Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell
Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell
Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
AUFSATZ Strafrecht <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong><br />
<strong>in</strong> bestimmten Kollisionsfällen außer Kraft gesetzt worden s<strong>in</strong>d.<br />
Dies spricht gegen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stufung von Rechtfertigungsgründen<br />
als negative Tatbestandsmerkmale. Dieser normtheoretische Unterschied<br />
wird durch die Unrechtstheorie zum Ausdruck gebracht.<br />
Sie prüft den ETB iRd Rechtswidrigkeit und wendet iRd<br />
subjektiven Rechtfertigungselemente § 16 StGB analog an. Somit<br />
entfällt <strong>der</strong> Vorsatz des W.<br />
W hat sich nicht gem § 223 StGB <strong>der</strong> Körperverletzung strafbar<br />
gemacht.<br />
W könnte sich gem § 229 StGB <strong>der</strong> fahrlässigen Körperverletzung<br />
strafbar gemacht haben, <strong>in</strong>dem er L auf Grund e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlich<br />
bevorstehenden Angriffs mit e<strong>in</strong>em Judogriff zu Boden warf.<br />
W hat den L körperlich misshandelt. Allerd<strong>in</strong>gs wird bei nicht<br />
fahrlässiger Situationsverkennung, die zur Annahme rechtfertigen<strong>der</strong><br />
Umstände führt, vielfach die Sorgfaltspflichtwidrigkeit<br />
verne<strong>in</strong>t. Indes ist zu beachten, dass Bezugspunkt <strong>der</strong> Sorgfaltspflichtwidrigkeit<br />
<strong>der</strong> tatbestandliche Erfolg ist. Die Körperverletzung<br />
ist vorsätzlich herbeigeführt worden und damit auch sorgfaltspflichtwidrig.<br />
E<strong>in</strong> Rechtfertigungsgrund liegt nicht vor, da es<br />
– wie dargetan – tatsächlich an e<strong>in</strong>em Angriff des L fehlt. Die Annahme,<br />
<strong>der</strong> Griff e<strong>in</strong>es Landstreichers unter den Mantel deute<br />
auf e<strong>in</strong>en bevorstehenden Angriff h<strong>in</strong>, beruht nicht auf e<strong>in</strong>er<br />
nach den persönlichen Fähigkeiten des W pflichtgemäßen E<strong>in</strong>schätzung<br />
<strong>der</strong> Situation. Es liegt damit auch e<strong>in</strong>e subjektivpflichtwidriger<br />
Verkennung <strong>der</strong> Umstände vor. W handelte damit<br />
auch schuldhaft.<br />
W hat sich gem § 229 StGB strafbar gemacht.<br />
Fall 2: In Konstellationen wie <strong>der</strong> vorliegenden, bei denen bei<br />
e<strong>in</strong>er ex-ante-Betrachtung e<strong>in</strong>e Notwehrlage gegeben ist, ex<br />
post gesehen h<strong>in</strong>gegen nicht, wird die Notwehrlage oft vorschnell<br />
verne<strong>in</strong>t und e<strong>in</strong> ETB angenommen. Hier ist iRd<br />
Rechtswidrigkeit ausführlich zu diskutieren, ob bei Prüfung<br />
<strong>der</strong> Notwehrlage e<strong>in</strong>e ex-ante- o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ex-post-Perspektive<br />
e<strong>in</strong>zunehmen ist. Folgt man, wie hier, ersterer Ansicht, ist <strong>der</strong><br />
Fall iRd § 32 StGB zu lösen, bevorzugt man die hM, ist auf die<br />
hier auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit, von <strong>der</strong> hM h<strong>in</strong>gegen<br />
iRd Schuld geprüften Voraussetzungen des ETB e<strong>in</strong>zugehen<br />
(vgl Fall 1).<br />
H könnte sich gem § 212 StGB des Totschlags strafbar gemacht<br />
haben, <strong>in</strong>dem er den A die Treppe h<strong>in</strong>unter stieß und sich dieser<br />
dabei tödliche Verletzungen zuzog.<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
H hat den Tod des A kausal, objektiv zurechenbar und bed<strong>in</strong>gt<br />
vorsätzlich verwirklicht.<br />
II. Rechtswidrigkeit<br />
1. Objektive Rechtfertigungselemente<br />
Er könnte allerd<strong>in</strong>gs gem § 32 StGB gerechtfertigt se<strong>in</strong>. Voraussetzung<br />
hierfür ist, dass e<strong>in</strong>e Notwehrlage, also e<strong>in</strong> gegenwärtiger,<br />
rechtswidriger Angriff auf e<strong>in</strong> geschütztes Rechtsgut vorliegt.<br />
Legt man e<strong>in</strong>e ex-post-Betrachtung zu Grunde, wäre dies<br />
zu verne<strong>in</strong>en. Stellt man h<strong>in</strong>gegen auf den Kenntnisstand ab, den<br />
e<strong>in</strong> objektiver Dritter im Zeitpunkt des E<strong>in</strong>greifens hatte, befand<br />
sich H <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Notwehrlage. Für e<strong>in</strong>e ex-ante-Betrachtung<br />
spricht, dass das Strafrecht e<strong>in</strong>e Verhaltensnormordnung darstellt,<br />
die dem Bürger Leitl<strong>in</strong>ien für se<strong>in</strong> Verhalten bieten soll.<br />
E<strong>in</strong>e ex-post-Betrachtung vorzunehmen hieße vom Bürger Unmögliches<br />
zu verlangen, weil man für die Beurteilung <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit<br />
e<strong>in</strong>er Handlung Umstände mit e<strong>in</strong>fließen lässt, die<br />
dem Täter im Moment <strong>der</strong> Vornahme <strong>der</strong> Handlung nicht bekannt<br />
waren. Problematisch ist jedoch, dass dem Täter so trotz e<strong>in</strong>er<br />
objektiv ungefährlichen Situation mit dem schneidigen Notwehrrecht<br />
auf Grund <strong>der</strong> korrespondierenden, weitgehenden Duldungspflichten<br />
des Opfers weit reichende E<strong>in</strong>wirkungsbefugnisse<br />
auf dessen Rechtsgüter e<strong>in</strong>geräumt wird, weil nach traditioneller<br />
Dogmatik e<strong>in</strong>e Notwehr gegen Notwehr mangels e<strong>in</strong>es<br />
rechtswidrigen Angriffs ausgeschlossen ist. Genau letztere Prämisse<br />
wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang aber teilweise angezweifelt<br />
– unter konsequenter E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> ex-ante-Perspektive<br />
könnten sowohl Täter als auch Opfer gem § 32 StGB gerechtfertigt<br />
se<strong>in</strong>. Dies würde aber dazu führen, dass nur viele verschiedene<br />
Verhaltensnormen nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> stünden, aber gerade<br />
ke<strong>in</strong>e Verhaltensnormordnung entstünde. Das Strafrecht würde<br />
so se<strong>in</strong>e verhaltenssteuernde Funktion verlieren. Somit ist diese<br />
Ansicht abzulehnen, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stufung <strong>der</strong> Handlung des Täters als<br />
durch Notwehr gerechtfertigt schließt e<strong>in</strong>e rechtmäßige Gegenwehr<br />
des Opfers aus. Somit ist zu konstatieren, dass dem Opfer,<br />
das ja nichts Verbotenes getan hat, e<strong>in</strong>e weitgehende Duldungspflicht<br />
auferlegt wird. Allerd<strong>in</strong>gs ist zu berücksichtigen, dass,<br />
wenn unvernünftiges Verhalten des Opfers das E<strong>in</strong>greifen des<br />
Täters zurechenbar verursacht hat, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung des Notwehrrechts<br />
nicht geboten ist. Falls diese Situation aber durch<br />
höhere Gewalt o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e fahrlässige Fehle<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong><br />
Gegebenheiten durch den Täter herbeigeführt worden ist,<br />
kommt e<strong>in</strong>e Rechtfertigung des Angreifers nicht <strong>in</strong> Betracht.<br />
Vorliegend hat A den falschen Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lebensgefahr durch<br />
B zurechenbar gesetzt, so dass auf Grund e<strong>in</strong>er ex-ante-Betrachtung<br />
e<strong>in</strong>e Notwehrlage anzunehmen ist. Die Notwehrhandlung<br />
war auch geeignet, erfor<strong>der</strong>lich und von e<strong>in</strong>em Verteidigungswillen<br />
getragen. Folglich ist H gem § 32 StGB gerechtfertigt.<br />
H hat sich nicht gem § 212 StGB strafbar gemacht.<br />
Fall 3: Hier ist zu diskutieren, ob das Vorliegen e<strong>in</strong>er Notstandslage<br />
auf Ebene <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit ex ante o<strong>der</strong> ex<br />
post zu bestimmen ist. Geht man, wie hier, von ersterem aus,<br />
kann man den Fall mit § 904 BGB lösen, folgt man <strong>der</strong> zweiten<br />
Ansicht, ist auf den ETB e<strong>in</strong>zugehen.<br />
P könnte sich gem § 303 StGB strafbar gemacht haben, <strong>in</strong>dem er<br />
die Heckscheibe des Kombis e<strong>in</strong>schlug.<br />
P hat die Scheibe kausal und vorsätzlich zerstört; <strong>der</strong> Tatbestand<br />
ist erfüllt.<br />
P könnte aber gem § 904 BGB gerechtfertigt se<strong>in</strong>. Legt man<br />
e<strong>in</strong>e ex-post-Betrachtung <strong>der</strong> Situation zu Grunde, scheidet e<strong>in</strong>e<br />
Rechtfertigung aus, weil zu ke<strong>in</strong>em Zeitpunkt die Gefahr bestand,<br />
dass e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> dem überhitzten Auto erstickt, es<br />
also an e<strong>in</strong>er Gefahr für das Erhaltungsgut »Leben« fehlte. Stellt<br />
man h<strong>in</strong>gegen auf die objektive ex-ante-Sicht ab, wäre e<strong>in</strong>e Notstandslage<br />
zu bejahen. Zusätzlich zu den bei Fall 2 für e<strong>in</strong>e exante-Betrachtung<br />
angeführten Argumenten ist hervorzuheben,<br />
dass <strong>der</strong> Notstand, egal ob nach § 34 StGB o<strong>der</strong> §§ 228, 904<br />
BGB, weniger e<strong>in</strong>griffs<strong>in</strong>tensiv ist als das schneidige Notwehrrecht.<br />
Demnach ist auf die ex-ante-Sicht abzustellen, e<strong>in</strong>e Notstandslage<br />
liegt vor. Die Notstandshandlung war auch geeignet.<br />
E<strong>in</strong> wesentliches Überwiegen des Erhaltungsguts »Leben« gegenüber<br />
dem E<strong>in</strong>griffsgut »Eigentum« ist zu bejahen. Schließlich<br />
wurde Ps Handlung von e<strong>in</strong>em Rettungswillen getragen. Demnach<br />
ist P nach § 904 BGB gerechtfertigt.<br />
P hat sich nicht gem § 303 StGB strafbar gemacht.<br />
Fall 4: Hier sollte die Prüfung <strong>der</strong> Notwehrlage iRd Rechtswidrigkeit<br />
nicht zu oberflächlich ausfallen, auch wenn sie<br />
nach beiden Ansichten im Fall höherer Gewalt im Ergebnis<br />
JA 2006 · Heft 8/9 661