ARCHIV - Komponist Karl Heinz Wahren
ARCHIV - Komponist Karl Heinz Wahren
ARCHIV - Komponist Karl Heinz Wahren
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KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
INHALT<br />
Biografie 2<br />
Werke<br />
Orchestermusik 3<br />
Opern 3<br />
Kammerorchester 4<br />
Kammermusik 4<br />
Klaviermusik 6<br />
Chormusik 7<br />
Filmmusik 7<br />
Discographie 8<br />
Essays über ...<br />
Christian Bruhn 9<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> von Bruhn 16<br />
Norbert Schultze 19<br />
Helmut Brandt 27<br />
Erich Schulze 28<br />
Reden zu ...<br />
100 Jahre GEMA 31<br />
50 Jahre DKV 34<br />
Gerald Humel 40<br />
Kritiken zu ...<br />
Magnificat 43<br />
Du sollst nicht töten 44<br />
Fettklößchen 46<br />
Bayreuther Impressionen 50<br />
Friedensoratorium 50<br />
Geburtstagskonzert 51<br />
Werkkommentare<br />
Brandenburgische Revue 52<br />
Ecce Homo 52<br />
Auf der Suche nach dem verlorenen Tango 53<br />
Magnificat 53<br />
At this moment 53<br />
Entführung aus dem Köchelverzeichnis 54<br />
Kontakt 55<br />
DIRECTORY (if in english)<br />
Biographie<br />
Works<br />
music for orchestra<br />
operas<br />
chamber orchester<br />
chamber music<br />
piano music<br />
choral music<br />
soundtracks<br />
Discographie<br />
Essays about ...<br />
Christian Bruhn<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> by Bruhn<br />
Norbert Schultze<br />
Speeches about ...<br />
100 years GEMA<br />
50 years German association of composers<br />
Cutups about ...<br />
Comments<br />
Abduction from the Köchel catalogue<br />
Contact<br />
1
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />
Reden Werkkommentare<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, geboren 1933 in Bonn, wuchs in<br />
Gera/Thüringen auf und studierte ab 1953 am Städtischen<br />
Konservatorium in Berlin-West. Ab 1961, nach<br />
seinem Abschlussexamen an der jetzigen Universität<br />
der Künste Berlin, gehörte er zum Schülerkreis Josef<br />
Rufers, studierte privat bei <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />
in München und war 1965 Mitbegründer der Gruppe<br />
Neue Musik Berlin.<br />
1969 erhielt <strong>Wahren</strong> den Rompreis (Villa Massimo),<br />
1970 Preis des „Rostrum of Composers“ (UNESCO<br />
Paris) für das Werk „Du sollst nicht töten“ für Orchester,<br />
Chor, Sprecher und Tonband. Er war mehrmals<br />
Stipendiat der „Internationalen Ferienkurse für Neue<br />
Musik“ in Darmstadt. 1978 konnte er den Förderungspreis<br />
der Berliner Akademie der Künste entgegennehmen,<br />
1994 das Bundesverdienst-kreuz, 2001<br />
den GEMA-Ehrenring, 2003 die Werner-Egk-Medaille<br />
(Schott Musik International). Von 1981 bis 2003 war er<br />
Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, von 1990 bis 2004<br />
Präsident des „Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes“.<br />
2003 wurde ihm die GEMA-Ehrenmitgliedschaft verliehen<br />
und 2004 wählte ihn der Deutsche <strong>Komponist</strong>enverband<br />
zu seinem Ehrenpräsidenten.<br />
Sein Œuvre weist gegenwärtig etwa 60 Kammermusik-kompositionen,<br />
20 Orchesterwerke, einige Filmmusiken<br />
und drei Opern auf: „Fettklößchen“ (Dt. Oper<br />
Berlin, 1976), „Goldelse“ (Berliner Festwoche, 1987)<br />
und „Galathee, die Schöne“ frei nach Franz v. Suppé<br />
(Dt. Oper Berlin, 1995). Orchesterwerke <strong>Wahren</strong>s<br />
wurden als Rundfunkaufführungen in über 40 Ländern<br />
weltweit gesendet, Kammermusikaufführungen fanden<br />
in den meisten europäischen Ländern statt, außerdem<br />
in den USA, in Südamerika, Australien und<br />
Japan. Ein Teil dieser Werke ist auf insgesamt 12 CDs<br />
dokumentiert.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> verfasste zahlreiche Rundfunkbeiträge,<br />
Aufsätze, Essays und Vorträge über zeitgenössische<br />
Musik. 2003 ernannte ihn der Bayerische Kulturminister<br />
Hans Zehetmair zum Honorarprofessor.<br />
Er lebt als freischaffender <strong>Komponist</strong> in Berlin.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, born 1933 in Bonn, he grew up in<br />
Gera/Thuringia; began to study piano and composition<br />
in 1953 in Berlin-West at what is today the “Universität<br />
der Künste”, where he graduated in 1961; continued<br />
his studies under Josef Rufer (Berlin) and <strong>Karl</strong> Amadeus<br />
Hartmann (Munich); co-founder of the “Gruppe<br />
Neue Musik, Berlin” in 1965.<br />
Awards: 1969 “Rompreis” (1 year at the Villa Massimo);<br />
1970 award of the “Rostrum of Composers”<br />
(Unesco, Paris) for his orchestral cantata “Du sollst<br />
nicht töten!” (Thou shalt not kill); 1978 award of the<br />
“Akademie der Künste”, 1994 Order of Merit (of Germany);<br />
2001 ring of honour of the GEMA; 2003 Werner<br />
Egk medal (Schott Music International) and (the same<br />
year) honorary member of the GEMA. From 1981 till<br />
2003 he was a member of the “GEMA-Aufsichtsrat”.<br />
From 1990 to 2004 he was the president of the German<br />
association of composers.<br />
<strong>Wahren</strong>´s musical works spans nearly all musical<br />
forms and includes 3 operas – “Fettklösschen” after<br />
Maupassant, Deutsche Oper Berlin, 1976; “Goldelse”<br />
(libretto Volker Ludwig), Berliner Festwochen for the<br />
750th anniversary of the city of Berlin, 1987; “Galathee,<br />
die Schöne” (libretto Thomas Höft) freely adapted<br />
from Suppé, Deutsche Oper Berlin, 1995 – as well<br />
as 20 orchestral works, more than 60 compositions of<br />
chamber music using various instruments and several<br />
choral works and film as well as Jazz scores. A selection<br />
of his works is available on CD.<br />
<strong>Wahren</strong> is also the author of numerous articles, essays<br />
and radio programmes about music. Following a<br />
series of lectures he gave at the Munich academy of<br />
music and theatre, he was named honorary professor<br />
in 2003. He also was named honorary president of the<br />
German association of composers in 2004.<br />
<strong>Wahren</strong> works as a freelance composer in Berlin.<br />
2
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Orchesterwerke (Auswahl)<br />
Klavierkonzert<br />
in 3 Sätzen,<br />
UA (Uraufführung) 1968<br />
At This Moment<br />
Orchesterkonzert in 3 Sätzen,<br />
UA 1976<br />
Circulus virtuosus<br />
für Holzbläserquartett und Orchester in 3 Sätzen,<br />
UA 1976<br />
Auf der Suche nach dem verlorenen Tango<br />
symphonische Dichtung für Orchester,<br />
UA 1979<br />
Romantische Suite<br />
für Violoncello und Orchester,<br />
UA 1980<br />
Brandenburgische Revue<br />
für Sprecher und Orchester in 9 Sätzen,<br />
UA 1984<br />
„Nächtliche Tänze toskanischer Jungfrauen in Florentinischen<br />
Gärten zur Blütezeit der Inquisition“<br />
für Big Band und Streichquintett,<br />
UA 1986<br />
Entführung aus dem Köchelverzeichnis<br />
für Orchester in 3 Sätzen,<br />
UA 1991<br />
Ecce Homo<br />
Orchestersuite nach Bildern von Otto Dix in 5 Sätzen,<br />
UA 1993<br />
Metropolis Berlin<br />
Suite für Big Band und Symphonieorchester in 4 Sätzen,<br />
UA 1998<br />
Bayreuther Impression<br />
für großes Orchester in 3 Sätzen,<br />
UA 2004<br />
Tango Capriccio<br />
für Orchester in einem Satz<br />
UA 2005<br />
Opern<br />
Fettklößchen<br />
Opera buffo nach Guy de Maupassant<br />
Libretto: Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
UA Deutsche Oper Berlin 1976<br />
Goldelse<br />
Satirische Oper<br />
Libretto: Volker Ludwig<br />
UA Berliner Festwochen zur 750-Jahrfeier 1987<br />
Galathee, die Schöne<br />
Singspiel frei nach Franz von Suppé<br />
Libretto: Thomas Höft<br />
UA Deutsche Oper Berlin 1995<br />
3
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Kammerorchester<br />
Wechselspiele<br />
für Flöte, Klavier u. Streichorchester<br />
UA Budapest 1967<br />
Zum Selbstmord des Genossen Jessenin<br />
nach Wladimir W. Majakowski<br />
für einen Sprecher, Zuspielband u. Kammerorchester<br />
UA Berlin 1972<br />
The Pitcher<br />
Groteske für einen Sprecher u. Kammerorchester<br />
Text: Peter Stripp<br />
UA Berlin 1977<br />
Der Unterhaltungskünstler<br />
Groteske für einen Sprecher, Gesangsquartett u.<br />
Kammerorchester, Text: Peter Stripp<br />
UA Berlin 1978<br />
Theatermusik<br />
Konzertante Suite in 8 Szenen für Kammerorchester<br />
UA Berlin 1981<br />
Les Fleurs du Mal et les Fleurs d’Innocence<br />
für Flöte, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichorchester<br />
UA 1988<br />
Lippenbekenntnisse<br />
Konzert für Posaune u. Kammerorchester<br />
UA Berlin 1990<br />
Kabuki<br />
Konzert für Schlagzeug und Kammerensemble<br />
UA Berlin 1992<br />
Alles was Odem hat ...<br />
Doppelkonzert für Flöte, Oboe u. Streichorchester<br />
UA Brandenburg a.d. Havel 1993<br />
Hamletpuzzle<br />
Satyrspiel für einen Sprecher u. Kammerorchester<br />
Text: Thomas Höft<br />
UA Berlin 1998<br />
Kammermusik (Auswahl)<br />
Pas de deux<br />
für Violine und 3 Holzbläser<br />
UA Haus am Waldsee Berlin 1961<br />
Frétillement<br />
für Flöte und Klavier in 2 Sätzen<br />
UA Amerika Gedenkbibliothek 1965<br />
Gruppe Neue Musik Berlin<br />
Sequenzen<br />
für Flöte, Cembalo und Marimbaphon in 2 Sätzen<br />
UA Forum-Theater Berlin 1965<br />
L`art pour l`art<br />
für Cello, Flöte, Klavier und Tonband<br />
UA Witten 1968<br />
Permutation<br />
für 3 Flöten<br />
UA Akademie der Künste Berlin 1968<br />
Application<br />
für Orgel<br />
UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1968<br />
Dionysos meets Apollo<br />
Streichquartett in 2 Sätzen<br />
UA Akademie der Künste Berlin 1970<br />
Increase<br />
für Flöte, Marimba und Orgel<br />
UA Kirchenmusiktage Kassel 1971<br />
Pas de deux pour Flutes<br />
für 2 Flöten in einem Satz<br />
UA Freiburg i. Br. 1974<br />
Soundscreen-Klangraster<br />
für Flöte und 2 Schlagzeuger<br />
UA Hochschule der Künste Berlin 1975<br />
Entrevue<br />
für Flöte und Orgel<br />
UA Eosanderkapelle Schloss Charlottenburg 1976<br />
Circulus octo virtuosis<br />
für Kammerensemble<br />
UA Berliner Kulturtage New York 1977<br />
4
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)<br />
En trois couleurs<br />
für Oboe, Klarinette und Fagott<br />
UA Braunschweig 1977<br />
Tango appassionato<br />
für Streichquartett<br />
UA Berliner Festwochen 1977<br />
Tango noir<br />
für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Violine, Viola, Cello<br />
und Kontrabass<br />
UA Das Neue Werk Hamburg in Turin 1978<br />
Schon ist die Zukunft da<br />
für Sprecher und kleines Ensemble<br />
(Text: Matthias Koeppel)<br />
UA Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg 1978<br />
Messingklänge<br />
für 4 Posaunen und Orgel<br />
UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1978<br />
Der Wettlauf<br />
für Altstimme und Flöte<br />
nach Texten von Joachim Ringelnatz<br />
UA Amerikahaus Berlin 1979<br />
Der Tierbändiger<br />
für Sprecher und Klavier (Text: Friederike Kempner)<br />
UA SFB Musikforum live 1983<br />
Nächtliche Tänze toscanischer Jungfrauen in florentinischen<br />
Gärten zur Blütezeit der Inquisition<br />
in 4 Sätzen<br />
für Cello und Kontrabass<br />
UA Gütersloh 1983<br />
Scherzando, Ritmico e Fugato per tre flauti<br />
in 3 Sätzen<br />
(Ich sei, gewährt mir die Bitte,<br />
in Eurem Bunde der Dritte)<br />
UA Richard Strauss Konservatorium München 1986<br />
Elegie des Sisyphos<br />
Streichquartett in 2 Sätzen<br />
UA Akademie der Künste Berlin 1987<br />
Drums-Trip Concertino<br />
für Drums-Quartett<br />
UA Hotel Intercontinental Berlin 1988<br />
Spirale<br />
für Percussions-Quartett in 3 Sätzen<br />
UA Fürth a.B. 1988<br />
Brass-Quintett in 4 Sätzen<br />
UA Frankfurt a.M. 1989<br />
Verborgen – in uns – Duo concertante<br />
für Violine und Klavier in 3 Sätzen<br />
UA im BKA Berlin 1989<br />
Largo Barbaro in 3 Sätzen<br />
für Kammerensemble<br />
UA Düsseldorf 1989<br />
„Der große Aufbruch“<br />
Ost-West Kammermusik<br />
zur Ausstellung Gerhard Andrees<br />
UA Halle 1992<br />
Nur in sich selbst<br />
für Solocello<br />
UA Berlin 1992<br />
Romantische Rhapsodie<br />
für Klavier<br />
UA Hamburg 1993<br />
Im Einklang ...<br />
für Oboe und Violoncello<br />
UA Akademie der Künste Berlin 1994<br />
Echospiele<br />
für 5 Blechbläser<br />
UA Haus am Waldsee Berlin 1994<br />
Gegenwärtig und Vergangen<br />
für Flöte, Schlagzeug und Violoncello<br />
UA Theater der Stadt Brandenburg 1996<br />
Stille meidend, Klänge flirrend<br />
für Flöte, Violoncello und Tonband<br />
UA Kirche Satemin Wendland 1997<br />
5
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)<br />
Verweilt im Augenblick<br />
für Flöte, Marimba und Violoncello<br />
UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1998<br />
Impression de temps perdu et de déjà vu<br />
für Flöte, Klavier und Violoncello<br />
UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1999<br />
Bachandante<br />
für Flöte, Marimba und Violoncello in 2 Sätzen<br />
UA Hochschule für Musik Weimar 2000<br />
Zwischenräume<br />
für Flöte, Violoncello und Harfe<br />
UA Lüchow-Dannenberg 2001<br />
Liebeswandel<br />
Variationen für Streichquartett<br />
UA Haus am Waldsee Berlin 2002<br />
Déjà vu à trois<br />
für Flöte, Klavier und Violoncello<br />
UA Kolbe Museum Berlin 2002<br />
Nebeneinander-Miteinander<br />
in drei Sätzen für Violine, Klarinette und Klavier<br />
UA BKA Berlin 2003<br />
Dreisam<br />
für Flöte, Klavier und Marimbaphon in 2 Sätzen<br />
UA Konzerthaus Berlin 2004<br />
Jeu musical pour trois<br />
für Oboe, Harfe und Violoncello<br />
UA Kolbe Museum Berlin 2004<br />
Tango burlesco<br />
für Tenorsax., Bassklari., Vibra., Elektrogit.,<br />
Violoncello u. Kontrabass<br />
UA 6. Weimarer Frühjahrstage für zeitg. Musik 2005<br />
Klaviermusik (Auswahl)<br />
Klassizistische Sonatine<br />
für Klavier in 3 Sätzen<br />
UA Städtisches Konservatorium Berlin 1959<br />
Kinder-Suite<br />
in 5 Sätzen für Klavier<br />
UA Grafschaft/Wilhelmshaven 1967<br />
Tango Rag<br />
für Klavier<br />
UA Hochschule für Musik Hamburg 1978<br />
Tango Rag<br />
für Klavier zu 4 Händen<br />
UA British Centre Berlin 1980<br />
Bye-Bye, Bayreuth<br />
für Klavier<br />
UA Hochschule für Musik Hamburg 1984<br />
Toccata Appasionata<br />
für Klavier<br />
UA Hochschule für Musik Lübeck 1986<br />
Paradiesvogel<br />
Burleske für Klavier<br />
UA Hochschule für Musik Hamburg 1987<br />
Sonate de l`Exposition<br />
pour Klavier<br />
UA Orangerie Schloss Charlottenburg Berlin 1998<br />
Gershwin meets Mozart<br />
Klaviervariationen<br />
UA Museum für angewandte Kunst Gera 2002<br />
6
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Chormusik (Auswahl)<br />
Du sollst nicht töten<br />
Kantate für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband<br />
UA 1969<br />
Passioni<br />
für 4-stimmigen Chor, Solosopran und 3 Instrumente<br />
nach Texten von Giordano Bruno<br />
UA Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche Berlin 1973<br />
Fernsehhymne<br />
für großen Chor (Text: Matthias Koeppel)<br />
UA Berliner Festwochen 1982<br />
Magnificat mundus pacem<br />
für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor und Orchester<br />
UA 1984<br />
Fuge an die Industrie<br />
für 4-stimmigen Chor (Text: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>)<br />
UA Akademie der Künste Berlin 1987<br />
Friedensoratorium (Anfang und Ende der Welt)<br />
für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor u. Orchester<br />
UA 2005<br />
Filmmusik<br />
Der Brudermord nach Kafka<br />
Fernsehfilm ohne Sprache.<br />
Manuskript und Regie: Lothar Geissler<br />
UA Filmakademie Berlin 1969<br />
Die Plapperschlange<br />
Surrealistischer Film von H. Otterson<br />
UA Kunstamt Tiergarten Berlin 1972<br />
Fragen an die Wirklichkeit<br />
Film-Bild-Projekt von Gerhard Andrees<br />
UA London-Lewisham 1975<br />
Wasser: Pulsieren<br />
Zwei Experimentalfilme von Ernst Reinboth<br />
UA Akademie der Künste 1977<br />
Kyritz-Pyritz<br />
Altberliner Posse nach H. Wuttig und O. Justinus, bearbeitet<br />
als Fernseh-Musical von Stefan Wigger und<br />
K.H. <strong>Wahren</strong>, Regie: Stefan Wigger<br />
UA ARD 1979<br />
Herzlichen Glückwunsch<br />
Sozialkritischer Spielfilm von W. Voigt und A. Quest<br />
UA Hofer Filmtage 1982<br />
Stadt-Raum-Landschaft<br />
Film von Gerhard Andrees<br />
Landschaft heute, aus ihrer historischen Entwicklung<br />
UA TV Offener Kanal Berlin 1989<br />
Ich und Christine<br />
Buch und Regie: Peter Stripp; mit Götz George, Christiane<br />
Paul, Daniel Morgenrot, Jutta Speidel, Maximilian<br />
Wigger u.a. UA Filmbühne Wien Berlin 1992<br />
Metropolis<br />
Zweistündiger Stummfilm von 1927<br />
Buch: Thea von Harbou, Regie: Fritz Lang<br />
Musik für großes Symphonieorchester zusammen mit Bernd<br />
Wefelmeyer im Auftrag des Filmorchesters Babelsberg<br />
UA 5. Film & Musikfest Bielefeld - Oetkerhalle (22. Okt. 1994)<br />
Die seltsamen Abenteuer des Mr. West<br />
im Lande der Bolschewiki<br />
Stummfilmgroteske, UdSSR 1924, R: Lew Kuleschow<br />
Musik: Bernd Wefelmeyer und K. H. <strong>Wahren</strong><br />
UA 13. FilmFestival Cottbus (4. Nov. 2003)<br />
7
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Ricordandi a Verdi (Erinnerungen an Verdi)<br />
3. Streichquartett – Florestan Quartett (Bielefeld)<br />
Verlag für Neue Musik, Kreuzberg Records<br />
LC 255 Nr. 10033<br />
Les Fleurs du Mal et les Fleurs de l’Innocence<br />
Universal Ensemble Berlin –<br />
Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
(sowie Werke von Gerald Humel, Rainer Rubbert,<br />
Wilhelm Dieter Siebert)<br />
CD-Largo 5116<br />
Spirale für Schlagzeugquartett<br />
Percussion Art Quartett Würzburg<br />
CD-Thorophon Capella CTH 3063<br />
Klaviermusik<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> und <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />
Peter Roggenkamp (Hamburg) – Klavier<br />
CD-Largo 5121<br />
Ich und Christine<br />
Original Soundtrack zum Götz George Film<br />
von Peter Stripp<br />
Swing Studio Ensemble Berlin –<br />
Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
CD-ZYX-Musik 20264-2<br />
Selbst und auch zur Weite der Nacht<br />
Universal Ensemble Berlin –<br />
Leitung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
CD-Interconti Production - Nau Verlag Berlin<br />
Du sollst nicht töten<br />
Kantate für Sprecher, Jazzsolisten, Chor und<br />
Orchester<br />
RIAS-Orchester, RIAS-Kammerorchester –<br />
Leitung: Klaus Martin Ziegler<br />
CD-Pelca - PSRX 40602<br />
Klangdenkmal<br />
A Monument in Sound for the Victims of the Holocaust<br />
for String quartet –<br />
von 28 <strong>Komponist</strong>en einzelne Sätze<br />
2002 M.T.A. -<br />
TIM The International Music Company AG<br />
Order No 220813 PC 215 (Tel. +49-40-6699160)<br />
Auf weiteren 12 CD’s sind die wichtigsten Orchester-<br />
und Kammermusik-Kompositionen dokumentiert.<br />
8
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Reden Kritiken Werkkommentare<br />
Marmorstein und Liebeskummer –<br />
die musikalische Vielfalt eines Lebensweges<br />
Zum 70. Geburtstag von Prof. Christian Bruhn<br />
von Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Es ist für mich eine schöne Genugtuung des Herzens,<br />
über das Leben eines verehrten Kollegen schreiben<br />
zu dürfen, zumal es mit innerer Anteilnahme und aus<br />
Überzeugung geschieht. Der 70. Geburtstag des<br />
<strong>Komponist</strong>en, Pianisten, Musikproduzenten, Publizisten<br />
und Hochschulprofessors Christian Bruhn ist mir<br />
Anlass, seinen abwechslungsreichen und mit musikalischer<br />
Vielfalt verlaufenen Lebensweg, allerdings den<br />
hier gegebenen Möglichkeiten entsprechend verkürzt,<br />
nachzuzeichnen. Als Erinnerungsstütze dient mir die<br />
über zwanzigjährige gemeinsame Zeit im GEMA-Aufsichtsrat<br />
und im Vorstand des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes,<br />
aber auch die in Bruhns Biografie<br />
„Marmor, Stein und Liebeskummer” zusammengefassten<br />
„Essay’s, Reden, Gedichte, Gedanken und Gefühle<br />
– von ihm selbst aufgeschrieben”.<br />
Der ausdrückliche Hinweis im Vortext seiner Biografie:<br />
„... von mir selbst aufgeschrieben” soll der Vermutung<br />
vorbeugen, er könnte, wie heute gern praktiziert, einen<br />
Journalisten mit der Niederschrift beauftragt haben.<br />
Christian Bruhn jedoch ist sein eigener Schriftsteller,<br />
so wie er auch seine Bigband-Arrangements<br />
oder die orchestralen Filmkompositionen stets selbst<br />
schrieb und keine Bearbeiter bemühen musste, wie so<br />
mancher seiner Kollegen, dem die Kunst des Partiturschreibens<br />
zeitlebens ein Rätsel bleibt.<br />
Die handwerklichen Grundlagen, die es Bruhn ermöglichten,<br />
seine jugendlich-besessene Liebe zur Tanz-<br />
und Jazzmusik später ins Kompositorische praktisch<br />
umzusetzen, verdankt das bereits mit vier Jahren<br />
selbstständig am Klavier in Terzen fantasierende Kind<br />
der couragierten Mutter. Sie war „der Kunst wie auch<br />
dem Irdischen zugetan” und sorgte frühzeitig dafür,<br />
dass ihr Erstgeborener sinnvollen Klavierunterricht<br />
erhielt.<br />
Der Vater, Sohn des auch als Erfinder tätigen Sanitätsrates<br />
Dr. Adolf Christian Bruhn, betrieb bis 1933 einen<br />
Kunstverlag und brachte die Familie als Kaufmann<br />
geschickt durch die Wirrnisse des Dritten Reiches. Er<br />
„malte sehr schön und anständig – zwischen im- und<br />
frühexpressionistisch”, Klavier allerdings spielte er, im<br />
Gegensatz zu seiner routiniert Noten lesenden Frau,<br />
nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör. Durch<br />
seine künstlerische Tätigkeit war er mit Malern wie<br />
Marble Stone and Problems with Love –<br />
The Musical Variety of a Life<br />
For the 70th Birthday of Prof. Christian Bruhn<br />
by Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
It is very gratifying for me to be allowed to write about<br />
the life of an esteemed colleague, especially since I<br />
do this with inner sympathy and conviction. The 70th<br />
birthday of the composer, pianist, music producer, publicist<br />
and university professor Christian Bruhn is a<br />
good reason for me to trace his eventful path in life that<br />
has been accompanied by musical variety. However,<br />
I will abridge it to appropriately fit this occasion. The<br />
more than twenty years of time together on the GEMA<br />
Board of Supervisors and the Executive Board of the<br />
German Composers’ Association, as well as the “essays,<br />
speeches, poems, thoughts and feelings - written<br />
by his own pen” integrated into Bruhn’s biography<br />
Marmor, Stein und Liebeskummer (Marble, Stone and<br />
Problems with Love), serve to refresh my memory.<br />
The express reference in the foreword of his biography:<br />
“... written by my own pen” is intended to prevent<br />
the assumption that he commissioned a journalist to<br />
write it down, which is a popular practice these days.<br />
However, Christian Bruhn is his own writer, just as he<br />
also always wrote his big-band arrangements or the<br />
orchestral film compositions himself and no arranger<br />
had to make the effort, as in the case of some of his<br />
colleagues to whom the art of writing a score remains<br />
a mystery for their entire lives.<br />
The child who was already independently extemporising<br />
in thirds at the piano at the age of four years owes<br />
the fundamental craftsmanship that allowed Bruhn to<br />
later practically translate his youthful-obsessed love of<br />
dance and jazz music into compositions to his courageous<br />
mother. She “had a great affection for both art<br />
and the mundane” and made sure that her first-born<br />
child received meaningful piano instruction at an early<br />
age. The father, the son of the public-health councillor<br />
Dr. Adolf Christian Bruhn, who was also an inventor,<br />
ran an art-publishing house until 1933 and skilfully<br />
brought his family through the confusion of the Third<br />
Reich as a businessman. He “painted in a very beautiful<br />
and respectable way – between Impressionism and<br />
Early Expressionism; however, in contrast to his wife<br />
who was experienced at reading music, he only played<br />
the piano on the black keys and by ear. As a result of<br />
his artistic work, he was friends with painters like Emil<br />
Nolde, August Macke, Willi Baumeister and their gal-<br />
9
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Emil Nolde, August Macke, Willi Baumeister und deren<br />
Galeristen befreundet.<br />
Christian Bruhn wuchs in einer bildungs- und kunstinteressierten<br />
Familie auf, deren Domizil infolge des<br />
Krieges von Hamburg nach dem damals zu Deutschland<br />
gehörenden Österreich verlegt wurde. Da Kärnten<br />
aller Voraussicht nach von Luftangriffen verschont<br />
bleiben würde, reiste die Mutter mit Sohn Christian und<br />
der jüngeren Tochter dorthin. Der Vater kam kriegsbedingt<br />
nur gelegentlich zu Besuch. Dort, hoch droben<br />
auf dem Berg, wurde Christian eingeschult und verinnerlichte<br />
in den nächsten Jahren das süddeutsche Idiom,<br />
in dessen Sprachbereich er später die meiste Zeit<br />
seines Lebens verbringen sollte. Aber kurz vor Kriegsende<br />
ging es zunächst von dem inzwischen geliebten<br />
Gebirge wieder zurück in die norddeutsche Tiefebene,<br />
nach Wentorf im Großraum Hamburg, das dann bald<br />
zur britischen Besatzungszone gehörte.<br />
Hier in seiner Geburtsheimat besuchte er das Reinbeker<br />
Gymnasium und gründete dort, knapp vierzehnjährig,<br />
seine erste Schülerkapelle, mit der er zu<br />
Schulfesten etc. aufspielte. Da es in der unmittelbaren<br />
Nachkriegszeit kaum gedruckte Noten gab, Papier<br />
war wie alles andere ebenfalls Mangelware, hörte<br />
Christian die Schlager vom Radio ab und ergänzte<br />
das Repertoire seiner Band mit selbst geschriebenen<br />
Noten. Gelegentlich schrumpfte das kleine Ensemble<br />
zum Duo, dann bestand die Besetzung lediglich aus<br />
Klavier und Schlagzeug. Aber auch diese Verkürzung<br />
konnte den blutjungen Entertainer nicht bremsen, seine<br />
ersten Versuche zur eigenen Schlagerproduktion<br />
zu starten.<br />
Doch Enthusiasmus und Elan allein reichen nicht, die<br />
Zeit war noch nicht reif für den <strong>Komponist</strong>en Bruhn.<br />
Zunächst formte er sich in den nächsten Jahren zum<br />
Pianisten, durch ein intensives theoretisches wie praktisches<br />
privates Musikstudium neben der Schule. Als<br />
junger Musiker verdiente er dann den Lebensunterhalt<br />
für sich und seine Verlobte Christiane. 1956 wurde in<br />
München geheiratet, und hier beendete Christian auch<br />
seine Karriere als Tanz- und Jazzmusiker, er arbeitete<br />
als Arrangeur und Produzent für die Firma Spezial<br />
Record, die mit ihrem Label Tempo-Schallplatten so<br />
genannte Nachzieher, also preiswertere Zweitversionen<br />
der gerade erfolgreichsten Hits produzierte. Hier<br />
erlernte Bruhn die Voraussetzungen für seinen späteren<br />
Hauptberuf als Schlager-, Film- und Fernsehkomponist.<br />
Wie bereits eingangs erwähnt, gehört zu<br />
Bruhns persönlichem Berufsziel „das Selbst-Erfinden<br />
lerists. Christian Bruhn grew up in a family interested<br />
in education and art, whose domicile was moved from<br />
Hamburg to Austria, which belonged to Germany at<br />
that time, as a result of the war. Since it appeared that<br />
Carinthia would remain spared of air attacks, the mother<br />
travelled there with son Christian and the younger<br />
daughter. Because of the war, the father only came<br />
to visit occasionally. There, high up on the mountain,<br />
Christian was enrolled in elementary school and in the<br />
subsequent years internalised the southern German<br />
idiom in whose linguistic realm he later spent most of<br />
his time. But shortly before the end of the war, they left<br />
the mountains that he had grown to love and initially<br />
returned to the northern German lowlands, to Wentorf<br />
in the Greater Hamburg area, which became a part of<br />
the British zone of occupation soon thereafter.<br />
Here, in the homeland of his birth, he attended the<br />
Reinbeker Gymnasium (secondary school). When he<br />
was barely fourteen years old, he established his first<br />
student band here and played at school parties with<br />
it. Since there was hardly any printed music directly<br />
after the war because paper was a scarce commodity,<br />
like everything else, Christian listened to the Schlager<br />
songs on the radio and added to the repertoire of<br />
his band by writing down the music himself. The little<br />
ensemble occasionally shrank into a duo, which consisted<br />
of just piano and drums. But even this curtailment<br />
could not stop the very young entertainer from beginning<br />
his first attempts at producing his own Schlager<br />
songs.<br />
Yet, enthusiasm and élan are not enough. The time<br />
was not yet ripe for the composer Bruhn. In the following<br />
years, he first developed himself as a pianist<br />
through intensive theoretical and practical private music<br />
studies in addition to school. As a young musician,<br />
he then earned a livelihood for himself and his fiancée<br />
Christiane. In 1956, they married in Munich and Christian<br />
also ended his career as a dance and jazz musician<br />
at this time. Instead, he worked as an arranger<br />
and producer for the company Spezial Record, which<br />
produced the so-called copies, cheaper second versions<br />
of the most successful hits of the moment, with its<br />
label Tempo-Schallplatten. This is where Bruhn learned<br />
the prerequisites for his later main profession as<br />
a composer for Schlager songs, film and television. As<br />
already mentioned at the beginning, one of Bruhn’s<br />
personal professional goals was “the self-invention of<br />
the entire sound image” and he was able to do practical<br />
experiments at Spezial Record.<br />
10
KARL HEINZ WAHREN<br />
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des gesamten Klangbildes” und bei Spezial Record<br />
konnte er praktisch experimentieren.<br />
Er profilierte sich zunehmend als Arrangeur, erhielt<br />
erste Fernsehaufträge, schrieb sich die Finger wund<br />
und lernte im Tempo-Studio bei den Musikaufnahmen<br />
seine zweite Frau, die Sängerin Charlotte Bischoff<br />
kennen, die ihm zwei Söhne schenkte. Johannes, der<br />
Jüngere, promovierte als Pädagoge, während sich Sebastian<br />
für den Beruf eines Kameramannes entschied<br />
und durch die Geburt seiner Tochter Ella den Vater<br />
Christian in den Status des Großvaters erhob.<br />
Zurück ins Jahr 1960, denn da gab es mit einer eigenen<br />
Komposition den ersten großen Erfolg, mit<br />
Midi-Midinette. Dieses Liebeslied auf ein Pariser Mädchen,<br />
das so schön ist wie die Stadt an der Seine,<br />
sang Conny Froboess mit ihrer frischen, jugendlichen<br />
Stimme. Damit begannen die viele Jahre fortgeführten<br />
Produktionen mit dem gleichaltrigen Berliner Verleger<br />
Peter Meisel, Sohn des Erfolgskomponisten und<br />
Musikverlegers Will Meisel. Aus dieser Zusammenarbeit<br />
entstand die Freundschaft und daraus schließlich<br />
eine lange Reihe von bedeutsamen musikalischen<br />
Erfolgen. Gemeinsam entdeckten sie das Multitalent<br />
Drafi Deutscher und die Sängerin Manuela, diese<br />
führte Schuld war nur der Bossa Nova zum Hit, Drafi<br />
Deutscher 1965 Marmor, Stein und Eisen bricht, der<br />
einer der populärsten deutschen Schlager überhaupt<br />
werden sollte. Aus der produktiven Partnerschaft dieser<br />
beiden Bigband- Fans Rudolf Günter Loose/Christian<br />
Bruhn entstanden später weitere zahlreiche<br />
Erfolgstitel, denn Wunder gibt es immer wieder und<br />
Ein bißchen Spaß muß ... schließlich auch dabei sein.<br />
Zuvor trafen Anfang der sechziger Jahre das Autorenduo<br />
Bruhn/Georg Buschor (Text) mit ihrem Song<br />
Zwei kleine Italiener zielgenau den Zeitnerv. Bei den<br />
Deutschen Schlagerfestspielen 1962 in Baden-Baden<br />
ersang Conny Froboess damit den begehrten 1. Preis<br />
und auf allen Sendern ertönte dieses reizende Lied<br />
vom schmerzvollen Verlangen junger italienischer<br />
Gastarbeiter nach ihrer warmen, südlichen Heimat.<br />
Schlagerlieder überhöhen im Allgemeinen die Realität<br />
mit einer textlichsehnsüchtigen Unwirklichkeit, die<br />
Zwei kleinen Italiener jedoch lagen ziemlich genau,<br />
ohne Samtäugigkeit, an der damaligen Realität. Christian<br />
Bruhn möchte mit seiner Musik möglichst vielen<br />
Menschen Freude bereiten. Dieses Wunschziel darf<br />
man – nicht nur hier – als gelungen ansehen. Wenn<br />
einige Kollegen glauben, solcher Musik gegenüber<br />
eine vornehme Miene aufsetzen zu müssen, so mö-<br />
He increasingly distinguished himself as an arranger,<br />
received his first television commissions, wrote his fingers<br />
to the bone and met his second wife, the singer<br />
Charlotte Bischoff, at the Tempo Studio while recording<br />
music. She gave him two sons: Johannes, the<br />
younger one, graduated as an educator while Sebastian<br />
decided on the profession of a cameraman and<br />
elevated his father Christian to the status of a grandfather<br />
through the birth of his daughter Ella.<br />
Let’s go back to the year 1960 because this is when he<br />
had his first big success with one of his own compositions,<br />
“Midi-Midinette.” This love song for a Parisian girl<br />
who is as beautiful as the city on the Seine was sung<br />
by Conny Froboess with her fresh, youthful voice. This<br />
started many years of continuing productions with the<br />
Berlin publisher Peter Meisel, son of the successful<br />
composer and music publisher Will Meisel, who was<br />
the same age as Christian.<br />
This collaboration became a friendship that ultimately<br />
resulted in a long series of significant musical successes.<br />
Together they discovered the multi-talented Drafi<br />
Deutscher and the singer Manuela, who made a hit<br />
of “Blame It on the Bossa Nova.” Drafi Deutscher’s<br />
1965 recording of “Marmor, Stein und Eisen bricht”<br />
(Marble, Stone and Iron Breaks) was to become one<br />
of the most popular German Schlager songs ever.<br />
The productive partnership of the two big-band fans<br />
Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn later resulted<br />
in numerous other successful titles such as “Wunder<br />
gibt es immer wieder” and “Ein bisschen Spass muß<br />
auch dabei sein.” Even before this, the author duo<br />
Bruhn/Georg Buschor (lyrics) accurately hit the nerve<br />
of the times with their song “Zwei kleiner Italiener”. At<br />
the German Schlager Festival of 1962 in Baden-Baden,<br />
Conny Froboess sang her way to the coveted 1st<br />
Prize with it and this charming song about two young<br />
Italian foreign workers feeling a painful desire for their<br />
warm, southern homeland could be heard on all of the<br />
stations.<br />
Although Schlager songs generally exaggerate the<br />
reality with lyrics that express an artificial yearning,<br />
Zwei kleiner Italiener was very accurate in reflecting<br />
the reality of that time without any velvety eyes. With<br />
his music, Christian Bruhn would like to bring joy to as<br />
many people as possible. It is safe to say that he has<br />
attained this desired goal – and not just here. If some<br />
of the colleagues believe that they have to put on a distinguished<br />
face with regard to this type of music, may<br />
11
KARL HEINZ WAHREN<br />
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gen diese Kaltschwärmer von emotionslosen Ton- und<br />
Geräuschfolgen sich auf die heute längst offenkundig<br />
gewordene Legitimationskrise der E- Musik konzentrieren.<br />
Damals jedenfalls, als Conny Froboess den 1. Preis<br />
in Baden-Baden sich und ihren Autoren ersang, litt<br />
weder die E-Musik noch der deutsche Schlager unter<br />
einer Legitimationskrise oder unter terminologischen<br />
Definitionsschwierigkeiten zum eigenen Genre. Es ist<br />
freilich schon fast ein halbes Jahrhundert her, dass<br />
die Deutschen Schlagerfestspiele eine fest installierte<br />
Institution der U-Musik waren, von einem Millionenpublikum<br />
aufmerksam verfolgt und genährt durch den<br />
rechtlich-öffentlichen Rundfunk und das Fernsehen,<br />
an deren Seriosität niemand zweifelte.<br />
Nachdem der Gartenzwerg-Marsch (Adelheid) zum<br />
Text von Hans Bradtke ein Dauerhit wurde, es für die<br />
Zwei kleinen Italiener die erste Goldene Schallplatte<br />
(damals für eine Million verkaufter Exemplare) und<br />
den Bronzenen Spatz gab, blieb dem fleißigen Duo<br />
Bruhn/Buschor der Erfolg auch weiterhin treu, denn sie<br />
erzielten bei den Schlagerfestspielen 1964 erneut den<br />
ersten Preis, dieses Mal mit ihrem Titel Liebeskummer<br />
lohnt sich nicht. Siw Malmquist war die Gesangsinterpretin,<br />
begleitet von der Rolf-Hans-Müller-Bigband<br />
des Südwestfunks. Im folgenden Jahr, gerade hatte<br />
der Dauerbrenner Marmor, Stein und Eisen gezündet,<br />
gab es den Goldenen Spatz für Liebeskummer lohnt<br />
sich nicht und eine „3/4” Goldene Schallplatte. Es folgten<br />
die Hits Lord Leicester aus Manchester und Monsieur<br />
Dupont, beides von Manuela gesungen, Wärst<br />
Du doch in Düsseldorf geblieben (Dorthe Kollo), Hinter<br />
den Kulissen von Paris (Mireille Mathieu) und Wunder<br />
gibt es immer wieder. Mit diesem Lied gewann Katja<br />
Ebstein beim internationalen Schlagerwettbewerb<br />
Grand Prix d’Eurovision in Amsterdam den 3. Preis<br />
für Deutschland, sie gewann aber auch das Herz von<br />
Christian Bruhn, und 1972 wurde geheiratet.<br />
Erhielt 1963 das Heimwehlied Zwei kleine Italiener die<br />
erste Goldene Schallplatte, so folgten 1972 für Akropolis<br />
Adieu und 1974 für La Paloma Ade – beides gesungen<br />
von Mireille Mathieu – die nächsten Goldenen<br />
Schallplatten.<br />
Das saisonunabhängige, auf längere Dauer angelegte<br />
erfolgreiche Schlagerproduzieren verlangt von<br />
den Autoren nicht nur solide handwerklich-musikalische<br />
Grundlagen, sondern auch viel Ernst im heiteren<br />
Spiel. Freilich muss auch genügend heiteres Spiel im<br />
these cold enthusiasts of emotionless sequences of<br />
tones and sounds concentrate on the identification crisis<br />
of classical music that has long become apparent.<br />
In any case, back when Conny Froboess and her authors<br />
won the 1st Prize in Baden-Baden, neither classical<br />
music nor the German Schlager suffered from<br />
an identification crisis or from terminological definition<br />
difficulties regarding their own genre. Of course, the<br />
German Schlager Festival has become a solidly established<br />
institution of light music, attentively followed<br />
by an audience of millions and fed by public broadcasting<br />
and television, the respectability of which no one<br />
can doubt during the nearly fifty years of its existence.<br />
After the “Gartenzwerg-Marsch” (Garden Gnome<br />
March, Adelheid) to the lyrics by Hans Bradtke became<br />
a continuous hit, “Zwei kleiner Italiener” received<br />
the first Gold Record (awarded back then for one million<br />
copies sold) and the Bronze Sparrow, success remained<br />
faithful to the diligent duo Bruhn/Buschor because<br />
they once again achieved the first prize at the<br />
1964 Schlager Festival with their title “Liebeskummer<br />
lohnt sich nicht.” Siw Malmquist was the vocal performer,<br />
accompanied by the Rolf Hans Müller Bigband of<br />
Southwest Broadcasting.<br />
In the following year, as the long-lasting success “Marmor,<br />
Stein und Eisen bricht” was just taking off, they<br />
received the Golden Sparrow for “Liebeskummer lohnt<br />
sich nicht” and a “3/4” Gold Record. These were followed<br />
by the hits “Lord Leicester aus Manchester” and<br />
“Monsieur Dupont,” both of which were sung by Manuela,<br />
“Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben” (Dorthe<br />
Kollo), “Hinter den Kulissen von Paris” (Mireille Mathieu)<br />
and “Wunder gibt es immer wieder.” With this<br />
last song, Katja Ebstein collected the 3rd Prize for<br />
Germany at the international song contest Grand Prix<br />
d’Eurovision in Amsterdam, but she also won the heart<br />
of Christian Bruhn and they married in 1972.<br />
In 1963, the “Zwei kleiner Italiener” song about homesickness<br />
received the first Gold Record, which was<br />
followed in 1972 by “Akropolis Adieu” and in 1974 by<br />
“La Paloma Ade” – both sung by Mireille Mathieu – the<br />
next Gold Records.<br />
The non-seasonal, long-term successful production of<br />
Schlager songs demands not only solid craftsmanship<br />
and musical foundations from the authors but also<br />
a great deal of seriousness while having fun. There<br />
must obviously also be enough fun in the serious-<br />
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KARL HEINZ WAHREN<br />
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Ernst sein und dem Publikum immer wieder Neues im<br />
Vertrauten geboten werden, bis sich die Paradigmen<br />
scheinbar erschöpft haben und unter neuem Anstrich<br />
das Vertraute die Empfindungsscala der Rezipienten<br />
wieder zum positiven Mitschwingen bringt. Unter diesen<br />
Gegebenheiten über viele Jahre hin zu reüssieren<br />
ist nur wenigen <strong>Komponist</strong>en vergönnt. Christian<br />
Bruhn gelang es, als einer der schöpferisch erfolgreichsten<br />
Popularmusikautoren in der zweiten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts zu wirken.<br />
Aus den verschiedenen Genres seines Oeuvres<br />
möchte ich hier nur einige Beispiele erwähnen, wie<br />
der von Katja Ebstein mit großem Nuancenreichtum<br />
interpretierte Heine-Zyklus. Der Schriftsteller Friedrich<br />
Torberg war hingerissen und schrieb 1976 begeistert:<br />
„Christian Bruhn – und daher die frappante Gültigkeit<br />
seiner Vertonungen – hat sich fast ausschließlich an<br />
Heine-Gedichte gehalten, die schon von sich aus<br />
Chansons waren. (…) Aber da glaubt man immer ein<br />
listiges, lustiges Zwinkern aus der Musik herauszuhören.<br />
Kein liebliches Geläute zieht leise durchs Gemüt,<br />
um den Loreleifelsen wogt es von beinahe Rheintöchtern,<br />
Melodie und Instrumentation lassen auch<br />
nicht den kleinsten Tropfen Schmalz einsickern. (…)”<br />
Ebenso wenig verwandt dem Schlageralltag ist der<br />
fürs Fernsehen in zwölf Folgen komponierte Zyklus<br />
James Tierleben nach Gedichten von James Krüss.<br />
Allein die Fernseh- und Filmmusiken nur aufzuzählen,<br />
würde den Rahmen dieses Essay’s sprengen.<br />
Um wenigstens einige Titel zu nennen: Timm Thaler,<br />
Sindbad, Alice im Wunderland, Jack Holborn, Captain<br />
Future, Die Post geht ab, Die Banditen vom Rio Grande,<br />
Apartmentzauber, Maibritt, Fit forever, Manni der<br />
Libero, All meine Töchter, Abenteuer in Afrika, Hans<br />
im Glück, Hotel Shanghai usw.<br />
Die Musik zur Fernsehserie Jack Holborn wurde von<br />
dem Symphonieorchester Kurt Graunke 1982 in den<br />
Münchener Bavaria Tonstudios eingespielt. Was da<br />
in den 16 durchschnittlich knapp drei Minuten langen<br />
Musik-Takes an thematischem Material geboten wird,<br />
daraus hätte im 19. Jahrhundert ein talentierter Tonsetzer<br />
mindestens vier romantische Symphonien komponiert.<br />
Bruhns Instrumentation ist hier impressionistisch<br />
orientiert und von erlesener Farbigkeit. Schade, dass<br />
nur wenige Musikfreunde um diese ganz erstaunliche<br />
Vielfachbegabung Bruhns wissen, denn solche Musik<br />
ist auch ohne Filmbilder sehr hörenswert.<br />
Ganz anders klingt dagegen der Soundtrack zu Hotel<br />
Shanghai (nach Vicki Baums Roman), 1997 vom Babelsberger<br />
Filmorchester aufgenommen. Hier demon-<br />
ness, and the audience must constantly be offered<br />
something new within the familiar until the paradigms<br />
are apparently exhausted and what is familiar once<br />
again elicits a positive resonance from the recipients’<br />
emotional scale under a new veneer. Under these circumstances,<br />
having songs that are successful over<br />
many years is something that has only been granted<br />
to very few composers. Christian Bruhn accomplished<br />
this as one of the creatively most successful authors<br />
of popular music during the second half of the 20th<br />
Century.<br />
I would like to just mention a few examples from the<br />
various genres of his oeuvre, such as the Heine Cycle<br />
that was performed by Katja Ebstein with a wealth of<br />
nuances. The writer Friedrich Torberg was fascinated<br />
and enthusiastically wrote in 1976: “Christian Bruhn<br />
– and therefore the remarkable validity of his compositions<br />
for poetry – has almost exclusively followed the<br />
Heine poems, which were actually already chansons<br />
(…) But we believe that we are always hearing a wily,<br />
humorous winking from the music. No sweet chimes<br />
run through the soul, the almost daughters of the Rhine<br />
are surging around the rocks of the Lorelei and not<br />
the smallest drop of schmaltz has seeped into the melody<br />
and instrumentation (…)”<br />
He composed the cycle James Tierleben, based on<br />
poems by James Krüss, for television in twelve episodes<br />
and this also has little in common with the everyday<br />
life of the Schlager song. Just listing the compositions<br />
of television and film music would exceed<br />
the scope of this essay. To name just a few of the titles:<br />
“Timm Thaler,” “Sindbad,” “Alice im Wunderland,”<br />
“Jack Holborn,” “Captain Future,” “Die Post geht ab,”<br />
“Die Banditen vom Rio Grande,” “Apartmentzauber,”<br />
“Maibritt,” “Fit Forever,” “Manni der Libero,” “All meine<br />
Töchter,” “Abenteuer in Afrika,” “Hans im Glück,” “Hotel<br />
Shanghai,” etc.<br />
The music for the television series Jack Holborn was<br />
recorded by the Symphonic Orchestra Kurt Graunke in<br />
1982 at Munich’s Bavaria Sound Studios. The thematic<br />
material that was offered in those 16 music takes<br />
that were an average of just less than three minutes<br />
in length would have sufficed a talented 19th century<br />
composer for at least four romantic symphonies.<br />
Bruhn’s instrumentation is impressionistically oriented<br />
here and exquisitely colourful. It’s unfortunate that so<br />
few music fans know about Bruhn’s quite astonishing<br />
multi-talented abilities because such music is also very<br />
13
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Reden Werkkommentare<br />
striert Christian Bruhn elegant, dass er die musikalischen<br />
Codes aller Tanzmusikarten brillant beherrscht,<br />
ob Tango, Blues, Charleston usw. Einzelne Musikstükke<br />
zeichnen sich durch interessante, exotisch- fernöstliche<br />
Klangphänomene aus und folgen damit der<br />
Filmhandlung. Der Titelsong erinnert an die frühen<br />
James-Bond-Filme und ist ebenso geschickt wie aufwändig<br />
instrumentiert, beherrscht von der groovenden<br />
Stimme Jocelyn B. Smiths. Diese wenigen Beispiele<br />
zeigen den außerordentlichen musikalischen Ideenreichtum<br />
des <strong>Komponist</strong>en Christian Bruhn. Populär<br />
wurde er jedoch durch seine Schlagererfolge, die ihm<br />
schließlich auch neben den Film- und Fernsehmusiken<br />
eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage gaben.<br />
Sein frühes Bohemientum mündete im Verlaufe der<br />
Jahre in eine allgemeine Lebensbürgerlichkeit, die<br />
sich äußerlich in seiner geräumigen Sollner Villa mit<br />
Garten, eigenen Aufnahmestudios, lichten Wohnräumen,<br />
einem Schwimmbad und schönen Gästezimmern<br />
manifestierte. Das Haus ist im späten Jugendstil<br />
mit Tendenz zur neuen Sachlichkeit entworfen und im<br />
Jahr 1922 gebaut.<br />
Die immer wieder beruflich bedingten Trennungen<br />
von der singenden Ehefrau führten wohl auch zur<br />
Scheidung. Jedoch verhalf Katja Ebstein noch einigen<br />
Bruhn-Songs zum Erfolg, wie Der Stern von Mykonos<br />
oder Ein Indiojunge aus Peru. Um in sich kein Gefühl<br />
der Vereinsamung aufkommen zu lassen, heiratete<br />
Christian Bruhn 1976 die junge, begabte Sängerin<br />
Erika Götz. Ihr gelangen im Duo mit ihrer fast gleichaltrigen<br />
Schwester unter anderem mit Heidi und Die<br />
Musik kommt aus Böhmen neue, sehr schöne Erfolge.<br />
Christian arbeitete mit Fleiß weiter und wurde in den<br />
folgenden Jahren dafür mit dem Goldenen Hufeisen<br />
(1986), der Goldenen Stimmgabel (1987), dem Paul-<br />
Lincke-Ring (1993), der Goldenen Nadel der Dramatiker<br />
Union, der Richard-Strauss-Medaille der GEMA<br />
und der Verdienstmedaille des Deutschen Musikverleger-Verbandes<br />
(1999) belohnt.<br />
Inzwischen hatte ihn 1982 die GEMA-Mitgliederversammlung<br />
mit großer Mehrheit in den Aufsichtsrat<br />
gewählt, d.h. er musste zunächst zur Kandidatur<br />
überredet werden. Der gleiche Vorgang wiederholte<br />
sich 1991, als es galt, nach dem plötzlichen Tod von<br />
Raimund Rosenberger einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden<br />
zu küren. Christian Bruhn stellte sich<br />
schließlich dieser zeitaufwändigen Herausforderung,<br />
die er nun seit 13 Jahren glänzend bewältigt. Für sei-<br />
worthwhile to listen to even without the film images.<br />
On the other hand, the soundtrack to Hotel Shanghai<br />
(based on Vicki Baum’s novel), which was recorded<br />
in 1997 by the Babelsberg film orchestra, makes a<br />
completely different impression. Christian Bruhn elegantly<br />
demonstrates here that he brilliantly masters<br />
the musical codes for all types of dance music, whether<br />
tango, blues, Charleston, etc. Individual pieces<br />
of music are distinguished by the interesting, exotic<br />
Far-Eastern sound phenomena and therefore follow<br />
the plot of the film. The title song is reminiscent of the<br />
early James Bond films and has an instrumentation<br />
that is both skilful and complex, ruled by the grooving<br />
voice of Jocelyn B. Smith. These few examples show<br />
the composer Christian Bruhn’s extraordinary wealth<br />
of ideas. However, he became popular because of his<br />
Schlager successes, which ultimately also gave him a<br />
stable economic basis in addition to the music for film<br />
and television.<br />
Through the course of the years, his early Bohemianism<br />
ended up as a generally conventional way of<br />
life that manifests itself externally in his roomy villa in<br />
Solln with its garden, his own recording studios, lightfilled<br />
living spaces, a swimming pool and lovely guest<br />
rooms. The house was designed as late Art Nouveau<br />
leaning towards the new functionalism and built in the<br />
year 1922.<br />
The repeated separations from the singing wife dictated<br />
by the profession probably also led to the divorce.<br />
Yet, Katja Ebstein still contributed to the success of<br />
some of the Bruhn songs such as “Der Stern von Mykonos”<br />
or “Ein Indiojunge aus Peru.” To stop any feelings<br />
of loneliness from developing, Christian Bruhn<br />
married the young, talented singer Erika Götz in 1976.<br />
In a duo with her sister, who is almost the same age,<br />
she had some new, very beautiful successes that included<br />
“Heidi” and “Die Music kommt aus Böhmen.”<br />
Christian continued to work diligently and was rewarded<br />
in the following years for it with the Golden Horseshoe<br />
(1986), the Golden Tuning Fork (1987), the<br />
Paul Lincke Ring (1993), the Golden Pin of the Dramatists’<br />
Union, the Richard Strauss Medal of GEMA<br />
and the Medal of Merit of the German Music Publishers’<br />
Association (1999).<br />
In the meantime, in 1982 the GEMA General Meeting<br />
had elected him with a large majority to the Board of<br />
Supervisors, which means that he first had to be talked<br />
into becoming a candidate. The same procedure<br />
14
KARL HEINZ WAHREN<br />
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ne dabei allen GEMA-Mitgliedern zugute kommenden<br />
erbrachten außerordentlichen Leistungen wurde er im<br />
Jahr 2001 mit dem GEMA-Ehrenring ausgezeichnet<br />
und bald darauf außerdem zum Ehrenmitglied der<br />
GEMA ernannt, während der Freistaat Bayern ihn für<br />
seine Vorlesungen an der Musikhochschule Nürnberg/<br />
Augsburg mit einer Honorarprofessur würdigte.<br />
Bruhns sachlich-freundschaftliche Zusammenarbeit<br />
mit dem GEMA-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Kreile<br />
bewährt sich gerade in den augenblicklich in vielerlei<br />
Hinsicht zunehmend schwierigen Zeiten für unsere<br />
Urheberrechtsgesellschaft. Es ist für uns alle eine<br />
glückliche Fügung, dass hier zwei kenntnisreiche,<br />
pflichtbewusste Urheberfachleute das wirtschaftliche<br />
Wohlergehen der Mitglieder mit Geschick gegen Angriffe<br />
von außen und auch von innen verteidigen. Der<br />
GEMA-Aufsichtsrat hatte nie zuvor einen so effektiven<br />
und umfassend gebildeten Vorsitzenden, ausgenommen<br />
Werner Egk; dem allerdings mangelte es an Klarheit<br />
gegenüber seiner eigenen politischen Vergangenheit.<br />
Bruhn dagegen ist auch politisch „ein Moralist der<br />
höheren Art” und außerdem verlässlich.<br />
Wer sich wünscht, mit ihm unangestrengt ins Gespräch<br />
zu kommen, ohne das Thema Musik zu strapazieren,<br />
dem sei die Lektüre einiger Thomas Mann<br />
Werke empfohlen. Speziell mit der Genealogie der<br />
Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook sollte er<br />
sich vertraut machen, ebenso mit dem rheinischen<br />
Lebenskünstler Felix Krull und mit der fiktiven Biografie<br />
über den faustisch-genialen Tonsetzer Adrian Leverkühn.<br />
Zu Bruhns literarischer Hitliste zählen unter<br />
anderem aber auch die Jahreszeiten von Uwe Johnson<br />
und das Frauenschicksal Effie Briest des Berliner<br />
Hugenottenabkömmlings Theodor Fontane. Als<br />
Nachtisch wäre vielleicht noch Raymond Chandlers<br />
The big sleep und ein Gläschen guten schottischen<br />
Landweins angezeigt. Trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen<br />
bleibt Christian Bruhn auch literarisch<br />
auf dem aktuellen Stand. Außerdem schreibt er neue<br />
Fernsehmusiken, plant ein Kindermusical und das alles<br />
zwischen den Reisen, die ihn rund um die Welt<br />
führen, nicht nur als GEMA- Aufsichtsratvorsitzenden,<br />
sondern seit 2002 auch als Präsident der CISAC,<br />
Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs<br />
et Compositeurs, Paris.<br />
Alle Ehrungen und Ämter ließen Christian Bruhn kollegial<br />
und bescheiden bleiben. Weder leidet er unter<br />
dem in der Musikbranche gelegentlich aufleuchtenden<br />
was repeated in 1991 when a new Chairman of the<br />
Board of Supervisors had to be chosen after the sudden<br />
death of Raimund Rosenberger. Christian Bruhn<br />
ultimately accepted this time-consuming challenge,<br />
which he has now mastered brilliantly for the past 13<br />
years. For his extraordinary accomplishments that benefit<br />
all of the GEMA members, he was distinguished<br />
in the year 2001 with the GEMA Ring of Honour and<br />
was named an Honorary Member of GEMA soon afterwards.<br />
The State of Bavaria also acknowledged<br />
him for his lectures at the Music Academy of Nuremberg/Augsburg<br />
with an honorary professorship.<br />
Bruhn’s professional and friendly working relationship<br />
with GEMA President Prof. Dr. Kreile is standing the<br />
test, especially in the momentary difficult times for our<br />
copyright society that are becoming increasingly so in<br />
many respects. It is a happy stroke of fate for all of<br />
us that two such knowledgeable, conscientious author<br />
specialists are defending the economic welfare of the<br />
members so skilfully against attacks from the outside,<br />
as well as from the inside. The GEMA Board of Supervisors<br />
has never before had such an effective and extensively<br />
educated Chairman except for Werner Egk;<br />
however, there is a lack of clarity about the latter’s own<br />
political past. On the other hand, Bruhn is also politically<br />
“a moralist of the higher sort,” in addition to being<br />
reliable.<br />
I recommend that anyone who wants to easily get into<br />
a conversation with him, without exhausting the topic<br />
of music, should read some of the works by Thomas<br />
Mann. He should become familiar with the genealogy<br />
of the Lubeck merchant family Buddenbrook, as well<br />
as with the Rhenish master of the art of living, Felix<br />
Krull, and with the fictive biography of the Faustian-ingenious<br />
composer Adrian Leverkühn. Bruhn’s literary<br />
list of hits also includes the Jahreszeiten book by Uwe<br />
Johnson and the woman’s novel Effie Briest by the<br />
descendant of Berlin Huguenots, Theodor Fontane.<br />
An appropriate dessert would perhaps be Raymond<br />
Chandler’s The Big Sleep and a little glass of good<br />
Scottish table wine.<br />
Despite his numerous obligations, Christian Bruhn<br />
also stays up to date when it comes to literature. In<br />
addition, he is writing new music for television, is planning<br />
a children’s musical and does all this between the<br />
journeys that take him around the world not only as<br />
the Chairman of the GEMA Board of Supervisors but<br />
also as President of CISAC, Confédération Internationale<br />
des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs, Paris,<br />
15
KARL HEINZ WAHREN<br />
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bizarren Byzantinismus, noch benötigt er zur Stabilisierung<br />
seines Selbstbewusstseins das von Berufskollegen<br />
häufig erlebte Schmeichelentzücke. Sein zu<br />
knappen Formulierungen neigender Pragmatismus<br />
provoziert manchesmal Unverständnis oder gar Unmut,<br />
dem begegnet er gelegentlich mit Ironie oder Ungeduld,<br />
was mancher mit Erdenschwere und egozentrischer<br />
Sensibilität behafteten <strong>Komponist</strong>enseele nur<br />
mäßig bekommt. Ich meine, dass für Christian Bruhns<br />
gefestigtes Selbstbewusstsein durchaus berechtigte<br />
Grundlagen bestehen.<br />
Sein Name erscheint – im Gegensatz zu anderen,<br />
meist weniger erfolgreichen Popularmusikautoren – in<br />
Gazetten vom Genre der Bildzeitung, dem deutschen<br />
Zentralorgan für gesundes Volksempfinden, äußerst<br />
selten und dann eher im Zusammenhang mit urheberrechtlichen<br />
Problemen als mit Beiträgen zur privaten<br />
Sittengeschichte der bundesrepublikanischen Bourgeoisie.<br />
Dem Ehekäfig bereits viermal entronnen,<br />
wagte er es vor nicht allzu langer Zeit ein fünftes Mal,<br />
sich dieser gelegentlich vielleicht auch zwiespältigen<br />
Dauerverzückung zu unterwerfen, er heiratete die<br />
Ärztin Dr. Irene Link. Christian lebt nicht im Konjunktiv,<br />
er dringt darauf, immer wieder neue Erfahrungen<br />
zu sammeln und immer noch weiterzulernen. Aber bei<br />
all seinen komplexen Interessen bleibt die Musik aktiv<br />
wie passiv sein Elan vital.<br />
Ich wünsche dem in Süddeutschland inzwischen verwurzelten<br />
norddeutschen Glückskind zu seinem 70.<br />
Geburtstag vor allem Gesundheit und weiterhin ungebrochene<br />
Lebensfreude. Mögen ihm auch in seinem<br />
achten Jahrzehnt optimale Lebensbedingungen erhalten<br />
bleiben, auf dass sich seine Talente so großartig<br />
wie bisher entfalten und seine Schaffenskraft noch<br />
viele reife Früchte tragen wird.<br />
KARL HEINZ WAHREN – NUN BEREITS SIEBZIG<br />
Prof. Christian Bruhn zum 70. Geburtstag seines<br />
Freundes<br />
Lieber <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, lieber Freund: Mit 70 ärgert man<br />
sich über alles, wundert sich aber über nichts mehr.<br />
70 Jahre –<br />
das ist ein Alter, in das man ein Leben lang nicht<br />
glaubt, selbst zu kommen.<br />
70-Jährige –<br />
das sind Greise, impotent und inkompetent.<br />
since 2002. Despite all of these honours and offices,<br />
Christian Bruhn is still friendly and modest. He does<br />
not suffer from the bizarre Byzantinism that occasionally<br />
flares up in the music sector nor does he require<br />
the flattery frequently experienced from professional<br />
colleagues for the stabilisation of his self-confidence.<br />
His pragmatism, which tends toward succinct formulations,<br />
sometimes provokes a lack of understanding or<br />
even annoyance, which he will occasionally counter<br />
with irony or impatience. Some composers’ souls who<br />
are subject to heaviness and egocentric sensitivity<br />
only have a mediocre response to this. I believe that<br />
there is most definitely a justified reason for Christian<br />
Bruhn’s solid sense of self-confidence.<br />
His name – in contrast to other, usually less successful<br />
authors of popular music – appears extremely rarely in<br />
gazettes of a genre like the Bildzeitung newspaper,<br />
the German central organ for sound popular instinct,<br />
and then more likely in relation to problems concerning<br />
authors’ rights than with articles about private<br />
stories on the morals of the German bourgeoisie. After<br />
already escaping from the cage of marriage four<br />
times, he risked subjecting himself to this occasionally<br />
conflicting permanent state of ecstasy for a fifth time<br />
not too long ago by marrying the physician Dr. Irene<br />
Link. Christian does not live in the subjunctive. He is<br />
keen about having new experiences time and again<br />
and still continuing to learn. But despite all of his complex<br />
interests, music in both the active and the passive<br />
sense remains his Élan vital.<br />
Above all, I wish this north German child of fortune<br />
who has now become rooted in southern Germany<br />
health and continuing undiminished joy in life for his<br />
70th birthday. May the optimal conditions in life also<br />
be preserved for him in his eighth decade so that his<br />
talents can continue to develop as splendidly as they<br />
have up to now and his creative powers bear many<br />
ripe fruits.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> - Already seventy years old<br />
Professor Christian Bruhn on the 70th birthday of his<br />
friend<br />
Dear <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, Dear Friend: At 70 people are annoyed<br />
with everything but no longer surprised by<br />
anything.<br />
70 years – for much of our lives we believe that we will<br />
never be that old ourselves.<br />
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70-Jährige -<br />
das waren alte Nazis, die von Kriegsheldentaten und<br />
den guten Seiten Adolf Hitlers berichteten.<br />
70-Jährige -<br />
die haben keinen Sinn für Humor und finden alles,<br />
was Jüngere tun, vollkommen geschmacklos, vor allem<br />
deren Musik.<br />
Wie anders dagegen die Wirklichkeit! - Ich bin zwar<br />
noch nicht ganz siebzig, wundere mich aber auch<br />
nicht mehr viel. Verwundern tun mich jedoch immer<br />
wieder drei Umstände im Dasein meines Freundes,<br />
die meinem Erachten nach Bewunderung verdienen:<br />
In erster Linie imponiert mir, dass dieser E-Kollege sich<br />
ohne die hilfreiche Stütze eines Lehrauftrages durchs<br />
Leben rettet. Zwar kann er so seine bei <strong>Karl</strong> Amadeus<br />
Hartmann mühsam erworbenen musikalischen Weisheiten<br />
leider nicht weitergeben, aber das können ja<br />
seine Kollegen tun. Er hat Besseres zu tun.<br />
Denn zweitens, Freunde, horcht auf: Selbst mein verengtes<br />
und beschränktes Terzen-Herz vermag er mit<br />
seiner Musik zu rühren, das will viel heißen. Und deshalb<br />
imponiert mir seine Musik ebenfalls.<br />
Zum dritten imponiert mir die soziale Grundhaltung<br />
meines Freundes <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, denn wie anders als<br />
sozial ist zu nennen, wenn sich einer in Ehrenämtern<br />
zum Wohle der Reihen seiner Berufskollegen aufreibt,<br />
anstatt in der Reihentechnik zu komponieren.<br />
Mein Lob gilt also<br />
a) dem selbstständigen freiberuflichen <strong>Komponist</strong>en<br />
und seiner Musik,<br />
b) dem als vielseitigen Funktionär Tätigen und<br />
c) natürlich dem Menschen <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />
Das gutmütige und hochgebildete, in der Historie (besonders<br />
der preußischen) überaus beschlagene Wesen<br />
<strong>Wahren</strong> hat natürlich auch seine Schrullen, wie z.<br />
B. die häufige Anwendung des Wortes “kafkaesk” und<br />
des Begriffes von der “Heisenbergschen Unschärfe-<br />
Relation”.<br />
Wer ihn kennt, weiß, dass auch sein Privatleben zu<br />
Zeiten einer gewissen Groteske nicht entbehrt, aber:<br />
Wenn auf jemanden der Terminus “Redlichkeit” anzuwenden<br />
ist, dann auf unseren <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>! <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />
(wie kann man sein Kind nur so taufen lassen-?) - wir<br />
lieben dich und wir brauchen dich!<br />
70-year-olds -<br />
those are the seniors, impotent and incompetent.<br />
70-year-olds -<br />
those were the old Nazis who talked about the feats of<br />
the war heroes and the good sides of Adolf Hitler.<br />
70-year-olds -<br />
they have no sense of humour and find everything that<br />
young people do to be completely tasteless, especially<br />
their music.<br />
But the reality is very different! Although I am not quite seventy<br />
yet, I find very few things surprising anymore. However,<br />
I am still constantly astonished about three aspects<br />
of my friend’s life that I consider worthy of admiration:<br />
First of all, I am impressed that this colleague of serious<br />
music has made it through life without the helpful<br />
support of a lectureship. Although this means he unfortunately<br />
cannot pass on the musical wisdom that he<br />
so arduously acquired from <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann<br />
in that way, his colleagues can take care of that. He<br />
has better things to do.<br />
Secondly, my friends, please listen carefully: Even my<br />
narrow-minded and limited heart that loves thirds is<br />
touched by his music, which means quite a lot. And<br />
this is why his music also amazes me.<br />
Thirdly, I am impressed by the basic social attitude<br />
of my friend <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>. Could it be called anything<br />
other than “caring” when a person wears himself out<br />
in honorary positions to benefit the ranks of his professional<br />
colleagues instead of composing in the series<br />
technique.<br />
My praise is also extended to:<br />
a) the independent freelance composer and his music<br />
b) the versatile activities of the functionary<br />
c) and, of course, <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> as a human<br />
being.<br />
The good-natured and highly educated being <strong>Wahren</strong>,<br />
who is very knowledgeable in history (Prussian<br />
in particular) naturally also has his whims, such as the<br />
frequent use of the word “Kafkaesque” and the term<br />
“Heisenbergian relation of unsharpness.”<br />
Those who know him are also aware that his private<br />
life has sometimes had a certain grotesque quality to<br />
it. However: If there is anyone for whom we can use the<br />
expression “uprightness,” then it is our <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>! <strong>Karl</strong><br />
17
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Vor zehn Jahren bereits trug ich anlässlich eines runden<br />
Geburtstages (ja - richtig geraten, es war der<br />
sechzigste!) unseres heutigen Jubilars ein mühsam<br />
verfertigtes, ja: ziseliertes Gedicht vor. Schier echolos<br />
verpuffte es in der bereits stark alkoholisierten Menge,<br />
und deshalb verdient es, heute wiederholt zu werden<br />
(Wiederholungen, lieber <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, sind das Salz der<br />
U-Musik), nicht ohne dem festlichen Anlass allerdings<br />
behutsam angepasst zu sein:<br />
Heute, ihr Leute, da jährt sich zum siebzigsten Male<br />
der Tag der Geburt unsres immer noch rüstigen Alten.<br />
Seht ihn, den feurigen Greis mit dem bärtigen Antlitz,<br />
silbern das Haar und leuchtend die wachsamen Augen!<br />
Gruben auch Kleine Sekunden und mancher Tritonus<br />
- Klänge, die seine Musik unverwechselbar machten -<br />
gruben sie auch, diese Töne, die oft dissonanten,<br />
Runen ins weise Gesicht sowie kleinere Falten,<br />
strotzt doch das heitere Kerlchen von Jugend und Spannkraft,<br />
perlt von den Lippen der Strom unaufhaltsamer Rede,<br />
voll Anekdoten und wichtiger Informationen.<br />
Weiß der <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> doch fast alles von Körper und Seele,<br />
von Kafka und Heisenberg, Wilhelm und Friedrich dem Großen,<br />
- die Geschichte des preußischen Reiches hier auch zu erwähnen,<br />
hieße, die märkischen Eulen nach Spree-Athen tragen -<br />
weiß er (und weiß, daß auch wir dieses wiederum wissen)<br />
ja nicht nur die Regeln der E-Musik kundig zu nutzen,<br />
schichtend so wacker wie herzhaft den Reiz der Friktionen<br />
über- und nebeneinander im Reich der Euterpe,<br />
weiß er doch auch um die Wonnen des klassischen Jazzes,<br />
und back to the roots zieht’s ihn öfter am späteren Abend.<br />
Erleuchtet vom Weine, befeuert und mächtig beflügelt<br />
donnert <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> dann Akkorde und wucht’ge Kaskaden,<br />
schonend wohl kaum des Klavieres empfindliche Tasten.<br />
Wo blieb Verlorenen Tangos subtiles Gewebe?<br />
Wo bleibt der Jungfrauen zarter Gesang in den Gärten?<br />
Alles vereint sich zum Urstrom der wabernden Muse.<br />
Aber Adorno rotieret im naßkalten Grabe.<br />
Lasset uns heben nun hoch unsre schimmernden Humpen,<br />
trinken auf ihn und mit ihm, unsrem Festjubilaren!<br />
Die mit dem Altwerden drohenden bösen Gefahren<br />
möge das Schicksal dir gnädig noch lange ersparen!<br />
Gönne dir und auch den Freunden noch mal einen Klaren,<br />
Sei du beschenkt mit noch vielen und fruchtbaren Jahren!<br />
Laut rufen alle wir, die heut gekommen in Scharen:<br />
Gott segne dich und die Deinen, oh Freund <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>!<br />
[*] Anmerkung: Auf der Suche nach dem verlorenen<br />
Tango und Gesang toskanischer Jungfrauen in florentinischen<br />
Gärten zur Blütezeit der Inquisition sind<br />
Kompositionen von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />
<strong>Heinz</strong> (how can anyone have their child baptised with<br />
that name...?) - we love you and we need you!<br />
Ten years ago, on the occasion of a birthday (yes -<br />
good guess, it was the sixtieth!) of the person who we<br />
are celebrating today, I already read an arduously composed<br />
and even engraved poem. Without an echo, it<br />
went up in smoke in the strongly alcoholised crowd and<br />
therefore deserves to be recited today (repetitions, dear<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong>, are the salt of light music), but not without<br />
careful adaptation to this festive occasion:<br />
Today, dear people, is the seventieth anniversary<br />
Of the birth of our old man so hale and hearty.<br />
Look at him, the fiery elder with his bearded countenance,<br />
His hair silvery and eyes shining with so much vigilance!<br />
Even if the minor seconds and some of the tritones<br />
- the sounds that have given his music a style of its own<br />
Even if these tones, dissonant as they are in their place,<br />
Engraved runes and little wrinkles in his wise face,<br />
This cheerful fellow is still bursting with youth and energy,<br />
And from his lips bubbles a stream of unstoppable speech<br />
Full of anecdotes and information we should know,<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> is familiar with most things about body and soul,<br />
About Kafka and Heisenberg, Wilhelm and Frederick II the Great,<br />
- as well as the Prussian empire’s history to date<br />
Which means taking the owls of Brandenburg March to Spree-Athens -<br />
He not only knows (and, in turn, also knows that we all know this)<br />
How to use the rules of serious music in a way that is ideal,<br />
Layering both bravely and heartily the friction’s appeal<br />
One upon the other and side by side in Euterpe’s realm,<br />
He even knows the delights of classical jazz and how to enjoy them<br />
And often, late in the evening, back to the roots he is drawn<br />
Inspired by wine, full of fire, with powerful wings to carry him on<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> thunders the chords and cascades so massively,<br />
That he hardly spares the piano’s sensitive keys.<br />
What has happened to the subtle texture of the Lost Tango?<br />
Where did the tender Song of Virgins in the Garden go?<br />
Everything unites in the undulating muse’s primal stream,<br />
Yet Adorno is turning in a grave that is clammy and unseen.<br />
So now our glistening glasses should all be raised<br />
Drink to him and with him as he celebrates his special day!<br />
May fate in its mercy long spare you<br />
Of the evil dangers that threaten as we grow older too!<br />
Allow yourself, and your friends, one more schnapps in the glass,<br />
And may you be given many more fruitful years as they pass!<br />
Now it’s time for the whole group here to call out and applaud:<br />
Oh, friend <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> - may you and yours be blessed by God!<br />
[*]Note: In Search of the Lost Tango and the Song of Tuscan Virgins in the<br />
Florentine Gardens at the Height of the Inquisition are compositions by <strong>Karl</strong><br />
<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>. [Translated by GEMA member Christine Grimm]<br />
18
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Zum Tode von Norbert Schultze (1911 - 2002)<br />
von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Norbert Schultze wurde 1911, zu Zeiten der kaiserlichen<br />
Monarchie, geboren und eingeschult. Er absolvierte<br />
Gymnasium, Abitur und Musikstudium während<br />
der Weimarer Republik, dann in der Hitlerdiktatur erlebte<br />
er den Aufstieg zu einem der erfolgreichsten und<br />
höchstbezahlten deutschen Filmkomponisten. Nach<br />
dem II. Weltkrieg erhielt er mehrere Jahre Berufsverbot,<br />
um nach seiner Entnazifizierung erneut seine<br />
Karriere als renommierter Film- und Fernsehkomponist<br />
zu machen.<br />
Das lange Leben des Norbert Schultze durch vier politische<br />
Gesellschaftsordnungen sowie sein umfangreiches<br />
kompositorisches Schaffen stellen sich der breiten<br />
Öffentlichkeit vor allem in zwei Liedern polarisiert<br />
dar:<br />
Dem 1938 entstandenen Chanson Lili Marleen und<br />
dem 1940 vertonten Marschlied Bomben auf Engelland.<br />
Dabei begann alles so gutbürgerlich in der preußischen<br />
Residenzstadt Braunschweig. Während der Vater, in<br />
der Familientradition Medizinprofessor, als Stabsarzt<br />
in den I. Weltkrieg einberufen wurde, sorgten die rührigen<br />
Großeltern für den ersten Klavierunterricht. Als<br />
13-Jähriger komponierte der Gymnasiast bereits ein<br />
Lied auf Verse von Ludwig Uhland. Auch Geigenspiel<br />
wurde geübt. Nach dem Abitur ging es nach Köln zur<br />
Musikhochschule. Bei dem Busoni-Schüler Philipp<br />
Jarnack wurde Harmonielehre und Instrumentation<br />
studiert, bei Hermann Abendroth Dirigieren, an der<br />
Universität Musik- und Theaterwissenschaft belegt.<br />
Im dritten Studienjahr lockte aus München das eben<br />
gegründete Studentenkabarett Die vier Nachrichter<br />
- so benannt nach Frank Wedekinds Ensemble Elf<br />
Scharfrichter. Als Pianist, <strong>Komponist</strong> und Mitspieler,<br />
engagiert von Helmut Käutner, Bobby Todd und Kurt<br />
E. Heyne wird ihm das Pseudonym Frank Norbert verpasst:<br />
“Schultze klingt für bayrische Ohren zu preußisch.”<br />
Mit der Revue Hier irrt Goethe gelingt dem<br />
begabten Quartett, das alle Texte selbst schreibt, ein<br />
sensationeller Erfolg. Die vielseitige Gruppe wird zum<br />
Gastspiel nach Berlin ins Renaissance-Theater eingeladen.<br />
In der Charlottenburger Kantstraße lernen<br />
sie den Groschenkeller (neben dem Kantgaragenhaus)<br />
kennen; dort verkehren Heinrich George, Werner<br />
Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht, Trude<br />
On the Death of Norbert Schultze (1911 - 2002)<br />
by <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Norbert Schultze was born in 1911 and started school<br />
at the time of the imperial monarchy. He attended<br />
grammar school, took his matriculation exam and finished<br />
his music studies during the Weimar Republic<br />
and then under Hitler’s dictatorship he experienced his<br />
rise to become one of the most successful and best<br />
paid German film composers. After World War II he<br />
was banned from pursuing his profession for several<br />
years only to resume a career as a renowned film and<br />
television composer after his denazification.<br />
For the public at large, there are two songs in particular<br />
that reveal the polarity of Norbert Schulze’s comprehensive<br />
work as a composer and the long life that<br />
took him through four different political systems:<br />
The chanson Lili Marleen written in 1938 and the marching<br />
song Bomben auf Engelland - Bombs on England<br />
- set to music in 1940.<br />
And everything started from a solid middle-class background<br />
in the Prussian town of Braunschweig. While<br />
his father, a medical professor in the family tradition,<br />
was conscripted as a captain of the medical corps in<br />
World War I, his busy grandparents made sure he got<br />
his first piano lessons. At the age of 13, the grammar<br />
school pupil had already composed a song on verses<br />
of Ludwig Uhland. He also learned to play the violin.<br />
After his school-leaving examination, he went to the<br />
music conservatory in Cologne. He studied harmony<br />
and instrumentation with Philipp Jarnack, a former Busoni<br />
student, conducting with Hermann Abendroth and<br />
musicology and theatre at the university.<br />
In the third year of his studies he was inveigled into<br />
joining the newly founded students’ cabaret Die Vier<br />
Nachrichter - The four messengers - from Munich - named<br />
after Frank Wedekind’s ensemble Elf Scharfrichter<br />
- Eleven Executioners. Engaged by Helmut Käutner,<br />
Bobby Todd and Kurt E. Heyne as piano player,<br />
composer and member of the ensemble he received<br />
the pseudonym Frank Norbert: “Schultze sounds too<br />
Prussian for Bavarian ears.” The talented quartet that<br />
wrote all its own texts had a sensational success with<br />
its revue Hier irrt Goethe - Goethe is wrong here.<br />
The multi-talented group was invited to Berlin for a<br />
guest performance in the Renaissance Theatre. In<br />
the Charlottenburg Kantstrasse they got to know the<br />
Groschenkeller - Penny Cellar - (next to the Kant-<br />
19
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Hesterberg und viele andere damalige Stars. Die vier<br />
Glückspilze lassen sich von der Prominenz verwöhnen<br />
und planen nach vierzig ausverkauften Vorstellungen<br />
eine Deutschlandtournee. Das Ensemble war für diese<br />
Goetherevue - 1932, dem hundertsten Todesjahr<br />
des Dichters - mit Damen erweitert worden. So lernte<br />
er seine erste Frau kennen, die Schauspielerin Vera<br />
Spohr.<br />
Er suchte nun ein festes Theaterengagement und<br />
fand es in Heidelberg als Chordirektor und Korrepetitor<br />
mit Dirigierverpflichtung. Nach weiteren Engagements,<br />
jetzt als Kapellmeister in Darmstadt, München<br />
und Leipzig, landete er schließlich wieder als Frank<br />
Norbert bei dem alten Nachrichter-Ensemble im Berliner<br />
Theater in der Saarlandstraße (heutiges Hebbeltheater)<br />
mit dem Stück Die Nervensäge. Inzwischen<br />
schrieb man das Jahr 1934. Beim “Röhm-Putsch”<br />
zeigt sich erstmalig die menschenverachtende Erbarmungslosigkeit<br />
und Brutalität des NS-Systems für<br />
einen Moment ganz offen. Aber trotzdem glaubt man<br />
noch sehr naiv, dass dieser “braune Spuk” bald wieder<br />
vorüber sein wird.<br />
Norbert Schultze schließt 1935 einen Vertrag mit der<br />
Schallplattenfirma AEG-Telefunken als Koordinator<br />
für die Unterhaltungsmusikproduktionen. Damals wurde<br />
die Musik mit Saphir in dicke, temperierte Wachsplatten<br />
geschnitten, von denen im nachfolgenden<br />
industriellen Verfahren die schwarzen Schellackplatten<br />
gepresst werden. Zusätzlich verdient sich Norbert<br />
Schultze Geld als <strong>Komponist</strong> mit Werbemusik.<br />
Das Ziel, eine eigene Oper zu schreiben, hat er dabei<br />
nicht aus dem Auge verloren. Aus dem plattdeutschen<br />
Märchen Erik entwickelt er ein Szenarium, in<br />
dem das Kartenspiel Schwarzer Peter die Handlung<br />
vorantreibt. In Walter Lieck findet sich schließlich ein<br />
begabter Librettist, mit dem er - neben seiner Telefunken-Tätigkeit<br />
- an dem aufwändigen Projekt arbeitet.<br />
Überraschend für die beiden jungen Autoren setzt die<br />
Hamburger Staatsoper die “Heitere Oper für kleine<br />
und große Leute” - so der Untertitel des Schwarzen<br />
Peter - für Weihnachten 1936 kurzfristig als Uraufführung<br />
auf den Spielplan. 50 Jahre später meint Norbert<br />
Schultze: “Nur wenn man noch ein Greenhorn von 25<br />
Jahren ist, traut man sich zu, eine so große und völlig<br />
ungewohnte Aufgabe in so kurzer Zeit zu bewältigen.”<br />
Aber es klappte, Schwarzer Peter wurde beim Publikum,<br />
ob groß oder klein, und ebenso bei der Kritik ein<br />
glänzender Erfolg und anschließend auch gleich von<br />
zahlreichen weiteren Bühnen übernommen.<br />
garagen house); regular guests there were Heinrich<br />
George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert<br />
Brecht, Trude Hesterberg and many other stars of the<br />
time. The lucky foursome allowed themselves to be<br />
pampered by these celebrities and after forty sold-out<br />
performances planned a tour through Germany. The<br />
ensemble had been augmented by the addition of several<br />
ladies for this Goethe revue - 1932 was the year<br />
of the 100th anniversary of the poet’s death. This is<br />
when Norbert Schultze met his first wife, the actress<br />
Vera Spohr.<br />
After that he began looking for a permanent appointment<br />
at a theatre and found it in Heidelberg as director<br />
of the choir and coach together with conductor’s<br />
duties. After further engagements as director of music<br />
in Darmstadt, Munich and Leipzig, he finally ended up<br />
once again as Frank Norbert with the old Nachrichter<br />
ensemble at the Berlin Theatre in Saarlandstrasse<br />
(today’s Hebbel Theatre) with the piece Die Nervensäge<br />
- Pain in the neck. By now it was the year 1934. For<br />
the first time the “Röhm putsch” made momentarily<br />
manifest the merciless contempt for mankind and brutality<br />
of the NS system. But most of the people were<br />
still naïve enough to believe that this “brown spectre”<br />
would soon be over.<br />
In 1935 Norbert Schultze concluded a contract with<br />
the AEG-Telefunken record company as co-ordinator<br />
for light music productions. In those days the music<br />
was cut with sapphires on thick, heated wax sheets<br />
from which the black shellac records were then<br />
pressed in the industrial manufacturing process that<br />
followed. Norbert Schultze also earned some money<br />
as a composer of advertising music. But he did not<br />
lose touch with his aim of writing an opera of his own.<br />
Based on the Low German fairytale Erik, he developed<br />
a scenario where the action is hurried along by<br />
the card game Schwarzer Peter. In Walter Lieck he<br />
found a talented librettist with whom - in addition to his<br />
work with Telefunken - he worked on this demanding<br />
project. It came as a surprise to the two young authors<br />
when at short notice the Hamburg State Opera put the<br />
“Amusing Opera for Young and Old” - the subtitle of<br />
Schwarzer Peter - on the programme as a premiere<br />
for Christmas 1936. 50 years later Norbert Schultze<br />
observed: “Only a greenhorn of 25 years of age can<br />
think one is capable of mastering such a major and<br />
completely unaccustomed task in such a short period<br />
of time.” But it worked out. Schwarzer Peter became<br />
a brilliant success with the audience, young and old,<br />
20
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Die Uraufführung, die eigentlich Dr. Hans Schmidt-Isserstedt<br />
leiten sollte, der aber wegen plötzlicher Erkrankung<br />
absagen musste, dirigierte Norbert Schultze<br />
selbst; er wurde dabei auch in seinem Talent als Dirigent<br />
bestätigt.<br />
Der große Erfolg dieser Märchenoper sollte für den<br />
Autor später Konsequenzen haben, die direkt zu dem<br />
verhängnisvollen Bomben auf Engelland führten.<br />
Doch jetzt herrschte noch Frieden in Europa, hatte<br />
Hitler doch gerade erst bei den Olympischen Spielen<br />
in Berlin seine angebliche Weltoffenheit und Versöhnlichkeit<br />
demonstrativ zur Schau getragen.<br />
Im September 1935 verabschiedete die NS-Regierung<br />
die “Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und<br />
der deutschen Ehre” anlässlich des Nürnberger Parteitages<br />
der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei<br />
(NSDAP). Danach wurde sowohl ein Liebesverhältnis<br />
als auch die Eheschließung zwischen “Juden<br />
und deutschen Staatsangehörigen” mit Gefängnis<br />
oder Zuchthaus - was praktisch Konzentrationslager<br />
bedeutete - geahndet. Diese “Nürnberger Gesetze”<br />
schufen die juristische Grundlage für die Diskriminierung<br />
und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, deren<br />
Ausmaße täglich sichtbarer wurden.<br />
Aber die große Mehrheit der Deutschen ließ sich<br />
durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit blenden,<br />
durch das Angebot von KdF-Reisen (Kraft durch Freude)<br />
und den scheinbar soliden wirtschaftlichen Aufschwung.<br />
Die euphemistischen Reden des Propagandaministers<br />
Joseph Goebbels verbreiteten Rundfunk und Wochenschau<br />
bis in die letzten Winkel des III. Reiches.<br />
Von dieser raffinierten Mischung aus Tatsachen und<br />
Lügen ließ sich das deutsche Volk willfährig betäuben<br />
und glaubte allzu gern an die Friedfertigkeit dieses Systems,<br />
trotz der inzwischen offensichtlich gewordenen<br />
massiven militärischen Aufrüstung. Hermann Göring,<br />
Chef der Luftwaffe und des industriellen Fünf-Jahres-<br />
Plans: “Wir brauchen Kanonen statt Butter!”<br />
Norbert Schulze schwimmt inzwischen auf der Welle<br />
des Erfolges mit völlig unpolitischen Kompositionen<br />
wie mit der Oper Kaspar (im Krieg verloren gegangen),<br />
dem Ballett Max und Moritz (Hamburger Staatsoper)<br />
und der plattdeutschen Kantate Sünnschien un’<br />
Regen, ein volkstümliches Gegenstück zu Joseph<br />
Haydns Jahreszeiten. Die Filmbranche wird auf den<br />
begabten, seriösen, jungen <strong>Komponist</strong>en aufmerk-<br />
and also with the critics, whereupon it was taken over<br />
immediately by many other theatres.<br />
Originally Dr. Hans Schmidt-Isserstedt had been supposed<br />
to conduct the premiere, but had to call it off<br />
because he suddenly fell ill, so Norbert Schultze conducted<br />
it instead and thus confirmed his talent as a<br />
conductor.<br />
The great success of this fairytale opera was later to<br />
have consequences for the author that led directly to<br />
the disastrous Bomben auf Engelland. But at the time<br />
Europe was still at peace, and Hitler had only just displayed<br />
demonstratively his alleged cosmopolitan attitudes<br />
and conciliatory nature at the Olympic Games<br />
in Berlin.<br />
In September 1935 the NS government adopted the<br />
“Laws for the Protection of German Blood and German<br />
Honour” at the Nuremberg party convention of the Nationalsozialistische<br />
Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).<br />
According to these laws a relationship or a marriage<br />
between “Jews and German nationals” was punishable<br />
by prison or penal servitude - which to all intents and<br />
purposes meant a concentration camp. These “Nürnberger<br />
Gesetze” (Nuremberg Laws) created the legal<br />
basis for the discrimination and persecution of the Jewish<br />
citizens and the extent of this became more and<br />
more apparent with every day.<br />
But the great majority of the Germans were dazzled by<br />
the elimination of unemployment, by the offer of KdF<br />
trips (Kraft durch Freude - Strength through Joy) and<br />
the apparently solid economic recovery.<br />
The radio and the Wochenschau in the cinemas disseminated<br />
the euphemistic speeches of propaganda minister<br />
Joseph Goebbels to the furthest corners of the<br />
Third Reich. With due compliance the German people<br />
allowed themselves to be mesmerised by this cunning<br />
mixture of facts and lies and were all too willing<br />
to believe in the peacefulness of the system despite<br />
the massive military rearmament that had become obvious<br />
in the meantime. Said Hermann Goering, head<br />
of the Luftwaffe and of the industrial five-year plan:<br />
“We need cannons instead of butter!”<br />
Norbert Schultze by then was riding a wave of success<br />
with compositions of a completely non-political<br />
nature such as the opera Kaspar (lost during the war),<br />
the ballet Max and Moritz (Hamburg State Opera)<br />
and the Low-German cantata Sünnschien un’ Regen<br />
(Sunshine and Rain), a popular counterpart to Jose-<br />
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sam und engagiert ihn. Bei der Tobis-Filmgesellschaft<br />
entsteht der Musikfilm Renate im Quartett. Ein kleines<br />
Bratschenkonzert, Mozart nachempfunden, ist Norbert<br />
Schultzes kompositorischer Einstieg in die Filmmusik.<br />
Helmut Käutner engagiert den “Kleinen Mozart”, wie<br />
ihn Kollegen hänseln, für seinen Terra-Film Frau nach<br />
Maß, für den allerdings moderne Tanzmusik verlangt<br />
wird. Norbert Schultze schafft auch diesen Spagat<br />
zwischen E- und U-Musik und schreibt sein erstes<br />
Schlagerlied: Ich möchte so sein wie du mich willst.<br />
Nun häufen sich die Angebote für Film-Vertonungen.<br />
Norbert im Glück?<br />
In seiner alten Stammkneipe, dem Groschenkeller, wo<br />
sich nach Feierabend allerlei Künstlerkollegen treffen,<br />
bittet ein befreundeter Basssänger Schultze, ihm ein<br />
paar Shantys für eine Radiosendung zu schreiben,<br />
dabei drückt er ihm die Gedichtesammlung Die kleine<br />
Hafenorgel von Hans Leip in die Hand.<br />
Norbert vertont daraus zehn Gedichte und spielt sie<br />
dem Freund vor. Der aber ist enttäuscht, findet das<br />
alles zu sanft, viel zu lyrisch, “für kleine Mädchen”;<br />
er, der Sänger, hatte an etwas Zünftiges, eher Derbes<br />
“für Männer” gedacht. Die Lieder werden von<br />
Schultze reihum bei Verlagen und Schallplattenfirmen<br />
angeboten, doch keiner greift zu. Nur Helmut Käutner<br />
bedankt sich für die hektographierten Abzüge von<br />
Norberts sauberer Reinschrift und gratuliert, speziell<br />
zu dem Lied Lili Marleen. Schließlich erhält auch die<br />
alte Freundin aus den frühen 30-erJahren, Lieselotte<br />
Wilke, jetzt als Sängerin unter dem Namen Lale Anderson<br />
im Berliner Kaiserhof engagiert, einen Abzug.<br />
Während Schultze als Dirigent in Berlin die Erstaufführung<br />
des Schwarzen Peter leitet und im Wechsel<br />
damit in der Hamburger Staatsoper sein neues Ballett<br />
Max und Moritz dirigiert, steckten die Nazis Synagogen<br />
in Brand, verwüsteten jüdische Geschäfte und<br />
ermordeten unschuldige Menschen: Der 9. November<br />
1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichte<br />
ein. Lale Andersen sang im Rundfunk zum ersten Mal<br />
Lili Marleen.<br />
Die von Electrola produzierte Schallplatte fand aber<br />
kaum Käufer.<br />
Norbert Schultze musste zur Musterung und wird als<br />
k.v. (kriegsverwendungsfähig) der Infanterie zugeschlagen.<br />
Nach dem Kriegsausbruch am 1. September<br />
1939 erwartet er täglich seine Einberufung. Aber<br />
als der Polenfeldzug nach sechs Wochen vorüber ist,<br />
wird ihm die Vertonung des Films Feuertaufe angebo-<br />
ph Haydn’s Four Seasons. The film business became<br />
aware of the talented, serious, young composer and<br />
offered him a job. The Tobis film company produced<br />
the music film Renate im Quartett (Renate in quartet).<br />
A minor concerto for viola, after Mozart, was Norbert<br />
Schultze’s first compositional work for film music. Helmut<br />
Käutner hired the “Little Mozart”, as he was called<br />
teasingly by colleagues, for his Terra film Frau nach<br />
Maß (Woman made to measure) for which, however,<br />
modern dance music was required. Norbert Schultze<br />
also succeeded in walking the tightrope between serious<br />
and light music and wrote his first hit: Ich möchte<br />
so sein wie du mich willst (I want to be like you want<br />
me).<br />
Now came more and more offers for writing film music.<br />
Norbert in luck?<br />
In his old local, the Groschenkeller, where numerous<br />
fellow artists met after work, Schultze was asked by<br />
a bass singer he was acquainted with to write a few<br />
shanties for a radio broadcast and gave him Die kleine<br />
Hafenorgel, a collection of poems by Hans Leip.<br />
Norbert set ten of the poems to music and played them<br />
to his friend. The friend, however, was disappointed,<br />
considered everything to be too soft, too lyrical, “for little<br />
girls”; he, the singer had thought of something more<br />
vigorous, rather coarse “for men”. Schultze offered<br />
the songs to a number of publishers and record companies<br />
but nobody took them. Only Helmut Käutner<br />
thanked him for the hectographed copies of Norbert’s<br />
neat manuscripts and congratulated him especially on<br />
the song Lili Marleen. And finally his old friend from<br />
the thirties, Liselotte Wilke, at the time engaged as a<br />
singer under the name of Lale Anderson at the Berlin<br />
Kaiserhof, also received a copy. While Schultze was<br />
switching between managing the premiere of Schwarzer<br />
Peter as conductor in Berlin and conducting his<br />
new ballet Max and Moritz at the Hamburg State Opera,<br />
the Nazis were setting synagogues on fire, devastating<br />
Jewish shops and murdering innocent people:<br />
November 9th, 1938 went down in the annals of history<br />
as the Reichsprogromnacht. And Lale Anderson<br />
sang Lili Marleen on the radio for the first time.<br />
But the record, which was produced by Electrola, scarcely<br />
found any buyers.<br />
Norbert Schultze was recruited for military service<br />
and, being of sound mind and body, was assigned to<br />
the infantry. When war broke out on September 1st,<br />
1939 he expected to be called up any day. But the<br />
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ten, produziert im Auftrag des Göringschen Luftfahrtministeriums.<br />
Um die Kompositionsarbeit im Film nicht durch die<br />
plötzliche Einberufung zu gefährden, will die zuständige<br />
Filmfirma TOBIS Norbert Schultze “u.k.” (unabkömmlich)<br />
schreiben lassen. Da stellt sich heraus,<br />
dass dieser <strong>Komponist</strong> längst auf der so genannten<br />
“Führerliste” steht, d. h. er darf für die Dauer des<br />
Krieges nicht zum Militär einberufen werden. Ein ihm<br />
völlig unbekannter Dr. Scherler im Propagandaministerium<br />
hatte Norbert Schultze nach der Uraufführung<br />
des Schwarzen Peter für würdig befunden, dem<br />
deutschen Volk als Künstler erhalten zu bleiben. Der<br />
Haken an der Sache: Von nun an heißt es nicht nur<br />
künstlerisch, sondern auch propagandistisch dem III.<br />
Reich zu dienen.<br />
Für den Luftwaffen-Dokumentarfilm Feuertaufe muss<br />
er auch gleich den Text Bomben auf Engelland - (“Kamerad!<br />
- Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!”)<br />
vertonen. Aus dem “Kleinen Mozart” war plötzlich der<br />
“Bomben - Schultze” geworden.<br />
In seinen Lebenserinnerungen schreibt Norbert Schultze<br />
55 Jahre später: “Wenn ich das Lied heute wieder<br />
höre, gibt es mir jedes Mal einen Stich ins Herz: Was?<br />
Das hast du komponiert? Das peinigt mich dann oft<br />
tagelang und lässt mich nicht schlafen, vor Schreck<br />
und Scham - heute noch.”<br />
Auch privat hatte sich Norbert Schultzes Leben verändert.<br />
1941 lernte er die bulgarische Filmschauspielerin<br />
und Sängerin Iwa Wanja kennen und heiratete<br />
sie 1943. In dieser Zeit entsteht die Märchenoper Das<br />
kalte Herz nach Wilhelm Hauff, im Auftrag der Stadt<br />
Leipzig. Im gleichen Jahr, 1943, der Film Symphonie<br />
eines Lebens, welcher in vier symphonischen Sätzen<br />
mit Rückblendetechnik das gesellschaftlich zerbrochene<br />
Leben eines <strong>Komponist</strong>en erzählt. Dieser<br />
Film hat mich als Schüler seinerzeit tief beeindruckt<br />
mit seiner spätromantischen, an Brahms angelehnten<br />
symphonischen Orchestermusik. Die Partitur ging im<br />
Krieg verloren. Von dem Film existieren nur noch zwei<br />
technisch mäßig gut erhaltene Lichttonkopien.<br />
Bereits 1940 war Norbert Schulze in die NSDAP eingetreten,<br />
denn das hatte man ihm sehr empfohlen,<br />
vor allem um nicht doch wieder von der “Führerliste”<br />
gestrichen zu werden und beim Infanterie-Einsatz an<br />
der Ostfront statt seines musikalischen Talents militärische<br />
Todesbereitschaft für “Führer und Volk” demonstrieren<br />
zu müssen.<br />
Poland campaign was over in six weeks and after that<br />
he was invited to write the music for the film Feuertaufe,<br />
produced on commission by Goering’s Ministry of<br />
Aviation.<br />
In order not to jeopardise the compositional work in the<br />
film because he might suddenly be called up, TOBIS,<br />
the company making the film wanted to have Norbert<br />
Schultze classified as being “in a reserved occupation”.<br />
It then emerged that this composer had long since<br />
been on the so-called “Führer’s list”, i.e., that he was<br />
exempt from conscription for the duration of the war.<br />
After the premiere of Schwarzer Peter, a certain Dr.<br />
Scherler in the propaganda ministry, who was absolutely<br />
unknown to him, had found Norbert Schultze worth<br />
keeping as an artist for the German people. The snag<br />
was that, from now on, he had to serve the Third Reich<br />
not only as an artist but also as a propagandist.<br />
For the Luftwaffe documentary Feuertaufe he also had<br />
to set the text of Bomben auf Engelland - (“Kamerad! -<br />
Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!” - “Comrade!<br />
- Comrade! All the girls must wait!”). “Little Mozart” had<br />
suddenly become “Bomber - Schultze”.<br />
55 years later Norbert Schultze wrote in his memoirs:<br />
“Every time I hear this song today I am cut to the quick:<br />
what? You actually composed this? It often tortures<br />
me for days and I cannot sleep owing to my terror and<br />
shame - even today.”<br />
Norbert Schultze’s life had also changed in his private<br />
sphere. In 1941 he met the Bulgarian film actress<br />
and singer Iva Vanja and they were married in 1943.<br />
At that time he was writing the fairytale opera Das<br />
kalte Herz (The cold heart), based on Wilhelm Hauff,<br />
commissioned by the city of Leipzig. In the same year,<br />
1943, the film Symphonie eines Lebens - A life’s symphony<br />
- which in four symphonic sets using the flashback<br />
technique describes the socially shattered life of<br />
a composer. As a pupil I was deeply impressed by the<br />
film at the time with its Late Romantic symphonic orchestral<br />
music adapted from Brahms. The score was<br />
lost in the war. There are only two copies of the film<br />
today, in the form of photographic sound recordings of<br />
poor technical quality.<br />
Norbert Schultze had already become a member of<br />
the NSDAP in 1940 because he had been urgently<br />
prevailed upon to do so, especially to avoid being<br />
struck from the “Führer’s list” and having to demonstrate<br />
his readiness to die as a soldier in the infantry<br />
on the Eastern front, instead of his musical talent.<br />
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Norbert Schultze beschloss, sich und seinen inzwischen<br />
zwei Familien sein Leben zu erhalten und komponierte<br />
entschlossen und erfolgreich weiter, alle politischen<br />
und kriegerischen Turbulenzen verdrängend.<br />
Neben unpolitischen Spielfilmen wie Aus erster Ehe,<br />
Gold für Frisco, Die Nacht der Zwölf oder Sommer,<br />
Sonne, Erika entstand die Musik zu politischen Historienfilmen<br />
wie Bismarck oder Affäre Rödern, zu dem<br />
Kriegsfilm Kampfgeschwader Lützow, und schließlich,<br />
kurz vor dem Zusammenbruch des III. Reiches, vertonte<br />
er noch den monumentalen Durchhaltefilm Kolberg<br />
(Veit Harlan).<br />
Nach dem Kriege wurde Norbert Schultze bei seiner<br />
“Entnazifizierung” als “Mitläufer” eingestuft, musste<br />
aber zunächst, anstatt wie bisher die fünf Notenlinien<br />
zu füllen, einige Straßen reparieren, Gärten wiederaufbauen<br />
und als sanften Übergang in sein eigentliches<br />
Berufsleben für politisch nicht belastete Kollegen<br />
Orchesterstimmen herausschreiben.<br />
1948 war es für ihn schließlich wieder so weit und die<br />
Schultz’schen Filmkompositionen begleiteten von da<br />
an das deutsche Wirtschaftswunder musikalisch erfolgreich.<br />
Neben den zahlreichen Filmvertonungen<br />
komponierte Norbert Schultze auch für die Bühne.<br />
Berühmt wurde sein Musical Käpt’n Bay-Bay mit dem<br />
melodiösen Hauptsong Nimm mich mit Kapitän auf die<br />
Reise und dem Lied Kleine weiße Möwe.<br />
Im Verlaufe der Jahre entstanden die Bühnen-Revue<br />
Wir können uns das nicht leisten, die Operette Regen<br />
in Paris, die Märchen mit Musik Prinzessin auf<br />
der Erbse, Schneekönigin, Schneewittchen und Das<br />
tapfere Schneiderlein, die Lustspiele mit Musik Junge<br />
Spatzen und Kurzschluss.<br />
Das wichtigste Genre aber blieb für Schultze weiterhin<br />
der Film und später das Fernsehen. Der Käpt’n<br />
Bay-Bay wurde mit Hans Albers verfilmt und durch<br />
die anschließende Schallplattenproduktion einer der<br />
größten musikalischen Erfolge Schultzes.<br />
Er selbst sieht seine umfangreiche Filmarbeit sehr kritisch:<br />
“Unter den 25 Filmen, zu denen ich innerhalb<br />
von 10 Jahren die Musik geschrieben habe, sind, bei<br />
Lichte besehen, nur wenige, die zu erwähnen sich<br />
lohnt.” Das liegt freilich viel eher an den Drehbüchern<br />
und der Regie als am <strong>Komponist</strong>en. Eine positive Ausnahme<br />
ist hier der 1958 von Rolf Thiele gedrehte Film<br />
Das Mädchen Rosemarie. Der nie aufgeklärte Mord<br />
an einer Frankfurter Edel-Prostituierten zeigt das damalige<br />
bundesdeutsche Wirtschaftswunderland - mu-<br />
Norbert Schultze decided to preserve his life for himself<br />
and for the two families he had in the meantime<br />
and continued his work as a composer with determination<br />
and success, putting all political and wartime<br />
turbulences from his mind. Along with feature films of<br />
a non-political nature such as Aus erster Ehe - From<br />
the first marriage -, Gold für Frisco - Gold for Frisco -,<br />
Die Nacht der Zwölf - The night of the twelve - or Sommer,<br />
Sonne, Erika - Summer, sun, Erika - he wrote the<br />
music to political historical films such as Bismarck or<br />
Affäre Rödern - Rödern affair-, to the war film Kampfgeschwader<br />
Lützow - Lützow fighter squadron - and<br />
finally, shortly before the collapse of the Third Reich,<br />
he wrote the music for the monumental film Kolberg<br />
(Veit Harlan).<br />
After the war Norbert Schultze was classified as a<br />
“fellow traveller” during his “denazification”, but, instead<br />
of writing musical scores, he began by repairing<br />
roads, reconstructing gardens and, as a gentle return<br />
to his old profession, writing out orchestra parts for<br />
colleagues who were politically untainted.<br />
In 1948 he was finally allowed to resume his work and,<br />
from then on, Schultze’s film compositions began to<br />
successfully accompany - in musical terms - the German<br />
economic miracle.<br />
Along with the large amount of music he wrote for films,<br />
Norbert Schultze also composed for the theatre. The<br />
musicals that achieved fame were his Käpt’n Bay-Bay<br />
with the melodious theme song Nimm mich mit Kapitän<br />
auf die Reise (Take me on a journey captain) and<br />
the song Kleine weiße Möwe (Little white seagull).<br />
Over the years he wrote the stage revue Wir können<br />
uns das nicht leisten - We cannot afford this, the operetta<br />
Regen in Paris (Rain in Paris), the fairytales with<br />
music Prinzessin auf der Erbse (The princess on the<br />
pea), Schneekönigin (The snow queen), Schneewittchen<br />
(Snow White) and Das tapfere Schneiderlein<br />
(The brave little tailor) and the comedies with music,<br />
Junge Spatzen (Young sparrows) and Kurzschluss<br />
(Short-circuit).<br />
But the most important genre for Schultze continued<br />
to be the film and later television. Käpt’n Bay-Bay was<br />
made into a film starring Hans Albers and, thanks to<br />
the record production that followed, became one of<br />
Schultze’s greatest musical successes.<br />
He himself took a very critical view of his extensive<br />
work for film: “Seen in the cold light of day, of the 25<br />
films for which I wrote the music within a period of 10<br />
24
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Reden Werkkommentare<br />
sikalisch verschärft durch satirische Moritaten - mit<br />
seinen sozialen Verwerfungen kritisch und dabei kaba<br />
rettistisch überhöht. Die Besetzungsliste liest sich wie<br />
ein Ausschnitt aus dem “Gotha” der Schauspieler.<br />
Die “Aufarbeitung” unserer Zeitgeschichte geschah<br />
damals eher beiläufig und ohne beunruhigende Reflexion,<br />
aber mit viel Verdrängungsfähigkeit zum III.<br />
Reich.<br />
Norbert Schultze jedoch sah das im Zusammenhang<br />
mit seiner eigenen Vergangenheit für sich selbst jetzt<br />
kritisch: “Nur zwei historisch-politische Sujets fallen<br />
aus dem Rahmen der Nichtigkeiten: Einmal 1958 U<br />
47 - Kapitänleutnant Prien, da klingt als Zeitdokument<br />
mein U-Boot-Lied von 1942 noch einmal auf, jetzt<br />
natürlich vor dem tragischen Hintergrund des Untergangs<br />
und mit der verspäteten Erkenntnis eines sinnlos<br />
gewordenen Opfers. Für mich persönlich erschütternd,<br />
da ich 1942 vielleicht noch blauäugiger als der<br />
berühmte Kapitänleutnant dessen Todesfahrt musikalisch<br />
begleitet habe, - 1960 Soldatensender Calais<br />
unter Regie von Paul May. Darin ist Lili Marleen ein<br />
Lied, das mit dem Widerstand verknüpft ist - wie Lucie<br />
Mannheims Version des Liedes, die 1942 und 1943<br />
von der BBC London ausgestrahlt wurde.”<br />
Trotz der vielen Aufträge, des notwendigen, zeitraubenden<br />
Notenschreibens, der Auftritte als Pianist und<br />
Dirigent und der vielen Reisen fühlte sich Norbert<br />
Schultze verpflichtet, für seine Kollegen durch ehrenamtliche<br />
Tätigkeiten in der GEMA und dem Deutschen<br />
<strong>Komponist</strong>enverband auf einen Teil seiner ohnehin<br />
geringen Freizeit zu verzichten. Vier Jahrzehnte lang,<br />
von 1956-1996, half er als Kurator der GEMA-Sozialkasse<br />
zahllosen in Not geratenen Kollegen, über berufliche<br />
oder auch persönliche Schicksalsschläge wenigstens<br />
finanziell hinwegzukommen. Uns jüngeren<br />
Autoren stand er stets mit seinen realitätsgeprüften,<br />
lebensklugen Ratschlägen zur Verfügung, schenkte<br />
uns in vielen Gesprächen bereitwillig seine wache<br />
Aufmerksamkeit. Er vermochte immer mit feinem Gespür<br />
aufzumuntern und den naiven Nachwuchs durch<br />
ehrliche Worte vor den Fallstricken unseres Risikoberufes<br />
zu warnen oder auch hoffnungsvolle Wege<br />
aus fälschlich eingeschlagenen musikalischen Sackgassen<br />
zu weisen. Das alles ohne Besserwisserei<br />
oder gar Überheblichkeit, sondern mit ermutigender,<br />
freundlicher Kollegialität.<br />
Von 1973 bis 1992 war er stellvertretendes Vorstandsmitglied<br />
des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes und<br />
engagierte sich zusätzlich für die Interessen seiner<br />
years only a few are worth mentioning.” The reasons<br />
for this were of course rather the scripts and the directors<br />
than the composer. A positive exception in this<br />
context is the film Das Mädchen Rosemarie (The girl<br />
Rosemarie) made by Rolf Thiele in 1958. The unsolved<br />
murder of a high-class prostitute in Frankfurt critically<br />
shows the Germany of the time as the land of the<br />
economic miracle - musically highlighted by satirical<br />
street ballads and heightened in the cabaret style -<br />
with all its social distortions. The cast list reads like an<br />
excerpt from the actors’ “Gotha”.<br />
The method of “coping with” our contemporary history<br />
in those days was more of an incidental process and<br />
without any disturbing reflections but with a great gift<br />
for repressing memories of the Third Reich.<br />
Norbert Schultze, however, viewed this very critically<br />
in connection with his own past as far as it had a bearing<br />
on himself: “Only two historical-political subjects<br />
distinguish themselves from the list of trivialities: once<br />
in 1958 U 47 - Kapitänleutnant Prien, with my submarine<br />
song from 1942 as a document of the time, now<br />
of course against the tragic background of the sinking<br />
of the vessel and the delayed realisation that the sacrifice<br />
was meaningless. What causes me particular<br />
personal distress is the fact that in 1942 I provided the<br />
musical accompaniment to its fatal voyage even more<br />
naively than the famous lieutenant - and in 1960 the<br />
film Soldatensender Calais (Army radio station Calais)<br />
directed by Paul May. It contains Lili Marleen, a<br />
song that is associated with the resistance - like Lucie<br />
Mannheim’s version of the song that was broadcast in<br />
1942 and 1943 by BBC London.”<br />
Despite the many commissions, the necessary timeconsuming<br />
business of writing music, his appearances<br />
as pianist and conductor and his many trips, Norbert<br />
Schultze felt obliged to spare some of the little<br />
time that remained for his colleagues, for honorary<br />
work with GEMA and the German Composers’ Association.<br />
As trustee of the GEMA Welfare Fund for four<br />
decades, from 1956-1996, he helped a large number<br />
of colleagues who had fallen on hard times to overcome<br />
their professional or personal misfortunes at<br />
least in financial terms. He always helped us younger<br />
authors with wise advice gathered from his own real<br />
experiences, and was always willing to lend us his full<br />
attention in the many talks we had with him. He had<br />
a constant flair for cheering us up and warning naive<br />
young authors against the traps of our risky profession<br />
or showing us promising ways out of musical dead<br />
25
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Kollegen mehrere Jahrzehnte im GEMA-Werkausschuss,<br />
dem Wertungs- und Beschwerdeausschuss<br />
sowie in der Verteilungsplankommission; außerdem<br />
von 1959 bis 1996 im Kuratorium der Versorgungsstiftung<br />
der deutschen <strong>Komponist</strong>en.<br />
Als er 1996 anlässlich seines 85. Geburtstages für<br />
seine Aktivitäten um die Bewahrung des geistigen<br />
Eigentums sowie die Verbesserung des ideellen und<br />
finanziellen Schutzes der Musikautoren mit dem Ehrenring<br />
der GEMA ausgezeichnet wurde, betonte der<br />
GEMA-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Reinhold Kreile:<br />
“ Norbert Schultze hat die GEMA mitgeprägt, und<br />
die Gemeinschaft der <strong>Komponist</strong>en, Textdichter und<br />
Verleger verdankt ihm viel.”<br />
Bereits 1973 wurde ihm die höchste repräsentative<br />
Ehrung der deutschen Unterhaltungsmusik verliehen,<br />
der “Paul-Linke-Ring”. 1980 überreichte ihm im Fernsehen<br />
Peter von Zahn die “Goldene Europa”, worauf<br />
Norbert Schultze - mit der kleinen Statue in der Hand<br />
- feststellte: “Die Hälfte dieser Dame gehört bitte Hans<br />
Leip.” Der damals 87-jährige Dichter der Lili Marleen<br />
schrieb umgehend: “Dankeschön, lieber Norbert, aber<br />
eine Dame teilt man nicht.” Für sein umfangreiches<br />
Bühnen-Œuvre würdigte die Dramatiker-Union Norbert<br />
Schultze 1981 mit der “Goldenen Nadel”.<br />
Im Jahr zuvor produzierte der WDR-Hörfunk die Märchenoper<br />
Schwarzer Peter und 1984 Das kalte Herz<br />
in einer neuen Fassung. Norbert Schultze dirigierte<br />
beide Produktionen, die auch als CDs erschienen.<br />
Nach dem Tode seiner Frau Iwa Wanja - inzwischen<br />
aus dieser und seiner ersten Ehe mit sechs Kindern,<br />
achtzehn Enkeln und vier Urenkeln gesegnet - zog er<br />
1991 vorübergehend erst nach Hamburg, dann aber<br />
nach Mallorca, wo er sein “Abendsonnenlicht” - wie er<br />
sagt - kennen lernt und Ostern 1992 heiratet: Brigitt<br />
Salvatori. Zehn Jahre waren ihm dann noch vergönnt,<br />
die er zum größten Teil auf Mallorca, zwischendurch<br />
immer wieder in Berlin und zuletzt in Bayern verbrachte.<br />
Norbert Schultze war nicht nur ein außerordentlich<br />
begabter, er war auch ein bemerkenswert fleißiger<br />
<strong>Komponist</strong>, dem allerdings trotz aller Intelligenz und<br />
Weltläufigkeit in jungen Jahren seine politische Naivität<br />
zum Schicksal wurde. Er erkannte nicht das Teuflische<br />
im Nationalsozialismus, konnte sich aber damit<br />
im Kollektivverhalten der meisten Deutschen bestätigt<br />
fühlen - “Den Teufel spürt das Völkchen nie”, Mephisto,<br />
Faust I.<br />
ends mistakenly taken. All this without a trace of condescension<br />
or even superciliousness, but in an encouraging,<br />
friendly and co-operative manner.<br />
From 1973 to 1992 he was a deputy member of the<br />
executive board of the German Composers’ Association<br />
and as well as that worked for his colleagues’ interests<br />
for several decades in the GEMA Works Committee,<br />
the Ratings and Complaints Committee and in<br />
the Distribution Plan Committee; from 1959 to 1996<br />
he was also active on the board of trustees for the<br />
German composers’ pension foundation.<br />
In 1996, on his 85th birthday, he was awarded the<br />
GEMA Ring of Honour for his work in helping to safeguard<br />
intellectual property and in improving the moral<br />
and financial protection of music authors. At the award<br />
ceremony GEMA President Professor Kreile observed<br />
most emphatically: “Norbert Schultze has helped to<br />
shape GEMA and the community of composers, lyricists<br />
and publishers owes a great deal to him.”<br />
As early as 1973 he was awarded the highest representative<br />
honour of German light music, the “Paul<br />
Lincke Ring”. In 1980 Peter von Zahn awarded him<br />
the “Golden Europa” on television, whereupon Norbert<br />
Schultze - the little statue in his hand - stated, “Half<br />
of this lady belongs to Hans Leip.” The then 87-yearold<br />
author of the lyrics to Lili Marleen, wrote back immediately:<br />
“Thank you, dear Robert, but one does not<br />
share a lady.” In 1981 Norbert Schultze was awarded<br />
the “Golden Pin” by the Dramatists’ Union for his wideranging<br />
work for the stage.<br />
One year earlier the WDR radio station produced a<br />
new version of the fairytale opera, Schwarzer Peter,<br />
and in 1984 Das kalte Herz. Norbert Schultze conducted<br />
both productions, which were also released on<br />
CD.<br />
After the death of his wife Iva Vanja - in the meantime<br />
blessed with six children, eighteen grandchildren and<br />
four great-grandchildren from this and his first marriage<br />
- he moved to Hamburg for a while in 1991 and<br />
then to Mallorca where he met and married his “evening<br />
sunlight”- as he called her - at Easter in 1992, namely<br />
Brigitt Salvatori. He was granted the privilege of<br />
another ten years which he mostly spent on Mallorca<br />
and from time to time in Berlin and finally in Bavaria.<br />
Norbert Schultze was not only an extremely talented<br />
but also a remarkably industrious composer, whose<br />
26
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In seiner symphonischen Stilistik blieb Norbert Schultze<br />
beständig der deutschen Spätromantik des ausgehenden<br />
19. Jahrhunderts verhaftet, am deutlichsten in<br />
dem filmischen Musikdrama Symphonie des Lebens.<br />
Über seinen umfangreichen Werkkatalog, der fast alle<br />
Musikgenres umfasst, wird für immer das eine kleine<br />
Lied leuchten, das Lied von der Lili Marleen, dessen<br />
ahnungsvolle Beklommenheit schon den Zyniker Joseph<br />
Goebbels irritierte, das aber über alle kriegerischen<br />
Fronten des II. Weltkrieges hinweg in die Herzen<br />
der Soldaten traf und ihre privaten Sehnsüchte<br />
imaginierte: “Wenn sich die späten Nebel dreh’n ...”<br />
Musik war sein Leben<br />
Zum Tode von Helmut Brandt<br />
Von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderten<br />
sich die musikalischen Hörgewohnheiten in Deutschland<br />
zunächst kaum. Zwar war die zuvor ständig präsentierte<br />
Marschmusik passee und es belebte sich die<br />
Tanzmusik unter dem Einfluss des amerikanischen<br />
Swing, aber die sinfonische Unterhaltungsmusik beherrschte<br />
als populäre Tochter der seriösen historischen<br />
Tonkunst neben den aktuellen Schlagern die<br />
Programme der zahlreichen Rundfunksender.<br />
Der Jazz galt vorläufig weiterhin - wie seit den späten<br />
Zwanzigerjahren – als fremdartiger Bürgerschreck.<br />
Nur die Jugend interessierte sich für diese auffällig<br />
rhythmisch geprägte Musik mit zunehmender Begeisterung,<br />
sogar jenseits der sonst so üblichen sozialen<br />
Begrenzungen. In den Metropolen wie Berlin (West),<br />
Hamburg, München, Frankfurt und Köln gründeten<br />
young man’s political naivety, however, was to become<br />
his fate, despite all his intelligence and urbanity.<br />
He was unable to see the diabolical in National Socialism,<br />
but could feel confirmed in not doing so by the<br />
collective behaviour of most Germans. - “Den Teufel<br />
spürt das Völkchen nie” (The people never sense the<br />
devil), Mephisto, Faust I.<br />
In his symphonic style, Norbert Schultze always remained<br />
rooted in the German Late Romanticism of<br />
the late 19th century, most clearly in the musical film<br />
drama Symphonie des Lebens. A little song will forever<br />
shine out above his comprehensive catalogue of<br />
works that comprises nearly all genres, the song of Lili<br />
Marleen, whose uneasy foreboding had irritated even<br />
a cynic like Joseph Goebbels, but which went straight<br />
to the hearts of the soldiers on all the fronts of World<br />
War II and gave shape to their private longings: “Wenn<br />
sich die späten Nebel dreh’n ...” (When the late mists<br />
swirl).<br />
Fans Jazzclubs und in den frühen Fünfzigerjahren<br />
wurden die ersten Jazz-Festivals initiiert. Dort, 1955<br />
beim 3. Deutschen Jazz-Festival in Frankfurt a. M.,<br />
katapultierte sich Helmut Brandt mit seiner Combo in<br />
die vorderste Reihe der deutschen Jazzmusiker. Begeistert<br />
umjubelte das Publikum die junge Truppe aus<br />
Berlin, mit der Besetzung Baritonsaxophon, Trompete,<br />
Piano, Bass und Drums. Die Arrangements schrieb<br />
alle Helmut Brandt; auch seine ersten Kompositionen<br />
entstanden, wie zum Beispiel die berühmte Ballade<br />
„Nordlicht“.<br />
In der Bundesrepublik begann sich der Jazz zu emanzipieren,<br />
und wenngleich die Musikbranche weiterhin<br />
von den tradierten Genres beherrscht wurde, konnten<br />
sich doch deutsche Eigenarten in dieser bisher<br />
ausschließlich nach US-amerikanischen Vorbildern<br />
geprägten Musik langsam herausbilden. So fremd,<br />
wie es uns verkrustete Vorurteile immer wieder weismachen<br />
wollten, war diese Musik ohnehin nicht. Sind<br />
doch neben ihrem afrikanisch-amerikanischen Ur-<br />
27
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sprung gerade im harmonischen Bereich und den<br />
vom Musical des frühen 20. Jahrhunderts entlehnten<br />
Elementen transponierte europäische Anteile deutlich<br />
zu erkennen.<br />
Als Miles Davis 1948 das Capitol Orchestra gründete<br />
und mit dem Arrangeur Gil Evans das Klangideal der<br />
Cool-Jazz-Ära begründete, war Helmut Brandt 17 Jahre<br />
alt und studierte in Berlin am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium<br />
Klarinette und Tenorsaxophon. Er<br />
spielte bald in verschiedenen Berliner Clubs und holte<br />
sich erste BigBand-Erfahrungen in den bekannten Orchestern<br />
Lubo D’Orio und Kurt Widmann, nachdem er<br />
zum Baritonsaxophon überwechselte.<br />
Als Arrangeur und <strong>Komponist</strong> Autodidakt, erarbeitete<br />
er sich durch das Abhören und Nachschreiben von<br />
Jazz-Schallplatten seine Orchestrierungskenntnisse<br />
hartnäckig selbst. Helmut Brandt im Originalton: „Ich<br />
habe die großen Jazzmusiker akribisch studiert. Stan<br />
Kenton kenne ich seit meiner Jugend in- und auswendig.<br />
Von Schellack-Platten habe ich etwa zehn Titel<br />
des Miles Davis Capitol Orchestras abgeschrieben<br />
und nacharrangiert. Es waren sehr komplizierte Klänge,<br />
sehr schwer zu hören.“<br />
Nach dem fantastischen Erfolg auf dem Frankfurter<br />
Jazzfestival, seine Komposition „Sum“ war dort der<br />
meistdiskutierte Beitrag, sah er für die Realisation<br />
seiner größeren kompositorischen Visionen nur noch<br />
Möglichkeiten beim Rundfunk. Nach weiteren Erfolgen<br />
als Solist und <strong>Komponist</strong>, zum Beispiel mit dem 1957<br />
im „SDR-Treff Jazz“ uraufgeführten „Konzert für Jazz<br />
Combo“ und 1958 einer Auftragskomposition für die<br />
All Stars des Frankfurter Jazz-Festivals, trat Helmut<br />
Dem Neuen auf der Spur<br />
Prof. Dr. h.c. Erich Schulze zum 90. Geburtstag<br />
von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Wer die Filmaufnahmen von der endlosen Trümmerlandschaft<br />
Berlins kurz nach Kriegsende kennt, kann<br />
sich vorstellen, von welchem Optimismus ein 32-jähriger<br />
Stagma-Mitarbeiter beseelt sein musste, der im<br />
Spätsommer 1945 die ausgedehnten Ruinenfelder<br />
durchradelte, um in den zahlreichen Kellerbars oder<br />
den wenigen intakt gebliebenen Tanzlokalen Aufführungslisten<br />
von den Kapellen einzutreiben. Vereinzelt<br />
Brandt 1959 dem damals über Deutschland hinaus<br />
bekannten RIAS-Tanzorchester Berlin als Baritonsaxophonist<br />
und Arrangeur bei. Im Verlaufe der Jahre<br />
schrieb er neben populären BigBand-Arrangements<br />
zahlreiche große Orchesterwerke, wie „Reise nach<br />
Prag“ in 3 Sätzen, in der außer der BigBand noch<br />
Streicher, Hörner und Holzbläser mitwirken.<br />
1998 wurden durch das Rundfunk Symphonie-orchester<br />
Berlin und die RIAS-Big-band seine „Symphonischen<br />
Impressionen“ im Konzerthaus Berlin uraufgeführt.<br />
Diese sinfonischen Jazzkompositionen gehören<br />
auf diesem Gebiet zu dem Interessantesten, was im<br />
Deutschland des 20. Jahrhunderts entstand.<br />
Als er mit 65 Jahren aus der RIAS-Bigband ausscheiden<br />
musste, arbeitete er erfolgreich weiter mit seinem<br />
bereits vorher gegründeten Helmut-Brandt-Mainstream-Orchestra,<br />
dessen reichhaltiges Repertoire er<br />
aus eigenen und anderen populären Jazznummern<br />
selbst schrieb.<br />
Unser natürlicher Lebenswille verhindert oft die Ahnung<br />
vom Tode, aber sie streift uns gelegentlich, so<br />
auch den vitalen, jugendlichen 68-jährigen Helmut<br />
Brandt, als er vor zwei Jahren sagte: „So viel möchte<br />
ich noch machen! Mozart und Beethoven – nicht, dass<br />
ich mich mit ihnen vergleichen wollte – aber beide hatten<br />
wohl das ganze Leben Angst, nicht mehr genug<br />
Zeit zu haben, all das aufzuschreiben, was ihnen im<br />
Kopf herum spukte. Diese Angst kenne ich auch.“<br />
Ihn ereilte ein plötzlicher Herzschlag bei einem Spaziergang<br />
in Stuttgart, wo er mit seinem großartigen<br />
Mainstream-Orchestra bald wieder auftreten sollte<br />
und dessen neueste CD demnächst erscheinen wird.<br />
gab es inzwischen auch wieder Konzerte zeitgenössischer<br />
Musik mit Werken, die zwölf Jahre lang “unerwünscht”<br />
oder verboten waren.<br />
Dieser junge Mann erweckte die einzige deutsche musikalische<br />
Inkassogesellschaft aus ihrer kriegsbedingten<br />
Bewusstlosigkeit mit Energie und Einfallsreichtum<br />
wieder zum Leben. Von der alliierten Militärregierung<br />
ertrotzte er Arbeitserlaubnis, Papierzuteilungen, Reisegenehmigungen<br />
und alles, was damals notwendig<br />
war, um in dieser Zeit des Ausnahmezustandes eine<br />
administrativ effektive Organisation wieder aufbauen<br />
zu können.<br />
28
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Als Nichtmitglied der Nazipartei hätte er auch Stadtrat<br />
von Wilmersdorf oder Steglitz werden können. Aber<br />
er zog es vor, in dem von Bomben und Granaten zur<br />
Mondlandschaft umgepflügten Berliner Stadtraum<br />
nach realen Musikklängen zu forschen, um diese für<br />
ein Inkasso in alter Reichsmark zu registrieren und so<br />
den Urhebern einen bescheidenen finanziellen Neuanfang<br />
zu ermöglichen. Dieses Geschäft betrieb der<br />
junge Mann Monat für Monat mit zunehmendem Erfolg,<br />
denn aus den Trümmern blühte zaghaft neues<br />
Leben, und dieses wollte sich seine staubig graue und<br />
hungrige Umgebung wenigstens mit Musik verschönen:<br />
“Ich hab’ so schrecklich Appetit auf Würstchen<br />
mit Salat.”<br />
Es entstanden bald in beiden Teilen Deutschlands die<br />
heutigen Strukturen der Bezirksdirektionen, die natürlich<br />
nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern inzwischen<br />
mit einem von den Alliierten zur Verfügung gestellten<br />
fauchenden Holzvergaser-Opel bereist wurden.<br />
Das an sich Unmögliche gelang schließlich, die GEMA<br />
entstand neu aus den Ruinen, und der unerschrockene<br />
junge Mann wurde von 1950 bis 1989 ihr Alleinvorstand,<br />
ohne Mitteldeutschland, das allerdings wurde<br />
inzwischen von der staatlichen DDR- Inkassogesellschaft<br />
AWA verwaltet.<br />
In diesem Jahr nun feiert Prof. Dr. h.c. Erich Schulze<br />
seinen 90. Geburtstag.<br />
In den letzten neun Jahren seiner Amtszeit lernte ich<br />
ihn durch meine Tätigkeit im GEMA- Aufsichtsrat näher<br />
kennen. Dabei entdeckte ich bald, dass der auf internationalen<br />
Podien vielfach Geehrte, mit Orden und<br />
Medaillen, akademischen, weltlichen wie päpstlichen<br />
Titeln Geschmückte - bei aller erkennbaren Freude<br />
über diese Ehrungen - ein Zeitgenosse realistischmenschlichen<br />
Denkens geblieben war. Er nahm sich<br />
der Sorgen seiner über 1000 Mitarbeiter ebenso an<br />
wie der Nöte einzelner GEMA-Mitglieder, deren Gesamtzahl<br />
damals rund 25 000 betrug. Trotz der sich<br />
hieraus ergebenden außerordentlichen Machtfülle<br />
- die freilich auch mit entsprechender Verantwortung<br />
getragen sein wollte - blieb Prof. Dr. Schulze, was er<br />
ehedem immer war: Ein sich an der Mitwelt orientierender<br />
Zeitgenosse, dem wohl nichts Menschliches<br />
fremd ist, dem aber auch der Mensch als Maß aller<br />
Dinge gilt, ohne dass solche Bestrebungen mit der<br />
Satzungstreue des Kant´schen Imperativs exekutiert<br />
würden. Er nahm jede Herausforderung ohne großes<br />
Zögern an, ging Konflikten nicht aus dem Wege,<br />
wenn er sie im Interesse seiner Urheber für notwendig<br />
erachtete. Er war ein Einzelkämpfer, von keinerlei<br />
Ängstlichkeit gebremst, der aber mit Voraussicht<br />
seine Chancen meist richtig einschätzte und danach<br />
handelte. Freilich hat man in diesem hohen Alter viele<br />
Feinde kommen, vor allem aber gehen sehen. Wer<br />
wird da nicht besinnlicher?<br />
Unsere gemeinsame Arbeit im Aufsichtsrat wie in<br />
den verschiedenen Ausschüssen führte oft zu divergierenden<br />
Meinungen, deren Ursache gelegentlich<br />
grundverschiedene Interessenlagen zwischen Autoren<br />
und Verlegern, auch mal zwischen <strong>Komponist</strong>en<br />
und Textdichtern oder U- Musik und E-Musik waren.<br />
Da galt es für Prof. Dr. Schulze, stets mit taktischem<br />
Geschick und feinem Gespür diplomatisch und intelligent<br />
zu verhandeln: Um die Besitzstände der verschiedenen<br />
gema-eigenen Gruppierungen in einer<br />
vertretbaren Balance zu halten, kleine Eitelkeiten zu<br />
berücksichtigen - auch die eigenen -, dabei notwendigen<br />
Neuerungen auf den Weg zu helfen, Minderheiten<br />
vor ungerechtfertigten Auszehrungen zu schützen, die<br />
Altersversorgung und Sozialleistungen abzusichern,<br />
um nur einige Punkte aus dem großen Repertoire der<br />
Aufgabenpalette zu nennen.<br />
Und das alles auf dem recht dünnen Eis des vom Gesetzgeber<br />
mit munteren Augen bewachten Satzungsgewirrs,<br />
dessen kafkaeske Ausmaße sich nur nach<br />
jahrelangem Studium zu lichten scheinen. Zusätzlich<br />
muss den sich ständig ändernden Verhaltensmustern<br />
des Musikmarktes Rechnung getragen, nationale Eigenheiten<br />
den internationalen Gepflogenheiten angepasst<br />
werden, ohne dabei die eigene Identität zu<br />
opfern oder gar Verluste hinzunehmen.<br />
Die energische Elastizität, mit der Professor Dr. Schulze<br />
den komplexen Forderungen des Tages gegenübertrat,<br />
blieb in all den Jahren unverändert, seine<br />
Vitalität und Arbeitsbereitschaft ungemindert. Sicher<br />
muss jemand zu den Besten zählen, um auf diesem<br />
gefährlich glatten Parkett über 40 Jahre mit außerordentlichem<br />
Erfolg gewirkt zu haben. Bei all seinen<br />
leistungsüberragenden Aktivitäten lässt sich Prof. Dr.<br />
Schulze nicht zu einem Musikliebhaber stilisieren. Seine<br />
Einstellung zur Musik ist von Gleichmut getragen,<br />
besonders wenn es zeitgenössische Konzertmusik<br />
betrifft. Eher sah man ihn bei einem Schlagerfestival<br />
vorbeischauen, denn diese Musik fordert kaum Widerspruch<br />
heraus, sie ist niemals dumm, weil sie niemals<br />
klug zu sein braucht und lässt einem einfachen Be-<br />
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haglichkeitsanspruch Raum. Sie erlöst vom Geiste,<br />
der uns peinigt und dem wir sonst kaum entrinnen<br />
können. Sicher war es feinere diplomatische Taktik,<br />
dass Mister GEMA - so nannte schon vor Jahrzehnten<br />
die Frankfurter Allgemeine Zeitung Prof. Dr. Schulze -<br />
durch sein Auftreten in populären Fernsehsendungen<br />
breiteren Volksschichten unsere Urheberrechtsinstitution<br />
nahe brachte und damit die ungerechten Vorurteile<br />
gegen Autorentantiemen abzubauen half. Mehr<br />
als mit der akustischen Ausdruckswelt hält es Prof.<br />
Dr. Schulze privat mit der Literatur. Hier trifft man ihn<br />
im eigenen Hause an, denn mit den Modernen ist er<br />
so vertraut wie mit der Romantik oder den Klassikern.<br />
Nicht, dass er allen Zacken und Windungen folgte,<br />
welche die Avantgarde schlägt, aber dem Neuesten<br />
bleibt er auf der Spur und weiß darüber beiläufig, aber<br />
treffend zu berichten.<br />
Von Herzen soll hier endlich ein Dankeschön ausgesprochen<br />
werden, ein Dank für weit über 40 Jahre<br />
treueste Dienste an <strong>Komponist</strong>en, Textdichtern und<br />
Verlegern unseres Landes - ein Dank auch für die kulturpolitische<br />
Arbeit, deren Wert und Nutzen gar nicht<br />
hoch genug veranschlagt werden kann. Dank auch für<br />
die menschliche Anteilnahme, deren sich in besonderem<br />
Maße die Autoren sicher sein durften, eine Sicherheit<br />
in einer Welt, deren Unsicherheit eines ihrer<br />
sichersten Kennzeichen ist.<br />
Nicht vergessen werden wir, dass er uns zu seinem<br />
Abschied aus dem Amt mit Prof. Dr. Kreile einen so<br />
überragend tüchtigen und würdigen Nachfolger empfahl,<br />
der Prof. Dr. Schulzes segensreiches Werk mit<br />
großem Erfolg fortsetzt und so die Erinnerungen an<br />
diese außerordentliche Leistung, nämlich mit der<br />
GEMA eine in der Welt einzigartige Inkassogesellschaft<br />
aufgebaut zu haben, bei uns allen wach hält.<br />
Möge Professor Dr. Schulze mit Freude und Stolz<br />
noch viele Jahre auf sein weiterhin florierendes Lebenswerk<br />
blicken und dabei des Dankes seiner Autoren<br />
gewiss sein.<br />
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Festakt 100 Jahre GEMA am 2. Mai 2003 in Berlin<br />
Festredner <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, GEMA-Aufsichtsrat<br />
und Präsident des Deutschen <strong>Komponist</strong>en-Verbandes<br />
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,<br />
meine verehrten Damen und Herren!<br />
Die Entwicklungsgeschichte des Urheberrechts für<br />
künstlerische Schöpfungen zeigt einen kurvenreichen,<br />
gelegentlich sogar bizarren Verlauf, der uns zurück bis<br />
in das 18. Jahrhundert führt. Hier möchte ich Sie mit<br />
einem Mann bekannt machen, dessen abenteuerliches<br />
Leben einem pittoresken Bühnenstück entlehnt<br />
sein könnte. Ihm verdanken wir den bis heute in unserer<br />
Urheberrechtsgesetzgebung festgeschriebenen<br />
Begriff des “Geistigen Eigentums”: Pierre-Augustin<br />
Carson de Beaumarchais, geboren 1732.<br />
Im 18. Jahrhundert blühte die Aufklärung, es wirkten<br />
Goethe, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant, Jefferson,<br />
Benjamin Franklin, aber auch erste freischaffende,<br />
sich vom höfischen, musikalischen Frondienst emanzipierende<br />
<strong>Komponist</strong>en; Wolfgang Amadeus Mozart<br />
ist der uns heute bekannteste von ihnen. Es entwikkelte<br />
sich die Idee von religiöser und politischer Freiheit,<br />
vom Fortschritt, die Vernunft begann über den<br />
Aberglauben zu siegen, unsere moderne Vorstellung<br />
vom individuellen Recht auf Glück formte sich. Der<br />
Mensch befreite sich aus seiner selbst verschuldeten<br />
Unmündigkeit, wie es Kant formulierte. Es war eine<br />
der hoffnungsvollsten Epochen unserer neuzeitlichen<br />
Geschichte, der Beginn unserer modernen Welt, mit<br />
allen Vor- und Nachteilen.<br />
Beaumarchais, der Sohn eines Pariser Uhrmachers,<br />
war während seines abenteuerlichen Lebens in zahlreichen<br />
Berufen tätig, zunächst als Uhrmacher und<br />
Musiker, schließlich brachte er es zum hohen Beamten<br />
am Hofe Ludwigs XV. Nebenbei handelte er mit<br />
Holz, Kerzen oder Waffen, was ihm immer wieder<br />
Rechtsstreitigkeiten und sogar Gefängnisstrafen einbrachte.<br />
Einzig als Autor blieb er erfolgreich und wurde<br />
durch seine Theaterstücke La folie journée (Figaros<br />
Hochzeit) und Le Barbier de Seville weltberühmt.<br />
Der Dichter und zugleich trickreiche Geschäftsmann<br />
Beaumarchais wollte sich nicht damit abfinden, von<br />
den Theatern regelmäßig um einen Teil des ihm zustehenden<br />
Geldes betrogen zu werden.<br />
Die damals meist von Schauspielern geleiteten Unternehmen<br />
rechneten häufig nicht korrekt ab, unterschlu-<br />
GEMA’s Centenary Celebration in Berlin –<br />
a Dazzling Ceremony<br />
Speech of <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, member of the<br />
GEMA Board of Supervisors and<br />
President of the German Composers’ Association<br />
President Rau,<br />
Ladies and gentlemen!<br />
The history of copyright for the products of artistic<br />
creation has followed a meandering, sometimes bizarre<br />
course with origins back in the 18th century. Let me<br />
introduce you to a man whose adventurous life might<br />
have been drawn from a pittoresco play. We owe to<br />
him the concept of “intellectual property”, which has<br />
remained anchored in our copyright legislation to this<br />
day. His name was Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais,<br />
and he was born in 1732.<br />
The 18th century brought the heyday of Enlightenment.<br />
It was the age of Goethe, Voltaire, Rousseau,<br />
Diderot, Kant, Jefferson, Benjamin Franklin, but also<br />
of the first freelance composers, seeking emancipation<br />
from musical servitude at the courts of the nobility;<br />
Wolfgang Amadeus Mozart is the best-known of these<br />
today. Ideas were developed of religious and political<br />
liberty and of progress; reason began to triumph over<br />
superstition; our modern view of the individual right to<br />
happiness took shape. Man was released from what<br />
Kant called the “subservience for which he was himself<br />
to blame”. It was one of the most hopeful eras in<br />
modern history, the dawn of our modern world, with all<br />
its pros and cons.<br />
Beaumarchais, the son of a Parisian watchmaker, engaged<br />
in many occupations during the course of his<br />
adventurous life, starting out as a watchmaker and<br />
musician and ending up as a high-ranking official at<br />
the court of Louis XV. On the side, he traded in timber,<br />
candles and weapons, as a result of which he found<br />
himself time and again in court, and sometimes prison.<br />
His only unblemished success was as a writer, and he<br />
won international fame with his plays La folie journée<br />
(The Marriage of Figaro) and Le Barbier de Seville. As<br />
an author and at the same time a clever businessman,<br />
Beaumarchais refused to accept the way theatres regularly<br />
cheated him out of some of the money to which<br />
he was entitled.<br />
These enterprises, most of them run by actors, were<br />
frequently lax with their accounting, neglecting to<br />
mention entire performances or simply refusing to pay<br />
31
KARL HEINZ WAHREN<br />
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gen ganze Vorstellungen oder verweigerten einfach<br />
die vertraglich festgelegten Zahlungen. So beschloss<br />
Beaumarchais im Sommer 1777 schließlich, das Problem<br />
grundsätzlich zu lösen. Er bat die Pariser Theaterautoren<br />
in sein Haus zum Souper. Und sein Plan<br />
ging auf: Im Verlaufe des Abends gründeten die 22<br />
zusammengekommenen Autoren die erste Urheberrechtsgesellschaft<br />
der Welt, die “Société des auteurs<br />
dramatiques”, aus der dann 1851 die heute noch existierende<br />
Urheberrechtsgesellschaft SACEM hervorging.<br />
Das zentralistisch gelenkte Frankreich war der Entwicklung<br />
in Deutschland um ein halbes Jahrhundert<br />
voraus. Denn die sehr unterschiedliche Gesetzgebung<br />
der zahlreichen deutschen Kleinstaaten hatte ein einheitliches<br />
Urheberrecht lange verzögert.<br />
Mit der allmählichen Entwicklung eines eigenständigen,<br />
bürgerlichen Musiklebens im Deutschland des<br />
ausgehenden 18. Jahrhunderts verselbstständigte<br />
sich die bis dahin im Dienste der Kirche und der Aristokratie<br />
befangene Musik. Die geistige Erhebung des<br />
Bürgertums gegen die vom Adel bestimmten Klassenschranken<br />
geschah im Nachhall der Französischen<br />
Revolution. Dabei entwickelte sich auch der bürgerliche<br />
Anspruch auf eine eigene Musikkultur.<br />
Der Beruf des <strong>Komponist</strong>en erhielt nun einen ganz<br />
neuen gesellschaftlichen, vor allem aber auch künstlerischen<br />
Stellenwert: Er trat aus der höfischen Isolation<br />
ins Licht eines öffentlichen, bürgerlichen Konzertlebens.<br />
Musste der <strong>Komponist</strong> im fürstlichen Dienst<br />
seine Mahlzeiten in der Küche mit der Dienerschaft<br />
einnehmen, so durfte er nun gleichberechtigt an der<br />
Tafel des Großbürgertums speisen. Das schloss allerdings<br />
nicht aus, dass die alltäglichen Lebensverhältnisse<br />
eher bescheiden blieben, wie wir in den Memoiren<br />
selbst herausragender Tonsetzer lesen können.<br />
Waren die Autoren ehedem auf die mehr zufällige,<br />
häufig wechselnde Huld ihrer kirchlichen oder fürstlichen<br />
Dienstherren angewiesen, mussten sie nun an<br />
den Einlasstüren der Konzertsäle das Abkassieren<br />
der Eintrittsgelder selbst überwachen.<br />
Der besonders misstrauische Paganini - so wird erzählt<br />
- verkaufte persönlich die Billetts. Er deponierte<br />
die Einnahmen in seinem Geigenkasten, den er mit<br />
auf die Bühne nahm und während seines furios-virtuosen<br />
Spiels nicht mehr aus den Augen ließ.<br />
contractually agreed sums. In the summer of 1777,<br />
Beaumarchais therefore decided to resolve the problem<br />
once and for all. He invited the theatrical writers<br />
of Paris to a supper at his home. And the plan worked:<br />
in the course of that evening the twenty-two authors<br />
present founded the world’s first copyright society, the<br />
“Société des auteurs dramatiques”, which gave birth<br />
in 1851 to the copyright society SACEM, still in existence<br />
today.<br />
France, with its centralised government, was half a<br />
century ahead of Germany. The very different laws<br />
pertaining in the myriad German principalities delayed<br />
standardised legislation on copyright for many years<br />
to come.<br />
As the bourgeois classes gradually established a<br />
musical life of their own in Germany in the late 18th<br />
century, musicians who had hitherto been fettered in<br />
the service of the church and aristocracy also began<br />
to acquire independence. In the wake of the French<br />
Revolution, the bourgeoisie unleashed an intellectual<br />
rebellion against the class barriers erected by the<br />
nobility. The bourgeois demand for a different musical<br />
culture was part of this process.<br />
The profession of composer acquired a quite new social<br />
and, above all, artistic status, away from isolation<br />
at court and into the broad daylight of public concerts<br />
for the middle classes. A composer in the service of a<br />
prince had been obliged to take his meals in the kitchen<br />
with the other domestics, whereas now he could<br />
dine as an equal at the table of the grand bourgeoisie.<br />
That did not necessarily prevent his everyday lifestyle<br />
from being rather modest, as we read in the memoirs<br />
of even the most accomplished symphonists.<br />
Once dependent on the arbitrary, often fluctuating<br />
favours of their ecclesiastical or secular lords, these<br />
authors were now obliged to stand at the doors of concert<br />
halls to supervise the collection of entrance fees<br />
on their own behalf.<br />
Paganini - they say - was particularly distrustful and<br />
sold his tickets himself. He deposited the takings in his<br />
violin case and took this on stage with him, where he<br />
would not take his eyes off it throughout his virtuoso<br />
performance.<br />
Today’s composers are spared such rigours, for after<br />
the original Society for Musical Performance<br />
Rights (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte)<br />
32
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Solche Strapazen bleiben uns heutigen <strong>Komponist</strong>en<br />
erspart. Denn nach der Gründung der ersten “Anstalt<br />
für musikalische Aufführungsrechte” in Deutschland -<br />
auf Initiative von Richard Strauß, Hans Sommer und<br />
Friedrich Rösch - entwickelte sich die GEMA zu einer<br />
weltweit führenden Urheberrechtsgesellschaft. Und<br />
das trotz der schrecklichen politischen und kriegerischen<br />
Turbulenzen während der ersten Hälfte des 20.<br />
Jahrhunderts.<br />
Inzwischen nimmt die GEMA im wirtschaftlich vereinigten<br />
Europa für alle in Deutschland lebenden Musikurheber<br />
- und ebenso für die Musikverleger - die<br />
Rechte in treuhänderischer Verwaltung wahr. Der ihr<br />
vom Gesetzgeber erteilte kulturelle Auftrag ist im Satzungskanon<br />
verankert. So ist die GEMA ausdrücklich<br />
gehalten, auch künstlerische Gegebenheiten zu berücksichtigen.<br />
Wir Urheber dürfen bei dem von uns anvisierten Ziel<br />
einer angemessenen Verwertbarkeit unserer künstlerischen<br />
Arbeit nicht alles ausschließlich unter dem<br />
Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effektivität sehen.<br />
Das war nie und darf nie das Grundmotiv unseres<br />
Schaffens sein, denn das würde unserem über Jahrhunderte<br />
gewachsenen Kulturverständnis entgegenstehen,<br />
das eine normative ethische Grundlage unserer<br />
Gesellschaft ist.<br />
Als Autoren dürfen wir unsere Musikvisionen nicht allein<br />
dem Markt und seinen Managern überlassen. Der<br />
Markt wird alles, über die nationalen Grenzen hinweg,<br />
ausschließlich nach seinen merkantilen Gesetzen vereinheitlichen.<br />
Den eigentlichen Musikschöpfern droht<br />
die Aktivität genommen zu werden, ob in der U-Musik<br />
oder in der E-Musik. Es gilt daher, die sich weltweit befruchtenden<br />
Kulturzonen zu bewahren. Es gilt, unsere<br />
kulturelle Vielfalt zu erhalten, um einer Bequemlichkeit<br />
auf verständlichstem Niveau entgegenzuwirken. - Leider<br />
wird diese heute längst in einem großen Teil der<br />
privat-rechtlich betriebenen Fernseh- und Radiostationen<br />
lärmend angeboten. -<br />
Es gilt also den “langen Marsch” ins geistige Neandertal<br />
zu verhindern. Wobei die Ironie ist: Das kleine,<br />
aber weltberühmte Neandertal zwischen Düsseldorf<br />
und Mettmann wurde durch die Funde des Frühmenschen<br />
weltberühmt, seinen Namen erhielt es jedoch<br />
nach dem Prediger, Dichter und <strong>Komponist</strong>en Joachim<br />
Neander, der dort im 17. Jahrhundert lebte.<br />
was founded in Germany, on the initiative of Richard<br />
Strauss, Hans Sommer and Friedrich Roesch, GEMA<br />
eventually evolved into one of the world’s leading copyright<br />
associations. In spite of the appalling political<br />
and bellicose turbulence that marked the first half of<br />
the twentieth century.<br />
Now, in an economically united Europe, GEMA manages<br />
rights on a fiduciary basis for all music authors<br />
- and also music publishers - living in Germany. The<br />
cultural remit defined for it by the legislature is inscribed<br />
in its canon of statutes. GEMA is explicitly called<br />
upon, for example, to respect artistic considerations.<br />
Although it is our declared aim as authors to have our<br />
artistic work appropriately rewarded, we should not<br />
see everything in terms of commercial effect. That<br />
has never been the primary motive for our creativity,<br />
and never should be; for it would be at odds with an<br />
understanding of culture that has developed over the<br />
centuries and is one of the basic ethical foundations<br />
of our society.<br />
As authors we must not submit our musical visions<br />
entirely to the market and its managers. The market<br />
will level everything, across national boundaries, in<br />
sole obedience to mercantile laws. There is a threat<br />
that the real creators of music will be deprived of their<br />
activity, in light music and serious music alike. The zones<br />
of culture, fertilised world-wide, must be protected.<br />
Our cultural diversity must be preserved to counter<br />
convenience at the level of broadest comprehension.<br />
Unfortunately, this is what many private TV and radio<br />
stations have long since been noisily offering.<br />
In other words, we must prevent the long descent into<br />
an intellectual Neanderthal. This valley between Düsseldorf<br />
and Mettmann, small for all its fame, became a<br />
household name across the world after the remains of<br />
prehistoric man were discovered there. Ironically, the<br />
place was named after the preacher, poet and composer<br />
Joachim Neander, who lived there in the 17th<br />
century.<br />
As a collecting society, GEMA is of vital importance,<br />
not only to its members. In making copyright happen,<br />
it ensures a safe place for our works in a society which<br />
may well be culturally orientated, but is sometimes<br />
prevented by the sheer speed of life from being aware<br />
of its culture. Musical works of the present and recent<br />
past are documented, protected, preserved for their<br />
33
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Die Inkassogesellschaft GEMA ist nicht nur für ihre<br />
Mitglieder von existenzieller Bedeutung. Indem sie<br />
das Urheberrecht realisiert, verschafft sie den Werken<br />
einen gesicherten Ort in unserer zwar kulturorientierten,<br />
aber in der Schnelllebigkeit nicht immer kulturbewussten<br />
Gesellschaft. Musikalische Werke unserer<br />
Gegenwart und der näheren Vergangenheit werden<br />
dokumentiert, geschützt, als Werte bewahrt. Hier treffen<br />
Goethes Faust-Worte auch für künftige Generationen<br />
eine kulturelle Realität:<br />
“Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um<br />
es zu besitzen.”<br />
50 Jahre DKV – Festakt am 12. März 2004, Berlin<br />
Über die Ziele des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />
und Anmerkungen zu seiner Frühgeschichte anlässlich<br />
seines 50-jährigen Neugründungs-Jubiläums<br />
Rede von Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> –<br />
Präsident des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />
Die Neugründung des Deutschen <strong>Komponist</strong>enverbandes<br />
im Jahr 1954 sollte vor allem ein symbolisches<br />
Zeichen sein für die grundsätzliche Erneuerung dieser<br />
berufsständischen Organisation nach den politischen<br />
und kriegerischen Katastrophen in der ersten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts. Denn schon lange vorher, noch<br />
im wilhelminischen Kaiserreich, wurde im Herbst 1898<br />
in Leipzig die erste Vereinigung deutscher <strong>Komponist</strong>en<br />
ins Leben gerufen. Zuvor hatte Richard Strauss in<br />
einem Rundschreiben und im Namen berühmter Kollegen<br />
wie Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max<br />
von Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Rösch und<br />
Hans Sommer zur Gründung einer <strong>Komponist</strong>en-eigenen<br />
- verlegerfreien - Interessenvertretung aufgerufen:<br />
“Zweck und Aufgabe dieses Autorenverbandes wäre<br />
einzig und alleine eine wirksame genossenschaftliche<br />
Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte und<br />
der damit verknüpften Standesinteressen.”<br />
Zu den von den Leipziger Verbandsgründern seit<br />
1898 angestrebten Zielen verpflichteten sich auch alle<br />
weiteren <strong>Komponist</strong>envereinigungen, die in der wech-<br />
own value. It makes cultural reality, today and for future<br />
generations, of those words from Goethe’s Faust:<br />
“The precious things your forebears left for you Assimilate,<br />
that you may own them.”<br />
50 years German Music Composers‘ Association<br />
The objectives of the German Music Composers’ Association<br />
with remarks on its early history on the 50th<br />
anniversary of its re-establishment<br />
by Prof. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> –<br />
President of the German Music Composers’ Association<br />
The re-establishment of the German Music Composers’<br />
Association in 1954 was mainly intended to be<br />
a symbol of the fundamental renewal of this professional<br />
organisation after the political and military catastrophes<br />
of the first half of the 20th century. In fact, the<br />
first association of German composers had already<br />
been founded long before at the time of the Wilhelminian<br />
Empire, in autumn 1898 in Leipzig. Before that,<br />
Richard Strauss had circulated an appeal in the name<br />
of famous colleagues such as Eugen d’Albert, Engelbert<br />
Humperdink, Max von Schillings, Gustav Mahler,<br />
Friedrich Roesch and Hans Sommer to found their<br />
own association of composers - without publishers:<br />
“The sole purpose and task of this authors’ association<br />
would be an effective co-operative administration of all<br />
musical copyrights and the interests of the profession<br />
associated with it.”<br />
The aims that the founders of the association had<br />
been striving for since 1898 were also espoused by<br />
all further composers’ organisations that were founded<br />
in the ever-changing course of German history in the<br />
34
KARL HEINZ WAHREN<br />
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selvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts<br />
noch gegründet wurden, sich wieder auflösten oder<br />
sich mit anderen Organisationen gleicher<br />
Intention vereinigten. Auch heute bleibt die Wahrnehmung<br />
und der Schutz aller dem <strong>Komponist</strong>en<br />
zustehenden Rechte die dringlichste Aufgabe dieser<br />
großen berufsständischen Vereinigung. Das “Gesetz<br />
über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte” garantiert<br />
uns <strong>Komponist</strong>en - bei angemessenem Fleiß<br />
und entsprechendem Erfolg - eine finanzielle Sicherheit,<br />
von der die Kollegen früherer Jahrhunderte nur<br />
träumen konnten. Denn auf die launisch wechselnde<br />
Huld ihrer aristokratischen Dienstherren angewiesen,<br />
mussten diese sich vornehmlich als Instrumentalisten<br />
oder Dirigenten ihren Lebensunterhalt verdienen, an<br />
kleineren Residenzen war das oft auch noch mit Servierdiensten<br />
oder Gärtnerarbeit gekoppelt. Mozart gilt<br />
in seinem letzten Lebensjahrzehnt, nach dem von ihm<br />
provozierten Bruch mit dem Salzburger Fürstenbischof<br />
Graf Colloredo, als einer der ersten erfolgreichen freischaffenden<br />
<strong>Komponist</strong>en. Seine zum Teil erheblichen<br />
Einnahmen, mit denen weder er noch seine Frau<br />
zu haushalten wussten, waren nur Bruchteile dessen,<br />
was ihm bereits damals eigentlich zugestanden hätte.<br />
Aber im 18. Jahrhundert waren Raubdrucke üblich,<br />
und die Verleger rechneten auch die Aufführungen oft<br />
nur nach Gutdünken ab.<br />
In dieser Zeit der rechtlichen Unsicherheiten für Autoren<br />
gründete 1777 der Pariser Theaterdichter Pierre-<br />
Augustin de Beaumarchais mit Kollegen die erste Urheberrechtsgesellschaft<br />
der Welt. Die Stückeschreiber<br />
waren es leid, immer wieder um einen Teil der ihnen<br />
zustehenden Tantiemen betrogen zu werden. In der<br />
bald folgenden französischen Revolutionszeit wurde<br />
1793 schließlich das geistige Eigentum an schriftstellerischen<br />
und musikalischen Werken gesetzlich geregelt.<br />
Von Beaumarchais stammt auch der uns heute<br />
geläufige Begriff vom “geistigen Eigentum”. Das erste<br />
deutsche Urhebergesetz wurde 1837 in Preußen erlassen.<br />
Die unterschiedliche Gesetzgebung in den<br />
zahlreichen deutschen Kleinfürstentümern verzögerte<br />
lange ein einheitliches Urheberrecht. Das wundert<br />
nicht, denn trotz der eingeführten Zollunion galten z.B.<br />
um 1850 innerhalb des deutschen Bundes allein neun<br />
verschiedene Großmünzen als offizielle Zahlungsmittel,<br />
der Preußische Taler, der Reichstaler, der Kronentaler,<br />
die Hamburgische Mark, der österreichische<br />
Gulden usw. Dieser groteske Zustand änderte sich<br />
erst 1871 mit der bismarckschen Reichsgründung. Im<br />
twentieth century, only to be disbanded or to unite with<br />
other similarly minded organisations. To the present<br />
day, the administration and the protection of all rights<br />
to which a composer is entitled to has remained the<br />
most urgent task of this great professional association.<br />
The “Act on Copyright and Related Rights” guarantees<br />
us composers - provided we work hard and are suitably<br />
successful - a form of financial security of which colleagues<br />
of previous centuries could only dream. Being<br />
dependent on the favours, capriciously bestowed, of<br />
their aristocratic masters they mainly had to earn their<br />
living as instrumentalists or working as conductors,<br />
and at smaller courts this often also involved serving<br />
at table or gardening. In the last decade of his life,<br />
after provoking the break-up with the Prince Bishop of<br />
Salzburg Count Colloredo, Mozart was looked upon<br />
as one of the first successful free-lance composers.<br />
His in part considerable income, which neither he nor<br />
his wife managed to use economically, were only fractions<br />
of what he actually would have been entitled to<br />
even back then. But pirate copies were common in<br />
the 18th century and also the publishers often paid for<br />
performances at their own discretion.<br />
In those days of legal uncertainties for authors, the<br />
Paris playwright Pierre-Augustin de Beaumarchais<br />
got together with colleagues to found the world’s first<br />
copyright society in 1777. The playwrights were tired<br />
of being repeatedly cheated out of a part of the royalties<br />
they were entitled to. In the days of the French<br />
Revolution that followed the intellectual property of literary<br />
and musical works was finally legally regulated<br />
in 1793. Beaumarchais was also the first to use the<br />
now common term of “intellectual property”. In 1837<br />
the first German copyright act was enacted in Prussia.<br />
The variations in legislation in the numerous small<br />
German principalities delayed a uniform copyright for<br />
a long time. This is not surprising because, around<br />
1850, despite the introduction of the customs union,<br />
there were, for example, no less than nine different<br />
large-denomination coins in the German Confederation<br />
that were valid as official tender, the Prussian<br />
Taler, the Reichstaler, the Kronentaler, the Hamburg<br />
Mark, the Austrian Gulden, and so on. This grotesque<br />
situation did not change until 1871, with the foundation<br />
of the Reich under Bismarck. A “Deutsche Genossenschaft<br />
dramatischer Autoren und <strong>Komponist</strong>en” - German<br />
Co-operative of Dramatic Authors and Composers<br />
- had also been founded in the same year, but<br />
35
KARL HEINZ WAHREN<br />
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gleichen Jahr war zwar noch eine “Deutsche Genossenschaft<br />
dramatischer Autoren und <strong>Komponist</strong>en”<br />
entstanden, doch erst 1898 konstituierte sich der älteste<br />
Vorläufer unseres heutigen Verbandes, die “Genossenschaft<br />
Deutscher Componisten”. 1903 wurde<br />
dieser Name auf Wunsch von Engelbert Humperdink<br />
und Richard Strauss - “... von dem banausischen und<br />
nichtssagenden Fremdwort ‚Componist’ endgültig<br />
Abstand nehmen ...” - in “Genossenschaft Deutscher<br />
Tonsetzer” (GDT) umgewandelt.<br />
Bei dieser Hauptversammlung in Berlin beschlossen<br />
die Mitglieder der GDT auch die organisatorische<br />
Verkopplung mit der im gleichen Jahr gegründeten<br />
“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA).<br />
Hier hatten ausschließlich die <strong>Komponist</strong>en das Sagen,<br />
freilich nur die Vertreter der Ernsten Musik. Die<br />
Unterhaltungsmusikkomponisten gründeten gemeinsam<br />
mit ihren Verlegern die “Genossenschaft zur Verwertung<br />
musikalischer Aufführungsrechte”, abgekürzt<br />
GEMA, die allerdings nicht identisch mit unserer heutigen<br />
GEMA ist. Beide Organisationen, die “Genossenschaft<br />
Deutscher Tonsetzer” (GDT) und die GEMA<br />
hielten ihr Verhältnis zueinander durch permanente<br />
Auseinandersetzungen in Spannung. Die politischen<br />
Turbulenzen im folgenden Jahrzehnt der Weimarer<br />
Republik verschärften diese Kontroversen noch. Der<br />
NS-Staat beendete 1933 diesen Kleinkrieg, indem er<br />
kurzerhand alle musikberufsständischen wie urheberrechtlich<br />
tätigen Organisationen auflöste und in der<br />
Reichskulturkammer die Künste politisch gleichschaltete.<br />
Für die <strong>Komponist</strong>en war in den nächsten zwölf<br />
Jahren die Reichsmusikkammer zuständig, und nur<br />
deren Mitglieder durften öffentlich schöpferisch tätig<br />
sein.<br />
In Berlin ging damit die weltweit beachtete Epoche<br />
einer europäischen Kulturkristallisation plötzlich zu<br />
Ende, als es Hitler und Goebbels durch massenwirksame<br />
Beredsamkeit im Schatten der Weltwirtschaftskrise<br />
gelang, die Minderwertigkeitsgefühle des im Kriege<br />
geschlagenen Volkes in die kollektive Wahnidee eines<br />
“nationalsozialistischen Mythos” zu transformieren.<br />
In diesem rüden “Deutschland erwache”- Taumel war<br />
kritische, zum Mitdenken auffordernde Kunst nicht<br />
nur unerwünscht, sie wurde verboten, diffamiert, verbrannt<br />
und ihre Autoren “ausgedeutscht”, verhaftet,<br />
zum Schweigen verurteilt, gejagt und sogar ermordet.<br />
Als sich nach der völligen Niederlage Deutschlands<br />
1945 aus den Trümmern wieder zaghaft ein neues<br />
the oldest predecessor of our present association was<br />
constituted only in 1898, the “Genossenschaft Deutscher<br />
Componisten”. In 1903, at the request of Engelbert<br />
Humperdink and Richard Strauss - “... to finally<br />
bid farewell to the philistine and meaningless foreign<br />
word ‘Componist’ (composer) ...” - this name was altered<br />
to “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) -<br />
German Composers’ Co-operative, using the German<br />
term ‘Tonsetzer’.<br />
At this general meeting in Berlin the members of the<br />
GDT also decided to link their organisation with the<br />
“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA)<br />
- Institute for Musical Performing Rights - which had<br />
been founded in the same year.<br />
Only composers had a say here, and of course only<br />
the representatives of serious music. Together with<br />
their publishers the composers of light music founded<br />
the “Co-operative for the Exploitation of Musical<br />
Performing Rights” - “Genossenschaft zur Verwertung<br />
musikalischer Aufführungsrechte”, abbreviated to<br />
GEMA, which, however, is not identical with our present<br />
GEMA.<br />
Constant disputes created a permanent tension between<br />
the two organisations, the “Genossenschaft<br />
Deutscher Tonsetzer” (GDT) and GEMA. The political<br />
turmoil in the subsequent decade of the Weimar<br />
Republic even aggravated these controversies. The<br />
NS state put an end to this running battle in 1933 by<br />
disbanding, without further ado, all organisations of<br />
the musical profession and those active in the field of<br />
copyright, and by forcing the arts politically into line in<br />
the Reichskulturkammer. In the next twelve years the<br />
Reichsmusikkammer took charge of the composers,<br />
and only its members were permitted to be creatively<br />
active in public.<br />
So the epoch of a European crystallisation of culture<br />
that had attracted so much international attention<br />
came to a sudden end in Berlin, when Hitler and Goebbels<br />
succeeded by mass eloquence, in the shadow<br />
of the world economic crisis, to transform the feeling of<br />
inferiority of a nation defeated in war into the collective<br />
delusion of a “National-Socialist myth”. In this rude<br />
frenzy of “Germany awake” critical art that called upon<br />
people to think was not only undesirable, it was prohibited,<br />
defamed, burnt and their authors declared to be<br />
“un-German”, arrested, condemned to remain silent,<br />
persecuted and even murdered.<br />
36
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Kulturleben zu regen begann, gründeten sich auch<br />
wieder verschiedene <strong>Komponist</strong>enverbände, in München,<br />
in Berlin und schließlich getrennt in west- und<br />
ostdeutsche Organisationen.<br />
Diese in der Folge kompliziert verschlungenen Pfade<br />
dieser berufsständischen Organisationen aufzuzeichnen<br />
mag der Musikgeschichtswissenschaft vorbehalten<br />
bleiben. Als Jubiläum interessiert nur das Jahr<br />
1954, als nämlich der heutige Gesamt-”Deutsche<br />
<strong>Komponist</strong>enverband” seine Gründungsversammlung<br />
abhielt.<br />
Zwar blieb die von Richard Strauss vorgegebene Zielsetzung,<br />
die gemeinsame Wahrnehmung aller musikalischen<br />
Urheberrechte als Hauptaufgabe, wurde<br />
aber erweitert und den heutigen Gegebenheiten angepasst.<br />
So kann jedes Mitglied bei dem Verbandsjustiziar<br />
Prof. Dr. Wilhelm Nordemann eine kostenlose<br />
Erstberatung in Fragen des Urheber- und Verlagsrechts<br />
einholen; jedem Mitglied sind Musterverträge<br />
aus den Bereichen U- und E-Musik zugänglich; in<br />
persönlichen Notfällen ist durch die verbandseigenen<br />
Stiftungen begrenzte finanzielle Unterstützung möglich;<br />
die INFORMATIONEN des DKV enthalten nicht<br />
nur Hinweise auf Kompositionswettbewerbe, sie berichten<br />
außerdem für <strong>Komponist</strong>en Wissenswertes<br />
aus dem Musikleben, wie z.B. über Uraufführungen<br />
der Mitglieder; auf der Homepage des DKV wird jedes<br />
Mitglied mit detaillierten Informationen zur Person<br />
(Foto) und seinem Werk auf einer standardisierten<br />
Seite vorgestellt; es würde den hier vorgegebenen<br />
Rahmen sprengen, alle Aktivitäten des Verbands, der<br />
einzelnen Arbeitsgruppen usw. aufzuzählen.<br />
So wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durch die<br />
Weiterentwicklung unserer Wissenschaft und Technik<br />
immer neue Berufe entstanden, andere wieder<br />
fast lautlos verschwanden, so veränderten sich nicht<br />
nur das Berufsbild des <strong>Komponist</strong>en, sondern auch<br />
die Ergebnisse seiner Arbeiten. Der romantische Geniekult<br />
vergangener Epochen verwandelte sich zum<br />
Teil in ökonomischen Pragmatismus, gemäß unserer<br />
computerisierten Gegenwart mit ihrer oft unkünstlerischen,<br />
aber marktschreierisch alles beherrschenden<br />
Medienwelt.<br />
Trotzdem sucht jede Generation ihr eigenes musikalisches<br />
Daseinsmuster.<br />
In der E-Musik drückt sich diese Suche nach der verlorenen<br />
Schönheit, nach einer dämonisch-erotischen<br />
After Germany had been totally defeated in 1945, a<br />
new cultural life began timidly to stir again from the ruins<br />
and various composers’ associations established<br />
themselves once more in Munich and in Berlin, separating<br />
finally into organisations in East and West<br />
Germany.<br />
To map out the intricate, winding paths subsequently<br />
taken by these professional organisations needs to<br />
be left to the science of musical history. What is of<br />
interest here is only the year 1954, when today’s All-<br />
“German Composers’ Association” held its constitutive<br />
meeting.<br />
The objective set by Richard Strauss, the joint administration<br />
of all musical copyrights, remained the main<br />
task, but it was extended and adapted to today’s situation.<br />
For example, every member is entitled to a free<br />
first consultation with the association’s legal adviser,<br />
Prof. Dr. Wilhelm Nordemann, on questions of copyright<br />
and publishing law; each member has access to<br />
model agreements from the light- and serious-music<br />
segments; the association’s own foundations can provide<br />
limited financial assistance in personal emergencies;<br />
the INFORMATIONEN of the DKV contain not<br />
only announcements of competitions for composers,<br />
they also supply composers with valuable information<br />
from the world of music, such as, for example, members’<br />
premieres; the DKV Homepage presents every<br />
member with detailed personal information (photo)<br />
and information about his or her work on a standardised<br />
page; it would go beyond the scope of this contribution<br />
to list all the activities of the association, the<br />
individual working groups, etc.<br />
In the course of the twentieth century, thanks to the<br />
continuing development of our science and technology,<br />
new professions were created time and again,<br />
and others in turn disappeared almost silently. As this<br />
happened, it was not only the composers’ professional<br />
image that changed, but also the results of their<br />
works. The romantic cult of genius of bygone ages<br />
was transformed partly into economic pragmatism in<br />
conformity with our present computerised age with its<br />
world of media that is often unartistic, but blatantly dominates<br />
everything.<br />
And yet, each generation seeks its own musical patterns<br />
of existence.<br />
In serious music this search for lost beauty, for a demonically<br />
erotic vitality or perhaps a coolly distant<br />
37
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Vitalität oder vielleicht einem distanziert-coolen Hörerlebnis<br />
in musikalisch-ästhetisch neuen, oft interessanten<br />
Klangphänomenen aus, bleibt aber doch noch<br />
häufiger in schlichten romantischen Rückblenden<br />
hängen oder verirrt sich gar in eklektizistischen, auch<br />
elektronischen Stilübungen, ohne durch eigene Originalität<br />
zu fesseln. Wozu auch, die Mehrzahl der Hörer<br />
liebt ohnehin den historischen Mainstream.<br />
In der U-Musik schreitet die Aufsplitterung, man kann<br />
schon von Diversifizierung sprechen, unaufhaltsam<br />
voran. Ethnologische wie folkloristische Elemente<br />
überlagern sich in eleganten elektronisch-technischen<br />
Aufbereitungen, der Kenner verliert die Übersicht, den<br />
Käufer verwirrt die sich ständig ändernde kaleidoskopartige<br />
Vielfalt, die Musikindustrie klagt über massive<br />
Umsatzeinbrüche. Allerdings ohne zu erkennen, dass<br />
die Probleme im offensichtlichen Mangel ihres musikästhetischen<br />
Gespürs liegen, diagnostizieren sie als<br />
alleinige Ursache ihrer zehrenden Schwindsucht ausschließlich<br />
die Internettauschbörsen und den privaten<br />
CD-Brenner.<br />
Der Jazz als exotisch-vitales Gewächs zwischen den<br />
Polen U- und E-Musik nimmt Anleihen von beiden Seiten<br />
und bleibt so immer wieder interessant, nicht nur<br />
wegen seines irrealen Metrums. Die Unmittelbarkeit<br />
der solistischen Improvisationen, die sprühenden, variablen<br />
Rhythmen und in größeren Formationen die<br />
harmonisch wie stilistisch oft interessanten Instrumentierungen<br />
faszinieren jede Generation erneut.<br />
Freilich bleibt die ernsthaft interessierte Zielgruppe so<br />
überschaubar wie bei der Neuen Musik. Dabei verändern<br />
sich auch hier die Hörerzahlen ständig. Sie sind<br />
so wenig wie in den anderen genannten Musikbereichen<br />
genau zu verifizieren, im Gegensatz zum Politbarometer<br />
oder den Publikumsquoten im Fernsehen<br />
- falls nicht auch diese Zahlen mehr von der heisenbergschen<br />
Unschärferelation als von der Wirklichkeit<br />
beeinflusst sind.<br />
Jedes künstlerische Schaffen ist ein Versuch, sich von<br />
der Realität zu distanzieren, um sich der eigenen Realität<br />
auf schöpferischem Wege zu nähern. Wird die musikalische<br />
Chiffrierung dabei jedoch zu weit getrieben,<br />
verliert sogar der willige, nicht konservative Hörer den<br />
Zugang zum Werk. Dadurch und noch mehr durch die<br />
Forderung unserer sinnentleerten Spaßgesellschaft<br />
nach permanenter Unterhaltung auf verständlichster<br />
Ebene, verblasst der Strahlenglanz unseres Berufes,<br />
auch wird sein Ethos brüchig, so wie die moralischen<br />
acoustic experience finds its expression in musicallyaesthetically<br />
novel, often interesting, acoustic phenomena,<br />
but even more often remains caught in simple<br />
romantic flashbacks or even loses its way in eclecticist,<br />
sometimes electronic, stylistic exercises without<br />
the grip of its own originality. And why should it? The<br />
majority of the audience loves the historical mainstream<br />
anyway.<br />
This fragmentation, one may even say diversification,<br />
in light music is progressing at an unstoppable pace.<br />
Layer upon layer of ethnological and folkloric elements<br />
are worked up into a combination of electronic<br />
and technological elegance, the expert loses track of<br />
what is going on, the buyer is bewildered by the kaleidoscope<br />
of ever-changing variety, the music business<br />
complains about massive drops in sales. They fail to<br />
realise, however, that the problems lie in their obvious<br />
lack of an aesthetic feeling for music; they diagnose<br />
the Internet exchanges and the private CD-writer as<br />
the sole causes of their debilitating galloping consumption.<br />
Jazz, that vigorously exotic plant that thrives between<br />
the poles of light and serious music, borrows from both<br />
sides, and this is why it always remains interesting,<br />
not just because of its surreal metre. Each new generation<br />
is fascinated by the immediacy of the solo improvisations,<br />
the effervescent, changing rhythms and,<br />
in bigger formations, the instrumentation, whose style<br />
and harmony is often so interesting. Of course, the seriously<br />
interested target group remains as limited as is<br />
the case with New Music. And the number of listeners<br />
is continuously changing here as well. It is just as difficult<br />
to pin them down exactly as it is in the other fields<br />
of music mentioned, unlike the political barometer or<br />
the viewer ratings on television - unless these figures<br />
are also influenced more by Heisenberg’s uncertainty<br />
principle than by reality.<br />
Each artistic work is an attempt to distance oneself<br />
from reality, to get closer to one’s personal reality via<br />
the creative route. But if the musical encoding is taken<br />
too far, even the willing, non-conservative listener loses<br />
access to the work.<br />
Through this and even more so through the demands<br />
of our hollow, hedonistic society for constant entertainment<br />
at its most easily comprehensible level, the brilliant<br />
aura of our profession pales into insignificance,<br />
its ethos also starts to crumble just like the moral<br />
38
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Grundlagen unserer postindustriellen Gesellschaft.<br />
Der inzwischen gefestigte Glaube an die Leichtigkeit<br />
des Seins treibt wie zur eigenen Rechtfertigung die<br />
Boulevardisierung unserer Kultur weiter voran. Die<br />
interessanten Beiträge im anspruchsvollen deutschen<br />
Feuilleton sind auf Film und Literatur konzentriert.<br />
Über Popmusik wird nur unterhaltend berichtet. Mit<br />
dem allgemeinen Trend zum musikalischen Analphabetentum<br />
hat man sich journalistisch offensichtlich abgefunden<br />
- von Ausnahmen abgesehen.<br />
Sollte sich in unserem Verband der immer wieder beschworene<br />
kollegiale Konsens den äußeren gesellschaftlichen<br />
Zuständen folgend in einen erbarmungslosen<br />
Konkurrenzkampf innerhalb der verschiedenen<br />
musikalischen Gattungen auflösen, werden wir nicht<br />
nur uns selbst schaden, sondern auch das öffentliche<br />
Ansehen unseres Berufes herabwürdigen. Den Widerspruch<br />
zwischen künstlerischem Auftrag und wirtschaftlichen<br />
Realitäten erträglich zu lösen, sich in der<br />
Gemeinschaft mit ähnlich Gesinnten abzustimmen<br />
bleiben neben dem Schutz der urheberrechtlichen<br />
Ansprüche wesentliche Anliegen der Mitglieder an<br />
unseren Verband. All dem gerecht zu werden bei der<br />
zunehmenden Aufsplitterung in immer neue, verschiedenartige<br />
musikalische Gattungen, deren wirtschaftliche<br />
Interessen gelegentlich fast diametral zueinander<br />
stehen, ist die schwierigste Aufgabe für den Deutschen<br />
<strong>Komponist</strong>enverband in den kommenden Jahren. Sie<br />
gemeinsam zu lösen muss unser aller Interesse sein,<br />
denn von außen ist keine Hilfe zu erwarten. Darum<br />
sind der kollegiale Zusammenhalt ebenso wie die Arbeitsaufteilung<br />
in die verschiedenen musikalischen<br />
Sektoren die wichtigsten Aufgaben, denen wir uns<br />
unmittelbar und in der Zukunft stellen müssen. Dazu<br />
könnte uns heute, im Jahre 2004 - dem Jubiläumsjahr<br />
des großen deutschen Philosophen -, Immanuel Kant<br />
mit seiner “Kritik der praktischen Vernunft” eine geistige<br />
Anleitung sein.<br />
Zumal unserem Berufsstand ständig Gefahren von<br />
außen drohen, wie das aktuelle Beispiel mit der Deutschen<br />
Landesgruppe IFPI (International Federation of<br />
Phonographic Industry) zeigt. Diese senkte den Urheber-Lizenzsatz<br />
für Tonträger ab 1. Januar 2004 von<br />
9,009% des Herstellerabgabepreises auf 5,6% - ohne<br />
Vertragsabsprache mit der die Urheber vertretenden<br />
GEMA. Den <strong>Komponist</strong>en werden plötzlich und willkürlich<br />
40% ihres bisherigen Einkommens vorenthalten.<br />
Solchen rigiden Vorgängen ist der einzelne Urheber<br />
schutzlos ausgeliefert, zumal die Erfahrungen uns<br />
foundations of our post-industrial society. The meanwhile<br />
firmly established belief in the lightness of being<br />
is hurrying the trivialisation of our culture along as if<br />
in justification of itself. The interesting articles in the<br />
sophisticated feature sections of German newspapers<br />
focus on film and literature. Reports on pop music are<br />
written simply to entertain. It looks as if journalism has<br />
already accepted the general trend towards musical<br />
illiteracy - apart from a few exceptions.<br />
Should the repeatedly invoked consensus among<br />
colleagues in our association dissolve - in line with<br />
external social conditions - into ruthless competition<br />
within the different musical genres, we will not only<br />
do ourselves harm but also belittle the standing of<br />
our profession. Resolving the contradiction between<br />
one’s artistic mission and economic realities in a tolerable<br />
way, reaching consensus in a community of<br />
like-minded people - these goals will remain, along<br />
with the protection of claims based on copyright, the<br />
main demands our members will make of our association.<br />
Given the ever-increasing fragmentation into<br />
newer, even more differentiated musical genres, whose<br />
economic interests are sometimes almost diametrically<br />
opposed, the most difficult task for the German<br />
Composers’ Association in the coming years will be to<br />
meet all these expectations. Solving these problems<br />
together must be in the interest of us all, because no<br />
help can be expected from outside. Thus the most<br />
important tasks that we shall have to face both now<br />
and in future will be our solidarity as colleagues just as<br />
much as the division of work in the different musical<br />
sectors. In 2004 - the anniversary year of the great<br />
German philosopher - Immanuel Kant, with his “Critique<br />
of Practical Reason”, could give us some intellectual<br />
guidance in this context.<br />
This is especially important because our profession<br />
is always threatened by dangers from outside, as is<br />
shown by the current example with the German National<br />
Group of IFPI (International Federation of Phonographic<br />
Industry). From 1st January 2004, it lowered<br />
the royalty rate for licensing audio-carriers from<br />
9.009% of the published price for dealers to 5.6% -<br />
without agreeing a contract with GEMA, the representative<br />
of the authors. The composers find themselves<br />
suddenly and deliberately deprived of 40% of their<br />
former income. The individual author is defenceless<br />
without protection against such unyielding processes,<br />
especially because experience shows that litigation<br />
can drag on for years. The German Composers’ As-<br />
39
KARL HEINZ WAHREN<br />
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lehren, dass sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen<br />
können. Hier muss der Deutsche <strong>Komponist</strong>enverband<br />
Stärke beweisen und darf dabei grundsätzlich<br />
nicht trennen zwischen <strong>Komponist</strong>en, Popspezialisten<br />
oder Composers, er soll vielmehr die Interessen aller<br />
Musikautoren jeden Genres wahrnehmen und diese<br />
gegenüber einer kleinmütigen Kulturpolitik oder der<br />
nur monetaristisch handelnden Industrie entschlossen<br />
und redlich vertreten zum Nutzen aller seiner Mitglieder.<br />
Vortrag in der Akademie der Künste<br />
Berlin, am 20. Juni 2005<br />
Gerald Humel zum Gedenken (1931 – 2005)<br />
von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
Gerald Humel war genuin ein Transatlantiker. Seine<br />
Eltern wanderten kurz vor seiner Geburt aus ihrer heimatlichen<br />
Tschechoslowakei in die USA aus. Als der<br />
Vater dort – in Folge der Weltwirtschaftskrise – keine<br />
Arbeit fand, kehrte er mit dem kleinen US-Bürger Gerald<br />
in seine angestammte Heimat zurück. Dort wurde<br />
Gerald nach ein paar Jahren zwar noch eingeschult,<br />
aber als die von Hitler-Deutschland ausgehende<br />
Kriegsgefahr 1937 immer konkreter wurde, emigrierte<br />
die Familie Humel ein zweites Mal in die USA, in die<br />
Industrie- und Universitätsstadt Cleveland am südlichen<br />
Ufer des Eriesees im Bundesstaat Ohio.<br />
Hier absolvierte Gerald seine gesamte Schulzeit, im<br />
Elternhaus wurde noch immer ausschließlich Tschechisch<br />
gesprochen. Erst auf der Universität lernte er<br />
zum Beispiel die üblichen amerikanischen Essensbegriffe<br />
kennen, wie er gelegentlich lachend erzählte.<br />
Während des Koreakrieges wurde er zur Army eingezogen,<br />
er hatte jedoch Glück und blieb als Tambourmajor<br />
bei einer Marsch-Band in New York hängen.<br />
Gelegentlich führte er uns mit einem Spazierstock die<br />
virtuose Dirigier-, Dreh- und Wurftechnik vor, mit der<br />
er seine Military-Band zum Swingen brachte. Nach<br />
seinen anschließenden Studien an verschiedenen<br />
sociation has to show strength here and must not differentiate<br />
on principle between composers of classical<br />
music, pop specialists or modern composers. On the<br />
contrary, it needs to look after the interests of all music<br />
authors of all genres and show honesty and determination<br />
when it comes to representing them in the face<br />
of a fainthearted cultural policy or the purely monetarist<br />
motives of industry, so that all its members may<br />
benefit from this.<br />
Universitäten gelang er durch ein Fulbright-Stipendium<br />
via London 1960 nach Berlin. Wir trafen uns im<br />
Frühjahr 1961 an der Staatlichen Musikhochschule in<br />
Professor Rufers 12-Ton–Seminar zum Studium der<br />
Schönberg´schen Kompositionstechnik. Hieraus ergaben<br />
sich neben den beruflichen auch privat-freundschaftliche<br />
Kontakte, die schließlich zusammen mit<br />
fünf weiteren jungen <strong>Komponist</strong>enkollegen 1965 zur<br />
Gründung der “Gruppe Neue Musik Berlin” führten.<br />
Es war die Zeit des “Kalten Krieges” und die von uns<br />
gemeinsam projektierten Veranstaltungen wurden<br />
vom Westberliner Kultursenat finanziell getragen, zumal<br />
wir eine Lücke im Schaufenster des westlichen<br />
Kulturbetriebes füllten, indem wir kurzweilige Konzerte<br />
mit zeitgenössischer Kammermusik organisierten,<br />
die sich sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung<br />
nicht an dem allgemein üblichen Kanon dieses<br />
Genre ausrichteten, sondern durch neue Darstellungsweisen<br />
und Aufführungsorte das Interesse des<br />
Publikums weckten.<br />
Die “Gruppe Neue Musik Berlin” war eine Notgemeinschaft<br />
junger <strong>Komponist</strong>en, die in Eigeninitiative ihre<br />
Werke aufführten, interpretiert von gleichaltrigen Musikern<br />
aus den großen Westberliner Orchestern, wie<br />
den Philharmonikern, dem Radio-Symphonie-Orchester<br />
und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin<br />
.Die außerordentliche Qualtät dieser Interpreten garantierte<br />
ein hohes Aufführungsniveau, was schließ-<br />
40
KARL HEINZ WAHREN<br />
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lich unseren Kompositionen zu gute kam. Durch diese<br />
Erfolge wurden unsere Begabungen bestätigt, wir<br />
erhielten individuelle Kompositionsaufträge von den<br />
beiden Westberliner Rundfunksendern Rias und SFB,<br />
wurden durch Kunstpreise geehrt und schließlich als<br />
junge Kulturbotschafter einer neuen zeitgenössischen<br />
Berliner Kammermusik in zahlreiche andere Länder<br />
geschickt und konnten so für Berlin und unsere eigene<br />
Musik werben.<br />
Die einzelnen Mitglieder der Gruppe fluktuierten, es<br />
gab Abgänge wegen ästhetischer Querelen oder auch<br />
aus ganz pragmatischen Gründen, es gab aber auch<br />
immer wieder Neuzugänge, was sich im Verlaufe der<br />
Jahre ausglich. Bis schließlich von den Gründungsmitgliedern<br />
die drei unverzagten Kollegen Humel, Siebert<br />
und <strong>Wahren</strong> übrig blieben. Jeder von uns hatte neben<br />
seinen Kammermusikkompositionen in allen variablen<br />
Besetzungen, sein spezielles Genre innerhalb der<br />
Neuen Musik entdeckt. Bei Gerald Humel war es die<br />
Ballettmusik. Er vertonte mit Begeisterung narrative<br />
Szenerien, komplexe Handlungsstränge, deren dramaturgischen<br />
Verläufe er mit seiner zunächst vor allem<br />
an Arnold Schönberg orientierten Stilistik expressiv<br />
in grosse musikalische Zusammenhänge setzte.<br />
Ganz gleich ob es sich dabei um Partituren für grosses<br />
Orchester oder kleinere, kammermusikalische Formationen<br />
handelte. Denn durch unglaublich geschickte,<br />
farbig sehr abwechslungsreiche Instrumentationen<br />
verlangte er den Musikern Klangphänomene ab, so<br />
dass die Hörer schon bald nicht mehr wussten, ob der<br />
Handlungsablauf von einem normalen Orchester oder<br />
ledigliche von einem kleinen Kammermusik-Ensemble<br />
vorangetrieben wurde. Er war von uns <strong>Komponist</strong>en<br />
derjenige, den man ohne stilistische Verbiegung einem<br />
wirklich neuen, musikalischen Expressionismus<br />
zuordnen konnte, dessen offensichtlicher europäischer<br />
Ursprung von transatlantischer Beeinflussung<br />
nicht frei war.<br />
In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beherrschte<br />
die Stilikone Arnold Schönberg das Denken<br />
avantgardistischer junger <strong>Komponist</strong>en in Europa wie<br />
in den USA. Das betraf vor allem die strenge serielle<br />
Kompositionstechnik, der Humel dann viele Jahre<br />
verhaftet blieb. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte<br />
gelang ihm eine langsame, jedoch konsequente<br />
Loslösung von seinem dominanten Vorbild, durch<br />
das er bereits in den USA während seines Studiums<br />
musikalisch konditioniert worden war.<br />
Liest man in Gerald Humels frühem Lebenslauf die<br />
Zielgerade zum Transatlantiker heraus, wie ich es eingangs<br />
erwähnte, so veränderte sich seine Haltung zu<br />
dieser Einordnung mit der Zeit. Schon vor vielen Jahren<br />
brachte uns Gerald von seinen USA-Besuchen<br />
eigene Eindrücke von der dortigen medialen Massenüberflutung<br />
mit. Es war abzusehen, dass es in der Folge<br />
dieser Entwicklung langsam unmöglich wurde, zwischen<br />
Kitsch und Kunst zu unterscheiden, wirklichen<br />
Avantgardismus von purem Blödsinn zu trennen. So<br />
verlor sich Humels transatlantisches Selbstverständnis<br />
in einer zunehmenden Hinwendung zur Kultur des<br />
alten Europa. Das darf man allerdings nicht als eine<br />
ästhetische Einengung sehen, es zeigt vielmehr eine<br />
Besinnung auf die eigenen, ursprünglichen Wurzeln<br />
in einer sich rapide verändernden Welt. Humel reiste<br />
viel, besonderns oft ins Ausland, ins östliche wie ins<br />
westliche. Vor kurzem verbrachte er mit seiner Frau<br />
Haidi Sandmann ein ganzes Jahr in Australien, wohin<br />
er sein künstlerisches Netzwerk erweiterte.<br />
Bertold Brecht diagnostizierte einst: “Wir Deutschen<br />
sind im Ertragen von Langeweile ungemein stark und<br />
äußerst abgehärtet gegen Humorlosigkeit”.<br />
Sollte Musik ein Auslöser zu diesem Sarkasmus gewesen<br />
sein, dann könnte es sich keinesfalls um Musik<br />
von Gerald Humel gehandelt haben, denn Langeweile<br />
kann ihr selbst der missgünstigste Kollege nicht nachsagen.<br />
Allerdings war Humels Humor auch nicht an<br />
<strong>Heinz</strong> Rühmann oder <strong>Heinz</strong> Erhardt approbiert, sondern<br />
eher an Buster Keaton und den Marx-Brothers<br />
geschärft worden. Aber in der heutigen Welt geht es<br />
längst nicht mehr um die Wirklichkeit, sondern nur<br />
noch um die äußere Wirkung.<br />
Konnte Picasso noch postulieren: “Kunst ist eine Lüge,<br />
die uns die Wirklichkeit erkennen lässt”;<br />
Ich bin mir nicht sicher, ob diese kluge Sentenz heute<br />
noch richtig verstanden wird, wo doch die Lüge sowohl<br />
in der Politik als auch in der Kunst länst gesellschaftsfähig<br />
und fast unentbehrlich geworden ist.<br />
Auch Humel wollte mit seiner Kunst – wie alle schöpferisch<br />
tätigen Menschen - der Wahrheit näher kommen,<br />
darum blieb er auch zeitlebens den historisch<br />
gewachsenen Parametern unserer abendländischen<br />
Musikkultur verhaftet. Allerdings nicht in konventioneller<br />
Naivität, sondern gefiltert durch sein eigenes<br />
zeitgenössisches Klang- und Rhythmusempfinden, zu<br />
dessen individueller Kennzeichnung gerade Kurzweil<br />
und Verständlichkeit, aber auch Witz und Ironie gehören.<br />
Die klangliche Anschaulichkeit seiner Werke ist<br />
allerdings nicht mit dem ersten Schwung zu verste-<br />
41
KARL HEINZ WAHREN<br />
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hen. Humel verlangt von seinen Hörern Mitdenken,<br />
Mitfühlen. Er verlangt auch die echt gefühlten falschen<br />
Töne selbst zu entlarven, das bewusste Klischee in<br />
den komplexen Kontext einzuordnen, der sich allerdings<br />
zu dem üblichen Behaglichkeisanspruch unseres<br />
pittoresken Medienalltags und seiner falschen,<br />
marktschreierischen Virulenz quer stellt.<br />
Dabei strebte Gerald Humel in seinen Werken stets<br />
nach intelligenter Anschaulichkeit und lebendiger<br />
Unmittelbarkeit. Verbissene Innovationssucht, dionysische<br />
Entsagung bis zur skelettierten Klanglichkeit<br />
waren ihm ein Gräul. Von seiner eigenen Zielsetzung<br />
ließ er sich auch nicht durch das Hohngelächter ästhetischer<br />
Fundamentalisten abbringen, so wenig wie<br />
durch die Indolenz journalistischer Schreibtischtäter,<br />
die noch immer verbissen auf der Suche nach des<br />
Kaisers neuen Kleidern sind.<br />
Gerald Humel war ein streitbarer, aber ein klarer Geist,<br />
der sich für unseren politischen Alltag ebenso vital<br />
ineressierte wie für Musik allgemein, die seine freilich<br />
vorangestellt. Mit Eifer konnte er nach einem Konzert<br />
eine leidenschaftlich geführte Diskussion um ein einzelnes<br />
Werk entfachen, das auf positive oder negative<br />
Weise seinen Nerv getroffen hatte.Dabei ging<br />
es ihm nie um simple Rechthaberei. Gelang es einem<br />
Kontrahenten, ihn zu überzeugen, akzeptierte er auch<br />
eine andere, konträre Meinung. Er unterlag nie dem<br />
Zwang, Andersdenkende missionieren zu müssen.<br />
Denn bei aller Streitbarkeit für einen ästhetischen<br />
oder auch politischen Standpunkt, war Humels Charakter<br />
von einem Commen sense geprägt, den seine<br />
zum Vermitteln bereite, liebenswürdige Grundnatur<br />
bestimmte. Seine perfekte Dreisprachigkeit verlieh<br />
ihm die Kraft interkultureller Vermittlung, die er mit<br />
großem Feingefühl und seinem Sinn für Prioritäten zu<br />
realisieren wusste.<br />
Diesen komplexen Menschen - Gerald Humel - hier mit<br />
einigen Sätzen zu umreißen, konnte nur mit mancherlei<br />
Unschärfen geschehen. Jedoch seine von einem<br />
tiefen Humanismus getragene Botschaft, die in ihrer<br />
scheinbar abstrakten, aber lebendigen musikalischen<br />
Sprache hörbar und erkennbar von Toleranz und<br />
menschlicher Verständnisbereitschaft zu uns spricht,<br />
aber auch von intensiver Ablehnung gegen scheinbar<br />
Unabänderliches -, kurz, sein musikalisches Vermächtnis<br />
soll auch künftig zu uns sprechen und wir<br />
wollen uns dabei mit Liebe und Optimismus unseres<br />
Freundes und Kollegen Gerald Humel in herzlicher<br />
Sehnsucht erinnern.<br />
Während unserer jahrzehntelangen musikalisch wie<br />
organisatorischen Zusammenarbeit war zwischen uns<br />
eine tiefe Freundschaft entstanden, die unter konkurrierenden<br />
Kollegen ihres gleichen sucht. Auf unseren<br />
zahlreichen Spaziergängen diskutierten wir Probleme<br />
der zeitgenössischen Kunst, speziell solche, unseres<br />
sich ständig verändernden Berufsstandes. Aber auch<br />
ganz Persönliches, Privates wurde angesprochen und<br />
dabei oft gegenseitiger Rat gesucht. Meinen Töchtern,<br />
die Gerry – wie wir ihn nannten – von kleinst auf<br />
kannten, war er ebenfalls ein lieber, an ihren kleinen<br />
Problemen freundlich anteilnehmender Vertrauter.<br />
Wir alle haben einen sehr liebenswerten, eben auch<br />
kritischen, vor allem aber treuen Freund für immer<br />
verloren.<br />
42
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Presse zu “Magnificat” Uraufführung 1984<br />
1. Berliner Morgenpost (W.Sch.)<br />
2. Der Tagesspiegel (Walther Kaempfer)<br />
3. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />
Konzert in der Philharmonie zum 30jährigen Bestehen<br />
des Berliner Konzert-Chores<br />
BM 28.03.1984 –<br />
Zum Jubiläum gab´s ein Werk von <strong>Wahren</strong><br />
... Schwer tat sich dieser Chor nur mit der zeitgenössischen<br />
Musik. Sie war und wird wohl auch weiterhin<br />
die Ausnahme von der Regel bleiben. Um so bemerkenswerter,<br />
daß man zum Jubiläum sogar ein Werk in<br />
Auftrag gegeben hat. Es wurde nun unter viel Beifall,<br />
aber auch einigen Unmutsäußerungen in der Philharmonie<br />
aus der Taufe gehoben: Ein Magnificat von <strong>Karl</strong><br />
<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>.<br />
<strong>Wahren</strong> verschmähte es, seinem Magnificat den<br />
sonst üblichen Text aus dem Lukas-Evangelium unterzulegen.<br />
Statt dessen greift er auf mehrere, ganz<br />
verschiedenartige Autoren zurück. Texte von Cicero,<br />
Augustinus, Petrarca, Imanuel Geibel und des Engländers<br />
Tavistock stehen nebeneinander. Der Vielfalt<br />
der Worte entspricht eine Vielfalt der Stile: Gregorianische,<br />
barocke, impressionistische, zwölftönige und<br />
geräuschartige Elemente werden eingesetzt.<br />
<strong>Wahren</strong>s Anspruch ist hochgeschraubt. Eine Art<br />
Friedensappell, ein Plädoyer für friedliches Zusammenleben<br />
aller Völker soll aus dem Werk aufklingen.<br />
(W.Sch.)<br />
Der Tagesspiegel 27.03.1984<br />
Apokalyptische Kraftballungen –<br />
Der Berliner Konzert-Chor mit Weisse in der Philharmonie<br />
Zum 30jährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chores<br />
war an <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, den heute 50jährigen,<br />
vorzugsweise in Berlin ausgebildeten <strong>Komponist</strong>en<br />
und Mitbegründer der Gruppe Neue Musik, der Auftrag<br />
ergangen, für das Jubiläumskonzert ein größeres<br />
Werk für Chor und Orchester zu schaffen. Was unter<br />
dem Titel “Magnificat” nun bei festlichem Anlaß zur Uraufführung<br />
kam, war mitnichten eine Vertonung des<br />
marianischen Lobgesanges aus dem Lukas-Evangelium,<br />
der vom frühen Mittelalter bis in unser Jahrhundert<br />
die Meister beider christlichen Konfessionen<br />
zu unzählbaren Tonsätzen inspiriert hat. <strong>Wahren</strong> hat<br />
vielmehr ein Konglomerat aus lateinischen, mittelalterlichen<br />
Versen oder Sprüchen und einem leider<br />
schwachen Gedicht Emanuel Geibels als Textvorlage<br />
benutzt, die der in allen Völkern seit der Antike immer<br />
wachen Friedenssehnsucht Ausdruck geben soll.<br />
Mit den Worten “Magnificat mundus pacem” beginnt<br />
und endet das umfangreiche dreiteilige Opus, das mit<br />
berühmten Worten Ciceros, des Horaz und Augustinus<br />
und der Klage des Petrarca über den Verfall der<br />
römischen Kirche im 14. Jahrhundert untermischt ist.<br />
Das gewiß hochaktuelle Plädoyer für den Frieden, das<br />
von politischen Parteien aller Länder in Demonstrationen<br />
laut wird, kann schwerlich zu einem Kunstwerk<br />
geformt werden, denn wie schon Cicero wußte, “silent<br />
musae inter arma” – wenn die Waffen sprechen,<br />
schweigen die Künste.<br />
Die Tonsprache <strong>Wahren</strong>s, die sich collagierend gregorianischer<br />
Melismatik, kanonischer und kontrapunktischer,<br />
dazu orchestraler Effekte von sanftem Impressionismus<br />
bis zu hartem Cluster bedient, erreicht<br />
zwar durch vielfach rezitativische Diktion und das zum<br />
Instrumentalklang gesprochene Wort im allgemeinen<br />
eine Faßbarkeit des Sinngehalts. Musikalische<br />
Eindrücke ergeben sich aber nur in wenigen Takten<br />
instrumentaler Ein- oder Überleitung oder in apokalyptischen<br />
Kraftballungen. Die zeitlichen Übermaße<br />
der drei Sätze ermüden die Hörer in der gut besetzten<br />
Philharmonie spürbar, so daß der den Schlußbeifall<br />
erheblich störende Widerspruch beim Erscheinen des<br />
<strong>Komponist</strong>en auf dem Podium verständlich erschien.<br />
(Walther Kaempfer)<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.04.1984<br />
Berliner Konzert-Chor<br />
... Das Jubiläums-Programm stellte vor Mozarts Große<br />
Messe in c-moll eine Uraufführung: <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />
<strong>Wahren</strong>s “Magnificat”; das im Auftrag des Berliner<br />
Konzert-Chors zu diesem Anlaß geschrieben ist. <strong>Wahren</strong>,<br />
Jahrgang 1933, lebt in Berlin, hat Komposition bei<br />
Josef Rufer und <strong>Karl</strong> Amadeus Hartmann studiert. In<br />
zahlreichen Arbeiten und vielen Gattungen bewährt,<br />
machte er 1976 mit der komischen Oper “Fettklößchen”<br />
(nach Maupassants Novelle “Boule de suif”)<br />
Aufsehen.<br />
So vielzüngig wie diese ist auch das 37 Minuten lange<br />
“Magnificat” für Chor, Orchester und Soloquartett. Als<br />
Text hat <strong>Wahren</strong> eine lateinische, deutsche und englische<br />
Anthologie von Zitaten aus der Weltdichtung zusammengesetzt:<br />
Klagesang und Friedensbitte in drei<br />
Sätzen. Das pazifistische Leitwort “Magnificat mundus<br />
pacem” wird nach kurzer Orchester-Einleitung vom<br />
Chor gesungen. Den musikalischen Gipfel bildet der<br />
zweite Satz im Wechsel von Fugato der männlichen<br />
43
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Solisten und Chören, alle bald singend, bald sprechend,<br />
die Polyphonie bis zur Achtstimmigkeit im “Misera”<br />
geführt. Lieblichere Töne bringen die weiblichen<br />
Solisten im Rosengedicht eines englischen Barockpoeten,<br />
bis Soloquartett und Chor mit einem Friedensruf<br />
an die Menschheit das Werk beschließen. <strong>Wahren</strong> hat<br />
wieder einmal ein tief engagiertes Stück von meisterlicher<br />
Kunst geschrieben. ... (H.H. Stuckenschmidt)<br />
Presse zu “Du sollst nicht töten”<br />
Aufführung 1974<br />
1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />
2. Die Welt (Harald Colberg)<br />
3. Der Tagesspiegel (Gottfried Eberle)<br />
4. RIAS-Hörfunk (Walter Bachauer)<br />
5. Philharmonische Blätter (wgb)<br />
6. Berliner Morgenpost (-w-)<br />
7. Spandauer Volksblatt Berlin<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.04.74<br />
Neuheiten in West-Berliner Konzerten<br />
<strong>Karl</strong>-<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> beschloß mit seiner Kantate “Du<br />
sollst nicht töten” den interessanten Abend. Zwei Sprecher,<br />
Chor und Tonband teilen sich mit Jazzsolisten in<br />
die Interpretation eines gegen alle Gewalt gerichteten<br />
Textes, den der in Berlin lebende <strong>Komponist</strong> zusammen<br />
mit Walter Böttcher aus christlich-religiösen Liturgieworten<br />
ausbrechen läßt.<br />
Ausgezeichnet für die Stimmen und Instrumente gesetzt,<br />
überzeugend, wo immer sie rein musikalisch begrenzt<br />
ist, leidet diese Kantate an einer etwas äußerlichen<br />
Plakathaftigkeit. Doch der hohe sittliche Ernst<br />
ihres Bekenntnisses setzte sich durch, auch dank der<br />
großen Intensität, mit der Reinhard Peters manche<br />
Schwierigkeiten der Synchronität überbrückte.<br />
(H. H. STUCKENSCHMIDT)<br />
Die Welt - 30.03.74<br />
Die Kette von Leiden – “Musik der Gegenwart” unter<br />
Reinhard Peters in der Philharmonie<br />
“Sie nehmen das Kreuz und drehen und drehen es<br />
um, bis es zum Schwert wird.” Dieser Satz, Dreh- und<br />
Angelpunkt der Kantate “Du sollst nicht töten” von<br />
<strong>Karl</strong>-<strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, läßt schlaglichtartig deutlich werden,<br />
mit welch metaphorischer Prägnanz der Berliner<br />
<strong>Komponist</strong> und sein Textmitgestalter Walter Böttcher<br />
ein ungeheuer anspruchsvolles Thema angehen: Gewalttat<br />
und Mord, die die Menschen seit den Tagen<br />
Kain und Abels einander antun, und ihre Konfrontation<br />
mit der tradierten christlichen Doktrin von Vergebung<br />
und Nächstenliebe.<br />
Unausgesprochen ist es, das Problem der Theodizee,<br />
die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts<br />
einer Welt voller Leid, Blut und Vernichtung, das hier<br />
aktualisiert wird. Aber es wird nicht theologisch bequem<br />
ausgewichen. Letztlich ergeht der Appell an den<br />
Menschen selbst, die geschichtliche Kette von Elend<br />
und Greueltat zu durchbrechen. Daß dieser Appell<br />
nicht in Agitprop-Thesen, sondern in der Benennung<br />
des Schrecklichen und nicht frei von Sarkasmus und<br />
Verzweiflung vorgetragen wird, gibt dem Werk seine<br />
Tiefendimension. ...<br />
...Die Mannigfaltigkeit der Mittel von der Gregorianik<br />
bis zum Jazz, vom hymnischen Lobgesang bis zum<br />
schaurigen Wehgeschrei, vom Kriegslärm und Demonstrationsprotest<br />
bis zur Aufzählung der Stätten<br />
des Grauens (“...Treblinka, Hiroshima, Dresden...”)<br />
reflektiert die Fülle der Perspektiven. Vor diesem Hintergrund<br />
referieren zwei Sprecher (Robert Dietl und<br />
Helmut Krauss) Stationen menschlicher Vernichtung:<br />
Kains Brudermord, die letzten Sekunden eines Hingerichteten,<br />
Aspekte von Napalm- und Atomkrieg, den<br />
Terror der christlichen Konquistadoren in Westindien.<br />
...(Harald Colberg)<br />
Der Tagesspiegel - 30.03.74<br />
20. Jahrhundert<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Kantate “Du sollst nicht töten”<br />
für kleines Blasorchester, Jazzcombo, Chor, zwei<br />
Sprecher und Tonband ist 1969 bei den Jazztagen<br />
durchaus mit Erfolg aufgeführt worden. Jetzt erregte<br />
sie neben Beifall auch heftigen Widerstand. Warum<br />
wohl? Diese Musik war jedenfalls sinnfälliger als das<br />
übrige Programm. Zu sinnfällig und direkt vielleicht<br />
schon wieder? Ihre Botschaft ist klar. Eine Welt der<br />
Glaubensgewißheit repräsentiert durch gregorianischen<br />
Choral wird Protokollen des Sterbens und der<br />
Brutalität, Kriegs- und Demonstrationslärm konfrontiert.<br />
Engagierte Musik also, freilich nicht für eine bestimmte<br />
politische Richtung. Wurde das zum Vorwurf<br />
gemacht? Das Stück ist fraglos sorgfältig gearbeitet,<br />
frappierend vor allem immer wieder in den Übergängen,<br />
den Überlappungen von verschiedenen Perspektiven.<br />
Allerdings, die einzelnen “Takes” wirkten jetzt zu<br />
lang, das Ganze nach dieser kurzen Zeit schon merkwürdig<br />
gealtert. Vielleicht aber muß das Komponieren<br />
letztlich immer an der Gewalt des besagten Themas<br />
abprallen. ... (Gottfried Eberle)<br />
44
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RIAS-Hörfunk<br />
zur Pelca-Schallplatte “Du sollst nicht töten”<br />
...Stockhausen montierte aus den Nationalhymnen<br />
der Welt seine “Hymnen”, Luciano Berios “Sinfonia”<br />
verklebte Samuel Beckett mit Elementen einer Mahler-Symphonie,<br />
Lukas Poss fügte aus verfremdeten<br />
Motiven von Dach und Scarlatti seine parodistischen<br />
“Barock-Variationen”.<br />
Die Kantate <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s nutzt die neue Technik<br />
zu einer sehr direkten Konfrontation von Religion,<br />
Politik und Musik. Bibelstellen und zeitgenössische<br />
Texte über Anwendung von Gewalt, das Alte Testament<br />
und Vietnam werden simultan zu Zeugen eines<br />
pazifistischen Manifests aufgerufen; im Vordergrund<br />
die Anklage gegen die militärischen Maschinerien der<br />
Gegenwart und die technisch verfeinerte Kunst des<br />
Tötens. Eine kommentarlose Folge der archaischen<br />
und modernen Textpartikel - sie ist von der evangelischen<br />
Kirche autorisiert - zielt auf Schock, Plastizität<br />
der Vorstellung, nicht so sehr auf ästhetische Wirkung.<br />
<strong>Wahren</strong> hat sie ganz der Musik überlassen, die aus<br />
nicht minder Heterogenem konstruiert ist.<br />
Chor-Polyphonie in dichten Flächen, wie sie übrigens<br />
auch Penderecki in der gefeierten “Lucas-Passion”<br />
verwendet, stehen neben den harten Blech-Breaks<br />
des Jazzensembles,<br />
Flötenkantilenen neben Beat und von Tonband eingespieltem<br />
Kampflärm. Der Widerspruch der musikalischen<br />
Materialien wird nicht simpel durch Verwischung<br />
ihrer verschiedenen<br />
Ebenen gelöst, sondern quer durch die Dramaturgie<br />
des Ganzen ausgetragen. Collage-Technik präsentiert<br />
sich hier pur.<br />
Das erhöhte Risiko solchen Komponierens hat seinen<br />
guten Sinn; der Autor mag in der Musik nichts von dem<br />
beschönigen, was der Text in seinen Kontrasten aufwirft.<br />
Der ästhetische Bruch, in engagierten Stücken<br />
bereits Kunstmittel, spiegelt drastisch den Zustand<br />
der “beschädigten Welt”. (Walter Bachauer im RIAS)<br />
Philharmonische Blätter - Heft 6 1973/74<br />
Das Thema dieser Kantate ist nicht der ewige Zyklus<br />
des Sterbens, sondern vor allem das Töten, der Mord,<br />
den Menschen für Menschen planen, ist der Mechanismus<br />
der Gewalt, der im Namen von Ideologien oder<br />
im Namen des Kreuzes in historischen Zeiten wie in<br />
der Gegenwart an Menschen vollzogen wird. Walter<br />
Böttcher, der in Zusamrhenarbeit mit dem <strong>Komponist</strong>en<br />
die Texte dieser Kantate zusammenstellte, beginnt<br />
zwar mit einer alten biblischen Notiz, der über<br />
den Brudermord Kains an Abel. Aber der Blick konzen-<br />
triert sich vor allem auf die Dokumentation der Gewalt,<br />
wie sie hier durch Texte über den Mord der Spanier<br />
in Westindien, durch einen Hinrichtungsbericht oder<br />
Texte über Napalm- und Atombombenverheerungen<br />
belegt wird. Und die christlichen Verläßlichkeiten, wie<br />
sie im alten Lobgesang ,Und gelobt sei der Ewige’<br />
auch hier mehrfach zitiert werden oder in der Gelassenheit<br />
des “Alles hat seine Zeit ...” sie geraten in den<br />
Sog eines gegenwärtigen Lebensgefühls, das mit den<br />
traditionsreichen Wahrheiten nicht nur dissoniert, sondern<br />
sie radikal in Frage stellt. Denn angesichts des<br />
realen Schreckens wird im Bewußtsein des gegenwärtigen<br />
Menschen die alte Bitte “Rette mich, Herr,<br />
vor dem ewigen Tode an jenem Tage des Schreckens”<br />
zu einer eigentümlich akademisch gefärbten, weit im<br />
Hintergrund verborgen liegenden Bitte. Kugelbombe,<br />
Napalmbombe, Atombombe und die Topographie des<br />
Grauens, die hier mit La Guernica beginnt und mit<br />
Biafra ihr, wir wissen, nur vorläufiges Ende gefunden<br />
hat, solche Realitäten scheinen durch keine jenseitige<br />
Höllenqual mehr überbietbar zu sein.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat diese Kantate 1969 im Auftrag<br />
des RIAS geschrieben, und im gleichen Jahr fand sie,<br />
während der Berliner Jazztage, eine vielbeachtete Uraufführung.<br />
Sie ist für Orchester, für Jazzsolisten und<br />
Chor und Sprecher und Tonband konzipiert. Und diese<br />
Vielfalt der musikalischen Mittel spiegelt exakt die<br />
Vielfältigkeit der Perspektiven, wie sie in der Text-Collage<br />
ausgebreitet wird.<br />
Vordergründig betrachtet, sucht <strong>Wahren</strong> die Konfrontation<br />
von Jazz-Aggressivität, stillem Orgelton und vox<br />
humana, als der Stimme des leidenden Menschen,<br />
wie sie sich mehrfach in weitgefächerten Chorpartien<br />
ausspricht. Hinzu kommt zudem die Nüchternheit der<br />
Sprecher, kommen die konkreten musikalischen Partikel<br />
von Demonstrationen oder Zitate aus Gregorianik<br />
und Renaissance. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß<br />
wesentliche Partien der Kantate von schnellen Schnitten<br />
leben, von der Konfrontation kurzer musikalischer<br />
Partien unterschiedlichen Charakters. So wechseln<br />
immer wieder jäh emphatische Ausbrüche des Orchesters<br />
mit klagenden Chorpartien oder der nüchternen<br />
Heftigkeit kurzer solistischer Jazzeinblendungen. Andererseits<br />
aber gelingen <strong>Wahren</strong> allmähliche Überlagerungen<br />
oder auch kaum merkliche Veränderungen<br />
der zugrunde liegenden Ausdruckscharaktete von<br />
verblüffender Intensität. Nach dem Bericht über den<br />
Hingerichteten findet sich eine im Herzrhythmus zukkende<br />
Jazzüberleitung, die unmittelbar in eine gregorianische<br />
Intonation überführt wird. Klimatisch und<br />
musikalisch wird sie überlagert von der Hochstimmung<br />
45
KARL HEINZ WAHREN<br />
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der Renaissance-Trompeten, die wiederum ins Saxophon-Solo<br />
einmünden, in Linien von eindringlicher<br />
Beweglichkeit. Das Solo reichert sich an, es wird zum<br />
Ensemble mit zwingendem, vorantreibendem Baß und<br />
schliefllich zum Geräusch knatternder Maschinengewehre,<br />
das sich zum Demonstrationslärm weitet. Solche<br />
Kunst des musikalischen Changierens faßt das<br />
musikalisch Einzelne auf faszinierende Weise zum<br />
klimatisch einheitlichen Raum zusammen. Und sie ermöglicht<br />
es auch, daß <strong>Wahren</strong>s Partitur nie ins hohle<br />
Pathos der Anklage ausbricht oder ins überhöhende<br />
musikalische Espressivo. Die Musik bleibt vielmehr so<br />
konkret, so unmittelbar faßlich auch, wie es die Texte<br />
ohnehin sind. Diese Leichtverständlichkeit der Partitur<br />
sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wieviel<br />
Kunstverstand in die musikalischen Zusammenhänge<br />
eingegangen ist. Denn gerade die Sprache des Jazz,<br />
wie sie <strong>Wahren</strong> in den stilistisch vielfältigen Raum integrierte,<br />
wird mit außerordentlicher Empfindsamkeit<br />
und auf verschiedenen Ebenen gehandhabt. So ist<br />
sie einmal, in den Breaks, Ausdruck der Aggression,<br />
andererseits aber auch gleichsam neutralisierende<br />
Ebene, vor deren Hintergrund sich mit aller Deutlichkeit<br />
die Texte formulieren lassen. In ihrer Gelenkigkeit<br />
aber kontrastiert sie mit der Statik der alten Gesänge<br />
und deren starrer Traditions-Aura.<br />
“Du sollst nicht töten” ist eine Kantate, die um Teilnahme<br />
wirbt, indem sie pathoslos sagt, wie es ist. Und<br />
darum sollte man sie auch wie eine Information aufnehmen:<br />
wach und reflexionsbereit.(wgb)<br />
Berliner Morgenpost - 30.03.74<br />
Kühle Sprechtexte und Klageschreie<br />
Die Kantate “Du sollst nicht töten” des Berliner <strong>Komponist</strong>en<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> dürfte zu den wenigen<br />
zeitgenössischen Werken zählen, die die Chance haben,<br />
einstmals unsere Epoche würdig und eindrucksvoll<br />
zu repräsentieren. Das liegt nicht nur an dem<br />
hochgespannten Thema, das sich nichts Geringeres<br />
vornimmt, als Gewalttat und Mord in Geschichte und<br />
Gegenwart mit den christlichen Heilsgewißheiten zu<br />
konfrontieren. Ein Thema also von unablässiger Brisanz<br />
und Aktualität.<br />
Viele Stilmittel<br />
Es liegt vor allem aber an der dramatisch-packenden<br />
Direktheit, mit der <strong>Wahren</strong> den Vorwurf gestalterisch<br />
bewältigt. Der Vielfalt der Perspektiven entspricht<br />
eine Fülle scheinbar unzuvereinbarender Stilmittel.<br />
So ist es immer wieder faszinierend zu beobachten,<br />
wie Gregorianik und Jazz, expressive Klagesehreie<br />
und kühl referierende Sprechertexte, reale Geräusche<br />
vom Tonband und kammermusikalische Melancholie<br />
zu einer verblüffenden Einheit verschweißt werden. ...<br />
(-w-)<br />
Spandauer Volksblatt Berlin - 30.03.74<br />
“Musik des 20. Jahrhunderts”<br />
In seiner Kantate “Du sollst nicht töten” verbindet<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> (geb. 1933) Orchester, Jazzsolisten,<br />
Chor, Sprecher und Tonband. Von den damit<br />
gegebenen Möglichkeiten macht <strong>Wahren</strong> eine halbe<br />
Stunde lang in rascher Abwechslung immer nur knapp<br />
Gebrauch, so dafl ein Eindruck sparsamer Fülle entsteht<br />
und die Einheitlichkeit des Duktus stets gewahrt<br />
scheint. Der Text, eine von Walter Böttcher und <strong>Wahren</strong><br />
selbst zusammengestellte Montage in vier Sprachen,<br />
läßt vom Sakralwort über politische und medizinische<br />
Texte bis hin zur Aufzählung von Stätten des<br />
Massenmords von Guernica bis Biafra verschiedene<br />
Aspekte des Sterbens und Leidens aufklingen. Der<br />
appellative Sinn dieses moralistisch gemeinten Kunstwerkes<br />
verbirgt sich hinter nüchterner Beschreibung<br />
und Tönen der Klage - und das gewiß nicht zu seinem<br />
Schaden. Manche mögen´s jedoch nur mit dem Holzhammer;<br />
So jedenfalls erkläre ich mir die vereinzelten<br />
Buhrufe, die <strong>Wahren</strong> als einzigem der anwesenden<br />
<strong>Komponist</strong>en zuteil wurden.<br />
Presse zu “Fettklößchen” - Uraufführung 1976<br />
1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)<br />
2. Theater Rundschau (Joachim Kramarz)<br />
3. Die Welt (Klaus Geitel)<br />
4. Der Tagesspiegel (Wolfgang Burde)<br />
5. Orpheus (Klaus Laskowski)<br />
6. SFB-Fernsehen Abendschau (Ditha Rupprecht)<br />
7. SFB-Hörfunk (Dietrich Steinbeck)<br />
8. Berliner Morgenpost (Horst Feige)<br />
9. Kieler Nachrichten, Mannheimer Morgen, Tageblatt<br />
Heidelberg (Hellmut Kotschenreuther)<br />
10. Westfälische Zeitung (Horst Dammrose)<br />
11. Berliner Zeitung (K.W.)<br />
12. Der Abend<br />
13. Spandauer Volksblatt Berlin (Georg Quander)<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.04.76<br />
Fettklößchens Jammer –<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Buffa in Berlin uraufgeführt<br />
Nun hat ein Musiker des Jahrgangs 1933 einen Fund<br />
46
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gemacht. Guy de Maupassants Erstlingsnovelle, die<br />
“Boule de suif” von 1880, drängt sich als kapitaler<br />
Spaß mit kritischen Hintergrund der Bühne gleichsam<br />
auf. ...<br />
Zusammen mit dem Hausdramaturgen der Deutschen<br />
Oper Berlin, Claus H. Henneberg, hat der <strong>Komponist</strong><br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> daraus ein Stück in drei Bildern<br />
gemacht. Maupassants Novellentext wird in Szenen<br />
und Nummern aufgespalten. Dialoge, Ensembles und<br />
Lieder folgen den Geboten des Singtheaters. Dabei<br />
kommt es zu Vergöberungen. Die Sprache wird vulgär;<br />
bisweilen ist schon die deutsche Übersetzung ordinärer<br />
als der französische Text. Dramaturgisch ist das<br />
Libretto in Ordnung.<br />
Was sagt die Musik dazu? <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, ehemals<br />
Schüler Amadeus Hartmanns und Josef Rufers,<br />
hat seit den sechziger Jahren mit Symphonik und<br />
Kammermusik von sich reden gemacht. Sein Klavierkonzert<br />
war bei den Berliner Festwochen 1968 in Rolf<br />
Kuhnerts Interpretation ein Wurf. Ohne sich serieller<br />
und aleatoririscher Mittel zu bedienen, redete <strong>Wahren</strong><br />
eine kultivierte, auf zwölftönigen Methoden ruhende<br />
Sprache.<br />
“Fettklößchen”, im Auftrag der West-Berliner Oper<br />
geschrieben, ist sein erster Bühnenversuch. Für nur<br />
vierzig Mann Orchester einschließlich Harfe, Celesta,<br />
Klavier und zwei Schlagzeuggruppen ist die Partitur<br />
sparsamer gesetzt als der oft üppige, rauschende,<br />
polyphone Klang vermuten läßt. Die Mittel sind pluralistisch:<br />
neben vieltönig-dissonanten Akkorden, Clusters,<br />
Glissandowirkungen und vielfarbigem Geklingel<br />
stehen äußerst simple Stellen vom Marseillaisezitat im<br />
kurzen Vorspiel bis zu den “Nummern”, zu denen ein<br />
meist rezitatirisch-deklamierender Singstil manchmal<br />
gerinnt.<br />
Auch das singspielhaft gesprochene Wort mischt sich<br />
in die gesungenen “Strecken” ein. Der Hauptmangel<br />
der Musik ist, daß diese höchst heterogenen Mittel fast<br />
unvermittelt nebeneinander liegen. Sie wollen nicht<br />
verschmelzen. So zerfällt der Ablauf in einzelne Teile.<br />
<strong>Wahren</strong> hat Sinn für Parodien. So glücken ihm Dinge<br />
wie das nationalhymnische Unisono am Schluß des<br />
ersten Bildes ebenso wie das Terzett de preußischen<br />
Soldaten im zweiten und das gesungene Salonstück<br />
von Judith und Holofernes. Da überall herrscht ungenierte<br />
Tonalität und Diatonik. Aber gleich daneben<br />
klingen dann im Orchester teils Erinnerungen an Debus-<br />
syschen oder Ravelschen Impressionismus, teils<br />
dissonante Kontrapunkte. Das handwerkliche Können,<br />
namentlich in der Orchesterbehandlung, ist beachtlich.<br />
(H.H. Stuckenschmidt)<br />
Theater Rundschau - Juni 1976<br />
Herzlicher Beifall für <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s “Fettklößchen”<br />
Diese kleine Eineinhalb-Stunden-Oper verdient alle<br />
Anerkennung. <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> schreibt eine Nummernoper,<br />
seine Musik spielt in klaren Taktmaßen,<br />
gewohnten Harmonieabläufen bildet Perioden und<br />
benutzt Neutönerisches nur sehr zurückhaltend. Aber<br />
in diesem Rahmen ist die Musik einfallsreich, trifft den<br />
Ton der Handlung, changiert leicht zwischen Gesang<br />
und Sprache, eröffnet den Sängern gute Spielmöglichkeiten<br />
und hat Witz. ...<br />
(Joachim Kramarz)<br />
Die Welt - 26.04.76<br />
Schmunzelmusik zur Häme von Maupassant<br />
... <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>, der <strong>Komponist</strong> und Claus H.<br />
Henneberg, Dramaturg der Deutschen Oper Berlin, ab<br />
Herbst Generalintendant in Kiel, haben die Bühnenwirksamkeit<br />
des Sujets erkannt, das schon Michael<br />
Romm in Rußland, Christian Jaque in Frankreich verfilmt<br />
haben.<br />
In <strong>Wahren</strong>s Vertonung serviert die Deutsche Oper<br />
Berlin nun dieses “Fettklößchen”, gewissermaßen in<br />
würziger Sauce, und zwar im neuen Theatersaal der<br />
Musikhochschule Berlin.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> ist ein geschickter, auch gewitzter<br />
<strong>Komponist</strong>, der sein Metier ausgezeichnet beherrscht.<br />
Er schreibt eine klingende, illustrierende, oft effektvoll<br />
schlagkräftige Musik, die im Wechsel aus gesungenen<br />
und gesprochenem Wort geschickt Nutzen zieht.<br />
Aber es ist gewissermaßen die Musik einer klassenlosen<br />
Gesellschaft. <strong>Wahren</strong> spickt das Geschehen<br />
mit hübschen, geschmackvollen Orchesterpointen.<br />
Er setzt manch lustigen, ironischen, sogar parodistischen<br />
Kommentar. <strong>Wahren</strong> schreibt eine Schmunzelmusik.<br />
...<br />
Das “Fettklößchen” erwies sich als Schlager: sozusagen<br />
als musikalischer Whimpy. (Klaus Geitel)<br />
Der Tagesspiegel - 27.04.76<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>s Oper “Fettklößchen” uraufgeführt<br />
Der Berliner <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> wollte<br />
nach seinem eigenen Geständnis eine im besten<br />
Sinne unterhaltende Oper schreiben¸ Keine, die den<br />
seit den 50er Jahren üblichen vokal-artistischen Subtilitäten<br />
erneuten Tribut zollt, keine auch, deren musiksprachliche<br />
Differenzierung so weit getrieben ist,<br />
das ein unbekümmert drauflos hörendes großes Publikum<br />
nach den ersten Takten bereits zurückzuckt,<br />
mit Desinteresse oder gar Angst reagiert. Der erste<br />
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KARL HEINZ WAHREN<br />
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Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />
Reden Werkkommentare<br />
Schritt, in Zusammenarbeit mit dem Chefdramaturgen<br />
der Deutschen Oper Claus H. Henneberg, vollzogen,<br />
schien ein gutes Stück auf diesem Wege größtmöglicher<br />
Kommunikation voranzutreiben. Man entschied<br />
sich für Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif”<br />
(Fettklößchen) als literarischen Vorwurf, und Hennelkerg<br />
lieferte ein Libretto, das zwar auch die vulgäre<br />
Pointe nicht scheut, insgesamt aber spielbar und im<br />
traditionellen Sinne theaterwirksam ist.<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat dazu eine Opernmusik geschrieben,<br />
deren Durchsichtigkeit und kurzmotivische<br />
Gelenkigkeit, deren relativ leichte Singbarkeit und Auffaßbarkeit<br />
zunächst durchaus für sie einnehmen. In<br />
den ersten Minuten dieser dreiaktigen Partitur rauscht<br />
die Musik impressionistisch auf, der Parlandoton der<br />
ersten Rezitative hat Textverständlichkeit für sich, und<br />
nirgendwann überdeckt der Klang des Orchesters die<br />
sängerischen Aktionen.<br />
Im Verlauf des ersten Aktes aber wird auch sichtbar,<br />
daß <strong>Wahren</strong> die Protagonisten an jene beiläufigen<br />
sängerischen Wendungen gebunden hält, daß weder<br />
Pianissimo-Intimität noch Ausbruch, noch etwa ausführlichere<br />
ariose sängerische Selbstdarstellung zu<br />
seiner Konzeption gehört. ... (Wolfgang Burde)<br />
Orpheus - 15.06.76<br />
Premiere des Monats -<br />
Fettklößchen von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
... Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif” hat<br />
die theatralische Umwandlung mehr als einmal mitgemacht;<br />
ob als Film (z.B. von Michail Romm) oder als<br />
Schauspiel (“Hotel du Commerce” von Hochwälder).<br />
Jetzt ist aus dem “Fettklößchen” gar eine Oper geworden.<br />
Der Berliner <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat<br />
zusammen mit Claus H. Henneberg, dem das theaterwirksame<br />
Libretto zu verdanken ist, einen höchst unterhaltsamen<br />
musikalischen Dreiakter geschaffen, der<br />
alle Chancen hat, sich als Saison-Hit die deutschen<br />
Opernbühnen zu erobern. ... Dieser dramaturgisch<br />
hervorragende Bau wird orchestral mit viel Achtel- und<br />
Sechszehntelnoten gefüllt. Impressionistische Anklänge<br />
wallen für Momente auf, werden durch Zitate und<br />
ganz konventionelle Einschübe - ein Chanson, einen<br />
Can-Can, die Marseillaise - abgelöst. Der Klang ist alles<br />
andere als filigran, obwohl nur ca. 40 Mann im Orchester<br />
sitzen. <strong>Wahren</strong>s Arbeit Zeigt in seinem ersten<br />
Bühnenwerk erstaunliches Können, allerdings ohne<br />
allzu große Ideengabe. Aber er kann für Stimmen<br />
schreiben, und das vermögen heutzutage nur wenige<br />
<strong>Komponist</strong>en. Er individualisiert die Gesangslinie,<br />
die oft von der des Orchesters losgelöst ist und nicht<br />
selten in den gesprochenen Dialog mündet. ... (Klaus<br />
Laskowski)<br />
SFB-Fernsehen Redaktion Abendschau<br />
Ein gefälliges Werk ist diese Oper vom “Fettklößchen”<br />
- einem nicht mehr ganz taufrischen, leichten<br />
Mädchen -, das aus Gefälligkeit sieben patriotischen<br />
Landsleuten gegenüber dem bösen preußischen feind<br />
schließlich doch den gefallen tut und mit ihm ins Bett<br />
geht.<br />
Gut gefallen hat diese erste Oper des Berliner <strong>Komponist</strong>en<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> dem Premierenpublikum.<br />
Nur Bravos waren zu hören und das ist bei Uraufführungen<br />
äußerst selten.<br />
Nun ist <strong>Wahren</strong>s Erstling nicht das große, erleuchtende<br />
Werk des modernen Musiktheaters. Das will es<br />
und soll es gar nicht sein. Aber es stimmt in sich ganz<br />
gut. Schade nur, daß das, was z.B. Musik über innere<br />
Vorgänge zu sagen hat, oft zu kurz kommt.<br />
<strong>Wahren</strong> räumt dem gesungenen Wort Priorität ein.<br />
Deshalb verzichtet er auch auf artistisch hohe Töne.<br />
Die Folge: man versteht eigentlich jedes Wort, die<br />
Pointen kommen an.<br />
Und das ist gar nicht so schlecht für eine Spieloper, die<br />
eine gute literarische Vorlage hat. Aus Maupassants<br />
Novelle über die heuchlerischen, bigotten Vertreter<br />
der Kirche, des Adels und des Bürgertums haben<br />
Claus H. Henneberg und <strong>Wahren</strong> ein witzig-ironisches<br />
Libretto zurechtgezimmert. ...<br />
... Der Dirigent Caspar Richter musizierte mit Engagement,<br />
Umsicht und Sinn für ironischen Witz. Und<br />
die Sänger bewiesen wieder einmal, daß sie treffliche<br />
Darsteller sein können. “Fettklößchen” – diese<br />
neue Oper wird nicht nur in Berlin ihr Publikum finden.<br />
(Ditha Rupprecht)<br />
SFB-Hörfunk<br />
... Eins nämlich scheint mir sicher: diese heiter-satirische<br />
Spieloper (und wann hätte ein <strong>Komponist</strong> unserer<br />
Zeit Ähnliches zustandegebracht?), sie wird ihren<br />
Weg in die deutschen Stadttheater finden. Sie ist, den<br />
stimmlichen Anforderungen nach, leicht zu besetzen,<br />
sie bietet zu effektvollem Rollenspiel Gelegenheit<br />
genug ... das Libretto hat Maupassants frühe Novelle<br />
recht geschickt gerafft und dialogisiert ...(Dietrich<br />
Steinbeck)<br />
Berliner Morgenpost - 27.04.76<br />
Fettklößchens Reise in der Kutsche der Vorurteile<br />
... Das Märchen von “Fettklößchen” ist ebenso erheiternd<br />
wie in seiner lapidaren Schlichtheit menschlich<br />
48
KARL HEINZ WAHREN<br />
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ergreifend. Die Wuchtbrumme der siebziger Jahre<br />
(des vorigen Jahrhunderts) hatte ihre Klößchen an<br />
den richtigen Stellen und verstand es, damit gegen<br />
bare Münze zu wuchern.<br />
Weil der <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> die “bürgerliche<br />
Renommierwandelhalle” – so nennt er die Oper<br />
im Programmheft – nicht mag, zog man zur Premiere<br />
in den Theatersaal der Hochschule der Künste, wo<br />
das Singspiel gut aufgehoben war.<br />
Die teils impressionistisch schwelgende, teils beatig<br />
laute, auch das Couplet nicht scheuende Musik ist illustrierend.<br />
Da dieses veroperte “Fettklößchen” im Gegensatz<br />
zu seinem literarischen Vorbild nicht im Winter spielt,<br />
durfte Martin Rupprecht kleidsame Sommergarderobe<br />
heraussuchen. ...<br />
Das Orchester unter Caspar Richter spielte die ungewohnte<br />
Partitur sicher und mit schönem Erfolg. Der<br />
große Beifall sollte die Deutsche Oper anregen, – wo<br />
auch immer – “Fettklößchen” am Opernleben zu erhalten.<br />
(Horst Feige)<br />
Mannheimer Morgen, Kieler Nachrichten, Tageblatt<br />
Heidelberg - 28.04.76<br />
Fettklößchen und die Heuchler –<br />
Eine Oper von Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />
<strong>Wahren</strong> in Berlin uraufgeführt<br />
... Claus H. Henneberg, der designierte Kieler Generalintendant,<br />
und der <strong>Komponist</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> haben<br />
aus der Novelle ein Libretto extrahiert, in dem viel<br />
von der beißenden Ironie, viel von der sarkastischen<br />
Gesellschafts- und Menschenkritik Maupassants bewahrt<br />
ist; und <strong>Wahren</strong>s Musik, die vom heutigen Stand<br />
der kompositorischen Mittel aus den Impressionismus<br />
in den Blick nimmt, versteht sich darauf, Situationen<br />
und Charaktere effektsicher zu pointieren. Die leichtfüßige<br />
Partitur, aus der sich dann und wann kleine<br />
Chansons und Ensembles auskristallisieren, zielt –<br />
und gedankt sei´s ihr – eher auf Unterhaltsamkeit als<br />
auf die Unsterblichkeit; sie hat, was hierzulande seit je<br />
rar war: Esprit. ...(Hellmut Kotschenreuther)<br />
Westfälische Zeitung - 27.04.76<br />
Durchaus bekömmlich –<br />
<strong>Wahren</strong>s erste Oper “Fettklößchen” in Berlin uraufgeführt<br />
Die Deutsche Oper Berlin stellt jetzt im Theater- und<br />
Probensaal der Hochschule für Künste als Uraufführung<br />
die Oper “Fettklößchen” von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong><br />
vor. ...<br />
Henneberg und <strong>Wahren</strong> haben den Novellentext in<br />
verschiedene Szenen und Bilder unterteilt, aus der<br />
Novelle ein Singspiel gemacht, den Kern und Gehalt<br />
der Novelle aber nicht verändert. Die Sprache ist derb,<br />
dramaturgisch bietet das Libretto großartige Möglichkeiten.<br />
“Fettklößchen” ist <strong>Wahren</strong>s erster musikalischer Bühnenversuch,<br />
ein Auftragswerk für die Deutsche Oper<br />
Berlin. Zeitgenösische Kompositionstechniken wechseln<br />
mit denen des Impressionismus, Lieder im Volkston,<br />
die Ballade von Judith und Holofernes mit modernen,<br />
beatähnlichen Rhythmen. <strong>Wahren</strong> will über<br />
die Brücke des Vertrauten dem Hörer einen Zugang<br />
zu modernen Klängen erleichtern. Die Musik unterstreicht<br />
hervorragend das Wort. ...<br />
Mein Gesamteindruck: Diese Nettigkeit “Fettklößchen”<br />
sollte keineswegs wieder in der Versenkung<br />
verschwinden. Dank einer vorzüglichen musikalischen<br />
Interpretation, einer gelungenen Inszenierung, hervorragender<br />
darstellerischer Leistungen aller Mitwirkenden<br />
eine entspannende Abendunterhaltung, die zum<br />
Nachdenken anregt. Sehr empfehlenswert. (Horst<br />
Dammrose)<br />
Berliner Zeitung B.Z. - 26.04.76<br />
Oper mit allem drum und dran<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> hat das “Fettklößchen” zusammen<br />
mit Claus H. Henneberg geschickt für das Musiktheater<br />
präpariert! <strong>Wahren</strong> hat auch ein Ohr für Wirkungen.<br />
Er weiß, daß man auf die Dauer keine Musik<br />
ohne oder gar gegen das Publikum schreiben kann,<br />
und hat daraus Konsequenzen gezogen. Also hat er<br />
aus “Fettklößchen” eine Oper gemacht, eine richtige<br />
kleine Oper, mit allem, was dazugehört. Es gibt kurze<br />
Lieder, ein Miniatur-Liebesduett, Tanzrhythmen, alles<br />
klanglich bestens gewürzt, und selbst das Lied als<br />
dramatisches Füllsel, hier ein balladesker Song von<br />
Judith und Holofernes, fehlt nicht. ...(K.W.)<br />
Der Abend - 26.04.76<br />
Das kleine Fressen –<br />
Erfolg im Quintett: “Fettklößchen” in der Fasanenstraße<br />
uraufgeführt<br />
... Die Uraufführung im neuen Theatersaal der Kunsthochschule<br />
an der Fasanenstraße, eine Exkursion der<br />
Deutschen Oper in ein ihr fehlendes “Kleines Haus”,<br />
verlief am Wochenende sehr erfolgreich und rief alle<br />
fünf Väter des Werkes und der Aufführung an die<br />
Rampe. ...<br />
... Diese Handlung begleitet der Berliner <strong>Komponist</strong><br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> mit einer handwerklich sehr sauberen,<br />
auch geschickt instrumentierten, aber insgesamt<br />
49
KARL HEINZ WAHREN<br />
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doch recht harmlosen Musik illustrativen Charakters,<br />
die sich von jedem Avantgardismus freihält und eher<br />
epigonal ist. ...<br />
Spandauer Volksblatt Berlin - 27.04.76<br />
Satire im Gewand einer “Spieloper”<br />
Claus H. Henneberg und <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> ist es<br />
im Libretto gelungen, die wesentlichen Elemente aus<br />
Guy de Maupassants gleichnamiger Novelle in eine<br />
pointenreiche szenische Aktion umzusetzen, die in<br />
treffender Rede und gegenrede die politische und moralische<br />
Verlogenheit der flüchtigen Reisegesellschaft<br />
sentenzenreich charakterisiert.<br />
Ravel, Bartók und Strawinsky, die <strong>Wahren</strong>, zeitkoloristisch<br />
bewußt zitiert, feiern fröhliche Urständ. Und das<br />
Publikum fühlt sich in solch altvertrauten Klängen offenbar<br />
wohl. Es wird von der Musik nicht gefordert und<br />
amüsiert sich an den Späßen der Handlung. ...<br />
Das Orchester unter Caspar Richter erntete ebenso<br />
wie der <strong>Komponist</strong> und der Librettist herzlichen Applaus.<br />
(Georg Quander)<br />
Presse zu “Bayreuther Impressionen” -<br />
Uraufführung 2004<br />
1. Märkische Allgemeine (Olaf Wilhelmer)<br />
2. Brandenburger Stadtkurier (Ann Brünink)<br />
Märkische Allgemeine - 03.05.04<br />
Analytische Kraft der Langsamkeit –<br />
Wagner in Brandenburg<br />
... Besonders bayreuthisch war das nicht, aber dafür<br />
gab es zuvor die Uraufführung der Bayreuther Impressionen<br />
von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>. Inspiriert von der rätselhaften<br />
Hassliebe der französischen Impressionisten<br />
zu Wagner, unternahm der 1933 in Bonn geborene<br />
<strong>Komponist</strong> eine tour d’horizon durch die Welt des musikalischen<br />
Zitats: geflügelte Klänge, ein komponierter<br />
Büchmann -<br />
was einem in Bayreuth halt durch den Kopf geht. Kein<br />
Wagner-Highlight, das <strong>Wahren</strong> seinen Instrumentations-künsten<br />
nicht unterworfen hätte. Zwischen diesen<br />
zweifellos originell verknüpften Fäden keimte aber die<br />
Frage auf, wo hinter jenem in die Jahre gekommenen<br />
Postmodernismus die Persönlichkeit <strong>Wahren</strong>s zu suchen<br />
sei.<br />
Gleichwohl vermochte diese Novität einen komponierten<br />
Kommentar zur gedanklichen Klammer des Abends<br />
abzugeben: Eingangs war nämlich ...<br />
Brandenburger Stadtkurier - 03.05.04<br />
Die Brandenburger Symphoniker zelebrieren Gegensätze<br />
... “Bayreuther Impressionen”, die am Wochendende uraufgeführte,<br />
rhythmisch und inhaltlich überreiche Komposition<br />
von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> (geboren 1933), hat vor<br />
allem den Intellekt der Konzertbesucher angesprochen.<br />
Ganz romantisch leiten die Streicher das an musikhistorischen<br />
Bezügen reiche Werk mit einem Motiv aus Wagners<br />
Lohengrin ein. Doch plötzlich explodiert ein grelles<br />
musikalisches Feuerwerk. Temporeich und mit schrillen<br />
Dissonanzen schwelgt das Orchester in Erinnerungen<br />
an “Tristan” und den “Fliegenden Holländer”. Mit einem<br />
wehmütigen Cellosolo verharrt das Orchester an Wagners<br />
Grab, bevor die Musik mal im fetzigen Cancan-<br />
Rhythmus, mal gravitätisch zu Klängen aus dem immer<br />
währenden “Tannhäuser” von der unendlichen Wiederkehr<br />
des Altmeisters kündet.<br />
Mit seiner freitonalen Musik wolle er die Wagnerver-ehrung<br />
in die Gegenwart bringen, erklärt <strong>Wahren</strong>, Mitbegründer<br />
der “Gruppe Neue Musik Berlin”. Auch wenn viel<br />
Wagner darin vorkomme, sei seine Komposition kein Potpourri,<br />
sondern eine Collage. Darin verbinde er Wagnerzitate<br />
mit Eigenem, aber auch mit anderen Impressionen.<br />
Begeistert zeigt sich <strong>Wahren</strong> von der Leistung der Brandenburger<br />
Symphoniker, die seine schwierige Komposition<br />
werkgetreu gemeistert hätten. ...<br />
Presse zu “Friedensoratorium”<br />
6. Anfang und Ende der Welt<br />
Uraufführung 2005<br />
1. Augsburger Allgemeine Zeitung (Claus Lamcy)<br />
Augsburger Allgemeine Zeitung - 11.08.05<br />
Vielstimmiger Frieden –<br />
Festkonzert zu “Pax 2005” in der Augsburger Annakirche<br />
... Zuletzt “Anfang und Ende der Welt” von <strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong><br />
<strong>Wahren</strong> - eine Gegenüberstellung von Genesis und<br />
Offenbarung, zugleich eine Zusammenfassung aller<br />
Mitwirkenden.<br />
<strong>Wahren</strong> endfesselt düstere Klanggewitter, selbst für<br />
den “siebenten Tag”, der Triumph der Stellen “Der Tod<br />
wird nicht mehr sein” und “Schafft alles neu” erscheint<br />
als kurzer Siegesmarsch, der jäh abbricht: Auftrag<br />
statt Siegesgewissheit? Ein Werk, fragmentarisch und<br />
disparat wie unsere Zeit, dieses “Oratorium” , rätselhaft<br />
und mitreißend zugleich - ein einmaliger Akzent<br />
im Friedensjahr. (Claus Lamcy)<br />
50
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />
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Berliner Morgenpost 11. Oktober 2003<br />
Musikalischer Vagabund - Geburtstagskonzert<br />
Er wollte das Publikum nie vor den Kopf stoßen. Eingängig<br />
und verständlich sind seine Werke. Serielle<br />
Konstruktionen? Nein, danke. Jazzrhythmen haben<br />
<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong> viel stärker inspiriert. Für den Vagabunden<br />
zwischen E- und U-Musik gestaltet das BKA<br />
ein Porträtkonzert zum 70. Geburtstag.<br />
Jazzkomponist wollte der Bonner werden, als er zum<br />
Musikstudium nach Berlin kam. Er jazzte in der Hajo-<br />
Bar und schrieb Arrangements fürs Rias-Tanzorchester.<br />
Dann eröffneten ihm die Werke von Strawinsky,<br />
Ravel und Blacher eine neue, viel reichere Welt. <strong>Wahren</strong><br />
konvertierte, wurde E-Musik-<strong>Komponist</strong> - und hat<br />
doch seine Liebe zum Jazz nie aufgegeben.<br />
1965 war er Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik<br />
Berlin”, einem Interessenverband junger <strong>Komponist</strong>en,<br />
die individuelle Wege verfolgten. Der Durchbruch<br />
gelang <strong>Wahren</strong> 1976 mit “Fettklößchen”, einer<br />
Oper mit Strophenliedern im Volkston, Cancan und<br />
französischem Kolorit. “Der Mensch soll sich als Sozialwesen<br />
in der Musik wiedererkennen”, sagt er und<br />
greift gern gesellschaftspolitische Themen auf, etwa<br />
im Antikriegs-Stück “Du sollst nicht töten”.<br />
Gerald Humel, langjähriger Weggefährte aus der<br />
“Gruppe Neue Musik”, leitet das Geburtstagskonzert<br />
mit dem Concerto Streichquartett und acht weiteren<br />
Musikern. Sie spielen ausgewählte Kammermusikwerke,<br />
die <strong>Wahren</strong> seit 1959 geschrieben hat, und<br />
eine Uraufführung: “Nebeneinander - Miteinander”<br />
für Violine, Klarinette und Klavier. <strong>Wahren</strong> selbst führt<br />
durch den Abend.<br />
51
KARL HEINZ WAHREN<br />
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Brandenburgische Revue<br />
Auftragswerk der Berliner Festwochen 1981<br />
... ist eine Folge von “Moments musicaux” zu tatsächlichen<br />
Begebenheiten aus der 500 jährigen Geschichte<br />
des Hauses Hohenzollern von Brandenburg-Preußen.<br />
Die Musik der einzelnen Bilder konfrontiert Stilelemente<br />
der jeweiligen Epoche dem Duktus unserer Zeit.<br />
Diese stilistischen Rückblenden sollen dem bewußten<br />
Hörer ermöglichen, das Vergangene aus der Sicht unserer<br />
Gegenwart zu empfinden.<br />
1. FESTLICHE RENAISSANCE INTRODUKTION<br />
Am 30. April 1415, während des Konstanzer Konzils,<br />
belohnte König Sigismund<br />
den Nürnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern<br />
mit der Mark Brandenburg.<br />
2. SIEGESMARSCH<br />
Anläßlich der ruhmreichen Rückkehr des Kurprinzen<br />
Joachim<br />
- später Kurfürst Joachim II. - aus den Türkenkriegen<br />
im Jahre 1533<br />
3. BERCEUSE<br />
zur Geburt des dreiundzwanzigsten Kindes vom kurz<br />
zuvor im dreiundsiebzigsten Lebensjahr verstorbenen<br />
und drei mal verheirateten Kurfürsten Johann Georg<br />
im Jahre 1598.<br />
4. GAVOTTE POPULAIRE<br />
auf den Sieg des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm<br />
über die schwedischen Invasoren bei Fehrbellin,<br />
1675.<br />
5. FURIOSO BARBARO - FUNEBRE<br />
zum Sturz der geistig umnachteten Königin Sophie<br />
Louise durch die geschlossene Glastür ins Schlafzimmer<br />
ihres Gatten König Friedrich I . und dessen,<br />
vom Schrecken ausgelöster unmittelbarer Tod darauf<br />
1713.<br />
6. FUGATO<br />
“Nischt wie weg, der König kommt!”<br />
Straßenparole aus der Regierungszeit König Friedrich<br />
Wilhelm I. der gelegentlich mit dem Stock auf der<br />
Strafle “faule” Bürger in die Flucht schlug und dabei<br />
rief: “Lieben sollt ihr mich!”<br />
7. GIGUE<br />
zu der abendlichen Kammermusik am Hofe Friedrich<br />
des Großen in den ersten Jahren seiner langen Regierungszeit.<br />
8. PAVANE<br />
auf den Tod des im napoleoniscfien Krieg 1806 gefallenen<br />
hohenzollern Prinzen und <strong>Komponist</strong>en Louis<br />
Ferdinand.<br />
9. FINALE MAESTOSO - AGITATO DIVAGANDO<br />
zur Ausrufung König WilheIms I. von Preußen zum<br />
Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles<br />
und<br />
Ausblick auf den entgültigen Untergang Preußens in<br />
der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts.<br />
(K.H.W.)<br />
Ecce Homo<br />
Orchestersuite in 5 Sätzen nach Bildern von Otto Dix<br />
Die verschiedenen, deutlich voneinander trennbaren<br />
Perioden im 0Euvre Ott Dix’ zeigen sich auch in den<br />
hier zur Vertonung ausgewählten Bildern, die in der<br />
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entstanden. Ihr<br />
historischer Bogen reicht von der Wilhelminischen<br />
Kaiserzeit über die Weimarer Republik, der nationalsozialistischen<br />
Diktatur, bis zur Gründung der beiden<br />
antagonistisch zueinander stehenden Deutschen<br />
Staaten nach 1945.<br />
Diese Bilder sollen nicht in ihren optisch sichtbaren<br />
Äußerlichkeiten musikalisch interpretiert werden, vielmehr<br />
suche ich sie aus ihrem psychologischen Hintergrund<br />
und mit den in ihnen enthaltenen komplexen<br />
Anspielungen - natürlich aus subjektiver Sicht - ins<br />
Klangliche zu transportieren.<br />
Im ersten Gemälde - Die Nacht in der Stadt (1913) -<br />
verkünden die das Bild beherrschenden Wolken durch<br />
expressive Bewegungen ebenso wie die feuerroten<br />
Fensterhöhlen des größeren Hauses - in der schwarz/<br />
weiß Reproduktion nicht erkennbar - genuin Unheil,<br />
das im zweiten Gemälde - Schützenqraben (1918) -<br />
die Menschen im absurden Stahigewitter des 1. Weltkrieges<br />
gnadenlos erfaßt.<br />
An die Schönheit (1922) - beschreibt durch die maskenhafte<br />
Darstellung seiner Akteure fast karikatutistisch<br />
in einer Art magischem Realismus, die von<br />
verbissener Lebenswut gekennzeichnete Oberflächlichkeit<br />
der folgenden Nachkriegsjahre, der “Roaring<br />
Twenties”, deren Unterhaltungswert sich für uns heute<br />
52
KARL HEINZ WAHREN<br />
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unter anderem in begebenden Tangorhythmen nostalgisch<br />
symbolisiert.<br />
Im Triumph des Todes (1934) wird die damalige politische<br />
Polarisierung musikalisch plakativ verdeutlicht<br />
durch insistierende Rhythmen, die später überlagert<br />
sind von den Kampfliedern “Völker, hört die Signale”<br />
und “Die Fahne hoch”, die schließlich mit “Deutschland<br />
über alles” verschmelzen. Der Triumph der Nationalsozialisten<br />
wurde zum Triumph des Todes über<br />
Millionen Menschen.<br />
Die Bildersequenz schließt mit einer fast holzschnittartigen<br />
Jesus-Darstellung: Ecce homo (1949) - Sehet,<br />
welch ein Mensch - der sich vergeblich für das Heil<br />
der Menschheit sind den Frieden auf Erden opferte.<br />
Nich einem breiten polyphonen Beginn erinnern kurze<br />
Zitate an die vorangegangenen Sätze, und mit einem<br />
skurrilen Trauermarsch endet die 5-sätzige Suite, eine<br />
Hommage an den sensitiv-vitalen Künstler und kritischen<br />
Zeitgenossen Otto Dix (1891-1969).<br />
(<strong>Karl</strong> <strong>Heinz</strong> <strong>Wahren</strong>)<br />
At this moment<br />
Auftragswerk der Berliner Festwochen 1970<br />
Im Gegensatz zur Bildenden Kunst, die den Betrachter<br />
in keine Zeitbegrenzung zwängt, wirkt Musik im<br />
Augenblick, ist nur im Moment ihres Klanges faßbar.<br />
Der Titel “At this moment” will das dem Hörer bewußt<br />
machen und ihm damit ein gewisses Maß akustischer<br />
Kontaktbereitschaft abverlangen.<br />
In den drei Sätzen dieses Orchesterkonzertes werden<br />
Motive umrissen, die sich fortentwickeln, verändern<br />
und wieder neuen Momenten weichen;<br />
Wiederholungen, Verflechtungen gegensätzlicher<br />
Motive, Einblendungen kurzer Erinnerungen an vergangene<br />
musikalische Epochen. Zeitabläufe also,<br />
die für Augenblicke Gestalt annehmen, flüchtig, für<br />
den bewußten Hörer doch faßbar, reihen sich in “At<br />
this moment” musikalisch organisiert aneinander.<br />
(K.H.W.)<br />
Magnificat mundus pacem<br />
Wacht auf, Ihr Menschen!<br />
Auftragswerk zum dreißigjährigen Bestehen des Berliner<br />
Konzert-Chors 1984<br />
Meinem Magnificat habe ich nicht, wie üblich, die biblischen<br />
Verse des Marianischen Lobgesangs (Lukas<br />
1, 46 - 55) - Magnificat anima mea Dominum/Hoch<br />
erhebet meine Seele den Herrn - zugrunde gelegt.<br />
Im Namen von Konfessionen und politischen Systemen<br />
wurde und wird um Vorherrschaft gekämpft:<br />
Menschenverachtung zieht sich wie ein roter Faden<br />
durch die Ge- schichte. Angst und Aggression sind es,<br />
die das friedliche Zusammenleben der Menschen zu<br />
allen Zeiten verhindert haben.<br />
Diese Erkenntnis ist ein zentrales Thema humanistischen<br />
Weltbildes abendländischer Prägung. Ideale<br />
Friedenssehnsucht hat seit der Antike immer wieder<br />
gültigen Ausdruck gefunden. Mir schien es wichtig,<br />
einige Väter dieser Gedanken in meinem Magniticat-<br />
Text zu Wort kommen zu lassen: den Philosophen und<br />
Staatsmann Marcus Tullius Cicero (106 - 43 n.Chr.),<br />
den Kirchenvater Aurelius Augustinus (354 - 430) und<br />
den Dichterfürsten Francesco Pretrarca (1304 -1374).<br />
Sie stehen stellvertretend für eine humanistische Tradition,<br />
deren Anfänge 2000 Jahre zurückliegen und<br />
deren geistesgeschichtliche Wirkung auf unsere Kultur<br />
nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Das<br />
musikalische Material meines Magnificat collagiert,<br />
ebenso wie der Text, verschiedene Stilepochen: Gregorianik,<br />
einfache Mehrstimmigkeit, barocken Kontrapunkt,<br />
impressionistische Orchesterklangfarben<br />
und geräuschähnliche Cluster der Gegenwart - den<br />
gesungenen oder gesprochenen Text kommentierend<br />
und kontrastierend. Meine Absicht ist es, die Tragik<br />
menschlichen Bemühens in Vergangenheit und Gegenwart<br />
um eine friedliche Existenz mit künstlerischen<br />
Mitteln bewußt zu machen. Inspiriert von Wort und<br />
Musik soll der Hörer die aktuelle Brisanz der ciceronischen<br />
Weisheit erkennen:<br />
Ut sementem feceris, ita metes – Wie die Saat, so die<br />
Ernte.<br />
(K.H.W.)<br />
Auf der Suche nach dem<br />
verlorenen Tango<br />
Auftragswerk des SFB 1979<br />
“A la Recherche du Tango perdu” ist die Suche nach<br />
der verlorenen Zeit mit musikalischen Mitteln. Der<br />
Tango, ein ursprünglich aus Argentinien stammender<br />
Gesellschaftstanz, auch in Europa repräsentativ für<br />
die gehobene Trivialmusik der “roaring twenties”, hat<br />
sich bis heute als Lied, aber auch als Tanz bewährt.<br />
In dieser etwa 20 Minuten dauernden Komposition<br />
sind in rhapsodischer Folge Melodiephrasen und<br />
Tangorhythmen miteinander verschränkt, werden va-<br />
53
KARL HEINZ WAHREN<br />
<strong>ARCHIV</strong><br />
Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />
Reden Werkkommentare<br />
riiert, aufgelöst und schließlich in neuen Zusammenhängen<br />
wiederholt oder ins Groteske verzerrt, wobei<br />
der monoton insistierende Rhythmus, oft synkopisch<br />
zugespitzt, immer wieder dominiert. Der musikalische<br />
Rückblick wird durch Elemente der zeitgenössischen<br />
Musik gefiltert, so daß Vergangenes und Gegenwärtiges<br />
für Momente miteinander verschmolzen scheint.<br />
(K.H.W.)<br />
Entführung aus dem Köchelverzeichnis<br />
Abduction from the Köchel catalogue<br />
1. Allegro con brio<br />
2. Sentimento con espressivo<br />
3. Molto allegro e leggiero<br />
“Diese Komposition ist kein Potpourri von Mozartmelodien,<br />
sondern ein Konzert für Orchester in historischen<br />
und zeitgenössischen Klängen, basierend auf<br />
einigen auserwählten Mozartthemen.<br />
Der Vorlauf des 1. Satzes - Allegro con brio - läßt sich<br />
als Rondo formal so darstellen: A-B-A-C-A. Im A-Teil<br />
wird das verkürzte Ouvertürenmotiv der “Entführung<br />
aus dem Serail” (1782) verarbeitet, außerdem die Arie<br />
des Belmontes: “Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze<br />
...”, die auch im folgenden B-Teil weiterwirkt,<br />
kontrastiert mit dem Hauptmotiv aus “Eine kleine<br />
Nachtmusik” (K.V. 525). Im C-Teil wird das Andante-<br />
Thema der “Sinfonia concertante” - für Violine, Bratsche<br />
und Orchester, K.V. 364 - verarbeitet.<br />
Nach der 2. Wiederholung des A-Teils erklingt eine kurze<br />
Coda, anekdotisch versetzt mit dem kleinen Nachtmusik-Motiv.<br />
Der 2. Satz - Sentimento con espressivo<br />
- bezieht sein motivisches Material von dem Adagio<br />
aus Mozarts “Konzert für Klarinette und Orchester”<br />
(K.V. 622), das im Sept./0kt. 1791 entstand, wenige<br />
Wochen vor Mozarts Tod. Im 3. Satz schließlich - Molto<br />
allegro e leggiero - werden Themen des letzten Satzes<br />
(Permutationsfuge) der “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V.<br />
551) variiert und beenden so diese in unser Jahrhundert<br />
transponierte musikalische Verbeugung vor dem<br />
Genie Wolfgang Amadeus Mozart.”<br />
This composition is not a potpourri of Mozart melodies<br />
but a concerto for orchestra with historical and contemporary<br />
sounds, based on some chosen themes<br />
from Mozart’s work.<br />
The introduction of the first movement (Allegro con<br />
brio) is in the following rondo form: A-B-A-C-A. The<br />
A part is made up of variations of a shortened version<br />
of the ouverture motif of “Entführung aus dem Serail”<br />
(1782) as well as Belmontes’ aria “Hier soll ich dich<br />
denn sehen, Konstanze ...”. The latter motif is also<br />
used in the B part, where it is contrasted with the main<br />
motif from “Eine kleine Nachtmusik” (K.V. 525). The C<br />
part is characterised by variations of the andante-theme<br />
of the “Sinfonia concertante” for violin, viola and orchestra<br />
(K.V. 364). The second repetition of the A part<br />
is followed by a short coda, anecdotally transposed<br />
with the little motif from “Eine kleine Nachtmusik”.<br />
The motives for the second movement (Sentimento<br />
con espressivo) are drawn from the adagio of Mozart’s<br />
“Konzert für Klarinette und Orchester’ (K.V. 622),<br />
which Mozart wrote in Sept./Oct. 1791, some weeks<br />
before his death.<br />
The third movement (Molto allegro e leggiero) is made<br />
up of variations inspired by themes from the last movement<br />
of Mozart’s “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V. 551),<br />
thus concluding this musical bow, transposed into our<br />
century, to the genius of Wolfgang Amadeus Mozart.<br />
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KARL HEINZ WAHREN<br />
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