09.02.2013 Aufrufe

Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell

Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell

Der Erlaubnistatbestandsirrtum in der Fallbearbeitung ... - Ja-Aktuell

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

AUFSATZ Strafrecht <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong><br />

Fall 5: In Abwandlung zu Fall 2 haben A und B ihr Cast<strong>in</strong>g zuvor<br />

bei <strong>der</strong> Hausverwaltung angemeldet, welche e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />

Aushang an allen Zugängen zur Tiefgarage hat<br />

anbr<strong>in</strong>gen lassen. H war jedoch, als er die Garage betrat, völlig<br />

<strong>in</strong> Gedanken und hatte daher den Aushang übersehen.<br />

Fall 6: Anlässlich e<strong>in</strong>er größeren <strong>Ja</strong>gdgesellschaft hat sich<br />

Jäger A h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Busch versteckt, Jäger B kauert im Wurzelwerk<br />

e<strong>in</strong>er großen Eiche. Zwar kann A den B durch die<br />

Blätter h<strong>in</strong>durch sehen, für B ist <strong>der</strong> Busch aus <strong>der</strong> Entfernung<br />

jedoch undurchdr<strong>in</strong>gbar. Als B schräg h<strong>in</strong>ter dem von A<br />

als Versteck genutzten Busch e<strong>in</strong>en Fuchs erspäht, br<strong>in</strong>gt er<br />

langsam, um den Fuchs nicht durch hastige Bewegungen aufzuschrecken,<br />

se<strong>in</strong> Gewehr <strong>in</strong> Anschlag. A kann den Fuchs aus<br />

se<strong>in</strong>em Versteck nicht bemerken und so bezieht er das Verhalten<br />

des B auf sich und mutmaßt – völlig unzutreffend –<br />

e<strong>in</strong>en unmittelbar bevorstehenden Racheakt dafür, dass er<br />

dem B vor e<strong>in</strong>igen <strong>Ja</strong>hren die Frau ausgespannt hat. Da er<br />

sich nicht an<strong>der</strong>s gegen den sche<strong>in</strong>bar unmittelbar drohenden<br />

Schuss wehren zu können glaubt, versucht er, dem B das<br />

Gewehr aus <strong>der</strong> Hand zu schießen, verletzt dabei den B aber,<br />

wie er befürchtet hatte, schwer.<br />

Blickt man zunächst auf Fall 4, so wirft <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Lösung<br />

zunächst ke<strong>in</strong>e Probleme auf: Ersichtlich kann nur nach <strong>der</strong><br />

Strafbarkeit des F gefragt se<strong>in</strong> – und zwar wegen e<strong>in</strong>er Körperverletzung,<br />

mangels näherer H<strong>in</strong>weise gem § 223 StGB, die gem<br />

§ 224 I Nr 2 Alt 1 StGB und ggf als e<strong>in</strong>e das Leben des A gefährdenden<br />

Behandlung gem § 224 I Nr 5 StGB qualifiziert ist.<br />

<strong>Der</strong> objektive Tatbestand liegt hier im Ergebnis vor. Die oben 1<br />

angesprochenen Fallstricke »missbräuchliche tatbestandliche<br />

Ausübungshandlung« o<strong>der</strong> »unbefugte tatbestandliche Ausführungshandlung«<br />

s<strong>in</strong>d hier nicht ausgelegt. Unter dem Blickw<strong>in</strong>kel<br />

des objektiven Tatbestands war <strong>der</strong> Schuss auf den A e<strong>in</strong>e<br />

situativ <strong>in</strong>adäquate körperliche Misshandlung. Die zweite Tatbestandsalternative<br />

<strong>der</strong> »Gesundheitsbeschädigung« liegt ebenfalls<br />

vor, da F dem A <strong>in</strong> den Arm geschossen hat. Das Gewehr<br />

ist auch als Waffe iSv § 224 I Nr 2 Alt 1 StGB e<strong>in</strong>zustufen. Ob daneben<br />

die Qualifikation <strong>der</strong> »lebensgefährdenden Behandlung«<br />

vorliegt, ist nach dem Sachverhalt nicht abschließend und mit<br />

Sicherheit zu entscheiden, mag es auch bei dessen »natürlicher«<br />

Betrachtung nahe liegen. Im strafrechtlichen Gutachten, welches<br />

an den positiv umschriebenen Sachverhalt gebunden ist, darf sie<br />

bei folgerichtiger Subsumtion nicht bejaht werden.<br />

Auch <strong>der</strong> subjektive Tatbestand bereitet hier ke<strong>in</strong>e Probleme,<br />

denn F wollte (dolus directus 1. Grades!) den Arm des A treffen.<br />

Spätestens hier geriete man <strong>in</strong> Schwierigkeiten, hätte man den<br />

objektiven Tatbestand <strong>der</strong> Qualifikation des § 224 I Nr 5 StGB bejaht.<br />

Auf <strong>der</strong> Rechtswidrigkeitsebene beg<strong>in</strong>nt nun, wie bereits angedeutet,<br />

die entscheidende Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung über die Strafbarkeit<br />

des F. Denn A se<strong>in</strong>erseits hat nicht zurechenbar e<strong>in</strong> Bild<br />

e<strong>in</strong>er Notwehrlage für F geschaffen, er ist im wahrsten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes <strong>in</strong> die unerquickliche Situation des Versagens <strong>der</strong> Bremsen<br />

»h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geraten«. Es ergibt sich von daher ke<strong>in</strong> Anhaltspunkt,<br />

se<strong>in</strong>e Handlungsfreiheit, sich aus dieser Situation zu befreien,<br />

e<strong>in</strong>zuschränken.<br />

Und damit gelangen wir nun endlich zu den Theorien von –<br />

und hier zeigt sich bereits e<strong>in</strong>e weitere Schwierigkeit – eigentlich<br />

ganz verschiedenen Gegenständen. Zwar haben sämtliche <strong>der</strong><br />

sog »Theorien zum <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong>« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat die<br />

e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>samkeit, dass sie sich sämtlich mit diesem Erkenntnisgegenstand<br />

beschäftigen – allerd<strong>in</strong>gs, und dieser Umstand<br />

gerät bisweilen <strong>in</strong> Vergessenheit, aus verschiedenen Blickw<strong>in</strong>-<br />

keln. Teilweise geht es um die Erklärung <strong>der</strong> dogmatischen Figur<br />

des ETB, teilweise jedoch lediglich um die Begründung <strong>der</strong>jenigen<br />

Rechtsfolgen, die als angemessen für e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Fehlvorstellung erachtet werden. Dass man beides nicht e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

alternativ iSe »Streitentscheids« gegenüberstellen kann, liegt auf<br />

<strong>der</strong> Hand.<br />

2. Theorien <strong>der</strong> dogmatischen E<strong>in</strong>ordnung<br />

Beg<strong>in</strong>nen wir also mit dem, was häufig als die überzeugendste<br />

o<strong>der</strong> jedenfalls handhabbarste Möglichkeit, mit dem Problem umzugehen,<br />

beschrieben wird: Die »rechtsfolgenverweisende Variante<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Schuldtheorie«. 2<br />

Bereits die Namensgebung, die sich für dieses Konstrukt e<strong>in</strong>gebürgert<br />

hat, 3 zeigt deutlich, dass hier nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />

Theorie vorliegt, son<strong>der</strong>n, mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verknüpft, Aussagen zu<br />

zwei unterschiedlichen Gegenständen getroffen werden. 4<br />

Entscheidend für die hier anstehenden Fragen zum Deliktsbzw<br />

Gutachtenaufbau ist zunächst die Kennzeichnung als »Schuldtheorie«.<br />

Dies bedeutet, dass e<strong>in</strong>e Aussage zur Stellung des Vorsatzes<br />

getroffen wird: <strong>Der</strong> Vorsatz ist e<strong>in</strong> Element des Tatbestands,<br />

nicht <strong>der</strong> Schuld. Die nächste Aussage betrifft das, was <strong>in</strong> Schuld<br />

übrig bleibt, nachdem ihr <strong>der</strong> Vorsatz beim Übergang von den<br />

klassischen zu den f<strong>in</strong>alen Handlungslehren gewissermaßen<br />

»abhanden gekommen« ist: Das Unrechtsbewusstse<strong>in</strong> als m<strong>in</strong>imalem<br />

Anknüpfungspunkt e<strong>in</strong>es Vorsatzschuldvorwurfs, des<br />

Vorwurfs an den Täter also, er habe sich nach dem Maßstab<br />

e<strong>in</strong>es Durchschnittsbürgers unrecht verhalten, obwohl er sich<br />

nach se<strong>in</strong>en persönlichen Fähigkeiten hätte an<strong>der</strong>s verhalten<br />

können, eben normkonform. Dort, wo dieses Unrechtsbewusstse<strong>in</strong><br />

fehlt, kann ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividueller Vorwurf erhoben werden. 5<br />

Die Aussage, die diese »Theorie« zum Unrechtsbewusstse<strong>in</strong><br />

trifft ist, dass e<strong>in</strong> Irrtum über die Bezugspunkte des Unrechtsbewusstse<strong>in</strong>s<br />

nicht den Vorsatz entfallen lässt, son<strong>der</strong>n die Schuld<br />

betrifft.<br />

In Bezug auf den ETB soll zum Ausdruck gebracht werden,<br />

dass dieser ke<strong>in</strong> Tatbestandsirrtum iSd § 16 StGB ist, son<strong>der</strong>n<br />

e<strong>in</strong>em Verbotsirrtum iSd § 17 StGB jedenfalls gleichzustellen ist.<br />

Dies bedeutet, dass ETB nicht den Vorsatz, son<strong>der</strong>n das Unrechtsbewusstse<strong>in</strong><br />

betrifft.<br />

Die Kennzeichnung dieser Ansicht als »rechtsfolgenverweisende<br />

Variante« hat mit <strong>der</strong> dogmatischen E<strong>in</strong>ordnung des ETB<br />

im engeren S<strong>in</strong>ne nichts mehr zu tun. Sie bezieht sich auf die<br />

F<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>er adäquaten Sanktion.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> dogmatischen E<strong>in</strong>ordnung des ETB gibt es<br />

nur wenige abweichende Stimmen: Dies beruht maßgeblich auf<br />

<strong>der</strong> Existenz des § 17 StGB. Mit dieser Norm wird <strong>der</strong> Verbotsirrtum<br />

alternativ neben den Irrtum über Merkmale des Tatbestands,<br />

den Irrtum also, dessen Bezugspunkt <strong>der</strong> Vorsatz ist, gestellt.<br />

Folglich geht <strong>der</strong> Gesetzgeber davon aus, Irrtümer über<br />

das Verbotense<strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat grds nicht den Vorsatz berühren, son<strong>der</strong>n<br />

die Schuld – genauer gesagt das Unrechtsbewusstse<strong>in</strong>.<br />

1 I. 1. c)<br />

2 So etwa bei Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allg Teil, 5. Aufl, S 464; Maurach/Gössel/<br />

Zipf, Strafrecht, Allg Teil 1, 8. Aufl, § 37 Rn 43; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allg Teil,<br />

31. Aufl, Rn 478 f.<br />

3 Vgl etwa Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht Allg Teil, 10. Aufl, S 66<br />

4 Zudem zeigt sie, worauf Herzberg JA 1989, 294, zutreffend h<strong>in</strong>weist, den Wunsch, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Namensgebung nicht nur die jeweilige Auffassung zum <strong>Erlaubnistatbestandsirrtum</strong><br />

son<strong>der</strong>n obendre<strong>in</strong> auch diejenige zum Verbotsirrtum zum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen.<br />

5 Diese Aussagen betreffen zunächst das Vorsatzdelikt, zum Fahrlässigkeitsdelikt<br />

siehe unten 3 b).<br />

JA 2006 · Heft 8/9 655

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!