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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 18<br />
THEMA<br />
Undercover-Theologe in Polen<br />
Andreas Prokopf,<br />
Studium der Publizistik und kath. Theologe, seit 2002 Boschlektor in Chelm<br />
Logo: Boris Bartels, dreimarketing GmbH<br />
Land und Liebe<br />
Holger Schnelle, freier Autor und Journalist, München<br />
Fotos: Sören Urbansky<br />
THEMA<br />
Während meines Lektorats für deutsche Landeskunde in Chelm (Ostpolen) merkte ich bald,<br />
dass ich den Schülern Deutschland am besten über für mich vertrautes Terrain, die Religion,<br />
nahe bringen konnte: die (Ab)-Gründe und Konsequenzen des Calvinismus für Schwaben und<br />
Norddeutschland, die deutsche Vorliebe dezentraler Regierungsformen, die Folge eines nachreformatorischen<br />
„cuius regio, eius religio“ 1<br />
war, und die religiös-kultischen Wurzeln des (katholischen)<br />
Karnevals im Gegensatz zur protestantischen Verstandesbezogenheit. Diese Themen<br />
weckten bei den Lernenden Interesse: Neu für die Schüler war, dass so viel Pluralität aus einer<br />
religiösen Quelle entsprang. Dies wurde interessiert, aber auch mit gewissen Vorbehalten<br />
angenommen; kannte man doch bisher nur das Christentum in der polnisch-katholischen<br />
Variante, die im Lande kein Konkurrenzmodell hat – die Kirche gilt als Autorität. Den Schülern<br />
hat diese neue Sichtweise geholfen, die Vielfalt deutscher Mentalitäten anhand der unterschiedlichen<br />
konfessionellen Herkunft zu begreifen.<br />
Neben meiner Tätigkeit in Chelm hatte ich Gelegenheit, einen Gastvortrag an der Hochschule der<br />
Jesuiten in Krakau (Ignacianum) zu halten. Die Vorträge begannen mit einer für mich ‚befremdlichen’<br />
Zeremonie: einem Gebet. Mir als deutschem Theologen war dies beinahe unheimlich, ich fühlte mich<br />
in meiner Privatsphäre belangt.<br />
Wisla Kraków hatte gerade Schalke 04 im Ruhrpott 4:1 abgefertigt, und ich nahm das zum Anlass,<br />
über kultanaloges Verhalten von Fußballfans zu ‚dozieren’: Ein Blick in die wöchentliche Sportpresse<br />
zeigt, wie eng die Bande des Fußballsportes zu den rituell-religiösen Wurzeln geknüpft sind:<br />
„[...] das Unglaubliche geschieht. Der gütige Himmel schenkt dem Tabellenletzten Mainz 05 zwei<br />
Tore. Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich ein Leben nach dem Tod beim FSV Mainz 05 an“.<br />
Hier, fasste ich zusammen, wird Stoff tradiert, den die Fans in ihren Lebensvollzug aufnehmen, hier<br />
geschieht die schriftlich fixierte Überhöhung des Fußballgeschehens. Oft ist die Rede von einem<br />
„Fußballgott“, nicht selten wird ein Tor in die Form einer legendenhaften Wundererzählung gebracht,<br />
einzelne Spieler erhalten eine bestimmte Rolle in der Heilsdramaturgie der Fußballwelt. Das kultische<br />
Ausagieren all dieser Affekte müsste die Fans meiner Meinung nach viel interessanter für die<br />
Kirche machen, denn sie sind bereits eine spielende Gemeinde.<br />
Nach dem Vortrag gab es verhaltenen Beifall. Dann die ersten Rückfragen: Ist das nicht ein wenig<br />
übertrieben, Fußballfans und deren offensichtlich sinnloses Verhalten so überzuinterpretieren? Ich<br />
antwortete, dass ich nur beobachtet hätte, wo Kult und Ritus im deutschen Alltag vorkommen. Ich<br />
wies darauf hin, dass sich nur noch eine Minderheit in der jungen Generation in Deutschland zur<br />
Kirche bekenne und man deshalb die Religion da wahrnehmen müsse, wo sie auftauchte. Nein,<br />
schallte es mir entgegen, Evangelisation und Nachfolge Christi seien zu lehren, man dürfe sich nicht<br />
der ‚Welt’ und ihrem Konsumzwang aussetzen. Ich fragte nach, ob nicht Christus genau in diese Welt<br />
hineingeboren wurde? Es kam zurück, dass er sich aber nicht mit der ‚Welt’ identifiziert habe. Ich hielt<br />
zum Besten, dass er sein Leben aber mit gesellschaftlich randständigen Menschen verbrachte und<br />
diese zu verstehen suchte. Nein, lautete der Konter, er sei ein Menschenfischer gewesen und habe<br />
die Menschen von ihren Götzen befreit.<br />
Einer der ersten Kommentare meiner damals zukünftigen slowenischen Schwiegermutter zu<br />
mir, ihrem deutschen Schwiegersohn, war, dass ein Verhältnis zwischen zwei Menschen aus<br />
unterschiedlichen Ländern, aus rund 800 Autobahn-Kilometer voneinander entfernt liegenden<br />
Geburtsorten, nicht funktionieren könne; warum also überhaupt damit anfangen. Nach zehn<br />
Jahren deutsch-slowenischer Partnerschaft bzw. Ehe mussten wir feststellen, dass 800 Kilometer<br />
tatsächlich zuviel waren. Um mit Elisabeth Beck-Gernsheim zu sprechen: „Die traditionellen<br />
Bindungen der vormodernen Gesellschaft lösen sich zunehmend auf (...) , der Lebenslauf<br />
wird an vielen Punkten offener und gestaltbarer. (...) Das gemeinsame Fundament muss<br />
immer mehr von den beiden Personen individuell hergestellt werden. Dies wird um so<br />
schwieriger, je ferner die Welten sind, aus denen sie kommen.” 1<br />
Wo liegen die Unterschiede? Mein Schwiegervater protestierte, als ich Slowenien als „agrarisch<br />
geprägten Staat” bezeichnete, dessen Einwohner infolgedessen traditionelleren Lebensformen verhaftet<br />
sind, als dies im deutschen Durchschnitt üblich ist. Tatsächlich weist selbst das CIA Fact Book<br />
Slowenien als „starke Wirtschaft” aus. Dennoch kommen auf jeden Slowenen rein rechnerisch<br />
10.000 Quadratmeter Heimatland. In Deutschland bleiben jedem Einwohner 4.300 Quadratmeter; in<br />
Großstädten viel weniger. Ein Stückchen Land zu bestellen spielt in Slowenien eine andere Rolle als<br />
in Deutschland. Allein der Balkon meiner Schwiegermutter – ein geduckter Betonrahmen in einem<br />
70er-Jahre-Block in München – legt dafür beredtes Zeugnis ab. Aus den Früchten, die sie diesen<br />
knappen zweieinhalb Quadratmetern abringt, ließen sich viele Mittagessen bestreiten. Mein Opa<br />
hatte einen Reihenhausgarten – die einzige Nutzpflanze war ein Büschel Schnittlauch, von dem<br />
meine Oma hin und wieder etwas in die Suppe schnitt.<br />
Meine Frau verbrachte ihre Kindheit zu einem Gutteil bei einer Tante auf dem großväterlichen Hof.<br />
Der Hof wurde nie richtig gewerblich genutzt: Opa, Onkel und Tante lebten von ihren Gehältern als<br />
Angestellte bzw. von der Rente. Doch die Zeit nach Feierabend ging ganz in die Bewirtschaftung der<br />
Felder und Tiere. Solange ich denken kann, verbrachte mein Vater seine komplette Zeit im Betrieb;<br />
meine Mutter später dann ihre im Büro. Für eine Art Arbeit auf irgendwelchen Feldern noch so klein hätte<br />
keiner Zeit gehabt. Man arbeitete mit ganzer Kraft am Wirtschaftswunder, nicht an der heimischen Krumme.<br />
So unterschiedlich das Verhältnis zum Land, so unterschiedlich sind auch die Familienverhältnisse:<br />
Als wir unsere älteste Tochter in Lubljana taufen ließen, war die slowenische Verwandtschaft zahlreich<br />
erschienen. Von meiner Seite vertrat nur meine Mutter die Familie. Nach der Feier wurden alle in<br />
Autos verfrachtet und eine Tante irgendwo auf dem Land besucht. Es ist leicht, bei jemandem auf<br />
einen Sprung oder ein Glas selbstgemachten Wein vorbeizuschauen.<br />
Meine Frau fand es immer sehr bemerkenswert, wie lose sich in meiner Familie der Kontakt gestaltet.<br />
Ich telefoniere mit meinem Bruder vier Mal im Jahr, obwohl ich sagen würde, dass wir ein gutes<br />
Verhältnis haben. Meine Frau telefoniert mit ihrer Mutter fast täglich, obwohl auch sie selbst sagen<br />
würde, dass ihr Verhältnis mindestens schwierig ist. In Ihren Gesprächen wimmelt es nur so von<br />
Cousinen, Nichten, Onkeln, Großtanten und weitläufigen Bekannten, deren Eltern irgendein Verwandter<br />
schon lange kennt. Ich selbst habe schon Schwierigkeiten mir zu merken, wie man das verwandtschaftliche<br />
Verhältnis nennt, in dem ich zu den Söhnen meiner Schwester stehe.<br />
Abends traf ich mich dann mit Studenten anderer Fachrichtungen: Wieder kam das Thema Kirche auf,<br />
und nun machte sich eine antiklerikale Haltung breit, die ich nach meinem Erlebnis bei den Jesuiten<br />
nicht erwartet hätte: Der ständige Zwang zum Kirchgang, die unreflektierten Moralhämmer aus dem<br />
klerikalen Lager gegen jugendliche Befreiungsversuche, die Sinnleere moralisierender Predigten<br />
ungebildeter Priester: Auch diese Stimmen gibt es in Polen.<br />
1 „Wessen das Land, dessen ist die Religion“ (Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens 1555, nach dem der<br />
So wie mein Schwiegervater mit dem Verlauf der Ereignisse und unserer bevorstehenden Scheidung<br />
hadert, so haben sich meine Eltern schnell mit den praktischen Konsequenzen unserer Trennung<br />
befasst. Sie selbst haben sich scheiden lassen und nichts anderes vorgelebt. Dort, wo meine<br />
Schwiegereltern am Maßstab eines tradierten Lebensmodells noch eine gewisse Empörung spüren,<br />
sehen meine Eltern nur die Brüche in ihren eigenen Biographien. Kein Wunder, meine Eltern hatten<br />
nie einen Garten.<br />
Landesfürst die Konfession der Untertanen bestimmte) 1 Beck/Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, Suhrkamp, S. 73 und 114<br />
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<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
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