Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell

AUFSATZ Strafrecht Erlaubnistatbestandsirrtum
AUFSATZ Öffentliches Recht Baurecht
Benno Kaplonek und
Matthias Mittag, Wiss. Mit.,
Dresden
Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht
Der vornehmlich bundesrechtlich determinierte Nachbarschutz
wird seit mehreren Jahren durch Reformen der Landesbauordnungen
(LBOen) 1 erheblich beeinflusst, die va der Deregulierung
und Beschleunigung des bauaufsichtlichen Verfahrens dienen
sollen. Diese »Vereinfachung« hat weit reichende Folgen für
den Rechtsschutz des Nachbarn, einer »beliebten« Problematik
in öffentlich-rechtlichen Prüfungen. Der Beitrag geht beiden Aspekten
des baurechtlichen Nachbarschutzes nach, nämlich zum
einen der Frage, welche Vorschriften des Baurechts nachbarliche
Abwehransprüche entstehen lassen und zum anderen dem für
die Fallbearbeitung nicht minder wichtigen Problemkreis, wie der
Nachbar seine Rechte vor Behörde und Gericht (VG) durchsetzen
kann.
A) NACHBARSCHUTZ IM MATERIELLEN BAURECHT
Grundlage des Nachbarschutzes sind die Normen des Baurechts,
die bestimmen, ob und in welcher Weise Errichtung, ¾nderung
oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zulässig sind,
und die Auskunft darüber geben, ob sich auf ihre Einhaltung
auch dritte Personen berufen können.
664 JA 2006 · Heft 8/9
I. Die Schutznormtheorie
Nach welchen Kriterien zu bestimmen ist, ob sich der Nachbar
auf die Einhaltung bestimmter Normen berufen kann, ist in Rspr
und hL inzwischen weitgehend geklärt: Es existiert keine allgemeine
Rechtsposition, nach der ein Nachbar Anspruch auf Schutz
vor Wertminderung seines Grundstücks durch fremde Bauvorhaben
hätte. 2 Nach der sog Schutznormtheorie ist vielmehr zu
klären, ob eine Norm insb nach Wortlaut und Telos nicht nur Interessen
der Allgemeinheit dient, sondern zugleich auch dem
Nachbarn eine eigene Rechtsposition einräumt. 3 Schutznormen
sind regelmäßig Vorschriften des materiellen Baurechts. Normen,
die über die formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung
entscheiden, sind grds nicht drittschützend. Anderes gilt nur für
solche Verfahrensvorschriften, die erkennbar gerade dem Schutz
nachbarlicher Rechte dienen, wie etwa die Normen über die Ver-
1 Vgl Schulte DVBl 2004, 925; Jäde NVwZ 2003, 668
2 BVerwG NVwZ-RR 1998, 540
3 Ausf BVerwG NVwZ 1987, 409; enger die frühere Rspr, zB BVerwGE 27, 29, 33, die
einen erkennbar abgrenzbaren Kreis Einzelner verlangte