DER GLASENWEIHER - Jean-Paul-Verein Bayreuth

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4 Der Glasenweiher KURIER URIER � Ausgabe Winter 2009 / 2010 Allgemeine Pflege / Das Interview � Interview mit einem Modellentwickler Volker Ehrhardt: Herr Bauer, was genau ist die Kongruente Beziehungspflege? Rüdiger Bauer: Die Kongruente Beziehungspflege nennt man heute das Kongruenz Modell. Es ist ein Pflegemodell für die professionelle individualisierte Beziehungsgestaltung zu Menschen. Die theoretischen Grundlagen für das Modell finden sich in neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurobiologie, Biologie und der Sozialwissenschaft. Das Menschenbild ist biopsycho-sozial angelegt. Im Kongruenzmodell kann man den Menschen nicht mehr in Biologie, Psyche und Soziales auftrennen. Er wird dort als Einheit begriffen, in der es z. B. ohne Biologie keine Psyche gibt. Der Körper macht aus jedem sozialen Vorgang zunächst einen biologischen und daraus entsteht dann die Psyche. Volker Ehrhardt: Worin liegt der Unterschied zu anderen Pflegemodellen? Rüdiger Bauer: Das Kongruenz Modell begreift den Menschen als historisches Wesen. D.h. jeder Mensch entwickelt sich in seiner Geschichte in der Auseinandersetzung mit der Umwelt neurobiologisch. Das bedeutet, dass die Umwelt den Menschen neuronal, wenn man es noch genauer sagen will, über die Veränderung von Genfunktion, formt. So wie der Mensch dann neuronal in seinem Gehirn geformt wird, so fühlt er, nimmt er wahr, verhält er sich, freut er sich oder ärgert Der Fachkrankenpfleger für Psychatrie und studierte Pflegewirt Rüdiger Bauer erläutert in dem Gespräch, das Volker Ehrhardt, Pflegedienstleiter im Glasenweiher-Stift mit ihm führte, sein Pflegemodell der Kongruenten Beziehungspflege. Der 52-Jährige ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Unterostendorf im Allgäu. Neben einer regen Vortrags– und Seminartätigkeit ist Bauer Leiter der Arbeitsgruppe des Sozialministeriums zur Entwicklung der Fort- und Weiterbildung Gerontopsychiatrie in Bayern. Auch als Buchautor hat sich Bauer einen Namen gemacht. sich. Im Kongruenz Modell müssen die Pflegekräfte Wissen über die Biographie der Menschen haben, um sich deren Verhalten und Fühlen erklären zu können und im Hier und Jetzt daran Anpassung zu finden. Volker Ehrhardt: Kann das Kongruenzmodell jeder anwenden bzw. wirkt es bei jedem? Rüdiger Bauer: Viele Menschen wenden das Modell an, ohne es zu wissen. Ja, das Modell kann jeder anwenden, wenn er darüber Schulung erhält und wenn er es anwenden will. Ein wesentlicher Bestandteil der Anwendung liegt in der Bewusstheit der Anwender. Wenn wir die Geschichte des Menschen kennen, dann wissen wir auch, was ihm gut getan hat oder was ihm nicht gut getan hat. Im Kongruenzmodell vermeiden wir also bestimmte Verhaltenweisen, andere stellen wir in den Vordergrund. Wirksam ist die Kongruente Beziehungspflege bei fast allen Menschen. Volker Ehrhardt: Was macht das Kongruenzmodell mit den Menschen? Rüdiger Bauer: Ja, glücklich ist wer glücklich macht! Das hat mal Charles Chaplin gesagt und er hat Recht damit. Eigentlich macht die Kongruente Beziehungspflege glücklich und auch körperlich gesund. Wir erleben in den Einrichtungen, die mit dem Modell arbeiten immer wieder kleine „Wunder“, etwa, dass Menschen, die sich über
Allgemeine Pflege / Das Interview Jahre nicht mehr bewegt haben und nicht gesprochen haben, sich plötzlich wieder bewegen und auch wieder sprechen. Sie können sich dazu ein Radiointerview auf meiner Internetseite anhören unter www.ibi-institut.com. Dort berichtet eine Kollegin von einem solchen Fall. Sehr vereinfacht ausgedrückt, besitzt der Mensch ein positiv und ein negativ wirksames biologisches System im Körper. Eines macht gesund und vital, das andere kann krank machen. Diese Systeme sind über Beziehung beeinflussbar. Wir reizen gezielt in das positive System hinein, dadurch entstehen positive Effekte. Volker Ehrhardt: Wie viel Zeit vergeht, bis sich ein Mensch dadurch „verändert“? Rüdiger Bauer: Jeder Mensch ist anders, deshalb ist die Zeit von Veränderung auch bei jedem Menschen anders. Volker Ehrhardt: Kann man die Veränderungen messen oder "sehen"? Rüdiger Bauer: Es gibt in der Pflege verschiedene valide Instrumente, die wir anwenden können, etwa den Barthel Index, mit dem man die Pflegebedürftigkeit des Menschen einschätzen kann. Auch der MMSE, der sogenannte Mini Mental Status findet Anwendung, vor allem bei Menschen mit Demenz. Man kann Veränderung also messen, aber man kann sie auch sehen. Die Messinstrumente haben immer eine begrenzte Reichweite und die Ergebnisse sind von verschiedenen Faktoren abhängig, wie z. B. einfach der Tagesform, das ist bei jedem Menschen so. Andererseits ist der Augenschein schon immer ein gutes Instrument gewesen. Wir sehen doch, wenn ein Mensch strahlt oder wenn er einfach fröhlich und vital wirkt. Der Glasenweiher Volker KURIER URIER Ehrhardt: � Ausgabe Winter 2009 / 2010 5 Wie verhält es sich bei Menschen mit einer dementiellen Erkrankung? Rüdiger Bauer: Die Anwendung bei Menschen mit Demenz ist sehr wirksam und auch einfach. Menschen mit Demenz vergessen sehr schnell, so dass wir in der Begegnung mit den Menschen sehr häufig die gleichen Reize in die positiv wirksamen Systeme, die übrigens durch das Hormon Oxytozin in Gang gesetzt werden, setzen können. Dies wirkt auf einen außen stehenden Beobachter zwar seltsam, wenn ich etwa im Abstand von drei Minuten immer wieder über den schwarzen Hund spreche, aber dem Menschen tut es gut und er lacht und freut sich. Wir müssen in der Arbeit mit Menschen mit Demenz einfach andere Maßstäbe des Normalen setzen. Nicht das Verhalten der Menschen mit Demenz ist verkehrt, sondern unseres! Volker Ehrhardt: Können Sie sich vorstellen, dass das Kongruenzmodell den gleichen Status erhält wie beispielsweise das Pflegemodell nach Krohwinkel oder Henderson? Rüdiger Bauer: Eine erste Beschreibung des Kongruenzmodells gab es im Jahr 1992. Dies war aber eher ein Konzept. Später habe ich das Modell in meinem Buch „Beziehungspflege“ beschrieben, das war 1997. Seitdem hat sich das Modell wesentlich weiterentwickelt. An der neuesten Beschreibung arbeite ich gerade. Sie wird als Buch wohl Anfang nächsten Jahres erscheinen. Das Modell ist also noch sehr jung. Ob es sich durchsetzen kann, das werden die entscheiden, die es anwenden. Es gibt neben den Modellen von Henderson und der Erweiterung durch Krohwinkel noch viele andere sehr gute, aus meiner Sicht bessere Modelle, die sich aber nicht in der Praxis durchgesetzt haben. Wir werden sehen! Nach Einschätzung der bisherigen Anwender in den Altenhilfeeinrichtungen und Krankenhäusern wird dem Modell hohes Potenzial bescheinigt.
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