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Ausgabe Nr. - Stadtgespräche Rostock

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30<br />

STANDPUNKT<br />

Theater radikal<br />

Cornelia Mannewitz (*1955)<br />

Theater sind Standortfaktoren. Das römische Herculaneum, Opfer<br />

des Vesuvs wie Pompeji, hätte man ohne sein Theater gar nicht<br />

wiedergefunden. Der brave Landmann, der 1709 auf es stieß, wollte<br />

eigentlich nur seinen Brunnen vertiefen. Und löste einen touristischen<br />

Boom aus, von der Belebung des internationalen Kunst- und<br />

Kunstschwarzmarktes ganz zu schweigen. Na ja, alles schon tausendmal<br />

gehört.<br />

Auch in <strong>Rostock</strong>. Und auch hier überwindet man Zeit und Raum.<br />

Theater ist offenbar nur noch eine Bedrohung: Der „Großtanker<br />

Theater” oder so ähnlich gespenstert durch das seichte Fahrwasser<br />

der städtischen Finanzpolitik. Deshalb besteht die einzige Lösung<br />

des Problems laut einem aktuellen Wirtschaftsprüfergutachten, Auftragswerk<br />

des Landesrechnungshofes, in seiner Fusion mit dem<br />

Staatstheater Schwerin. Merkwürdig; noch vor Wochen klang das<br />

viel weniger überzeugt. Der Präsident des Landesrechnungshofes in<br />

den NNN vom 9. März auf die Frage: „Der OB selbst hat eine<br />

Theaterfusion mit Schwerin ins Gespräch gebracht, sinnvoll?”: „(...)<br />

Ob man hier so weit gehen muss, wie die (...) Fusion (...), vermag ich<br />

derzeit nicht zu sagen.” Gut, dass er nun das (am Filmset würde es<br />

heißen) Lichtdouble macht und der Stadt den unangenehmen Auftritt<br />

abnimmt. Aber Schwerin soll nicht begutachtet worden sein.<br />

Man könnte direkt politische Einflussnahme argwöhnen. Und da sage<br />

noch einer, Wirtschafts- und Finanzexpertisen hätten im Staat zu<br />

viel Gewicht!<br />

Aber keine Angst, die Politik ist ja nicht besonders sachkundig. Dass<br />

das Stadttheaterkonzept überholt sei, ist noch eine der qualifizierteren<br />

Ausreden für Mittelkürzungen. Hat man schon gemerkt, dass<br />

Theater inzwischen ganz andere Dinge macht? Schlagwörter wie<br />

„Intervention in die Stadt” prägen diese Art Szene. (Was würde man<br />

sich im <strong>Rostock</strong>er Rathaus wohl darunter vorstellen?) Dass Laien auf<br />

der Bühne stehen, gibt es ja neuerdings öfter und nicht mehr hauptsächlich<br />

zur Selbstbespiegelung der Performanz; siehe die Dresdner<br />

Weber (ja, die mit dem Mordausruf) und ihren Chor der Hartz-IV-<br />

Empfänger, die pro Vorstellung ein goldbronziertes Auto verhakkstücken.<br />

Das Theater geht aber auch selbst zu den Globalisierungsopfern:<br />

2003 brachten die Berliner Philharmoniker Strawinskys Le<br />

sacre du printemps als Ballett mit 250 Kindern und Jugendlichen<br />

(„selected on the basis of energy, and social need, not on ability or<br />

experience”, so Impresario Maldoom) heraus. Siehe den Film<br />

Rhythm is it!; auf seiner Webseite kann man immer noch erfahren,<br />

wie es einzelnen Aktiven heute geht, wann welche DVD-Version in<br />

den Handel kommt - Marketing. Im Projekt Bunnyhill wurde mit<br />

Kindern und Jugendlichen des Münchner Problemquartiers Hasenbergl<br />

für zwei Monate ein eigener Staat eingerichtet: Man inszenierte<br />

„Ein Junge, der nicht Mehmet heißt”, ein Stück mit einem sprechenden<br />

Titel für Orts- und Zeitgenossen des berüchtigten minderjährigen<br />

Delinquenten, im Rahmen eines fiktiven Gemeinwesens mit<br />

Verfassung, Passamt und sozialer Infrastruktur, zum Beispiel Probengeld<br />

für die Akteure und einschlägigem Nachtleben; Bunnyhill<br />

Teil zwei, über Ängste in der Münchner City, folgt in diesen Wochen.<br />

In Mannheim spielten türkische Jugendliche im Migranten-”Ghetto”<br />

eine Räuber-Adaption. Auch Interdisziplinäres entsteht, Stadtplanung<br />

für soziale Brennpunkte: Traumstadt-Saga im Aachen-Ost, zusammen<br />

mit Architekturstudenten. Dabei kommen sogar neue Berufsbilder<br />

auf: Darstellender Architekt, Selbstbezeichnung eines der<br />

Aktiven des „Hotels Neustadt”, eines Tage dauernden Mitmachtheaters<br />

in einer Hallenser Plattenbrache. Speziell dort wurden schon<br />

Aneignungsstrategien gewittert, Keime weiterreichender gesellschaftlicher<br />

Veränderungen.<br />

Hier ist Theater hochpolitisch und wieder nahe dem, wo es eigentlich<br />

herkommt. Nebenbei: Mit solchen sozialen Projekten können<br />

sich gerade freie Theater gut profilieren. Aber Bunnyhill wird von<br />

den piekfeinen Münchner Kammerspielen gemacht. Inzwischen bekommen<br />

auch etablierte Kulturträger für Projekte unter dem Label<br />

Vermittlungsauftrag des Theaters Geld, aus einem neuen Fonds der<br />

Bundeskulturstiftung. Darauf sollte das Auge der Politik doch ausruhen.<br />

(Und die kleinen Schwächen tolerieren: Kunst als oberstes<br />

Staatsziel von Bunnyhill ist einfach zu schön. Man lästert: Sozialkitsch.<br />

Man streitet über pädagogische Konzepte und über die<br />

Nachhaltigkeit.) Das Auge der Wirtschaft tut es. Große Firmen sind<br />

begeistert von Rhythm is it!, sie verstehen es als Demonstration<br />

funktionierender Motivationstechniken, Muster für Schulungen in<br />

Teamarbeit und Kommunikation, eine verschickte den Film als<br />

Weihnachtsgeschenk. Man redet über Funktionalisierung von Kunst,<br />

weil diese Lehren nicht nur Gutmenschen erfreuen. So kann man es<br />

auch sehen. Oder man kann es nutzen. Miethaie zu Fischstäbchen,<br />

Theater zu Panzerkreuzern - mit Format ist vieles machbar. Kunst<br />

und Kommerz treffen sich hier an einer ihrer immer noch sympathischsten<br />

gemeinsamen Schnittstellen. Wer betätigt den Schalter zuerst?

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