MitOstmagazin - MitOst e.V.
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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 8<br />
PROJEKTE 2002<br />
Hoch der Diskurs! –<br />
Jan Patocka und die Idee von Europa.<br />
<strong>MitOst</strong>-Editionen: 2. Band<br />
Buchmacher in der Sommerfrische<br />
Anton Rauch<br />
Radiojournalist, Studium der slawischen Philologie und Geschichte Osteuropas, München<br />
Monika Bukantaite,<br />
22, Studentin für Germanistik und Lituanistik, Kaunas/Litauen<br />
Fotos: Michael Klees<br />
Jan Patocka<br />
Foto: © Center for Phenomenological<br />
Research, Prag<br />
PROJEKTINFO:<br />
Jan Patocka und die Idee von Europa<br />
hrsg. von Armin Homp und Markus<br />
Sedlaczek, erschienen bei <strong>MitOst</strong> e.V.,<br />
Berlin 2003, <strong>MitOst</strong>-Editionen 2,<br />
ISBN 3-9808083-1-9<br />
Der hier besprochene zweite Band<br />
der <strong>MitOst</strong>-Editionen entstand im<br />
Anschluss an das Forum Philosophie, das<br />
unter dem Titel „Jan Patočka und die<br />
Idee ‘Europa’“ vom 26. bis 29. September<br />
2002 an der Europa-Universität Viadrina<br />
in Frankfurt/Oder und dem Collegium<br />
Polonicum in Slubice statt fand.<br />
Der Band ist für 2,50 EUR (zuzügl. Porto)<br />
zu beziehen bei: Geschäftsstelle des<br />
<strong>MitOst</strong> e.V., Schillerstraße 57, D-10627<br />
Berlin,<br />
geschaeftsstelle@mitost.de<br />
8 <strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
„Nur wenn eine Mentalität ausgebildet wird, welche alle Traditionalitäten als Glieder einer notwendig<br />
einseitigen, immer endlichen Enthüllung des Seins des Ganzen zu fassen fähig ist, wird den Gefahren<br />
der Ideologisierung der verhärteten Traditionsmassen im Zeitalter der Giganten, welche die neue<br />
Epoche gestalten werden, entgegengearbeitet werden können, in einem entsprechend planetarischen,<br />
wirklich menschlichen Geist.“ Nur so, schreibt Jan Patocka, könne eine Gesinnung ausgebildet<br />
werden, die das Problem der nacheuropäischen Menschheit zu lösen imstande ist. Patocka fordert<br />
die „offene Seele“ und bewährt sich dadurch als der <strong>MitOst</strong>-Philosoph schlechthin.<br />
Die „nacheuropäische Epoche“ war zu Patockas Zeit vom Ost-West-Konflikt gekennzeichnet, inzwischen<br />
ist die bipolare Welt längst abgelöst durch eine Epoche, in deren Vordergrund die weltweit<br />
agierende Handlungsmacht USA in einer (teil)globalisierten Welt steht. Das spezifisch europäische<br />
Erbe, das sich aus klassischer Antike (attischer polis) und (weströmischem) Christentum speist, hat<br />
machtpolitisch und militärisch sein Gewicht verloren. Selbstbewusstsein gewinnen können die Europäer<br />
jedoch durch andere Werte, zum Beispiel durch ihre Diskussionskultur, durch die Fähigkeit, alles<br />
radikal in Frage zu stellen und Solidarität zu üben, wie Patocka schreibt.<br />
So unterschiedlich wie im Band 2 der <strong>MitOst</strong>-Editionen könnten die Aufsätze zur Idee Europas kaum<br />
sein. Die kluge Einleitung von Markus Sedlaczek umreißt den Bogen, den die Autoren von Chvatík<br />
bis Wassiljew schlagen.<br />
Ludger Hagedorn macht das Wirken Patockas über die Charta 77 und seinen Einfluss auf Václav Havel<br />
in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings deutlich. Fruchtbar ist auch der Vergleich<br />
Hagedorns zwischen dem skeptischen Dissidenten und dem polnischen Mazowiecki: Während<br />
Patocka auf eine radikale Fragwürdigkeit setzt, hält Mazowiecki am Christentum als dem spezifischen<br />
Wert Europas fest.<br />
Gerade die ketzerische Haltung des Philosophen erläutert der bekannte Prager Patocka-Interpret Ivan<br />
Chvatík: Was laut Patocka vom Menschen erwartet wird, „ist nicht Glaube, sondern Einsicht.“<br />
Andrei Laurukhin aus Minsk beschreibt in einer phänomenologischen Analyse, wie schwer sich Demokratie<br />
in einer anders gearteten Lebenswelt durchsetzt, denn „formal importierte Demokratie bleibt<br />
leblos, weil sie eben nicht ihre kulturelle Lebenswelt mitbringt [...], wird sie rein formal imitiert.“<br />
Die Philosophie Danilewskijs greift Gennadij Wassiljew auf. Dieser russische Denker hat die klassische<br />
Frage, ob Russland denn nun zu Europa gehöre oder nicht, so klar verneint wie kaum ein<br />
Slawophiler danach. Es habe „weder Anteil am europäischen Guten noch am europäischen Bösen“,<br />
behauptete Danilewskij und hat es damit mehr als 100 Jahre nach seinem Tod in die Hirne der russischen<br />
Rotbraunen geschafft. Wie diese sein Denken für ihre chauvinistische Sache nutzen, legt Julian<br />
Pänke dar, wobei er Belege für das Übergewicht des gemeinsamen Erbes Russlands und Europas<br />
liefert.<br />
Fazit: Für den wenig mit philosophischen Texten vertrauten Leser sind manche der Artikel<br />
hartes Brot. Aber wie beim Brot entfaltet sich auch hier die Süße der Lektüre nach einigem<br />
Kauen. Das von Armin Homp und Markus Sedlaczek herausgegebene Bändchen bringt viel<br />
Neues und genügend Stoff, über Altes nachzudenken. Die 2,50 EUR Schutzgebühr für den im<br />
Marlboro-Design erschienenen 2. Band der <strong>MitOst</strong>-Editionen sind also in jedem Fall besser<br />
angelegt als in einer Schachtel Billigzigaretten.<br />
Alles hat seinen Anfang, so auch diese Geschichte. Im Frühling<br />
2002 wurde bei uns an der Universität Kaunas Werbung für den<br />
zweiten <strong>MitOst</strong>-Verlagsworkshop gemacht. Ich habe mir die Ausschreibung<br />
gründlich angesehen und entdeckt, dass mich das<br />
Thema sehr interessiert und dass es nicht schaden könnte, auch<br />
im Sommer was fürs Köpfchen zu tun.<br />
Der August ließ nicht lange auf sich warten. Um die Reise angenehm und günstig zu machen, wurde<br />
ein Minibus gemietet. Wir alle aus Litauen waren sehr gespannt auf das, was uns in Gießen erwartet,<br />
denn der Workshop sollte ja international sein, was bedeutet, dass wir mit Studenten anderer<br />
Nationalitäten zusammentreffen würden. Gute Verhältnisse und Austausch sind nicht ganz unwichtig, besonders<br />
jetzt, wenn wir alle der EU beitreten und in Zukunft ein Teil des vereinigten Europas sein wollen.<br />
In Gießen waren wir bereit, alles aufzunehmen, was uns angeboten wurde. Ich selber fand das<br />
Programm sehr gut, weil man vieles praktisch sehen und erarbeiten konnte. Die Übungen reichten<br />
von wissenschaftlicher Textproduktion über die Grundlagen des Textlektorats bis hin zur Erstellung<br />
satzfertiger Dateien am Computer. Außer den praktischen Übungen erhielten wir auch Einführungen<br />
in die Geschichte und den derzeitigen Stand des Verlags- und Pressewesens in Deutschland, in das<br />
Autoren- und Verlagsrecht sowie die Buchpreisbindung. Als Höhepunkte würde ich aber die Besuche<br />
beim S. Fischer Verlag und bei der Gießener Allgemeinen Zeitung hervorheben. Ich selber fand toll,<br />
dass alle sehr freundlich und voller Geduld auf alle unsere Fragen geantwortet haben, zum Beispiel,<br />
wie eine Zeitung heutzutage entsteht und wie es früher gemacht wurde, als die Computer noch nicht<br />
da waren.<br />
Fast genauso wichtig war das Freizeitprogramm: eine Wanderung zum Schiffenberg mit altem Kloster<br />
in schöner Natur, Besichtigungen in Lich und Frankfurt am Main. Was mir auch noch sehr gefallen<br />
hat, waren die gemeinsamen Abendessen. Da hatte man die beste Gelegenheit, mit Professoren,<br />
Lektoren und Studenten zu reden, zu diskutieren und sich auszutauschen.<br />
Das Spektrum der Teilnehmer war breit: Litauer, Polen, Slowaken, Rumänen und Weißrussen. Trotz<br />
ähnlicher Vergangenheit haben sich die Länder auf unterschiedliche Weise entwickelt. Und so sind<br />
während des Workshops zwei große Fraktionen entstanden: die litauische und die polnische. Wir hatten<br />
nur einen männlichen Teilnehmer, welcher sich als Hahn im Korb fühlte, aber wenn man ein<br />
gemeinsames Ziel hat, dann spielen die Nationalitäten eher eine Nebenrolle, und es ließ sich sogar<br />
mit dem Hahn arbeiten.<br />
Am letzten Abend erhielten wir Teilnahme-Zertifikate und so wurde der Abend sehr festlich und lang,<br />
da keiner wollte, dass der Workshop zu Ende geht.<br />
PROJEKTINFO:<br />
Der <strong>MitOst</strong>-Workshop zur Verlagsarbeit<br />
und Editionswissenschaft fand in Gießen<br />
vom 18. bis 24. August 2002 statt.<br />
22 Teilnehmer aus Litauen, Polen,<br />
Rumänien, Deutschland, Slowakei und<br />
Weißrussland sollten lernen, wie eine<br />
Publikation entsteht. Während des Workshops<br />
wurde durchgespielt, wie der Weg<br />
vom Text zum fertigen Produkt erfolgt.<br />
Außerdem erhielten die Teilnehmer Einblick<br />
in das deutsche Pressewesen anhand<br />
von Exkursionen. Der Workshop entstand<br />
in Zusammenarbeit mit der Justus-<br />
Liebig-Universität Gießen und dem<br />
Litblockín- Verlag, Fernwald bei Gießen<br />
Weitere Informationen:<br />
Michael Klees,<br />
klees@kaunas.omnitel.net