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Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell

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AUFSATZ Strafrecht <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong><br />

Diese Überlegungen zeigen, dass es zu kurz gesprungen ist,<br />

etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fall, <strong>in</strong> dem trotz sorgfältiger Prüfung <strong>der</strong> Situation<br />

e<strong>in</strong>e Rechtfertigung des Irrenden ausscheiden muss, weil<br />

das E<strong>in</strong>griffsopfer nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verantwortung für die Schaffung<br />

des Bildes e<strong>in</strong>er Rechtfertigungslage steht, die sorgfaltswidrige<br />

Erfolgsverursachung abzulehnen. 26 Verne<strong>in</strong>t man auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

e<strong>in</strong>er ex-ante-Perspektive <strong>in</strong> den Fällen des »sche<strong>in</strong>baren«<br />

ETB den Gesamtunrechtstatbestand 27 und bei Vorliegen e<strong>in</strong>es<br />

»echten« <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong>s mit <strong>der</strong> hM die Vorsatzschuld<br />

28 o<strong>der</strong> – wie uE vorzugswürdig – das subjektive Moment<br />

<strong>der</strong> Rechtswidrigkeit, ist es stattdessen nur konsequent, iRe sich<br />

ggf anschließenden Prüfung wegen fahrlässiger Tat bei objektiv<br />

pflichtgemäßer Prüfung <strong>der</strong> (verme<strong>in</strong>tlichen) Rechtfertigungslage<br />

trotz sorgfaltswidriger Verwirklichung des Tatbestands das<br />

Handlungsunrecht <strong>der</strong> fahrlässigen Tat als (übergeordnetes) Element<br />

des Gesamtunrechtstatbestands 29 trotz objektiven Fehlens<br />

e<strong>in</strong>es Rechtfertigungsgrundes zu verne<strong>in</strong>en 30 und bei lediglich<br />

fehlen<strong>der</strong> subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung bzgl <strong>der</strong> irrigen<br />

Annahme <strong>der</strong> Voraussetzungen e<strong>in</strong>es Rechtfertigungsgrundes<br />

die Fahrlässigkeitsschuld abzulehnen.<br />

III. Formulierungsvorschläge zu den Fällen<br />

Fall 1: Tatbestandsmäßigkeit:<br />

IRd objektiven Tatbestands sollte die von e<strong>in</strong>er MM vertretene<br />

situationsgebundene Beurteilung <strong>der</strong> körperlichen Misshandlung<br />

angesprochen werden. Auf Ebene <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit<br />

ist das Vorliegen objektiver Rechtfertigungselemente<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> gebotenen Kürze zu verne<strong>in</strong>en, da e<strong>in</strong>e Notwehrlage<br />

sowohl bei ex-ante- als auch bei ex-post-Betrachtung ausscheidet.<br />

Nach hier vertretener Auffassung ist die Problematik<br />

des »echten« ETB im Unterpunkt »subjektive Rechtfertigungselemente«<br />

abzuhandeln. Da se<strong>in</strong>e Voraussetzungen<br />

hier gegeben s<strong>in</strong>d, entfällt analog § 16 StGB <strong>der</strong> Vorsatz. Nun<br />

ist § 229 StGB zu prüfen und zu bejahen.<br />

W könnte sich gem § 223 I Alt 1 StGB <strong>der</strong> Körperverletzung<br />

strafbar gemacht haben, <strong>in</strong>dem er den L mit e<strong>in</strong>em Judogriff zu<br />

Boden geworfen hat.<br />

I. Tatbestandsmäßigkeit<br />

W könnte den L körperlich misshandelt haben. Fraglich ist, ob<br />

<strong>der</strong> schmerzhafte Judogriff, <strong>der</strong> das körperliche Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>in</strong><br />

nicht nur unerheblicher Weise bee<strong>in</strong>trächtigte, übel und unangemessen<br />

war. Teilweise wird vertreten, dass dem bei Verteidigungshandlungen<br />

nicht so ist bzw <strong>der</strong> Misshandlungsvorsatz<br />

fehlt. Demnach würde e<strong>in</strong>e Körperverletzung schon tatbestandlich<br />

ausscheiden. E<strong>in</strong>e solche Auslegung ist allerd<strong>in</strong>gs nicht mit<br />

<strong>der</strong> Systematik des Gesetzes <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen: §§ 223, 229<br />

StGB verwenden den gleichen Körperverletzungsbegriff. Demnach<br />

muss e<strong>in</strong>e körperliche Misshandlung auch fahrlässig verwirklicht<br />

werden können. Folglich scheidet e<strong>in</strong>e situationsgebundene<br />

E<strong>in</strong>stufung e<strong>in</strong>er Handlung als Körperverletzung unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Motivationslage aus. Somit hat W den L körperlich<br />

misshandelt; <strong>der</strong> Tatbestand <strong>der</strong> § 223 StGB ist erfüllt.<br />

II. Rechtswidrigkeit<br />

1. Objektive Rechtfertigungselemente<br />

Se<strong>in</strong>e Handlung könnte aber gem § 32 StGB durch Notwehr gerechtfertigt<br />

se<strong>in</strong>. Allerd<strong>in</strong>gs liegt ex post ke<strong>in</strong>e Notwehrlage vor,<br />

L wollte den W gar nicht angreifen. Ebenso wenig kann alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Griff <strong>in</strong> den Mantel ohne weitere Anhaltspunkte Grund dafür geben,<br />

e<strong>in</strong>en Passanten anzugreifen, so dass auch bei e<strong>in</strong>er exante-Betrachtung<br />

e<strong>in</strong>e Notwehrlage ausscheidet. W ist nicht<br />

nach § 32 StGB gerechtfertigt.<br />

660 JA 2006 · Heft 8/9<br />

2. Subjektive Rechtfertigungselemente<br />

Er nahm jedoch auf Grund e<strong>in</strong>es Irrtums über tatsächliche Begebenheiten<br />

das Bestehen e<strong>in</strong>er Notwehrlage an. Fraglich ist,<br />

wie solch e<strong>in</strong> <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong> rechtlich zu behandeln<br />

ist. Die strenge Schuldtheorie geht davon aus, dass bei fehlendem<br />

Unrechtsbewusstse<strong>in</strong> immer § 17 StGB e<strong>in</strong>schlägig ist. <strong>Der</strong><br />

Irrtum des W war vermeidbar, so dass er wegen e<strong>in</strong>er vorsätzlichen<br />

Körperverletzung zu bestrafen wäre; zu se<strong>in</strong>en Gunsten<br />

käme lediglich e<strong>in</strong>e fakultative Strafmil<strong>der</strong>ung nach § 17 II iVm<br />

§ 49 I StGB <strong>in</strong> Betracht. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass<br />

<strong>der</strong> ETB als Irrtum über Tatsachen dem Tatbestandsirrtum näher<br />

steht als dem Verbotsirrtum, bei dem <strong>der</strong> Täter e<strong>in</strong>e rechtliche<br />

Fehlbewertung vornimmt. Auch ist zu beachten, dass <strong>der</strong> im Tatbestand<br />

ausgesprochene allgeme<strong>in</strong>e Normbefehl auf Ebene <strong>der</strong><br />

Rechtswidrigkeit auf Grund e<strong>in</strong>es Interessenausgleichs im Kollisionsfall<br />

außer Kraft gesetzt wird. IRd Schuld h<strong>in</strong>gegen wird dem<br />

Täter <strong>der</strong> Verstoß gegen e<strong>in</strong>e bestehende Rechtspflicht lediglich<br />

nicht <strong>in</strong>dividuell vorgeworfen. <strong>Der</strong> ETB betrifft das Bestehen<br />

e<strong>in</strong>er Rechtspflicht; <strong>der</strong> Täter geht davon aus, dass diese suspendiert<br />

ist. Dies ist bei § 17 StGB iRd Schuld gerade nicht <strong>der</strong><br />

Fall. Insofern ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Anwendung von § 17 StGB auf den<br />

sich rechtstreu verhalten wollenden Bürger nicht sachgerecht,<br />

die strenge Schuldtheorie ist mith<strong>in</strong> abzulehnen.<br />

Aus diesem Grund propagiert die <strong>in</strong> zwei Spielarten vertretene<br />

e<strong>in</strong>geschränkte Schuldtheorie die analoge Anwendung<br />

von § 16 I 1 StGB. Vor allem <strong>der</strong> BGH favorisiert die re<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte<br />

Schuldtheorie, die <strong>in</strong> solchen Konstellationen analog<br />

§ 16 I 1 StGB den Vorsatz <strong>in</strong>sg entfallen lässt. Demgegenüber bejaht<br />

die von <strong>der</strong> hL vertretene rechtsfolgenverweisende e<strong>in</strong>geschränkte<br />

Schuldtheorie den Tatbestandsvorsatz, verne<strong>in</strong>t aber<br />

die Vorsatzschuld. Nach ihr werden also nur die Rechtsfolgen<br />

des § 16 I 1 StGB entsprechend auf den ETBI angewandt. <strong>Der</strong> vorsatzausschließenden<br />

Variante ist entgegenzuhalten, dass sie<br />

den auf Tatbestandsebene bereits bejahten Vorsatz iRd Unrechtsbewusstse<strong>in</strong>s<br />

plötzlich verne<strong>in</strong>t und, wie früher beim zweigliedrigen<br />

Deliktsaufbau, den Vorsatz methodisch <strong>in</strong> die Schuld<br />

verschiebt. Diese dogmatische Unstimmigkeit sche<strong>in</strong>t die e<strong>in</strong>geschränkte<br />

rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie zu vermeiden,<br />

<strong>in</strong>dem sie den Vorsatz bestehen lässt und nur die Rechtsfolgen<br />

dem § 16 StGB entnimmt. Auf den zweiten Blick wird allerd<strong>in</strong>gs<br />

klar, dass <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> vorsatzausschließenden Variante bemängelte<br />

dogmatische Bruch durch e<strong>in</strong>e Verschiebung <strong>in</strong> die Rechtsfolgenverweisung<br />

nur kaschiert wird. Im Pr<strong>in</strong>zip wird bis zur<br />

Feststellung <strong>der</strong> Strafbegründungsschuld <strong>der</strong> strengen Schuldtheorie<br />

gefolgt, um auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Strafzumessung den normtheoretischen<br />

Vorgaben zu folgen, die <strong>der</strong> Vorsatztheorie entsprechen.<br />

Auch ersche<strong>in</strong>t die Trennung zwischen Strafbegründungs-<br />

und Strafzumessungsschuld künstlich. Demnach s<strong>in</strong>d<br />

auch beide Varianten <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Schuldtheorie abzulehnen.<br />

Alternative Lösungsvorschläge haben sowohl die Lehre<br />

von den negativen Tatbestandsmerkmalen als auch die Unrechtstheorie<br />

geliefert. Nach ersterer ist das Nichte<strong>in</strong>greifen von<br />

Rechtfertigungsgründen Voraussetzung für die Bejahung des<br />

Tatbestandes. Dem ist jedoch <strong>der</strong> strukturelle Unterschied zwischen<br />

Tatbestand und Rechtswidrigkeit entgegenzuhalten. Im<br />

Tatbestand werden Verhaltensbefehle artikuliert, die auf Ebene<br />

<strong>der</strong> Rechtswidrigkeit nach e<strong>in</strong>er generellen Interessenabwägung<br />

26 Vgl Wessels/Beulke (Fn 2) Rn 892.<br />

27 Und zwar durch Ablehnung von objektivem o<strong>der</strong> subjektivem Tatbestand o<strong>der</strong> durch<br />

Annahme e<strong>in</strong>es Rechtfertigungsgrundes; vgl oben I<br />

28 Vgl oben II 2<br />

29 Vgl für e<strong>in</strong>en Überblick über die Tatbestandslehre Wessels/Beulke (Fn 2) Rn 116 ff<br />

30 Zutreffend erkannt von Nippert/Tr<strong>in</strong>kl JuS 2002, 967; vgl auch Graul JuS 1995, 1052

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