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ARCHIV - Komponist Karl Heinz Wahren

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KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

INHALT<br />

Biografie 2<br />

Werke<br />

Orchestermusik 3<br />

Opern 3<br />

Kammerorchester 4<br />

Kammermusik 4<br />

Klaviermusik 6<br />

Chormusik 7<br />

Filmmusik 7<br />

Discographie 8<br />

Essays über ...<br />

Christian Bruhn 9<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> von Bruhn 16<br />

Norbert Schultze 19<br />

Helmut Brandt 27<br />

Erich Schulze 28<br />

Reden zu ...<br />

100 Jahre GEMA 31<br />

50 Jahre DKV 34<br />

Gerald Humel 40<br />

Kritiken zu ...<br />

Magnificat 43<br />

Du sollst nicht töten 44<br />

Fettklößchen 46<br />

Bayreuther Impressionen 50<br />

Friedensoratorium 50<br />

Geburtstagskonzert 51<br />

Werkkommentare<br />

Brandenburgische Revue 52<br />

Ecce Homo 52<br />

Auf der Suche nach dem verlorenen Tango 53<br />

Magnificat 53<br />

At this moment 53<br />

Entführung aus dem Köchelverzeichnis 54<br />

Kontakt 55<br />

DIRECTORY (if in english)<br />

Biographie<br />

Works<br />

music for orchestra<br />

operas<br />

chamber orchester<br />

chamber music<br />

piano music<br />

choral music<br />

soundtracks<br />

Discographie<br />

Essays about ...<br />

Christian Bruhn<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> by Bruhn<br />

Norbert Schultze<br />

Speeches about ...<br />

100 years GEMA<br />

50 years German association of composers<br />

Cutups about ...<br />

Comments<br />

Abduction from the Köchel catalogue<br />

Contact<br />

1


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />

Reden Werkkommentare<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, geboren 1933 in Bonn, wuchs in<br />

Gera/Thüringen auf und studierte ab 1953 am Städtischen<br />

Konservatorium in Berlin-West. Ab 1961, nach<br />

seinem Abschlussexamen an der jetzigen Universität<br />

der Künste Berlin, gehörte er zum Schülerkreis Josef<br />

Rufers, studierte privat bei <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />

in München und war 1965 Mitbegründer der Gruppe<br />

Neue Musik Berlin.<br />

1969 erhielt <strong>Wahren</strong> den Rompreis (Villa Massimo),<br />

1970 Preis des „Rostrum of Composers“ (UNESCO<br />

Paris) für das Werk „Du sollst nicht töten“ für Orchester,<br />

Chor, Sprecher und Tonband. Er war mehrmals<br />

Stipendiat der „Internationalen Ferienkurse für Neue<br />

Musik“ in Darmstadt. 1978 konnte er den Förderungspreis<br />

der Berliner Akademie der Künste entgegennehmen,<br />

1994 das Bundesverdienst-kreuz, 2001<br />

den GEMA-Ehrenring, 2003 die Werner-Egk-Medaille<br />

(Schott Musik International). Von 1981 bis 2003 war er<br />

Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, von 1990 bis 2004<br />

Präsident des „Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes“.<br />

2003 wurde ihm die GEMA-Ehrenmitgliedschaft verliehen<br />

und 2004 wählte ihn der Deutsche <strong>Komponist</strong>enverband<br />

zu seinem Ehrenpräsidenten.<br />

Sein Œuvre weist gegenwärtig etwa 60 Kammermusik-kompositionen,<br />

20 Orchesterwerke, einige Filmmusiken<br />

und drei Opern auf: „Fettklößchen“ (Dt. Oper<br />

Berlin, 1976), „Goldelse“ (Berliner Festwoche, 1987)<br />

und „Galathee, die Schöne“ frei nach Franz v. Suppé<br />

(Dt. Oper Berlin, 1995). Orchesterwerke <strong>Wahren</strong>s<br />

wurden als Rundfunkaufführungen in über 40 Ländern<br />

weltweit gesendet, Kammermusikaufführungen fanden<br />

in den meisten europäischen Ländern statt, außerdem<br />

in den USA, in Südamerika, Australien und<br />

Japan. Ein Teil dieser Werke ist auf insgesamt 12 CDs<br />

dokumentiert.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> verfasste zahlreiche Rundfunkbeiträge,<br />

Aufsätze, Essays und Vorträge über zeitgenössische<br />

Musik. 2003 ernannte ihn der Bayerische Kulturminister<br />

Hans Zehetmair zum Honorarprofessor.<br />

Er lebt als freischaffender <strong>Komponist</strong> in Berlin.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, born 1933 in Bonn, he grew up in<br />

Gera/Thuringia; began to study piano and composition<br />

in 1953 in Berlin-West at what is today the “Universität<br />

der Künste”, where he graduated in 1961; continued<br />

his studies under Josef Rufer (Berlin) and <strong>Karl</strong> Amadeus<br />

Hartmann (Munich); co-founder of the “Gruppe<br />

Neue Musik, Berlin” in 1965.<br />

Awards: 1969 “Rompreis” (1 year at the Villa Massimo);<br />

1970 award of the “Rostrum of Composers”<br />

(Unesco, Paris) for his orchestral cantata “Du sollst<br />

nicht töten!” (Thou shalt not kill); 1978 award of the<br />

“Akademie der Künste”, 1994 Order of Merit (of Germany);<br />

2001 ring of honour of the GEMA; 2003 Werner<br />

Egk medal (Schott Music International) and (the same<br />

year) honorary member of the GEMA. From 1981 till<br />

2003 he was a member of the “GEMA-Aufsichtsrat”.<br />

From 1990 to 2004 he was the president of the German<br />

association of composers.<br />

<strong>Wahren</strong>´s musical works spans nearly all musical<br />

forms and includes 3 operas – “Fettklösschen” after<br />

Maupassant, Deutsche Oper Berlin, 1976; “Goldelse”<br />

(libretto Volker Ludwig), Berliner Festwochen for the<br />

750th anniversary of the city of Berlin, 1987; “Galathee,<br />

die Schöne” (libretto Thomas Höft) freely adapted<br />

from Suppé, Deutsche Oper Berlin, 1995 – as well<br />

as 20 orchestral works, more than 60 compositions of<br />

chamber music using various instruments and several<br />

choral works and film as well as Jazz scores. A selection<br />

of his works is available on CD.<br />

<strong>Wahren</strong> is also the author of numerous articles, essays<br />

and radio programmes about music. Following a<br />

series of lectures he gave at the Munich academy of<br />

music and theatre, he was named honorary professor<br />

in 2003. He also was named honorary president of the<br />

German association of composers in 2004.<br />

<strong>Wahren</strong> works as a freelance composer in Berlin.<br />

2


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Orchesterwerke (Auswahl)<br />

Klavierkonzert<br />

in 3 Sätzen,<br />

UA (Uraufführung) 1968<br />

At This Moment<br />

Orchesterkonzert in 3 Sätzen,<br />

UA 1976<br />

Circulus virtuosus<br />

für Holzbläserquartett und Orchester in 3 Sätzen,<br />

UA 1976<br />

Auf der Suche nach dem verlorenen Tango<br />

symphonische Dichtung für Orchester,<br />

UA 1979<br />

Romantische Suite<br />

für Violoncello und Orchester,<br />

UA 1980<br />

Brandenburgische Revue<br />

für Sprecher und Orchester in 9 Sätzen,<br />

UA 1984<br />

„Nächtliche Tänze toskanischer Jungfrauen in Florentinischen<br />

Gärten zur Blütezeit der Inquisition“<br />

für Big Band und Streichquintett,<br />

UA 1986<br />

Entführung aus dem Köchelverzeichnis<br />

für Orchester in 3 Sätzen,<br />

UA 1991<br />

Ecce Homo<br />

Orchestersuite nach Bildern von Otto Dix in 5 Sätzen,<br />

UA 1993<br />

Metropolis Berlin<br />

Suite für Big Band und Symphonieorchester in 4 Sätzen,<br />

UA 1998<br />

Bayreuther Impression<br />

für großes Orchester in 3 Sätzen,<br />

UA 2004<br />

Tango Capriccio<br />

für Orchester in einem Satz<br />

UA 2005<br />

Opern<br />

Fettklößchen<br />

Opera buffo nach Guy de Maupassant<br />

Libretto: Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

UA Deutsche Oper Berlin 1976<br />

Goldelse<br />

Satirische Oper<br />

Libretto: Volker Ludwig<br />

UA Berliner Festwochen zur 750-Jahrfeier 1987<br />

Galathee, die Schöne<br />

Singspiel frei nach Franz von Suppé<br />

Libretto: Thomas Höft<br />

UA Deutsche Oper Berlin 1995<br />

3


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Kammerorchester<br />

Wechselspiele<br />

für Flöte, Klavier u. Streichorchester<br />

UA Budapest 1967<br />

Zum Selbstmord des Genossen Jessenin<br />

nach Wladimir W. Majakowski<br />

für einen Sprecher, Zuspielband u. Kammerorchester<br />

UA Berlin 1972<br />

The Pitcher<br />

Groteske für einen Sprecher u. Kammerorchester<br />

Text: Peter Stripp<br />

UA Berlin 1977<br />

Der Unterhaltungskünstler<br />

Groteske für einen Sprecher, Gesangsquartett u.<br />

Kammerorchester, Text: Peter Stripp<br />

UA Berlin 1978<br />

Theatermusik<br />

Konzertante Suite in 8 Szenen für Kammerorchester<br />

UA Berlin 1981<br />

Les Fleurs du Mal et les Fleurs d’Innocence<br />

für Flöte, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichorchester<br />

UA 1988<br />

Lippenbekenntnisse<br />

Konzert für Posaune u. Kammerorchester<br />

UA Berlin 1990<br />

Kabuki<br />

Konzert für Schlagzeug und Kammerensemble<br />

UA Berlin 1992<br />

Alles was Odem hat ...<br />

Doppelkonzert für Flöte, Oboe u. Streichorchester<br />

UA Brandenburg a.d. Havel 1993<br />

Hamletpuzzle<br />

Satyrspiel für einen Sprecher u. Kammerorchester<br />

Text: Thomas Höft<br />

UA Berlin 1998<br />

Kammermusik (Auswahl)<br />

Pas de deux<br />

für Violine und 3 Holzbläser<br />

UA Haus am Waldsee Berlin 1961<br />

Frétillement<br />

für Flöte und Klavier in 2 Sätzen<br />

UA Amerika Gedenkbibliothek 1965<br />

Gruppe Neue Musik Berlin<br />

Sequenzen<br />

für Flöte, Cembalo und Marimbaphon in 2 Sätzen<br />

UA Forum-Theater Berlin 1965<br />

L`art pour l`art<br />

für Cello, Flöte, Klavier und Tonband<br />

UA Witten 1968<br />

Permutation<br />

für 3 Flöten<br />

UA Akademie der Künste Berlin 1968<br />

Application<br />

für Orgel<br />

UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1968<br />

Dionysos meets Apollo<br />

Streichquartett in 2 Sätzen<br />

UA Akademie der Künste Berlin 1970<br />

Increase<br />

für Flöte, Marimba und Orgel<br />

UA Kirchenmusiktage Kassel 1971<br />

Pas de deux pour Flutes<br />

für 2 Flöten in einem Satz<br />

UA Freiburg i. Br. 1974<br />

Soundscreen-Klangraster<br />

für Flöte und 2 Schlagzeuger<br />

UA Hochschule der Künste Berlin 1975<br />

Entrevue<br />

für Flöte und Orgel<br />

UA Eosanderkapelle Schloss Charlottenburg 1976<br />

Circulus octo virtuosis<br />

für Kammerensemble<br />

UA Berliner Kulturtage New York 1977<br />

4


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)<br />

En trois couleurs<br />

für Oboe, Klarinette und Fagott<br />

UA Braunschweig 1977<br />

Tango appassionato<br />

für Streichquartett<br />

UA Berliner Festwochen 1977<br />

Tango noir<br />

für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Violine, Viola, Cello<br />

und Kontrabass<br />

UA Das Neue Werk Hamburg in Turin 1978<br />

Schon ist die Zukunft da<br />

für Sprecher und kleines Ensemble<br />

(Text: Matthias Koeppel)<br />

UA Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg 1978<br />

Messingklänge<br />

für 4 Posaunen und Orgel<br />

UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1978<br />

Der Wettlauf<br />

für Altstimme und Flöte<br />

nach Texten von Joachim Ringelnatz<br />

UA Amerikahaus Berlin 1979<br />

Der Tierbändiger<br />

für Sprecher und Klavier (Text: Friederike Kempner)<br />

UA SFB Musikforum live 1983<br />

Nächtliche Tänze toscanischer Jungfrauen in florentinischen<br />

Gärten zur Blütezeit der Inquisition<br />

in 4 Sätzen<br />

für Cello und Kontrabass<br />

UA Gütersloh 1983<br />

Scherzando, Ritmico e Fugato per tre flauti<br />

in 3 Sätzen<br />

(Ich sei, gewährt mir die Bitte,<br />

in Eurem Bunde der Dritte)<br />

UA Richard Strauss Konservatorium München 1986<br />

Elegie des Sisyphos<br />

Streichquartett in 2 Sätzen<br />

UA Akademie der Künste Berlin 1987<br />

Drums-Trip Concertino<br />

für Drums-Quartett<br />

UA Hotel Intercontinental Berlin 1988<br />

Spirale<br />

für Percussions-Quartett in 3 Sätzen<br />

UA Fürth a.B. 1988<br />

Brass-Quintett in 4 Sätzen<br />

UA Frankfurt a.M. 1989<br />

Verborgen – in uns – Duo concertante<br />

für Violine und Klavier in 3 Sätzen<br />

UA im BKA Berlin 1989<br />

Largo Barbaro in 3 Sätzen<br />

für Kammerensemble<br />

UA Düsseldorf 1989<br />

„Der große Aufbruch“<br />

Ost-West Kammermusik<br />

zur Ausstellung Gerhard Andrees<br />

UA Halle 1992<br />

Nur in sich selbst<br />

für Solocello<br />

UA Berlin 1992<br />

Romantische Rhapsodie<br />

für Klavier<br />

UA Hamburg 1993<br />

Im Einklang ...<br />

für Oboe und Violoncello<br />

UA Akademie der Künste Berlin 1994<br />

Echospiele<br />

für 5 Blechbläser<br />

UA Haus am Waldsee Berlin 1994<br />

Gegenwärtig und Vergangen<br />

für Flöte, Schlagzeug und Violoncello<br />

UA Theater der Stadt Brandenburg 1996<br />

Stille meidend, Klänge flirrend<br />

für Flöte, Violoncello und Tonband<br />

UA Kirche Satemin Wendland 1997<br />

5


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)<br />

Verweilt im Augenblick<br />

für Flöte, Marimba und Violoncello<br />

UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1998<br />

Impression de temps perdu et de déjà vu<br />

für Flöte, Klavier und Violoncello<br />

UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1999<br />

Bachandante<br />

für Flöte, Marimba und Violoncello in 2 Sätzen<br />

UA Hochschule für Musik Weimar 2000<br />

Zwischenräume<br />

für Flöte, Violoncello und Harfe<br />

UA Lüchow-Dannenberg 2001<br />

Liebeswandel<br />

Variationen für Streichquartett<br />

UA Haus am Waldsee Berlin 2002<br />

Déjà vu à trois<br />

für Flöte, Klavier und Violoncello<br />

UA Kolbe Museum Berlin 2002<br />

Nebeneinander-Miteinander<br />

in drei Sätzen für Violine, Klarinette und Klavier<br />

UA BKA Berlin 2003<br />

Dreisam<br />

für Flöte, Klavier und Marimbaphon in 2 Sätzen<br />

UA Konzerthaus Berlin 2004<br />

Jeu musical pour trois<br />

für Oboe, Harfe und Violoncello<br />

UA Kolbe Museum Berlin 2004<br />

Tango burlesco<br />

für Tenorsax., Bassklari., Vibra., Elektrogit.,<br />

Violoncello u. Kontrabass<br />

UA 6. Weimarer Frühjahrstage für zeitg. Musik 2005<br />

Klaviermusik (Auswahl)<br />

Klassizistische Sonatine<br />

für Klavier in 3 Sätzen<br />

UA Städtisches Konservatorium Berlin 1959<br />

Kinder-Suite<br />

in 5 Sätzen für Klavier<br />

UA Grafschaft/Wilhelmshaven 1967<br />

Tango Rag<br />

für Klavier<br />

UA Hochschule für Musik Hamburg 1978<br />

Tango Rag<br />

für Klavier zu 4 Händen<br />

UA British Centre Berlin 1980<br />

Bye-Bye, Bayreuth<br />

für Klavier<br />

UA Hochschule für Musik Hamburg 1984<br />

Toccata Appasionata<br />

für Klavier<br />

UA Hochschule für Musik Lübeck 1986<br />

Paradiesvogel<br />

Burleske für Klavier<br />

UA Hochschule für Musik Hamburg 1987<br />

Sonate de l`Exposition<br />

pour Klavier<br />

UA Orangerie Schloss Charlottenburg Berlin 1998<br />

Gershwin meets Mozart<br />

Klaviervariationen<br />

UA Museum für angewandte Kunst Gera 2002<br />

6


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Chormusik (Auswahl)<br />

Du sollst nicht töten<br />

Kantate für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband<br />

UA 1969<br />

Passioni<br />

für 4-stimmigen Chor, Solosopran und 3 Instrumente<br />

nach Texten von Giordano Bruno<br />

UA Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche Berlin 1973<br />

Fernsehhymne<br />

für großen Chor (Text: Matthias Koeppel)<br />

UA Berliner Festwochen 1982<br />

Magnificat mundus pacem<br />

für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor und Orchester<br />

UA 1984<br />

Fuge an die Industrie<br />

für 4-stimmigen Chor (Text: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>)<br />

UA Akademie der Künste Berlin 1987<br />

Friedensoratorium (Anfang und Ende der Welt)<br />

für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor u. Orchester<br />

UA 2005<br />

Filmmusik<br />

Der Brudermord nach Kafka<br />

Fernsehfilm ohne Sprache.<br />

Manuskript und Regie: Lothar Geissler<br />

UA Filmakademie Berlin 1969<br />

Die Plapperschlange<br />

Surrealistischer Film von H. Otterson<br />

UA Kunstamt Tiergarten Berlin 1972<br />

Fragen an die Wirklichkeit<br />

Film-Bild-Projekt von Gerhard Andrees<br />

UA London-Lewisham 1975<br />

Wasser: Pulsieren<br />

Zwei Experimentalfilme von Ernst Reinboth<br />

UA Akademie der Künste 1977<br />

Kyritz-Pyritz<br />

Altberliner Posse nach H. Wuttig und O. Justinus, bearbeitet<br />

als Fernseh-Musical von Stefan Wigger und<br />

K.H. <strong>Wahren</strong>, Regie: Stefan Wigger<br />

UA ARD 1979<br />

Herzlichen Glückwunsch<br />

Sozialkritischer Spielfilm von W. Voigt und A. Quest<br />

UA Hofer Filmtage 1982<br />

Stadt-Raum-Landschaft<br />

Film von Gerhard Andrees<br />

Landschaft heute, aus ihrer historischen Entwicklung<br />

UA TV Offener Kanal Berlin 1989<br />

Ich und Christine<br />

Buch und Regie: Peter Stripp; mit Götz George, Christiane<br />

Paul, Daniel Morgenrot, Jutta Speidel, Maximilian<br />

Wigger u.a. UA Filmbühne Wien Berlin 1992<br />

Metropolis<br />

Zweistündiger Stummfilm von 1927<br />

Buch: Thea von Harbou, Regie: Fritz Lang<br />

Musik für großes Symphonieorchester zusammen mit Bernd<br />

Wefelmeyer im Auftrag des Filmorchesters Babelsberg<br />

UA 5. Film & Musikfest Bielefeld - Oetkerhalle (22. Okt. 1994)<br />

Die seltsamen Abenteuer des Mr. West<br />

im Lande der Bolschewiki<br />

Stummfilmgroteske, UdSSR 1924, R: Lew Kuleschow<br />

Musik: Bernd Wefelmeyer und K. H. <strong>Wahren</strong><br />

UA 13. FilmFestival Cottbus (4. Nov. 2003)<br />

7


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Ricordandi a Verdi (Erinnerungen an Verdi)<br />

3. Streichquartett – Florestan Quartett (Bielefeld)<br />

Verlag für Neue Musik, Kreuzberg Records<br />

LC 255 Nr. 10033<br />

Les Fleurs du Mal et les Fleurs de l’Innocence<br />

Universal Ensemble Berlin –<br />

Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

(sowie Werke von Gerald Humel, Rainer Rubbert,<br />

Wilhelm Dieter Siebert)<br />

CD-Largo 5116<br />

Spirale für Schlagzeugquartett<br />

Percussion Art Quartett Würzburg<br />

CD-Thorophon Capella CTH 3063<br />

Klaviermusik<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> und <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />

Peter Roggenkamp (Hamburg) – Klavier<br />

CD-Largo 5121<br />

Ich und Christine<br />

Original Soundtrack zum Götz George Film<br />

von Peter Stripp<br />

Swing Studio Ensemble Berlin –<br />

Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

CD-ZYX-Musik 20264-2<br />

Selbst und auch zur Weite der Nacht<br />

Universal Ensemble Berlin –<br />

Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

CD-Interconti Production - Nau Verlag Berlin<br />

Du sollst nicht töten<br />

Kantate für Sprecher, Jazzsolisten, Chor und<br />

Orchester<br />

RIAS-Orchester, RIAS-Kammerorchester –<br />

Leitung: Klaus Martin Ziegler<br />

CD-Pelca - PSRX 40602<br />

Klangdenkmal<br />

A Monument in Sound for the Victims of the Holocaust<br />

for String quartet –<br />

von 28 <strong>Komponist</strong>en einzelne Sätze<br />

2002 M.T.A. -<br />

TIM The International Music Company AG<br />

Order No 220813 PC 215 (Tel. +49-40-6699160)<br />

Auf weiteren 12 CD’s sind die wichtigsten Orchester-<br />

und Kammermusik-Kompositionen dokumentiert.<br />

8


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Marmorstein und Liebeskummer –<br />

die musikalische Vielfalt eines Lebensweges<br />

Zum 70. Geburtstag von Prof. Christian Bruhn<br />

von Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Es ist für mich eine schöne Genugtuung des Herzens,<br />

über das Leben eines verehrten Kollegen schreiben<br />

zu dürfen, zumal es mit innerer Anteilnahme und aus<br />

Überzeugung geschieht. Der 70. Geburtstag des<br />

<strong>Komponist</strong>en, Pianisten, Musikproduzenten, Publizisten<br />

und Hochschulprofessors Christian Bruhn ist mir<br />

Anlass, seinen abwechslungsreichen und mit musikalischer<br />

Vielfalt verlaufenen Lebensweg, allerdings den<br />

hier gegebenen Möglichkeiten entsprechend verkürzt,<br />

nachzuzeichnen. Als Erinnerungsstütze dient mir die<br />

über zwanzigjährige gemeinsame Zeit im GEMA-Aufsichtsrat<br />

und im Vorstand des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes,<br />

aber auch die in Bruhns Biografie<br />

„Marmor, Stein und Liebeskummer” zusammengefassten<br />

„Essay’s, Reden, Gedichte, Gedanken und Gefühle<br />

– von ihm selbst aufgeschrieben”.<br />

Der ausdrückliche Hinweis im Vortext seiner Biografie:<br />

„... von mir selbst aufgeschrieben” soll der Vermutung<br />

vorbeugen, er könnte, wie heute gern praktiziert, einen<br />

Journalisten mit der Niederschrift beauftragt haben.<br />

Christian Bruhn jedoch ist sein eigener Schriftsteller,<br />

so wie er auch seine Bigband-Arrangements<br />

oder die orchestralen Filmkompositionen stets selbst<br />

schrieb und keine Bearbeiter bemühen musste, wie so<br />

mancher seiner Kollegen, dem die Kunst des Partiturschreibens<br />

zeitlebens ein Rätsel bleibt.<br />

Die handwerklichen Grundlagen, die es Bruhn ermöglichten,<br />

seine jugendlich-besessene Liebe zur Tanz-<br />

und Jazzmusik später ins Kompositorische praktisch<br />

umzusetzen, verdankt das bereits mit vier Jahren<br />

selbstständig am Klavier in Terzen fantasierende Kind<br />

der couragierten Mutter. Sie war „der Kunst wie auch<br />

dem Irdischen zugetan” und sorgte frühzeitig dafür,<br />

dass ihr Erstgeborener sinnvollen Klavierunterricht<br />

erhielt.<br />

Der Vater, Sohn des auch als Erfinder tätigen Sanitätsrates<br />

Dr. Adolf Christian Bruhn, betrieb bis 1933 einen<br />

Kunstverlag und brachte die Familie als Kaufmann<br />

geschickt durch die Wirrnisse des Dritten Reiches. Er<br />

„malte sehr schön und anständig – zwischen im- und<br />

frühexpressionistisch”, Klavier allerdings spielte er, im<br />

Gegensatz zu seiner routiniert Noten lesenden Frau,<br />

nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör. Durch<br />

seine künstlerische Tätigkeit war er mit Malern wie<br />

Marble Stone and Problems with Love –<br />

The Musical Variety of a Life<br />

For the 70th Birthday of Prof. Christian Bruhn<br />

by Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

It is very gratifying for me to be allowed to write about<br />

the life of an esteemed colleague, especially since I<br />

do this with inner sympathy and conviction. The 70th<br />

birthday of the composer, pianist, music producer, publicist<br />

and university professor Christian Bruhn is a<br />

good reason for me to trace his eventful path in life that<br />

has been accompanied by musical variety. However,<br />

I will abridge it to appropriately fit this occasion. The<br />

more than twenty years of time together on the GEMA<br />

Board of Supervisors and the Executive Board of the<br />

German Composers’ Association, as well as the “essays,<br />

speeches, poems, thoughts and feelings - written<br />

by his own pen” integrated into Bruhn’s biography<br />

Marmor, Stein und Liebeskummer (Marble, Stone and<br />

Problems with Love), serve to refresh my memory.<br />

The express reference in the foreword of his biography:<br />

“... written by my own pen” is intended to prevent<br />

the assumption that he commissioned a journalist to<br />

write it down, which is a popular practice these days.<br />

However, Christian Bruhn is his own writer, just as he<br />

also always wrote his big-band arrangements or the<br />

orchestral film compositions himself and no arranger<br />

had to make the effort, as in the case of some of his<br />

colleagues to whom the art of writing a score remains<br />

a mystery for their entire lives.<br />

The child who was already independently extemporising<br />

in thirds at the piano at the age of four years owes<br />

the fundamental craftsmanship that allowed Bruhn to<br />

later practically translate his youthful-obsessed love of<br />

dance and jazz music into compositions to his courageous<br />

mother. She “had a great affection for both art<br />

and the mundane” and made sure that her first-born<br />

child received meaningful piano instruction at an early<br />

age. The father, the son of the public-health councillor<br />

Dr. Adolf Christian Bruhn, who was also an inventor,<br />

ran an art-publishing house until 1933 and skilfully<br />

brought his family through the confusion of the Third<br />

Reich as a businessman. He “painted in a very beautiful<br />

and respectable way – between Impressionism and<br />

Early Expressionism; however, in contrast to his wife<br />

who was experienced at reading music, he only played<br />

the piano on the black keys and by ear. As a result of<br />

his artistic work, he was friends with painters like Emil<br />

Nolde, August Macke, Willi Baumeister and their gal-<br />

9


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Emil Nolde, August Macke, Willi Baumeister und deren<br />

Galeristen befreundet.<br />

Christian Bruhn wuchs in einer bildungs- und kunstinteressierten<br />

Familie auf, deren Domizil infolge des<br />

Krieges von Hamburg nach dem damals zu Deutschland<br />

gehörenden Österreich verlegt wurde. Da Kärnten<br />

aller Voraussicht nach von Luftangriffen verschont<br />

bleiben würde, reiste die Mutter mit Sohn Christian und<br />

der jüngeren Tochter dorthin. Der Vater kam kriegsbedingt<br />

nur gelegentlich zu Besuch. Dort, hoch droben<br />

auf dem Berg, wurde Christian eingeschult und verinnerlichte<br />

in den nächsten Jahren das süddeutsche Idiom,<br />

in dessen Sprachbereich er später die meiste Zeit<br />

seines Lebens verbringen sollte. Aber kurz vor Kriegsende<br />

ging es zunächst von dem inzwischen geliebten<br />

Gebirge wieder zurück in die norddeutsche Tiefebene,<br />

nach Wentorf im Großraum Hamburg, das dann bald<br />

zur britischen Besatzungszone gehörte.<br />

Hier in seiner Geburtsheimat besuchte er das Reinbeker<br />

Gymnasium und gründete dort, knapp vierzehnjährig,<br />

seine erste Schülerkapelle, mit der er zu<br />

Schulfesten etc. aufspielte. Da es in der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit kaum gedruckte Noten gab, Papier<br />

war wie alles andere ebenfalls Mangelware, hörte<br />

Christian die Schlager vom Radio ab und ergänzte<br />

das Repertoire seiner Band mit selbst geschriebenen<br />

Noten. Gelegentlich schrumpfte das kleine Ensemble<br />

zum Duo, dann bestand die Besetzung lediglich aus<br />

Klavier und Schlagzeug. Aber auch diese Verkürzung<br />

konnte den blutjungen Entertainer nicht bremsen, seine<br />

ersten Versuche zur eigenen Schlagerproduktion<br />

zu starten.<br />

Doch Enthusiasmus und Elan allein reichen nicht, die<br />

Zeit war noch nicht reif für den <strong>Komponist</strong>en Bruhn.<br />

Zunächst formte er sich in den nächsten Jahren zum<br />

Pianisten, durch ein intensives theoretisches wie praktisches<br />

privates Musikstudium neben der Schule. Als<br />

junger Musiker verdiente er dann den Lebensunterhalt<br />

für sich und seine Verlobte Christiane. 1956 wurde in<br />

München geheiratet, und hier beendete Christian auch<br />

seine Karriere als Tanz- und Jazzmusiker, er arbeitete<br />

als Arrangeur und Produzent für die Firma Spezial<br />

Record, die mit ihrem Label Tempo-Schallplatten so<br />

genannte Nachzieher, also preiswertere Zweitversionen<br />

der gerade erfolgreichsten Hits produzierte. Hier<br />

erlernte Bruhn die Voraussetzungen für seinen späteren<br />

Hauptberuf als Schlager-, Film- und Fernsehkomponist.<br />

Wie bereits eingangs erwähnt, gehört zu<br />

Bruhns persönlichem Berufsziel „das Selbst-Erfinden<br />

lerists. Christian Bruhn grew up in a family interested<br />

in education and art, whose domicile was moved from<br />

Hamburg to Austria, which belonged to Germany at<br />

that time, as a result of the war. Since it appeared that<br />

Carinthia would remain spared of air attacks, the mother<br />

travelled there with son Christian and the younger<br />

daughter. Because of the war, the father only came<br />

to visit occasionally. There, high up on the mountain,<br />

Christian was enrolled in elementary school and in the<br />

subsequent years internalised the southern German<br />

idiom in whose linguistic realm he later spent most of<br />

his time. But shortly before the end of the war, they left<br />

the mountains that he had grown to love and initially<br />

returned to the northern German lowlands, to Wentorf<br />

in the Greater Hamburg area, which became a part of<br />

the British zone of occupation soon thereafter.<br />

Here, in the homeland of his birth, he attended the<br />

Reinbeker Gymnasium (secondary school). When he<br />

was barely fourteen years old, he established his first<br />

student band here and played at school parties with<br />

it. Since there was hardly any printed music directly<br />

after the war because paper was a scarce commodity,<br />

like everything else, Christian listened to the Schlager<br />

songs on the radio and added to the repertoire of<br />

his band by writing down the music himself. The little<br />

ensemble occasionally shrank into a duo, which consisted<br />

of just piano and drums. But even this curtailment<br />

could not stop the very young entertainer from beginning<br />

his first attempts at producing his own Schlager<br />

songs.<br />

Yet, enthusiasm and élan are not enough. The time<br />

was not yet ripe for the composer Bruhn. In the following<br />

years, he first developed himself as a pianist<br />

through intensive theoretical and practical private music<br />

studies in addition to school. As a young musician,<br />

he then earned a livelihood for himself and his fiancée<br />

Christiane. In 1956, they married in Munich and Christian<br />

also ended his career as a dance and jazz musician<br />

at this time. Instead, he worked as an arranger<br />

and producer for the company Spezial Record, which<br />

produced the so-called copies, cheaper second versions<br />

of the most successful hits of the moment, with its<br />

label Tempo-Schallplatten. This is where Bruhn learned<br />

the prerequisites for his later main profession as<br />

a composer for Schlager songs, film and television. As<br />

already mentioned at the beginning, one of Bruhn’s<br />

personal professional goals was “the self-invention of<br />

the entire sound image” and he was able to do practical<br />

experiments at Spezial Record.<br />

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des gesamten Klangbildes” und bei Spezial Record<br />

konnte er praktisch experimentieren.<br />

Er profilierte sich zunehmend als Arrangeur, erhielt<br />

erste Fernsehaufträge, schrieb sich die Finger wund<br />

und lernte im Tempo-Studio bei den Musikaufnahmen<br />

seine zweite Frau, die Sängerin Charlotte Bischoff<br />

kennen, die ihm zwei Söhne schenkte. Johannes, der<br />

Jüngere, promovierte als Pädagoge, während sich Sebastian<br />

für den Beruf eines Kameramannes entschied<br />

und durch die Geburt seiner Tochter Ella den Vater<br />

Christian in den Status des Großvaters erhob.<br />

Zurück ins Jahr 1960, denn da gab es mit einer eigenen<br />

Komposition den ersten großen Erfolg, mit<br />

Midi-Midinette. Dieses Liebeslied auf ein Pariser Mädchen,<br />

das so schön ist wie die Stadt an der Seine,<br />

sang Conny Froboess mit ihrer frischen, jugendlichen<br />

Stimme. Damit begannen die viele Jahre fortgeführten<br />

Produktionen mit dem gleichaltrigen Berliner Verleger<br />

Peter Meisel, Sohn des Erfolgskomponisten und<br />

Musikverlegers Will Meisel. Aus dieser Zusammenarbeit<br />

entstand die Freundschaft und daraus schließlich<br />

eine lange Reihe von bedeutsamen musikalischen<br />

Erfolgen. Gemeinsam entdeckten sie das Multitalent<br />

Drafi Deutscher und die Sängerin Manuela, diese<br />

führte Schuld war nur der Bossa Nova zum Hit, Drafi<br />

Deutscher 1965 Marmor, Stein und Eisen bricht, der<br />

einer der populärsten deutschen Schlager überhaupt<br />

werden sollte. Aus der produktiven Partnerschaft dieser<br />

beiden Bigband- Fans Rudolf Günter Loose/Christian<br />

Bruhn entstanden später weitere zahlreiche<br />

Erfolgstitel, denn Wunder gibt es immer wieder und<br />

Ein bißchen Spaß muß ... schließlich auch dabei sein.<br />

Zuvor trafen Anfang der sechziger Jahre das Autorenduo<br />

Bruhn/Georg Buschor (Text) mit ihrem Song<br />

Zwei kleine Italiener zielgenau den Zeitnerv. Bei den<br />

Deutschen Schlagerfestspielen 1962 in Baden-Baden<br />

ersang Conny Froboess damit den begehrten 1. Preis<br />

und auf allen Sendern ertönte dieses reizende Lied<br />

vom schmerzvollen Verlangen junger italienischer<br />

Gastarbeiter nach ihrer warmen, südlichen Heimat.<br />

Schlagerlieder überhöhen im Allgemeinen die Realität<br />

mit einer textlichsehnsüchtigen Unwirklichkeit, die<br />

Zwei kleinen Italiener jedoch lagen ziemlich genau,<br />

ohne Samtäugigkeit, an der damaligen Realität. Christian<br />

Bruhn möchte mit seiner Musik möglichst vielen<br />

Menschen Freude bereiten. Dieses Wunschziel darf<br />

man – nicht nur hier – als gelungen ansehen. Wenn<br />

einige Kollegen glauben, solcher Musik gegenüber<br />

eine vornehme Miene aufsetzen zu müssen, so mö-<br />

He increasingly distinguished himself as an arranger,<br />

received his first television commissions, wrote his fingers<br />

to the bone and met his second wife, the singer<br />

Charlotte Bischoff, at the Tempo Studio while recording<br />

music. She gave him two sons: Johannes, the<br />

younger one, graduated as an educator while Sebastian<br />

decided on the profession of a cameraman and<br />

elevated his father Christian to the status of a grandfather<br />

through the birth of his daughter Ella.<br />

Let’s go back to the year 1960 because this is when he<br />

had his first big success with one of his own compositions,<br />

“Midi-Midinette.” This love song for a Parisian girl<br />

who is as beautiful as the city on the Seine was sung<br />

by Conny Froboess with her fresh, youthful voice. This<br />

started many years of continuing productions with the<br />

Berlin publisher Peter Meisel, son of the successful<br />

composer and music publisher Will Meisel, who was<br />

the same age as Christian.<br />

This collaboration became a friendship that ultimately<br />

resulted in a long series of significant musical successes.<br />

Together they discovered the multi-talented Drafi<br />

Deutscher and the singer Manuela, who made a hit<br />

of “Blame It on the Bossa Nova.” Drafi Deutscher’s<br />

1965 recording of “Marmor, Stein und Eisen bricht”<br />

(Marble, Stone and Iron Breaks) was to become one<br />

of the most popular German Schlager songs ever.<br />

The productive partnership of the two big-band fans<br />

Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn later resulted<br />

in numerous other successful titles such as “Wunder<br />

gibt es immer wieder” and “Ein bisschen Spass muß<br />

auch dabei sein.” Even before this, the author duo<br />

Bruhn/Georg Buschor (lyrics) accurately hit the nerve<br />

of the times with their song “Zwei kleiner Italiener”. At<br />

the German Schlager Festival of 1962 in Baden-Baden,<br />

Conny Froboess sang her way to the coveted 1st<br />

Prize with it and this charming song about two young<br />

Italian foreign workers feeling a painful desire for their<br />

warm, southern homeland could be heard on all of the<br />

stations.<br />

Although Schlager songs generally exaggerate the<br />

reality with lyrics that express an artificial yearning,<br />

Zwei kleiner Italiener was very accurate in reflecting<br />

the reality of that time without any velvety eyes. With<br />

his music, Christian Bruhn would like to bring joy to as<br />

many people as possible. It is safe to say that he has<br />

attained this desired goal – and not just here. If some<br />

of the colleagues believe that they have to put on a distinguished<br />

face with regard to this type of music, may<br />

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gen diese Kaltschwärmer von emotionslosen Ton- und<br />

Geräuschfolgen sich auf die heute längst offenkundig<br />

gewordene Legitimationskrise der E- Musik konzentrieren.<br />

Damals jedenfalls, als Conny Froboess den 1. Preis<br />

in Baden-Baden sich und ihren Autoren ersang, litt<br />

weder die E-Musik noch der deutsche Schlager unter<br />

einer Legitimationskrise oder unter terminologischen<br />

Definitionsschwierigkeiten zum eigenen Genre. Es ist<br />

freilich schon fast ein halbes Jahrhundert her, dass<br />

die Deutschen Schlagerfestspiele eine fest installierte<br />

Institution der U-Musik waren, von einem Millionenpublikum<br />

aufmerksam verfolgt und genährt durch den<br />

rechtlich-öffentlichen Rundfunk und das Fernsehen,<br />

an deren Seriosität niemand zweifelte.<br />

Nachdem der Gartenzwerg-Marsch (Adelheid) zum<br />

Text von Hans Bradtke ein Dauerhit wurde, es für die<br />

Zwei kleinen Italiener die erste Goldene Schallplatte<br />

(damals für eine Million verkaufter Exemplare) und<br />

den Bronzenen Spatz gab, blieb dem fleißigen Duo<br />

Bruhn/Buschor der Erfolg auch weiterhin treu, denn sie<br />

erzielten bei den Schlagerfestspielen 1964 erneut den<br />

ersten Preis, dieses Mal mit ihrem Titel Liebeskummer<br />

lohnt sich nicht. Siw Malmquist war die Gesangsinterpretin,<br />

begleitet von der Rolf-Hans-Müller-Bigband<br />

des Südwestfunks. Im folgenden Jahr, gerade hatte<br />

der Dauerbrenner Marmor, Stein und Eisen gezündet,<br />

gab es den Goldenen Spatz für Liebeskummer lohnt<br />

sich nicht und eine „3/4” Goldene Schallplatte. Es folgten<br />

die Hits Lord Leicester aus Manchester und Monsieur<br />

Dupont, beides von Manuela gesungen, Wärst<br />

Du doch in Düsseldorf geblieben (Dorthe Kollo), Hinter<br />

den Kulissen von Paris (Mireille Mathieu) und Wunder<br />

gibt es immer wieder. Mit diesem Lied gewann Katja<br />

Ebstein beim internationalen Schlagerwettbewerb<br />

Grand Prix d’Eurovision in Amsterdam den 3. Preis<br />

für Deutschland, sie gewann aber auch das Herz von<br />

Christian Bruhn, und 1972 wurde geheiratet.<br />

Erhielt 1963 das Heimwehlied Zwei kleine Italiener die<br />

erste Goldene Schallplatte, so folgten 1972 für Akropolis<br />

Adieu und 1974 für La Paloma Ade – beides gesungen<br />

von Mireille Mathieu – die nächsten Goldenen<br />

Schallplatten.<br />

Das saisonunabhängige, auf längere Dauer angelegte<br />

erfolgreiche Schlagerproduzieren verlangt von<br />

den Autoren nicht nur solide handwerklich-musikalische<br />

Grundlagen, sondern auch viel Ernst im heiteren<br />

Spiel. Freilich muss auch genügend heiteres Spiel im<br />

these cold enthusiasts of emotionless sequences of<br />

tones and sounds concentrate on the identification crisis<br />

of classical music that has long become apparent.<br />

In any case, back when Conny Froboess and her authors<br />

won the 1st Prize in Baden-Baden, neither classical<br />

music nor the German Schlager suffered from<br />

an identification crisis or from terminological definition<br />

difficulties regarding their own genre. Of course, the<br />

German Schlager Festival has become a solidly established<br />

institution of light music, attentively followed<br />

by an audience of millions and fed by public broadcasting<br />

and television, the respectability of which no one<br />

can doubt during the nearly fifty years of its existence.<br />

After the “Gartenzwerg-Marsch” (Garden Gnome<br />

March, Adelheid) to the lyrics by Hans Bradtke became<br />

a continuous hit, “Zwei kleiner Italiener” received<br />

the first Gold Record (awarded back then for one million<br />

copies sold) and the Bronze Sparrow, success remained<br />

faithful to the diligent duo Bruhn/Buschor because<br />

they once again achieved the first prize at the<br />

1964 Schlager Festival with their title “Liebeskummer<br />

lohnt sich nicht.” Siw Malmquist was the vocal performer,<br />

accompanied by the Rolf Hans Müller Bigband of<br />

Southwest Broadcasting.<br />

In the following year, as the long-lasting success “Marmor,<br />

Stein und Eisen bricht” was just taking off, they<br />

received the Golden Sparrow for “Liebeskummer lohnt<br />

sich nicht” and a “3/4” Gold Record. These were followed<br />

by the hits “Lord Leicester aus Manchester” and<br />

“Monsieur Dupont,” both of which were sung by Manuela,<br />

“Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben” (Dorthe<br />

Kollo), “Hinter den Kulissen von Paris” (Mireille Mathieu)<br />

and “Wunder gibt es immer wieder.” With this<br />

last song, Katja Ebstein collected the 3rd Prize for<br />

Germany at the international song contest Grand Prix<br />

d’Eurovision in Amsterdam, but she also won the heart<br />

of Christian Bruhn and they married in 1972.<br />

In 1963, the “Zwei kleiner Italiener” song about homesickness<br />

received the first Gold Record, which was<br />

followed in 1972 by “Akropolis Adieu” and in 1974 by<br />

“La Paloma Ade” – both sung by Mireille Mathieu – the<br />

next Gold Records.<br />

The non-seasonal, long-term successful production of<br />

Schlager songs demands not only solid craftsmanship<br />

and musical foundations from the authors but also<br />

a great deal of seriousness while having fun. There<br />

must obviously also be enough fun in the serious-<br />

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Ernst sein und dem Publikum immer wieder Neues im<br />

Vertrauten geboten werden, bis sich die Paradigmen<br />

scheinbar erschöpft haben und unter neuem Anstrich<br />

das Vertraute die Empfindungsscala der Rezipienten<br />

wieder zum positiven Mitschwingen bringt. Unter diesen<br />

Gegebenheiten über viele Jahre hin zu reüssieren<br />

ist nur wenigen <strong>Komponist</strong>en vergönnt. Christian<br />

Bruhn gelang es, als einer der schöpferisch erfolgreichsten<br />

Popularmusikautoren in der zweiten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts zu wirken.<br />

Aus den verschiedenen Genres seines Oeuvres<br />

möchte ich hier nur einige Beispiele erwähnen, wie<br />

der von Katja Ebstein mit großem Nuancenreichtum<br />

interpretierte Heine-Zyklus. Der Schriftsteller Friedrich<br />

Torberg war hingerissen und schrieb 1976 begeistert:<br />

„Christian Bruhn – und daher die frappante Gültigkeit<br />

seiner Vertonungen – hat sich fast ausschließlich an<br />

Heine-Gedichte gehalten, die schon von sich aus<br />

Chansons waren. (…) Aber da glaubt man immer ein<br />

listiges, lustiges Zwinkern aus der Musik herauszuhören.<br />

Kein liebliches Geläute zieht leise durchs Gemüt,<br />

um den Loreleifelsen wogt es von beinahe Rheintöchtern,<br />

Melodie und Instrumentation lassen auch<br />

nicht den kleinsten Tropfen Schmalz einsickern. (…)”<br />

Ebenso wenig verwandt dem Schlageralltag ist der<br />

fürs Fernsehen in zwölf Folgen komponierte Zyklus<br />

James Tierleben nach Gedichten von James Krüss.<br />

Allein die Fernseh- und Filmmusiken nur aufzuzählen,<br />

würde den Rahmen dieses Essay’s sprengen.<br />

Um wenigstens einige Titel zu nennen: Timm Thaler,<br />

Sindbad, Alice im Wunderland, Jack Holborn, Captain<br />

Future, Die Post geht ab, Die Banditen vom Rio Grande,<br />

Apartmentzauber, Maibritt, Fit forever, Manni der<br />

Libero, All meine Töchter, Abenteuer in Afrika, Hans<br />

im Glück, Hotel Shanghai usw.<br />

Die Musik zur Fernsehserie Jack Holborn wurde von<br />

dem Symphonieorchester Kurt Graunke 1982 in den<br />

Münchener Bavaria Tonstudios eingespielt. Was da<br />

in den 16 durchschnittlich knapp drei Minuten langen<br />

Musik-Takes an thematischem Material geboten wird,<br />

daraus hätte im 19. Jahrhundert ein talentierter Tonsetzer<br />

mindestens vier romantische Symphonien komponiert.<br />

Bruhns Instrumentation ist hier impressionistisch<br />

orientiert und von erlesener Farbigkeit. Schade, dass<br />

nur wenige Musikfreunde um diese ganz erstaunliche<br />

Vielfachbegabung Bruhns wissen, denn solche Musik<br />

ist auch ohne Filmbilder sehr hörenswert.<br />

Ganz anders klingt dagegen der Soundtrack zu Hotel<br />

Shanghai (nach Vicki Baums Roman), 1997 vom Babelsberger<br />

Filmorchester aufgenommen. Hier demon-<br />

ness, and the audience must constantly be offered<br />

something new within the familiar until the paradigms<br />

are apparently exhausted and what is familiar once<br />

again elicits a positive resonance from the recipients’<br />

emotional scale under a new veneer. Under these circumstances,<br />

having songs that are successful over<br />

many years is something that has only been granted<br />

to very few composers. Christian Bruhn accomplished<br />

this as one of the creatively most successful authors<br />

of popular music during the second half of the 20th<br />

Century.<br />

I would like to just mention a few examples from the<br />

various genres of his oeuvre, such as the Heine Cycle<br />

that was performed by Katja Ebstein with a wealth of<br />

nuances. The writer Friedrich Torberg was fascinated<br />

and enthusiastically wrote in 1976: “Christian Bruhn<br />

– and therefore the remarkable validity of his compositions<br />

for poetry – has almost exclusively followed the<br />

Heine poems, which were actually already chansons<br />

(…) But we believe that we are always hearing a wily,<br />

humorous winking from the music. No sweet chimes<br />

run through the soul, the almost daughters of the Rhine<br />

are surging around the rocks of the Lorelei and not<br />

the smallest drop of schmaltz has seeped into the melody<br />

and instrumentation (…)”<br />

He composed the cycle James Tierleben, based on<br />

poems by James Krüss, for television in twelve episodes<br />

and this also has little in common with the everyday<br />

life of the Schlager song. Just listing the compositions<br />

of television and film music would exceed<br />

the scope of this essay. To name just a few of the titles:<br />

“Timm Thaler,” “Sindbad,” “Alice im Wunderland,”<br />

“Jack Holborn,” “Captain Future,” “Die Post geht ab,”<br />

“Die Banditen vom Rio Grande,” “Apartmentzauber,”<br />

“Maibritt,” “Fit Forever,” “Manni der Libero,” “All meine<br />

Töchter,” “Abenteuer in Afrika,” “Hans im Glück,” “Hotel<br />

Shanghai,” etc.<br />

The music for the television series Jack Holborn was<br />

recorded by the Symphonic Orchestra Kurt Graunke in<br />

1982 at Munich’s Bavaria Sound Studios. The thematic<br />

material that was offered in those 16 music takes<br />

that were an average of just less than three minutes<br />

in length would have sufficed a talented 19th century<br />

composer for at least four romantic symphonies.<br />

Bruhn’s instrumentation is impressionistically oriented<br />

here and exquisitely colourful. It’s unfortunate that so<br />

few music fans know about Bruhn’s quite astonishing<br />

multi-talented abilities because such music is also very<br />

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Reden Werkkommentare<br />

striert Christian Bruhn elegant, dass er die musikalischen<br />

Codes aller Tanzmusikarten brillant beherrscht,<br />

ob Tango, Blues, Charleston usw. Einzelne Musikstükke<br />

zeichnen sich durch interessante, exotisch- fernöstliche<br />

Klangphänomene aus und folgen damit der<br />

Filmhandlung. Der Titelsong erinnert an die frühen<br />

James-Bond-Filme und ist ebenso geschickt wie aufwändig<br />

instrumentiert, beherrscht von der groovenden<br />

Stimme Jocelyn B. Smiths. Diese wenigen Beispiele<br />

zeigen den außerordentlichen musikalischen Ideenreichtum<br />

des <strong>Komponist</strong>en Christian Bruhn. Populär<br />

wurde er jedoch durch seine Schlagererfolge, die ihm<br />

schließlich auch neben den Film- und Fernsehmusiken<br />

eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage gaben.<br />

Sein frühes Bohemientum mündete im Verlaufe der<br />

Jahre in eine allgemeine Lebensbürgerlichkeit, die<br />

sich äußerlich in seiner geräumigen Sollner Villa mit<br />

Garten, eigenen Aufnahmestudios, lichten Wohnräumen,<br />

einem Schwimmbad und schönen Gästezimmern<br />

manifestierte. Das Haus ist im späten Jugendstil<br />

mit Tendenz zur neuen Sachlichkeit entworfen und im<br />

Jahr 1922 gebaut.<br />

Die immer wieder beruflich bedingten Trennungen<br />

von der singenden Ehefrau führten wohl auch zur<br />

Scheidung. Jedoch verhalf Katja Ebstein noch einigen<br />

Bruhn-Songs zum Erfolg, wie Der Stern von Mykonos<br />

oder Ein Indiojunge aus Peru. Um in sich kein Gefühl<br />

der Vereinsamung aufkommen zu lassen, heiratete<br />

Christian Bruhn 1976 die junge, begabte Sängerin<br />

Erika Götz. Ihr gelangen im Duo mit ihrer fast gleichaltrigen<br />

Schwester unter anderem mit Heidi und Die<br />

Musik kommt aus Böhmen neue, sehr schöne Erfolge.<br />

Christian arbeitete mit Fleiß weiter und wurde in den<br />

folgenden Jahren dafür mit dem Goldenen Hufeisen<br />

(1986), der Goldenen Stimmgabel (1987), dem Paul-<br />

Lincke-Ring (1993), der Goldenen Nadel der Dramatiker<br />

Union, der Richard-Strauss-Medaille der GEMA<br />

und der Verdienstmedaille des Deutschen Musikverleger-Verbandes<br />

(1999) belohnt.<br />

Inzwischen hatte ihn 1982 die GEMA-Mitgliederversammlung<br />

mit großer Mehrheit in den Aufsichtsrat<br />

gewählt, d.h. er musste zunächst zur Kandidatur<br />

überredet werden. Der gleiche Vorgang wiederholte<br />

sich 1991, als es galt, nach dem plötzlichen Tod von<br />

Raimund Rosenberger einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden<br />

zu küren. Christian Bruhn stellte sich<br />

schließlich dieser zeitaufwändigen Herausforderung,<br />

die er nun seit 13 Jahren glänzend bewältigt. Für sei-<br />

worthwhile to listen to even without the film images.<br />

On the other hand, the soundtrack to Hotel Shanghai<br />

(based on Vicki Baum’s novel), which was recorded<br />

in 1997 by the Babelsberg film orchestra, makes a<br />

completely different impression. Christian Bruhn elegantly<br />

demonstrates here that he brilliantly masters<br />

the musical codes for all types of dance music, whether<br />

tango, blues, Charleston, etc. Individual pieces<br />

of music are distinguished by the interesting, exotic<br />

Far-Eastern sound phenomena and therefore follow<br />

the plot of the film. The title song is reminiscent of the<br />

early James Bond films and has an instrumentation<br />

that is both skilful and complex, ruled by the grooving<br />

voice of Jocelyn B. Smith. These few examples show<br />

the composer Christian Bruhn’s extraordinary wealth<br />

of ideas. However, he became popular because of his<br />

Schlager successes, which ultimately also gave him a<br />

stable economic basis in addition to the music for film<br />

and television.<br />

Through the course of the years, his early Bohemianism<br />

ended up as a generally conventional way of<br />

life that manifests itself externally in his roomy villa in<br />

Solln with its garden, his own recording studios, lightfilled<br />

living spaces, a swimming pool and lovely guest<br />

rooms. The house was designed as late Art Nouveau<br />

leaning towards the new functionalism and built in the<br />

year 1922.<br />

The repeated separations from the singing wife dictated<br />

by the profession probably also led to the divorce.<br />

Yet, Katja Ebstein still contributed to the success of<br />

some of the Bruhn songs such as “Der Stern von Mykonos”<br />

or “Ein Indiojunge aus Peru.” To stop any feelings<br />

of loneliness from developing, Christian Bruhn<br />

married the young, talented singer Erika Götz in 1976.<br />

In a duo with her sister, who is almost the same age,<br />

she had some new, very beautiful successes that included<br />

“Heidi” and “Die Music kommt aus Böhmen.”<br />

Christian continued to work diligently and was rewarded<br />

in the following years for it with the Golden Horseshoe<br />

(1986), the Golden Tuning Fork (1987), the<br />

Paul Lincke Ring (1993), the Golden Pin of the Dramatists’<br />

Union, the Richard Strauss Medal of GEMA<br />

and the Medal of Merit of the German Music Publishers’<br />

Association (1999).<br />

In the meantime, in 1982 the GEMA General Meeting<br />

had elected him with a large majority to the Board of<br />

Supervisors, which means that he first had to be talked<br />

into becoming a candidate. The same procedure<br />

14


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ne dabei allen GEMA-Mitgliedern zugute kommenden<br />

erbrachten außerordentlichen Leistungen wurde er im<br />

Jahr 2001 mit dem GEMA-Ehrenring ausgezeichnet<br />

und bald darauf außerdem zum Ehrenmitglied der<br />

GEMA ernannt, während der Freistaat Bayern ihn für<br />

seine Vorlesungen an der Musikhochschule Nürnberg/<br />

Augsburg mit einer Honorarprofessur würdigte.<br />

Bruhns sachlich-freundschaftliche Zusammenarbeit<br />

mit dem GEMA-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Kreile<br />

bewährt sich gerade in den augenblicklich in vielerlei<br />

Hinsicht zunehmend schwierigen Zeiten für unsere<br />

Urheberrechtsgesellschaft. Es ist für uns alle eine<br />

glückliche Fügung, dass hier zwei kenntnisreiche,<br />

pflichtbewusste Urheberfachleute das wirtschaftliche<br />

Wohlergehen der Mitglieder mit Geschick gegen Angriffe<br />

von außen und auch von innen verteidigen. Der<br />

GEMA-Aufsichtsrat hatte nie zuvor einen so effektiven<br />

und umfassend gebildeten Vorsitzenden, ausgenommen<br />

Werner Egk; dem allerdings mangelte es an Klarheit<br />

gegenüber seiner eigenen politischen Vergangenheit.<br />

Bruhn dagegen ist auch politisch „ein Moralist der<br />

höheren Art” und außerdem verlässlich.<br />

Wer sich wünscht, mit ihm unangestrengt ins Gespräch<br />

zu kommen, ohne das Thema Musik zu strapazieren,<br />

dem sei die Lektüre einiger Thomas Mann<br />

Werke empfohlen. Speziell mit der Genealogie der<br />

Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook sollte er<br />

sich vertraut machen, ebenso mit dem rheinischen<br />

Lebenskünstler Felix Krull und mit der fiktiven Biografie<br />

über den faustisch-genialen Tonsetzer Adrian Leverkühn.<br />

Zu Bruhns literarischer Hitliste zählen unter<br />

anderem aber auch die Jahreszeiten von Uwe Johnson<br />

und das Frauenschicksal Effie Briest des Berliner<br />

Hugenottenabkömmlings Theodor Fontane. Als<br />

Nachtisch wäre vielleicht noch Raymond Chandlers<br />

The big sleep und ein Gläschen guten schottischen<br />

Landweins angezeigt. Trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen<br />

bleibt Christian Bruhn auch literarisch<br />

auf dem aktuellen Stand. Außerdem schreibt er neue<br />

Fernsehmusiken, plant ein Kindermusical und das alles<br />

zwischen den Reisen, die ihn rund um die Welt<br />

führen, nicht nur als GEMA- Aufsichtsratvorsitzenden,<br />

sondern seit 2002 auch als Präsident der CISAC,<br />

Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs<br />

et Compositeurs, Paris.<br />

Alle Ehrungen und Ämter ließen Christian Bruhn kollegial<br />

und bescheiden bleiben. Weder leidet er unter<br />

dem in der Musikbranche gelegentlich aufleuchtenden<br />

was repeated in 1991 when a new Chairman of the<br />

Board of Supervisors had to be chosen after the sudden<br />

death of Raimund Rosenberger. Christian Bruhn<br />

ultimately accepted this time-consuming challenge,<br />

which he has now mastered brilliantly for the past 13<br />

years. For his extraordinary accomplishments that benefit<br />

all of the GEMA members, he was distinguished<br />

in the year 2001 with the GEMA Ring of Honour and<br />

was named an Honorary Member of GEMA soon afterwards.<br />

The State of Bavaria also acknowledged<br />

him for his lectures at the Music Academy of Nuremberg/Augsburg<br />

with an honorary professorship.<br />

Bruhn’s professional and friendly working relationship<br />

with GEMA President Prof. Dr. Kreile is standing the<br />

test, especially in the momentary difficult times for our<br />

copyright society that are becoming increasingly so in<br />

many respects. It is a happy stroke of fate for all of<br />

us that two such knowledgeable, conscientious author<br />

specialists are defending the economic welfare of the<br />

members so skilfully against attacks from the outside,<br />

as well as from the inside. The GEMA Board of Supervisors<br />

has never before had such an effective and extensively<br />

educated Chairman except for Werner Egk;<br />

however, there is a lack of clarity about the latter’s own<br />

political past. On the other hand, Bruhn is also politically<br />

“a moralist of the higher sort,” in addition to being<br />

reliable.<br />

I recommend that anyone who wants to easily get into<br />

a conversation with him, without exhausting the topic<br />

of music, should read some of the works by Thomas<br />

Mann. He should become familiar with the genealogy<br />

of the Lubeck merchant family Buddenbrook, as well<br />

as with the Rhenish master of the art of living, Felix<br />

Krull, and with the fictive biography of the Faustian-ingenious<br />

composer Adrian Leverkühn. Bruhn’s literary<br />

list of hits also includes the Jahreszeiten book by Uwe<br />

Johnson and the woman’s novel Effie Briest by the<br />

descendant of Berlin Huguenots, Theodor Fontane.<br />

An appropriate dessert would perhaps be Raymond<br />

Chandler’s The Big Sleep and a little glass of good<br />

Scottish table wine.<br />

Despite his numerous obligations, Christian Bruhn<br />

also stays up to date when it comes to literature. In<br />

addition, he is writing new music for television, is planning<br />

a children’s musical and does all this between the<br />

journeys that take him around the world not only as<br />

the Chairman of the GEMA Board of Supervisors but<br />

also as President of CISAC, Confédération Internationale<br />

des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs, Paris,<br />

15


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bizarren Byzantinismus, noch benötigt er zur Stabilisierung<br />

seines Selbstbewusstseins das von Berufskollegen<br />

häufig erlebte Schmeichelentzücke. Sein zu<br />

knappen Formulierungen neigender Pragmatismus<br />

provoziert manchesmal Unverständnis oder gar Unmut,<br />

dem begegnet er gelegentlich mit Ironie oder Ungeduld,<br />

was mancher mit Erdenschwere und egozentrischer<br />

Sensibilität behafteten <strong>Komponist</strong>enseele nur<br />

mäßig bekommt. Ich meine, dass für Christian Bruhns<br />

gefestigtes Selbstbewusstsein durchaus berechtigte<br />

Grundlagen bestehen.<br />

Sein Name erscheint – im Gegensatz zu anderen,<br />

meist weniger erfolgreichen Popularmusikautoren – in<br />

Gazetten vom Genre der Bildzeitung, dem deutschen<br />

Zentralorgan für gesundes Volksempfinden, äußerst<br />

selten und dann eher im Zusammenhang mit urheberrechtlichen<br />

Problemen als mit Beiträgen zur privaten<br />

Sittengeschichte der bundesrepublikanischen Bourgeoisie.<br />

Dem Ehekäfig bereits viermal entronnen,<br />

wagte er es vor nicht allzu langer Zeit ein fünftes Mal,<br />

sich dieser gelegentlich vielleicht auch zwiespältigen<br />

Dauerverzückung zu unterwerfen, er heiratete die<br />

Ärztin Dr. Irene Link. Christian lebt nicht im Konjunktiv,<br />

er dringt darauf, immer wieder neue Erfahrungen<br />

zu sammeln und immer noch weiterzulernen. Aber bei<br />

all seinen komplexen Interessen bleibt die Musik aktiv<br />

wie passiv sein Elan vital.<br />

Ich wünsche dem in Süddeutschland inzwischen verwurzelten<br />

norddeutschen Glückskind zu seinem 70.<br />

Geburtstag vor allem Gesundheit und weiterhin ungebrochene<br />

Lebensfreude. Mögen ihm auch in seinem<br />

achten Jahrzehnt optimale Lebensbedingungen erhalten<br />

bleiben, auf dass sich seine Talente so großartig<br />

wie bisher entfalten und seine Schaffenskraft noch<br />

viele reife Früchte tragen wird.<br />

KARL HEINZ WAHREN – NUN BEREITS SIEBZIG<br />

Prof. Christian Bruhn zum 70. Geburtstag seines<br />

Freundes<br />

Lieber <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, lieber Freund: Mit 70 ärgert man<br />

sich über alles, wundert sich aber über nichts mehr.<br />

70 Jahre –<br />

das ist ein Alter, in das man ein Leben lang nicht<br />

glaubt, selbst zu kommen.<br />

70-Jährige –<br />

das sind Greise, impotent und inkompetent.<br />

since 2002. Despite all of these honours and offices,<br />

Christian Bruhn is still friendly and modest. He does<br />

not suffer from the bizarre Byzantinism that occasionally<br />

flares up in the music sector nor does he require<br />

the flattery frequently experienced from professional<br />

colleagues for the stabilisation of his self-confidence.<br />

His pragmatism, which tends toward succinct formulations,<br />

sometimes provokes a lack of understanding or<br />

even annoyance, which he will occasionally counter<br />

with irony or impatience. Some composers’ souls who<br />

are subject to heaviness and egocentric sensitivity<br />

only have a mediocre response to this. I believe that<br />

there is most definitely a justified reason for Christian<br />

Bruhn’s solid sense of self-confidence.<br />

His name – in contrast to other, usually less successful<br />

authors of popular music – appears extremely rarely in<br />

gazettes of a genre like the Bildzeitung newspaper,<br />

the German central organ for sound popular instinct,<br />

and then more likely in relation to problems concerning<br />

authors’ rights than with articles about private<br />

stories on the morals of the German bourgeoisie. After<br />

already escaping from the cage of marriage four<br />

times, he risked subjecting himself to this occasionally<br />

conflicting permanent state of ecstasy for a fifth time<br />

not too long ago by marrying the physician Dr. Irene<br />

Link. Christian does not live in the subjunctive. He is<br />

keen about having new experiences time and again<br />

and still continuing to learn. But despite all of his complex<br />

interests, music in both the active and the passive<br />

sense remains his Élan vital.<br />

Above all, I wish this north German child of fortune<br />

who has now become rooted in southern Germany<br />

health and continuing undiminished joy in life for his<br />

70th birthday. May the optimal conditions in life also<br />

be preserved for him in his eighth decade so that his<br />

talents can continue to develop as splendidly as they<br />

have up to now and his creative powers bear many<br />

ripe fruits.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> - Already seventy years old<br />

Professor Christian Bruhn on the 70th birthday of his<br />

friend<br />

Dear <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, Dear Friend: At 70 people are annoyed<br />

with everything but no longer surprised by<br />

anything.<br />

70 years – for much of our lives we believe that we will<br />

never be that old ourselves.<br />

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70-Jährige -<br />

das waren alte Nazis, die von Kriegsheldentaten und<br />

den guten Seiten Adolf Hitlers berichteten.<br />

70-Jährige -<br />

die haben keinen Sinn für Humor und finden alles,<br />

was Jüngere tun, vollkommen geschmacklos, vor allem<br />

deren Musik.<br />

Wie anders dagegen die Wirklichkeit! - Ich bin zwar<br />

noch nicht ganz siebzig, wundere mich aber auch<br />

nicht mehr viel. Verwundern tun mich jedoch immer<br />

wieder drei Umstände im Dasein meines Freundes,<br />

die meinem Erachten nach Bewunderung verdienen:<br />

In erster Linie imponiert mir, dass dieser E-Kollege sich<br />

ohne die hilfreiche Stütze eines Lehrauftrages durchs<br />

Leben rettet. Zwar kann er so seine bei <strong>Karl</strong> Amadeus<br />

Hartmann mühsam erworbenen musikalischen Weisheiten<br />

leider nicht weitergeben, aber das können ja<br />

seine Kollegen tun. Er hat Besseres zu tun.<br />

Denn zweitens, Freunde, horcht auf: Selbst mein verengtes<br />

und beschränktes Terzen-Herz vermag er mit<br />

seiner Musik zu rühren, das will viel heißen. Und deshalb<br />

imponiert mir seine Musik ebenfalls.<br />

Zum dritten imponiert mir die soziale Grundhaltung<br />

meines Freundes <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, denn wie anders als<br />

sozial ist zu nennen, wenn sich einer in Ehrenämtern<br />

zum Wohle der Reihen seiner Berufskollegen aufreibt,<br />

anstatt in der Reihentechnik zu komponieren.<br />

Mein Lob gilt also<br />

a) dem selbstständigen freiberuflichen <strong>Komponist</strong>en<br />

und seiner Musik,<br />

b) dem als vielseitigen Funktionär Tätigen und<br />

c) natürlich dem Menschen <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />

Das gutmütige und hochgebildete, in der Historie (besonders<br />

der preußischen) überaus beschlagene Wesen<br />

<strong>Wahren</strong> hat natürlich auch seine Schrullen, wie z.<br />

B. die häufige Anwendung des Wortes “kafkaesk” und<br />

des Begriffes von der “Heisenbergschen Unschärfe-<br />

Relation”.<br />

Wer ihn kennt, weiß, dass auch sein Privatleben zu<br />

Zeiten einer gewissen Groteske nicht entbehrt, aber:<br />

Wenn auf jemanden der Terminus “Redlichkeit” anzuwenden<br />

ist, dann auf unseren <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>! <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />

(wie kann man sein Kind nur so taufen lassen-?) - wir<br />

lieben dich und wir brauchen dich!<br />

70-year-olds -<br />

those are the seniors, impotent and incompetent.<br />

70-year-olds -<br />

those were the old Nazis who talked about the feats of<br />

the war heroes and the good sides of Adolf Hitler.<br />

70-year-olds -<br />

they have no sense of humour and find everything that<br />

young people do to be completely tasteless, especially<br />

their music.<br />

But the reality is very different! Although I am not quite seventy<br />

yet, I find very few things surprising anymore. However,<br />

I am still constantly astonished about three aspects<br />

of my friend’s life that I consider worthy of admiration:<br />

First of all, I am impressed that this colleague of serious<br />

music has made it through life without the helpful<br />

support of a lectureship. Although this means he unfortunately<br />

cannot pass on the musical wisdom that he<br />

so arduously acquired from <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />

in that way, his colleagues can take care of that. He<br />

has better things to do.<br />

Secondly, my friends, please listen carefully: Even my<br />

narrow-minded and limited heart that loves thirds is<br />

touched by his music, which means quite a lot. And<br />

this is why his music also amazes me.<br />

Thirdly, I am impressed by the basic social attitude<br />

of my friend <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>. Could it be called anything<br />

other than “caring” when a person wears himself out<br />

in honorary positions to benefit the ranks of his professional<br />

colleagues instead of composing in the series<br />

technique.<br />

My praise is also extended to:<br />

a) the independent freelance composer and his music<br />

b) the versatile activities of the functionary<br />

c) and, of course, <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> as a human<br />

being.<br />

The good-natured and highly educated being <strong>Wahren</strong>,<br />

who is very knowledgeable in history (Prussian<br />

in particular) naturally also has his whims, such as the<br />

frequent use of the word “Kafkaesque” and the term<br />

“Heisenbergian relation of unsharpness.”<br />

Those who know him are also aware that his private<br />

life has sometimes had a certain grotesque quality to<br />

it. However: If there is anyone for whom we can use the<br />

expression “uprightness,” then it is our <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>! <strong>Karl</strong><br />

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Vor zehn Jahren bereits trug ich anlässlich eines runden<br />

Geburtstages (ja - richtig geraten, es war der<br />

sechzigste!) unseres heutigen Jubilars ein mühsam<br />

verfertigtes, ja: ziseliertes Gedicht vor. Schier echolos<br />

verpuffte es in der bereits stark alkoholisierten Menge,<br />

und deshalb verdient es, heute wiederholt zu werden<br />

(Wiederholungen, lieber <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, sind das Salz der<br />

U-Musik), nicht ohne dem festlichen Anlass allerdings<br />

behutsam angepasst zu sein:<br />

Heute, ihr Leute, da jährt sich zum siebzigsten Male<br />

der Tag der Geburt unsres immer noch rüstigen Alten.<br />

Seht ihn, den feurigen Greis mit dem bärtigen Antlitz,<br />

silbern das Haar und leuchtend die wachsamen Augen!<br />

Gruben auch Kleine Sekunden und mancher Tritonus<br />

- Klänge, die seine Musik unverwechselbar machten -<br />

gruben sie auch, diese Töne, die oft dissonanten,<br />

Runen ins weise Gesicht sowie kleinere Falten,<br />

strotzt doch das heitere Kerlchen von Jugend und Spannkraft,<br />

perlt von den Lippen der Strom unaufhaltsamer Rede,<br />

voll Anekdoten und wichtiger Informationen.<br />

Weiß der <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> doch fast alles von Körper und Seele,<br />

von Kafka und Heisenberg, Wilhelm und Friedrich dem Großen,<br />

- die Geschichte des preußischen Reiches hier auch zu erwähnen,<br />

hieße, die märkischen Eulen nach Spree-Athen tragen -<br />

weiß er (und weiß, daß auch wir dieses wiederum wissen)<br />

ja nicht nur die Regeln der E-Musik kundig zu nutzen,<br />

schichtend so wacker wie herzhaft den Reiz der Friktionen<br />

über- und nebeneinander im Reich der Euterpe,<br />

weiß er doch auch um die Wonnen des klassischen Jazzes,<br />

und back to the roots zieht’s ihn öfter am späteren Abend.<br />

Erleuchtet vom Weine, befeuert und mächtig beflügelt<br />

donnert <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> dann Akkorde und wucht’ge Kaskaden,<br />

schonend wohl kaum des Klavieres empfindliche Tasten.<br />

Wo blieb Verlorenen Tangos subtiles Gewebe?<br />

Wo bleibt der Jungfrauen zarter Gesang in den Gärten?<br />

Alles vereint sich zum Urstrom der wabernden Muse.<br />

Aber Adorno rotieret im naßkalten Grabe.<br />

Lasset uns heben nun hoch unsre schimmernden Humpen,<br />

trinken auf ihn und mit ihm, unsrem Festjubilaren!<br />

Die mit dem Altwerden drohenden bösen Gefahren<br />

möge das Schicksal dir gnädig noch lange ersparen!<br />

Gönne dir und auch den Freunden noch mal einen Klaren,<br />

Sei du beschenkt mit noch vielen und fruchtbaren Jahren!<br />

Laut rufen alle wir, die heut gekommen in Scharen:<br />

Gott segne dich und die Deinen, oh Freund <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>!<br />

[*] Anmerkung: Auf der Suche nach dem verlorenen<br />

Tango und Gesang toskanischer Jungfrauen in florentinischen<br />

Gärten zur Blütezeit der Inquisition sind<br />

Kompositionen von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />

<strong>Heinz</strong> (how can anyone have their child baptised with<br />

that name...?) - we love you and we need you!<br />

Ten years ago, on the occasion of a birthday (yes -<br />

good guess, it was the sixtieth!) of the person who we<br />

are celebrating today, I already read an arduously composed<br />

and even engraved poem. Without an echo, it<br />

went up in smoke in the strongly alcoholised crowd and<br />

therefore deserves to be recited today (repetitions, dear<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, are the salt of light music), but not without<br />

careful adaptation to this festive occasion:<br />

Today, dear people, is the seventieth anniversary<br />

Of the birth of our old man so hale and hearty.<br />

Look at him, the fiery elder with his bearded countenance,<br />

His hair silvery and eyes shining with so much vigilance!<br />

Even if the minor seconds and some of the tritones<br />

- the sounds that have given his music a style of its own<br />

Even if these tones, dissonant as they are in their place,<br />

Engraved runes and little wrinkles in his wise face,<br />

This cheerful fellow is still bursting with youth and energy,<br />

And from his lips bubbles a stream of unstoppable speech<br />

Full of anecdotes and information we should know,<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> is familiar with most things about body and soul,<br />

About Kafka and Heisenberg, Wilhelm and Frederick II the Great,<br />

- as well as the Prussian empire’s history to date<br />

Which means taking the owls of Brandenburg March to Spree-Athens -<br />

He not only knows (and, in turn, also knows that we all know this)<br />

How to use the rules of serious music in a way that is ideal,<br />

Layering both bravely and heartily the friction’s appeal<br />

One upon the other and side by side in Euterpe’s realm,<br />

He even knows the delights of classical jazz and how to enjoy them<br />

And often, late in the evening, back to the roots he is drawn<br />

Inspired by wine, full of fire, with powerful wings to carry him on<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> thunders the chords and cascades so massively,<br />

That he hardly spares the piano’s sensitive keys.<br />

What has happened to the subtle texture of the Lost Tango?<br />

Where did the tender Song of Virgins in the Garden go?<br />

Everything unites in the undulating muse’s primal stream,<br />

Yet Adorno is turning in a grave that is clammy and unseen.<br />

So now our glistening glasses should all be raised<br />

Drink to him and with him as he celebrates his special day!<br />

May fate in its mercy long spare you<br />

Of the evil dangers that threaten as we grow older too!<br />

Allow yourself, and your friends, one more schnapps in the glass,<br />

And may you be given many more fruitful years as they pass!<br />

Now it’s time for the whole group here to call out and applaud:<br />

Oh, friend <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> - may you and yours be blessed by God!<br />

[*]Note: In Search of the Lost Tango and the Song of Tuscan Virgins in the<br />

Florentine Gardens at the Height of the Inquisition are compositions by <strong>Karl</strong><br />

<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>. [Translated by GEMA member Christine Grimm]<br />

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Zum Tode von Norbert Schultze (1911 - 2002)<br />

von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Norbert Schultze wurde 1911, zu Zeiten der kaiserlichen<br />

Monarchie, geboren und eingeschult. Er absolvierte<br />

Gymnasium, Abitur und Musikstudium während<br />

der Weimarer Republik, dann in der Hitlerdiktatur erlebte<br />

er den Aufstieg zu einem der erfolgreichsten und<br />

höchstbezahlten deutschen Filmkomponisten. Nach<br />

dem II. Weltkrieg erhielt er mehrere Jahre Berufsverbot,<br />

um nach seiner Entnazifizierung erneut seine<br />

Karriere als renommierter Film- und Fernsehkomponist<br />

zu machen.<br />

Das lange Leben des Norbert Schultze durch vier politische<br />

Gesellschaftsordnungen sowie sein umfangreiches<br />

kompositorisches Schaffen stellen sich der breiten<br />

Öffentlichkeit vor allem in zwei Liedern polarisiert<br />

dar:<br />

Dem 1938 entstandenen Chanson Lili Marleen und<br />

dem 1940 vertonten Marschlied Bomben auf Engelland.<br />

Dabei begann alles so gutbürgerlich in der preußischen<br />

Residenzstadt Braunschweig. Während der Vater, in<br />

der Familientradition Medizinprofessor, als Stabsarzt<br />

in den I. Weltkrieg einberufen wurde, sorgten die rührigen<br />

Großeltern für den ersten Klavierunterricht. Als<br />

13-Jähriger komponierte der Gymnasiast bereits ein<br />

Lied auf Verse von Ludwig Uhland. Auch Geigenspiel<br />

wurde geübt. Nach dem Abitur ging es nach Köln zur<br />

Musikhochschule. Bei dem Busoni-Schüler Philipp<br />

Jarnack wurde Harmonielehre und Instrumentation<br />

studiert, bei Hermann Abendroth Dirigieren, an der<br />

Universität Musik- und Theaterwissenschaft belegt.<br />

Im dritten Studienjahr lockte aus München das eben<br />

gegründete Studentenkabarett Die vier Nachrichter<br />

- so benannt nach Frank Wedekinds Ensemble Elf<br />

Scharfrichter. Als Pianist, <strong>Komponist</strong> und Mitspieler,<br />

engagiert von Helmut Käutner, Bobby Todd und Kurt<br />

E. Heyne wird ihm das Pseudonym Frank Norbert verpasst:<br />

“Schultze klingt für bayrische Ohren zu preußisch.”<br />

Mit der Revue Hier irrt Goethe gelingt dem<br />

begabten Quartett, das alle Texte selbst schreibt, ein<br />

sensationeller Erfolg. Die vielseitige Gruppe wird zum<br />

Gastspiel nach Berlin ins Renaissance-Theater eingeladen.<br />

In der Charlottenburger Kantstraße lernen<br />

sie den Groschenkeller (neben dem Kantgaragenhaus)<br />

kennen; dort verkehren Heinrich George, Werner<br />

Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht, Trude<br />

On the Death of Norbert Schultze (1911 - 2002)<br />

by <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Norbert Schultze was born in 1911 and started school<br />

at the time of the imperial monarchy. He attended<br />

grammar school, took his matriculation exam and finished<br />

his music studies during the Weimar Republic<br />

and then under Hitler’s dictatorship he experienced his<br />

rise to become one of the most successful and best<br />

paid German film composers. After World War II he<br />

was banned from pursuing his profession for several<br />

years only to resume a career as a renowned film and<br />

television composer after his denazification.<br />

For the public at large, there are two songs in particular<br />

that reveal the polarity of Norbert Schulze’s comprehensive<br />

work as a composer and the long life that<br />

took him through four different political systems:<br />

The chanson Lili Marleen written in 1938 and the marching<br />

song Bomben auf Engelland - Bombs on England<br />

- set to music in 1940.<br />

And everything started from a solid middle-class background<br />

in the Prussian town of Braunschweig. While<br />

his father, a medical professor in the family tradition,<br />

was conscripted as a captain of the medical corps in<br />

World War I, his busy grandparents made sure he got<br />

his first piano lessons. At the age of 13, the grammar<br />

school pupil had already composed a song on verses<br />

of Ludwig Uhland. He also learned to play the violin.<br />

After his school-leaving examination, he went to the<br />

music conservatory in Cologne. He studied harmony<br />

and instrumentation with Philipp Jarnack, a former Busoni<br />

student, conducting with Hermann Abendroth and<br />

musicology and theatre at the university.<br />

In the third year of his studies he was inveigled into<br />

joining the newly founded students’ cabaret Die Vier<br />

Nachrichter - The four messengers - from Munich - named<br />

after Frank Wedekind’s ensemble Elf Scharfrichter<br />

- Eleven Executioners. Engaged by Helmut Käutner,<br />

Bobby Todd and Kurt E. Heyne as piano player,<br />

composer and member of the ensemble he received<br />

the pseudonym Frank Norbert: “Schultze sounds too<br />

Prussian for Bavarian ears.” The talented quartet that<br />

wrote all its own texts had a sensational success with<br />

its revue Hier irrt Goethe - Goethe is wrong here.<br />

The multi-talented group was invited to Berlin for a<br />

guest performance in the Renaissance Theatre. In<br />

the Charlottenburg Kantstrasse they got to know the<br />

Groschenkeller - Penny Cellar - (next to the Kant-<br />

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Hesterberg und viele andere damalige Stars. Die vier<br />

Glückspilze lassen sich von der Prominenz verwöhnen<br />

und planen nach vierzig ausverkauften Vorstellungen<br />

eine Deutschlandtournee. Das Ensemble war für diese<br />

Goetherevue - 1932, dem hundertsten Todesjahr<br />

des Dichters - mit Damen erweitert worden. So lernte<br />

er seine erste Frau kennen, die Schauspielerin Vera<br />

Spohr.<br />

Er suchte nun ein festes Theaterengagement und<br />

fand es in Heidelberg als Chordirektor und Korrepetitor<br />

mit Dirigierverpflichtung. Nach weiteren Engagements,<br />

jetzt als Kapellmeister in Darmstadt, München<br />

und Leipzig, landete er schließlich wieder als Frank<br />

Norbert bei dem alten Nachrichter-Ensemble im Berliner<br />

Theater in der Saarlandstraße (heutiges Hebbeltheater)<br />

mit dem Stück Die Nervensäge. Inzwischen<br />

schrieb man das Jahr 1934. Beim “Röhm-Putsch”<br />

zeigt sich erstmalig die menschenverachtende Erbarmungslosigkeit<br />

und Brutalität des NS-Systems für<br />

einen Moment ganz offen. Aber trotzdem glaubt man<br />

noch sehr naiv, dass dieser “braune Spuk” bald wieder<br />

vorüber sein wird.<br />

Norbert Schultze schließt 1935 einen Vertrag mit der<br />

Schallplattenfirma AEG-Telefunken als Koordinator<br />

für die Unterhaltungsmusikproduktionen. Damals wurde<br />

die Musik mit Saphir in dicke, temperierte Wachsplatten<br />

geschnitten, von denen im nachfolgenden<br />

industriellen Verfahren die schwarzen Schellackplatten<br />

gepresst werden. Zusätzlich verdient sich Norbert<br />

Schultze Geld als <strong>Komponist</strong> mit Werbemusik.<br />

Das Ziel, eine eigene Oper zu schreiben, hat er dabei<br />

nicht aus dem Auge verloren. Aus dem plattdeutschen<br />

Märchen Erik entwickelt er ein Szenarium, in<br />

dem das Kartenspiel Schwarzer Peter die Handlung<br />

vorantreibt. In Walter Lieck findet sich schließlich ein<br />

begabter Librettist, mit dem er - neben seiner Telefunken-Tätigkeit<br />

- an dem aufwändigen Projekt arbeitet.<br />

Überraschend für die beiden jungen Autoren setzt die<br />

Hamburger Staatsoper die “Heitere Oper für kleine<br />

und große Leute” - so der Untertitel des Schwarzen<br />

Peter - für Weihnachten 1936 kurzfristig als Uraufführung<br />

auf den Spielplan. 50 Jahre später meint Norbert<br />

Schultze: “Nur wenn man noch ein Greenhorn von 25<br />

Jahren ist, traut man sich zu, eine so große und völlig<br />

ungewohnte Aufgabe in so kurzer Zeit zu bewältigen.”<br />

Aber es klappte, Schwarzer Peter wurde beim Publikum,<br />

ob groß oder klein, und ebenso bei der Kritik ein<br />

glänzender Erfolg und anschließend auch gleich von<br />

zahlreichen weiteren Bühnen übernommen.<br />

garagen house); regular guests there were Heinrich<br />

George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert<br />

Brecht, Trude Hesterberg and many other stars of the<br />

time. The lucky foursome allowed themselves to be<br />

pampered by these celebrities and after forty sold-out<br />

performances planned a tour through Germany. The<br />

ensemble had been augmented by the addition of several<br />

ladies for this Goethe revue - 1932 was the year<br />

of the 100th anniversary of the poet’s death. This is<br />

when Norbert Schultze met his first wife, the actress<br />

Vera Spohr.<br />

After that he began looking for a permanent appointment<br />

at a theatre and found it in Heidelberg as director<br />

of the choir and coach together with conductor’s<br />

duties. After further engagements as director of music<br />

in Darmstadt, Munich and Leipzig, he finally ended up<br />

once again as Frank Norbert with the old Nachrichter<br />

ensemble at the Berlin Theatre in Saarlandstrasse<br />

(today’s Hebbel Theatre) with the piece Die Nervensäge<br />

- Pain in the neck. By now it was the year 1934. For<br />

the first time the “Röhm putsch” made momentarily<br />

manifest the merciless contempt for mankind and brutality<br />

of the NS system. But most of the people were<br />

still naïve enough to believe that this “brown spectre”<br />

would soon be over.<br />

In 1935 Norbert Schultze concluded a contract with<br />

the AEG-Telefunken record company as co-ordinator<br />

for light music productions. In those days the music<br />

was cut with sapphires on thick, heated wax sheets<br />

from which the black shellac records were then<br />

pressed in the industrial manufacturing process that<br />

followed. Norbert Schultze also earned some money<br />

as a composer of advertising music. But he did not<br />

lose touch with his aim of writing an opera of his own.<br />

Based on the Low German fairytale Erik, he developed<br />

a scenario where the action is hurried along by<br />

the card game Schwarzer Peter. In Walter Lieck he<br />

found a talented librettist with whom - in addition to his<br />

work with Telefunken - he worked on this demanding<br />

project. It came as a surprise to the two young authors<br />

when at short notice the Hamburg State Opera put the<br />

“Amusing Opera for Young and Old” - the subtitle of<br />

Schwarzer Peter - on the programme as a premiere<br />

for Christmas 1936. 50 years later Norbert Schultze<br />

observed: “Only a greenhorn of 25 years of age can<br />

think one is capable of mastering such a major and<br />

completely unaccustomed task in such a short period<br />

of time.” But it worked out. Schwarzer Peter became<br />

a brilliant success with the audience, young and old,<br />

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Die Uraufführung, die eigentlich Dr. Hans Schmidt-Isserstedt<br />

leiten sollte, der aber wegen plötzlicher Erkrankung<br />

absagen musste, dirigierte Norbert Schultze<br />

selbst; er wurde dabei auch in seinem Talent als Dirigent<br />

bestätigt.<br />

Der große Erfolg dieser Märchenoper sollte für den<br />

Autor später Konsequenzen haben, die direkt zu dem<br />

verhängnisvollen Bomben auf Engelland führten.<br />

Doch jetzt herrschte noch Frieden in Europa, hatte<br />

Hitler doch gerade erst bei den Olympischen Spielen<br />

in Berlin seine angebliche Weltoffenheit und Versöhnlichkeit<br />

demonstrativ zur Schau getragen.<br />

Im September 1935 verabschiedete die NS-Regierung<br />

die “Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und<br />

der deutschen Ehre” anlässlich des Nürnberger Parteitages<br />

der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei<br />

(NSDAP). Danach wurde sowohl ein Liebesverhältnis<br />

als auch die Eheschließung zwischen “Juden<br />

und deutschen Staatsangehörigen” mit Gefängnis<br />

oder Zuchthaus - was praktisch Konzentrationslager<br />

bedeutete - geahndet. Diese “Nürnberger Gesetze”<br />

schufen die juristische Grundlage für die Diskriminierung<br />

und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, deren<br />

Ausmaße täglich sichtbarer wurden.<br />

Aber die große Mehrheit der Deutschen ließ sich<br />

durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit blenden,<br />

durch das Angebot von KdF-Reisen (Kraft durch Freude)<br />

und den scheinbar soliden wirtschaftlichen Aufschwung.<br />

Die euphemistischen Reden des Propagandaministers<br />

Joseph Goebbels verbreiteten Rundfunk und Wochenschau<br />

bis in die letzten Winkel des III. Reiches.<br />

Von dieser raffinierten Mischung aus Tatsachen und<br />

Lügen ließ sich das deutsche Volk willfährig betäuben<br />

und glaubte allzu gern an die Friedfertigkeit dieses Systems,<br />

trotz der inzwischen offensichtlich gewordenen<br />

massiven militärischen Aufrüstung. Hermann Göring,<br />

Chef der Luftwaffe und des industriellen Fünf-Jahres-<br />

Plans: “Wir brauchen Kanonen statt Butter!”<br />

Norbert Schulze schwimmt inzwischen auf der Welle<br />

des Erfolges mit völlig unpolitischen Kompositionen<br />

wie mit der Oper Kaspar (im Krieg verloren gegangen),<br />

dem Ballett Max und Moritz (Hamburger Staatsoper)<br />

und der plattdeutschen Kantate Sünnschien un’<br />

Regen, ein volkstümliches Gegenstück zu Joseph<br />

Haydns Jahreszeiten. Die Filmbranche wird auf den<br />

begabten, seriösen, jungen <strong>Komponist</strong>en aufmerk-<br />

and also with the critics, whereupon it was taken over<br />

immediately by many other theatres.<br />

Originally Dr. Hans Schmidt-Isserstedt had been supposed<br />

to conduct the premiere, but had to call it off<br />

because he suddenly fell ill, so Norbert Schultze conducted<br />

it instead and thus confirmed his talent as a<br />

conductor.<br />

The great success of this fairytale opera was later to<br />

have consequences for the author that led directly to<br />

the disastrous Bomben auf Engelland. But at the time<br />

Europe was still at peace, and Hitler had only just displayed<br />

demonstratively his alleged cosmopolitan attitudes<br />

and conciliatory nature at the Olympic Games<br />

in Berlin.<br />

In September 1935 the NS government adopted the<br />

“Laws for the Protection of German Blood and German<br />

Honour” at the Nuremberg party convention of the Nationalsozialistische<br />

Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).<br />

According to these laws a relationship or a marriage<br />

between “Jews and German nationals” was punishable<br />

by prison or penal servitude - which to all intents and<br />

purposes meant a concentration camp. These “Nürnberger<br />

Gesetze” (Nuremberg Laws) created the legal<br />

basis for the discrimination and persecution of the Jewish<br />

citizens and the extent of this became more and<br />

more apparent with every day.<br />

But the great majority of the Germans were dazzled by<br />

the elimination of unemployment, by the offer of KdF<br />

trips (Kraft durch Freude - Strength through Joy) and<br />

the apparently solid economic recovery.<br />

The radio and the Wochenschau in the cinemas disseminated<br />

the euphemistic speeches of propaganda minister<br />

Joseph Goebbels to the furthest corners of the<br />

Third Reich. With due compliance the German people<br />

allowed themselves to be mesmerised by this cunning<br />

mixture of facts and lies and were all too willing<br />

to believe in the peacefulness of the system despite<br />

the massive military rearmament that had become obvious<br />

in the meantime. Said Hermann Goering, head<br />

of the Luftwaffe and of the industrial five-year plan:<br />

“We need cannons instead of butter!”<br />

Norbert Schultze by then was riding a wave of success<br />

with compositions of a completely non-political<br />

nature such as the opera Kaspar (lost during the war),<br />

the ballet Max and Moritz (Hamburg State Opera)<br />

and the Low-German cantata Sünnschien un’ Regen<br />

(Sunshine and Rain), a popular counterpart to Jose-<br />

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sam und engagiert ihn. Bei der Tobis-Filmgesellschaft<br />

entsteht der Musikfilm Renate im Quartett. Ein kleines<br />

Bratschenkonzert, Mozart nachempfunden, ist Norbert<br />

Schultzes kompositorischer Einstieg in die Filmmusik.<br />

Helmut Käutner engagiert den “Kleinen Mozart”, wie<br />

ihn Kollegen hänseln, für seinen Terra-Film Frau nach<br />

Maß, für den allerdings moderne Tanzmusik verlangt<br />

wird. Norbert Schultze schafft auch diesen Spagat<br />

zwischen E- und U-Musik und schreibt sein erstes<br />

Schlagerlied: Ich möchte so sein wie du mich willst.<br />

Nun häufen sich die Angebote für Film-Vertonungen.<br />

Norbert im Glück?<br />

In seiner alten Stammkneipe, dem Groschenkeller, wo<br />

sich nach Feierabend allerlei Künstlerkollegen treffen,<br />

bittet ein befreundeter Basssänger Schultze, ihm ein<br />

paar Shantys für eine Radiosendung zu schreiben,<br />

dabei drückt er ihm die Gedichtesammlung Die kleine<br />

Hafenorgel von Hans Leip in die Hand.<br />

Norbert vertont daraus zehn Gedichte und spielt sie<br />

dem Freund vor. Der aber ist enttäuscht, findet das<br />

alles zu sanft, viel zu lyrisch, “für kleine Mädchen”;<br />

er, der Sänger, hatte an etwas Zünftiges, eher Derbes<br />

“für Männer” gedacht. Die Lieder werden von<br />

Schultze reihum bei Verlagen und Schallplattenfirmen<br />

angeboten, doch keiner greift zu. Nur Helmut Käutner<br />

bedankt sich für die hektographierten Abzüge von<br />

Norberts sauberer Reinschrift und gratuliert, speziell<br />

zu dem Lied Lili Marleen. Schließlich erhält auch die<br />

alte Freundin aus den frühen 30-erJahren, Lieselotte<br />

Wilke, jetzt als Sängerin unter dem Namen Lale Anderson<br />

im Berliner Kaiserhof engagiert, einen Abzug.<br />

Während Schultze als Dirigent in Berlin die Erstaufführung<br />

des Schwarzen Peter leitet und im Wechsel<br />

damit in der Hamburger Staatsoper sein neues Ballett<br />

Max und Moritz dirigiert, steckten die Nazis Synagogen<br />

in Brand, verwüsteten jüdische Geschäfte und<br />

ermordeten unschuldige Menschen: Der 9. November<br />

1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichte<br />

ein. Lale Andersen sang im Rundfunk zum ersten Mal<br />

Lili Marleen.<br />

Die von Electrola produzierte Schallplatte fand aber<br />

kaum Käufer.<br />

Norbert Schultze musste zur Musterung und wird als<br />

k.v. (kriegsverwendungsfähig) der Infanterie zugeschlagen.<br />

Nach dem Kriegsausbruch am 1. September<br />

1939 erwartet er täglich seine Einberufung. Aber<br />

als der Polenfeldzug nach sechs Wochen vorüber ist,<br />

wird ihm die Vertonung des Films Feuertaufe angebo-<br />

ph Haydn’s Four Seasons. The film business became<br />

aware of the talented, serious, young composer and<br />

offered him a job. The Tobis film company produced<br />

the music film Renate im Quartett (Renate in quartet).<br />

A minor concerto for viola, after Mozart, was Norbert<br />

Schultze’s first compositional work for film music. Helmut<br />

Käutner hired the “Little Mozart”, as he was called<br />

teasingly by colleagues, for his Terra film Frau nach<br />

Maß (Woman made to measure) for which, however,<br />

modern dance music was required. Norbert Schultze<br />

also succeeded in walking the tightrope between serious<br />

and light music and wrote his first hit: Ich möchte<br />

so sein wie du mich willst (I want to be like you want<br />

me).<br />

Now came more and more offers for writing film music.<br />

Norbert in luck?<br />

In his old local, the Groschenkeller, where numerous<br />

fellow artists met after work, Schultze was asked by<br />

a bass singer he was acquainted with to write a few<br />

shanties for a radio broadcast and gave him Die kleine<br />

Hafenorgel, a collection of poems by Hans Leip.<br />

Norbert set ten of the poems to music and played them<br />

to his friend. The friend, however, was disappointed,<br />

considered everything to be too soft, too lyrical, “for little<br />

girls”; he, the singer had thought of something more<br />

vigorous, rather coarse “for men”. Schultze offered<br />

the songs to a number of publishers and record companies<br />

but nobody took them. Only Helmut Käutner<br />

thanked him for the hectographed copies of Norbert’s<br />

neat manuscripts and congratulated him especially on<br />

the song Lili Marleen. And finally his old friend from<br />

the thirties, Liselotte Wilke, at the time engaged as a<br />

singer under the name of Lale Anderson at the Berlin<br />

Kaiserhof, also received a copy. While Schultze was<br />

switching between managing the premiere of Schwarzer<br />

Peter as conductor in Berlin and conducting his<br />

new ballet Max and Moritz at the Hamburg State Opera,<br />

the Nazis were setting synagogues on fire, devastating<br />

Jewish shops and murdering innocent people:<br />

November 9th, 1938 went down in the annals of history<br />

as the Reichsprogromnacht. And Lale Anderson<br />

sang Lili Marleen on the radio for the first time.<br />

But the record, which was produced by Electrola, scarcely<br />

found any buyers.<br />

Norbert Schultze was recruited for military service<br />

and, being of sound mind and body, was assigned to<br />

the infantry. When war broke out on September 1st,<br />

1939 he expected to be called up any day. But the<br />

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ten, produziert im Auftrag des Göringschen Luftfahrtministeriums.<br />

Um die Kompositionsarbeit im Film nicht durch die<br />

plötzliche Einberufung zu gefährden, will die zuständige<br />

Filmfirma TOBIS Norbert Schultze “u.k.” (unabkömmlich)<br />

schreiben lassen. Da stellt sich heraus,<br />

dass dieser <strong>Komponist</strong> längst auf der so genannten<br />

“Führerliste” steht, d. h. er darf für die Dauer des<br />

Krieges nicht zum Militär einberufen werden. Ein ihm<br />

völlig unbekannter Dr. Scherler im Propagandaministerium<br />

hatte Norbert Schultze nach der Uraufführung<br />

des Schwarzen Peter für würdig befunden, dem<br />

deutschen Volk als Künstler erhalten zu bleiben. Der<br />

Haken an der Sache: Von nun an heißt es nicht nur<br />

künstlerisch, sondern auch propagandistisch dem III.<br />

Reich zu dienen.<br />

Für den Luftwaffen-Dokumentarfilm Feuertaufe muss<br />

er auch gleich den Text Bomben auf Engelland - (“Kamerad!<br />

- Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!”)<br />

vertonen. Aus dem “Kleinen Mozart” war plötzlich der<br />

“Bomben - Schultze” geworden.<br />

In seinen Lebenserinnerungen schreibt Norbert Schultze<br />

55 Jahre später: “Wenn ich das Lied heute wieder<br />

höre, gibt es mir jedes Mal einen Stich ins Herz: Was?<br />

Das hast du komponiert? Das peinigt mich dann oft<br />

tagelang und lässt mich nicht schlafen, vor Schreck<br />

und Scham - heute noch.”<br />

Auch privat hatte sich Norbert Schultzes Leben verändert.<br />

1941 lernte er die bulgarische Filmschauspielerin<br />

und Sängerin Iwa Wanja kennen und heiratete<br />

sie 1943. In dieser Zeit entsteht die Märchenoper Das<br />

kalte Herz nach Wilhelm Hauff, im Auftrag der Stadt<br />

Leipzig. Im gleichen Jahr, 1943, der Film Symphonie<br />

eines Lebens, welcher in vier symphonischen Sätzen<br />

mit Rückblendetechnik das gesellschaftlich zerbrochene<br />

Leben eines <strong>Komponist</strong>en erzählt. Dieser<br />

Film hat mich als Schüler seinerzeit tief beeindruckt<br />

mit seiner spätromantischen, an Brahms angelehnten<br />

symphonischen Orchestermusik. Die Partitur ging im<br />

Krieg verloren. Von dem Film existieren nur noch zwei<br />

technisch mäßig gut erhaltene Lichttonkopien.<br />

Bereits 1940 war Norbert Schulze in die NSDAP eingetreten,<br />

denn das hatte man ihm sehr empfohlen,<br />

vor allem um nicht doch wieder von der “Führerliste”<br />

gestrichen zu werden und beim Infanterie-Einsatz an<br />

der Ostfront statt seines musikalischen Talents militärische<br />

Todesbereitschaft für “Führer und Volk” demonstrieren<br />

zu müssen.<br />

Poland campaign was over in six weeks and after that<br />

he was invited to write the music for the film Feuertaufe,<br />

produced on commission by Goering’s Ministry of<br />

Aviation.<br />

In order not to jeopardise the compositional work in the<br />

film because he might suddenly be called up, TOBIS,<br />

the company making the film wanted to have Norbert<br />

Schultze classified as being “in a reserved occupation”.<br />

It then emerged that this composer had long since<br />

been on the so-called “Führer’s list”, i.e., that he was<br />

exempt from conscription for the duration of the war.<br />

After the premiere of Schwarzer Peter, a certain Dr.<br />

Scherler in the propaganda ministry, who was absolutely<br />

unknown to him, had found Norbert Schultze worth<br />

keeping as an artist for the German people. The snag<br />

was that, from now on, he had to serve the Third Reich<br />

not only as an artist but also as a propagandist.<br />

For the Luftwaffe documentary Feuertaufe he also had<br />

to set the text of Bomben auf Engelland - (“Kamerad! -<br />

Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!” - “Comrade!<br />

- Comrade! All the girls must wait!”). “Little Mozart” had<br />

suddenly become “Bomber - Schultze”.<br />

55 years later Norbert Schultze wrote in his memoirs:<br />

“Every time I hear this song today I am cut to the quick:<br />

what? You actually composed this? It often tortures<br />

me for days and I cannot sleep owing to my terror and<br />

shame - even today.”<br />

Norbert Schultze’s life had also changed in his private<br />

sphere. In 1941 he met the Bulgarian film actress<br />

and singer Iva Vanja and they were married in 1943.<br />

At that time he was writing the fairytale opera Das<br />

kalte Herz (The cold heart), based on Wilhelm Hauff,<br />

commissioned by the city of Leipzig. In the same year,<br />

1943, the film Symphonie eines Lebens - A life’s symphony<br />

- which in four symphonic sets using the flashback<br />

technique describes the socially shattered life of<br />

a composer. As a pupil I was deeply impressed by the<br />

film at the time with its Late Romantic symphonic orchestral<br />

music adapted from Brahms. The score was<br />

lost in the war. There are only two copies of the film<br />

today, in the form of photographic sound recordings of<br />

poor technical quality.<br />

Norbert Schultze had already become a member of<br />

the NSDAP in 1940 because he had been urgently<br />

prevailed upon to do so, especially to avoid being<br />

struck from the “Führer’s list” and having to demonstrate<br />

his readiness to die as a soldier in the infantry<br />

on the Eastern front, instead of his musical talent.<br />

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Norbert Schultze beschloss, sich und seinen inzwischen<br />

zwei Familien sein Leben zu erhalten und komponierte<br />

entschlossen und erfolgreich weiter, alle politischen<br />

und kriegerischen Turbulenzen verdrängend.<br />

Neben unpolitischen Spielfilmen wie Aus erster Ehe,<br />

Gold für Frisco, Die Nacht der Zwölf oder Sommer,<br />

Sonne, Erika entstand die Musik zu politischen Historienfilmen<br />

wie Bismarck oder Affäre Rödern, zu dem<br />

Kriegsfilm Kampfgeschwader Lützow, und schließlich,<br />

kurz vor dem Zusammenbruch des III. Reiches, vertonte<br />

er noch den monumentalen Durchhaltefilm Kolberg<br />

(Veit Harlan).<br />

Nach dem Kriege wurde Norbert Schultze bei seiner<br />

“Entnazifizierung” als “Mitläufer” eingestuft, musste<br />

aber zunächst, anstatt wie bisher die fünf Notenlinien<br />

zu füllen, einige Straßen reparieren, Gärten wiederaufbauen<br />

und als sanften Übergang in sein eigentliches<br />

Berufsleben für politisch nicht belastete Kollegen<br />

Orchesterstimmen herausschreiben.<br />

1948 war es für ihn schließlich wieder so weit und die<br />

Schultz’schen Filmkompositionen begleiteten von da<br />

an das deutsche Wirtschaftswunder musikalisch erfolgreich.<br />

Neben den zahlreichen Filmvertonungen<br />

komponierte Norbert Schultze auch für die Bühne.<br />

Berühmt wurde sein Musical Käpt’n Bay-Bay mit dem<br />

melodiösen Hauptsong Nimm mich mit Kapitän auf die<br />

Reise und dem Lied Kleine weiße Möwe.<br />

Im Verlaufe der Jahre entstanden die Bühnen-Revue<br />

Wir können uns das nicht leisten, die Operette Regen<br />

in Paris, die Märchen mit Musik Prinzessin auf<br />

der Erbse, Schneekönigin, Schneewittchen und Das<br />

tapfere Schneiderlein, die Lustspiele mit Musik Junge<br />

Spatzen und Kurzschluss.<br />

Das wichtigste Genre aber blieb für Schultze weiterhin<br />

der Film und später das Fernsehen. Der Käpt’n<br />

Bay-Bay wurde mit Hans Albers verfilmt und durch<br />

die anschließende Schallplattenproduktion einer der<br />

größten musikalischen Erfolge Schultzes.<br />

Er selbst sieht seine umfangreiche Filmarbeit sehr kritisch:<br />

“Unter den 25 Filmen, zu denen ich innerhalb<br />

von 10 Jahren die Musik geschrieben habe, sind, bei<br />

Lichte besehen, nur wenige, die zu erwähnen sich<br />

lohnt.” Das liegt freilich viel eher an den Drehbüchern<br />

und der Regie als am <strong>Komponist</strong>en. Eine positive Ausnahme<br />

ist hier der 1958 von Rolf Thiele gedrehte Film<br />

Das Mädchen Rosemarie. Der nie aufgeklärte Mord<br />

an einer Frankfurter Edel-Prostituierten zeigt das damalige<br />

bundesdeutsche Wirtschaftswunderland - mu-<br />

Norbert Schultze decided to preserve his life for himself<br />

and for the two families he had in the meantime<br />

and continued his work as a composer with determination<br />

and success, putting all political and wartime<br />

turbulences from his mind. Along with feature films of<br />

a non-political nature such as Aus erster Ehe - From<br />

the first marriage -, Gold für Frisco - Gold for Frisco -,<br />

Die Nacht der Zwölf - The night of the twelve - or Sommer,<br />

Sonne, Erika - Summer, sun, Erika - he wrote the<br />

music to political historical films such as Bismarck or<br />

Affäre Rödern - Rödern affair-, to the war film Kampfgeschwader<br />

Lützow - Lützow fighter squadron - and<br />

finally, shortly before the collapse of the Third Reich,<br />

he wrote the music for the monumental film Kolberg<br />

(Veit Harlan).<br />

After the war Norbert Schultze was classified as a<br />

“fellow traveller” during his “denazification”, but, instead<br />

of writing musical scores, he began by repairing<br />

roads, reconstructing gardens and, as a gentle return<br />

to his old profession, writing out orchestra parts for<br />

colleagues who were politically untainted.<br />

In 1948 he was finally allowed to resume his work and,<br />

from then on, Schultze’s film compositions began to<br />

successfully accompany - in musical terms - the German<br />

economic miracle.<br />

Along with the large amount of music he wrote for films,<br />

Norbert Schultze also composed for the theatre. The<br />

musicals that achieved fame were his Käpt’n Bay-Bay<br />

with the melodious theme song Nimm mich mit Kapitän<br />

auf die Reise (Take me on a journey captain) and<br />

the song Kleine weiße Möwe (Little white seagull).<br />

Over the years he wrote the stage revue Wir können<br />

uns das nicht leisten - We cannot afford this, the operetta<br />

Regen in Paris (Rain in Paris), the fairytales with<br />

music Prinzessin auf der Erbse (The princess on the<br />

pea), Schneekönigin (The snow queen), Schneewittchen<br />

(Snow White) and Das tapfere Schneiderlein<br />

(The brave little tailor) and the comedies with music,<br />

Junge Spatzen (Young sparrows) and Kurzschluss<br />

(Short-circuit).<br />

But the most important genre for Schultze continued<br />

to be the film and later television. Käpt’n Bay-Bay was<br />

made into a film starring Hans Albers and, thanks to<br />

the record production that followed, became one of<br />

Schultze’s greatest musical successes.<br />

He himself took a very critical view of his extensive<br />

work for film: “Seen in the cold light of day, of the 25<br />

films for which I wrote the music within a period of 10<br />

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Reden Werkkommentare<br />

sikalisch verschärft durch satirische Moritaten - mit<br />

seinen sozialen Verwerfungen kritisch und dabei kaba<br />

rettistisch überhöht. Die Besetzungsliste liest sich wie<br />

ein Ausschnitt aus dem “Gotha” der Schauspieler.<br />

Die “Aufarbeitung” unserer Zeitgeschichte geschah<br />

damals eher beiläufig und ohne beunruhigende Reflexion,<br />

aber mit viel Verdrängungsfähigkeit zum III.<br />

Reich.<br />

Norbert Schultze jedoch sah das im Zusammenhang<br />

mit seiner eigenen Vergangenheit für sich selbst jetzt<br />

kritisch: “Nur zwei historisch-politische Sujets fallen<br />

aus dem Rahmen der Nichtigkeiten: Einmal 1958 U<br />

47 - Kapitänleutnant Prien, da klingt als Zeitdokument<br />

mein U-Boot-Lied von 1942 noch einmal auf, jetzt<br />

natürlich vor dem tragischen Hintergrund des Untergangs<br />

und mit der verspäteten Erkenntnis eines sinnlos<br />

gewordenen Opfers. Für mich persönlich erschütternd,<br />

da ich 1942 vielleicht noch blauäugiger als der<br />

berühmte Kapitänleutnant dessen Todesfahrt musikalisch<br />

begleitet habe, - 1960 Soldatensender Calais<br />

unter Regie von Paul May. Darin ist Lili Marleen ein<br />

Lied, das mit dem Widerstand verknüpft ist - wie Lucie<br />

Mannheims Version des Liedes, die 1942 und 1943<br />

von der BBC London ausgestrahlt wurde.”<br />

Trotz der vielen Aufträge, des notwendigen, zeitraubenden<br />

Notenschreibens, der Auftritte als Pianist und<br />

Dirigent und der vielen Reisen fühlte sich Norbert<br />

Schultze verpflichtet, für seine Kollegen durch ehrenamtliche<br />

Tätigkeiten in der GEMA und dem Deutschen<br />

<strong>Komponist</strong>enverband auf einen Teil seiner ohnehin<br />

geringen Freizeit zu verzichten. Vier Jahrzehnte lang,<br />

von 1956-1996, half er als Kurator der GEMA-Sozialkasse<br />

zahllosen in Not geratenen Kollegen, über berufliche<br />

oder auch persönliche Schicksalsschläge wenigstens<br />

finanziell hinwegzukommen. Uns jüngeren<br />

Autoren stand er stets mit seinen realitätsgeprüften,<br />

lebensklugen Ratschlägen zur Verfügung, schenkte<br />

uns in vielen Gesprächen bereitwillig seine wache<br />

Aufmerksamkeit. Er vermochte immer mit feinem Gespür<br />

aufzumuntern und den naiven Nachwuchs durch<br />

ehrliche Worte vor den Fallstricken unseres Risikoberufes<br />

zu warnen oder auch hoffnungsvolle Wege<br />

aus fälschlich eingeschlagenen musikalischen Sackgassen<br />

zu weisen. Das alles ohne Besserwisserei<br />

oder gar Überheblichkeit, sondern mit ermutigender,<br />

freundlicher Kollegialität.<br />

Von 1973 bis 1992 war er stellvertretendes Vorstandsmitglied<br />

des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes und<br />

engagierte sich zusätzlich für die Interessen seiner<br />

years only a few are worth mentioning.” The reasons<br />

for this were of course rather the scripts and the directors<br />

than the composer. A positive exception in this<br />

context is the film Das Mädchen Rosemarie (The girl<br />

Rosemarie) made by Rolf Thiele in 1958. The unsolved<br />

murder of a high-class prostitute in Frankfurt critically<br />

shows the Germany of the time as the land of the<br />

economic miracle - musically highlighted by satirical<br />

street ballads and heightened in the cabaret style -<br />

with all its social distortions. The cast list reads like an<br />

excerpt from the actors’ “Gotha”.<br />

The method of “coping with” our contemporary history<br />

in those days was more of an incidental process and<br />

without any disturbing reflections but with a great gift<br />

for repressing memories of the Third Reich.<br />

Norbert Schultze, however, viewed this very critically<br />

in connection with his own past as far as it had a bearing<br />

on himself: “Only two historical-political subjects<br />

distinguish themselves from the list of trivialities: once<br />

in 1958 U 47 - Kapitänleutnant Prien, with my submarine<br />

song from 1942 as a document of the time, now<br />

of course against the tragic background of the sinking<br />

of the vessel and the delayed realisation that the sacrifice<br />

was meaningless. What causes me particular<br />

personal distress is the fact that in 1942 I provided the<br />

musical accompaniment to its fatal voyage even more<br />

naively than the famous lieutenant - and in 1960 the<br />

film Soldatensender Calais (Army radio station Calais)<br />

directed by Paul May. It contains Lili Marleen, a<br />

song that is associated with the resistance - like Lucie<br />

Mannheim’s version of the song that was broadcast in<br />

1942 and 1943 by BBC London.”<br />

Despite the many commissions, the necessary timeconsuming<br />

business of writing music, his appearances<br />

as pianist and conductor and his many trips, Norbert<br />

Schultze felt obliged to spare some of the little<br />

time that remained for his colleagues, for honorary<br />

work with GEMA and the German Composers’ Association.<br />

As trustee of the GEMA Welfare Fund for four<br />

decades, from 1956-1996, he helped a large number<br />

of colleagues who had fallen on hard times to overcome<br />

their professional or personal misfortunes at<br />

least in financial terms. He always helped us younger<br />

authors with wise advice gathered from his own real<br />

experiences, and was always willing to lend us his full<br />

attention in the many talks we had with him. He had<br />

a constant flair for cheering us up and warning naive<br />

young authors against the traps of our risky profession<br />

or showing us promising ways out of musical dead<br />

25


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

Kollegen mehrere Jahrzehnte im GEMA-Werkausschuss,<br />

dem Wertungs- und Beschwerdeausschuss<br />

sowie in der Verteilungsplankommission; außerdem<br />

von 1959 bis 1996 im Kuratorium der Versorgungsstiftung<br />

der deutschen <strong>Komponist</strong>en.<br />

Als er 1996 anlässlich seines 85. Geburtstages für<br />

seine Aktivitäten um die Bewahrung des geistigen<br />

Eigentums sowie die Verbesserung des ideellen und<br />

finanziellen Schutzes der Musikautoren mit dem Ehrenring<br />

der GEMA ausgezeichnet wurde, betonte der<br />

GEMA-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Reinhold Kreile:<br />

“ Norbert Schultze hat die GEMA mitgeprägt, und<br />

die Gemeinschaft der <strong>Komponist</strong>en, Textdichter und<br />

Verleger verdankt ihm viel.”<br />

Bereits 1973 wurde ihm die höchste repräsentative<br />

Ehrung der deutschen Unterhaltungsmusik verliehen,<br />

der “Paul-Linke-Ring”. 1980 überreichte ihm im Fernsehen<br />

Peter von Zahn die “Goldene Europa”, worauf<br />

Norbert Schultze - mit der kleinen Statue in der Hand<br />

- feststellte: “Die Hälfte dieser Dame gehört bitte Hans<br />

Leip.” Der damals 87-jährige Dichter der Lili Marleen<br />

schrieb umgehend: “Dankeschön, lieber Norbert, aber<br />

eine Dame teilt man nicht.” Für sein umfangreiches<br />

Bühnen-Œuvre würdigte die Dramatiker-Union Norbert<br />

Schultze 1981 mit der “Goldenen Nadel”.<br />

Im Jahr zuvor produzierte der WDR-Hörfunk die Märchenoper<br />

Schwarzer Peter und 1984 Das kalte Herz<br />

in einer neuen Fassung. Norbert Schultze dirigierte<br />

beide Produktionen, die auch als CDs erschienen.<br />

Nach dem Tode seiner Frau Iwa Wanja - inzwischen<br />

aus dieser und seiner ersten Ehe mit sechs Kindern,<br />

achtzehn Enkeln und vier Urenkeln gesegnet - zog er<br />

1991 vorübergehend erst nach Hamburg, dann aber<br />

nach Mallorca, wo er sein “Abendsonnenlicht” - wie er<br />

sagt - kennen lernt und Ostern 1992 heiratet: Brigitt<br />

Salvatori. Zehn Jahre waren ihm dann noch vergönnt,<br />

die er zum größten Teil auf Mallorca, zwischendurch<br />

immer wieder in Berlin und zuletzt in Bayern verbrachte.<br />

Norbert Schultze war nicht nur ein außerordentlich<br />

begabter, er war auch ein bemerkenswert fleißiger<br />

<strong>Komponist</strong>, dem allerdings trotz aller Intelligenz und<br />

Weltläufigkeit in jungen Jahren seine politische Naivität<br />

zum Schicksal wurde. Er erkannte nicht das Teuflische<br />

im Nationalsozialismus, konnte sich aber damit<br />

im Kollektivverhalten der meisten Deutschen bestätigt<br />

fühlen - “Den Teufel spürt das Völkchen nie”, Mephisto,<br />

Faust I.<br />

ends mistakenly taken. All this without a trace of condescension<br />

or even superciliousness, but in an encouraging,<br />

friendly and co-operative manner.<br />

From 1973 to 1992 he was a deputy member of the<br />

executive board of the German Composers’ Association<br />

and as well as that worked for his colleagues’ interests<br />

for several decades in the GEMA Works Committee,<br />

the Ratings and Complaints Committee and in<br />

the Distribution Plan Committee; from 1959 to 1996<br />

he was also active on the board of trustees for the<br />

German composers’ pension foundation.<br />

In 1996, on his 85th birthday, he was awarded the<br />

GEMA Ring of Honour for his work in helping to safeguard<br />

intellectual property and in improving the moral<br />

and financial protection of music authors. At the award<br />

ceremony GEMA President Professor Kreile observed<br />

most emphatically: “Norbert Schultze has helped to<br />

shape GEMA and the community of composers, lyricists<br />

and publishers owes a great deal to him.”<br />

As early as 1973 he was awarded the highest representative<br />

honour of German light music, the “Paul<br />

Lincke Ring”. In 1980 Peter von Zahn awarded him<br />

the “Golden Europa” on television, whereupon Norbert<br />

Schultze - the little statue in his hand - stated, “Half<br />

of this lady belongs to Hans Leip.” The then 87-yearold<br />

author of the lyrics to Lili Marleen, wrote back immediately:<br />

“Thank you, dear Robert, but one does not<br />

share a lady.” In 1981 Norbert Schultze was awarded<br />

the “Golden Pin” by the Dramatists’ Union for his wideranging<br />

work for the stage.<br />

One year earlier the WDR radio station produced a<br />

new version of the fairytale opera, Schwarzer Peter,<br />

and in 1984 Das kalte Herz. Norbert Schultze conducted<br />

both productions, which were also released on<br />

CD.<br />

After the death of his wife Iva Vanja - in the meantime<br />

blessed with six children, eighteen grandchildren and<br />

four great-grandchildren from this and his first marriage<br />

- he moved to Hamburg for a while in 1991 and<br />

then to Mallorca where he met and married his “evening<br />

sunlight”- as he called her - at Easter in 1992, namely<br />

Brigitt Salvatori. He was granted the privilege of<br />

another ten years which he mostly spent on Mallorca<br />

and from time to time in Berlin and finally in Bavaria.<br />

Norbert Schultze was not only an extremely talented<br />

but also a remarkably industrious composer, whose<br />

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In seiner symphonischen Stilistik blieb Norbert Schultze<br />

beständig der deutschen Spätromantik des ausgehenden<br />

19. Jahrhunderts verhaftet, am deutlichsten in<br />

dem filmischen Musikdrama Symphonie des Lebens.<br />

Über seinen umfangreichen Werkkatalog, der fast alle<br />

Musikgenres umfasst, wird für immer das eine kleine<br />

Lied leuchten, das Lied von der Lili Marleen, dessen<br />

ahnungsvolle Beklommenheit schon den Zyniker Joseph<br />

Goebbels irritierte, das aber über alle kriegerischen<br />

Fronten des II. Weltkrieges hinweg in die Herzen<br />

der Soldaten traf und ihre privaten Sehnsüchte<br />

imaginierte: “Wenn sich die späten Nebel dreh’n ...”<br />

Musik war sein Leben<br />

Zum Tode von Helmut Brandt<br />

Von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderten<br />

sich die musikalischen Hörgewohnheiten in Deutschland<br />

zunächst kaum. Zwar war die zuvor ständig präsentierte<br />

Marschmusik passee und es belebte sich die<br />

Tanzmusik unter dem Einfluss des amerikanischen<br />

Swing, aber die sinfonische Unterhaltungsmusik beherrschte<br />

als populäre Tochter der seriösen historischen<br />

Tonkunst neben den aktuellen Schlagern die<br />

Programme der zahlreichen Rundfunksender.<br />

Der Jazz galt vorläufig weiterhin - wie seit den späten<br />

Zwanzigerjahren – als fremdartiger Bürgerschreck.<br />

Nur die Jugend interessierte sich für diese auffällig<br />

rhythmisch geprägte Musik mit zunehmender Begeisterung,<br />

sogar jenseits der sonst so üblichen sozialen<br />

Begrenzungen. In den Metropolen wie Berlin (West),<br />

Hamburg, München, Frankfurt und Köln gründeten<br />

young man’s political naivety, however, was to become<br />

his fate, despite all his intelligence and urbanity.<br />

He was unable to see the diabolical in National Socialism,<br />

but could feel confirmed in not doing so by the<br />

collective behaviour of most Germans. - “Den Teufel<br />

spürt das Völkchen nie” (The people never sense the<br />

devil), Mephisto, Faust I.<br />

In his symphonic style, Norbert Schultze always remained<br />

rooted in the German Late Romanticism of<br />

the late 19th century, most clearly in the musical film<br />

drama Symphonie des Lebens. A little song will forever<br />

shine out above his comprehensive catalogue of<br />

works that comprises nearly all genres, the song of Lili<br />

Marleen, whose uneasy foreboding had irritated even<br />

a cynic like Joseph Goebbels, but which went straight<br />

to the hearts of the soldiers on all the fronts of World<br />

War II and gave shape to their private longings: “Wenn<br />

sich die späten Nebel dreh’n ...” (When the late mists<br />

swirl).<br />

Fans Jazzclubs und in den frühen Fünfzigerjahren<br />

wurden die ersten Jazz-Festivals initiiert. Dort, 1955<br />

beim 3. Deutschen Jazz-Festival in Frankfurt a. M.,<br />

katapultierte sich Helmut Brandt mit seiner Combo in<br />

die vorderste Reihe der deutschen Jazzmusiker. Begeistert<br />

umjubelte das Publikum die junge Truppe aus<br />

Berlin, mit der Besetzung Baritonsaxophon, Trompete,<br />

Piano, Bass und Drums. Die Arrangements schrieb<br />

alle Helmut Brandt; auch seine ersten Kompositionen<br />

entstanden, wie zum Beispiel die berühmte Ballade<br />

„Nordlicht“.<br />

In der Bundesrepublik begann sich der Jazz zu emanzipieren,<br />

und wenngleich die Musikbranche weiterhin<br />

von den tradierten Genres beherrscht wurde, konnten<br />

sich doch deutsche Eigenarten in dieser bisher<br />

ausschließlich nach US-amerikanischen Vorbildern<br />

geprägten Musik langsam herausbilden. So fremd,<br />

wie es uns verkrustete Vorurteile immer wieder weismachen<br />

wollten, war diese Musik ohnehin nicht. Sind<br />

doch neben ihrem afrikanisch-amerikanischen Ur-<br />

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sprung gerade im harmonischen Bereich und den<br />

vom Musical des frühen 20. Jahrhunderts entlehnten<br />

Elementen transponierte europäische Anteile deutlich<br />

zu erkennen.<br />

Als Miles Davis 1948 das Capitol Orchestra gründete<br />

und mit dem Arrangeur Gil Evans das Klangideal der<br />

Cool-Jazz-Ära begründete, war Helmut Brandt 17 Jahre<br />

alt und studierte in Berlin am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium<br />

Klarinette und Tenorsaxophon. Er<br />

spielte bald in verschiedenen Berliner Clubs und holte<br />

sich erste BigBand-Erfahrungen in den bekannten Orchestern<br />

Lubo D’Orio und Kurt Widmann, nachdem er<br />

zum Baritonsaxophon überwechselte.<br />

Als Arrangeur und <strong>Komponist</strong> Autodidakt, erarbeitete<br />

er sich durch das Abhören und Nachschreiben von<br />

Jazz-Schallplatten seine Orchestrierungskenntnisse<br />

hartnäckig selbst. Helmut Brandt im Originalton: „Ich<br />

habe die großen Jazzmusiker akribisch studiert. Stan<br />

Kenton kenne ich seit meiner Jugend in- und auswendig.<br />

Von Schellack-Platten habe ich etwa zehn Titel<br />

des Miles Davis Capitol Orchestras abgeschrieben<br />

und nacharrangiert. Es waren sehr komplizierte Klänge,<br />

sehr schwer zu hören.“<br />

Nach dem fantastischen Erfolg auf dem Frankfurter<br />

Jazzfestival, seine Komposition „Sum“ war dort der<br />

meistdiskutierte Beitrag, sah er für die Realisation<br />

seiner größeren kompositorischen Visionen nur noch<br />

Möglichkeiten beim Rundfunk. Nach weiteren Erfolgen<br />

als Solist und <strong>Komponist</strong>, zum Beispiel mit dem 1957<br />

im „SDR-Treff Jazz“ uraufgeführten „Konzert für Jazz<br />

Combo“ und 1958 einer Auftragskomposition für die<br />

All Stars des Frankfurter Jazz-Festivals, trat Helmut<br />

Dem Neuen auf der Spur<br />

Prof. Dr. h.c. Erich Schulze zum 90. Geburtstag<br />

von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Wer die Filmaufnahmen von der endlosen Trümmerlandschaft<br />

Berlins kurz nach Kriegsende kennt, kann<br />

sich vorstellen, von welchem Optimismus ein 32-jähriger<br />

Stagma-Mitarbeiter beseelt sein musste, der im<br />

Spätsommer 1945 die ausgedehnten Ruinenfelder<br />

durchradelte, um in den zahlreichen Kellerbars oder<br />

den wenigen intakt gebliebenen Tanzlokalen Aufführungslisten<br />

von den Kapellen einzutreiben. Vereinzelt<br />

Brandt 1959 dem damals über Deutschland hinaus<br />

bekannten RIAS-Tanzorchester Berlin als Baritonsaxophonist<br />

und Arrangeur bei. Im Verlaufe der Jahre<br />

schrieb er neben populären BigBand-Arrangements<br />

zahlreiche große Orchesterwerke, wie „Reise nach<br />

Prag“ in 3 Sätzen, in der außer der BigBand noch<br />

Streicher, Hörner und Holzbläser mitwirken.<br />

1998 wurden durch das Rundfunk Symphonie-orchester<br />

Berlin und die RIAS-Big-band seine „Symphonischen<br />

Impressionen“ im Konzerthaus Berlin uraufgeführt.<br />

Diese sinfonischen Jazzkompositionen gehören<br />

auf diesem Gebiet zu dem Interessantesten, was im<br />

Deutschland des 20. Jahrhunderts entstand.<br />

Als er mit 65 Jahren aus der RIAS-Bigband ausscheiden<br />

musste, arbeitete er erfolgreich weiter mit seinem<br />

bereits vorher gegründeten Helmut-Brandt-Mainstream-Orchestra,<br />

dessen reichhaltiges Repertoire er<br />

aus eigenen und anderen populären Jazznummern<br />

selbst schrieb.<br />

Unser natürlicher Lebenswille verhindert oft die Ahnung<br />

vom Tode, aber sie streift uns gelegentlich, so<br />

auch den vitalen, jugendlichen 68-jährigen Helmut<br />

Brandt, als er vor zwei Jahren sagte: „So viel möchte<br />

ich noch machen! Mozart und Beethoven – nicht, dass<br />

ich mich mit ihnen vergleichen wollte – aber beide hatten<br />

wohl das ganze Leben Angst, nicht mehr genug<br />

Zeit zu haben, all das aufzuschreiben, was ihnen im<br />

Kopf herum spukte. Diese Angst kenne ich auch.“<br />

Ihn ereilte ein plötzlicher Herzschlag bei einem Spaziergang<br />

in Stuttgart, wo er mit seinem großartigen<br />

Mainstream-Orchestra bald wieder auftreten sollte<br />

und dessen neueste CD demnächst erscheinen wird.<br />

gab es inzwischen auch wieder Konzerte zeitgenössischer<br />

Musik mit Werken, die zwölf Jahre lang “unerwünscht”<br />

oder verboten waren.<br />

Dieser junge Mann erweckte die einzige deutsche musikalische<br />

Inkassogesellschaft aus ihrer kriegsbedingten<br />

Bewusstlosigkeit mit Energie und Einfallsreichtum<br />

wieder zum Leben. Von der alliierten Militärregierung<br />

ertrotzte er Arbeitserlaubnis, Papierzuteilungen, Reisegenehmigungen<br />

und alles, was damals notwendig<br />

war, um in dieser Zeit des Ausnahmezustandes eine<br />

administrativ effektive Organisation wieder aufbauen<br />

zu können.<br />

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Als Nichtmitglied der Nazipartei hätte er auch Stadtrat<br />

von Wilmersdorf oder Steglitz werden können. Aber<br />

er zog es vor, in dem von Bomben und Granaten zur<br />

Mondlandschaft umgepflügten Berliner Stadtraum<br />

nach realen Musikklängen zu forschen, um diese für<br />

ein Inkasso in alter Reichsmark zu registrieren und so<br />

den Urhebern einen bescheidenen finanziellen Neuanfang<br />

zu ermöglichen. Dieses Geschäft betrieb der<br />

junge Mann Monat für Monat mit zunehmendem Erfolg,<br />

denn aus den Trümmern blühte zaghaft neues<br />

Leben, und dieses wollte sich seine staubig graue und<br />

hungrige Umgebung wenigstens mit Musik verschönen:<br />

“Ich hab’ so schrecklich Appetit auf Würstchen<br />

mit Salat.”<br />

Es entstanden bald in beiden Teilen Deutschlands die<br />

heutigen Strukturen der Bezirksdirektionen, die natürlich<br />

nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern inzwischen<br />

mit einem von den Alliierten zur Verfügung gestellten<br />

fauchenden Holzvergaser-Opel bereist wurden.<br />

Das an sich Unmögliche gelang schließlich, die GEMA<br />

entstand neu aus den Ruinen, und der unerschrockene<br />

junge Mann wurde von 1950 bis 1989 ihr Alleinvorstand,<br />

ohne Mitteldeutschland, das allerdings wurde<br />

inzwischen von der staatlichen DDR- Inkassogesellschaft<br />

AWA verwaltet.<br />

In diesem Jahr nun feiert Prof. Dr. h.c. Erich Schulze<br />

seinen 90. Geburtstag.<br />

In den letzten neun Jahren seiner Amtszeit lernte ich<br />

ihn durch meine Tätigkeit im GEMA- Aufsichtsrat näher<br />

kennen. Dabei entdeckte ich bald, dass der auf internationalen<br />

Podien vielfach Geehrte, mit Orden und<br />

Medaillen, akademischen, weltlichen wie päpstlichen<br />

Titeln Geschmückte - bei aller erkennbaren Freude<br />

über diese Ehrungen - ein Zeitgenosse realistischmenschlichen<br />

Denkens geblieben war. Er nahm sich<br />

der Sorgen seiner über 1000 Mitarbeiter ebenso an<br />

wie der Nöte einzelner GEMA-Mitglieder, deren Gesamtzahl<br />

damals rund 25 000 betrug. Trotz der sich<br />

hieraus ergebenden außerordentlichen Machtfülle<br />

- die freilich auch mit entsprechender Verantwortung<br />

getragen sein wollte - blieb Prof. Dr. Schulze, was er<br />

ehedem immer war: Ein sich an der Mitwelt orientierender<br />

Zeitgenosse, dem wohl nichts Menschliches<br />

fremd ist, dem aber auch der Mensch als Maß aller<br />

Dinge gilt, ohne dass solche Bestrebungen mit der<br />

Satzungstreue des Kant´schen Imperativs exekutiert<br />

würden. Er nahm jede Herausforderung ohne großes<br />

Zögern an, ging Konflikten nicht aus dem Wege,<br />

wenn er sie im Interesse seiner Urheber für notwendig<br />

erachtete. Er war ein Einzelkämpfer, von keinerlei<br />

Ängstlichkeit gebremst, der aber mit Voraussicht<br />

seine Chancen meist richtig einschätzte und danach<br />

handelte. Freilich hat man in diesem hohen Alter viele<br />

Feinde kommen, vor allem aber gehen sehen. Wer<br />

wird da nicht besinnlicher?<br />

Unsere gemeinsame Arbeit im Aufsichtsrat wie in<br />

den verschiedenen Ausschüssen führte oft zu divergierenden<br />

Meinungen, deren Ursache gelegentlich<br />

grundverschiedene Interessenlagen zwischen Autoren<br />

und Verlegern, auch mal zwischen <strong>Komponist</strong>en<br />

und Textdichtern oder U- Musik und E-Musik waren.<br />

Da galt es für Prof. Dr. Schulze, stets mit taktischem<br />

Geschick und feinem Gespür diplomatisch und intelligent<br />

zu verhandeln: Um die Besitzstände der verschiedenen<br />

gema-eigenen Gruppierungen in einer<br />

vertretbaren Balance zu halten, kleine Eitelkeiten zu<br />

berücksichtigen - auch die eigenen -, dabei notwendigen<br />

Neuerungen auf den Weg zu helfen, Minderheiten<br />

vor ungerechtfertigten Auszehrungen zu schützen, die<br />

Altersversorgung und Sozialleistungen abzusichern,<br />

um nur einige Punkte aus dem großen Repertoire der<br />

Aufgabenpalette zu nennen.<br />

Und das alles auf dem recht dünnen Eis des vom Gesetzgeber<br />

mit munteren Augen bewachten Satzungsgewirrs,<br />

dessen kafkaeske Ausmaße sich nur nach<br />

jahrelangem Studium zu lichten scheinen. Zusätzlich<br />

muss den sich ständig ändernden Verhaltensmustern<br />

des Musikmarktes Rechnung getragen, nationale Eigenheiten<br />

den internationalen Gepflogenheiten angepasst<br />

werden, ohne dabei die eigene Identität zu<br />

opfern oder gar Verluste hinzunehmen.<br />

Die energische Elastizität, mit der Professor Dr. Schulze<br />

den komplexen Forderungen des Tages gegenübertrat,<br />

blieb in all den Jahren unverändert, seine<br />

Vitalität und Arbeitsbereitschaft ungemindert. Sicher<br />

muss jemand zu den Besten zählen, um auf diesem<br />

gefährlich glatten Parkett über 40 Jahre mit außerordentlichem<br />

Erfolg gewirkt zu haben. Bei all seinen<br />

leistungsüberragenden Aktivitäten lässt sich Prof. Dr.<br />

Schulze nicht zu einem Musikliebhaber stilisieren. Seine<br />

Einstellung zur Musik ist von Gleichmut getragen,<br />

besonders wenn es zeitgenössische Konzertmusik<br />

betrifft. Eher sah man ihn bei einem Schlagerfestival<br />

vorbeischauen, denn diese Musik fordert kaum Widerspruch<br />

heraus, sie ist niemals dumm, weil sie niemals<br />

klug zu sein braucht und lässt einem einfachen Be-<br />

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haglichkeitsanspruch Raum. Sie erlöst vom Geiste,<br />

der uns peinigt und dem wir sonst kaum entrinnen<br />

können. Sicher war es feinere diplomatische Taktik,<br />

dass Mister GEMA - so nannte schon vor Jahrzehnten<br />

die Frankfurter Allgemeine Zeitung Prof. Dr. Schulze -<br />

durch sein Auftreten in populären Fernsehsendungen<br />

breiteren Volksschichten unsere Urheberrechtsinstitution<br />

nahe brachte und damit die ungerechten Vorurteile<br />

gegen Autorentantiemen abzubauen half. Mehr<br />

als mit der akustischen Ausdruckswelt hält es Prof.<br />

Dr. Schulze privat mit der Literatur. Hier trifft man ihn<br />

im eigenen Hause an, denn mit den Modernen ist er<br />

so vertraut wie mit der Romantik oder den Klassikern.<br />

Nicht, dass er allen Zacken und Windungen folgte,<br />

welche die Avantgarde schlägt, aber dem Neuesten<br />

bleibt er auf der Spur und weiß darüber beiläufig, aber<br />

treffend zu berichten.<br />

Von Herzen soll hier endlich ein Dankeschön ausgesprochen<br />

werden, ein Dank für weit über 40 Jahre<br />

treueste Dienste an <strong>Komponist</strong>en, Textdichtern und<br />

Verlegern unseres Landes - ein Dank auch für die kulturpolitische<br />

Arbeit, deren Wert und Nutzen gar nicht<br />

hoch genug veranschlagt werden kann. Dank auch für<br />

die menschliche Anteilnahme, deren sich in besonderem<br />

Maße die Autoren sicher sein durften, eine Sicherheit<br />

in einer Welt, deren Unsicherheit eines ihrer<br />

sichersten Kennzeichen ist.<br />

Nicht vergessen werden wir, dass er uns zu seinem<br />

Abschied aus dem Amt mit Prof. Dr. Kreile einen so<br />

überragend tüchtigen und würdigen Nachfolger empfahl,<br />

der Prof. Dr. Schulzes segensreiches Werk mit<br />

großem Erfolg fortsetzt und so die Erinnerungen an<br />

diese außerordentliche Leistung, nämlich mit der<br />

GEMA eine in der Welt einzigartige Inkassogesellschaft<br />

aufgebaut zu haben, bei uns allen wach hält.<br />

Möge Professor Dr. Schulze mit Freude und Stolz<br />

noch viele Jahre auf sein weiterhin florierendes Lebenswerk<br />

blicken und dabei des Dankes seiner Autoren<br />

gewiss sein.<br />

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Festakt 100 Jahre GEMA am 2. Mai 2003 in Berlin<br />

Festredner <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, GEMA-Aufsichtsrat<br />

und Präsident des Deutschen <strong>Komponist</strong>en-Verbandes<br />

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,<br />

meine verehrten Damen und Herren!<br />

Die Entwicklungsgeschichte des Urheberrechts für<br />

künstlerische Schöpfungen zeigt einen kurvenreichen,<br />

gelegentlich sogar bizarren Verlauf, der uns zurück bis<br />

in das 18. Jahrhundert führt. Hier möchte ich Sie mit<br />

einem Mann bekannt machen, dessen abenteuerliches<br />

Leben einem pittoresken Bühnenstück entlehnt<br />

sein könnte. Ihm verdanken wir den bis heute in unserer<br />

Urheberrechtsgesetzgebung festgeschriebenen<br />

Begriff des “Geistigen Eigentums”: Pierre-Augustin<br />

Carson de Beaumarchais, geboren 1732.<br />

Im 18. Jahrhundert blühte die Aufklärung, es wirkten<br />

Goethe, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant, Jefferson,<br />

Benjamin Franklin, aber auch erste freischaffende,<br />

sich vom höfischen, musikalischen Frondienst emanzipierende<br />

<strong>Komponist</strong>en; Wolfgang Amadeus Mozart<br />

ist der uns heute bekannteste von ihnen. Es entwikkelte<br />

sich die Idee von religiöser und politischer Freiheit,<br />

vom Fortschritt, die Vernunft begann über den<br />

Aberglauben zu siegen, unsere moderne Vorstellung<br />

vom individuellen Recht auf Glück formte sich. Der<br />

Mensch befreite sich aus seiner selbst verschuldeten<br />

Unmündigkeit, wie es Kant formulierte. Es war eine<br />

der hoffnungsvollsten Epochen unserer neuzeitlichen<br />

Geschichte, der Beginn unserer modernen Welt, mit<br />

allen Vor- und Nachteilen.<br />

Beaumarchais, der Sohn eines Pariser Uhrmachers,<br />

war während seines abenteuerlichen Lebens in zahlreichen<br />

Berufen tätig, zunächst als Uhrmacher und<br />

Musiker, schließlich brachte er es zum hohen Beamten<br />

am Hofe Ludwigs XV. Nebenbei handelte er mit<br />

Holz, Kerzen oder Waffen, was ihm immer wieder<br />

Rechtsstreitigkeiten und sogar Gefängnisstrafen einbrachte.<br />

Einzig als Autor blieb er erfolgreich und wurde<br />

durch seine Theaterstücke La folie journée (Figaros<br />

Hochzeit) und Le Barbier de Seville weltberühmt.<br />

Der Dichter und zugleich trickreiche Geschäftsmann<br />

Beaumarchais wollte sich nicht damit abfinden, von<br />

den Theatern regelmäßig um einen Teil des ihm zustehenden<br />

Geldes betrogen zu werden.<br />

Die damals meist von Schauspielern geleiteten Unternehmen<br />

rechneten häufig nicht korrekt ab, unterschlu-<br />

GEMA’s Centenary Celebration in Berlin –<br />

a Dazzling Ceremony<br />

Speech of <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, member of the<br />

GEMA Board of Supervisors and<br />

President of the German Composers’ Association<br />

President Rau,<br />

Ladies and gentlemen!<br />

The history of copyright for the products of artistic<br />

creation has followed a meandering, sometimes bizarre<br />

course with origins back in the 18th century. Let me<br />

introduce you to a man whose adventurous life might<br />

have been drawn from a pittoresco play. We owe to<br />

him the concept of “intellectual property”, which has<br />

remained anchored in our copyright legislation to this<br />

day. His name was Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais,<br />

and he was born in 1732.<br />

The 18th century brought the heyday of Enlightenment.<br />

It was the age of Goethe, Voltaire, Rousseau,<br />

Diderot, Kant, Jefferson, Benjamin Franklin, but also<br />

of the first freelance composers, seeking emancipation<br />

from musical servitude at the courts of the nobility;<br />

Wolfgang Amadeus Mozart is the best-known of these<br />

today. Ideas were developed of religious and political<br />

liberty and of progress; reason began to triumph over<br />

superstition; our modern view of the individual right to<br />

happiness took shape. Man was released from what<br />

Kant called the “subservience for which he was himself<br />

to blame”. It was one of the most hopeful eras in<br />

modern history, the dawn of our modern world, with all<br />

its pros and cons.<br />

Beaumarchais, the son of a Parisian watchmaker, engaged<br />

in many occupations during the course of his<br />

adventurous life, starting out as a watchmaker and<br />

musician and ending up as a high-ranking official at<br />

the court of Louis XV. On the side, he traded in timber,<br />

candles and weapons, as a result of which he found<br />

himself time and again in court, and sometimes prison.<br />

His only unblemished success was as a writer, and he<br />

won international fame with his plays La folie journée<br />

(The Marriage of Figaro) and Le Barbier de Seville. As<br />

an author and at the same time a clever businessman,<br />

Beaumarchais refused to accept the way theatres regularly<br />

cheated him out of some of the money to which<br />

he was entitled.<br />

These enterprises, most of them run by actors, were<br />

frequently lax with their accounting, neglecting to<br />

mention entire performances or simply refusing to pay<br />

31


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

gen ganze Vorstellungen oder verweigerten einfach<br />

die vertraglich festgelegten Zahlungen. So beschloss<br />

Beaumarchais im Sommer 1777 schließlich, das Problem<br />

grundsätzlich zu lösen. Er bat die Pariser Theaterautoren<br />

in sein Haus zum Souper. Und sein Plan<br />

ging auf: Im Verlaufe des Abends gründeten die 22<br />

zusammengekommenen Autoren die erste Urheberrechtsgesellschaft<br />

der Welt, die “Société des auteurs<br />

dramatiques”, aus der dann 1851 die heute noch existierende<br />

Urheberrechtsgesellschaft SACEM hervorging.<br />

Das zentralistisch gelenkte Frankreich war der Entwicklung<br />

in Deutschland um ein halbes Jahrhundert<br />

voraus. Denn die sehr unterschiedliche Gesetzgebung<br />

der zahlreichen deutschen Kleinstaaten hatte ein einheitliches<br />

Urheberrecht lange verzögert.<br />

Mit der allmählichen Entwicklung eines eigenständigen,<br />

bürgerlichen Musiklebens im Deutschland des<br />

ausgehenden 18. Jahrhunderts verselbstständigte<br />

sich die bis dahin im Dienste der Kirche und der Aristokratie<br />

befangene Musik. Die geistige Erhebung des<br />

Bürgertums gegen die vom Adel bestimmten Klassenschranken<br />

geschah im Nachhall der Französischen<br />

Revolution. Dabei entwickelte sich auch der bürgerliche<br />

Anspruch auf eine eigene Musikkultur.<br />

Der Beruf des <strong>Komponist</strong>en erhielt nun einen ganz<br />

neuen gesellschaftlichen, vor allem aber auch künstlerischen<br />

Stellenwert: Er trat aus der höfischen Isolation<br />

ins Licht eines öffentlichen, bürgerlichen Konzertlebens.<br />

Musste der <strong>Komponist</strong> im fürstlichen Dienst<br />

seine Mahlzeiten in der Küche mit der Dienerschaft<br />

einnehmen, so durfte er nun gleichberechtigt an der<br />

Tafel des Großbürgertums speisen. Das schloss allerdings<br />

nicht aus, dass die alltäglichen Lebensverhältnisse<br />

eher bescheiden blieben, wie wir in den Memoiren<br />

selbst herausragender Tonsetzer lesen können.<br />

Waren die Autoren ehedem auf die mehr zufällige,<br />

häufig wechselnde Huld ihrer kirchlichen oder fürstlichen<br />

Dienstherren angewiesen, mussten sie nun an<br />

den Einlasstüren der Konzertsäle das Abkassieren<br />

der Eintrittsgelder selbst überwachen.<br />

Der besonders misstrauische Paganini - so wird erzählt<br />

- verkaufte persönlich die Billetts. Er deponierte<br />

die Einnahmen in seinem Geigenkasten, den er mit<br />

auf die Bühne nahm und während seines furios-virtuosen<br />

Spiels nicht mehr aus den Augen ließ.<br />

contractually agreed sums. In the summer of 1777,<br />

Beaumarchais therefore decided to resolve the problem<br />

once and for all. He invited the theatrical writers<br />

of Paris to a supper at his home. And the plan worked:<br />

in the course of that evening the twenty-two authors<br />

present founded the world’s first copyright society, the<br />

“Société des auteurs dramatiques”, which gave birth<br />

in 1851 to the copyright society SACEM, still in existence<br />

today.<br />

France, with its centralised government, was half a<br />

century ahead of Germany. The very different laws<br />

pertaining in the myriad German principalities delayed<br />

standardised legislation on copyright for many years<br />

to come.<br />

As the bourgeois classes gradually established a<br />

musical life of their own in Germany in the late 18th<br />

century, musicians who had hitherto been fettered in<br />

the service of the church and aristocracy also began<br />

to acquire independence. In the wake of the French<br />

Revolution, the bourgeoisie unleashed an intellectual<br />

rebellion against the class barriers erected by the<br />

nobility. The bourgeois demand for a different musical<br />

culture was part of this process.<br />

The profession of composer acquired a quite new social<br />

and, above all, artistic status, away from isolation<br />

at court and into the broad daylight of public concerts<br />

for the middle classes. A composer in the service of a<br />

prince had been obliged to take his meals in the kitchen<br />

with the other domestics, whereas now he could<br />

dine as an equal at the table of the grand bourgeoisie.<br />

That did not necessarily prevent his everyday lifestyle<br />

from being rather modest, as we read in the memoirs<br />

of even the most accomplished symphonists.<br />

Once dependent on the arbitrary, often fluctuating<br />

favours of their ecclesiastical or secular lords, these<br />

authors were now obliged to stand at the doors of concert<br />

halls to supervise the collection of entrance fees<br />

on their own behalf.<br />

Paganini - they say - was particularly distrustful and<br />

sold his tickets himself. He deposited the takings in his<br />

violin case and took this on stage with him, where he<br />

would not take his eyes off it throughout his virtuoso<br />

performance.<br />

Today’s composers are spared such rigours, for after<br />

the original Society for Musical Performance<br />

Rights (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte)<br />

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Solche Strapazen bleiben uns heutigen <strong>Komponist</strong>en<br />

erspart. Denn nach der Gründung der ersten “Anstalt<br />

für musikalische Aufführungsrechte” in Deutschland -<br />

auf Initiative von Richard Strauß, Hans Sommer und<br />

Friedrich Rösch - entwickelte sich die GEMA zu einer<br />

weltweit führenden Urheberrechtsgesellschaft. Und<br />

das trotz der schrecklichen politischen und kriegerischen<br />

Turbulenzen während der ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts.<br />

Inzwischen nimmt die GEMA im wirtschaftlich vereinigten<br />

Europa für alle in Deutschland lebenden Musikurheber<br />

- und ebenso für die Musikverleger - die<br />

Rechte in treuhänderischer Verwaltung wahr. Der ihr<br />

vom Gesetzgeber erteilte kulturelle Auftrag ist im Satzungskanon<br />

verankert. So ist die GEMA ausdrücklich<br />

gehalten, auch künstlerische Gegebenheiten zu berücksichtigen.<br />

Wir Urheber dürfen bei dem von uns anvisierten Ziel<br />

einer angemessenen Verwertbarkeit unserer künstlerischen<br />

Arbeit nicht alles ausschließlich unter dem<br />

Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effektivität sehen.<br />

Das war nie und darf nie das Grundmotiv unseres<br />

Schaffens sein, denn das würde unserem über Jahrhunderte<br />

gewachsenen Kulturverständnis entgegenstehen,<br />

das eine normative ethische Grundlage unserer<br />

Gesellschaft ist.<br />

Als Autoren dürfen wir unsere Musikvisionen nicht allein<br />

dem Markt und seinen Managern überlassen. Der<br />

Markt wird alles, über die nationalen Grenzen hinweg,<br />

ausschließlich nach seinen merkantilen Gesetzen vereinheitlichen.<br />

Den eigentlichen Musikschöpfern droht<br />

die Aktivität genommen zu werden, ob in der U-Musik<br />

oder in der E-Musik. Es gilt daher, die sich weltweit befruchtenden<br />

Kulturzonen zu bewahren. Es gilt, unsere<br />

kulturelle Vielfalt zu erhalten, um einer Bequemlichkeit<br />

auf verständlichstem Niveau entgegenzuwirken. - Leider<br />

wird diese heute längst in einem großen Teil der<br />

privat-rechtlich betriebenen Fernseh- und Radiostationen<br />

lärmend angeboten. -<br />

Es gilt also den “langen Marsch” ins geistige Neandertal<br />

zu verhindern. Wobei die Ironie ist: Das kleine,<br />

aber weltberühmte Neandertal zwischen Düsseldorf<br />

und Mettmann wurde durch die Funde des Frühmenschen<br />

weltberühmt, seinen Namen erhielt es jedoch<br />

nach dem Prediger, Dichter und <strong>Komponist</strong>en Joachim<br />

Neander, der dort im 17. Jahrhundert lebte.<br />

was founded in Germany, on the initiative of Richard<br />

Strauss, Hans Sommer and Friedrich Roesch, GEMA<br />

eventually evolved into one of the world’s leading copyright<br />

associations. In spite of the appalling political<br />

and bellicose turbulence that marked the first half of<br />

the twentieth century.<br />

Now, in an economically united Europe, GEMA manages<br />

rights on a fiduciary basis for all music authors<br />

- and also music publishers - living in Germany. The<br />

cultural remit defined for it by the legislature is inscribed<br />

in its canon of statutes. GEMA is explicitly called<br />

upon, for example, to respect artistic considerations.<br />

Although it is our declared aim as authors to have our<br />

artistic work appropriately rewarded, we should not<br />

see everything in terms of commercial effect. That<br />

has never been the primary motive for our creativity,<br />

and never should be; for it would be at odds with an<br />

understanding of culture that has developed over the<br />

centuries and is one of the basic ethical foundations<br />

of our society.<br />

As authors we must not submit our musical visions<br />

entirely to the market and its managers. The market<br />

will level everything, across national boundaries, in<br />

sole obedience to mercantile laws. There is a threat<br />

that the real creators of music will be deprived of their<br />

activity, in light music and serious music alike. The zones<br />

of culture, fertilised world-wide, must be protected.<br />

Our cultural diversity must be preserved to counter<br />

convenience at the level of broadest comprehension.<br />

Unfortunately, this is what many private TV and radio<br />

stations have long since been noisily offering.<br />

In other words, we must prevent the long descent into<br />

an intellectual Neanderthal. This valley between Düsseldorf<br />

and Mettmann, small for all its fame, became a<br />

household name across the world after the remains of<br />

prehistoric man were discovered there. Ironically, the<br />

place was named after the preacher, poet and composer<br />

Joachim Neander, who lived there in the 17th<br />

century.<br />

As a collecting society, GEMA is of vital importance,<br />

not only to its members. In making copyright happen,<br />

it ensures a safe place for our works in a society which<br />

may well be culturally orientated, but is sometimes<br />

prevented by the sheer speed of life from being aware<br />

of its culture. Musical works of the present and recent<br />

past are documented, protected, preserved for their<br />

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Die Inkassogesellschaft GEMA ist nicht nur für ihre<br />

Mitglieder von existenzieller Bedeutung. Indem sie<br />

das Urheberrecht realisiert, verschafft sie den Werken<br />

einen gesicherten Ort in unserer zwar kulturorientierten,<br />

aber in der Schnelllebigkeit nicht immer kulturbewussten<br />

Gesellschaft. Musikalische Werke unserer<br />

Gegenwart und der näheren Vergangenheit werden<br />

dokumentiert, geschützt, als Werte bewahrt. Hier treffen<br />

Goethes Faust-Worte auch für künftige Generationen<br />

eine kulturelle Realität:<br />

“Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um<br />

es zu besitzen.”<br />

50 Jahre DKV – Festakt am 12. März 2004, Berlin<br />

Über die Ziele des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />

und Anmerkungen zu seiner Frühgeschichte anlässlich<br />

seines 50-jährigen Neugründungs-Jubiläums<br />

Rede von Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> –<br />

Präsident des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />

Die Neugründung des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />

im Jahr 1954 sollte vor allem ein symbolisches<br />

Zeichen sein für die grundsätzliche Erneuerung dieser<br />

berufsständischen Organisation nach den politischen<br />

und kriegerischen Katastrophen in der ersten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts. Denn schon lange vorher, noch<br />

im wilhelminischen Kaiserreich, wurde im Herbst 1898<br />

in Leipzig die erste Vereinigung deutscher <strong>Komponist</strong>en<br />

ins Leben gerufen. Zuvor hatte Richard Strauss in<br />

einem Rundschreiben und im Namen berühmter Kollegen<br />

wie Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max<br />

von Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Rösch und<br />

Hans Sommer zur Gründung einer <strong>Komponist</strong>en-eigenen<br />

- verlegerfreien - Interessenvertretung aufgerufen:<br />

“Zweck und Aufgabe dieses Autorenverbandes wäre<br />

einzig und alleine eine wirksame genossenschaftliche<br />

Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte und<br />

der damit verknüpften Standesinteressen.”<br />

Zu den von den Leipziger Verbandsgründern seit<br />

1898 angestrebten Zielen verpflichteten sich auch alle<br />

weiteren <strong>Komponist</strong>envereinigungen, die in der wech-<br />

own value. It makes cultural reality, today and for future<br />

generations, of those words from Goethe’s Faust:<br />

“The precious things your forebears left for you Assimilate,<br />

that you may own them.”<br />

50 years German Music Composers‘ Association<br />

The objectives of the German Music Composers’ Association<br />

with remarks on its early history on the 50th<br />

anniversary of its re-establishment<br />

by Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> –<br />

President of the German Music Composers’ Association<br />

The re-establishment of the German Music Composers’<br />

Association in 1954 was mainly intended to be<br />

a symbol of the fundamental renewal of this professional<br />

organisation after the political and military catastrophes<br />

of the first half of the 20th century. In fact, the<br />

first association of German composers had already<br />

been founded long before at the time of the Wilhelminian<br />

Empire, in autumn 1898 in Leipzig. Before that,<br />

Richard Strauss had circulated an appeal in the name<br />

of famous colleagues such as Eugen d’Albert, Engelbert<br />

Humperdink, Max von Schillings, Gustav Mahler,<br />

Friedrich Roesch and Hans Sommer to found their<br />

own association of composers - without publishers:<br />

“The sole purpose and task of this authors’ association<br />

would be an effective co-operative administration of all<br />

musical copyrights and the interests of the profession<br />

associated with it.”<br />

The aims that the founders of the association had<br />

been striving for since 1898 were also espoused by<br />

all further composers’ organisations that were founded<br />

in the ever-changing course of German history in the<br />

34


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

selvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts<br />

noch gegründet wurden, sich wieder auflösten oder<br />

sich mit anderen Organisationen gleicher<br />

Intention vereinigten. Auch heute bleibt die Wahrnehmung<br />

und der Schutz aller dem <strong>Komponist</strong>en<br />

zustehenden Rechte die dringlichste Aufgabe dieser<br />

großen berufsständischen Vereinigung. Das “Gesetz<br />

über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte” garantiert<br />

uns <strong>Komponist</strong>en - bei angemessenem Fleiß<br />

und entsprechendem Erfolg - eine finanzielle Sicherheit,<br />

von der die Kollegen früherer Jahrhunderte nur<br />

träumen konnten. Denn auf die launisch wechselnde<br />

Huld ihrer aristokratischen Dienstherren angewiesen,<br />

mussten diese sich vornehmlich als Instrumentalisten<br />

oder Dirigenten ihren Lebensunterhalt verdienen, an<br />

kleineren Residenzen war das oft auch noch mit Servierdiensten<br />

oder Gärtnerarbeit gekoppelt. Mozart gilt<br />

in seinem letzten Lebensjahrzehnt, nach dem von ihm<br />

provozierten Bruch mit dem Salzburger Fürstenbischof<br />

Graf Colloredo, als einer der ersten erfolgreichen freischaffenden<br />

<strong>Komponist</strong>en. Seine zum Teil erheblichen<br />

Einnahmen, mit denen weder er noch seine Frau<br />

zu haushalten wussten, waren nur Bruchteile dessen,<br />

was ihm bereits damals eigentlich zugestanden hätte.<br />

Aber im 18. Jahrhundert waren Raubdrucke üblich,<br />

und die Verleger rechneten auch die Aufführungen oft<br />

nur nach Gutdünken ab.<br />

In dieser Zeit der rechtlichen Unsicherheiten für Autoren<br />

gründete 1777 der Pariser Theaterdichter Pierre-<br />

Augustin de Beaumarchais mit Kollegen die erste Urheberrechtsgesellschaft<br />

der Welt. Die Stückeschreiber<br />

waren es leid, immer wieder um einen Teil der ihnen<br />

zustehenden Tantiemen betrogen zu werden. In der<br />

bald folgenden französischen Revolutionszeit wurde<br />

1793 schließlich das geistige Eigentum an schriftstellerischen<br />

und musikalischen Werken gesetzlich geregelt.<br />

Von Beaumarchais stammt auch der uns heute<br />

geläufige Begriff vom “geistigen Eigentum”. Das erste<br />

deutsche Urhebergesetz wurde 1837 in Preußen erlassen.<br />

Die unterschiedliche Gesetzgebung in den<br />

zahlreichen deutschen Kleinfürstentümern verzögerte<br />

lange ein einheitliches Urheberrecht. Das wundert<br />

nicht, denn trotz der eingeführten Zollunion galten z.B.<br />

um 1850 innerhalb des deutschen Bundes allein neun<br />

verschiedene Großmünzen als offizielle Zahlungsmittel,<br />

der Preußische Taler, der Reichstaler, der Kronentaler,<br />

die Hamburgische Mark, der österreichische<br />

Gulden usw. Dieser groteske Zustand änderte sich<br />

erst 1871 mit der bismarckschen Reichsgründung. Im<br />

twentieth century, only to be disbanded or to unite with<br />

other similarly minded organisations. To the present<br />

day, the administration and the protection of all rights<br />

to which a composer is entitled to has remained the<br />

most urgent task of this great professional association.<br />

The “Act on Copyright and Related Rights” guarantees<br />

us composers - provided we work hard and are suitably<br />

successful - a form of financial security of which colleagues<br />

of previous centuries could only dream. Being<br />

dependent on the favours, capriciously bestowed, of<br />

their aristocratic masters they mainly had to earn their<br />

living as instrumentalists or working as conductors,<br />

and at smaller courts this often also involved serving<br />

at table or gardening. In the last decade of his life,<br />

after provoking the break-up with the Prince Bishop of<br />

Salzburg Count Colloredo, Mozart was looked upon<br />

as one of the first successful free-lance composers.<br />

His in part considerable income, which neither he nor<br />

his wife managed to use economically, were only fractions<br />

of what he actually would have been entitled to<br />

even back then. But pirate copies were common in<br />

the 18th century and also the publishers often paid for<br />

performances at their own discretion.<br />

In those days of legal uncertainties for authors, the<br />

Paris playwright Pierre-Augustin de Beaumarchais<br />

got together with colleagues to found the world’s first<br />

copyright society in 1777. The playwrights were tired<br />

of being repeatedly cheated out of a part of the royalties<br />

they were entitled to. In the days of the French<br />

Revolution that followed the intellectual property of literary<br />

and musical works was finally legally regulated<br />

in 1793. Beaumarchais was also the first to use the<br />

now common term of “intellectual property”. In 1837<br />

the first German copyright act was enacted in Prussia.<br />

The variations in legislation in the numerous small<br />

German principalities delayed a uniform copyright for<br />

a long time. This is not surprising because, around<br />

1850, despite the introduction of the customs union,<br />

there were, for example, no less than nine different<br />

large-denomination coins in the German Confederation<br />

that were valid as official tender, the Prussian<br />

Taler, the Reichstaler, the Kronentaler, the Hamburg<br />

Mark, the Austrian Gulden, and so on. This grotesque<br />

situation did not change until 1871, with the foundation<br />

of the Reich under Bismarck. A “Deutsche Genossenschaft<br />

dramatischer Autoren und <strong>Komponist</strong>en” - German<br />

Co-operative of Dramatic Authors and Composers<br />

- had also been founded in the same year, but<br />

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gleichen Jahr war zwar noch eine “Deutsche Genossenschaft<br />

dramatischer Autoren und <strong>Komponist</strong>en”<br />

entstanden, doch erst 1898 konstituierte sich der älteste<br />

Vorläufer unseres heutigen Verbandes, die “Genossenschaft<br />

Deutscher Componisten”. 1903 wurde<br />

dieser Name auf Wunsch von Engelbert Humperdink<br />

und Richard Strauss - “... von dem banausischen und<br />

nichtssagenden Fremdwort ‚Componist’ endgültig<br />

Abstand nehmen ...” - in “Genossenschaft Deutscher<br />

Tonsetzer” (GDT) umgewandelt.<br />

Bei dieser Hauptversammlung in Berlin beschlossen<br />

die Mitglieder der GDT auch die organisatorische<br />

Verkopplung mit der im gleichen Jahr gegründeten<br />

“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA).<br />

Hier hatten ausschließlich die <strong>Komponist</strong>en das Sagen,<br />

freilich nur die Vertreter der Ernsten Musik. Die<br />

Unterhaltungsmusikkomponisten gründeten gemeinsam<br />

mit ihren Verlegern die “Genossenschaft zur Verwertung<br />

musikalischer Aufführungsrechte”, abgekürzt<br />

GEMA, die allerdings nicht identisch mit unserer heutigen<br />

GEMA ist. Beide Organisationen, die “Genossenschaft<br />

Deutscher Tonsetzer” (GDT) und die GEMA<br />

hielten ihr Verhältnis zueinander durch permanente<br />

Auseinandersetzungen in Spannung. Die politischen<br />

Turbulenzen im folgenden Jahrzehnt der Weimarer<br />

Republik verschärften diese Kontroversen noch. Der<br />

NS-Staat beendete 1933 diesen Kleinkrieg, indem er<br />

kurzerhand alle musikberufsständischen wie urheberrechtlich<br />

tätigen Organisationen auflöste und in der<br />

Reichskulturkammer die Künste politisch gleichschaltete.<br />

Für die <strong>Komponist</strong>en war in den nächsten zwölf<br />

Jahren die Reichsmusikkammer zuständig, und nur<br />

deren Mitglieder durften öffentlich schöpferisch tätig<br />

sein.<br />

In Berlin ging damit die weltweit beachtete Epoche<br />

einer europäischen Kulturkristallisation plötzlich zu<br />

Ende, als es Hitler und Goebbels durch massenwirksame<br />

Beredsamkeit im Schatten der Weltwirtschaftskrise<br />

gelang, die Minderwertigkeitsgefühle des im Kriege<br />

geschlagenen Volkes in die kollektive Wahnidee eines<br />

“nationalsozialistischen Mythos” zu transformieren.<br />

In diesem rüden “Deutschland erwache”- Taumel war<br />

kritische, zum Mitdenken auffordernde Kunst nicht<br />

nur unerwünscht, sie wurde verboten, diffamiert, verbrannt<br />

und ihre Autoren “ausgedeutscht”, verhaftet,<br />

zum Schweigen verurteilt, gejagt und sogar ermordet.<br />

Als sich nach der völligen Niederlage Deutschlands<br />

1945 aus den Trümmern wieder zaghaft ein neues<br />

the oldest predecessor of our present association was<br />

constituted only in 1898, the “Genossenschaft Deutscher<br />

Componisten”. In 1903, at the request of Engelbert<br />

Humperdink and Richard Strauss - “... to finally<br />

bid farewell to the philistine and meaningless foreign<br />

word ‘Componist’ (composer) ...” - this name was altered<br />

to “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) -<br />

German Composers’ Co-operative, using the German<br />

term ‘Tonsetzer’.<br />

At this general meeting in Berlin the members of the<br />

GDT also decided to link their organisation with the<br />

“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA)<br />

- Institute for Musical Performing Rights - which had<br />

been founded in the same year.<br />

Only composers had a say here, and of course only<br />

the representatives of serious music. Together with<br />

their publishers the composers of light music founded<br />

the “Co-operative for the Exploitation of Musical<br />

Performing Rights” - “Genossenschaft zur Verwertung<br />

musikalischer Aufführungsrechte”, abbreviated to<br />

GEMA, which, however, is not identical with our present<br />

GEMA.<br />

Constant disputes created a permanent tension between<br />

the two organisations, the “Genossenschaft<br />

Deutscher Tonsetzer” (GDT) and GEMA. The political<br />

turmoil in the subsequent decade of the Weimar<br />

Republic even aggravated these controversies. The<br />

NS state put an end to this running battle in 1933 by<br />

disbanding, without further ado, all organisations of<br />

the musical profession and those active in the field of<br />

copyright, and by forcing the arts politically into line in<br />

the Reichskulturkammer. In the next twelve years the<br />

Reichsmusikkammer took charge of the composers,<br />

and only its members were permitted to be creatively<br />

active in public.<br />

So the epoch of a European crystallisation of culture<br />

that had attracted so much international attention<br />

came to a sudden end in Berlin, when Hitler and Goebbels<br />

succeeded by mass eloquence, in the shadow<br />

of the world economic crisis, to transform the feeling of<br />

inferiority of a nation defeated in war into the collective<br />

delusion of a “National-Socialist myth”. In this rude<br />

frenzy of “Germany awake” critical art that called upon<br />

people to think was not only undesirable, it was prohibited,<br />

defamed, burnt and their authors declared to be<br />

“un-German”, arrested, condemned to remain silent,<br />

persecuted and even murdered.<br />

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Kulturleben zu regen begann, gründeten sich auch<br />

wieder verschiedene <strong>Komponist</strong>enverbände, in München,<br />

in Berlin und schließlich getrennt in west- und<br />

ostdeutsche Organisationen.<br />

Diese in der Folge kompliziert verschlungenen Pfade<br />

dieser berufsständischen Organisationen aufzuzeichnen<br />

mag der Musikgeschichtswissenschaft vorbehalten<br />

bleiben. Als Jubiläum interessiert nur das Jahr<br />

1954, als nämlich der heutige Gesamt-”Deutsche<br />

<strong>Komponist</strong>enverband” seine Gründungsversammlung<br />

abhielt.<br />

Zwar blieb die von Richard Strauss vorgegebene Zielsetzung,<br />

die gemeinsame Wahrnehmung aller musikalischen<br />

Urheberrechte als Hauptaufgabe, wurde<br />

aber erweitert und den heutigen Gegebenheiten angepasst.<br />

So kann jedes Mitglied bei dem Verbandsjustiziar<br />

Prof. Dr. Wilhelm Nordemann eine kostenlose<br />

Erstberatung in Fragen des Urheber- und Verlagsrechts<br />

einholen; jedem Mitglied sind Musterverträge<br />

aus den Bereichen U- und E-Musik zugänglich; in<br />

persönlichen Notfällen ist durch die verbandseigenen<br />

Stiftungen begrenzte finanzielle Unterstützung möglich;<br />

die INFORMATIONEN des DKV enthalten nicht<br />

nur Hinweise auf Kompositionswettbewerbe, sie berichten<br />

außerdem für <strong>Komponist</strong>en Wissenswertes<br />

aus dem Musikleben, wie z.B. über Uraufführungen<br />

der Mitglieder; auf der Homepage des DKV wird jedes<br />

Mitglied mit detaillierten Informationen zur Person<br />

(Foto) und seinem Werk auf einer standardisierten<br />

Seite vorgestellt; es würde den hier vorgegebenen<br />

Rahmen sprengen, alle Aktivitäten des Verbands, der<br />

einzelnen Arbeitsgruppen usw. aufzuzählen.<br />

So wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durch die<br />

Weiterentwicklung unserer Wissenschaft und Technik<br />

immer neue Berufe entstanden, andere wieder<br />

fast lautlos verschwanden, so veränderten sich nicht<br />

nur das Berufsbild des <strong>Komponist</strong>en, sondern auch<br />

die Ergebnisse seiner Arbeiten. Der romantische Geniekult<br />

vergangener Epochen verwandelte sich zum<br />

Teil in ökonomischen Pragmatismus, gemäß unserer<br />

computerisierten Gegenwart mit ihrer oft unkünstlerischen,<br />

aber marktschreierisch alles beherrschenden<br />

Medienwelt.<br />

Trotzdem sucht jede Generation ihr eigenes musikalisches<br />

Daseinsmuster.<br />

In der E-Musik drückt sich diese Suche nach der verlorenen<br />

Schönheit, nach einer dämonisch-erotischen<br />

After Germany had been totally defeated in 1945, a<br />

new cultural life began timidly to stir again from the ruins<br />

and various composers’ associations established<br />

themselves once more in Munich and in Berlin, separating<br />

finally into organisations in East and West<br />

Germany.<br />

To map out the intricate, winding paths subsequently<br />

taken by these professional organisations needs to<br />

be left to the science of musical history. What is of<br />

interest here is only the year 1954, when today’s All-<br />

“German Composers’ Association” held its constitutive<br />

meeting.<br />

The objective set by Richard Strauss, the joint administration<br />

of all musical copyrights, remained the main<br />

task, but it was extended and adapted to today’s situation.<br />

For example, every member is entitled to a free<br />

first consultation with the association’s legal adviser,<br />

Prof. Dr. Wilhelm Nordemann, on questions of copyright<br />

and publishing law; each member has access to<br />

model agreements from the light- and serious-music<br />

segments; the association’s own foundations can provide<br />

limited financial assistance in personal emergencies;<br />

the INFORMATIONEN of the DKV contain not<br />

only announcements of competitions for composers,<br />

they also supply composers with valuable information<br />

from the world of music, such as, for example, members’<br />

premieres; the DKV Homepage presents every<br />

member with detailed personal information (photo)<br />

and information about his or her work on a standardised<br />

page; it would go beyond the scope of this contribution<br />

to list all the activities of the association, the<br />

individual working groups, etc.<br />

In the course of the twentieth century, thanks to the<br />

continuing development of our science and technology,<br />

new professions were created time and again,<br />

and others in turn disappeared almost silently. As this<br />

happened, it was not only the composers’ professional<br />

image that changed, but also the results of their<br />

works. The romantic cult of genius of bygone ages<br />

was transformed partly into economic pragmatism in<br />

conformity with our present computerised age with its<br />

world of media that is often unartistic, but blatantly dominates<br />

everything.<br />

And yet, each generation seeks its own musical patterns<br />

of existence.<br />

In serious music this search for lost beauty, for a demonically<br />

erotic vitality or perhaps a coolly distant<br />

37


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

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Reden Werkkommentare<br />

Vitalität oder vielleicht einem distanziert-coolen Hörerlebnis<br />

in musikalisch-ästhetisch neuen, oft interessanten<br />

Klangphänomenen aus, bleibt aber doch noch<br />

häufiger in schlichten romantischen Rückblenden<br />

hängen oder verirrt sich gar in eklektizistischen, auch<br />

elektronischen Stilübungen, ohne durch eigene Originalität<br />

zu fesseln. Wozu auch, die Mehrzahl der Hörer<br />

liebt ohnehin den historischen Mainstream.<br />

In der U-Musik schreitet die Aufsplitterung, man kann<br />

schon von Diversifizierung sprechen, unaufhaltsam<br />

voran. Ethnologische wie folkloristische Elemente<br />

überlagern sich in eleganten elektronisch-technischen<br />

Aufbereitungen, der Kenner verliert die Übersicht, den<br />

Käufer verwirrt die sich ständig ändernde kaleidoskopartige<br />

Vielfalt, die Musikindustrie klagt über massive<br />

Umsatzeinbrüche. Allerdings ohne zu erkennen, dass<br />

die Probleme im offensichtlichen Mangel ihres musikästhetischen<br />

Gespürs liegen, diagnostizieren sie als<br />

alleinige Ursache ihrer zehrenden Schwindsucht ausschließlich<br />

die Internettauschbörsen und den privaten<br />

CD-Brenner.<br />

Der Jazz als exotisch-vitales Gewächs zwischen den<br />

Polen U- und E-Musik nimmt Anleihen von beiden Seiten<br />

und bleibt so immer wieder interessant, nicht nur<br />

wegen seines irrealen Metrums. Die Unmittelbarkeit<br />

der solistischen Improvisationen, die sprühenden, variablen<br />

Rhythmen und in größeren Formationen die<br />

harmonisch wie stilistisch oft interessanten Instrumentierungen<br />

faszinieren jede Generation erneut.<br />

Freilich bleibt die ernsthaft interessierte Zielgruppe so<br />

überschaubar wie bei der Neuen Musik. Dabei verändern<br />

sich auch hier die Hörerzahlen ständig. Sie sind<br />

so wenig wie in den anderen genannten Musikbereichen<br />

genau zu verifizieren, im Gegensatz zum Politbarometer<br />

oder den Publikumsquoten im Fernsehen<br />

- falls nicht auch diese Zahlen mehr von der heisenbergschen<br />

Unschärferelation als von der Wirklichkeit<br />

beeinflusst sind.<br />

Jedes künstlerische Schaffen ist ein Versuch, sich von<br />

der Realität zu distanzieren, um sich der eigenen Realität<br />

auf schöpferischem Wege zu nähern. Wird die musikalische<br />

Chiffrierung dabei jedoch zu weit getrieben,<br />

verliert sogar der willige, nicht konservative Hörer den<br />

Zugang zum Werk. Dadurch und noch mehr durch die<br />

Forderung unserer sinnentleerten Spaßgesellschaft<br />

nach permanenter Unterhaltung auf verständlichster<br />

Ebene, verblasst der Strahlenglanz unseres Berufes,<br />

auch wird sein Ethos brüchig, so wie die moralischen<br />

acoustic experience finds its expression in musicallyaesthetically<br />

novel, often interesting, acoustic phenomena,<br />

but even more often remains caught in simple<br />

romantic flashbacks or even loses its way in eclecticist,<br />

sometimes electronic, stylistic exercises without<br />

the grip of its own originality. And why should it? The<br />

majority of the audience loves the historical mainstream<br />

anyway.<br />

This fragmentation, one may even say diversification,<br />

in light music is progressing at an unstoppable pace.<br />

Layer upon layer of ethnological and folkloric elements<br />

are worked up into a combination of electronic<br />

and technological elegance, the expert loses track of<br />

what is going on, the buyer is bewildered by the kaleidoscope<br />

of ever-changing variety, the music business<br />

complains about massive drops in sales. They fail to<br />

realise, however, that the problems lie in their obvious<br />

lack of an aesthetic feeling for music; they diagnose<br />

the Internet exchanges and the private CD-writer as<br />

the sole causes of their debilitating galloping consumption.<br />

Jazz, that vigorously exotic plant that thrives between<br />

the poles of light and serious music, borrows from both<br />

sides, and this is why it always remains interesting,<br />

not just because of its surreal metre. Each new generation<br />

is fascinated by the immediacy of the solo improvisations,<br />

the effervescent, changing rhythms and,<br />

in bigger formations, the instrumentation, whose style<br />

and harmony is often so interesting. Of course, the seriously<br />

interested target group remains as limited as is<br />

the case with New Music. And the number of listeners<br />

is continuously changing here as well. It is just as difficult<br />

to pin them down exactly as it is in the other fields<br />

of music mentioned, unlike the political barometer or<br />

the viewer ratings on television - unless these figures<br />

are also influenced more by Heisenberg’s uncertainty<br />

principle than by reality.<br />

Each artistic work is an attempt to distance oneself<br />

from reality, to get closer to one’s personal reality via<br />

the creative route. But if the musical encoding is taken<br />

too far, even the willing, non-conservative listener loses<br />

access to the work.<br />

Through this and even more so through the demands<br />

of our hollow, hedonistic society for constant entertainment<br />

at its most easily comprehensible level, the brilliant<br />

aura of our profession pales into insignificance,<br />

its ethos also starts to crumble just like the moral<br />

38


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

Grundlagen unserer postindustriellen Gesellschaft.<br />

Der inzwischen gefestigte Glaube an die Leichtigkeit<br />

des Seins treibt wie zur eigenen Rechtfertigung die<br />

Boulevardisierung unserer Kultur weiter voran. Die<br />

interessanten Beiträge im anspruchsvollen deutschen<br />

Feuilleton sind auf Film und Literatur konzentriert.<br />

Über Popmusik wird nur unterhaltend berichtet. Mit<br />

dem allgemeinen Trend zum musikalischen Analphabetentum<br />

hat man sich journalistisch offensichtlich abgefunden<br />

- von Ausnahmen abgesehen.<br />

Sollte sich in unserem Verband der immer wieder beschworene<br />

kollegiale Konsens den äußeren gesellschaftlichen<br />

Zuständen folgend in einen erbarmungslosen<br />

Konkurrenzkampf innerhalb der verschiedenen<br />

musikalischen Gattungen auflösen, werden wir nicht<br />

nur uns selbst schaden, sondern auch das öffentliche<br />

Ansehen unseres Berufes herabwürdigen. Den Widerspruch<br />

zwischen künstlerischem Auftrag und wirtschaftlichen<br />

Realitäten erträglich zu lösen, sich in der<br />

Gemeinschaft mit ähnlich Gesinnten abzustimmen<br />

bleiben neben dem Schutz der urheberrechtlichen<br />

Ansprüche wesentliche Anliegen der Mitglieder an<br />

unseren Verband. All dem gerecht zu werden bei der<br />

zunehmenden Aufsplitterung in immer neue, verschiedenartige<br />

musikalische Gattungen, deren wirtschaftliche<br />

Interessen gelegentlich fast diametral zueinander<br />

stehen, ist die schwierigste Aufgabe für den Deutschen<br />

<strong>Komponist</strong>enverband in den kommenden Jahren. Sie<br />

gemeinsam zu lösen muss unser aller Interesse sein,<br />

denn von außen ist keine Hilfe zu erwarten. Darum<br />

sind der kollegiale Zusammenhalt ebenso wie die Arbeitsaufteilung<br />

in die verschiedenen musikalischen<br />

Sektoren die wichtigsten Aufgaben, denen wir uns<br />

unmittelbar und in der Zukunft stellen müssen. Dazu<br />

könnte uns heute, im Jahre 2004 - dem Jubiläumsjahr<br />

des großen deutschen Philosophen -, Immanuel Kant<br />

mit seiner “Kritik der praktischen Vernunft” eine geistige<br />

Anleitung sein.<br />

Zumal unserem Berufsstand ständig Gefahren von<br />

außen drohen, wie das aktuelle Beispiel mit der Deutschen<br />

Landesgruppe IFPI (International Federation of<br />

Phonographic Industry) zeigt. Diese senkte den Urheber-Lizenzsatz<br />

für Tonträger ab 1. Januar 2004 von<br />

9,009% des Herstellerabgabepreises auf 5,6% - ohne<br />

Vertragsabsprache mit der die Urheber vertretenden<br />

GEMA. Den <strong>Komponist</strong>en werden plötzlich und willkürlich<br />

40% ihres bisherigen Einkommens vorenthalten.<br />

Solchen rigiden Vorgängen ist der einzelne Urheber<br />

schutzlos ausgeliefert, zumal die Erfahrungen uns<br />

foundations of our post-industrial society. The meanwhile<br />

firmly established belief in the lightness of being<br />

is hurrying the trivialisation of our culture along as if<br />

in justification of itself. The interesting articles in the<br />

sophisticated feature sections of German newspapers<br />

focus on film and literature. Reports on pop music are<br />

written simply to entertain. It looks as if journalism has<br />

already accepted the general trend towards musical<br />

illiteracy - apart from a few exceptions.<br />

Should the repeatedly invoked consensus among<br />

colleagues in our association dissolve - in line with<br />

external social conditions - into ruthless competition<br />

within the different musical genres, we will not only<br />

do ourselves harm but also belittle the standing of<br />

our profession. Resolving the contradiction between<br />

one’s artistic mission and economic realities in a tolerable<br />

way, reaching consensus in a community of<br />

like-minded people - these goals will remain, along<br />

with the protection of claims based on copyright, the<br />

main demands our members will make of our association.<br />

Given the ever-increasing fragmentation into<br />

newer, even more differentiated musical genres, whose<br />

economic interests are sometimes almost diametrically<br />

opposed, the most difficult task for the German<br />

Composers’ Association in the coming years will be to<br />

meet all these expectations. Solving these problems<br />

together must be in the interest of us all, because no<br />

help can be expected from outside. Thus the most<br />

important tasks that we shall have to face both now<br />

and in future will be our solidarity as colleagues just as<br />

much as the division of work in the different musical<br />

sectors. In 2004 - the anniversary year of the great<br />

German philosopher - Immanuel Kant, with his “Critique<br />

of Practical Reason”, could give us some intellectual<br />

guidance in this context.<br />

This is especially important because our profession<br />

is always threatened by dangers from outside, as is<br />

shown by the current example with the German National<br />

Group of IFPI (International Federation of Phonographic<br />

Industry). From 1st January 2004, it lowered<br />

the royalty rate for licensing audio-carriers from<br />

9.009% of the published price for dealers to 5.6% -<br />

without agreeing a contract with GEMA, the representative<br />

of the authors. The composers find themselves<br />

suddenly and deliberately deprived of 40% of their<br />

former income. The individual author is defenceless<br />

without protection against such unyielding processes,<br />

especially because experience shows that litigation<br />

can drag on for years. The German Composers’ As-<br />

39


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

lehren, dass sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen<br />

können. Hier muss der Deutsche <strong>Komponist</strong>enverband<br />

Stärke beweisen und darf dabei grundsätzlich<br />

nicht trennen zwischen <strong>Komponist</strong>en, Popspezialisten<br />

oder Composers, er soll vielmehr die Interessen aller<br />

Musikautoren jeden Genres wahrnehmen und diese<br />

gegenüber einer kleinmütigen Kulturpolitik oder der<br />

nur monetaristisch handelnden Industrie entschlossen<br />

und redlich vertreten zum Nutzen aller seiner Mitglieder.<br />

Vortrag in der Akademie der Künste<br />

Berlin, am 20. Juni 2005<br />

Gerald Humel zum Gedenken (1931 – 2005)<br />

von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

Gerald Humel war genuin ein Transatlantiker. Seine<br />

Eltern wanderten kurz vor seiner Geburt aus ihrer heimatlichen<br />

Tschechoslowakei in die USA aus. Als der<br />

Vater dort – in Folge der Weltwirtschaftskrise – keine<br />

Arbeit fand, kehrte er mit dem kleinen US-Bürger Gerald<br />

in seine angestammte Heimat zurück. Dort wurde<br />

Gerald nach ein paar Jahren zwar noch eingeschult,<br />

aber als die von Hitler-Deutschland ausgehende<br />

Kriegsgefahr 1937 immer konkreter wurde, emigrierte<br />

die Familie Humel ein zweites Mal in die USA, in die<br />

Industrie- und Universitätsstadt Cleveland am südlichen<br />

Ufer des Eriesees im Bundesstaat Ohio.<br />

Hier absolvierte Gerald seine gesamte Schulzeit, im<br />

Elternhaus wurde noch immer ausschließlich Tschechisch<br />

gesprochen. Erst auf der Universität lernte er<br />

zum Beispiel die üblichen amerikanischen Essensbegriffe<br />

kennen, wie er gelegentlich lachend erzählte.<br />

Während des Koreakrieges wurde er zur Army eingezogen,<br />

er hatte jedoch Glück und blieb als Tambourmajor<br />

bei einer Marsch-Band in New York hängen.<br />

Gelegentlich führte er uns mit einem Spazierstock die<br />

virtuose Dirigier-, Dreh- und Wurftechnik vor, mit der<br />

er seine Military-Band zum Swingen brachte. Nach<br />

seinen anschließenden Studien an verschiedenen<br />

sociation has to show strength here and must not differentiate<br />

on principle between composers of classical<br />

music, pop specialists or modern composers. On the<br />

contrary, it needs to look after the interests of all music<br />

authors of all genres and show honesty and determination<br />

when it comes to representing them in the face<br />

of a fainthearted cultural policy or the purely monetarist<br />

motives of industry, so that all its members may<br />

benefit from this.<br />

Universitäten gelang er durch ein Fulbright-Stipendium<br />

via London 1960 nach Berlin. Wir trafen uns im<br />

Frühjahr 1961 an der Staatlichen Musikhochschule in<br />

Professor Rufers 12-Ton–Seminar zum Studium der<br />

Schönberg´schen Kompositionstechnik. Hieraus ergaben<br />

sich neben den beruflichen auch privat-freundschaftliche<br />

Kontakte, die schließlich zusammen mit<br />

fünf weiteren jungen <strong>Komponist</strong>enkollegen 1965 zur<br />

Gründung der “Gruppe Neue Musik Berlin” führten.<br />

Es war die Zeit des “Kalten Krieges” und die von uns<br />

gemeinsam projektierten Veranstaltungen wurden<br />

vom Westberliner Kultursenat finanziell getragen, zumal<br />

wir eine Lücke im Schaufenster des westlichen<br />

Kulturbetriebes füllten, indem wir kurzweilige Konzerte<br />

mit zeitgenössischer Kammermusik organisierten,<br />

die sich sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung<br />

nicht an dem allgemein üblichen Kanon dieses<br />

Genre ausrichteten, sondern durch neue Darstellungsweisen<br />

und Aufführungsorte das Interesse des<br />

Publikums weckten.<br />

Die “Gruppe Neue Musik Berlin” war eine Notgemeinschaft<br />

junger <strong>Komponist</strong>en, die in Eigeninitiative ihre<br />

Werke aufführten, interpretiert von gleichaltrigen Musikern<br />

aus den großen Westberliner Orchestern, wie<br />

den Philharmonikern, dem Radio-Symphonie-Orchester<br />

und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin<br />

.Die außerordentliche Qualtät dieser Interpreten garantierte<br />

ein hohes Aufführungsniveau, was schließ-<br />

40


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />

Reden Werkkommentare<br />

lich unseren Kompositionen zu gute kam. Durch diese<br />

Erfolge wurden unsere Begabungen bestätigt, wir<br />

erhielten individuelle Kompositionsaufträge von den<br />

beiden Westberliner Rundfunksendern Rias und SFB,<br />

wurden durch Kunstpreise geehrt und schließlich als<br />

junge Kulturbotschafter einer neuen zeitgenössischen<br />

Berliner Kammermusik in zahlreiche andere Länder<br />

geschickt und konnten so für Berlin und unsere eigene<br />

Musik werben.<br />

Die einzelnen Mitglieder der Gruppe fluktuierten, es<br />

gab Abgänge wegen ästhetischer Querelen oder auch<br />

aus ganz pragmatischen Gründen, es gab aber auch<br />

immer wieder Neuzugänge, was sich im Verlaufe der<br />

Jahre ausglich. Bis schließlich von den Gründungsmitgliedern<br />

die drei unverzagten Kollegen Humel, Siebert<br />

und <strong>Wahren</strong> übrig blieben. Jeder von uns hatte neben<br />

seinen Kammermusikkompositionen in allen variablen<br />

Besetzungen, sein spezielles Genre innerhalb der<br />

Neuen Musik entdeckt. Bei Gerald Humel war es die<br />

Ballettmusik. Er vertonte mit Begeisterung narrative<br />

Szenerien, komplexe Handlungsstränge, deren dramaturgischen<br />

Verläufe er mit seiner zunächst vor allem<br />

an Arnold Schönberg orientierten Stilistik expressiv<br />

in grosse musikalische Zusammenhänge setzte.<br />

Ganz gleich ob es sich dabei um Partituren für grosses<br />

Orchester oder kleinere, kammermusikalische Formationen<br />

handelte. Denn durch unglaublich geschickte,<br />

farbig sehr abwechslungsreiche Instrumentationen<br />

verlangte er den Musikern Klangphänomene ab, so<br />

dass die Hörer schon bald nicht mehr wussten, ob der<br />

Handlungsablauf von einem normalen Orchester oder<br />

ledigliche von einem kleinen Kammermusik-Ensemble<br />

vorangetrieben wurde. Er war von uns <strong>Komponist</strong>en<br />

derjenige, den man ohne stilistische Verbiegung einem<br />

wirklich neuen, musikalischen Expressionismus<br />

zuordnen konnte, dessen offensichtlicher europäischer<br />

Ursprung von transatlantischer Beeinflussung<br />

nicht frei war.<br />

In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beherrschte<br />

die Stilikone Arnold Schönberg das Denken<br />

avantgardistischer junger <strong>Komponist</strong>en in Europa wie<br />

in den USA. Das betraf vor allem die strenge serielle<br />

Kompositionstechnik, der Humel dann viele Jahre<br />

verhaftet blieb. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte<br />

gelang ihm eine langsame, jedoch konsequente<br />

Loslösung von seinem dominanten Vorbild, durch<br />

das er bereits in den USA während seines Studiums<br />

musikalisch konditioniert worden war.<br />

Liest man in Gerald Humels frühem Lebenslauf die<br />

Zielgerade zum Transatlantiker heraus, wie ich es eingangs<br />

erwähnte, so veränderte sich seine Haltung zu<br />

dieser Einordnung mit der Zeit. Schon vor vielen Jahren<br />

brachte uns Gerald von seinen USA-Besuchen<br />

eigene Eindrücke von der dortigen medialen Massenüberflutung<br />

mit. Es war abzusehen, dass es in der Folge<br />

dieser Entwicklung langsam unmöglich wurde, zwischen<br />

Kitsch und Kunst zu unterscheiden, wirklichen<br />

Avantgardismus von purem Blödsinn zu trennen. So<br />

verlor sich Humels transatlantisches Selbstverständnis<br />

in einer zunehmenden Hinwendung zur Kultur des<br />

alten Europa. Das darf man allerdings nicht als eine<br />

ästhetische Einengung sehen, es zeigt vielmehr eine<br />

Besinnung auf die eigenen, ursprünglichen Wurzeln<br />

in einer sich rapide verändernden Welt. Humel reiste<br />

viel, besonderns oft ins Ausland, ins östliche wie ins<br />

westliche. Vor kurzem verbrachte er mit seiner Frau<br />

Haidi Sandmann ein ganzes Jahr in Australien, wohin<br />

er sein künstlerisches Netzwerk erweiterte.<br />

Bertold Brecht diagnostizierte einst: “Wir Deutschen<br />

sind im Ertragen von Langeweile ungemein stark und<br />

äußerst abgehärtet gegen Humorlosigkeit”.<br />

Sollte Musik ein Auslöser zu diesem Sarkasmus gewesen<br />

sein, dann könnte es sich keinesfalls um Musik<br />

von Gerald Humel gehandelt haben, denn Langeweile<br />

kann ihr selbst der missgünstigste Kollege nicht nachsagen.<br />

Allerdings war Humels Humor auch nicht an<br />

<strong>Heinz</strong> Rühmann oder <strong>Heinz</strong> Erhardt approbiert, sondern<br />

eher an Buster Keaton und den Marx-Brothers<br />

geschärft worden. Aber in der heutigen Welt geht es<br />

längst nicht mehr um die Wirklichkeit, sondern nur<br />

noch um die äußere Wirkung.<br />

Konnte Picasso noch postulieren: “Kunst ist eine Lüge,<br />

die uns die Wirklichkeit erkennen lässt”;<br />

Ich bin mir nicht sicher, ob diese kluge Sentenz heute<br />

noch richtig verstanden wird, wo doch die Lüge sowohl<br />

in der Politik als auch in der Kunst länst gesellschaftsfähig<br />

und fast unentbehrlich geworden ist.<br />

Auch Humel wollte mit seiner Kunst – wie alle schöpferisch<br />

tätigen Menschen - der Wahrheit näher kommen,<br />

darum blieb er auch zeitlebens den historisch<br />

gewachsenen Parametern unserer abendländischen<br />

Musikkultur verhaftet. Allerdings nicht in konventioneller<br />

Naivität, sondern gefiltert durch sein eigenes<br />

zeitgenössisches Klang- und Rhythmusempfinden, zu<br />

dessen individueller Kennzeichnung gerade Kurzweil<br />

und Verständlichkeit, aber auch Witz und Ironie gehören.<br />

Die klangliche Anschaulichkeit seiner Werke ist<br />

allerdings nicht mit dem ersten Schwung zu verste-<br />

41


KARL HEINZ WAHREN<br />

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Reden Werkkommentare<br />

hen. Humel verlangt von seinen Hörern Mitdenken,<br />

Mitfühlen. Er verlangt auch die echt gefühlten falschen<br />

Töne selbst zu entlarven, das bewusste Klischee in<br />

den komplexen Kontext einzuordnen, der sich allerdings<br />

zu dem üblichen Behaglichkeisanspruch unseres<br />

pittoresken Medienalltags und seiner falschen,<br />

marktschreierischen Virulenz quer stellt.<br />

Dabei strebte Gerald Humel in seinen Werken stets<br />

nach intelligenter Anschaulichkeit und lebendiger<br />

Unmittelbarkeit. Verbissene Innovationssucht, dionysische<br />

Entsagung bis zur skelettierten Klanglichkeit<br />

waren ihm ein Gräul. Von seiner eigenen Zielsetzung<br />

ließ er sich auch nicht durch das Hohngelächter ästhetischer<br />

Fundamentalisten abbringen, so wenig wie<br />

durch die Indolenz journalistischer Schreibtischtäter,<br />

die noch immer verbissen auf der Suche nach des<br />

Kaisers neuen Kleidern sind.<br />

Gerald Humel war ein streitbarer, aber ein klarer Geist,<br />

der sich für unseren politischen Alltag ebenso vital<br />

ineressierte wie für Musik allgemein, die seine freilich<br />

vorangestellt. Mit Eifer konnte er nach einem Konzert<br />

eine leidenschaftlich geführte Diskussion um ein einzelnes<br />

Werk entfachen, das auf positive oder negative<br />

Weise seinen Nerv getroffen hatte.Dabei ging<br />

es ihm nie um simple Rechthaberei. Gelang es einem<br />

Kontrahenten, ihn zu überzeugen, akzeptierte er auch<br />

eine andere, konträre Meinung. Er unterlag nie dem<br />

Zwang, Andersdenkende missionieren zu müssen.<br />

Denn bei aller Streitbarkeit für einen ästhetischen<br />

oder auch politischen Standpunkt, war Humels Charakter<br />

von einem Commen sense geprägt, den seine<br />

zum Vermitteln bereite, liebenswürdige Grundnatur<br />

bestimmte. Seine perfekte Dreisprachigkeit verlieh<br />

ihm die Kraft interkultureller Vermittlung, die er mit<br />

großem Feingefühl und seinem Sinn für Prioritäten zu<br />

realisieren wusste.<br />

Diesen komplexen Menschen - Gerald Humel - hier mit<br />

einigen Sätzen zu umreißen, konnte nur mit mancherlei<br />

Unschärfen geschehen. Jedoch seine von einem<br />

tiefen Humanismus getragene Botschaft, die in ihrer<br />

scheinbar abstrakten, aber lebendigen musikalischen<br />

Sprache hörbar und erkennbar von Toleranz und<br />

menschlicher Verständnisbereitschaft zu uns spricht,<br />

aber auch von intensiver Ablehnung gegen scheinbar<br />

Unabänderliches -, kurz, sein musikalisches Vermächtnis<br />

soll auch künftig zu uns sprechen und wir<br />

wollen uns dabei mit Liebe und Optimismus unseres<br />

Freundes und Kollegen Gerald Humel in herzlicher<br />

Sehnsucht erinnern.<br />

Während unserer jahrzehntelangen musikalisch wie<br />

organisatorischen Zusammenarbeit war zwischen uns<br />

eine tiefe Freundschaft entstanden, die unter konkurrierenden<br />

Kollegen ihres gleichen sucht. Auf unseren<br />

zahlreichen Spaziergängen diskutierten wir Probleme<br />

der zeitgenössischen Kunst, speziell solche, unseres<br />

sich ständig verändernden Berufsstandes. Aber auch<br />

ganz Persönliches, Privates wurde angesprochen und<br />

dabei oft gegenseitiger Rat gesucht. Meinen Töchtern,<br />

die Gerry – wie wir ihn nannten – von kleinst auf<br />

kannten, war er ebenfalls ein lieber, an ihren kleinen<br />

Problemen freundlich anteilnehmender Vertrauter.<br />

Wir alle haben einen sehr liebenswerten, eben auch<br />

kritischen, vor allem aber treuen Freund für immer<br />

verloren.<br />

42


KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />

Presse zu “Magnificat” Uraufführung 1984<br />

1. Berliner Morgenpost (W.Sch.)<br />

2. Der Tagesspiegel (Walther Kaempfer)<br />

3. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />

Konzert in der Philharmonie zum 30jährigen Bestehen<br />

des Berliner Konzert-Chores<br />

BM 28.03.1984 –<br />

Zum Jubiläum gab´s ein Werk von <strong>Wahren</strong><br />

... Schwer tat sich dieser Chor nur mit der zeitgenössischen<br />

Musik. Sie war und wird wohl auch weiterhin<br />

die Ausnahme von der Regel bleiben. Um so bemerkenswerter,<br />

daß man zum Jubiläum sogar ein Werk in<br />

Auftrag gegeben hat. Es wurde nun unter viel Beifall,<br />

aber auch einigen Unmutsäußerungen in der Philharmonie<br />

aus der Taufe gehoben: Ein Magnificat von <strong>Karl</strong><br />

<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />

<strong>Wahren</strong> verschmähte es, seinem Magnificat den<br />

sonst üblichen Text aus dem Lukas-Evangelium unterzulegen.<br />

Statt dessen greift er auf mehrere, ganz<br />

verschiedenartige Autoren zurück. Texte von Cicero,<br />

Augustinus, Petrarca, Imanuel Geibel und des Engländers<br />

Tavistock stehen nebeneinander. Der Vielfalt<br />

der Worte entspricht eine Vielfalt der Stile: Gregorianische,<br />

barocke, impressionistische, zwölftönige und<br />

geräuschartige Elemente werden eingesetzt.<br />

<strong>Wahren</strong>s Anspruch ist hochgeschraubt. Eine Art<br />

Friedensappell, ein Plädoyer für friedliches Zusammenleben<br />

aller Völker soll aus dem Werk aufklingen.<br />

(W.Sch.)<br />

Der Tagesspiegel 27.03.1984<br />

Apokalyptische Kraftballungen –<br />

Der Berliner Konzert-Chor mit Weisse in der Philharmonie<br />

Zum 30jährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chores<br />

war an <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, den heute 50jährigen,<br />

vorzugsweise in Berlin ausgebildeten <strong>Komponist</strong>en<br />

und Mitbegründer der Gruppe Neue Musik, der Auftrag<br />

ergangen, für das Jubiläumskonzert ein größeres<br />

Werk für Chor und Orchester zu schaffen. Was unter<br />

dem Titel “Magnificat” nun bei festlichem Anlaß zur Uraufführung<br />

kam, war mitnichten eine Vertonung des<br />

marianischen Lobgesanges aus dem Lukas-Evangelium,<br />

der vom frühen Mittelalter bis in unser Jahrhundert<br />

die Meister beider christlichen Konfessionen<br />

zu unzählbaren Tonsätzen inspiriert hat. <strong>Wahren</strong> hat<br />

vielmehr ein Konglomerat aus lateinischen, mittelalterlichen<br />

Versen oder Sprüchen und einem leider<br />

schwachen Gedicht Emanuel Geibels als Textvorlage<br />

benutzt, die der in allen Völkern seit der Antike immer<br />

wachen Friedenssehnsucht Ausdruck geben soll.<br />

Mit den Worten “Magnificat mundus pacem” beginnt<br />

und endet das umfangreiche dreiteilige Opus, das mit<br />

berühmten Worten Ciceros, des Horaz und Augustinus<br />

und der Klage des Petrarca über den Verfall der<br />

römischen Kirche im 14. Jahrhundert untermischt ist.<br />

Das gewiß hochaktuelle Plädoyer für den Frieden, das<br />

von politischen Parteien aller Länder in Demonstrationen<br />

laut wird, kann schwerlich zu einem Kunstwerk<br />

geformt werden, denn wie schon Cicero wußte, “silent<br />

musae inter arma” – wenn die Waffen sprechen,<br />

schweigen die Künste.<br />

Die Tonsprache <strong>Wahren</strong>s, die sich collagierend gregorianischer<br />

Melismatik, kanonischer und kontrapunktischer,<br />

dazu orchestraler Effekte von sanftem Impressionismus<br />

bis zu hartem Cluster bedient, erreicht<br />

zwar durch vielfach rezitativische Diktion und das zum<br />

Instrumentalklang gesprochene Wort im allgemeinen<br />

eine Faßbarkeit des Sinngehalts. Musikalische<br />

Eindrücke ergeben sich aber nur in wenigen Takten<br />

instrumentaler Ein- oder Überleitung oder in apokalyptischen<br />

Kraftballungen. Die zeitlichen Übermaße<br />

der drei Sätze ermüden die Hörer in der gut besetzten<br />

Philharmonie spürbar, so daß der den Schlußbeifall<br />

erheblich störende Widerspruch beim Erscheinen des<br />

<strong>Komponist</strong>en auf dem Podium verständlich erschien.<br />

(Walther Kaempfer)<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.04.1984<br />

Berliner Konzert-Chor<br />

... Das Jubiläums-Programm stellte vor Mozarts Große<br />

Messe in c-moll eine Uraufführung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />

<strong>Wahren</strong>s “Magnificat”; das im Auftrag des Berliner<br />

Konzert-Chors zu diesem Anlaß geschrieben ist. <strong>Wahren</strong>,<br />

Jahrgang 1933, lebt in Berlin, hat Komposition bei<br />

Josef Rufer und <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann studiert. In<br />

zahlreichen Arbeiten und vielen Gattungen bewährt,<br />

machte er 1976 mit der komischen Oper “Fettklößchen”<br />

(nach Maupassants Novelle “Boule de suif”)<br />

Aufsehen.<br />

So vielzüngig wie diese ist auch das 37 Minuten lange<br />

“Magnificat” für Chor, Orchester und Soloquartett. Als<br />

Text hat <strong>Wahren</strong> eine lateinische, deutsche und englische<br />

Anthologie von Zitaten aus der Weltdichtung zusammengesetzt:<br />

Klagesang und Friedensbitte in drei<br />

Sätzen. Das pazifistische Leitwort “Magnificat mundus<br />

pacem” wird nach kurzer Orchester-Einleitung vom<br />

Chor gesungen. Den musikalischen Gipfel bildet der<br />

zweite Satz im Wechsel von Fugato der männlichen<br />

43


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Solisten und Chören, alle bald singend, bald sprechend,<br />

die Polyphonie bis zur Achtstimmigkeit im “Misera”<br />

geführt. Lieblichere Töne bringen die weiblichen<br />

Solisten im Rosengedicht eines englischen Barockpoeten,<br />

bis Soloquartett und Chor mit einem Friedensruf<br />

an die Menschheit das Werk beschließen. <strong>Wahren</strong> hat<br />

wieder einmal ein tief engagiertes Stück von meisterlicher<br />

Kunst geschrieben. ... (H.H. Stuckenschmidt)<br />

Presse zu “Du sollst nicht töten”<br />

Aufführung 1974<br />

1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />

2. Die Welt (Harald Colberg)<br />

3. Der Tagesspiegel (Gottfried Eberle)<br />

4. RIAS-Hörfunk (Walter Bachauer)<br />

5. Philharmonische Blätter (wgb)<br />

6. Berliner Morgenpost (-w-)<br />

7. Spandauer Volksblatt Berlin<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.04.74<br />

Neuheiten in West-Berliner Konzerten<br />

<strong>Karl</strong>-<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> beschloß mit seiner Kantate “Du<br />

sollst nicht töten” den interessanten Abend. Zwei Sprecher,<br />

Chor und Tonband teilen sich mit Jazzsolisten in<br />

die Interpretation eines gegen alle Gewalt gerichteten<br />

Textes, den der in Berlin lebende <strong>Komponist</strong> zusammen<br />

mit Walter Böttcher aus christlich-religiösen Liturgieworten<br />

ausbrechen läßt.<br />

Ausgezeichnet für die Stimmen und Instrumente gesetzt,<br />

überzeugend, wo immer sie rein musikalisch begrenzt<br />

ist, leidet diese Kantate an einer etwas äußerlichen<br />

Plakathaftigkeit. Doch der hohe sittliche Ernst<br />

ihres Bekenntnisses setzte sich durch, auch dank der<br />

großen Intensität, mit der Reinhard Peters manche<br />

Schwierigkeiten der Synchronität überbrückte.<br />

(H. H. STUCKENSCHMIDT)<br />

Die Welt - 30.03.74<br />

Die Kette von Leiden – “Musik der Gegenwart” unter<br />

Reinhard Peters in der Philharmonie<br />

“Sie nehmen das Kreuz und drehen und drehen es<br />

um, bis es zum Schwert wird.” Dieser Satz, Dreh- und<br />

Angelpunkt der Kantate “Du sollst nicht töten” von<br />

<strong>Karl</strong>-<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, läßt schlaglichtartig deutlich werden,<br />

mit welch metaphorischer Prägnanz der Berliner<br />

<strong>Komponist</strong> und sein Textmitgestalter Walter Böttcher<br />

ein ungeheuer anspruchsvolles Thema angehen: Gewalttat<br />

und Mord, die die Menschen seit den Tagen<br />

Kain und Abels einander antun, und ihre Konfrontation<br />

mit der tradierten christlichen Doktrin von Vergebung<br />

und Nächstenliebe.<br />

Unausgesprochen ist es, das Problem der Theodizee,<br />

die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts<br />

einer Welt voller Leid, Blut und Vernichtung, das hier<br />

aktualisiert wird. Aber es wird nicht theologisch bequem<br />

ausgewichen. Letztlich ergeht der Appell an den<br />

Menschen selbst, die geschichtliche Kette von Elend<br />

und Greueltat zu durchbrechen. Daß dieser Appell<br />

nicht in Agitprop-Thesen, sondern in der Benennung<br />

des Schrecklichen und nicht frei von Sarkasmus und<br />

Verzweiflung vorgetragen wird, gibt dem Werk seine<br />

Tiefendimension. ...<br />

...Die Mannigfaltigkeit der Mittel von der Gregorianik<br />

bis zum Jazz, vom hymnischen Lobgesang bis zum<br />

schaurigen Wehgeschrei, vom Kriegslärm und Demonstrationsprotest<br />

bis zur Aufzählung der Stätten<br />

des Grauens (“...Treblinka, Hiroshima, Dresden...”)<br />

reflektiert die Fülle der Perspektiven. Vor diesem Hintergrund<br />

referieren zwei Sprecher (Robert Dietl und<br />

Helmut Krauss) Stationen menschlicher Vernichtung:<br />

Kains Brudermord, die letzten Sekunden eines Hingerichteten,<br />

Aspekte von Napalm- und Atomkrieg, den<br />

Terror der christlichen Konquistadoren in Westindien.<br />

...(Harald Colberg)<br />

Der Tagesspiegel - 30.03.74<br />

20. Jahrhundert<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Kantate “Du sollst nicht töten”<br />

für kleines Blasorchester, Jazzcombo, Chor, zwei<br />

Sprecher und Tonband ist 1969 bei den Jazztagen<br />

durchaus mit Erfolg aufgeführt worden. Jetzt erregte<br />

sie neben Beifall auch heftigen Widerstand. Warum<br />

wohl? Diese Musik war jedenfalls sinnfälliger als das<br />

übrige Programm. Zu sinnfällig und direkt vielleicht<br />

schon wieder? Ihre Botschaft ist klar. Eine Welt der<br />

Glaubensgewißheit repräsentiert durch gregorianischen<br />

Choral wird Protokollen des Sterbens und der<br />

Brutalität, Kriegs- und Demonstrationslärm konfrontiert.<br />

Engagierte Musik also, freilich nicht für eine bestimmte<br />

politische Richtung. Wurde das zum Vorwurf<br />

gemacht? Das Stück ist fraglos sorgfältig gearbeitet,<br />

frappierend vor allem immer wieder in den Übergängen,<br />

den Überlappungen von verschiedenen Perspektiven.<br />

Allerdings, die einzelnen “Takes” wirkten jetzt zu<br />

lang, das Ganze nach dieser kurzen Zeit schon merkwürdig<br />

gealtert. Vielleicht aber muß das Komponieren<br />

letztlich immer an der Gewalt des besagten Themas<br />

abprallen. ... (Gottfried Eberle)<br />

44


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RIAS-Hörfunk<br />

zur Pelca-Schallplatte “Du sollst nicht töten”<br />

...Stockhausen montierte aus den Nationalhymnen<br />

der Welt seine “Hymnen”, Luciano Berios “Sinfonia”<br />

verklebte Samuel Beckett mit Elementen einer Mahler-Symphonie,<br />

Lukas Poss fügte aus verfremdeten<br />

Motiven von Dach und Scarlatti seine parodistischen<br />

“Barock-Variationen”.<br />

Die Kantate <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s nutzt die neue Technik<br />

zu einer sehr direkten Konfrontation von Religion,<br />

Politik und Musik. Bibelstellen und zeitgenössische<br />

Texte über Anwendung von Gewalt, das Alte Testament<br />

und Vietnam werden simultan zu Zeugen eines<br />

pazifistischen Manifests aufgerufen; im Vordergrund<br />

die Anklage gegen die militärischen Maschinerien der<br />

Gegenwart und die technisch verfeinerte Kunst des<br />

Tötens. Eine kommentarlose Folge der archaischen<br />

und modernen Textpartikel - sie ist von der evangelischen<br />

Kirche autorisiert - zielt auf Schock, Plastizität<br />

der Vorstellung, nicht so sehr auf ästhetische Wirkung.<br />

<strong>Wahren</strong> hat sie ganz der Musik überlassen, die aus<br />

nicht minder Heterogenem konstruiert ist.<br />

Chor-Polyphonie in dichten Flächen, wie sie übrigens<br />

auch Penderecki in der gefeierten “Lucas-Passion”<br />

verwendet, stehen neben den harten Blech-Breaks<br />

des Jazzensembles,<br />

Flötenkantilenen neben Beat und von Tonband eingespieltem<br />

Kampflärm. Der Widerspruch der musikalischen<br />

Materialien wird nicht simpel durch Verwischung<br />

ihrer verschiedenen<br />

Ebenen gelöst, sondern quer durch die Dramaturgie<br />

des Ganzen ausgetragen. Collage-Technik präsentiert<br />

sich hier pur.<br />

Das erhöhte Risiko solchen Komponierens hat seinen<br />

guten Sinn; der Autor mag in der Musik nichts von dem<br />

beschönigen, was der Text in seinen Kontrasten aufwirft.<br />

Der ästhetische Bruch, in engagierten Stücken<br />

bereits Kunstmittel, spiegelt drastisch den Zustand<br />

der “beschädigten Welt”. (Walter Bachauer im RIAS)<br />

Philharmonische Blätter - Heft 6 1973/74<br />

Das Thema dieser Kantate ist nicht der ewige Zyklus<br />

des Sterbens, sondern vor allem das Töten, der Mord,<br />

den Menschen für Menschen planen, ist der Mechanismus<br />

der Gewalt, der im Namen von Ideologien oder<br />

im Namen des Kreuzes in historischen Zeiten wie in<br />

der Gegenwart an Menschen vollzogen wird. Walter<br />

Böttcher, der in Zusamrhenarbeit mit dem <strong>Komponist</strong>en<br />

die Texte dieser Kantate zusammenstellte, beginnt<br />

zwar mit einer alten biblischen Notiz, der über<br />

den Brudermord Kains an Abel. Aber der Blick konzen-<br />

triert sich vor allem auf die Dokumentation der Gewalt,<br />

wie sie hier durch Texte über den Mord der Spanier<br />

in Westindien, durch einen Hinrichtungsbericht oder<br />

Texte über Napalm- und Atombombenverheerungen<br />

belegt wird. Und die christlichen Verläßlichkeiten, wie<br />

sie im alten Lobgesang ,Und gelobt sei der Ewige’<br />

auch hier mehrfach zitiert werden oder in der Gelassenheit<br />

des “Alles hat seine Zeit ...” sie geraten in den<br />

Sog eines gegenwärtigen Lebensgefühls, das mit den<br />

traditionsreichen Wahrheiten nicht nur dissoniert, sondern<br />

sie radikal in Frage stellt. Denn angesichts des<br />

realen Schreckens wird im Bewußtsein des gegenwärtigen<br />

Menschen die alte Bitte “Rette mich, Herr,<br />

vor dem ewigen Tode an jenem Tage des Schreckens”<br />

zu einer eigentümlich akademisch gefärbten, weit im<br />

Hintergrund verborgen liegenden Bitte. Kugelbombe,<br />

Napalmbombe, Atombombe und die Topographie des<br />

Grauens, die hier mit La Guernica beginnt und mit<br />

Biafra ihr, wir wissen, nur vorläufiges Ende gefunden<br />

hat, solche Realitäten scheinen durch keine jenseitige<br />

Höllenqual mehr überbietbar zu sein.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat diese Kantate 1969 im Auftrag<br />

des RIAS geschrieben, und im gleichen Jahr fand sie,<br />

während der Berliner Jazztage, eine vielbeachtete Uraufführung.<br />

Sie ist für Orchester, für Jazzsolisten und<br />

Chor und Sprecher und Tonband konzipiert. Und diese<br />

Vielfalt der musikalischen Mittel spiegelt exakt die<br />

Vielfältigkeit der Perspektiven, wie sie in der Text-Collage<br />

ausgebreitet wird.<br />

Vordergründig betrachtet, sucht <strong>Wahren</strong> die Konfrontation<br />

von Jazz-Aggressivität, stillem Orgelton und vox<br />

humana, als der Stimme des leidenden Menschen,<br />

wie sie sich mehrfach in weitgefächerten Chorpartien<br />

ausspricht. Hinzu kommt zudem die Nüchternheit der<br />

Sprecher, kommen die konkreten musikalischen Partikel<br />

von Demonstrationen oder Zitate aus Gregorianik<br />

und Renaissance. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß<br />

wesentliche Partien der Kantate von schnellen Schnitten<br />

leben, von der Konfrontation kurzer musikalischer<br />

Partien unterschiedlichen Charakters. So wechseln<br />

immer wieder jäh emphatische Ausbrüche des Orchesters<br />

mit klagenden Chorpartien oder der nüchternen<br />

Heftigkeit kurzer solistischer Jazzeinblendungen. Andererseits<br />

aber gelingen <strong>Wahren</strong> allmähliche Überlagerungen<br />

oder auch kaum merkliche Veränderungen<br />

der zugrunde liegenden Ausdruckscharaktete von<br />

verblüffender Intensität. Nach dem Bericht über den<br />

Hingerichteten findet sich eine im Herzrhythmus zukkende<br />

Jazzüberleitung, die unmittelbar in eine gregorianische<br />

Intonation überführt wird. Klimatisch und<br />

musikalisch wird sie überlagert von der Hochstimmung<br />

45


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der Renaissance-Trompeten, die wiederum ins Saxophon-Solo<br />

einmünden, in Linien von eindringlicher<br />

Beweglichkeit. Das Solo reichert sich an, es wird zum<br />

Ensemble mit zwingendem, vorantreibendem Baß und<br />

schliefllich zum Geräusch knatternder Maschinengewehre,<br />

das sich zum Demonstrationslärm weitet. Solche<br />

Kunst des musikalischen Changierens faßt das<br />

musikalisch Einzelne auf faszinierende Weise zum<br />

klimatisch einheitlichen Raum zusammen. Und sie ermöglicht<br />

es auch, daß <strong>Wahren</strong>s Partitur nie ins hohle<br />

Pathos der Anklage ausbricht oder ins überhöhende<br />

musikalische Espressivo. Die Musik bleibt vielmehr so<br />

konkret, so unmittelbar faßlich auch, wie es die Texte<br />

ohnehin sind. Diese Leichtverständlichkeit der Partitur<br />

sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wieviel<br />

Kunstverstand in die musikalischen Zusammenhänge<br />

eingegangen ist. Denn gerade die Sprache des Jazz,<br />

wie sie <strong>Wahren</strong> in den stilistisch vielfältigen Raum integrierte,<br />

wird mit außerordentlicher Empfindsamkeit<br />

und auf verschiedenen Ebenen gehandhabt. So ist<br />

sie einmal, in den Breaks, Ausdruck der Aggression,<br />

andererseits aber auch gleichsam neutralisierende<br />

Ebene, vor deren Hintergrund sich mit aller Deutlichkeit<br />

die Texte formulieren lassen. In ihrer Gelenkigkeit<br />

aber kontrastiert sie mit der Statik der alten Gesänge<br />

und deren starrer Traditions-Aura.<br />

“Du sollst nicht töten” ist eine Kantate, die um Teilnahme<br />

wirbt, indem sie pathoslos sagt, wie es ist. Und<br />

darum sollte man sie auch wie eine Information aufnehmen:<br />

wach und reflexionsbereit.(wgb)<br />

Berliner Morgenpost - 30.03.74<br />

Kühle Sprechtexte und Klageschreie<br />

Die Kantate “Du sollst nicht töten” des Berliner <strong>Komponist</strong>en<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> dürfte zu den wenigen<br />

zeitgenössischen Werken zählen, die die Chance haben,<br />

einstmals unsere Epoche würdig und eindrucksvoll<br />

zu repräsentieren. Das liegt nicht nur an dem<br />

hochgespannten Thema, das sich nichts Geringeres<br />

vornimmt, als Gewalttat und Mord in Geschichte und<br />

Gegenwart mit den christlichen Heilsgewißheiten zu<br />

konfrontieren. Ein Thema also von unablässiger Brisanz<br />

und Aktualität.<br />

Viele Stilmittel<br />

Es liegt vor allem aber an der dramatisch-packenden<br />

Direktheit, mit der <strong>Wahren</strong> den Vorwurf gestalterisch<br />

bewältigt. Der Vielfalt der Perspektiven entspricht<br />

eine Fülle scheinbar unzuvereinbarender Stilmittel.<br />

So ist es immer wieder faszinierend zu beobachten,<br />

wie Gregorianik und Jazz, expressive Klagesehreie<br />

und kühl referierende Sprechertexte, reale Geräusche<br />

vom Tonband und kammermusikalische Melancholie<br />

zu einer verblüffenden Einheit verschweißt werden. ...<br />

(-w-)<br />

Spandauer Volksblatt Berlin - 30.03.74<br />

“Musik des 20. Jahrhunderts”<br />

In seiner Kantate “Du sollst nicht töten” verbindet<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> (geb. 1933) Orchester, Jazzsolisten,<br />

Chor, Sprecher und Tonband. Von den damit<br />

gegebenen Möglichkeiten macht <strong>Wahren</strong> eine halbe<br />

Stunde lang in rascher Abwechslung immer nur knapp<br />

Gebrauch, so dafl ein Eindruck sparsamer Fülle entsteht<br />

und die Einheitlichkeit des Duktus stets gewahrt<br />

scheint. Der Text, eine von Walter Böttcher und <strong>Wahren</strong><br />

selbst zusammengestellte Montage in vier Sprachen,<br />

läßt vom Sakralwort über politische und medizinische<br />

Texte bis hin zur Aufzählung von Stätten des<br />

Massenmords von Guernica bis Biafra verschiedene<br />

Aspekte des Sterbens und Leidens aufklingen. Der<br />

appellative Sinn dieses moralistisch gemeinten Kunstwerkes<br />

verbirgt sich hinter nüchterner Beschreibung<br />

und Tönen der Klage - und das gewiß nicht zu seinem<br />

Schaden. Manche mögen´s jedoch nur mit dem Holzhammer;<br />

So jedenfalls erkläre ich mir die vereinzelten<br />

Buhrufe, die <strong>Wahren</strong> als einzigem der anwesenden<br />

<strong>Komponist</strong>en zuteil wurden.<br />

Presse zu “Fettklößchen” - Uraufführung 1976<br />

1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />

2. Theater Rundschau (Joachim Kramarz)<br />

3. Die Welt (Klaus Geitel)<br />

4. Der Tagesspiegel (Wolfgang Burde)<br />

5. Orpheus (Klaus Laskowski)<br />

6. SFB-Fernsehen Abendschau (Ditha Rupprecht)<br />

7. SFB-Hörfunk (Dietrich Steinbeck)<br />

8. Berliner Morgenpost (Horst Feige)<br />

9. Kieler Nachrichten, Mannheimer Morgen, Tageblatt<br />

Heidelberg (Hellmut Kotschenreuther)<br />

10. Westfälische Zeitung (Horst Dammrose)<br />

11. Berliner Zeitung (K.W.)<br />

12. Der Abend<br />

13. Spandauer Volksblatt Berlin (Georg Quander)<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.04.76<br />

Fettklößchens Jammer –<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Buffa in Berlin uraufgeführt<br />

Nun hat ein Musiker des Jahrgangs 1933 einen Fund<br />

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gemacht. Guy de Maupassants Erstlingsnovelle, die<br />

“Boule de suif” von 1880, drängt sich als kapitaler<br />

Spaß mit kritischen Hintergrund der Bühne gleichsam<br />

auf. ...<br />

Zusammen mit dem Hausdramaturgen der Deutschen<br />

Oper Berlin, Claus H. Henneberg, hat der <strong>Komponist</strong><br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> daraus ein Stück in drei Bildern<br />

gemacht. Maupassants Novellentext wird in Szenen<br />

und Nummern aufgespalten. Dialoge, Ensembles und<br />

Lieder folgen den Geboten des Singtheaters. Dabei<br />

kommt es zu Vergöberungen. Die Sprache wird vulgär;<br />

bisweilen ist schon die deutsche Übersetzung ordinärer<br />

als der französische Text. Dramaturgisch ist das<br />

Libretto in Ordnung.<br />

Was sagt die Musik dazu? <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, ehemals<br />

Schüler Amadeus Hartmanns und Josef Rufers,<br />

hat seit den sechziger Jahren mit Symphonik und<br />

Kammermusik von sich reden gemacht. Sein Klavierkonzert<br />

war bei den Berliner Festwochen 1968 in Rolf<br />

Kuhnerts Interpretation ein Wurf. Ohne sich serieller<br />

und aleatoririscher Mittel zu bedienen, redete <strong>Wahren</strong><br />

eine kultivierte, auf zwölftönigen Methoden ruhende<br />

Sprache.<br />

“Fettklößchen”, im Auftrag der West-Berliner Oper<br />

geschrieben, ist sein erster Bühnenversuch. Für nur<br />

vierzig Mann Orchester einschließlich Harfe, Celesta,<br />

Klavier und zwei Schlagzeuggruppen ist die Partitur<br />

sparsamer gesetzt als der oft üppige, rauschende,<br />

polyphone Klang vermuten läßt. Die Mittel sind pluralistisch:<br />

neben vieltönig-dissonanten Akkorden, Clusters,<br />

Glissandowirkungen und vielfarbigem Geklingel<br />

stehen äußerst simple Stellen vom Marseillaisezitat im<br />

kurzen Vorspiel bis zu den “Nummern”, zu denen ein<br />

meist rezitatirisch-deklamierender Singstil manchmal<br />

gerinnt.<br />

Auch das singspielhaft gesprochene Wort mischt sich<br />

in die gesungenen “Strecken” ein. Der Hauptmangel<br />

der Musik ist, daß diese höchst heterogenen Mittel fast<br />

unvermittelt nebeneinander liegen. Sie wollen nicht<br />

verschmelzen. So zerfällt der Ablauf in einzelne Teile.<br />

<strong>Wahren</strong> hat Sinn für Parodien. So glücken ihm Dinge<br />

wie das nationalhymnische Unisono am Schluß des<br />

ersten Bildes ebenso wie das Terzett de preußischen<br />

Soldaten im zweiten und das gesungene Salonstück<br />

von Judith und Holofernes. Da überall herrscht ungenierte<br />

Tonalität und Diatonik. Aber gleich daneben<br />

klingen dann im Orchester teils Erinnerungen an Debus-<br />

syschen oder Ravelschen Impressionismus, teils<br />

dissonante Kontrapunkte. Das handwerkliche Können,<br />

namentlich in der Orchesterbehandlung, ist beachtlich.<br />

(H.H. Stuckenschmidt)<br />

Theater Rundschau - Juni 1976<br />

Herzlicher Beifall für <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s “Fettklößchen”<br />

Diese kleine Eineinhalb-Stunden-Oper verdient alle<br />

Anerkennung. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> schreibt eine Nummernoper,<br />

seine Musik spielt in klaren Taktmaßen,<br />

gewohnten Harmonieabläufen bildet Perioden und<br />

benutzt Neutönerisches nur sehr zurückhaltend. Aber<br />

in diesem Rahmen ist die Musik einfallsreich, trifft den<br />

Ton der Handlung, changiert leicht zwischen Gesang<br />

und Sprache, eröffnet den Sängern gute Spielmöglichkeiten<br />

und hat Witz. ...<br />

(Joachim Kramarz)<br />

Die Welt - 26.04.76<br />

Schmunzelmusik zur Häme von Maupassant<br />

... <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, der <strong>Komponist</strong> und Claus H.<br />

Henneberg, Dramaturg der Deutschen Oper Berlin, ab<br />

Herbst Generalintendant in Kiel, haben die Bühnenwirksamkeit<br />

des Sujets erkannt, das schon Michael<br />

Romm in Rußland, Christian Jaque in Frankreich verfilmt<br />

haben.<br />

In <strong>Wahren</strong>s Vertonung serviert die Deutsche Oper<br />

Berlin nun dieses “Fettklößchen”, gewissermaßen in<br />

würziger Sauce, und zwar im neuen Theatersaal der<br />

Musikhochschule Berlin.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> ist ein geschickter, auch gewitzter<br />

<strong>Komponist</strong>, der sein Metier ausgezeichnet beherrscht.<br />

Er schreibt eine klingende, illustrierende, oft effektvoll<br />

schlagkräftige Musik, die im Wechsel aus gesungenen<br />

und gesprochenem Wort geschickt Nutzen zieht.<br />

Aber es ist gewissermaßen die Musik einer klassenlosen<br />

Gesellschaft. <strong>Wahren</strong> spickt das Geschehen<br />

mit hübschen, geschmackvollen Orchesterpointen.<br />

Er setzt manch lustigen, ironischen, sogar parodistischen<br />

Kommentar. <strong>Wahren</strong> schreibt eine Schmunzelmusik.<br />

...<br />

Das “Fettklößchen” erwies sich als Schlager: sozusagen<br />

als musikalischer Whimpy. (Klaus Geitel)<br />

Der Tagesspiegel - 27.04.76<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Oper “Fettklößchen” uraufgeführt<br />

Der Berliner <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> wollte<br />

nach seinem eigenen Geständnis eine im besten<br />

Sinne unterhaltende Oper schreiben¸ Keine, die den<br />

seit den 50er Jahren üblichen vokal-artistischen Subtilitäten<br />

erneuten Tribut zollt, keine auch, deren musiksprachliche<br />

Differenzierung so weit getrieben ist,<br />

das ein unbekümmert drauflos hörendes großes Publikum<br />

nach den ersten Takten bereits zurückzuckt,<br />

mit Desinteresse oder gar Angst reagiert. Der erste<br />

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Reden Werkkommentare<br />

Schritt, in Zusammenarbeit mit dem Chefdramaturgen<br />

der Deutschen Oper Claus H. Henneberg, vollzogen,<br />

schien ein gutes Stück auf diesem Wege größtmöglicher<br />

Kommunikation voranzutreiben. Man entschied<br />

sich für Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif”<br />

(Fettklößchen) als literarischen Vorwurf, und Hennelkerg<br />

lieferte ein Libretto, das zwar auch die vulgäre<br />

Pointe nicht scheut, insgesamt aber spielbar und im<br />

traditionellen Sinne theaterwirksam ist.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat dazu eine Opernmusik geschrieben,<br />

deren Durchsichtigkeit und kurzmotivische<br />

Gelenkigkeit, deren relativ leichte Singbarkeit und Auffaßbarkeit<br />

zunächst durchaus für sie einnehmen. In<br />

den ersten Minuten dieser dreiaktigen Partitur rauscht<br />

die Musik impressionistisch auf, der Parlandoton der<br />

ersten Rezitative hat Textverständlichkeit für sich, und<br />

nirgendwann überdeckt der Klang des Orchesters die<br />

sängerischen Aktionen.<br />

Im Verlauf des ersten Aktes aber wird auch sichtbar,<br />

daß <strong>Wahren</strong> die Protagonisten an jene beiläufigen<br />

sängerischen Wendungen gebunden hält, daß weder<br />

Pianissimo-Intimität noch Ausbruch, noch etwa ausführlichere<br />

ariose sängerische Selbstdarstellung zu<br />

seiner Konzeption gehört. ... (Wolfgang Burde)<br />

Orpheus - 15.06.76<br />

Premiere des Monats -<br />

Fettklößchen von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

... Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif” hat<br />

die theatralische Umwandlung mehr als einmal mitgemacht;<br />

ob als Film (z.B. von Michail Romm) oder als<br />

Schauspiel (“Hotel du Commerce” von Hochwälder).<br />

Jetzt ist aus dem “Fettklößchen” gar eine Oper geworden.<br />

Der Berliner <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat<br />

zusammen mit Claus H. Henneberg, dem das theaterwirksame<br />

Libretto zu verdanken ist, einen höchst unterhaltsamen<br />

musikalischen Dreiakter geschaffen, der<br />

alle Chancen hat, sich als Saison-Hit die deutschen<br />

Opernbühnen zu erobern. ... Dieser dramaturgisch<br />

hervorragende Bau wird orchestral mit viel Achtel- und<br />

Sechszehntelnoten gefüllt. Impressionistische Anklänge<br />

wallen für Momente auf, werden durch Zitate und<br />

ganz konventionelle Einschübe - ein Chanson, einen<br />

Can-Can, die Marseillaise - abgelöst. Der Klang ist alles<br />

andere als filigran, obwohl nur ca. 40 Mann im Orchester<br />

sitzen. <strong>Wahren</strong>s Arbeit Zeigt in seinem ersten<br />

Bühnenwerk erstaunliches Können, allerdings ohne<br />

allzu große Ideengabe. Aber er kann für Stimmen<br />

schreiben, und das vermögen heutzutage nur wenige<br />

<strong>Komponist</strong>en. Er individualisiert die Gesangslinie,<br />

die oft von der des Orchesters losgelöst ist und nicht<br />

selten in den gesprochenen Dialog mündet. ... (Klaus<br />

Laskowski)<br />

SFB-Fernsehen Redaktion Abendschau<br />

Ein gefälliges Werk ist diese Oper vom “Fettklößchen”<br />

- einem nicht mehr ganz taufrischen, leichten<br />

Mädchen -, das aus Gefälligkeit sieben patriotischen<br />

Landsleuten gegenüber dem bösen preußischen feind<br />

schließlich doch den gefallen tut und mit ihm ins Bett<br />

geht.<br />

Gut gefallen hat diese erste Oper des Berliner <strong>Komponist</strong>en<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> dem Premierenpublikum.<br />

Nur Bravos waren zu hören und das ist bei Uraufführungen<br />

äußerst selten.<br />

Nun ist <strong>Wahren</strong>s Erstling nicht das große, erleuchtende<br />

Werk des modernen Musiktheaters. Das will es<br />

und soll es gar nicht sein. Aber es stimmt in sich ganz<br />

gut. Schade nur, daß das, was z.B. Musik über innere<br />

Vorgänge zu sagen hat, oft zu kurz kommt.<br />

<strong>Wahren</strong> räumt dem gesungenen Wort Priorität ein.<br />

Deshalb verzichtet er auch auf artistisch hohe Töne.<br />

Die Folge: man versteht eigentlich jedes Wort, die<br />

Pointen kommen an.<br />

Und das ist gar nicht so schlecht für eine Spieloper, die<br />

eine gute literarische Vorlage hat. Aus Maupassants<br />

Novelle über die heuchlerischen, bigotten Vertreter<br />

der Kirche, des Adels und des Bürgertums haben<br />

Claus H. Henneberg und <strong>Wahren</strong> ein witzig-ironisches<br />

Libretto zurechtgezimmert. ...<br />

... Der Dirigent Caspar Richter musizierte mit Engagement,<br />

Umsicht und Sinn für ironischen Witz. Und<br />

die Sänger bewiesen wieder einmal, daß sie treffliche<br />

Darsteller sein können. “Fettklößchen” – diese<br />

neue Oper wird nicht nur in Berlin ihr Publikum finden.<br />

(Ditha Rupprecht)<br />

SFB-Hörfunk<br />

... Eins nämlich scheint mir sicher: diese heiter-satirische<br />

Spieloper (und wann hätte ein <strong>Komponist</strong> unserer<br />

Zeit Ähnliches zustandegebracht?), sie wird ihren<br />

Weg in die deutschen Stadttheater finden. Sie ist, den<br />

stimmlichen Anforderungen nach, leicht zu besetzen,<br />

sie bietet zu effektvollem Rollenspiel Gelegenheit<br />

genug ... das Libretto hat Maupassants frühe Novelle<br />

recht geschickt gerafft und dialogisiert ...(Dietrich<br />

Steinbeck)<br />

Berliner Morgenpost - 27.04.76<br />

Fettklößchens Reise in der Kutsche der Vorurteile<br />

... Das Märchen von “Fettklößchen” ist ebenso erheiternd<br />

wie in seiner lapidaren Schlichtheit menschlich<br />

48


KARL HEINZ WAHREN<br />

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ergreifend. Die Wuchtbrumme der siebziger Jahre<br />

(des vorigen Jahrhunderts) hatte ihre Klößchen an<br />

den richtigen Stellen und verstand es, damit gegen<br />

bare Münze zu wuchern.<br />

Weil der <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> die “bürgerliche<br />

Renommierwandelhalle” – so nennt er die Oper<br />

im Programmheft – nicht mag, zog man zur Premiere<br />

in den Theatersaal der Hochschule der Künste, wo<br />

das Singspiel gut aufgehoben war.<br />

Die teils impressionistisch schwelgende, teils beatig<br />

laute, auch das Couplet nicht scheuende Musik ist illustrierend.<br />

Da dieses veroperte “Fettklößchen” im Gegensatz<br />

zu seinem literarischen Vorbild nicht im Winter spielt,<br />

durfte Martin Rupprecht kleidsame Sommergarderobe<br />

heraussuchen. ...<br />

Das Orchester unter Caspar Richter spielte die ungewohnte<br />

Partitur sicher und mit schönem Erfolg. Der<br />

große Beifall sollte die Deutsche Oper anregen, – wo<br />

auch immer – “Fettklößchen” am Opernleben zu erhalten.<br />

(Horst Feige)<br />

Mannheimer Morgen, Kieler Nachrichten, Tageblatt<br />

Heidelberg - 28.04.76<br />

Fettklößchen und die Heuchler –<br />

Eine Oper von Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />

<strong>Wahren</strong> in Berlin uraufgeführt<br />

... Claus H. Henneberg, der designierte Kieler Generalintendant,<br />

und der <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> haben<br />

aus der Novelle ein Libretto extrahiert, in dem viel<br />

von der beißenden Ironie, viel von der sarkastischen<br />

Gesellschafts- und Menschenkritik Maupassants bewahrt<br />

ist; und <strong>Wahren</strong>s Musik, die vom heutigen Stand<br />

der kompositorischen Mittel aus den Impressionismus<br />

in den Blick nimmt, versteht sich darauf, Situationen<br />

und Charaktere effektsicher zu pointieren. Die leichtfüßige<br />

Partitur, aus der sich dann und wann kleine<br />

Chansons und Ensembles auskristallisieren, zielt –<br />

und gedankt sei´s ihr – eher auf Unterhaltsamkeit als<br />

auf die Unsterblichkeit; sie hat, was hierzulande seit je<br />

rar war: Esprit. ...(Hellmut Kotschenreuther)<br />

Westfälische Zeitung - 27.04.76<br />

Durchaus bekömmlich –<br />

<strong>Wahren</strong>s erste Oper “Fettklößchen” in Berlin uraufgeführt<br />

Die Deutsche Oper Berlin stellt jetzt im Theater- und<br />

Probensaal der Hochschule für Künste als Uraufführung<br />

die Oper “Fettklößchen” von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />

vor. ...<br />

Henneberg und <strong>Wahren</strong> haben den Novellentext in<br />

verschiedene Szenen und Bilder unterteilt, aus der<br />

Novelle ein Singspiel gemacht, den Kern und Gehalt<br />

der Novelle aber nicht verändert. Die Sprache ist derb,<br />

dramaturgisch bietet das Libretto großartige Möglichkeiten.<br />

“Fettklößchen” ist <strong>Wahren</strong>s erster musikalischer Bühnenversuch,<br />

ein Auftragswerk für die Deutsche Oper<br />

Berlin. Zeitgenösische Kompositionstechniken wechseln<br />

mit denen des Impressionismus, Lieder im Volkston,<br />

die Ballade von Judith und Holofernes mit modernen,<br />

beatähnlichen Rhythmen. <strong>Wahren</strong> will über<br />

die Brücke des Vertrauten dem Hörer einen Zugang<br />

zu modernen Klängen erleichtern. Die Musik unterstreicht<br />

hervorragend das Wort. ...<br />

Mein Gesamteindruck: Diese Nettigkeit “Fettklößchen”<br />

sollte keineswegs wieder in der Versenkung<br />

verschwinden. Dank einer vorzüglichen musikalischen<br />

Interpretation, einer gelungenen Inszenierung, hervorragender<br />

darstellerischer Leistungen aller Mitwirkenden<br />

eine entspannende Abendunterhaltung, die zum<br />

Nachdenken anregt. Sehr empfehlenswert. (Horst<br />

Dammrose)<br />

Berliner Zeitung B.Z. - 26.04.76<br />

Oper mit allem drum und dran<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat das “Fettklößchen” zusammen<br />

mit Claus H. Henneberg geschickt für das Musiktheater<br />

präpariert! <strong>Wahren</strong> hat auch ein Ohr für Wirkungen.<br />

Er weiß, daß man auf die Dauer keine Musik<br />

ohne oder gar gegen das Publikum schreiben kann,<br />

und hat daraus Konsequenzen gezogen. Also hat er<br />

aus “Fettklößchen” eine Oper gemacht, eine richtige<br />

kleine Oper, mit allem, was dazugehört. Es gibt kurze<br />

Lieder, ein Miniatur-Liebesduett, Tanzrhythmen, alles<br />

klanglich bestens gewürzt, und selbst das Lied als<br />

dramatisches Füllsel, hier ein balladesker Song von<br />

Judith und Holofernes, fehlt nicht. ...(K.W.)<br />

Der Abend - 26.04.76<br />

Das kleine Fressen –<br />

Erfolg im Quintett: “Fettklößchen” in der Fasanenstraße<br />

uraufgeführt<br />

... Die Uraufführung im neuen Theatersaal der Kunsthochschule<br />

an der Fasanenstraße, eine Exkursion der<br />

Deutschen Oper in ein ihr fehlendes “Kleines Haus”,<br />

verlief am Wochenende sehr erfolgreich und rief alle<br />

fünf Väter des Werkes und der Aufführung an die<br />

Rampe. ...<br />

... Diese Handlung begleitet der Berliner <strong>Komponist</strong><br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> mit einer handwerklich sehr sauberen,<br />

auch geschickt instrumentierten, aber insgesamt<br />

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doch recht harmlosen Musik illustrativen Charakters,<br />

die sich von jedem Avantgardismus freihält und eher<br />

epigonal ist. ...<br />

Spandauer Volksblatt Berlin - 27.04.76<br />

Satire im Gewand einer “Spieloper”<br />

Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> ist es<br />

im Libretto gelungen, die wesentlichen Elemente aus<br />

Guy de Maupassants gleichnamiger Novelle in eine<br />

pointenreiche szenische Aktion umzusetzen, die in<br />

treffender Rede und gegenrede die politische und moralische<br />

Verlogenheit der flüchtigen Reisegesellschaft<br />

sentenzenreich charakterisiert.<br />

Ravel, Bartók und Strawinsky, die <strong>Wahren</strong>, zeitkoloristisch<br />

bewußt zitiert, feiern fröhliche Urständ. Und das<br />

Publikum fühlt sich in solch altvertrauten Klängen offenbar<br />

wohl. Es wird von der Musik nicht gefordert und<br />

amüsiert sich an den Späßen der Handlung. ...<br />

Das Orchester unter Caspar Richter erntete ebenso<br />

wie der <strong>Komponist</strong> und der Librettist herzlichen Applaus.<br />

(Georg Quander)<br />

Presse zu “Bayreuther Impressionen” -<br />

Uraufführung 2004<br />

1. Märkische Allgemeine (Olaf Wilhelmer)<br />

2. Brandenburger Stadtkurier (Ann Brünink)<br />

Märkische Allgemeine - 03.05.04<br />

Analytische Kraft der Langsamkeit –<br />

Wagner in Brandenburg<br />

... Besonders bayreuthisch war das nicht, aber dafür<br />

gab es zuvor die Uraufführung der Bayreuther Impressionen<br />

von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>. Inspiriert von der rätselhaften<br />

Hassliebe der französischen Impressionisten<br />

zu Wagner, unternahm der 1933 in Bonn geborene<br />

<strong>Komponist</strong> eine tour d’horizon durch die Welt des musikalischen<br />

Zitats: geflügelte Klänge, ein komponierter<br />

Büchmann -<br />

was einem in Bayreuth halt durch den Kopf geht. Kein<br />

Wagner-Highlight, das <strong>Wahren</strong> seinen Instrumentations-künsten<br />

nicht unterworfen hätte. Zwischen diesen<br />

zweifellos originell verknüpften Fäden keimte aber die<br />

Frage auf, wo hinter jenem in die Jahre gekommenen<br />

Postmodernismus die Persönlichkeit <strong>Wahren</strong>s zu suchen<br />

sei.<br />

Gleichwohl vermochte diese Novität einen komponierten<br />

Kommentar zur gedanklichen Klammer des Abends<br />

abzugeben: Eingangs war nämlich ...<br />

Brandenburger Stadtkurier - 03.05.04<br />

Die Brandenburger Symphoniker zelebrieren Gegensätze<br />

... “Bayreuther Impressionen”, die am Wochendende uraufgeführte,<br />

rhythmisch und inhaltlich überreiche Komposition<br />

von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> (geboren 1933), hat vor<br />

allem den Intellekt der Konzertbesucher angesprochen.<br />

Ganz romantisch leiten die Streicher das an musikhistorischen<br />

Bezügen reiche Werk mit einem Motiv aus Wagners<br />

Lohengrin ein. Doch plötzlich explodiert ein grelles<br />

musikalisches Feuerwerk. Temporeich und mit schrillen<br />

Dissonanzen schwelgt das Orchester in Erinnerungen<br />

an “Tristan” und den “Fliegenden Holländer”. Mit einem<br />

wehmütigen Cellosolo verharrt das Orchester an Wagners<br />

Grab, bevor die Musik mal im fetzigen Cancan-<br />

Rhythmus, mal gravitätisch zu Klängen aus dem immer<br />

währenden “Tannhäuser” von der unendlichen Wiederkehr<br />

des Altmeisters kündet.<br />

Mit seiner freitonalen Musik wolle er die Wagnerver-ehrung<br />

in die Gegenwart bringen, erklärt <strong>Wahren</strong>, Mitbegründer<br />

der “Gruppe Neue Musik Berlin”. Auch wenn viel<br />

Wagner darin vorkomme, sei seine Komposition kein Potpourri,<br />

sondern eine Collage. Darin verbinde er Wagnerzitate<br />

mit Eigenem, aber auch mit anderen Impressionen.<br />

Begeistert zeigt sich <strong>Wahren</strong> von der Leistung der Brandenburger<br />

Symphoniker, die seine schwierige Komposition<br />

werkgetreu gemeistert hätten. ...<br />

Presse zu “Friedensoratorium”<br />

6. Anfang und Ende der Welt<br />

Uraufführung 2005<br />

1. Augsburger Allgemeine Zeitung (Claus Lamcy)<br />

Augsburger Allgemeine Zeitung - 11.08.05<br />

Vielstimmiger Frieden –<br />

Festkonzert zu “Pax 2005” in der Augsburger Annakirche<br />

... Zuletzt “Anfang und Ende der Welt” von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />

<strong>Wahren</strong> - eine Gegenüberstellung von Genesis und<br />

Offenbarung, zugleich eine Zusammenfassung aller<br />

Mitwirkenden.<br />

<strong>Wahren</strong> endfesselt düstere Klanggewitter, selbst für<br />

den “siebenten Tag”, der Triumph der Stellen “Der Tod<br />

wird nicht mehr sein” und “Schafft alles neu” erscheint<br />

als kurzer Siegesmarsch, der jäh abbricht: Auftrag<br />

statt Siegesgewissheit? Ein Werk, fragmentarisch und<br />

disparat wie unsere Zeit, dieses “Oratorium” , rätselhaft<br />

und mitreißend zugleich - ein einmaliger Akzent<br />

im Friedensjahr. (Claus Lamcy)<br />

50


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Berliner Morgenpost 11. Oktober 2003<br />

Musikalischer Vagabund - Geburtstagskonzert<br />

Er wollte das Publikum nie vor den Kopf stoßen. Eingängig<br />

und verständlich sind seine Werke. Serielle<br />

Konstruktionen? Nein, danke. Jazzrhythmen haben<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> viel stärker inspiriert. Für den Vagabunden<br />

zwischen E- und U-Musik gestaltet das BKA<br />

ein Porträtkonzert zum 70. Geburtstag.<br />

Jazzkomponist wollte der Bonner werden, als er zum<br />

Musikstudium nach Berlin kam. Er jazzte in der Hajo-<br />

Bar und schrieb Arrangements fürs Rias-Tanzorchester.<br />

Dann eröffneten ihm die Werke von Strawinsky,<br />

Ravel und Blacher eine neue, viel reichere Welt. <strong>Wahren</strong><br />

konvertierte, wurde E-Musik-<strong>Komponist</strong> - und hat<br />

doch seine Liebe zum Jazz nie aufgegeben.<br />

1965 war er Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik<br />

Berlin”, einem Interessenverband junger <strong>Komponist</strong>en,<br />

die individuelle Wege verfolgten. Der Durchbruch<br />

gelang <strong>Wahren</strong> 1976 mit “Fettklößchen”, einer<br />

Oper mit Strophenliedern im Volkston, Cancan und<br />

französischem Kolorit. “Der Mensch soll sich als Sozialwesen<br />

in der Musik wiedererkennen”, sagt er und<br />

greift gern gesellschaftspolitische Themen auf, etwa<br />

im Antikriegs-Stück “Du sollst nicht töten”.<br />

Gerald Humel, langjähriger Weggefährte aus der<br />

“Gruppe Neue Musik”, leitet das Geburtstagskonzert<br />

mit dem Concerto Streichquartett und acht weiteren<br />

Musikern. Sie spielen ausgewählte Kammermusikwerke,<br />

die <strong>Wahren</strong> seit 1959 geschrieben hat, und<br />

eine Uraufführung: “Nebeneinander - Miteinander”<br />

für Violine, Klarinette und Klavier. <strong>Wahren</strong> selbst führt<br />

durch den Abend.<br />

51


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Brandenburgische Revue<br />

Auftragswerk der Berliner Festwochen 1981<br />

... ist eine Folge von “Moments musicaux” zu tatsächlichen<br />

Begebenheiten aus der 500 jährigen Geschichte<br />

des Hauses Hohenzollern von Brandenburg-Preußen.<br />

Die Musik der einzelnen Bilder konfrontiert Stilelemente<br />

der jeweiligen Epoche dem Duktus unserer Zeit.<br />

Diese stilistischen Rückblenden sollen dem bewußten<br />

Hörer ermöglichen, das Vergangene aus der Sicht unserer<br />

Gegenwart zu empfinden.<br />

1. FESTLICHE RENAISSANCE INTRODUKTION<br />

Am 30. April 1415, während des Konstanzer Konzils,<br />

belohnte König Sigismund<br />

den Nürnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern<br />

mit der Mark Brandenburg.<br />

2. SIEGESMARSCH<br />

Anläßlich der ruhmreichen Rückkehr des Kurprinzen<br />

Joachim<br />

- später Kurfürst Joachim II. - aus den Türkenkriegen<br />

im Jahre 1533<br />

3. BERCEUSE<br />

zur Geburt des dreiundzwanzigsten Kindes vom kurz<br />

zuvor im dreiundsiebzigsten Lebensjahr verstorbenen<br />

und drei mal verheirateten Kurfürsten Johann Georg<br />

im Jahre 1598.<br />

4. GAVOTTE POPULAIRE<br />

auf den Sieg des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm<br />

über die schwedischen Invasoren bei Fehrbellin,<br />

1675.<br />

5. FURIOSO BARBARO - FUNEBRE<br />

zum Sturz der geistig umnachteten Königin Sophie<br />

Louise durch die geschlossene Glastür ins Schlafzimmer<br />

ihres Gatten König Friedrich I . und dessen,<br />

vom Schrecken ausgelöster unmittelbarer Tod darauf<br />

1713.<br />

6. FUGATO<br />

“Nischt wie weg, der König kommt!”<br />

Straßenparole aus der Regierungszeit König Friedrich<br />

Wilhelm I. der gelegentlich mit dem Stock auf der<br />

Strafle “faule” Bürger in die Flucht schlug und dabei<br />

rief: “Lieben sollt ihr mich!”<br />

7. GIGUE<br />

zu der abendlichen Kammermusik am Hofe Friedrich<br />

des Großen in den ersten Jahren seiner langen Regierungszeit.<br />

8. PAVANE<br />

auf den Tod des im napoleoniscfien Krieg 1806 gefallenen<br />

hohenzollern Prinzen und <strong>Komponist</strong>en Louis<br />

Ferdinand.<br />

9. FINALE MAESTOSO - AGITATO DIVAGANDO<br />

zur Ausrufung König WilheIms I. von Preußen zum<br />

Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles<br />

und<br />

Ausblick auf den entgültigen Untergang Preußens in<br />

der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts.<br />

(K.H.W.)<br />

Ecce Homo<br />

Orchestersuite in 5 Sätzen nach Bildern von Otto Dix<br />

Die verschiedenen, deutlich voneinander trennbaren<br />

Perioden im 0Euvre Ott Dix’ zeigen sich auch in den<br />

hier zur Vertonung ausgewählten Bildern, die in der<br />

ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entstanden. Ihr<br />

historischer Bogen reicht von der Wilhelminischen<br />

Kaiserzeit über die Weimarer Republik, der nationalsozialistischen<br />

Diktatur, bis zur Gründung der beiden<br />

antagonistisch zueinander stehenden Deutschen<br />

Staaten nach 1945.<br />

Diese Bilder sollen nicht in ihren optisch sichtbaren<br />

Äußerlichkeiten musikalisch interpretiert werden, vielmehr<br />

suche ich sie aus ihrem psychologischen Hintergrund<br />

und mit den in ihnen enthaltenen komplexen<br />

Anspielungen - natürlich aus subjektiver Sicht - ins<br />

Klangliche zu transportieren.<br />

Im ersten Gemälde - Die Nacht in der Stadt (1913) -<br />

verkünden die das Bild beherrschenden Wolken durch<br />

expressive Bewegungen ebenso wie die feuerroten<br />

Fensterhöhlen des größeren Hauses - in der schwarz/<br />

weiß Reproduktion nicht erkennbar - genuin Unheil,<br />

das im zweiten Gemälde - Schützenqraben (1918) -<br />

die Menschen im absurden Stahigewitter des 1. Weltkrieges<br />

gnadenlos erfaßt.<br />

An die Schönheit (1922) - beschreibt durch die maskenhafte<br />

Darstellung seiner Akteure fast karikatutistisch<br />

in einer Art magischem Realismus, die von<br />

verbissener Lebenswut gekennzeichnete Oberflächlichkeit<br />

der folgenden Nachkriegsjahre, der “Roaring<br />

Twenties”, deren Unterhaltungswert sich für uns heute<br />

52


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unter anderem in begebenden Tangorhythmen nostalgisch<br />

symbolisiert.<br />

Im Triumph des Todes (1934) wird die damalige politische<br />

Polarisierung musikalisch plakativ verdeutlicht<br />

durch insistierende Rhythmen, die später überlagert<br />

sind von den Kampfliedern “Völker, hört die Signale”<br />

und “Die Fahne hoch”, die schließlich mit “Deutschland<br />

über alles” verschmelzen. Der Triumph der Nationalsozialisten<br />

wurde zum Triumph des Todes über<br />

Millionen Menschen.<br />

Die Bildersequenz schließt mit einer fast holzschnittartigen<br />

Jesus-Darstellung: Ecce homo (1949) - Sehet,<br />

welch ein Mensch - der sich vergeblich für das Heil<br />

der Menschheit sind den Frieden auf Erden opferte.<br />

Nich einem breiten polyphonen Beginn erinnern kurze<br />

Zitate an die vorangegangenen Sätze, und mit einem<br />

skurrilen Trauermarsch endet die 5-sätzige Suite, eine<br />

Hommage an den sensitiv-vitalen Künstler und kritischen<br />

Zeitgenossen Otto Dix (1891-1969).<br />

(<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>)<br />

At this moment<br />

Auftragswerk der Berliner Festwochen 1970<br />

Im Gegensatz zur Bildenden Kunst, die den Betrachter<br />

in keine Zeitbegrenzung zwängt, wirkt Musik im<br />

Augenblick, ist nur im Moment ihres Klanges faßbar.<br />

Der Titel “At this moment” will das dem Hörer bewußt<br />

machen und ihm damit ein gewisses Maß akustischer<br />

Kontaktbereitschaft abverlangen.<br />

In den drei Sätzen dieses Orchesterkonzertes werden<br />

Motive umrissen, die sich fortentwickeln, verändern<br />

und wieder neuen Momenten weichen;<br />

Wiederholungen, Verflechtungen gegensätzlicher<br />

Motive, Einblendungen kurzer Erinnerungen an vergangene<br />

musikalische Epochen. Zeitabläufe also,<br />

die für Augenblicke Gestalt annehmen, flüchtig, für<br />

den bewußten Hörer doch faßbar, reihen sich in “At<br />

this moment” musikalisch organisiert aneinander.<br />

(K.H.W.)<br />

Magnificat mundus pacem<br />

Wacht auf, Ihr Menschen!<br />

Auftragswerk zum dreißigjährigen Bestehen des Berliner<br />

Konzert-Chors 1984<br />

Meinem Magnificat habe ich nicht, wie üblich, die biblischen<br />

Verse des Marianischen Lobgesangs (Lukas<br />

1, 46 - 55) - Magnificat anima mea Dominum/Hoch<br />

erhebet meine Seele den Herrn - zugrunde gelegt.<br />

Im Namen von Konfessionen und politischen Systemen<br />

wurde und wird um Vorherrschaft gekämpft:<br />

Menschenverachtung zieht sich wie ein roter Faden<br />

durch die Ge- schichte. Angst und Aggression sind es,<br />

die das friedliche Zusammenleben der Menschen zu<br />

allen Zeiten verhindert haben.<br />

Diese Erkenntnis ist ein zentrales Thema humanistischen<br />

Weltbildes abendländischer Prägung. Ideale<br />

Friedenssehnsucht hat seit der Antike immer wieder<br />

gültigen Ausdruck gefunden. Mir schien es wichtig,<br />

einige Väter dieser Gedanken in meinem Magniticat-<br />

Text zu Wort kommen zu lassen: den Philosophen und<br />

Staatsmann Marcus Tullius Cicero (106 - 43 n.Chr.),<br />

den Kirchenvater Aurelius Augustinus (354 - 430) und<br />

den Dichterfürsten Francesco Pretrarca (1304 -1374).<br />

Sie stehen stellvertretend für eine humanistische Tradition,<br />

deren Anfänge 2000 Jahre zurückliegen und<br />

deren geistesgeschichtliche Wirkung auf unsere Kultur<br />

nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Das<br />

musikalische Material meines Magnificat collagiert,<br />

ebenso wie der Text, verschiedene Stilepochen: Gregorianik,<br />

einfache Mehrstimmigkeit, barocken Kontrapunkt,<br />

impressionistische Orchesterklangfarben<br />

und geräuschähnliche Cluster der Gegenwart - den<br />

gesungenen oder gesprochenen Text kommentierend<br />

und kontrastierend. Meine Absicht ist es, die Tragik<br />

menschlichen Bemühens in Vergangenheit und Gegenwart<br />

um eine friedliche Existenz mit künstlerischen<br />

Mitteln bewußt zu machen. Inspiriert von Wort und<br />

Musik soll der Hörer die aktuelle Brisanz der ciceronischen<br />

Weisheit erkennen:<br />

Ut sementem feceris, ita metes – Wie die Saat, so die<br />

Ernte.<br />

(K.H.W.)<br />

Auf der Suche nach dem<br />

verlorenen Tango<br />

Auftragswerk des SFB 1979<br />

“A la Recherche du Tango perdu” ist die Suche nach<br />

der verlorenen Zeit mit musikalischen Mitteln. Der<br />

Tango, ein ursprünglich aus Argentinien stammender<br />

Gesellschaftstanz, auch in Europa repräsentativ für<br />

die gehobene Trivialmusik der “roaring twenties”, hat<br />

sich bis heute als Lied, aber auch als Tanz bewährt.<br />

In dieser etwa 20 Minuten dauernden Komposition<br />

sind in rhapsodischer Folge Melodiephrasen und<br />

Tangorhythmen miteinander verschränkt, werden va-<br />

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riiert, aufgelöst und schließlich in neuen Zusammenhängen<br />

wiederholt oder ins Groteske verzerrt, wobei<br />

der monoton insistierende Rhythmus, oft synkopisch<br />

zugespitzt, immer wieder dominiert. Der musikalische<br />

Rückblick wird durch Elemente der zeitgenössischen<br />

Musik gefiltert, so daß Vergangenes und Gegenwärtiges<br />

für Momente miteinander verschmolzen scheint.<br />

(K.H.W.)<br />

Entführung aus dem Köchelverzeichnis<br />

Abduction from the Köchel catalogue<br />

1. Allegro con brio<br />

2. Sentimento con espressivo<br />

3. Molto allegro e leggiero<br />

“Diese Komposition ist kein Potpourri von Mozartmelodien,<br />

sondern ein Konzert für Orchester in historischen<br />

und zeitgenössischen Klängen, basierend auf<br />

einigen auserwählten Mozartthemen.<br />

Der Vorlauf des 1. Satzes - Allegro con brio - läßt sich<br />

als Rondo formal so darstellen: A-B-A-C-A. Im A-Teil<br />

wird das verkürzte Ouvertürenmotiv der “Entführung<br />

aus dem Serail” (1782) verarbeitet, außerdem die Arie<br />

des Belmontes: “Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze<br />

...”, die auch im folgenden B-Teil weiterwirkt,<br />

kontrastiert mit dem Hauptmotiv aus “Eine kleine<br />

Nachtmusik” (K.V. 525). Im C-Teil wird das Andante-<br />

Thema der “Sinfonia concertante” - für Violine, Bratsche<br />

und Orchester, K.V. 364 - verarbeitet.<br />

Nach der 2. Wiederholung des A-Teils erklingt eine kurze<br />

Coda, anekdotisch versetzt mit dem kleinen Nachtmusik-Motiv.<br />

Der 2. Satz - Sentimento con espressivo<br />

- bezieht sein motivisches Material von dem Adagio<br />

aus Mozarts “Konzert für Klarinette und Orchester”<br />

(K.V. 622), das im Sept./0kt. 1791 entstand, wenige<br />

Wochen vor Mozarts Tod. Im 3. Satz schließlich - Molto<br />

allegro e leggiero - werden Themen des letzten Satzes<br />

(Permutationsfuge) der “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V.<br />

551) variiert und beenden so diese in unser Jahrhundert<br />

transponierte musikalische Verbeugung vor dem<br />

Genie Wolfgang Amadeus Mozart.”<br />

This composition is not a potpourri of Mozart melodies<br />

but a concerto for orchestra with historical and contemporary<br />

sounds, based on some chosen themes<br />

from Mozart’s work.<br />

The introduction of the first movement (Allegro con<br />

brio) is in the following rondo form: A-B-A-C-A. The<br />

A part is made up of variations of a shortened version<br />

of the ouverture motif of “Entführung aus dem Serail”<br />

(1782) as well as Belmontes’ aria “Hier soll ich dich<br />

denn sehen, Konstanze ...”. The latter motif is also<br />

used in the B part, where it is contrasted with the main<br />

motif from “Eine kleine Nachtmusik” (K.V. 525). The C<br />

part is characterised by variations of the andante-theme<br />

of the “Sinfonia concertante” for violin, viola and orchestra<br />

(K.V. 364). The second repetition of the A part<br />

is followed by a short coda, anecdotally transposed<br />

with the little motif from “Eine kleine Nachtmusik”.<br />

The motives for the second movement (Sentimento<br />

con espressivo) are drawn from the adagio of Mozart’s<br />

“Konzert für Klarinette und Orchester’ (K.V. 622),<br />

which Mozart wrote in Sept./Oct. 1791, some weeks<br />

before his death.<br />

The third movement (Molto allegro e leggiero) is made<br />

up of variations inspired by themes from the last movement<br />

of Mozart’s “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V. 551),<br />

thus concluding this musical bow, transposed into our<br />

century, to the genius of Wolfgang Amadeus Mozart.<br />

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