<br />
Kinder. Oder ein Junge interessiert sich für einen anderen Mann, was seine Umwelt nicht<br />
verstehen würde. Es gibt oft auch Anrufe von Jugendlichen nach dem Sinn des Lebens.<br />
Andere wiederum sind so verzweifelt, dass ihnen ein Selbstmord als das letzte Mittel<br />
erscheint. Mit diesem Problem müssen sich die Seelsorger etwa 20-40 Mal im Monat<br />
auseinandersetzen und schnell Hilfe anbieten.<br />
Die Arbeit beim Sorgentelefon ist ehrenamtlich. Jeder der fast 70 Berater leistet 6-12<br />
Stunden pro Woche Telefondienst. „Für mich ist es ein Ort, wo man mehr über Menschen<br />
und sich selbst erfahren kann. Die stärkste Motivation war, dass mich jemand braucht“, so<br />
eine der Mitarbeiterinnen, die sonst als Wirtschaftswissenschaftlerin tätig ist. Das Alter der<br />
Helfer ist begrenzt, zwischen 19 und 29 Jahre sollten sie sein, weil in diesem Alter die persönlichen<br />
Erinnerungen an die erste Liebe oder an Probleme mit den Eltern noch frisch<br />
sind. Eine große Schwierigkeit besteht darin , dass die Telefonleitung oft besetzt ist, weil es<br />
nur eine Verbindung gibt. Ein zusätzlicher Briefdienst ermöglicht die Kontaktaufnahme für<br />
Jugendliche, die kein Telefon zur Verfügung haben oder nicht anrufen können. Das Rostower<br />
Jugendsorgentelefon ist übrigens keine staatliche und natürlich erst recht keine kommerzielle<br />
Einrichtung, deshalb ist das Problem der Finanzierung immer aktuell.<br />
Die Erfahrung, die die Berater während ihrer Arbeit in Rostow machen, ist unschätzbar. Die<br />
Erlebnisse und Gefühle des Menschen waren und bleiben in allen Zeiten entscheidend auf<br />
dem Weg zu uns selbst. Das Sorgentelefon hilft allen, einander besser zu verstehen.<br />
Rusiko Nikolosischwili, Psychologin und Fotografie-Studentin, Tbilissi/Georgien<br />
Grenzen überwinden – Note für Note<br />
Victoria Owen, Studium der Kommunikationswissenschaften und Musik (Cello), Marketing<br />
Managerin, München<br />
Fotos: Martin Donner (oben), Victoria Owen (unten)<br />
Ein gleißender Augusttag – die Hitze lähmt die Bewegungen der Touristen, die vor dem<br />
Eszterházy Kastély in Fertöd in Ungarn auf Einlass warten. Plötzlich dringt eine Melodie<br />
von Bartók aus dem Gemäuer. Neugierige suchen nach ihrem Ursprung. Tief im Inneren<br />
des Schlosses, in einem unrenovierten Seitenflügel, würden sie eine überraschende<br />
Entdeckung machen: Probt dort doch ein vollständiges Sinfonie-Orchester! Jedes Jahr<br />
im Sommer trifft sich hier das Camerata Pannonica International Chamber Orchestra.<br />
Das Orchester besteht aus Amateur- und Profimusikern. Die meisten Musiker kommen aus<br />
West- und Osteuropa, aber einige nehmen die Reise aus Nordamerika und dem Südpazifik<br />
auf sich, um im Schloss 12 Tage voller Musik zu erleben. Der Aufenthalt im Eszterházy<br />
Kastély endet stets mit einem Konzert, das im wunderschönen Konzertsaal des Schlosses aufgeführt<br />
wird. Das Repertoire des Orchesters bezieht sich auf das historische und kulturelle<br />
Erbe der Region. Normalerweise werden einige Werke von Haydn gespielt, der 30 Jahre seines<br />
Musikerlebens in der Residenz Eszterházys verbrachte. Daneben stehen selbstverständlich<br />
die Werke der ungarischen Musiker Béla Bartók und Zoltán Kodály auf dem Programm,<br />
die beiden nahmen ungarische Volksmusik als Grundlage für ihre Werke.<br />
Das Camerata Pannonica International<br />
Chamber Orchestra wurde vor 12 Jahren von<br />
Dr. Martin Donner und dem Dirigenten Walter<br />
Kobéra gegründet. Die Teilnehmer – Amateurund<br />
Profimusiker – treffen sich jedes Jahr im<br />
Sommer im Eszterházy Kastély in Fertöd.<br />
Anfragen beantwortet Dr. Martin Donner<br />
(Tel.: +43-1-535-4443).<br />
Das Orchester ist offen, eine Teilnahme erfolgt<br />
auf Einladung und hängt jeweils von der<br />
Zusammensetzung des Orchesters ab.<br />
Diesjährige Konzerte:<br />
Donnerstag, den 7. August 2003 um 19:00,<br />
Kammermusik<br />
Sonntag, den 10 August um 11:00,<br />
Sinfonie-Konzert<br />
Reservierungen unter Tel.: +43-1-894-0614<br />
Für behinderte Kinder und Jugendliche wurde im Jahr 2000 in Tbilissi ein Zentrum für Rehabilitation gegründet: Die Kinder erhalten dort umfassende<br />
psychologische Betreuung, Rehabilitation und Sozialanpassung. Eine sehr wichtige Arbeit, denn für behinderte Kinder bestehen ansonsten in<br />
Georgien nur sehr wenige Angebote. Rund 20 Fachleute - Psychologen, Neurologen, Psychiater, Therapeuten und Sozialarbeiter - betreuen zwei<br />
Gruppen mit je 20 Kindern. Eine davon besteht aus Kindern von Flüchtlingsfamilien aus Abchasien, die vor allem durch den Bürgerkrieg traumatisiert<br />
sind und im Rehabilitationszentrum eine kostenfreie Behandlung erhalten. Die Fachleute wenden moderne Therapieformen an: Kunst-,<br />
Bewegungs-, Beschäftigungs- und Spieltherapie, Logopädie und Eurythmie.<br />
Das Zentrum wird ausschließlich privat betrieben und bekommt keinerlei Unterstützung von staatlicher Seite. Der Name „Kinderplanet“ geht auf die<br />
Grace-P.-Kelly-Stiftung zurück, die vor 30 Jahren von der Grünen-Politikerin Petra Kelly gegründet wurde. Diese Einrichtung fördert Projekte wie<br />
dieses in Georgien, um soziale Schutzräume zu schaffen, damit kranke Kinder mit ihren gesunden Geschwistern und Eltern am Ort ihrer Behandlung<br />
zusammen sein können. „Kinderplaneten“ gibt es u.a. in einem Rehabilitationszentrum in Halle/Saale oder in der Rehabilitationsklinik Schönwald/<br />
Schwarzwald. Gerade wird auch ein „Kinderplanet“ in Tibet aufgebaut.<br />
Spenden an „Sonderkonto Kinderplanet Georgien“, Sparkasse Pforzheim Calw, BLZ 60651070, Konto-Nummer 466950.<br />
Weitere Informationen: Rusiko Nikolosischwili (georgien_kinderplanet@gmx.de)<br />
Die Orchestermitglieder verbringen ihre Zeit mit festen Proben am Tag und spontanen<br />
Kammermusik-Spiel am Abend. Daneben genießen sie die schöne Landschaft, den Tokajer<br />
Wein, den Aprikosenlikör Barack und das deftige ungarische Essen. Alle Orchestermitglieder<br />
sind sich einig, dass die Gruppe ein besonderer Geist verbindet. „Man kann das schwer in<br />
Worten beschreiben“, sagt Fons Plansschaert, der Holländische Konzertmeister des<br />
Orchesters, „Gott sei Dank haben wir die Musik, so dass wir auch ohne Worte auskommen<br />
können.“ In jeder Hinsicht ein wichtiges Moment, denn bei so vielen Sprachen ist mit dem<br />
gesprochenen Wort oft nicht viel auszurichten. Was die Musiker verbindet, ist das Spiel, die<br />
Proben, die Konzerte, das Lampenfieber, der Applaus, die Fehlschläge und Erfolge. Nicht<br />
selten entstehen hier langjährige Freundschaften. Die Musiker von Camerata Pannonica<br />
nutzen die unvergleichbare Möglichkeit, Grenzen von Kultur und Sprache zu überwinden –<br />
Note für Note.<br />
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dorothea Leonhardt<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
35
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 36<br />
REISE<br />
REISE<br />
Fotos: Andreas Stocker<br />
Neujahrsfest in Burjatien<br />
Lenin im Moskauer Mausoleum sieht bedeutend schlechter aus, trotz aller aufwändigen Konservierungsmaßnahmen.<br />
Burjatische Nationalspeise: Rindfleisch in<br />
Teigbällchen<br />
Die Burjatische Republik erstreckt sich<br />
im Süden Ostsibiriens entlang des Baikalsees.<br />
Sie gehört zu den ärmsten Regionen<br />
Russlands. Im Süden grenzt Burjatien an<br />
die Mongolei. Der Fläche nach entspricht<br />
Burjatien der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Die Einwohnerzahl beträgt etwa eine<br />
Million, was einer Einwohnerzahl von drei<br />
Personen pro Quadratkilometer entspricht.<br />
400.000 der Einwohner leben in der<br />
Hauptstadt Ulan-Ude. Die vorherrschende<br />
Religion der burjatischen Bevölkerung ist<br />
der Buddhismus tibetischer Richtung (Lamaismus),<br />
daneben sind noch schamanistische<br />
Religionen anzutreffen.<br />
Nur 24% Prozent der Bevölkerung sind<br />
Burjaten, 68% Russen. Auf dem Gebiet<br />
des heutigen Burjatiens wurde Dshingis<br />
Khan geboren.<br />
36 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Andreas Stocker, DAAD-Stipendiat, Irkutsk/Russland<br />
Sagaalganar! Sagaan haraar! Buddhistische Gesänge, endlose Steppe, Holzhäuser mit blauen<br />
Fenstern. Ich reiste in die burjatische Steppe, um dort mit einer Familie auf traditionelle Weise<br />
das buddhistisch-lamaistische Neujahr nach dem Mondkalender zu feiern.<br />
31.1.<br />
Um 6 Uhr morgens erreiche ich die Hauptstadt Burjatiens, Ulan-Ude, wo mich mein Bekannter Aldar<br />
erwartet. Die Begrüßung ist herzlich, aber kurz. Bei –20° Celsius und eisigem Wind verliert man nicht<br />
viele Worte. Im nahegelegenen Studentenwohnheim merke ich gleich, dass ich noch immer in<br />
Russland bin: Trotz Reservierung weiß hier niemand etwas was von meiner Ankunft, das Wohnheim<br />
ist voll belegt. Aldar schlägt vor, bei seinem Cousin in der Stadt zu übernachten. Kurz vor 10 Uhr treffen<br />
wir Aldars Mutter. Sie hat Teigbällchen dabei, mit denen wir uns das Gesicht abtupfen. Der Teig soll<br />
das Schlechte aufnehmen und den Körper vom Bösen reinigen. Auf ein Stück Papier schreiben wir<br />
unsere Wünsche und umwickeln damit den Teig.<br />
Am Abend fahren wir zum größten buddhistischen Kloster Russlands, Iwolginskij Dazan, das außerhalb<br />
Tibets als das wichtigste Zentrum des lamaistischen Buddhismus gilt. Hier findet die traditionelle<br />
Reinigungszeremonie statt, bei der der Körper von schlechtem Karma gereinigt werden soll. Wir<br />
umrunden im Uhrzeigersinn das Klostergelände und drehen die am Weg aufgestellten Gebetsmühlen,<br />
bis wir zum Iwolga Tempel gelangen. Im Inneren des Tempels erinnert wenig an die beschauliche<br />
Ruhe, die ich bei meinem ersten Besuch hier erlebt habe. Eine riesige Menschenmasse wälzt sich bzw.<br />
mich durch den Raum. Ich bin froh, als ich wieder an der frischen Luft bin, aber nicht lange – es hat –35°<br />
Celsius. Ohne Handschuhe, den Fotoapparat stets griffbereit, warte ich eine Stunde auf die Lamas. Als<br />
sie endlich aus dem Tempel kommen ist die Spitze meines Daumens erfroren. Die Lamas begeben<br />
sich zu einem Scheiterhaufen, auf dem sich jetzt die Teigbällchen befinden. Das Feuer wird entfacht, die<br />
Menschenmenge strömt auseinander, ohne zurück zu blicken. Ein Blick in die Flammen bringt Unglück.<br />
1.2.<br />
Am Vormittag erhalten wir bei Dugarow Tschimit-Dorshi, einem buddhistischen Arzt und Freund der<br />
Familie, einen Privattermin. Er fühlt meinen Puls. Über 300 verschiedene Arten davon gäbe es, meint<br />
er. „Man kann daraus den Zustand des Körpers spüren.“ Seine Schülerin packt mir Heilpulver in kleine<br />
Tütchen ab. Ich solle es als Tee trinken, meint sie, dann werde das mit dem Daumen schon wieder.<br />
Der Daumen hat sich danach mehrmals verfärbt und noch drei Wochen geschmerzt, ist jetzt aber<br />
wieder in Ordnung.<br />
Auch heute fahren wir wieder zum Kloster Iwolginskij Dazan. Dort wird der Leichnam eines Mönches<br />
ausgestellt, der seine Schüler beauftragt hatte, ihn 75 Jahre nach seinem Tod auszugraben. Sein Leichnam<br />
ist einwandfrei erhalten. Er sitzt in seiner tiefroten Gebetskleidung mit orangem Tuch in einem Glaskasten.<br />
Im Kloster treffen wir einen anderen Cousin Aldars, Bair Dondukow, in seiner kleiner Holzhütte. Er<br />
unterbricht sein Gebet und empfängt uns freundlich. Man fühlt sich bei ihm nicht nur wegen der warmen<br />
Stube wohl. Bair studiert seit drei Jahren im Kloster. Wir unterhalten uns über das Studium und die<br />
Schwierigkeiten des Buddhismus in Russland. „Aufgrund der Annäherung Chinas und Russlands ist die<br />
gegenwärtige Situation des Buddhismus schwierig“, meint er. Der Dalai Lama sei zuletzt 1991 hier gewesen,<br />
er erhalte schon seit einiger Zeit kein Visum mehr. Man wolle schließlich China nicht verärgern, so Bair.<br />
2.2., Neujahr<br />
Als ich um 5 Uhr aufstehe, betet Aldar schon vor dem Hausaltar. Noch vor den ersten Sonnenstrahlen des<br />
neuen Jahres wollen wir auf der Straße den Gott Paldan Lchamo treffen. Er fliege in diesen Stunden über<br />
die Häuser und bringe denjenigen ein gutes neues Jahr, die frühmorgens aufgestanden sind, erklärt<br />
Aldar. Die Schlafenden hielte der Gott für tot und übergehe sie. Damit er uns nicht übersieht, machen<br />
wir Feuer aus dem Müll, der überall herumliegt. Aldar opfert Tee mit Milch und spricht ein Gebet.<br />
Dann fahren wir zu Aldar nach Hause: nach einstündiger Busfahrt marschieren wir noch eine halbe<br />
Stunde durch die schneebedeckte Steppe. Von weitem sehen wir das neu erbaute Haus mit seinen<br />
typisch burjatischen blauen Fensterläden. Es erwarten uns schon Aldars Vater, seine Mutter und sein<br />
zwölfjähriger Bruder, alle in ihre farbenprächtigen Nationaltrachten gekleidet. Zuerst gehen Aldar und<br />
ich zum Altar und drehen an der Gebetsmühle. Während Aldar betet, schaue ich mich im Haus um.<br />
Es ist an einem Abhang gelegen und bietet einen atemberaubenden Blick über die endlose Weite der<br />
Steppe. Neben der Küche besteht das Haus nur noch aus einem großen Zimmer. Es ist Schlafzimmer<br />
für Kinder und Eltern, Wohnzimmer, Studierzimmer und Gebetsraum in einem. Ein Badezimmer suche<br />
ich vergebens. Telefon und fließendes Wasser gibt es hier nicht. Einmal in der Woche bringt ein<br />
Lastwagen frisches Wasser. Die Toilette ist in einem Häuschen im Garten. Ofen und Herd werden mit<br />
Holz beheizt, Birke natürlich. Die Familie gehört zur neu entstandenen Mittelklasse. Der Vater ist<br />
Zahnarzt, die Mutter arbeitet nicht, ein Zeichen des Wohlstandes.<br />
Erst nach dem Gebet erfolgt die Begrüßung. Ich lege meine Arme unter die ausgestreckten Arme der<br />
Gastgeber als Zeichen meiner Wertschätzung den Ältern gegenüber und spreche die Worte:<br />
„Sagaalganar! Sagaan haraar!“ – „Alles Gute zum Neujahr, zum weißen Monat.“ Wir setzen uns um den<br />
Tisch, der von Leckereien überquillt, Wodka wird gereicht. Der Reihe nach erheben sich die Männer,<br />
Trinksprüche folgen. Auf das Neujahrsfest, auf die Gesundheit, auf die Liebe und die Frauen. Dann<br />
wird gemeinsam die burjatische Nationalspeise zubereitet: Posi, kleine mit Rindfleisch gefüllte<br />
Teigbällchen, die dann ebenfalls verspeist werden.<br />
Auf dem Heimweg am Abend begleitet mich die ganze Familie. Sie singen burjatische Volkslieder. Die<br />
Sonne steht schon tief am Himmel und taucht die schneebedeckte Steppe in glühendes Rot. In der<br />
Ferne stehen vereinzelt kleine Holzhäuser mit rauchenden Kaminen. Ich blicke ein letztes Mal über<br />
die Steppe, bevor ich in den engen Kleinbus einsteige.<br />
Die Gastgeber in Nationaltracht
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 38<br />
THEODOR-HEUSS-KOLLEG<br />
Unabhängige Zeitungen in Russland und der Ukraine gibt es doch!<br />
Zeitungsmacher im Theodor-Heuss-Kolleg schaffen sich langfristige Strukturen<br />
Karen Hauff, Kollegkoordinatorin beim Theodor-Heuss-Kolleg, Berlin<br />
In den vergangenen 2 Jahren wurden im Theodor-Heuss-Kolleg 10 Zeitungsprojekte von Studenten in<br />
Russland, der Ukraine und der Slowakei ins Leben gerufen. Vor allem in Sibirien ist eine kleine<br />
Presselandschaft studentischer Zeitungen entstanden. Zwei russische und eine ukrainische Zeitung sind<br />
bereits als Nichtregierungsorganisationen registriert und wollen sich auf dem freien Markt behaupten.<br />
„Mit der Registrierung waren hohe Kosten und viel Bürokratie verbunden. Aber es war uns<br />
wichtig, eine Organisation zu gründen, die als offizieller Herausgeber der Zeitung „Freedom“<br />
auftreten kann. Das wird die Suche nach Förderern leichter machen und unsere Auflage über<br />
die Tausender Grenze erhöhen“, berichtet Wladimir Katunzew, Chefredakteur der Zeitung<br />
„Freedom“ in Tjumen. Unermüdlich arbeitet das siebenköpfige Redaktionsteam an einem<br />
immer professionelleren Auftreten des Blattes. Die Artikel der Zeitung erscheinen in drei<br />
Sprachen und enthalten viele Informationen: Stipendienausschreibungen, Auslandsstudium<br />
oder aktuelle Berichte aus Politik und Gesellschaft. Die gleichnamige „Freedom“ in Omsk widmet<br />
sich ähnlichen Themen. Ihre Korrespondenten sind Studenten, die gerade im Ausland sind<br />
oder Nachwuchsjournalisten aus dem weiten Kollegiaten-Netzwerk. Sie sorgen dafür, dass in<br />
den Freedom-Ausgaben verschiedene Ansichten zu Wort kommen und die Zeitung ihrem<br />
Anspruch der Interkulturalität gerecht wird. Der Leser soll ruhig einmal über den eigenen<br />
Tellerrand blicken. Auch „an der Nowosibirsker Verwaltungsakademie ist es schon zu einer<br />
guten Tradition geworden, alle zwei Monate auf die neue Ausgabe der „Odissej“ zu warten“,<br />
erzählen die beiden Chefredakteurinnen Jekaterina Smirnowa und Maria Schamajewa stolz.<br />
Regelmäßig suchen sie das Feedback der Leser in Umfragen oder laden auch schon mal zu<br />
einer öffentlichen Diskussion ihrer Zeitung ein.<br />
Schreib- und Lesernetze<br />
Die Projekte stehen nicht alleine da. Neben dem Korrespondentennetzwerk tauschen alle<br />
Zeitungen, die mit Hilfe des Theodor-Heuss-Kollegs erscheinen, regelmäßig Artikel aus; Kontakte<br />
bestehen auch zum Online Magazin „Spinne“ des Theodor-Heuss-Kollegs, „vitamin de“,<br />
der „Petersburgischen Zeitung“ und Medien der russlanddeutschen Gemeinden. Leser werden<br />
über E-Mail-Umfragen inhaltlich einbezogen und können jederzeit zu Wort kommen. Die<br />
Online-Versionen einiger Zeitungen erleichtern die Verbreitung.<br />
Der Preis der Unabhängigkeit<br />
Das Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung bietet den Zeitungsprojekten durch<br />
Finanzierung und Projektberatung einen Raum zum Experimentieren und freien Arbeiten. Der<br />
Sprung auf den freien Medienmarkt, wenn die Unterstützung des Kollegs abnimmt, wird nicht<br />
einfach sein. Die World Press Association beobachtete die sich entwickelnde Presselandschaft<br />
in jungen Demokratien und musste feststellen, dass der Preis für freies und unabhängiges<br />
Schreiben oft die Kommerzialisierung der Zeitungen bedeutet. Solche Zeitungen bestehen zum<br />
Großteil aus Anzeigenwerbung oder bestellten Artikeln. „Wir wollen durch Partnerschaften mit<br />
europäischen Zeitungsprojekten und Stiftungen der EU eine Kommerzialisierung unserer Zeitungen<br />
verhindern. Trotzdem wird Anzeigenakquise wichtiger werden,“ so Wladimir Katunzew.<br />
Unterstützung oder Partnerschaft mit den Universitätsverwaltungen liegt natürlich nahe – etwa<br />
Foto: Karen Hauff wenn es um die Nutzung von Räumlichkeiten oder Vergünstigungen in der Hausdruckerei geht.<br />
Foto: Ulrike Fischer<br />
Das funktioniert in manchen Fällen und ist eine Erleichterung. Eine der Chefredakteurinnen<br />
winkt jedoch ab: „Mehrfach versuchten Direktoren und Lehrende, auf unsere Inhalte Einfluss<br />
zu nehmen. Da suchen wir uns die Unterstützung lieber anderswo.“<br />
Die persönliche Laufbahn im Blick<br />
Nicht alle Kollegiaten, die nun Zeitungen an ihren Hochschulen herausgeben, haben ihre berufliche<br />
Zukunft im Journalismus gesehen. Sie studieren zum Beispiel Sprachen, Internationale<br />
Beziehungen, Jura oder Informatik. Inzwischen finden sie die journalistische Tätigkeit aber sehr<br />
attraktiv. Sie schärft ihr Auge für Ereignisse oder Missstände in ihrem Umfeld und für wichtige<br />
politische Entwicklungen. Die internationalen Seminare des Theodor-Heuss-Kollegs führten<br />
dazu, dass Themen der Zeitungen sich um Austausch zwischen Ländern drehen. Diese<br />
Einstellung und die Praxiserfahrung in den Zeitungsprojekten ist nun oft die Eintrittskarte zu<br />
anderen Stipendienprogrammen oder Praktikumsplätzen für Journalisten.<br />
Den eigenen Stil finden<br />
In diesem Frühjahr fand schon zum zweiten Mal eine Fortbildung des Theodor-Heuss-Kollegs<br />
für junge Journalisten statt. Dort wurde von früh bis sehr spät Schreiben trainiert, Layout-Kritik<br />
geübt und Strategien für das Zeitungsmanagement diskutiert. So manches ist verbesserungsfähig,<br />
so wird zum Beispiel oft an der Zielgruppe vorbeigeschrieben. Die deutsche Auffassung<br />
von Recherche und journalistischem Schreiben unterscheidet sich stark vom Stil russischer<br />
Journalisten. „Es war mir nicht klar, dass es so unterschiedliche journalistische Schulen gibt“,<br />
staunt Daria Kudrjawzewa aus Moskau. Die lebhafte Diskussion, die sich zwischen einer<br />
deutschen Seminarleiterin und einem russischen Journalisten entspann, verfolgten die<br />
Kollegiaten aufmerksam, um ihre eigenen Standpunkte zu überdenken.<br />
Ein „Dom“ (= Haus) entsteht<br />
„Freedom“ Omsk hat die Organisation von Fortbildungsseminaren übernommen. So können<br />
die Erfahrungen der reiferen Projekte bereits an die jüngere Zeitungsgeneration weitergegeben<br />
werden. Das Informations- und Bildungszentrum „Freedom“ unterstützt neben der Zeitungsherausgabe<br />
auch andere kleine unabhängige Projekte. Ein Zeichen, dass Strukturen sich tatsächlich<br />
festigen. Schon bald werden die neu entstandenen Organisationen immer häufiger als<br />
Partner des Theodor-Heuss-Kollegs bei der Projektarbeit und Seminarorganisation auftreten.<br />
(www.freedomcity.info).<br />
Zeitungs- und Medienprojekte<br />
im Theodor-Heuss-Kolleg der<br />
Robert Bosch Stiftung<br />
Fischka, Jekaterinburg, pusha@inbox.ru<br />
Kipisch, Krasnojarsk, uskanna@yandex.ru<br />
Odissej, Nowosibirsk,<br />
katja.smirnova@mail.ru<br />
Freedom, Omsk,<br />
iragolenkova@yahoo.com<br />
Freedom, Tjumen, vladimir@omen.ru<br />
Obras Rosij, Jekaterinburg,<br />
Ivan-pochta@yandex.ru<br />
Chid, Lwiw, galaguzo@yahoo.de<br />
Interstube, Banska Bystrica,<br />
gabika.alacova@post.sk<br />
Parallelen und Meridiane, Kirowograd,<br />
thomenko@kspu.kr.ua<br />
Kleine Völker im großen Reich<br />
(Artikelzyklus), Ufa, embryo@aport.ru<br />
Information:<br />
karen.hauff@theodor-heuss-kolleg.de<br />
Information zum Theodor-Heuss-Kolleg<br />
der Robert Bosch Stiftung<br />
Das Theodor-Heuss-Kolleg ist ein<br />
Programm der Robert Bosch Stiftung in<br />
Trägerschaft des <strong>MitOst</strong> e.V. Es ermutigt<br />
Jugendliche aus Deutschland und Mittelund<br />
Osteuropa, sich in ihrem Umfeld<br />
öffentlich zu engagieren, demokratische<br />
Spielregeln einzuüben und verantwortliche<br />
Aufgaben in der Gesellschaft<br />
zu übernehmen.<br />
In diesem Jahr wurden aus 540 Bewerbungen<br />
100 junge Erwachsene ausgewählt,<br />
die zweiwöchige Sommerseminare<br />
absolvieren. Dort werden gesellschaftspolitische<br />
Themen diskutiert und in praxisbezogenen<br />
Übungen Kenntnisse von<br />
Demokratie, interkultureller Verständigung<br />
und der Rolle der Medien vermittelt.<br />
Die Kollegiaten entwickeln Ideen für<br />
innovative Projekte, die sie in ihren<br />
Heimatstädten umsetzen können. Bei<br />
der Projektarbeit werden die Kollegi-aten<br />
durch ein Projektstipendium, Projekttreffen<br />
und Fortbildungen unterstützt. Im Kollegjahr<br />
2002/2003 wurden im Theodor-<br />
Heuss-Kolleg 44 Projekte in den Bereichen<br />
Hochschule und Bildung, Kultur, Medien,<br />
Soziales und Politische Bildung durchgeführt.<br />
Informationen:<br />
www.theodor-heuss-kolleg.de.<br />
Kontakt: info@theodor-heuss-kolleg.de<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
39
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 40<br />
LEKTORENPROGRAMME<br />
Boschlektor in MOE – Interesse so groß wie nie<br />
Nicht nur Wodka und Vampire –<br />
Das Korrespondenten-Netz „n-ost“ stellt sich vor<br />
LEKTORENPROGRAMME<br />
Die Robert Bosch Stiftung vergibt jährlich<br />
Stipendien an deutsche Hochschulabsolventen,<br />
die für ein bis zwei Jahre in einem<br />
Land in Mittel- Ost- oder Südosteuropa an<br />
einer örtlichen Hochschule lehren und sich<br />
in studentischer Projektarbeit engagieren.<br />
Ab August 2003 werden rund 90 deutsche<br />
Sprach- und Fachlektoren und 30 Tandemlektoren<br />
(Wissenschaftler aus Mittel- und<br />
Osteuropa) in folgenden Ländern tätig<br />
sein: Estland, Lettland, Litauen, Polen,<br />
Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien,<br />
Serbien, Bulgarien, Ukraine, Weißrussland,<br />
Russland, Georgien und Kasachstan. Rund<br />
die Hälfte der Lektorate befinden sich in<br />
Weißrussland, der Ukraine, und Russland.<br />
Weitere Informationen zum Programm<br />
und den Bewerbungsvoraussetzungen Sie<br />
unter:<br />
www.boschlektoren.de<br />
lektoren@uni-hohenheim.de<br />
Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart<br />
Kaum sind die Regionaltreffen des Jahrgangs 2002/03 mit dem letzten Treffen in Jekaterinburg<br />
abgeschlossen, steht in Stuttgart die Planung für den neuen Lektorenjahrgang an. Rund 460<br />
Bewerbungen für ein Stipendium als Boschlektor in Mittel- und Osteuropa gingen ein. Das<br />
Interesse an einem längeren Aufenthalt in einem der 15 Länder des Programms war so groß wie<br />
nie. Neben Biographien mit fließenden Russisch- oder Tschechischkenntnissen und Studienaufenthalten<br />
in Woronesch, Minsk oder Budapest lagen die Bewerbungen Neugieriger, die nach<br />
Urlaubsaufenthalten endlich tiefer in eine der Kulturen im ehemaligen Ostblock einsteigen<br />
wollten. Die Bewerbungslage ist so bunt wie das Programm. Zwei Wochen haben die persönlichen<br />
Auswahlgespräche für den neuen Jahrgang in Anspruch genommen, 160 Bewerber,<br />
Lebensentwürfe und Ziele. Doch nur rund 45 Lektorate waren neu zu besetzen, da viele der<br />
Lektoren ihren Aufenthalt um ein weiteres Jahr verlängerten.<br />
Im kommenden Jahr wird sich die regionale Verteilung der Lektorate verändern: Da sich in den EU-Beitrittsländern<br />
die Situation an den Hochschulen stark zum Positiven entwickelt hat, konnten Lektorate<br />
dort teilweise geschlossen werden. Die frei werdenden Kapazitäten kommen in diesem Jahr insbesondere<br />
Hochschulen in der Ukraine, Weißrussland und Südosteuropa zu gute, wo mehrere Lektorate<br />
neu eingerichtet werden können. Mit den Entwicklungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas<br />
verändert und entwickelt sich auch das Lektorenprogramm. Wir sind gespannt, wie es weiter geht!<br />
Andreas Merz, Boschlektor in Kaliningrad und Mit-Initiator von n-ost<br />
In Ungarn kauen sie den ganzen Tag auf Paprika herum, Rumänien dient als Brutstätte für Vampire, in<br />
Russland herrscht großflächig Chaos und in China fällt gerne mal ein Sack Reis um. Wir kennen diese<br />
Stereotypen, erzeugt von Journalisten, die durchaus guten Willens sind, aber zu weit entfernt vom<br />
Geschehen. Daneben gibt es die Ruges und Bednarzens, die sich sibirische Flüsse entlang quälen,<br />
mit jakutischen Eremiten den Ziegenkäse teilen und ein Millionen-Publikum begeistern. Der Hunger<br />
nach authentischen Berichten ist groß und wir, die Boschlektoren, können sie liefern – die leisen<br />
Alltagsgeschichten, die täglichen Kuriositäten, das tragische und das wunderbare Leben zwischen<br />
ungarischer und sibirischer Steppe.<br />
Seit März 2003 ist das Korrespondenten-Netz Osteuropa, kurz: n-ost, auf Sendung. 20 Boschlektoren,<br />
die meist als Praktikanten, teilweise aber auch als Profis den Medienbetrieb kennen gelernt haben,<br />
stehen derzeit hinter n-ost. Die Arbeitsweise ähnelt einer Nachrichtenagentur: Ein Korrespondent<br />
spießt vor Ort eine Geschichte auf und schickt sie per Mail an die virtuelle Leitzentrale n-ost@gmx.de,<br />
die derzeit von Kaliningrad und Minsk aus betreut wird. Der Artikel wird gegengelesen, Rückfragen<br />
werden geklärt. Schließlich macht sich der fertige Bericht auf die virtuelle Reise zu deutschsprachigen<br />
Medien. Auf diese Weise sind bereits mehrere Artikel gedruckt worden.<br />
Ob das Neugeborene die fast schon Bosch-typische Eigendynamik entwickelt, hängt auch von Euch<br />
ab. Um den Polizeibericht zu zitieren: Sachdienliche Hinweise sind hier sehr erwünscht. Und wer als<br />
Neu- oder Ex-Lektor zum Netzwerk hinzustoßen möchte, ist herzlich eingeladen. Erste journalistische<br />
Erfahrungen sollten vorhanden sein und der feste Wille, über Wodka und Vampire hinaus ein differenzierteres<br />
Bild von Mittel- und Osteuropa zu zeichnen.<br />
Kontakt:<br />
n-ost@gmx.de;<br />
weitere Informationen:<br />
www.n-ost.de<br />
10 Jahre Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung<br />
Grund zum Feiern und Anlass für<br />
eine besondere Reise!<br />
40<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Willkommen im Jenseits<br />
Regionaltreffen der Russland-Lektoren vom<br />
26.-31. Januar 2003 im asiatischen Jekaterinburg<br />
Andreas Merz, Studium Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Volkswirtschaft,<br />
Boschlektor in Kaliningrad<br />
Das ist der Stoff, aus dem Heldenlegenden gewebt werden: Eine Stadt, die sich als Hinrichtungsstätte<br />
der Zarenfamilie einen Platz in der Weltgeschichte gesichert hat, wird zum Austragungsort des jenseitigsten<br />
Regionaltreffens aller Zeiten. Erstmals strömen alle Russlandlektoren, inzwischen 35, über<br />
Tausende von Kilometern hinweg durch Eis und Schnee hinter dem Ural zusammen – und landen krank<br />
im Bett. Nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip verschwand ein Boschlektor nach dem anderen auf<br />
sein Zimmer im Gästehaus der Uni. Im Laufe von 30 Stunden, je nach Länge des Verdauungstraktes,<br />
erwischte es 25 von 35 Konferenzteilnehmern. Die Ursachenforschung kreiste um Majonäse, Fleisch,<br />
Gemüse, Salat und einen Virus. Aus der Wohnheimküche hieß es lapidar: „Das muss an den deutschen<br />
Mägen liegen.“ Diese wurden mit Kamillentee, Kohlepulver, Cola und Keksen nach zwei Tagen erfolgreich<br />
reanimiert. Geradezu biblische Erfolge zeigte eine Fastfood-Kur, der sich der <strong>MitOst</strong>-Vorsitzende Gereon<br />
Schuch unterzog.<br />
Es spricht für die Helden, dass sie ihre Auszeit genau auf die Phase des Exkursionsprogramms legten<br />
und am abschließenden Arbeitstag wieder mitwirkten. Und auch ein paar positive Eindrücke von<br />
Jekaterinburg, 30 Zugstunden hinter Moskau und 40 Kilometer jenseits des Urals gelegen, gab es<br />
noch. Besonders beeindruckten Studentinnen der Maxim Gorkij Universität mit einem frei auf<br />
deutsch gehaltenen Referat über das doch so unbekannte Gebilde Europa, dem man sich in den<br />
Straßen der (dank Ural-Bodenschätzen) relativ wohlhabenden, asiatischen Stadt näher fühlt als an manchem<br />
mitteleuropäischen Ort. „Europa gemeinsam ist der Zweifel“, fasste der mitorganisierende Boschlektor<br />
Eric Wrasse mit einem Zitat Pierre Bourdieus die Diskussion zusammen. Keinen Zweifel gab es an<br />
der guten Organisation der Konferenz, am deutschen Verdauungssystem dagegen leider durchaus...<br />
Ulrike Daniel, seit 2002 Projektleiterin der Lektorenprogramme der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart<br />
Über 400 Stipendiaten haben ein bis zwei Jahre als Lektoren der Robert Bosch Stiftung in Mittel- und<br />
Osteuropa verbracht und mit ihren Ideen und ihrem Engagement das Programm erfüllt und gestaltet.<br />
Das Lektorenprogramm hat sich in den vergangenen 10 Jahren seines Bestehens ständig weiter<br />
entwickelt, in den Zielländern hat sich manches verändert. Wie ist es wohl, wenn einer der damaligen<br />
Sprachtutoren sich über seine Erlebnisse und Erfahrungen mit einem heutigen Lektor im selben Land austauscht?<br />
Was ist wohl aus den ehemaligen Lektorenkollegen geworden? Über die Verbleibstudie, die<br />
vor 3 Jahren erstellt wurde, konnten wir schon einen Eindruck von den verschiedenen Biographien bekommen,<br />
aber wie wäre das Ganze in natura? Ein Wiedersehen aller ehemaligen Lektoren? Eine Zeitreise<br />
durch die Entwicklung des Programms und der Zielländer? Eine Reise durch Mittel- und Osteuropa!<br />
Über das wie, wer und vor allem wo wurde in den letzten Jahren schon viel spekuliert. Jetzt ist die<br />
Entscheidung gefallen und ein Wiedersehen geplant! Sechs Tage (24. Bis 29. September 2003) soll es<br />
mit dem Lektorenzug durch MOE gehen. Von Berlin aus über Tschechien, die Slowakei, Ungarn und<br />
Polen bringt ein Sonderzug die ehemaligen Lektoren in einige der Länder, in denen sie aktiv waren. Es<br />
wird viel Gelegenheit zum Austausch von Erinnerungen mit alten Bekannten und neuen Unbekannten<br />
geben. Die Reise soll mit eigenen Beiträgen bereichert werden, denn auch die auf dieser Fahrt nicht<br />
besuchten Länder, in denen heute Lektoren der Stiftung arbeiten, sollen präsent sein.<br />
Eingeladen sind alle ehemaligen Lektoren der Robert Bosch Stiftung – und wer die Einladung noch<br />
nicht erhalten hat, sollte dringend seine neue Adresse an 10Jahre@boschlektoren.de schicken!<br />
Über 460 Stipendiaten sind seit 1993 mit<br />
den Lektorenprogrammen der Robert<br />
Bosch Stiftung nach MOE gegangen. Vom<br />
24. bis 29.09.2003 sind alle Ehemaligen<br />
eingeladen, anlässlich des 10jährigen Jubiläums<br />
mit dem Lektorenzug von Berlin<br />
nach Brünn und Budapest, über die hohe<br />
Tatra nach Krakau und wieder zurück nach<br />
Berlin zu reisen.<br />
Infos:<br />
www.sonderzugberlin.de<br />
10Jahre@boschlektoren.de<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003 41
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 42<br />
KOOPERATIONSPARTNER<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
jungewege@mitost.de<br />
Junge Wege in Europa<br />
Die Robert Bosch Stiftung schreibt jährlich den Förderwettbewerb „Junge Wege in Europa“ aus.<br />
Besuch und Gegenbesuch, gemeinsame Projekte sind die Schritte, mit denen Schüler- und Jugendgruppen<br />
aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa sich kennen lernen, Vorurteile abbauen und interkulturelle<br />
Kommunikationsfähigkeit erwerben.<br />
Durch die Beschäftigung mit Sprache und Kultur des Partnerlandes bereiten sich die Teilnehmer auf<br />
die Begegnungen vor. Die Projektideen werden von den Jugendlichen gemeinsam erarbeitet, umgesetzt<br />
und öffentlich präsentiert. Unterstützung erfahren sie dabei von Lehrern und Jugendgruppenleitern,<br />
aber auch von kommunalen und regionalen Institutionen.<br />
Die Jugendlichen beschäftigen sich mit Themen, die Alltagserfahrungen und Erwartungen in einem<br />
zusammenwachsenden Europa widerspiegeln: Sie vergleichen Kulturen und Lebensweisen der<br />
einzelnen Regionen, setzen sich mit der Geschichte ihrer Heimatländer auseinander, formulieren<br />
Wünsche und Perspektiven nach dem Ende der Schulzeit, betätigen sich als Umweltexperten auf<br />
lokaler Ebene oder realisieren gemeinsam künstlerische Projekte.<br />
In den bisherigen fünf Förderjahren wurden rund 450 Projektpartnerschaften gefördert, dabei waren<br />
die Länder Polen, Russland und Tschechien am häufigsten vertreten. Ab August 2003 nimmt der<br />
<strong>MitOst</strong> e.V. das Projekt „Junge Wege in Europa“ in seine Trägerschaft auf. Eine Broschüre mit bisherigen<br />
„Junge-Wege“-Projekten schickt die <strong>MitOst</strong>-Geschäftsstelle auf Wunsch gern zu.<br />
Völkerverständigung macht Schule – Praktikum in<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
Studierende und Absolventen geisteswissenschaftlicher Studienfächer können für drei oder sechs<br />
Monate Praxisluft an Schulen in Mittel- und Osteuropa schnuppern. Die Praktikanten hospitieren im<br />
Unterricht und sammeln dabei intensive Praxiserfahrungen, lernen das andere Land und seine<br />
Schüler kennen und initiieren Projekte, die Lust auf interkulturelles Lernen machen. Das Programm<br />
der Robert Bosch Stiftung wird in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Austauschdienst der<br />
Kultusministerkonferenz und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen durchgeführt.<br />
Katrin Peerenboom, ehemalige Stipendiatin von „Völkerverständigung macht Schule“:<br />
„Drei Monate Krakau, drei Monate Eintauchen in den dortigen Schulalltag, drei Monate Polen pur: In<br />
gleich zwei Gymnasien ergründete ich mit polnischen Schülern die Tiefen der deutschen Sprache.<br />
Schön war es in Krakau: die Begeisterung und Aufgeschlossenheit der polnischen Schüler für die<br />
deutsche Sprache und eine „neue Lehrerin“ zu erleben, die unzähligen Sagen und Legenden erzählt<br />
zu bekommen, die sich um Krakau ranken, polnische Traditionen kennen zu lernen. Zu kurz war die<br />
Zeit dort - ein Grund mehr, bald wieder einmal zurückzukehren!“<br />
Kulturmanager – Junge Fachkräfte für<br />
internationales Kulturmanagement<br />
www.bosch-stiftung.de<br />
Die Kulturmanager werden als Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung für zwei bis drei Jahre an<br />
Bildungs- und Kulturinstitutionen in Mittel– und Osteuropa eingesetzt. Sie sind in Zusammenarbeit mit<br />
den örtlichen Verantwortlichen für die Konzeption und Organisation des Kultur- und Bildungsangebotes<br />
zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören die Vernetzung der Institution mit weiteren Kultur- und<br />
Bildungseinrichtungen, Fund Raising, Öffentlichkeitsarbeit und die konzeptionelle Weiterentwicklung<br />
der Gastinstitution. Darüber hinaus bilden sich die Kulturmanager im internationalen Kultur- und<br />
Bildungsmanagement fort und erlernen die Landessprache. Das Programm wird von der Robert Bosch<br />
Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, durchgeführt.<br />
www.bosch-stiftung.de<br />
und<br />
www.ifa.de/ium/dium_bosch.htm<br />
Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für<br />
internationale Aufgaben<br />
42<br />
www.tutorenprogramm.de<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
Internationales Sprachtutorenprogramm<br />
an Hochschulen in Deutschland<br />
Absolventen amerikanischer, französischer, polnischer, tschechischer und russischer Universitäten<br />
können für ein Studienjahr (10 Monate) als Tutoren in verschiedenen Städten Deutschlands leben.<br />
Sie unterrichten vor allem an Universitäten und Fachhochschulen. Zu ihren Aufgaben gehören<br />
Sprachkurse, Gesprächskreise über landeskundliche Themen sowie die Organisation von<br />
Veranstaltungen (z.B. Film- und Musikabende). Außerdem haben sie die Möglichkeit, eigene Projekte<br />
durchzuführen. Das Programm wird von der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem<br />
Deutschen Studentenwerk durchgeführt.<br />
Sergej Logwinow, 26, Wolgograd, Tutor in Marburg:<br />
„Als Teilnehmer des Tutorenprogrammes habe ich in Marburg die Reihe „Gegenwärtiger Film aus<br />
Russland“ organisiert, sowie ein ethnologisch- und musikwissenschaftliches Seminar „Unbekanntes<br />
Russland“ mit zwei Musikern aus Moskau. Immer populärer wird die regelmäßige russische Disco-<br />
Party, die auch Studenten anzieht, für die Russland bloß das graue und böse Bild darstellt, das so oft<br />
in der westlichen Presse zum Ausdruck kommt. Durch die rasanten russischen Rhythmen, traditionellen<br />
Gerichte und Getränke können die deutschen Studenten eine andere Seite der russischen<br />
Kultur und Mentalität erleben, die sich von den grauen Fernsehbildern oder den „ewig trauernden“<br />
Figuren der klassischen russischen Literatur unterscheidet.“<br />
Das Stiftungskolleg für internationale Aufgaben ist eins der Förderprogramme der Robert Bosch<br />
Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Als Ergebnis des Zusammenhaltes der ehemaligen<br />
Kollegiaten wurde im Mai 2000 eine eigene Alumni-Organisation gegründet, die auf den<br />
etwas sperrigen Namen „Ehemaligenvereinigung des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben“<br />
hört. Die Mitgliedschaft steht, anders als z.B. bei <strong>MitOst</strong>, nur Teilnehmern des Programms selbst<br />
offen. Mit rund 60 Mitgliedern sind etwas weniger als die Hälfte aller bisherigen Stipendiaten auch<br />
Mitglieder – kein schlechter Schnitt.<br />
Ziel ist es, etwas von dem Geist des Stiftungskollegs in die Zeit danach zu retten. Der<br />
Netzwerkgedanke steht als ganz praktisches Kalkül dabei im Vordergrund. Aber auch die Ausrichtung<br />
des Kollegs auf „internationale Aufgaben“ soll durch den Verein unterstützt werden. „Überzeugungstäter“<br />
aus einem genau definierten Interessengebiet finden sich hier nicht, eher eine bunt<br />
zusammengewürfelte Truppe, die vor allem aufgrund der Einzigartigkeit ihres Programms und ihrer<br />
Bindung an Robert Bosch Stiftung und Studienstiftung zusammenhalten.<br />
Neben jährlichen Ehemaligentreffen mit wechselndem Austragungsort organisiert der Verein<br />
Vorträge und Veranstaltungen. Im Herbst 2002 konnte mit einem hochkarätigem Kolloquium zur<br />
Zukunft der NATO auch ein interessiertes Fachpublikum angesprochen werden. Dauerprojekt ist die<br />
Förderung der deutsch-kasachischen Universität in Almaty. Gegründet wurde die Hochschule vor fünf<br />
Jahren von der ehemaligen Stipendiatin Ines Berger. Mit Hilfe des Vereins konnte dort die größte<br />
deutschsprachige Bibliothek in Zentralasien aufgebaut werden.<br />
vorstand@stiftungskolleg.de<br />
www.stiftungskolleg.org<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
43
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 44<br />
KOOPERATIONSPARTNER<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
Angebote, Ausschreibungen<br />
Berg heil!<br />
RÄTSEL/KOCHREZEPT<br />
projetsmitost@asbiens.org<br />
www.asbiens.org<br />
DPJW<br />
Büro Potsdam<br />
Postfach 60 05 16<br />
14405 Potsdam<br />
Tel.: 0049-0331-28479-0<br />
buero@dpjw.org<br />
Büro Warschau<br />
ul. Alzacka 18<br />
03-972 Warszawa<br />
Tel.: 0048-22-6162952<br />
biuro@pnwm.org<br />
ASBO - <strong>MitOst</strong> auf Französisch<br />
Der AsBoFoRob „Association des Boursiers de la Fondation Robert Bosch“, kurz ASBO genannt,<br />
wurde 2002 von ehemaligen französischen Tutoren, Lektoren und Journalisten von Austauschprogrammen<br />
der Robert Bosch Stiftung gegründet. Die Mitglieder des Vereins arbeiten an der Vertiefung<br />
der deutsch-französischen Beziehungen vor allem auf persönlicher Ebene. Das Engagement für mittel-<br />
und osteuropäische Länder ist dabei die gemeinsame Basis. Trilaterale Projekte werden in<br />
Zusammenarbeit mit dem <strong>MitOst</strong> e.V. verwirklicht. ASBO ist außerdem auch ein Alumniverein französischer<br />
Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung. Ziel ist es dabei, Kontakte zwischen gegenwärtigen<br />
und ehemaligen Stipendiaten zu schaffen, damit die Projekte und Programme effektiv realisiert werden<br />
und alle Beteiligten aktiv mitwirken können. Neue Stipendiaten werden mit den nötigen Tipps<br />
und Informationen versorgt.<br />
ASBO steht jedem offen, der sich im europäischen Raum engagieren möchte. Aufgrund der Partnerschaft<br />
zwischen <strong>MitOst</strong> und ASBO können Projekte von beiden Vereinen gemeinsam durchgeführt<br />
werden. Die von ASBO initiierten Vorhaben reichen von Unterrichtsprogrammen über Workshops bis<br />
hin zu besonderen Aktionen, die von anderen Institutionen nur schwer finanzierbar sind.<br />
Deutsch-polnisches Jugendwerk<br />
Die Organisation zur Förderung von Jugendkontakten zwischen den beiden Ländern schreibt verschiedene<br />
Projekte aus. Begegnungen zwischen Deutschen und Polen sollen helfen, bestehende<br />
Kontakte und das Verständnis für ein gemeinsames Europa zu entwickeln. Das DPJW ist jedoch nicht<br />
nur für Jugendaustausch zuständig, es unterstützt organisatorisch und finanziell diejenigen- als Hilfe<br />
zur Selbsthilfe -, die ein Projekt selber in die Hand nehmen. Dabei werden Erfahrungen von Partnerorganisationen<br />
weitergegeben. Veröffentlichungen, Seminare, Tagungen und Beratungen sind nur ein<br />
Ausschnitt der vielfältigen Unterstützung.<br />
Was wird gefördert?<br />
Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Polen, ggf. mit Beteiligung von Jugendlichen aus einem<br />
Drittland, Praktika, Fortbildungsveranstaltungen, Gedenkstättenfahrten, Publikationen, Medien usw.<br />
Wer kann einen Antrag stellen?<br />
Öffentliche und nichtöffentliche Organisationen, Initiativen (auch ohne den Status einer „juristischen Person“).<br />
Der deutsche und der polnische Partner planen die Begegnung gemeinsam und stellen einen „gemeinsamen<br />
Antrag“ auf finanzielle Förderung. Zweisprachige Formulare und Richtlinien gibt es in beiden Büros.<br />
Initiative OsteuropaStudierender Deutschland<br />
Dorothea Leonhardt, München<br />
Welcher Berg ist auf dem georgischen Kochbuch abgebildet? Auf diese Frage im vorhergehenden<br />
<strong>MitOst</strong>-Magazin bekamen wir zahlreiche Antworten. Es ist nicht, wie viele<br />
meinten – und was auch nahe liegen würde – der Kasbek, das Wahrzeichen Georgiens.<br />
Es ist auch nicht der Ararat, der Berg der Armenier, der ja immerhin noch in der Region<br />
wäre. Der Berg auf dem Buchtitel ist das Wahrzeichen der Schweiz – das Matterhorn!<br />
Warum der russische Verlag, der das georgische Kochbuch herausgegeben hat, ausgerechnet auf das Matterhorn<br />
kommt, lässt sich wahrscheinlich nur dadurch erklären, dass man einfach eine hübsche Bergansicht aus dem<br />
Internet genommen hat. Ob das nun ein Schweizer Berg ist oder eine Ansicht aus dem Kaukasus – merkt doch eh<br />
keiner! Einsender mit der richtigen Antwort erhielten das Buch „Taiga Blues“ von Alexander Ikonnikow. Wir gratulieren<br />
den Gewinnern an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich!<br />
Ein größeres Bild des Buches ist auch im Internet unter w ww.mitost.de zu sehen<br />
Piroggen mit Pilzfüllung<br />
Piroschki s gribami<br />
Dieses Mal wollen wir ein klassisches russisches Rezept vorstellen.<br />
Allerdings bereiten wir die Piroggen nicht mit einem aufwändigen<br />
Hefeteig, sondern mit einem Teig auf Sauerrahm-Basis zu. Die Piroggen<br />
schmecken warm am besten, eignen sich aber auch hervorragend fürs<br />
Party-Buffet.<br />
Zutaten<br />
Für den Teig:<br />
500 g Mehl<br />
250 g saure Sahne<br />
2 Esslöffel weiche Butter<br />
1 Teelöffel Zucker<br />
1 Päckchen Backpulver<br />
2 Eier<br />
Für die Füllung:<br />
1200 g Champignons oder<br />
Egerlinge<br />
1-2 Zwiebeln<br />
10 g getrocknete Steinpilze<br />
3 Esslöffel Butter<br />
6-8 Esslöffel saure Sahne<br />
1 Bund Petersilie<br />
Zubereitung<br />
1. Die getrockneten Steinpilze 1 Stunde in kaltem Wasser einweichen.<br />
2. Für den Teig Mehl in eine Schüssel geben und eine Vertiefung eindrücken.<br />
Die saure Sahne, Butter, Zucker, Salz und Backpulver hineingeben.<br />
1 Ei trennen. Das Eiweiß mit dem 2. Ei zugeben (Das Eigelb<br />
beiseite stellen). Alles zu einem Teig kneten. Teig zu einer Kugel formen<br />
und 30 Minuten kühl stellen.<br />
3. Für die Füllung Zwiebel fein hacken, Champignons putzen und fein<br />
schneiden. Butter erhitzen, Zwiebel kurz anbraten, Champignons<br />
zugeben und ca. 5 Minuten mitdünsten. Getrocknete Steinpilze durch<br />
ein feines Sieb geben, die Flüssigkeit auffangen. Steinpilze und aufgefangene<br />
Flüssigkeit zu den Champignons geben, in der offenen<br />
Pfanne dünsten, bis die Flüssigkeit verdampft ist, mit Salz und Pfeffer<br />
kräftig abschmecken. Zum Schluss saure Sahne und Petersilie zugeben<br />
(nicht mehr kochen).<br />
4. Teig ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Jeweils etwas<br />
Füllung in die Mitte geben und den Teig so zusammenklappen, dass<br />
ein Oval entsteht. Backblech einfetten und mit Mehl bestäuben. Piroggen<br />
mit der Naht nach unten in kleinen Abständen darauf verteilen.<br />
Die Lage der Osteuropaforschung ist prekär, Forschung und Lehre in Deutschland lassen zu wünschen<br />
übrig. Verschiedene Bildungseinrichtungen wurden geschlossen oder stehen kurz davor.<br />
Wer sind wir?<br />
Wir sind Studierende und Graduierte von osteuropabezogenen Studienrichtungen aus ganz Deutschland,<br />
denen der Erhalt und die Qualität der Hochschulausbildung in ihren Fachbereichen am Herzen liegt.<br />
Was wollen wir?<br />
Wir wollen, dass Osteuropaforschung und -lehre auf dem bisherigen hohen Niveau bestehen bleibt.<br />
Wir wollen die Ausbildung qualifizierter Kräfte auch in Zukunft gesichert sehen. Wir wollen nicht, dass<br />
unsere Fachrichtungen von der Landkarte verschwinden. Wir wollen zwar keine Exoten werden, uns aber<br />
durchaus mit Exotischem beschäftigen dürfen. Gleichzeitig wollen wir eine breitere Öffentlichkeit für<br />
osteuropäische Themen interessieren.<br />
Was haben wir bereits getan?<br />
Wir haben Entscheidungsträger auf die Problematik der osteuropabezogenen Fächer aufmerksam gemacht.<br />
Neben der Gründung eines bundesweiten Verbandes und mehreren Regionalinitiativen wurde<br />
eine Informations- und Austauschbörse im Internet sowie eine Anlaufstelle für studentische Belange in den<br />
mit Osteuropa beschäftigten Fächern eingerichtet.<br />
Was werden wir noch tun?<br />
Wir werden Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien eigene Modelle und Reformvorschläge anbieten.<br />
Um den Studierenden unserer Fächer ein Forum zu sein, werden wir wissenschaftliche und hochschulpolitische<br />
Veranstaltungen organisieren, die uns auch als Kommunikationsplattform nach außen<br />
dienen werden. Wir werden dafür sorgen, dass jede noch so kleine Sparmaßnahme am nächsten Tag<br />
bundesweit bekannt wird.<br />
5. Backofen auf 200° C vorheizen. Das Eigelb verquirlen, Piroggen damit<br />
einpinseln, auf der mittleren Schiene ca. 15 Minuten backen.<br />
✂<br />
IOS (e.V.) Initiative<br />
OsteuropaStudierender Deutschland<br />
Postfach 121123<br />
10605 Berlin<br />
Tel.: 0049-30-450 86 715<br />
info@ios-netz.de<br />
www.ios-netz.de<br />
44<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> e.V. – Mitgliedsantrag<br />
Anrede (Herr, Frau, evtl. Titel)<br />
Vorname, Name<br />
Straße, Hausnummer<br />
E-Mail<br />
Land, Postleitzahl, Ort<br />
Telefon mit internationaler Vorwahl<br />
Geburtsdatum<br />
Staatsangehörigkeit<br />
Bitte ankreuzen:<br />
Ich weiß, dass die Verkehrssprache bei <strong>MitOst</strong> e.V. Deutsch ist und versichere, dass<br />
meine Deutschkenntnisse ausreichen, um vereinsinternen Informationen und<br />
Diskussionen folgen zu können.<br />
Ich bin/war Stipendiatin/Stipendiat der Robert Bosch Stiftung, und zwar im<br />
Programm:<br />
(bitte den Namen des Programms angeben)<br />
Ich bin bei folgender Institution/in folgendem Programm tätig (Angabe freiwillig):<br />
Beitrag<br />
Bitte den entsprechenden jährlichen Mitgliedsbeitrag ankreuzen<br />
(entscheidend ist nicht der Wohnort, sondern die Staatsangehörigkeit):<br />
Organisationen und Institutionen in der EU und der Schweiz mind. € 60<br />
Mitglieder in der EU und der Schweiz mit festem Einkommen € 38<br />
Mitglieder in der EU und der Schweiz ohne festes Einkommen € 20<br />
Organisationen und Institutionen östlich der EU mind. € 25<br />
Mitglieder östlich der EU mit festem Einkommen € 20<br />
Mitglieder östlich der EU ohne festes Einkommen € 7<br />
In begründeten Einzelfällen kann auf schriftlichen Antrag an<br />
vorstand@mitost.de eine Reduzierung des Mitgliedsbeitrags auf 5 € gewährt<br />
werden.<br />
Datum, Unterschrift<br />
Da Auslandsüberweisungen sehr teuer sind, können Mitglieder außerhalb<br />
Deutschlands sich unter laendervertreter@mitost.de darüber informieren,<br />
wie und an wen sie ihren Beitrag im jeweiligen Land bezahlen können.
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 46<br />
LEKTORENPROGRAMME<br />
In Zusammenarbeit von<br />
<strong>MitOst</strong> e.V., den<br />
Lektorenprogrammen und<br />
dem Theodor-Heuss-Kolleg<br />
der Robert Bosch Stiftung<br />
Europa machen!<br />
Praxishandbuch für ehrenamtliche Projekte<br />
und Initiativen<br />
Vorschau auf die nächste Ausgabe<br />
des <strong>MitOst</strong>-Magazins<br />
(erscheint im Herbst 2003):<br />
✂<br />
Wie wird aus einer visionären Idee ein konkretes Projekt? Wie erstellt<br />
man einen Kostenplan, verfasst eine Presseerklärung? Welche Wege<br />
gibt es im Dschungel von Visabestimmungen und Antragsformularen?<br />
Zahlreiche Projektleiter aus den deutschsprachigen Ländern und MOE<br />
geben in diesem Praxishandbuch ihre Erfahrungen weiter.<br />
- Projektmanagement von A wie Antragsteller bis Z wie<br />
Zuwendungsbestätigung<br />
- Praxistipps für Einsteiger und Fortgeschrittene<br />
- mit vielen Beispielen, Checklisten und Kopiervorlagen<br />
- aus dem Erfahrungsschatz jahrelanger interkultureller Projektarbeit<br />
Bestellung<br />
zum Preis von 15 EUR pro Exemplar zzgl. Versandkosten bei:<br />
<strong>MitOst</strong>-Geschäftsstelle, Schillerstr. 57, D - 10625 Berlin<br />
Tel.: +49 - (0)30 – 31 51 74 70<br />
geschaeftsstelle@mitost.de<br />
Schwerpunkt der nächsten Ausgabe ist der Auslandsaufenthalt –<br />
ein Thema, das die meisten <strong>MitOst</strong>ler betrifft, schließlich waren bzw.<br />
sind viele hüben oder drüben. Wir wollen uns dabei u.a. mit folgenden<br />
Fragen beschäftigen: Studienaufenthalt im Ausland – was bringt’s?<br />
Warum als Lektor ins Ausland gehen? Auswandern – ja oder nein?<br />
Heimweh – ist es zu Hause doch am schönsten? Wieder zurück –<br />
fremd im trauten Heim?<br />
Beiträge, Vorschläge, Lesermeinungen und Fotos bitte an:<br />
magazin@mitost.de oder per Post an die Geschäftsstelle.<br />
Wir möchten an dieser Stelle die Projektleiter dringend bitten, uns<br />
rechtzeitig interessante Materialien zu den Projekten zu schicken.<br />
magazin@mitost.de<br />
Wegweiser zu neuen<br />
Märkten<br />
kostenloses Probeheft<br />
Senden Sie Ihre Rückantwort bitte an:<br />
OST-WEST-CONTACT, Regenskamp 18, D-48157 Münster<br />
Tel.: 0251 - 92 43 09-0, E-Mail: abo@owc.de<br />
OST-WEST<br />
CONTACT<br />
Das Wirtschaftsmagazin für<br />
OST-WEST-KOOPERATION<br />
Bankeinzug<br />
Mitglieder aus Deutschland bitten wir, uns aus Kosten- und Organisationsgründen<br />
folgende (jederzeit widerrufbare) Einzugsermächtigung zu erteilen.<br />
Fax-Nummer 0251 –92 43 09-99<br />
Ja, schicken Sie mir bitte<br />
ein kostenloses Probeexemplar der Wirtschaftszeitschrift<br />
OST-WEST-CONTACT und Ost-Ausschuss-Informationen<br />
die Anzeigenpreisliste<br />
Ich erteile dem <strong>MitOst</strong> e.V. ab sofort bis auf Widerruf die Berechtigung<br />
zum Einzug meines jährlichen Mitgliedsbeitrags von meinem Konto bei der<br />
<strong>MitOst</strong> e.V.<br />
Firma<br />
Abteilung<br />
Bank, Ort<br />
BLZ<br />
Kontonummer<br />
Geschäftsstelle<br />
Schillerstraße 57<br />
D -10627 Berlin<br />
Herr/Frau<br />
Straße<br />
PLZ Ort<br />
www.owc.de<br />
Kontoinhaber/-in<br />
Telefon Fax e-mail<br />
Datum, Unterschrift<br />
Datum Unterschrift<br />
OWC Verlag für Außenwirtschaft GmbH
MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:56 Uhr Seite 48<br />
Gintaras Grajauskas<br />
Der Lyriker Gintaras Grajauskas wurde1966 geboren. Er studierte Jazz am Konservatorium<br />
Klaipeda und ist seit 1994 Literaturredakteur bei der Tageszeitung „Klaipeda“. Daneben ist er Sänger<br />
und Bassgitarrist der Jazzband „Rokfeleriai“. Bisher sind von Grajauskas vier Gedichtbände<br />
erschienen. Seine Gedichte wurden ins Englische, Deutsche, Schwedische und Polnische übersetzt<br />
Die Gedichte wurden im Rahmen des <strong>MitOst</strong>-Workshops<br />
„Übersetzen litauischer Kurzprosa“ ins Deutsche übertragen. Der<br />
Workshop fand vom 19. bis 25. Mai 2002 in Nidda/Litauen statt.<br />
herzlich<br />
wenn wir tatsächlich herzlich wären<br />
würden wir nicht länger von herzlichkeit reden<br />
im allgemeinen würden wir weniger reden<br />
oder ganz schweigen<br />
wenn wir tatsächlich herzlich wären,<br />
würden wir sagen: „unherzliches beileid“<br />
oder „mit unherzlichen grüßen“.<br />
„unherzlich Ihr –<br />
Grajauskas“<br />
im allgemeinen würden wir viel weniger reden<br />
lakonisch<br />
würden wir nicht fragen: wie lebt es sich, wie geht’s?<br />
würden geradeaus fragen, wie steht’s mit dem sterben?<br />
und herzlich antworten: danke, gut.