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MO NR.11|03_PDF VERSION 03.09.2003 12:55 Uhr Seite 34<br />
FEUILLETON<br />
Wenn du ganz allein bist...<br />
Das Jugendsorgentelefon in Rostow am Don ist oft die letzte Hilfe<br />
Lisa Borsenko und Anna Ermolenko, Journalistik-Studentinnen, Rostow am Don/Russland<br />
Es gibt Probleme, die man auch sehr nahe stehenden Menschen nur schwer mitteilen kann. Sie würden sie sowieso nicht verstehen,<br />
und Freunde lachen vielleicht nur über ernsthafte Sorgen. Zum Psychologen zu gehen wagt nicht jeder. Für manche ist<br />
ein anonymer Anruf das letzte Mittel. Das Rostower Jugendsorgentelefon existiert seit sieben Jahren und wird von der russischen<br />
nichtstaatlichen Stiftung „Humanitäre Initiativen“ getragen.<br />
Telefonnummer des Rostower<br />
Sorgentelefons für Jugendliche:<br />
+7 (8632) 40-39-38<br />
(Russisch)<br />
Foto: Arndt Lorenz<br />
Kinderplanet Georgien<br />
Jeder Anrufer hat das Bedürfnis, dass in seiner schwierigen Situation jemand wirklich<br />
zuhört und hilft. Dazu muss dieser Jemand feinfühlig und verständnisvoll sein. Manchmal<br />
reicht ein kurzes Gespräch am Telefon, manchmal hängt vom rechtzeitigen Rat das Schicksal<br />
des Hilfesuchenden ab.<br />
Die häufigsten Probleme bei Jugendlichen sind die Beziehungen zwischen den Geschlechtern.<br />
Mädchen rufen an, weil sich ihre Freunde für andere Mädchen interessieren.<br />
Oder es gibt Fälle, dass der Partner viel älter ist als das Mädchen und die Eltern deswegen<br />
gegen die Beziehung sind. Im schlimmsten Fall hat der Freund schon anderswo Frau und<br />
Kinder. Oder ein Junge interessiert sich für einen anderen Mann, was seine Umwelt nicht<br />
verstehen würde. Es gibt oft auch Anrufe von Jugendlichen nach dem Sinn des Lebens.<br />
Andere wiederum sind so verzweifelt, dass ihnen ein Selbstmord als das letzte Mittel<br />
erscheint. Mit diesem Problem müssen sich die Seelsorger etwa 20-40 Mal im Monat<br />
auseinandersetzen und schnell Hilfe anbieten.<br />
Die Arbeit beim Sorgentelefon ist ehrenamtlich. Jeder der fast 70 Berater leistet 6-12<br />
Stunden pro Woche Telefondienst. „Für mich ist es ein Ort, wo man mehr über Menschen<br />
und sich selbst erfahren kann. Die stärkste Motivation war, dass mich jemand braucht“, so<br />
eine der Mitarbeiterinnen, die sonst als Wirtschaftswissenschaftlerin tätig ist. Das Alter der<br />
Helfer ist begrenzt, zwischen 19 und 29 Jahre sollten sie sein, weil in diesem Alter die persönlichen<br />
Erinnerungen an die erste Liebe oder an Probleme mit den Eltern noch frisch<br />
sind. Eine große Schwierigkeit besteht darin , dass die Telefonleitung oft besetzt ist, weil es<br />
nur eine Verbindung gibt. Ein zusätzlicher Briefdienst ermöglicht die Kontaktaufnahme für<br />
Jugendliche, die kein Telefon zur Verfügung haben oder nicht anrufen können. Das Rostower<br />
Jugendsorgentelefon ist übrigens keine staatliche und natürlich erst recht keine kommerzielle<br />
Einrichtung, deshalb ist das Problem der Finanzierung immer aktuell.<br />
Die Erfahrung, die die Berater während ihrer Arbeit in Rostow machen, ist unschätzbar. Die<br />
Erlebnisse und Gefühle des Menschen waren und bleiben in allen Zeiten entscheidend auf<br />
dem Weg zu uns selbst. Das Sorgentelefon hilft allen, einander besser zu verstehen.<br />
Rusiko Nikolosischwili, Psychologin und Fotografie-Studentin, Tbilissi/Georgien<br />
Grenzen überwinden – Note für Note<br />
Victoria Owen, Studium der Kommunikationswissenschaften und Musik (Cello), Marketing<br />
Managerin, München<br />
Fotos: Martin Donner (oben), Victoria Owen (unten)<br />
Ein gleißender Augusttag – die Hitze lähmt die Bewegungen der Touristen, die vor dem<br />
Eszterházy Kastély in Fertöd in Ungarn auf Einlass warten. Plötzlich dringt eine Melodie<br />
von Bartók aus dem Gemäuer. Neugierige suchen nach ihrem Ursprung. Tief im Inneren<br />
des Schlosses, in einem unrenovierten Seitenflügel, würden sie eine überraschende<br />
Entdeckung machen: Probt dort doch ein vollständiges Sinfonie-Orchester! Jedes Jahr<br />
im Sommer trifft sich hier das Camerata Pannonica International Chamber Orchestra.<br />
Das Orchester besteht aus Amateur- und Profimusikern. Die meisten Musiker kommen aus<br />
West- und Osteuropa, aber einige nehmen die Reise aus Nordamerika und dem Südpazifik<br />
auf sich, um im Schloss 12 Tage voller Musik zu erleben. Der Aufenthalt im Eszterházy<br />
Kastély endet stets mit einem Konzert, das im wunderschönen Konzertsaal des Schlosses aufgeführt<br />
wird. Das Repertoire des Orchesters bezieht sich auf das historische und kulturelle<br />
Erbe der Region. Normalerweise werden einige Werke von Haydn gespielt, der 30 Jahre seines<br />
Musikerlebens in der Residenz Eszterházys verbrachte. Daneben stehen selbstverständlich<br />
die Werke der ungarischen Musiker Béla Bartók und Zoltán Kodály auf dem Programm,<br />
die beiden nahmen ungarische Volksmusik als Grundlage für ihre Werke.<br />
Das Camerata Pannonica International<br />
Chamber Orchestra wurde vor 12 Jahren von<br />
Dr. Martin Donner und dem Dirigenten Walter<br />
Kobéra gegründet. Die Teilnehmer – Amateurund<br />
Profimusiker – treffen sich jedes Jahr im<br />
Sommer im Eszterházy Kastély in Fertöd.<br />
Anfragen beantwortet Dr. Martin Donner<br />
(Tel.: +43-1-535-4443).<br />
Das Orchester ist offen, eine Teilnahme erfolgt<br />
auf Einladung und hängt jeweils von der<br />
Zusammensetzung des Orchesters ab.<br />
Diesjährige Konzerte:<br />
Donnerstag, den 7. August 2003 um 19:00,<br />
Kammermusik<br />
Sonntag, den 10 August um 11:00,<br />
Sinfonie-Konzert<br />
Reservierungen unter Tel.: +43-1-894-0614<br />
Für behinderte Kinder und Jugendliche wurde im Jahr 2000 in Tbilissi ein Zentrum für Rehabilitation gegründet: Die Kinder erhalten dort umfassende<br />
psychologische Betreuung, Rehabilitation und Sozialanpassung. Eine sehr wichtige Arbeit, denn für behinderte Kinder bestehen ansonsten in<br />
Georgien nur sehr wenige Angebote. Rund 20 Fachleute - Psychologen, Neurologen, Psychiater, Therapeuten und Sozialarbeiter - betreuen zwei<br />
Gruppen mit je 20 Kindern. Eine davon besteht aus Kindern von Flüchtlingsfamilien aus Abchasien, die vor allem durch den Bürgerkrieg traumatisiert<br />
sind und im Rehabilitationszentrum eine kostenfreie Behandlung erhalten. Die Fachleute wenden moderne Therapieformen an: Kunst-,<br />
Bewegungs-, Beschäftigungs- und Spieltherapie, Logopädie und Eurythmie.<br />
Das Zentrum wird ausschließlich privat betrieben und bekommt keinerlei Unterstützung von staatlicher Seite. Der Name „Kinderplanet“ geht auf die<br />
Grace-P.-Kelly-Stiftung zurück, die vor 30 Jahren von der Grünen-Politikerin Petra Kelly gegründet wurde. Diese Einrichtung fördert Projekte wie<br />
dieses in Georgien, um soziale Schutzräume zu schaffen, damit kranke Kinder mit ihren gesunden Geschwistern und Eltern am Ort ihrer Behandlung<br />
zusammen sein können. „Kinderplaneten“ gibt es u.a. in einem Rehabilitationszentrum in Halle/Saale oder in der Rehabilitationsklinik Schönwald/<br />
Schwarzwald. Gerade wird auch ein „Kinderplanet“ in Tibet aufgebaut.<br />
Spenden an „Sonderkonto Kinderplanet Georgien“, Sparkasse Pforzheim Calw, BLZ 60651070, Konto-Nummer 466950.<br />
Weitere Informationen: Rusiko Nikolosischwili (georgien_kinderplanet@gmx.de)<br />
Die Orchestermitglieder verbringen ihre Zeit mit festen Proben am Tag und spontanen<br />
Kammermusik-Spiel am Abend. Daneben genießen sie die schöne Landschaft, den Tokajer<br />
Wein, den Aprikosenlikör Barack und das deftige ungarische Essen. Alle Orchestermitglieder<br />
sind sich einig, dass die Gruppe ein besonderer Geist verbindet. „Man kann das schwer in<br />
Worten beschreiben“, sagt Fons Plansschaert, der Holländische Konzertmeister des<br />
Orchesters, „Gott sei Dank haben wir die Musik, so dass wir auch ohne Worte auskommen<br />
können.“ In jeder Hinsicht ein wichtiges Moment, denn bei so vielen Sprachen ist mit dem<br />
gesprochenen Wort oft nicht viel auszurichten. Was die Musiker verbindet, ist das Spiel, die<br />
Proben, die Konzerte, das Lampenfieber, der Applaus, die Fehlschläge und Erfolge. Nicht<br />
selten entstehen hier langjährige Freundschaften. Die Musiker von Camerata Pannonica<br />
nutzen die unvergleichbare Möglichkeit, Grenzen von Kultur und Sprache zu überwinden –<br />
Note für Note.<br />
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dorothea Leonhardt<br />
<strong>MitOst</strong> Nr. 11| Mai 2003<br />
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