0809_st8 bayern münchen.pdf - Karlsruher SC

16 | Der Gegner
Franz Beckenbauer: „Die Fußballgötter haben uns den Rücken zugekehrt!“
Bayern: Rotation ins Mittelmaß?
In den Nachschlagewerken des Welt -
fußballs hat sich in den zurückliegenden
Jahren ein neuer Fachbegriff etabliert:
Rotation. Von den einen verflucht, von
den anderen gelobt wird das Rota -
tionsprinzip. Es ist in vielerlei Hinsicht
eine Antwort auf die Härte des mo -
dernen Fußballs und auf den dicht gedrängten
Spielplan sowie ein Versuch,
mit stets frischen Spielern eine sieg -
reiche Mannschaft zu formen. Wenn es
gelingt, dieses Prinzip erfolgreich anzuwenden,
ist der sportliche Erfolg der
Mannschaft absehbar. Misslingt dies, ist
der Trainer der Dumme und wird von
den Medien öffentlich an den Pranger
gestellt. Heißt man dann auch noch
Jürgen Klinsmann und trainiert einen
der erfolgreichsten Clubs der Welt, ist
das Dilemma so gut wie perfekt.
Nach dem 1:0-Erfolg bei Steaua Bukarest
und dem einigermaßen schmei chel haf -
ten 1:1 zu Hause gegen Olympique Lyon
in der Champions League sowie den
peinlichen Auftritten gegen Bremen
(2:5), Hannover (0:1) und Bochum (3:3)
in der Bundesliga geistern täglich
Schlag zeilen wie „Klinsi rotiert Bayern in
die Krise“, „Bayern kommt nicht zur
Ruhe“ oder „Auf Schlingerkurs nach
Klinsmanns Rotation“ durch die Ga -
zetten und sorgen dafür, dass dem
Nachfolger von Ottmar Hitzfeld der Wind
bereits nach wenigen Wochen auf der
Bayern-Bank kräftig ins Gesicht bläst.
"So kann es nicht weitergehen", erklärte
jüngst Bayern-Manager Uli Hoeneß.
"Sonst wird der Abstand nach oben zu
groß." Schon seit Saisonbeginn klafft die
Schere zwischen Anspruch und Wirk -
lichkeit beim Meister und Pokalsieger
mächtig auseinander. Und so ist es nicht
verwunderlich, dass es hinter den
Mauern der Bayern-Geschäftsstelle an
der Säbener Straße nach dem schlech -
testen Saisonstart seit 31 Jahren kräftig
rumort. Klinsmann der den hohen
Erwartungen nach knapp viermonatiger
Amtszeit noch hinterher läuft, überraschte
sowohl Experten als auch Fans
mit Personaltausch, Systemwechsel und
neuer Trainingsmethodik und sorgte damit
für Verwirrung bei seinen Spielern.
Vielmehr hat es den An schein, als beflügele
die Rotation nur die Gegner des
deutschen Rekord meisters. So gab beispielsweise
Mike Hanke, Stürmer von
Hannover 96, nach dem Sieg gegen das
Trainer Jürgen Klinsmann
Geb. 30.07.1964 in Göppingen
Beim FC Bayern München seit 01.07.2008
Spielerstationen:
(221 Bundesliga-Einsätze / 108 A-Länderspiele)
TB Gingen, SC Geislingen
Stuttgarter Kickers, VfB Stuttgart
Inter Mailand (ITA), AS Monaco (FRA)
Tottenham Hotspur (ENG), FC Bayern München
Sampdoria Genua (ITA)
Orange County Blue Stars (USA)
Trainerstationen:
2004-2006 Bundestrainer
FC Bayern München
Gegründet: 27.02.1900
(seit 06.03.2002 FC Bayern München AG)
Vereinsfarben: Rot-Weiß
Mitglieder: 135.752
Andere Abteilungen:
Basketball, Handball, Schach, Sportkegeln,
Tischtennis, Turnen
Anschrift:
FC Bayern München
Säbener Straße 51-57, 81547 München
Tel: 089/69 93 10, Fax: 089/64 41 65
Internet: www.fcbayern.de
Stadion:
Allianz-Arena (69.000 Plätze)
Organe AG:
Karl-Heinz Rummenigge (Vorstandsvorsitzender)
Uli Hoeneß (stellv. Vorstandsvorsitzender)
Karl Hopfner (Vorstandsmitglied)
Franz Beckenbauer (Aufsichtsratsvorsitzender)
Herbert Hainer (stellv. Aufsichtsratsvorsitzender)
Organe Verein:
Franz Beckenbauer (Präsident)
Dr. Fritz Scherer (Vizepräsident)
Bernd Rauch (2. Vizepräsident)
Größte Erfolge:
Deutscher Meister
1932, 1969, 1972, 1973, 1974, 1980, 1981, 1985,
1986, 1987, 1989, 1990, 1994, 1997, 1990, 2000,
2001, 2003, 2005, 2006, 2008
Deutscher Pokalsieger
1957, 1966, 1967, 1969, 1971, 1982, 1984, 1986,
1998, 2000, 2003, 2005, 2006, 2008
Europapokalsieger
(Champions League) 2001
bajuwarische Millionenensemble vielsa
gend zu Protokoll: „Wir haben uns
verarscht gefühlt, als wir deren
Aufstellung gesehen haben. Der Trainer
hat gesagt: Nehmt das als Ansporn, jetzt
erst recht!“ Einen Fürsprecher in Sachen
Rotation hat der gebürtige Schwabe in
keinem Geringeren als Bayern-Präsident
Franz Beckenbauer, der Klinsmann vor
der Champions League-Partie gegen
Olym pique Lyon den Rücken stärkte:
„Die Kritik an der Rotationstaktik von
Jürgen Klinsmann finde ich nicht be -
rechtigt. Wie soll ein Breno oder Sosa
Spielpraxis bekommen, wenn er nicht
zum Einsatz kommt?“ Klinsmann, der
den deutschen Fußball-Fans als Nati onaltrainer
2006 ein Sommermärchen
bescherte, wäre es zu wünschen, dass
sein Prinzip schnell greift und er den FCB
an die nationale und internationale
Spitze zurückrotiert. Lange darf der
Erfolg allerdings nicht mehr auf sich
warten lassen, denn bereits während
der Partie gegen Bochum hallten
„Klins mann raus-Rufe“ durch die
Münchner Allianz-Arena. Und auch die
Erklärung von „Kaiser“ Franz nach dem
3:3 gegen Bochum („Die Fußballgötter
haben uns den Rücken zugekehrt!“) darf
nicht als Freifahrtschein für weitere
Peinlich keiten verstanden werden. Eine
nicht unwesentliche Rolle beim schwa -
chen Saisonstart spielt sicherlich auch
das Karriereende von Motivator Oliver
Kahn, den sich in der momentanen Si -
tu ation viele Bayern-Fans zurückwün -
schen. Das soll jedoch nicht als Affront
gegen dessen Nachfolger Michael Ren -
sing verstanden werden, der eine kaum
zu stemmende Erblast angetreten hat.
Aber einen im positiven Sinne „erfolgsorientierten
Verrückten“ wie Kahn, der
seine Vorderleute schon einmal am
Schlafittchen gepackt, sich im Ohrläpp -
chen eines Gegners verbissen oder
lauthals über den ganzen Platz gebrüllt
hat, dass seinen stürmenden Vereins -
kollegen vor Ehrfurcht die Nackenhaare
zu Berge gestanden sind, würde den
Münchnern jetzt gut zu Gesicht stehen.
Allerdings hat der 39-jährige ehemalige
Welttorhüter einen Rücktritt vom Rück -
tritt längst ausgeschlossen.
Text: Andreas Kleber