Romananfänge / erste Sätze - Krapp & Gutknecht Verlag

Materialien
Romananfänge / erste Sätze
„[...] Das erste Kapitel ist immer die Hauptsache und in dem ersten Kapitel die erste Seite, beinah die erste Zeile.
Die kleinen Pensionsmädchen haben so unrecht nicht, wenn sie bei Briefen oder Aufsätzen alle Heiligen anrufen:
‚Wenn ich nur erst den Anfang hätte.‘ Bei richtigem Aufbau muss in der ersten Seite der Keim des Ganzen stecken.
Daher diese Sorge, diese Pusselei. Das Folgende kann mir nicht gleiche Schwierigkeiten machen [...].“
Theodor Fontane in einem Brief an den Literaturhistoriker, Publizisten und Redakteur von „Westermanns Monatsheften“ Gustav Karpeles (1848–
1909) vom 18.08.1880; Aus: Fontane, Theodor: Briefe in zwei Bänden, ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler, München (Nymphenburger
Verlagshandlung) 1981, B II, S. 26
1. Erläutern Sie Fontanes Aussage, die zahlreiche andere Schriftsteller ähnlich formuliert
haben, und nehmen Sie dazu Stellung.
2. Untersuchen Sie, ob die erste Seite bzw. das erste Kapitel von „Effi Briest“ Fontanes Aussage gerecht
wird.
3. Die Überlegungen zur Bedeutung eines Romananfangs werden gelegentlich dahingehend pointiert,
dass der erste Satz darüber entscheide, ob ein Werk gelesen werde. Er müsse Lust zum Weiterlesen
machen.
a) Halten Sie diese Aussage vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Leseerfahrungen für richtig?
b) Angenommen, die Aussage stimmt: Wie beurteilen Sie dann den ersten Satz von „Effi Briest“?
c) Stellen Sie Beispiele Ihnen bekannter Romananfänge zusammen, und untersuchen Sie, wie die Autorinnen
und Autoren arbeiten?
d) Wie könnte ein alternativer Anfang von „Effi Briest“ aussehen?
Wählen Sie eine andere Stelle aus dem ersten Kapitel aus, oder formulieren Sie einen eigenen Anfangssatz.
4. Eine wesentliche Funktion eines Romananfangs ist es oft, die zentralen Figuren einzuführen: Untersuchen
Sie, wie das im ersten Kapitel geschieht und welches Bild die Leser/-innen von den Personen erhalten.
5. Als ein wichtiges Gestaltungsmittel Fontanes in diesem Roman werden Vorausdeutungen genannt:
Untersuchen Sie, ausgehend vom ersten Kapitel, wo und wie Fontane damit arbeitet.
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Erläuterungen zu den Materialien
Romananfänge / erste Sätze
Zu den Aufgaben:
1. Erläutern Sie Fontanes Aussage, die zahlreiche andere Schriftsteller ähnlich formuliert haben, und nehmen Sie dazu
Stellung.
Der Anfang eines Romans ist wichtig, weil er das Publikum fesseln muss, um es zum Weiterlesen zu bewegen.
Der Romananfang kann ganz wesentlich das Romangeschehen vorstrukturieren. Durch ihn werden Festlegungen
getroffen, die das weitere Geschehen steuern.
Die Schüler/-innen werden Fontanes Aussage möglicherweise zwar als theoretischer Aussage zustimmen, praktisch
aber auf der Grundlage eigener Leseerfahrungen vermutlich eher ablehnen. Falls sie ihr doch zustimmen,
dann vermutlich eher aus der Negativerfahrung heraus, die Lektüre eines Buches sehr früh abgebrochen zu
haben.
2. Untersuchen Sie, ob die erste Seite bzw. das erste Kapitel von „Effi Briest“ Fontanes Aussage gerecht wird.
Falls Leseinteresse im Zentrum der Überlegungen steht, wird die Antwort eher negativ ausfallen, denn die Beschreibung
des Herrenhauses kann man sicher nicht als interesseweckend bezeichnen. Was das angeht, gehört
sie zweifelsfrei zu den langweiligsten Passagen des Romans. Betrachtet man die Funktion des Romananfangs
bzw. des gesamten ersten Kapitels, muss die Antwort positiv ausfallen:
– Im Romananfang gestaltet Fontane den Raum, der für Effis Leben von zentraler Bedeutung ist; auch oder
gerade dann, wenn sie nicht dort lebt (siehe M 5).
– Die zentralen Figuren des Romans werden im ersten Kapitel eingeführt; Effi als handelnde Person, Innstetten
in Effis Erzählung.
– Das erste Kapitel enthält wesentliche Vorausdeutungen auf späteres Geschehen.
3. Die Überlegungen zur Bedeutung eines Romananfangs werden gelegentlich dahingehend pointiert, dass der erste Satz
darüber entscheide, ob ein Werk gelesen werde. Er müsse Lust zum Weiterlesen machen.
a) Halten Sie diese Aussage vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Leseerfahrungen für richtig?
Schüler/-innen haben über diese These in der Regel kaum nachgedacht, werden sie deshalb neu überdenken
müssen. Falls sie grundsätzlich zustimmen, dann wohl eher nicht mit einer tatsächlichen Beschränkung auf
den ersten Satz.
b) Angenommen, die Aussage stimmt: Wie beurteilen Sie dann den ersten Satz von „Effi Briest“?
Der Satz wird kaum positiv beurteilt werden, selbst wenn die Schüler/-innen anerkennen, dass in diesem –
ungewöhnlich langen – Satz die prägende Atmosphäre vorgezeichnet wird. Er weckt aber sicher kein Interesse,
sondern dürfte eher abschreckend wirken.
c) Stellen Sie Beispiele Ihnen bekannter Romananfänge zusammen, und untersuchen Sie, wie die Autorinnen und
Autoren arbeiten?
Da die Ergebnisse von den Beispielen der Schüler/-innen abhängen, lassen sich kaum erwartbare Ergebnisse
skizzieren. Die folgenden Grundmuster könnten sich in den Beispielen finden: Anfangssatz scheint das
Ende der Geschichte darzustellen; unvermittelter Einstieg in laufendes Geschehen; Irritation durch unerwartete
Situation; Ankündigung dessen, was geschehen wird; Naturschilderung, um Atmosphäre zu schaffen;
Personenporträt; wörtliche Rede, scheinbar mitten im Gespräch; Brief; philosophischer Satz; überraschende
Erkenntnis.
Hier könnte eine Aufgabe zum kreativen Schreiben angeschlossen werden (siehe S. 9).
d) Wie könnte ein alternativer Anfang von „Effi Briest“ aussehen?
Wählen Sie eine andere Stelle aus dem ersten Kapitel aus, oder formulieren Sie einen eigenen Anfangssatz.
Die Schüler/-innen werden dazu neigen, eigene Anfangssätze zu formulieren, evtl. auch als Zitat aus dem
Roman (z. B. „Effi komm!“), es sind jedoch auch verschiedene Alternativen aus dem ersten Kapitel denkbar,
wobei sie zum Teil sprachlich etwas modifiziert werden müssten, z. B. S. 5, Z. 33; S. 6, Z. 22; S. 6, Z. 39,
S. 7, Z. 11.
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