Schwarzbuch Leiharbeit - Antileiharbeits-Initiative Düsseldorf
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SCHWARZBUCH<br />
LEIHARBEIT
VORWORT Detlef<br />
Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf<br />
gleichen Lohn für gleiche Arbeit". Dieses Zitat<br />
stammt aus der Allgemeinen Erklärung der<br />
Menschenrechte von 1948. Bei der <strong>Leiharbeit</strong><br />
wird dieses Menschenrecht in Deutschland<br />
tagtäglich verletzt. Hunderttausendfach.<br />
Deshalb klagen wir an: Wir nehmen es nicht<br />
hin, dass <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen bei gleicher Arbeit<br />
im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent weniger als<br />
Stammbelegschaften verdienen. Wir nehmen es<br />
nicht hin, dass es Menschen erster und zweiter<br />
Klasse geben soll. Und wir nehmen es nicht hin,<br />
dass Unternehmen <strong>Leiharbeit</strong> missbrauchen,<br />
um Stammbelegschaften zu ersetzen und unter<br />
Druck zu setzen. Das ist die schwarze Seite<br />
der <strong>Leiharbeit</strong>, die wir in diesem Schwarzweiß<br />
buch anprangern.<br />
Wetzel<br />
2. Vorsitzender<br />
der IG Metall<br />
Aber es gibt auch eine andere Seite: In vielen<br />
Fällen setzen sich Betriebsräte und Vertrauens<br />
leute für die <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
ein. Weil ihnen das Schicksal derjenigen nicht<br />
egal ist, die mit ihnen tagtäglich ihre Arbeit ver<br />
richten. In vielen Fällen konnten sie bereits Re<br />
gelungen durchsetzen, um die Situation der Leih<br />
arbeiterinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er zu verbessern.<br />
Die Bandbreite dieser Vereinbarungen ist groß:<br />
Sie reicht von deutlichen Einkommenserhö<br />
hungen bis zur vollständig gleichen Bezahlung<br />
(„Equal pay"). Aber es gibt auch kleine Erfolge:<br />
Etwa wenn die <strong>Leiharbeit</strong>skräfte nicht mehr<br />
den erhöhten Kantinenpreis bezahlen müssen,<br />
sondern ihr Essen genauso bezuschusst wird<br />
wie das der Stammbelegschaft.<br />
Die IG Metall hat auf dem Gewerkschaftstag<br />
im November vergangenen Jahres ihr „Leipziger<br />
Signal" beschlossen. Wir hatten uns vorge<br />
nommen, 200 „Besser"-Vereinbarungen in den<br />
Betrieben abzuschließen. Bis August 2008<br />
hatten wir 328 solcher Vereinbarungen geschlos<br />
sen. Das Ziel, das wir uns selbst gesetzt hatten,<br />
ist also mehr als erfüllt. Auch unser anderes Ziel<br />
werden wir erreichen: Wir hatten uns vorge<br />
nommen, im Jahr 2008 mindestens 10.000 neue<br />
Mitglieder unter den <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und<br />
<strong>Leiharbeit</strong>ern zu gewinnen. Mehrere Tausend<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er sind bereits der IG Metall bei<br />
getreten.
Auf diesem Weg werden wir weitermachen.<br />
Wir wollen konkrete Verbesserungen für die Leih-<br />
arbeitsbeschäftigten erreichen. Dabei ist aber<br />
auch der Einsatz der <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und Leih<br />
arbeiter gefragt: ihr Handeln, ihr Beitritt zur<br />
IG Metall. Denn eine Gewerkschaft ist nur stark<br />
im Handeln, wenn sie eine starke Mitglieder<br />
basis hat. Verbesserungen für die <strong>Leiharbeit</strong>neh-<br />
mer/-innen können wir nur mit ihnen zusammen<br />
erreichen, nie stellvertretend für sie.<br />
Bei der <strong>Leiharbeit</strong> ist obendrein die Politik ge<br />
fordert: Sie hat die Gesetze geschaffen, die<br />
seit 2004 zu einer dramatischen Ausweitung der<br />
<strong>Leiharbeit</strong> geführt haben. All denen, die sich<br />
dafür einsetzen, diese Regeln wieder im Sinne<br />
der Beschäftigten zu verbessern, wollen wir<br />
Fakten und Argumente an die Hand geben.<br />
Wir lassen nicht locker. „Gleiche Arbeit -<br />
Gleiches Geld" ist Menschenrecht. Wir wollen,<br />
dass es durchgesetzt wird. Dieses Schwarz<br />
weißbuch soll ein Beitrag dazu sein.<br />
Detlef Wetzel<br />
2. Vorsitzender<br />
der IG Metall<br />
Vorwort
INHALT<br />
t<br />
MÄRKTE, MACHER,<br />
MACHENSCHAFTEN<br />
<strong>Leiharbeit</strong> unter der Lupe 8<br />
Grenzenlos flexibel<br />
Zur Geschichte der <strong>Leiharbeit</strong> in Deutschland -<br />
Dumpinglöhne im Namen des Herrn<br />
Der Christliche Gewerkschaftsbund<br />
macht Tarifverträge, wie Arbeitgeber<br />
sie wünschen-14<br />
Stellst du noch ein oder leihst du schon?<br />
Strategien für Millionen-18<br />
Spiele ohne Grenzen<br />
Die Milliardenumsätze der <strong>Leiharbeit</strong>sriesen-<br />
Betriebsrat? Fehlanzeige.<br />
Keine betriebliche Mitbestimmung bei<br />
kleinen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen-27<br />
Tatort „Marienhof"<br />
Die Macht der Lobbyisten-30<br />
<strong>Leiharbeit</strong> im europäischen Vergleich<br />
Unterschiedliche Rechtssysteme<br />
erschweren europaweite Umsetzung<br />
von „Equal treatment-34
STATUSREPORT LEIHARBEIT -<br />
DIE SCHWARZE SEITE<br />
Der Skandal hat Methode-38<br />
„Nun stellen Sie sich mal nicht so an"<br />
Leidensweg eines <strong>Leiharbeit</strong>ers-39<br />
Der Fall Nokia<br />
Oder wie man mit <strong>Leiharbeit</strong> den<br />
Kündigungsschutz aushebelt-42<br />
„Hauptsache Arbeit"<br />
Einblicke in den Alltag eines <strong>Leiharbeit</strong>ers-45<br />
Im Namen des Wettbewerbs<br />
Rendite steigern, Lohnkosten senken<br />
- eine deutsche Erfolgsstory-48<br />
„Ich hab ja keine Alternative"<br />
Statt Lohnerhöhung weniger Urlaub -<br />
dank „christlichem" Tarifvertrag- 52<br />
Staatlich geförderte Sklavenmärkte<br />
Arbeitsagenturen machen mit<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sfirmen gemeinsame Sache-55<br />
„Ich sehe keinen Weg da raus"<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er in der beruflichen Sackgasse-58<br />
Abenteuer Betriebsratswahl<br />
Die Tricks der <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen<br />
gegen Betriebsräte 63<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er: Ein Beruf mit Zukunft?<br />
Deutsche Steinkohle AG verleiht<br />
Azubis als Fließbandarbeiter-67<br />
Zwei ungleiche Töchter<br />
Mit der Gründung von Tochterfirmen<br />
umgeht Manpower den Tarifvertrag-70<br />
Menschen zweiter Klasse?<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er: Gemobbt und ausgegrenzt-72<br />
Inhalt<br />
Rechentricks gegen Abfindung und Sozialpläne<br />
Ein Unternehmen rechnet sich arm-75<br />
„<strong>Leiharbeit</strong> erhöht den Blutdruck<br />
der gesamten Belegschaft"<br />
Der Soziologe Hajo Holst über die Auswirkungen<br />
von <strong>Leiharbeit</strong> auf das Arbeitsklima - 79<br />
Tod eines <strong>Leiharbeit</strong>ers<br />
Das Risiko, einen Arbeitsunfall zu haben,<br />
ist bei <strong>Leiharbeit</strong>ern dreimal so hoch-83<br />
Leben mit der Angst<br />
Ausnahme Übernahme-86<br />
„Ich hab die Hoffnung aufgegeben"<br />
<strong>Leiharbeit</strong> im Osten: Eine Reise durch<br />
Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen -91
i<br />
MÄRKTE, MACHER,<br />
MACHENSCHAFTEN<br />
<strong>Leiharbeit</strong> unter der Lupe<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist in Deutschland eine der am schnellsten wachsenden Branchen überhaupt.<br />
Seit das Monopol der Arbeitsvermittlung nicht mehr beim Staat liegt, machen einige wenige<br />
Branchenriesen und viele kleine <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen Millionengeschäfte mit dem Heer der<br />
Arbeitssuchenden. Wo es um viel Geld geht, wird häufig keine Rücksicht auf Menschenwürde<br />
und Gerechtigkeit genommen - die <strong>Leiharbeit</strong>sbranche bildet hierbei keine Ausnahme.<br />
Der Staat unterstützt diese Vorgehensweise, seine Gesetze haben die Ausbreitung der <strong>Leiharbeit</strong><br />
erst möglich gemacht. Dazu kommen mächtige Lobbyisten, die ein rosiges Bild<br />
vom glücklichen <strong>Leiharbeit</strong>er malen.
Grenzenlos flexibel<br />
Zur Geschichte der <strong>Leiharbeit</strong> in Deutschland<br />
Die Anfänge<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 9<br />
Im Jahr 1922 regelte das Arbeitsnachweisgesetz erstmals die Vorausset- MONOPOLISIERUNG<br />
zungen für <strong>Leiharbeit</strong> in Deutschland. Fünf Jahre später übernahm der Gesetz<br />
geber viele dieser Regelungen in das Gesetz über die Arbeitsvermittlung<br />
und Arbeitslosenversicherung. Unter den Nationalsozialisten wurde die Ar<br />
beitsvermittlung monopolisiert und bis in die 1960er Jahre gab es in der<br />
Bundesrepublik keine <strong>Leiharbeit</strong>svermittlung mehr. 1967 legte das Bundes<br />
verfassungsgericht fest, unter welchen Bedingungen Zeitarbeitsfirmen<br />
tätig werden dürfen. Die nachfolgenden Jahre waren von rechtlichen Ausei<br />
nandersetzungen darüber geprägt, welche Formen der Arbeitnehmer<br />
überlassung zulässig sind.<br />
Die Gewerkschaften schalten sich ein<br />
1970 unterzeichneten die Deutsche Angestelltengewerkschaft und der Unter<br />
nehmensverband für Zeitarbeit einen ersten Tarifvertrag. Die Bundesregie<br />
rung musste wegen der vorherrschenden Skepsis gegenüber der Zeitarbeit<br />
alle vier Jahre überprüfen, inwieweit sie sinnvoll genutzt wurde.<br />
Keine Zeitarbeit im Baugewerbe<br />
Für das Baugewerbe gilt seit 1982, dass keine Zeitarbeiter beschäftigt werden<br />
dürfen. Denn immer wieder hatten Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber<br />
<strong>Leiharbeit</strong>ern verletzt.<br />
Mittlerweile hatte der „Bundesverband Zeitarbeit" den „Unternehmens- MINDESTSTANDARDS<br />
verband für Zeitarbeit" abgelöst und setzte 1988 verbindliche Mindestarbeits<br />
bedingungen fest. Parallel dazu weitete der Gesetzgeber allerdings mehrere<br />
Male die Zeit aus, die ein <strong>Leiharbeit</strong>er im gleichen Betrieb beschäftigt<br />
werden darf.
Das Monopol fällt<br />
1994 fiel das Vermittlungsmonopol der Bundesagentur für Arbeit. Seitdem<br />
darf Arbeit privat und gewerbsmäßig vermittelt werden. Drei Jahre später trat<br />
die erste große Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Kraft.<br />
Nun durften <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen bis zu zwölf Monate im gleichen Betrieb<br />
arbeiten. Eine <strong>Leiharbeit</strong>sfirma musste jeden Mitarbeiter ab diesem Zeitpunkt<br />
einmalig auch nur so lange beschäftigen, wie sie auch einen Entleihbetrieb<br />
für ihn hatte. Sobald sie ihn also nicht mehr vermitteln konnte, durfte sie ihn<br />
entlassen.<br />
Nach einer Wiedereinstellung galt dann allerdings das so genannte Synchro<br />
nisationsverbot. Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma durfte die Beschäftigung dann nicht<br />
mehr davon abhängig machen, ob sie auch einen interessierten Entleihbe<br />
trieb hatte oder nicht.<br />
Die Veränderungen im Zuge der „Hartz-Reformen"<br />
Das „Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung"<br />
(AUG) gilt seit dem Jahr 1972. Allerdings änderte der Gesetzgeber es seither<br />
häufig - besonders weitreichend im Zuge der „Hartz-Reformen". Die Fas<br />
sung des AUG von 2004 bildet bis heute die Grundlage für jedes Beschäfti<br />
gungsverhältnis, das eine <strong>Leiharbeit</strong>skraft eingeht.<br />
Per „Merkblatt für <strong>Leiharbeit</strong>er" werden alle Beschäftigten der <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />
branche über ihre wichtigsten Rechte und Pflichten informiert. Allerdings geht<br />
das Schriftstück der Bundesagentur für Arbeit nicht auf einige grundlegende<br />
Änderungen der Reform aus dem Jahr 2004 ein.<br />
Die letzten Grenzen fallen<br />
So weitete der Gesetzgeber schon in den 1980er und 1990er Jahren die so<br />
genannte Höchstüberlassungsdauer immer wieder aus. 2004 schaffte er<br />
die Begrenzung der Überlassungsdauer komplett ab. Das bedeutet: Beschäf<br />
tigte können über eine <strong>Leiharbeit</strong>sfirma ohne Zeitbegrenzung im selben<br />
Entleihbetrieb eingesetzt werden. Außerdem gibt es kein Synchronisations<br />
verbot für <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen mehr. Sie müssen nun Mitarbeiter/-innen unter<br />
Einhaltung der Kündigungsfristen nur noch so lange beschäftigen, wie sie<br />
auch einen Entleihbetrieb haben, der an der Tätigkeit dieser <strong>Leiharbeit</strong>skräfte<br />
interessiert ist.<br />
Märkte, Macher, Machenschaften<br />
SYNCHRONISATIONS<br />
VERBOT
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 1972 bis heute<br />
Vorschrift Bis zum 31. Dezember 2003 Seit 1. Januar 2004<br />
Beschränkung der Überlassungs-<br />
höchstdauer<br />
Erhöhung von:<br />
3 auf 6 Monate (ab 1985)<br />
6 auf 9 Monate (ab 1994)<br />
9 auf 12 Monate (ab 1997)<br />
12 auf 24 Monate (ab 2002)<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
nach 12 Monaten (ab 2002)<br />
Synchronisationsverbot<br />
Einmalige Synchronisation erlaubt<br />
für schwervermittelbare Arbeitslose,<br />
wenn diese direkt in ein anderes<br />
Beschäftigungsverhältnis überwech<br />
seln (ab 1994).<br />
Einmalige Synchronisation möglich<br />
(ab 1997).<br />
Die Einsatzdauer einer Zeitarbeitskraft<br />
bei einem Entleihbetrieb darf<br />
24 Monate nicht überschreiten. Nach<br />
dem ersten Jahr gelten für Zeitarbeits<br />
kräfte die im Entleihbetrieb üblichen<br />
Arbeitsbedingungen einschließlich des<br />
Arbeitsentgeltes.<br />
Nur beim erstmaligen Einsatz ist<br />
eine Synchronisation der Dauer des<br />
Verleihs und des Arbeitsverhält<br />
nisses gestattet. Ansonsten muss<br />
letzteres die Einsatzdauer um<br />
mindestens 25 Prozent übersteigen.<br />
Ist entfallen. Der Einsatz<br />
ist unbeschränkt möglich.<br />
Ist entfallen. Die Beschäftigung beim<br />
Verleiher und der Einsatz im Entleihbe<br />
trieb dürfen jetzt zeitgleich sein. Der<br />
Beschäftigte in <strong>Leiharbeit</strong> kann - unter<br />
Berücksichtigung der Kündigungsfris<br />
ten - entlassen werden.<br />
Beschränkung des Verleihs Verbot der Arbeitnehmerüberlassung Besteht fort.<br />
im Bauhauptgewerbe im Bauhauptgewerbe, mit Ausnahme<br />
Verbot der Arbeitnehmerüberlassung<br />
im Bauhauptgewerbe (ab 1982).<br />
Zulassung der Arbeitnehmer<br />
überlassung zwischen Betrieben im<br />
Baugewerbe (ab 1994).<br />
Besonderes Befristungsverbot<br />
Einmalige Befristung<br />
ohne Angabe eines sachlichen<br />
Grundes möglich (ab 1997).<br />
der Arbeitnehmerüberlassung<br />
zwischen Betrieben des Baugewerbes<br />
(Kollegenhilfe), wenn diese Betriebe<br />
von denselben Rahmen- und Sozial-<br />
kassentarifverträgen oder von deren<br />
Allgemeingültigkeit erfasst werden.<br />
Mit Ausnahme einer einmaligen<br />
Befristungsmöglichkeit ohne sach<br />
lichen Grund ist das Beschäftigungs<br />
verhältnis zwischen der Zeitarbeits<br />
firma und dem Zeitarbeitsbeschäf-<br />
tigten generell unbefristeter Natur, es<br />
sei denn eine Befristung lässt sich aus<br />
der Person der/des Beschäftigten<br />
rechtfertigen.<br />
Ist entfallen. Befristungen ohne<br />
sachlichen Grund unbeschränkt<br />
möglich.<br />
Wiedereinstellungsverbot Entlässt eine Zeitarbeitsfirma einen Ist entfallen.<br />
Einmalige Wiedereinstellung möglich <strong>Leiharbeit</strong>er, so darf sie diesen<br />
(ab 1997). erst nach drei Monaten erneut ein<br />
stellen. Einmalig darf von dieser<br />
Regelung abgewichen werden.
Immer wieder Ausnahmen<br />
Das Merkblatt der Bundesagentur weist die Beschäftigten in <strong>Leiharbeit</strong> da<br />
rauf hin, dass sie für die Zeit der Überlassung an einen Entleihbetrieb so<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 13<br />
zu behandeln sind wie vergleichbare Festangestellte. Dies gilt sowohl für die GLEICHBEHANDLUNG<br />
gleiche Entlohnung („Equal pay") als auch für die sonstigen Arbeitsbedin<br />
gungen („Equal treatment"). Allerdings gibt es hierfür Ausnahmen: So kann<br />
die Anwendung eines gesonderten Tarifvertrags für <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
vereinbart werden, durch den von der Gleichbehandlung gegenüber Festan<br />
gestellten abgewichen werden kann.<br />
Waren <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte zuvor arbeitslos, muss ihnen die <strong>Leiharbeit</strong>s<br />
firma in den ersten sechs Wochen zudem nur so viel als Nettolohn zukom<br />
men lassen, wie sie zuvor als Arbeitslosengeld bekommen hätten. Jederzeit<br />
muss ein Entleihbetrieb einer <strong>Leiharbeit</strong>skraft allerdings offenlegen, wie<br />
viel ein fest angestellter Mitarbeiter in vergleichbarer Stellung verdient und<br />
wie dessen Arbeitsbedingungen aussehen. Ausdrücklich verpflichtet das<br />
AUG die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma, ihren Beschäftigten auch dann das Arbeitsentgelt<br />
zu zahlen, wenn sie für diese gerade keinen Entleihbetrieb hat. Natürlich<br />
gilt die Regelung aber ebenfalls nur, bis die gesetzliche Kündigungsfrist er<br />
reicht ist.<br />
Betriebliche Mitbestimmung<br />
Generell soll es auch in <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen Beteiligungsrechte für die Leih<br />
arbeitskräfte geben - so beispielsweise einen Betriebsrat. Im Einsatzbetrieb BETRIEBSRAT<br />
dürfen sich <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen zwar nicht zur Wahl für den Betriebs- oder<br />
Aufsichtsrat stellen, können aber dessen Sprechstunden aufsuchen und an<br />
Versammlungen teilnehmen. Außerdem können sie den Betriebsrat im Ein<br />
satzbetrieb mitwählen, wenn ihr Einsatz dort mindestens drei Monate dauert<br />
oder so lange beabsichtigt ist. Bei der Ermittlung der Schwellenwerte (Größe<br />
des Betriebsrats, Freistellungen) werden die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen<br />
allerdings nicht mitgezählt.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er dürfen außerdem nicht gezielt eingesetzt<br />
werden, um bei Streiks im Entleihbetrieb die Produktion am Laufen zu halten.<br />
Wenn der Einsatzbetrieb in einem Arbeitskampf steckt, haben <strong>Leiharbeit</strong>s<br />
beschäftigte ein Arbeitsverweigerungsrecht, auf das sie auch ihr Verleihunter<br />
nehmen aufmerksam machen muss. Die Verleihfirma darf ihnen allerdings<br />
einen anderen Einsatzort zuweisen.
Dumpinglöhne im Namen des Herrn<br />
Der Christliche Gewerkschaftsbund macht<br />
Tarifverträge, wie Arbeitgeber sie wünschen<br />
Die Unterbietungskonkurrenz durch die „christlichen Gewerkschaften"<br />
ist der IG Metall und den anderen DGB-Gewerkschaften schon lange ein<br />
Dorn im Auge. Auch bei der <strong>Leiharbeit</strong> machen die „Christlichen" Tarif<br />
verträge, die jeder Beschreibung spotten.<br />
Zum Thema Mindestlohn hat Matthäus Strebl eine gefestigte Meinung.<br />
„Es darf nicht sein, dass das Entsendegesetz missbraucht wird, um Wettbe<br />
werb zu verhindern und Arbeitsplätze in einem derzeit funktionierenden<br />
Gebiet zu gefährden", erklärt der Vorsitzende des Christlichen Gewerkschafts<br />
bundes (CGB). „Wettbewerb verhindern", „Arbeitsplätze gefährden"-<br />
diese Argumente kennt man hinreichend aus dem Arbeitgeberlager. Aber<br />
spricht so auch ein Gewerkschafter?<br />
Tariffähigkeit der „Christlichen" zweifelhaft<br />
Man könnte sogar fragen: Ist der CGB überhaupt eine Gewerkschaft?<br />
Die Arbeitsgerichte haben da so ihre Zweifel. Immer wieder müssen sie<br />
sich mit der Tariffähigkeit des CGB und seiner 16 Einzelorganisationen<br />
beschäftigten, zuletzt im Februar 2008 vor dem Arbeitsgericht Berlin. Das<br />
Verfahren musste aus formellen Gründen eingestellt werden. Doch die<br />
Berliner Richter/-innen ließen laut eigener Mitteilung „Zweifel daran durchbli<br />
cken, dass eine Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerk<br />
schaften für Zeitarbeit gegeben sei". Eine Umfrage der Universität Mainz bei<br />
allen deutschen Arbeitsgerichten zeigte im Jahr 2007, dass 84 Prozent der<br />
Klagen gegen christliche Tarifverträge mit einem Vergleich enden. Das Arbeits<br />
gericht Osnabrück argumentierte im Januar 2007, die Verträge der christ<br />
lichen Gewerkschaft hätten lediglich das Ziel, gesetzliche Mindeststandards<br />
zu unterlaufen (Aktenzeichen 3 Ca 535/06.). Konkrete Konsequenzen haben<br />
die Beschlüsse aber nicht. Mit Tricks und juristischen Winkelzügen können<br />
sich die „Christlichen" immer wieder aus der Affäre ziehen. Vor allem für die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sbranche hat das schlimme Konsequenzen.
Immer nur das Beste...<br />
Märkte, Macher, Machenschaften<br />
Generell gilt in der Bundesrepublik das so genannte Günstigkeitsprinzip. GÜNSTIGKEITSPRINZIP<br />
Tarifvertrag oder Gesetz - Arbeitnehmer können sich immer auf das berufen,<br />
wab für sie günstiger ist. Beispiele: Während gesetzlich vier Wochen Ur<br />
laub pro Jahr vorgeschrieben sind, haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeit<br />
nehmer in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie tarifvertraglich<br />
Anspruch auf sechs Wochen bezahlten Urlaub. Oder Arbeitszeit: Per Gesetz<br />
sind 48 Wochenstunden zulässig (bei entsprechendem Ausgleich sogar<br />
60 Stunden in der Woche), in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie<br />
sind es 35 Stunden. Bei Streit mit dem Arbeitgeber können sich Arbeitneh-<br />
mer/-innen immer auf die günstigere Regelung berufen. Tarifverträge unter<br />
dem gesetzlichen Standard abzuschließen, macht für Gewerkschaften<br />
keinen Sinn.<br />
Tarifliche Monatseinkommen<br />
Metall- und Elektroindustrie NRW und Sachsen (M+E)<br />
im Vergleich mit der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche (AMP, iGZ, BZA).<br />
Bezogen auf Lohngruppe 2 (in Euro)<br />
964,62<br />
1.146,63<br />
Quelle: IG Metall 2007<br />
1.656,00<br />
1.695,81
... außer für die <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
Nur eine einzige Branche macht da eine Ausnahme: die <strong>Leiharbeit</strong>. Mit den<br />
Gesetzen „für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", die 2003 in Kraft<br />
traten, sollte <strong>Leiharbeit</strong> unkomplizierter werden. Fast alle Schutzvorschriften<br />
für <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte - vom Synchronisationsverbot bis zur maximalen<br />
Verweildauer - wurden aufgehoben. Im Gegenzug sollten solche „Vereinba<br />
rungen, die für den <strong>Leiharbeit</strong>nehmer (...) schlechtere Arbeitsbedingungen als<br />
die im Betrieb des Entleihers (...) geltenden" vorsehen, nicht mehr zulässig<br />
sein. „Equal pay" (gleiche Bezahlung) und „Equal treatment" (gleiche Behand<br />
lung) sollten die Regel sein. Mit einer Ausnahme: „Ein Tarifvertrag kann ab<br />
weichende Regelungen zulassen" - so Paragraf 9, Ziffer 2 des Arbeitnehmer<br />
überlassungsgesetzes.<br />
Somit hat sich das Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Gesetz in der Leih<br />
arbeit umgedreht. In allen anderen Branchen heißt die Regel: Es gilt min<br />
destens das Gesetz - Tarifverträge können es verbessern. Die Regel bei der<br />
<strong>Leiharbeit</strong> lautet: Es gilt höchstens das Gesetz - Tarifverträge können es<br />
verschlechtern.<br />
Erbarmen, die „Christen" kommen<br />
Dass es so weit kommen konnte, liegt an den „christlichen Gewerkschaften".<br />
Im Sommer 2003 hatte sich der DGB gerade mit den beiden <strong>Leiharbeit</strong>sver-<br />
bänden iGZ und BZA weitestgehend über einen Stufenplan geeinigt, wie<br />
„Equal pay" in den Unternehmen erreicht werden könnte, da schaltete sich<br />
die „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Per<br />
sonal-Service" (CGZP) ein. Sie schloss mit dem Arbeitgeberverband Mittel<br />
ständischer Personaldienstleister (AMP) einen Vertrag, der das „Equal pay"-<br />
Prinzip nicht mal erwähnte. Kaum war der CGZP-Vertrag unterzeichnet,<br />
machten auch iGZ und BZA einen Rückzieher.<br />
Der DGB war machtlos. Er einigte sich mit den Arbeitgebern auf einen<br />
Abschluss, der zwar immer noch über dem CGZP-Tarif lag, aber dem Prinzip<br />
„gleiches Geld für gleiche Arbeit" nicht im Entferntesten entsprach. „Hätten<br />
wir das nicht gemacht, hätten auch BZA und iGZ mit den Christen verhandelt",<br />
sagt Juan-Carlos Rio Antas aus dem Funktionsbereich Tarifpolitik der<br />
IG Metall, der an den Tarifverhandlungen in der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche teilnimmt.<br />
„Wir sind in der absurden Situation, mit den Arbeitgebern miese Verträge<br />
abschließen zu müssen, damit diese mit den Christen nicht noch miesere<br />
Vereinbarungen treffen."
Für die <strong>Leiharbeit</strong>skräfte hat das schlimme Konsequenzen, denn die Ar<br />
beiterinnen verdienen hier deutlich weniger als ihre Kolleginnen und Kol<br />
legen. Die so genannten Christen sind sich noch nicht einmal zu schade,<br />
sich selbst zu unterbieten - mit Haustarifen unterhalb des Flächen-Tarifs. Die<br />
„christlichen" Flächentarifverträge sehen in der untersten Entgeltgruppe<br />
6,00 Euro vor. Doch die beiden <strong>Leiharbeit</strong>sverbände BZA und iGZ klagen über<br />
„Haustarifverträge der CGZP mit Vergütungen, die deutlich unter denen des<br />
eigenen Verbandstarifvertrags liegen." Es werde „von weniger als 5 Euro pro<br />
Stunde berichtet", so BZA und iGZ.<br />
Dauerthema Mindestlöhne<br />
Zumindest Teile der Politik haben mittlerweile erkannt, dass Arbeitgeber<br />
und christliche Gewerkschaften die Änderungen des Arbeitnehmerüberlas<br />
sungsgesetzes für ihre Zwecke ausnutzen. Sie wollen jetzt branchenweite<br />
Mindestlöhne einführen. 7,51 Euro sollen es sein, haben BZA, iGZ und<br />
DGB-Tarifgemeinschaft gemeinsam beantragt.<br />
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) macht aus seinem Ärger über<br />
die „christliche Unterbietungskonkurrenz" kein Hehl. „Tarifverträge, die ein<br />
zig und allein dem Ziel dienen, Lohndrückerei zu Lasten der <strong>Leiharbeit</strong>neh<br />
mer und Stammbelegschaften zu betreiben, entsprechen nicht den Vorstel<br />
lungen des Reformgesetzgebers", sagte er im Juni 2008 vor den Vertretern<br />
der iGZ. Scholz: „Solche Tarifverträge werden nicht im Interesse der vertre<br />
tenen Arbeitnehmer ausgehandelt, sondern den Arbeitgebern von sozialpoli<br />
tisch verantwortungslosen Organisationen angedient, die damit ihr eigenes<br />
Dasein rechtfertigen - und finanzieren."<br />
Zu unmoralisch für die Katholiken<br />
Unterdessen behauptet CGB-Vorsitzender Strebl munter weiter, er wolle<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 17<br />
„christliche Werte" in die Arbeitswelt bringen. Das nehmen ihm nicht einmal UNMORALISCH<br />
mehr seine Glaubensbrüder ab. Die Katholische Betriebsseelsorge der<br />
Diozöse Augsburg erklärte, sie halte „die untertariflichen Lohn- und Mantel<br />
tarifverträge für sehr schädlich, wie sie die CGZP abgeschlossen hat".<br />
Diakon Erwin Helmer: Ohnehin „schlecht verdienende Zeitarbeitnehmer<br />
noch schlechter zu bezahlen, ist unmoralisch."
Stellst du noch ein oder leihst du schon?<br />
Strategien für Millionen<br />
Die Zahl der <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten hat sich seit 2004 mehr als ver<br />
doppelt. <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er ersetzen immer öfter das<br />
Stammpersonal und müssen für deutlich weniger Geld arbeiten als ihre<br />
Kollegen/-innen.<br />
900.000 Kein anderer Wirtschaftszweig ist in den vergangenen Jahren so sehr ge-<br />
LEIHARBEITSKRÄFTE wachsen wie der für <strong>Leiharbeit</strong>. Der bisher ungebremste Boom der Branche<br />
begann 2004, nachdem fast alle bis dahin geltenden gesetzlichen Beschrän<br />
kungen weggefallen sind. Seither verzeichnet die Branche Jahr für Jahr zwei<br />
stellige Wachstumsraten. Mitte 2007 arbeiteten 731.000 Menschen als<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er/-innen - das sind rund 2,4 Prozent aller Beschäftigten und mehr<br />
als doppelt so viele wie noch vor Inkrafttreten der Reform.<br />
In der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche arbeiten damit so viele Menschen wie in der<br />
gesamten deutschen Automobilindustrie. Rechnet man die hohe Fluktuation<br />
hinzu, sind es sogar noch mehr Betroffene. Rund 900.000 Beschäftigte dürf<br />
ten im vergangenen Jahr als <strong>Leiharbeit</strong>skräfte beschäftigt gewesen sein. In<br />
der Metall- und Elektroindustrie waren es Mitte 2007 rund 220.000 Beschäf<br />
tigte. Wenn man die in der <strong>Leiharbeit</strong> häufigen Jobwechsel berücksichtigt,<br />
dürften es im Verlauf des Jahres rund 260.000 Beschäftigte gewesen sein.<br />
Boombranche <strong>Leiharbeit</strong><br />
Ein Ende des Booms ist noch lange nicht in Sicht: „Derzeit gibt es keinen<br />
Hinweis darauf, dass sich dieses Wachstum abschwächt", heißt es in einer<br />
Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Institut<br />
für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) prognostiziert einen Anstieg auf<br />
fünf Millionen <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Weniger Rechte, weniger Geld<br />
Kein anderes Unternehmen stellte im Jahr 2007 mehr neue Mitarbeiterinnen<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 19<br />
ein als die Branchenriesen Randstad und Adecco. Doch diese auf den er- BRANCHENRIESEN<br />
sten Blick guten Nachrichten zeigen nur die halbe Wahrheit. Wahr ist auch,<br />
dass viele Firmen <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er einsetzen, um ihre<br />
reguläre Stammbelegschaft damit zumindest zum Teil zu ersetzen. Die Unter<br />
nehmer erhoffen sich dadurch mehr Flexibilität und geringere Kosten. Für<br />
die <strong>Leiharbeit</strong>skräfte bedeutet das jedoch: Weniger Rechte und weniger Geld.<br />
Beschäftigte zweiter Klasse<br />
Beispiel BMW: Im Leipziger Werk des Autohersteliers bauen rund 3.700 Mit- BMW<br />
arbeiter/-innen die Karosserien von Limousinen, Coupes und Cabrios. Äußer<br />
lich unterscheiden sich die Arbeiterinnen und Arbeiter kaum voneinander:<br />
Sie alle tragen blaue T-Shirts und graue Latzhosen, sie benutzen die gleichen<br />
Werkzeuge und erledigen auch dieselbe Arbeit. Doch fast jeder dritte von<br />
ihnen ist anders als der Rest: Sie sind <strong>Leiharbeit</strong>skräfte, Autobauer/-innen<br />
zweiter Klasse - zumindest bis vor kurzem. Denn gleiches Geld für gleiche<br />
Arbeit gab es bei BMW lange Zeit nicht. Bis April verdienten die <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
von BMW in Leipzig bis zu 50 Prozent weniger als ihre festangestellten Kol<br />
leginnen und Kollegen. Im April 2008 erzielte die IG Metall mit den für BMW<br />
tätigen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen eine Einigung, dass die dort tätigen <strong>Leiharbeit</strong>neh-<br />
mer/-innen so bezahlt werden wie die Stammbeschäftigten des Werkes.<br />
Drastischer Anstieg der <strong>Leiharbeit</strong><br />
Zahl der <strong>Leiharbeit</strong>skräfte<br />
im Jahresdurchschnitt<br />
*Wert 2007 bis 30. Juni<br />
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, IW Zeitarbeitindex<br />
© Hans-Böckler-Stiftung 2007
20<br />
<strong>Leiharbeit</strong>erV-innen ersetzen das Stammpersonal<br />
Insgesamt wurden in jedem vierten Unternehmen, das <strong>Leiharbeit</strong> nutzt,<br />
Teile des festangestellten Stammpersonals durch zusätzliche <strong>Leiharbeit</strong>skräfte<br />
ersetzt. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Hans-Böckler-Stif<br />
tung unter 2.000 Betriebsräten. Auch die Zahl der so genannten Intensivnutzer<br />
von <strong>Leiharbeit</strong> steigt stetig an: Im Jahr 2002 hatte nur jedes fünfzigste Un<br />
ternehmen mit über 150 Beschäftigten mehr als 20 Prozent <strong>Leiharbeit</strong>nehmer-<br />
innen und <strong>Leiharbeit</strong>nehmer in seiner Belegschaft. 2007 war der Anteil der<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten bereits in jedem zehnten Unternehmen so hoch. Vor<br />
allem die Metall- und Elektroindustrie und Dienstleistungsunternehmen wie<br />
zum Beispiel Call-Center greifen auf <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen zurück.<br />
Dumping-Löhne statt „Equal pay"<br />
LOHNDUMPING So gut wie überall gilt: Die Bezahlung ist für <strong>Leiharbeit</strong>skräfte meist deut<br />
FLUKTUATION<br />
i<br />
lich schlechter als für die Stammbelegschaft. Im Schnitt bekommen Leihar-<br />
beiter/-innen für die gleiche Arbeit rund 30 Prozent weniger als ihre Kol<br />
leginnen und Kollegen. „Neben der Überbrückung von personellen Engpässen<br />
wird <strong>Leiharbeit</strong> zunehmend zur Senkung der Arbeitskosten eingesetzt",<br />
diagnostiziert das arbeitgebernahe Institut für Wirtschaft und Gesellschaft.<br />
Zwar hat der Gesetzgeber festgeschrieben, dass <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte<br />
grundsätzlich nicht weniger Lohn bekommen dürfen als vergleichbare Arbeit-<br />
nehmer/-innen in dem Einsatzbetrieb, per Tarifvertrag können Unterneh<br />
men die gleiche Bezahlung („Equal pay") jedoch unterschreiten. Der Arbeit<br />
geberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) schloss des<br />
halb Dumping-Tarifverträge mit den so genannten „christlichen Gewerkschaf<br />
ten" ab. In diesen Tarifverträgen wurden Löhne von unter sechs Euro pro<br />
Stunde vereinbart. Da man davon nicht leben kann, ist es nicht verwunderlich,<br />
dass jeder achte Vollzeit-<strong>Leiharbeit</strong>er neben seinem Lohn auch noch Hartz IV<br />
beziehen muss. In keiner anderen Branche muss der Staat so vielen Beschäf<br />
tigten mit aufstockenden Sozialleistungen unter die Arme greifen.<br />
Viele <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen versuchen, ihr wirtschaftliches Risiko zu<br />
dem vollständig auf die <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen abzuwälzen: Erst wenn ein Auf<br />
tragvorliegt, stellen sie <strong>Leiharbeit</strong>skräfte ein. Sobald der Auftrag wieder<br />
wegfällt, bekommen die Beschäftigten in <strong>Leiharbeit</strong> schon am nächsten Tag<br />
die Kündigung. Die Fluktuation in der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche ist daher enorm:<br />
Im ersten Halbjahr 2007 wurden 520.000 <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen eingestellt und<br />
zugleich 470.000 wieder entlassen. 55 Prozent der <strong>Leiharbeit</strong>sverträge<br />
endeten bereits nach weniger als drei Monaten.
Die Mär, dass <strong>Leiharbeit</strong> für viele Arbeitslose den ersten Schritt zur Festan<br />
stellung darstellt, stimmt nur in den allerwenigsten Fällen. Den Sprung in ein<br />
reguläres Beschäftigungsverhältnis schafft nur jede siebte <strong>Leiharbeit</strong>skraft.<br />
Quelle: Marktforschung Lünendonk<br />
Märkte, Macher, Machenschaften
22<br />
Spiele ohne Grenzen<br />
Die Milliardenumsätze der <strong>Leiharbeit</strong>sriesen<br />
Die internationalen Konzerne, die in Deutschland den <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />
markt dominieren, haben ihre Gewinne deutlich steigern können.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> lohnt sich - zumindest für diejenigen, die damit richtig Geld<br />
verdienen. Die Großen der Branche heißen Adecco, Randstad und Manpower -<br />
internationale Konzerne, die sich in den vergangenen Jahren über prächtige<br />
Gewinne freuen durften. 735 Millionen Euro verdiente Adecco, das weltgrößte<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen, im Jahr 2007 (Steigerung um 20 Prozent). Randstad<br />
machte Gewinne von 385 Millionen Euro (plus sieben Prozent) und Manpower<br />
steigerte seinen Jahresüberschuss um 22 Prozent auf umgerechnet rund<br />
310 Millionen Euro. Das heißt: Allein die drei großen Firmen verdienten am Ge<br />
schäft mit der <strong>Leiharbeit</strong> 1,43 Milliarden Euro. Der deutsche Markt hat daran<br />
einen erheblichen Anteil: Bis zu 18 Prozent ihrer Umsätze erwirtschaften die<br />
großen <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen hierzulande.<br />
Billig einkaufen, teuer verkaufen<br />
GEWINNMARGEN Ihre Gewinne machen die <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen nach dem Prinzip: Billig ein<br />
kaufen, teuer verkaufen. Von den Unternehmen, an die sie Mitarbeiter/-innen<br />
verleihen, verlangen sie in der Regel das Zwei- bis Zweieinhalbfache dessen,<br />
was sie dem <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten an Lohn bezahlen. Nach Abzug von<br />
Sozialabgaben und Verwaltungskosten bleiben den Verleihfirmen pro Leihar-<br />
beiter/-in und Arbeitsstunde rund 50 Cent Gewinn. Beim Verleih von Fach-<br />
arbeitern/-innen beträgt die Gewinnspanne sogar mehrere Euro pro Stunde.
Die fünfzehn größten<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sfirmen in Deutschland (2007)<br />
Name<br />
1 Randstad Deutschland GmbH & Co. KG<br />
2 Manpower GmbH & Co. KG<br />
3 Adecco Personaldienstleistungen GmbH<br />
4 Persona Service Verwaltungs AG & Co. KG<br />
5 Tuja Zeitarbeit Holding GmbH, Ingolstadt<br />
6 DIS Deutscher Industrie Service AG<br />
7 Hays AG<br />
8 Orizon GmbH<br />
9 TimePartner Holding GmbH<br />
10 ZAG Zeitarbeits-Gesellschaft GmbH<br />
11 I.K. Hofmann GmbH<br />
12 AutoVision GmbH<br />
13 Trenkwalder Holding AG<br />
H Allgeier Dienstleistungs GmbH<br />
15 Tempton GmbH<br />
Quelle: Marktforschung Lünendonk<br />
Wachstum dank Deregulierung<br />
•1 Umsatz (in Mio. Euro)<br />
•1 Beschäftigte<br />
• • • • • • • 580,0<br />
• • • • • • • 579,6<br />
• • • • • • • 5 7 3 . 0<br />
«MMt> 17.500<br />
• • • • • 4 6 2 . 0<br />
• • • • • • • 17.700<br />
• • • • • 446,2<br />
••••8.995<br />
H B 335,0<br />
• • • 7.000<br />
• • • • 307,1<br />
••••9.053<br />
• • • 265,0<br />
••16.400<br />
•••261,0<br />
• • • • 1 1 . 0 0 0<br />
•••259,0<br />
««MM 10.770<br />
• • • 239,00<br />
••5.730<br />
••1202,5<br />
•••7.335<br />
••1 200,0<br />
•••8.000<br />
• • J 187,0<br />
••5.500<br />
Die internationalen <strong>Leiharbeit</strong>sriesen beherrschen auch in Deutschland<br />
den Markt. Im vergangenen Jahr nahmen die drei Unternehmen zusammen<br />
mehr als zweieinhalb Milliarden Euro ein - mehr als doppelt so viel wie<br />
noch im Jahr 2004. Die Liberalisierung des Marktes in Deutschland war für<br />
die großen Konzerne der Startschuss für ihr enormes Wachstum: Mit fast<br />
60.000 Mitarbeitern/-innen beschäftigt Randstad dreimal so viele Leiharbei<br />
terinnen und <strong>Leiharbeit</strong>ern wie noch 2003. Adecco und Manpower haben<br />
ihre Beschäftigtenzahl in dieser Zeit mehr als verdoppelt und liegen mittler<br />
weile bei jeweils rund 25.000 <strong>Leiharbeit</strong>skräften.<br />
Märkte, Macher, Machenschaften
24<br />
KONZENTRATION Das enorme Wachstum der Branchenriesen ist zu einem großen Teil auf<br />
Übernahmen zurückzuführen: Die internationalen Konzerne kauften in den<br />
vergangenen Jahren alles, was ihnen unter die Finger kam. Für 800 Millio<br />
nen Dollar übernahm Adecco das Ingolstädter Unternehmen Tuja, das sich vor<br />
allem auf den Verleih von Facharbeitern/-innen an die Automobilbranche<br />
spezialisiert hat. Das brachte dem Schweizer Weltmarktführer in Deutschland<br />
einen kräftigen Sprung von neun auf dreizehn Prozent Marktanteil. Bereits<br />
ein Jahr zuvor kaufte Adecco für 550 Millionen Euro den Ingenieurdienstleis<br />
ter DIS AG. Die Konkurrenz steht dem in Nichts nach: Randstad kaufte 2006<br />
die Bindan-Gruppe, das älteste <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen Deutschlands.<br />
Im Mai 2008 wurde Randstad für einen Kaufpreis von 3,3 Milliarden Euro auch<br />
Mehrheitsaktionär der niederländischen <strong>Leiharbeit</strong>sfirma Vedior, die auch in<br />
Deutschland aktiv ist und hier zuletzt über 130 Millionen Euro Umsatz machte.<br />
Der deutsche Verleiher-Markt ist mit insgesamt 14.400 Unternehmen im<br />
internationalen Vergleich allerdings nach wie vor stark zersplittert. Marktfor<br />
scher erwarten daher eine weitere Konzentration an der Spitze: „Derzeit<br />
spricht vieles für verstärkte strategische Übernahmen der führenden euro<br />
päischen und internationalen Zeitarbeitsunternehmen", heißt es in einer<br />
Studie des Marktforschungsinstituts Lünendonk.<br />
Töchter im Verleihgeschäft<br />
Zu den Marktführern der Branche gehören neben Adecco und Co. mittler<br />
weile auch die Tochter-Gesellschaften großer deutscher Unternehmen,<br />
die ihre Beschäftigten innerhalb und außerhalb des Konzerns verleihen.<br />
Große deutsche Unternehmen gliederten in den vergangenen Jahren Tau<br />
sende von Mitarbeitern/-innen in solche Tochterunternehmen aus. Die<br />
Betroffenen arbeiten in vielen Fällen an gleicher Stelle als <strong>Leiharbeit</strong>skräfte<br />
VIVENTO weiter - oft zu deutlich schlechteren Konditionen. Bei „Vivento", dem<br />
Mitarbeiterverleih der Deutschen Telekom, arbeiten zurzeit rund 8.000 Be<br />
schäftigte, die nach den Worten von Konzernchef Obermann im Unter<br />
nehmen „auf Dauer keine Beschäftigungsperspektive hatten". Über „DB<br />
Zeitarbeit" sind rund 3.000 <strong>Leiharbeit</strong>skräfte großteils im Deutsche<br />
Bahn-Konzern beschäftigt.
Märkte, Macher, Machenschaften 25<br />
Ein anderes Modell verfolgt der Volkswagen-Konzern: Seine <strong>Leiharbeit</strong>s- AUTOVISION<br />
tochter AutoVision erzielt mit 7.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von<br />
280 Millionen Euro und ist damit der zwölftgrößte Anbieter der Personal<br />
dienstleistungsbranche. Autovision ist neben der WOB AG (die je zur Hälfte<br />
VW und der Stadt Wolfsburg gehört) eine Art Personaldrehscheibe. Sie sorgt<br />
dafür, dass in den ostdeutschen VW-Werken so viel Personal eingesetzt<br />
werden kann wie dort jeweils benötigt wird, und verleiht auch an Betriebe<br />
außerhalb des VW-Konzerns. Die Mitbestimmung zu umgehen war - im<br />
Gegensatz zu vielen anderen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen - keine Motivation, Autovision<br />
zu gründen: Der VW-Verleiher ist voll in die Betriebsrats-Strukturen des<br />
Autobauers einbezogen.
Betriebsrat? Fehlanzeige.<br />
Keine betriebliche Mitbestimmung<br />
bei kleinen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen<br />
Mehr als die Hälfte der <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen hat weniger als<br />
40 Mitarbeiterinnen. Arbeitnehmerrechte durchzusetzen fällt in diesen<br />
Betrieben oft besonders schwer.<br />
Wie sie Harald Elter loswerden wollten, war fast schon kriminell. Der 52-jäh<br />
rige hatte sich auf dem Weg zu einem Einsatz für seine <strong>Leiharbeit</strong>sfirma<br />
verletzt. Während er im Krankenhaus lag, schickte ihm sein Arbeitgeber einen<br />
Aufhebungsvertrag für seine Stelle als <strong>Leiharbeit</strong>er. Unterzeichnet war das<br />
Dokument nicht nur von seinem Chef, es trug auch die vermeintliche Unter<br />
schrift von Harald Elter. „Ich wusste aber genau, dass ich das niemals unter<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 27<br />
schrieben hatte", sagt Elter. „Außerdem war der Vertrag auf einen Tag datiert, FÄLSCHUNG<br />
an dem ich bereits im Krankenhaus lag." Weil Harald Elter wegen seiner<br />
Verletzung für längere Zeit ausfiel, wollte ihn die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma möglichst<br />
schnell loswerden. Die Unterschrift unter seiner Kündigung war eine Fäl<br />
schung. Erst Monate nach seiner Kündigung wurde das auch vor Gericht<br />
festgestellt. „In der Zwischenzeit gab es niemanden, der mir helfen konnte",<br />
sagt Harald Elter. „Einen Betriebsrat gab es bei uns schließlich nicht."<br />
Kein Betriebsrat weit und breit<br />
Mehr als 14.000 Unternehmen verdienen in Deutschland ihr Geld mit Leih<br />
arbeit. Der Großteil davon sind kleine und mittelständische Unternehmen.<br />
Hier ist es für <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er oft besonders schwer,<br />
ihre Rechte durchzusetzen. Denn Betriebsräte, die helfen können, gibt es in<br />
vielen Fällen nicht. Abgesehen von den wenigen großen Unternehmen ist<br />
betriebliche Mitbestimmung in der Branche nach wie vor eine Seltenheit. Das<br />
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) versuchte im Jahr 2006<br />
Betriebsräte in kleinen und mittleren <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen ausfindig<br />
zu machen. Trotz intensiver Suche konnte das IAB keinen einzigen finden.
Wachsam, wenn es darum geht, Betriebsratswahlen zu unterdrücken<br />
Der Anteil der kleinen und mittleren Verleihbetriebe am <strong>Leiharbeit</strong>smarkt ist<br />
groß: Über 80 Prozent der <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen beschäftigen weniger<br />
als 100 Mitarbeiterinnen. Mehr als die Hälfte aller Verleihbetriebe hat sogar<br />
weniger als 40 Beschäftigte. Sich zu organisieren fällt unter solchen Umstän<br />
den besonders schwer: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden meist<br />
in unterschiedlichen Betrieben eingesetzt, was dazu führt, dass viele Leihar-<br />
beitsbeschäftigte ihre Kollegen gar nicht kennen. Außerdem gilt: Je kleiner<br />
der Verleihbetrieb ist, umso wachsamer sind die Augen des Chefs, wenn es<br />
darum geht, Betriebsratswahlen zu unterdrücken.<br />
So war es auch bei Timo W.* Er arbeitete für ein mittelständisches Leihar<br />
beitsunternehmen in Nordrhein-Westfalen und war als Staplerfahrer bei<br />
einem Automobilzulieferer eingesetzt. Mit seinem Arbeitgeber wäre er ganz<br />
zufrieden gewesen, hätte es da nicht die vielen Unregelmäßigkeiten bei den<br />
Abrechnungen gegeben. Mal wurde vergessen die Überstunden zu bezahlen,<br />
mal fehlten die Zuschläge für Einsätze am Wochenende. Die Fehler auf dem<br />
Gehaltszettel kamen so häufig vor, dass es fast schon nach Absicht aussah.<br />
Dagegen wollte Timo W. etwas tun. „Auch wenn es nur um einen Euro geht:<br />
Das ist mein Euro, den habe ich verdient."<br />
Kündigung statt Betriebsrat<br />
Zusammen mit mehreren Kollegen wollte W. den ersten Betriebsrat<br />
in der Geschichte seiner Verleihfirma gründen, um das Problem mit den<br />
falschen Abrechnungen zu beseitigen. Die Vorbereitungen zur Betriebsrats<br />
wahl waren bereits weit fortgeschritten, doch mit einem Schlag wurde der<br />
Plan vernichtet: Mitte April wurde W. gekündigt. Und nicht nur ihm. Alle<br />
Beteiligten an der Betriebsratswahl mussten gehen. Offiziell hieß es, es gäbe<br />
zu wenige Aufträge. W. ist sich aber sicher: Die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma wollte so<br />
lediglich verhindern, dass ein unbequemer Betriebsrat zustande kommt. Ob<br />
die Kündigung rechtmäßig war, werden nun die Gerichte entscheiden.<br />
Löhne von unter sechs Euro die Stunde keine Seltenheit<br />
Ein Problem ist für viele Beschäftigte kleiner <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen nicht nur<br />
der fehlende Betriebsrat, sondern auch die schlechte Bezahlung: Der Arbeit<br />
geberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) vertritt nach<br />
eigenen Angaben rund 1.100 kleine und mittelständische <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen.<br />
Der Verband vereinbarte die niedrigsten Tarifverträge der Branche mit<br />
den so genannten „christlichen Gewerkschaften". So kamen Löhne von unter<br />
sechs Euro pro Stunde zustande.
Es geht auch anders<br />
Doch unter den kleinen <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen finden sich nicht nur<br />
Ausbeuter, die Dumping-Löhne bezahlen. <strong>Leiharbeit</strong> kann auch im Sinne der<br />
Unternehmen eingesetzt werden und trotzdem die Rechte der Arbeitneh-<br />
Märkte, Macher, Machenschaften<br />
mer/-innen wahren. Die Kooperationsinitiative Maschinenbau in Braunschweig KOOPERATIONS-<br />
ist so ein Beispiel. Hier haben sich 22 mittelständische Unternehmen zusam- INITIATIVE<br />
R<br />
mengeschlossen und verleihen sich gegenseitig ihre Mitarbeiterinnen und Mit<br />
arbeiter. Wenn in einer der Mitgliedsfirmen Not am Mann ist, helfen die an<br />
deren mit ihrem Personal aus. Bei der schlechten Auftragslage vor einigen Jah<br />
ren gelang es so, Arbeitsplätze zu erhalten. Heute gibt es wieder viel zu tun<br />
und die Gemeinschaft hilft, wenn Fachkräfte fehlen. Selbstverständlich dürfen<br />
die Beschäftigten bei jedem Einsatz selbst entscheiden, ob sie wirklich ver<br />
liehen werden möchten. Und bezahlt werden die Ausgeliehenen der Braun<br />
schweiger <strong>Initiative</strong> nicht wie Beschäftigte zweiter Klasse, sondern so wie alle<br />
anderen auch.<br />
*Name geändert<br />
MASCHINENBAU
Tatort „Marienhof"<br />
Die Macht der Lobbyisten<br />
Jenny freut sich: „Ich habe einen Job!", ruft sie. „Bei dieser <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />
firma?", fragt ihr Freund Matthias. „Nicht nur einen Job!", strahlt Jenny,<br />
„eine richtig feste Anstellung!" Was dann folgt, ist ein Jubelgesang über<br />
flexible Arbeitszeiten, Sozialversicherung, Urlaubsgeld und 13. Monatsge- Als I<br />
halt, und überhaupt, über die Abwechslung in einer solchen Anstellung. Da i;<br />
<strong>Leiharbeit</strong>, da ist sich Jenny sicher, ist eine tolle Sache: „Durch die unter- ihn r<br />
schiedlichen Einsätze ist Abwechslung garantiert." Radi<br />
Sein<br />
58.670 Euro für acht Folgen Jubel über <strong>Leiharbeit</strong> men<br />
Jenny und Matthias sind Figuren in der ARD-Vorabendserie Marienhof. Doch dam<br />
mit unverfänglichem Soap-Geplapper hatte deren Folge 1938 nichts zu tun. kabi<br />
Denn die Dialoge sind im Auftrag der „<strong>Initiative</strong> Neue Soziale Marktwirtschaft' unte<br />
(INSM) entstanden. Nur durch ihr Geld haben sie den Weg ins Drehbuch und tiker<br />
auf die Bildschirme geschafft. Die INSM ist eine Lobbyorganisation des Arbeit mit 5<br />
geberverbandes Gesamtmetall. Seit Jahren kämpft sie gegen Kündigungs- Euro<br />
schütz und soziale Sicherung, und versucht dabei gezielt, die Grenzen zwi<br />
schen Journalismus und PR zu verwischen. Die INSM hat der Produktionsfirma Wie <<br />
von „Marienhof" 58.670 Euro gezahlt, damit Jenny und die anderen acht sein«<br />
Folgen lang über <strong>Leiharbeit</strong> und andere angebliche Segnungen eines „flexib- über<br />
leren" Arbeitsmarktes jubeln. Prob<br />
Arbe<br />
Die Schleichwerbung im Marienhof ist nur ein besonders Aufsehen erregen- uns i<br />
des Beispiel für die Lobbyarbeit der <strong>Leiharbeit</strong>s-Verfechter. Ob Politiker<br />
in Aufsichtsräten oder große Aktionen in den Medien: Immer wieder gelingt Polit<br />
es den <strong>Leiharbeit</strong>s-Lobbyisten, Politiker und Medien für ihre Zwecke ein- Ein a<br />
zuspannen. hafte<br />
sider<br />
Gere<br />
Gast<br />
scha
Als Dankeschön ein Aufsichtsratsposten<br />
„Marienhof":<br />
Geld für's Drehbuch<br />
Da ist zum Beispiel „Mr. <strong>Leiharbeit</strong>" Wolfgang Clement, wie der „Stern"<br />
ihn nannte. Der ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsminister war es, der die<br />
Radikalreform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes durchdrückte.<br />
Sein Gesetz entsprach fast eins zu eins den Forderungen der <strong>Leiharbeit</strong>sfir-<br />
men. Adecco, die größte dieser Firmen, hat nicht vergessen, was Clement<br />
damals für sie getan hat. Nach dem Ausscheiden Clements aus dem Bundes<br />
kabinett gab es für ihn erst einen Aufsichtsratsposten in einem Tochter<br />
unternehmen, dann ein ganzes Institut: Seit Oktober 2006 ist der SPD-Poli<br />
tiker Vorsitzender des „Adecco Institute zur Erforschung der Arbeit", das<br />
mit Studien „einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung<br />
Europas leisten möchte", wie Clement großspurig verkündete.<br />
Wie diese gesellschaftliche Entwicklung nach Meinung von Clement und<br />
seinem Geldgeber auszusehen hat, zeigte sich dann schnell: Das Institut klagt<br />
über zu wenig gut ausgebildeten Nachwuchs, weshalb die Unternehmen vor<br />
Problemen stünden. Für Clement ist außerdem klar, „dass der Faktor private<br />
Arbeitsvermittlung in fast allen europäischen Ländern, aber nicht zuletzt bei<br />
uns in Deutschland, erheblich an Bedeutung gewinnen muss".<br />
Politiker gegen Mindestlohn<br />
Ein anderer Politiker, der zwar noch im Amt ist, aber trotzdem ein zweifel<br />
haftes Verhältnis zur <strong>Leiharbeit</strong>sbranche pflegt, ist der hessische Ministerprä<br />
sident Roland Koch. Der CÜU-Spitzenpolitiker ist nicht nur bekannt für sein<br />
Gerede vom „Lebensstil Sozialhilfe", sondern öfters auch mal bei der INSM zu<br />
Gast. Koch pflegt obendrein ein gutes Verhältnis zu der Dumpinglohn-Gewerk<br />
schaft CGM. Auf deren Bundeskongress in Frankfurt hat er im Oktober 2007<br />
ein Grußwort gesprochen.<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 31<br />
NACHWUCHS<br />
MINDESTLÖHNE
Die CGM habe sich „in der Politik durch ihr konstruktives Verhalten als<br />
verlässlicher Sozialpartner einen Namen gemacht", lobte Koch und wurde<br />
dafür von den versammelten CGMIern mit Applaus bedacht. Koch lehnt -<br />
ebenso heftig wie die „christlichen Gewerkschaften" - einen gesetzlichen<br />
Mindestlohn für die <strong>Leiharbeit</strong>sbranche ab.<br />
Koch ist nicht der einzige CDU-Ministerpräsident, der auf einem CGM-Bundes-<br />
kongress sprach. Auch der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus trat<br />
dort auf. Und ein dritter CDU-Landesvater wurde aktiv, als im April 2008 der<br />
CGM-Vorsitzende Reinhardt Schiller als „herausragender baden-württember<br />
gischer Gewerkschafter" mit der Landesmedaille von Baden-Württemberg<br />
ausgezeichnet wurde: Er erhielt sie von Ministerpräsident Günther Oettinger.<br />
Auch die Medien mischen mit<br />
Doch nicht nur Politikerinnen und Politiker tun sich gerne mal mit der Leih<br />
arbeitsbranche zusammen. Auch die vierte Macht im Staate ist dabei. Ganz<br />
vorn: „Bild". Deren Online-Portal hatte gemeinsam mit Randstad im Früh<br />
jahr 2007 die Kampagne „2007 Jobs für Deutschland" ausgerufen. Unter dem<br />
Slogan „Die schnellsten Jobs Deutschlands" versprachen das Boulevard-Blatt<br />
und der <strong>Leiharbeit</strong>s-Riese, innerhalb von sechs Wochen 2007 Jobs zu vermit<br />
teln. Was aus den Teilnehmern/-innen geworden ist, wie viele von Ihnen<br />
wirklich in einen dauerhaften Job gekommen sind, darüber findet man auf<br />
„www.bild.de" nichts.<br />
job@city Und dann gibt es da noch „Job@City". Das ist ein Gratismagazin, das seit<br />
JO<br />
Arbeit • Bei<br />
Mogozin für Arbeitgeber, Arbeih<br />
| Blickfeld Beruf<br />
: Fi<br />
I<br />
September 2007 vor allem im Kölner Raum, mittlerweile aber auch in Halle<br />
und anderen Städten, in Kneipen und Fastfood-Ketten ausliegt. Die Auf<br />
lage liegt bei über 80.000 Exemplaren und soll weiter steigen.<br />
ity<br />
erspektiven<br />
.rbeitsucnende und Existenzgrunder<br />
Branche reinigt Image / Bewerber mangel spürbar •Bä^^^.<br />
B O O M Zeitarbeit HB<br />
G«winnipie( • ' i ... | JOB-Horn »kop<br />
T00 r-Euro od*r Burti jK" "SV --- Wir wrjtn fcrnrm. wirf,<br />
ran Coorh IKmi (tttUj '- J/' 9W*
Es nennt sich selbst „Verbrauchermagazin" und macht mit Texten über<br />
EC-Karten-Betrug oder die besten Spar-Tricks auf. Auf den ersten Blick hat<br />
das mit Stimmungsmache nichts zu tun. Doch auf den zweiten Blick fällt<br />
auf, wie umfangreich und durchgehend positiv die Berichterstattung über<br />
<strong>Leiharbeit</strong> in dem Magazin ausfällt. Schon in der zweiten Ausgabe im Oktober<br />
2007 jubelte die Titelgeschichte über den „Boom Zeitarbeit" und zeigte<br />
großes Verständnis, „dass sie anhand des momentanen Erfolges als Segen<br />
betrachtet wird".<br />
*<br />
Direkt im ersten Teil der Serie übernahm die Redaktion wörtlich die Defini<br />
tion des Arbeitgeberverbandes BZA für <strong>Leiharbeit</strong>. Darin heißt es unter<br />
anderem: „Zeitarbeitsunternehmen sind Arbeitgeber wie andere Arbeitgeber<br />
auch." - Dass sie bei gleicher Arbeit meist deutlich schlechter bezahlen,<br />
erwähnt „Job@City" nicht.<br />
Lobbyarbeit, getarnt als journalistische Naivität<br />
In ähnlicher Manier geht es weiter: Da ist zum Beispiel ein Interview mit<br />
dem BZA-Hauptgeschäftsführer Ludger Hinsen in der Mai-Ausgabe, das im<br />
Editorial so angekündigt wird: „Im Bundesverband für Zeitarbeit will er<br />
für gerechtere Bedingungen am ,Motor der Beschäftigung' sorgen. Sein fröh<br />
liches Gesicht lässt es mich glauben." Auf den ersten Blick könnte man das<br />
als journalistische Naivität abtun. Doch auf den zweiten Blick wird die Sache<br />
Märkte, Macher, Machenschaften 33<br />
kritischer: „Job@City" wird gemacht von der „Jobkontakt GmbH". Die nennt JOBKONTAKT GMBH<br />
sich selbst „Dienstleister zur Optimierung der Vermittlungsprozesse in eine<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung." Das passt nicht so recht zum<br />
Herausgeber eines „Verbrauchermagazins". Jörg Prüfer, Chef der Jobkontakt<br />
GmbH, ist selbst öfters mal zu Gast auf Kongressen des Arbeitgeberver<br />
bandes iGZ und hat für das „AUG Netzwerk Kompetente Personallogistik",<br />
einen weiteren Interessenverband von Firmen aus der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche,<br />
ein „Bewerbermanagementsystem" konzipiert.<br />
Rüge vom Deutschen Rat für Public Relations<br />
Im „Marienhof" hatte das persönliche Bewerbungsmanagement von Jenny<br />
natürlich ein Happy End: Sie wurde rund 40 Folgen später in eine Festanstel<br />
lung übernommen. Eher lange Gesichter gab es dagegen bei der INSM:<br />
Die Arbeitgeberlobby kassierte für ihre Schleichwerbung eine öffentliche<br />
Rüge vom Deutschen Rat für Public Relations.
34<br />
EIRO<br />
<strong>Leiharbeit</strong> im europäischen Vergleich<br />
Unterschiedliche Rechtssysteme erschweren<br />
europaweite Umsetzung von „Equal treatment"<br />
Leiha. beiteiV-innen und Festangestellte sollen die gleichen Rechte<br />
haben - so lautet die europaweite Forderung. Doch unterschiedliche Rechts<br />
systeme machen die Umsetzung schwierig. Rund acht Millionen Menschen<br />
sind in der Europäischen Union (EU) als <strong>Leiharbeit</strong>skraft beschäftigt. Die<br />
meisten verdienen trotz gleicher Arbeit oft deutlich weniger Geld als ihre<br />
Kollegen, haben kaum soziale Sicherheiten und bekommen weniger Urlaub.<br />
Gerade Deutschland ist beim Schutz der Beschäftigten in <strong>Leiharbeit</strong> alles<br />
andere als ein europäischer Musterknabe.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> in Europa - das ist ein Dauerthema, das sich seit fast einem Jahr<br />
zehnt hinzieht. Schon 1999 wies das European Relations Industrial Observato-<br />
ry (EIRO) auf die schlechten Bedingungen der <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen in den da<br />
mals 15 EU-Ländern hin. Und seit 2002 wird versucht, einen Gesetzesvorschlag<br />
für eine Rahmenregelung der <strong>Leiharbeit</strong> zu verabschieden. Die zentrale Forde<br />
rung: Festangestellte und <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte sollen gleich behandelt<br />
werden.<br />
Unterschiedliche Rechtssysteme erschweren Vereinheitlichung<br />
Die Schwierigkeit, zu einheitlichen Regeln zu kommen, liegt unter anderem<br />
in den unterschiedlichen Rechtssystemen - dem EIRO zufolge „vor allem<br />
an der Dreiecks-Beziehung des Vertrags zwischen Verleihfirmen, Entleihern<br />
und Angestellten". Das mache die Aufgabe „sehr komplex".<br />
Auch die Arbeitsmarktsysteme in den EU-Mitgliedsländern sind völlig un<br />
terschiedlich. Beispiel Dänemark: Dort sind Flexibilität und Schutz von<br />
Beschäftigten ganz anders austariert als in Deutschland. Die Dänen kennen<br />
auf der einen Seite fast keinen gesetzlichen Kündigungsschutz. Doch für<br />
immerhin 60 bis 70 Prozent der dänischen Beschäftigten ist er über Tarifver<br />
träge geregelt, und Arbeitslose bekommen dort eine deutlich höhere<br />
Unterstützung als in Deutschland. Bei den Dänen ist <strong>Leiharbeit</strong> nicht ein<br />
mal als separate Beschäftigungsform gesetzlich definiert.
Ein früheres Gesetz wurde abgeschafft und die Regelung der Tarifpolitik über<br />
lassen - gleiche Bezahlung gilt als Selbstverständlichkeit. Nächste Schwie<br />
rigkeit: In Ländern wie Irland, Griechenland, Norwegen, Portugal und Großbri<br />
tannien gibt es keinen Flächentarifvertrag, sondern lediglich Firmenabkom<br />
men. Wenn also gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gelten soll, woran soll<br />
man sich orientieren?<br />
Märkte, Macher, Machenschaften<br />
Einer Studie der European Foundation for the Improvement of Living and EUROFOUND<br />
Working Conditions (Eurofound) von 2006 zufolge werden <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
grundsätzlich definiert als „Beschäftigte einer Zeitagentur, die aber unter der<br />
Weisungsbefugnis der Entleihfirma arbeiten". Nur in Irland ist die Situation<br />
einzigartig: dort gilt eine <strong>Leiharbeit</strong>skraft als Angestellte/-r der Entleihfirma.<br />
Dort gibt es - ebenso wie in Großbritannien - keinerlei Vorgaben, wie genau<br />
ein Arbeitsvertrag von <strong>Leiharbeit</strong>skräften aussehen soll.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> in der erweiterten Europäischen Union<br />
Gesetzliche Regulierung der <strong>Leiharbeit</strong><br />
in den EU15 und Norwegen<br />
Land<br />
Belgien<br />
Equal<br />
Treatment<br />
Grund des<br />
Einsatzes<br />
Zeitliche<br />
Begrenzung<br />
Beschäftigungsmöglich<br />
keit eingeschränkt<br />
Portugal X X X X<br />
Frankreich X X X X<br />
Spanien X X - X<br />
Luxemburg X X X -<br />
Griechenland X - X -<br />
Deutschland X - - •<br />
Italien X X - -<br />
Österreich, Finnland,<br />
Niederlande<br />
X — -<br />
Norwegen - X -<br />
Großbritannien, Däne- -<br />
mark, Schweden, Irland<br />
Quelle: http://www.eurofound.europa.eu/<br />
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2005
In den meisten EU-Ländern brauchen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen eine Lizenz, um<br />
tätig zu sein. In einigen Ländern wie Frankreich oder Luxemburg müssen die<br />
Firmen gar regelmäßig bei den Behörden Bericht erstatten. Norwegen und<br />
Schweden haben dagegen keine Lizenzvereinbarungen. Finnland, die Nieder<br />
lande und Großbritannien haben ihre Lizenzvorschriften Mitte der 1990er<br />
Jahre abgeschafft.<br />
Regelungen zum Einsatz von Beschäftigten in <strong>Leiharbeit</strong><br />
Strenge Regeln gelten in vielen europäischen Ländern auch für den Einsatz<br />
von <strong>Leiharbeit</strong>skräften. In Belgien dürfen sie nur unter drei Umständen ein<br />
gesetzt werden: um eine/-n Stammarbeiter/-in zeitweilig zu ersetzen, wenn<br />
die Firma die anfallende Arbeit sonst nicht schaffen würde und für ungewöhn<br />
liche Arbeit. Wie lange Verliehene dort eingesetzt werden dürfen, hängt auch<br />
davon ab, ob die Gewerkschaft zustimmt. Auch in Portugal dürfen Leiharbei<br />
terinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er nur eingesetzt werden, um die Belegschaft zu<br />
unterstützen, um abwesende Mitarbeiter/-innen zu ersetzen, für Saisonarbeit<br />
oder um eine kurzzeitig aufgetretene Lücke in der Belegschaft zu füllen.<br />
Grundsätzlich sollte eine <strong>Leiharbeit</strong>skraft dort nicht länger als sechs Monate<br />
eingesetzt werden, der Einsatz kann auch nur auf maximal zwei Jahre verlän<br />
gert werden.<br />
In Luxemburg darf ein <strong>Leiharbeit</strong>sverhältnis maximal 12 Monate andauern<br />
und kann auch nur bis zu zwei Mal verlängert werden. Alles was darüber hin<br />
ausgeht, gilt als unbefristeter Vertrag. In Frankreich dürfen <strong>Leiharbeit</strong>skräf<br />
te Festangestellte nur kurzzeitig ersetzen oder eine Stelle einnehmen, so<br />
lange hierfür noch keine Stammbeschäftigten gefunden sind. Erst 2005 hat<br />
die französische Regierung zwei weitere Gründe eingeführt: Erstens, um<br />
älteren, behinderten oder gering qualifizierten Arbeitslosen den Wiederein<br />
stieg ins Berufsleben zu erleichtern und zweitens, um berufliche Ausbil<br />
dung zu ermöglichen.<br />
Frankreich und die Niederlande belohnen <strong>Leiharbeit</strong>er mit extra Prämien<br />
In Deutschland wird <strong>Leiharbeit</strong> offen dazu genutzt, einen Niedriglohnsektor<br />
zu etablieren. Anders beispielsweise in Frankreich: Dort haben Zeitarbeits<br />
kräfte nicht nur Anspruch auf den gleichen Lohn wie vergleichbare Stammbe<br />
schäftigte, sondern sie erhalten zusätzlich sogar noch eine so genannte<br />
„Prekaritätsprämie" in Höhe von zehn Prozent. Auch in den Niederlanden wird<br />
<strong>Leiharbeit</strong> mit einem Flexibilitätszuschlag belohnt.
Märkte, Macher, Machenschaften<br />
Dass es europaweit jahrelang bei der Gleichbehandlung nicht weiterging, EU-RICHTLINIE<br />
lag vor allem an Großbritannien und Deutschland. Die Regierungen bei<br />
der Länder sperrten sich gegen einheitliche Regelungen bei <strong>Leiharbeit</strong> und<br />
Arbeitszeit. Erst als die Briten sich bewegten, konnte sich der EU-Minister<br />
rat im Juni 2008 auf einen Richtlinienentwurf einigen. Dieser Entwurf muss<br />
noch das Europäische Parlament passieren, bevor er gilt.<br />
Auf den ersten Blick scheint die EU-Richtline ein Durchbruch. Die „wesent<br />
lichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der <strong>Leiharbeit</strong>nehmer<br />
entsprechen (...) mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie<br />
(...) unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären",<br />
soder Entwurf in Kapitel II, Artikel 1, Absatz 1. Die Einschränkung folgt jedoch<br />
bereits in Absatz 3. Dort wird den EU-Ländern die Möglichkeit eingeräumt,<br />
„Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, (...) welche von den in<br />
Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können." Für Deutschland<br />
bringe die Einigung somit „keinen Fortschritt", kritisiert Detlef Wetzet, Zweiter<br />
Vorsitzender der IG Metall.
I<br />
LEIHARBEIT-<br />
DIE SCHWARZE SEITE<br />
Der Skandal hat Methode<br />
Gleichen Lohn für gleiche Arbeit: Nicht mehr und nicht weniger wünschen sich<br />
die rund 700.000 Menschen, die in Deutschland als <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen tätig<br />
sind. Wie ihre Realität aussieht, davon berichtet dieser Statusreport.
„Nun stellen Sie sich mal nicht so an"<br />
Leidensweg eines <strong>Leiharbeit</strong>ers<br />
Dass er einmal froh darüber sein würde, seinen Job zu verlieren, hätte<br />
Joachim Backes auch nicht gedacht. Er wollte ja arbeiten, er wollte sich<br />
seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. „Aber nicht so", sagt er. Und<br />
damit meint Backes seine fast zweijährige Arbeit als <strong>Leiharbeit</strong>er für<br />
den Personaldienstleister Tremonia. Eine Zeit, von der der 49-jährige im<br />
Nachhinein sagt: „So etwas zu erleben, das wünsche ich niemandem."<br />
Begonnen hatte alles im Juni 2006. Joachim Backes, gelernter Kfz-Mecha-<br />
niker, war damals Hartz-IV-Empfänger und auf der Suche nach Arbeit. In der<br />
Zeitung entdeckte er eine Anzeige für eine Produktionshelfer-Stelle ganz in<br />
seiner Nähe, in der von übertariflicher Bezahlung die Rede war. Backes rief an.<br />
Wenige Tage später saß er in der Bonner Filiale des Personaldienstleisters<br />
Tremonia. Erst da wurde Backes klar, dass er sich auf eine <strong>Leiharbeit</strong>sstelle<br />
beworben hatte. In der Anzeige war davon keine Rede gewesen. Dann ging<br />
alles sehr schnell: Arbeitsbeginn sei quasi sofort, teilte man ihm mit, und<br />
wenn er den Vertrag nicht zügig unterschreibe, eine Bedenkzeit erbete oder<br />
gar ablehne, müsse man die zuständige ARGE eben davon unterrichten, dass<br />
er arbeitsunwillig sei. Backes war klar: Diese Meldung bei der ARGE-der<br />
Arbeitsgemeinschaft zwischen Kommune und Arbeitsagentur - hätte bedeu<br />
tet, dass sein Hartz IV gekürzt oder gar gestrichen würde. Was blieb<br />
ihm übrig? Backes unterschrieb.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
Wenn er den Vertrag nicht zügig unterschreibe,<br />
eine Bedenkzeit erbete oder gar ablehne, müsse<br />
man die zuständige ARGE davon unterrichten,<br />
dass er arbeitsunwillig sei.<br />
In den ersten drei Monaten war er noch optimistisch. Die Firma, in der er<br />
arbeitete, gefiel ihm, „und ich war so fleißig, dass ich mir echte Hoffnungen<br />
auf eine Festanstellung gemacht habe", erinnert Backes sich.
Da nahm er manches hin, zum Beispiel bei der Arbeitskleidung: Selbst<br />
mitbringen war nicht erlaubt, Schuhe und Klamotten mussten bei der Firma<br />
geliehen werden und wurden vom Lohn abgezogen.<br />
Oder beim Entgelt: Erst am 20. des Folgemonats bekam Backes seinen Lohn<br />
von Tremonia ausgezahlt - der dann auch mehr als mickrig war: 6,15 Euro<br />
pro Stunde bekam er brutto. Tremonia zahlte nach dem Dumpinglohn-Tarifver<br />
trag der „christlichen Gewerkschaften". Im ersten Monat arbeitete Backes<br />
120 Stunden - und hatte am Ende gerade mal 575 Euro auf dem Konto. Mit<br />
der übertariflichen Bezahlung, die ihm die Anzeige versprochen hatte, war es<br />
nicht weit her. Und auch von der Hoffnung auf eine feste Stelle musste<br />
Backes sich bald verabschieden - von einem Tag auf den anderen wurde er<br />
zu einer neuen Firma beordert.<br />
Im ersten Monat arbeitete Backes<br />
120 Stunden und hatte am Ende gerade<br />
mal S75 Euro auf dem Konto.<br />
Mittagspausen waren verboten, und auf die<br />
Toilette sollte man gefälligst zu Hause gehen.<br />
Dort waren die Bedingungen ungleich schlechter: Mittagspausen waren<br />
verboten, und auf die Toilette sollte man gefälligst zu Hause gehen. Auch die<br />
Kosten für die Fahrt zu dem weit entfernten Arbeitsplatz wurden nicht er<br />
stattet. „Ich musste drei Monate lang das Haus um halb fünf Uhr morgens<br />
verlassen und war erst um 19 Uhr wieder da - und das bei einem Achtein-<br />
halb-Stunden-Tag!" erregt sich Backes noch heute.<br />
Wenn Backes mal wieder zu einer neuen Stelle geschickt werden sollte,<br />
dann ging dafür schon mal ein halber Tag drauf. Die Disponenten der Tremo-<br />
nia-Filiale in Bonn ließen ihn warten. Bezahlt wurde Backes dafür nicht -<br />
neue Stellenanweisungen galten als Privatzeit. Eine schriftliche Übersicht<br />
der Urlaubstage oder Überstunden gab es sowieso nicht.<br />
So ging es fast zwei Jahre. Manchmal beschwerte sich Backes. Zum Beispiel<br />
darüber, dass er, obwohl er kein Auto hat, zu weit entfernten Firmen beordert<br />
wurde, zu denen keine Busse oder Bahnen fuhren.
Er solle sich mal nicht so anstellen, sagten ihm dann die Tremonia-Ange-<br />
stellten, er könne doch mit dem Fahrrad fahren. Eigentlich hatte Joachim<br />
Backes gehofft, durch seinen Job wieder Anschluss zu bekommen - ein ganz<br />
normales Leben jenseits von Hartz IV führen zu können. Stattdessen muss-<br />
te er erfahren, wie die unberechenbaren Arbeitsbedingungen in der <strong>Leiharbeit</strong><br />
seinen Alltag zunehmend zerstörten: „Arzttermine zu machen war fast un<br />
möglich", beschreibt er sein Dilemma. „Die Arbeitszeiten und -orte können<br />
sich ja von einem Tag auf den anderen ändern." Auch wurde von ihm ver<br />
langt, seinen Urlaub zu unterbrechen, um ein paar Schichten abzureißen. Wer<br />
dazu nicht bereit war, kassierte eine Abmahnung.<br />
Bezahlt wurde er als Hilfsarbeiter,<br />
in der Praxis arbeitete Backes auch<br />
als Maschinenführer.<br />
Auch mit der Art seiner Arbeit nahm es Tremonia nicht so genau: Eingestellt<br />
und bezahlt wurde er als Hilfsarbeiter. In der Praxis arbeitete Backes als<br />
Maschinenführer, aber auch in der Maschinenwartung, in Schlossereien und<br />
beim Innenabriss von Gebäuden.<br />
Im März 2008 lief das Fass dann über, Joachim Backes konnte nicht mehr.<br />
An einem Freitagabend kam die E-Mail von Tremonia, er habe sich am Sonn<br />
tagabend zur Spätschicht bei einem neuen Betrieb einzufinden. Doch dort<br />
hin fuhr um die Zeit kein Bus mehr, und draußen schneite und regnete es.<br />
Backes hätte allein für den Hinweg über zehn Kilometer mit dem Fahrrad<br />
durch das unwirtliche Wetter strampeln müssen. Seine Herzklappe ist nicht<br />
mehr ganz gesund, er hatte Angst um seine Gesundheit. Er blieb zuhause.<br />
Am Montag war er seinen Job los, Tremonia hatte ihm gekündigt. Die Leihar-<br />
beits-Odyssee des Joachim Backes war beendet.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite 41
Der Fall Nokia<br />
Oder wie man mit <strong>Leiharbeit</strong><br />
den Kündigungsschutz aushebelt<br />
Eineinhalb Jahre hat Peter P.* beim Handyhersteller Nokia Mobiltelefone<br />
zusammengebaut. Nie war Nokia selbst sein Arbeitgeber. Immer war er<br />
ausgeliehen über <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen. Als das finnische Unternehmen Mitte<br />
Januar 2008 aus heiterem Himmel bekannt gab, das Bochumer Werk zu<br />
schließen und die Produktion nach Rumänien zu verlagern, stand Peter P.<br />
schon eine Woche später auf der Straße.<br />
Kurz zuvor hatte er die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma wechseln müssen. Bei der neuen<br />
war er wieder in der Probezeit - sie konnte ihn sofort entlassen. Ohne<br />
Anspruch auf eine Abfindung. Wie Hunderte seiner Kollegen, die bei Nokia<br />
als <strong>Leiharbeit</strong>er eingesetzt waren.<br />
Der Fall Nokia demonstriert eindrucksvoll, dass die Unternehmer nicht alle<br />
Motive nennen, warum sie <strong>Leiharbeit</strong> einsetzen: Abdeckung von Auftragsspit<br />
zen, Sprungbrett in den Arbeitsmarkt - all das klingt nachvollziehbar und<br />
positiv, ist aber nur die halbe Wahrheit. Höchstens.<br />
Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis ist Nokia. Das Unternehmen ist durch dea'Einsatz von<br />
Zeitarbeitern in der Lage flexibel zu agieren und die Produktion schneller von Bochum nach<br />
Rumänien zu verlagern.<br />
Quelle: Hamburger<br />
— — T T - — - — - . —— — ——<br />
Fern-Hochschule (HFH),<br />
Studienbrief- Heft 4, 2008
Das belegt auch Schulungsmaterial, das in der <strong>Leiharbeit</strong>sbranche kursiert.<br />
So etwa ein „Studienbrief" der Hamburger Fern-Hochschule. Ihn verfassten<br />
Kerstin Hooß und Edgar Schröder, die als Berater der Zeitarbeitsbranche tätig<br />
sind. Heft 4 beschäftigt sich seitenlang mit der „Ökonomie von Personal<br />
dienstleistungen".<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„ Kündigungsvorschriften beispielsweise<br />
beschränken die Flexibilität von Unternehmen,<br />
jedoch können diese durch die Einstellung<br />
von Zeitarbeitskräften umgangen werden."<br />
Ganz schnell kommen Hooß und Schröder auch zum Fall Nokia: „Das Unter<br />
nehmen ist durch den Einsatz von Zeitarbeitern in der Lage, flexibel zu<br />
agieren und die Produktion schneller von Bochum nach Rumänien zu ver<br />
lagern."<br />
Hooß und Schröder schreiben weiter: „Kündigungsvorschriften beispielswei<br />
se beschränken die Flexibilität von Unternehmen, jedoch können diese durch<br />
die Einstellung von Zeitarbeitskräften umgangen werden." Das Autoren<br />
team rühmt ausdrücklich die „Nutzung von Personaldienstleistungen zur Um<br />
gehung gesetzlicher Arbeitsmarktvorschriften".<br />
Bei aller Marktgläubigkeit bricht die Moral sich zumindest in einem Halb<br />
satz Bahn. <strong>Leiharbeit</strong> als Kündigungs-Beschleuniger - das sei zumindest ein<br />
„gesellschaftlich negativer Aspekt".<br />
* Name geändert
anvertrj<br />
Verleihfi<br />
geweser
„Hauptsache Arbeit"<br />
Einblicke in den Alltag eines <strong>Leiharbeit</strong>ers<br />
Die Festanstellung immer im Blick, nehmen <strong>Leiharbeit</strong>er häufig klaglos<br />
ungerechte Behandlung in Kauf. Eine wahre Geschichte:<br />
Carsten S.* arbeitet seit zwei Jahren bei einem kleinen Zeitarbeitsunterneh<br />
men in der Nähe von Koblenz. Nach der Lehre als Anlagenmechaniker über<br />
nahm ihn der mittelständische Ausbildungsbetrieb nicht, er wurde arbeitslos.<br />
Ich will arbeiten, sagte sich Carsten S. und heuerte bei der Zeitarbeitsfirma F.<br />
an. Sechs Tage die Woche arbeitet er bei einem Automobilzulieferer. Seite an<br />
Seite mit langjährigen Betriebsangehörigen. Er macht die gleiche Arbeit.<br />
„Manchmal auch mehr, denn ich bin jung und stark. Da helfe ich eben den<br />
älteren Kollegen", sagt Carsten S.<br />
Hauptsache Arbeit, sagte sich S. immer noch, als die Arbeitsbedingungen<br />
für ihn immer härter wurden. Vor einigen Wochen habe ihn sein Disponent an<br />
gesprochen, ob er nicht an seinem freien Tag einen Auftrag übernehmen<br />
könne für einen Kollegen in einem anderen Entleihbetrieb. Carsten S. sagte ja.<br />
Doch als in der vergangenen Woche der Disponent wieder fragte, weigerte<br />
er sich. Seitdem hat ihn der Disponent auf dem Kieker. „Du willst Urlaub<br />
haben? Das muss ich mir aber genau überlegen", hat er ihm kürzlich gesagt.<br />
Selbst der Schichtleiter beschwichtigte.<br />
S. solle bloß nicht aufmucken. Denn in ein paar Wochen sind die Übernah<br />
megespräche für die zehn <strong>Leiharbeit</strong>nehmer, denen das Entleihunternehmen<br />
einen unbefristeten Beschäftigungsvertrag anbieten will. Carsten S. ist<br />
einer von vielen, die raus wollen aus der Zeitarbeitsfirma. Deshalb schweigt<br />
er. Er hat überlegt, ob er sich dem Betriebsrat des Entleihunternehmens<br />
anvertrauen soll. Andere Ansprechpartner kennt er nicht, denn von Seiten der<br />
Verleihfirma ist er seit dem ersten Augenblick an auf sich allein gestellt<br />
gewesen.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 45
Das fing damals an, als er morgens zum Vorstellungsgespräch gebeten<br />
wurde und schon am Nachmittag zum Arbeitseinsatz geschickt wurde. Ein<br />
anderer <strong>Leiharbeit</strong>nehmer hat ihn am Tor des Entleihunternehmens ab<br />
geholt und ihm eine kurze Sicherheitsunterweisung gegeben. Für 7,40 Euro<br />
pro Stunde brutto arbeitet Carsten S. im Drei-Schicht-System sechs Tage<br />
in der Woche. Früher erhielt er fünf Euro Spesengeld am Tag dazu. Die sind<br />
seit ein paar Monaten gestrichen worden. Rund 1.000 Euro bringt er nach<br />
Hause. Die festangestellten Kollegen erhalten zwischen 1.800 und<br />
1.900 Euro, sagt Carsten.<br />
Für 7,40 Euro pro Stunde brutto arbeitet<br />
Carsten im Drei-Schicht-System sechs Tage<br />
in der Woche.<br />
Die Abrechnung, die er bekommt, versteht er manchmal nicht. Da sind nicht<br />
nachvollziehbare Streichungen, Urlaubskürzungen oder Nachtzuschläge<br />
erst ab 23 Uhr eingetragen. Anspruch auf Akkordzulagen hat er nicht. Haupt<br />
sache Arbeit? Mittlerweile ist Carsten skeptisch. Er hat keine Lust mehr,<br />
Arbeiter zweiter Wahl zu sein. Doch eine befristete Festanstellung wird erst<br />
wieder im Februar vergeben. Carsten hofft, dieses Mal dabei zu sein. Bis<br />
dahin ist er ruhig.<br />
Weil es ihm schlecht ging, gab er die<br />
Krankmeldung einen Tag später ab.<br />
Die Zeitarbeitsfirma stellte ihm umgehend<br />
eine Abmahnung zu.<br />
Ende Januar wurde S. dann krank. Probleme mit dem Magen, ein Infekt<br />
jagte den anderen. Weil es ihm schlecht ging, gab er die Krankmeldung vom<br />
Arzt einen Tag später ab. Die Zeitarbeitsfirma stellte ihm umgehend eine<br />
Abmahnung zu. Am Montag dann wurde er angerufen, er solle innerhalb von<br />
zwei Stunden im Personalbüro auftauchen, doch er entschuldigte sich, er<br />
sei beim Arzt zu einer größeren Untersuchung. Was er nicht ahnte: Das war<br />
der ausschlaggebende Punkt für die Zeitarbeitsfirma, ihm fristlos für den<br />
nächsten Tag zu kündigen. Carsten S. ist fassungslos. Hätte er doch lieber<br />
arbeiten gehen sollen, obwohl er krank war?
Er rief im Personalbüro an und protestierte: Er werde zum Betriebsrat des<br />
Entleihunternehmens gehen und ihn informieren. Wenn er das tue, habe das<br />
weit reichende Konsequenzen für ihn, hieß es. Man verbiete ihm den Kon<br />
takt mit „dem Kunden". Im Gegenzug solle er aber seine Arbeitskleidung zu<br />
rückgeben, die ihm die Zeitarbeitsfirma gestellt hat. Falls er sie nicht zu<br />
rückgebe, werde sie ihm vom noch ausstehenden Lohn abgezogen. Was mit<br />
seinem Resturlaub von 18 Tagen passiere, wollte S. dann noch wissen.<br />
Bislang hat er noch keine Antwort.<br />
*Name geändert<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 47
48<br />
Im Namen des Wettbewerbs<br />
Rendite steigern, Lohnkosten senken -<br />
eine deutsche Erfolgsstory<br />
Zum Geburtstag kam sogar der Ministerpräsident. 125-jähriges Firmenbe<br />
stehen. Das ist ja schließlich ein guter Grund zum Feiern für die familienge<br />
führte Amazone-Unternehmensgruppe, einem Landmaschinenhersteller<br />
mit Hauptsitz in Gaste bei Osnabrück. „Unermüdlich und mit großem Ein<br />
satz hat die Gründerfamilie ihr Unternehmen aufgebaut und dabei immer<br />
den Blick auf die nächste Generation gerichtet. Das nenne ich eine echte<br />
Erfolgsstory", schwärmte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff<br />
in seiner Festrede. Innovationsfähigkeit, Verantwortung und Pionierlei<br />
stungen sind die Schlagwörter, die der CDU-Politiker immer wieder betont.<br />
Und tatsächlich: Auf den ersten Blick wirkt Amazone wie ein wahres Vor<br />
zeigeunternehmen. Die insgesamt 1.500 Mitarbeiter, die auf sieben Standorte<br />
verteilt sind, haben im vergangenen Jahr 290 Millionen Euro Umsatz erwirt<br />
schaftet. Ein Fünftel mehr als im Vorjahr. 80 Prozent seiner Maschinen für den<br />
Getreideanbau exportiert Amazone ins Ausland, wo sich mit High-Tech-Agrar-<br />
geräten gutes Geld verdienen lässt. Alleine für den Bereich Westeuropa be<br />
ziffert die Geschäftsführung die Umsatzsteigerung im zurückliegenden Jahr<br />
auf stolze 35 Prozent.<br />
„Da werden Personalkosten gedrückt ohne Ende."<br />
Ulrich Weikert, Betriebsratsvorsitzender in der Hauptniederlassung in Gaste,<br />
lassen solche Betriebsergebnisse kalt. Wenn Weikert über die jüngere<br />
Firmengeschichte spricht, fallen ihm ganz andere Zahlen ein: „Vor fünf Jahren<br />
haben gerade mal sechs <strong>Leiharbeit</strong>er hier in Gaste gearbeitet, heute sind es<br />
176. Das sind mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im gewerblichen Bereich."<br />
Unter Metall-Tarif bezahlt und ohne konkrete Aussicht auf eine Festanstellung<br />
machen die <strong>Leiharbeit</strong>er bei Amazone einen immer größeren Anteil der<br />
Beschäftigten aus.
Intensivnutzung der <strong>Leiharbeit</strong> nimmt zu<br />
Betriebe ab 150 Beschäftigten*<br />
nutzen <strong>Leiharbeit</strong> in:<br />
* und mindestens drei <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen<br />
Quelle: lAB-Betriebspanel 1998-2006, Berechnungen Bellmann 2007<br />
© Hans-Böckler-Stiftung 2007<br />
geringem Umfang<br />
(bis 5% der Belegschaft)<br />
•H stärkerem Umfang<br />
(über 5% der Belegschaft)<br />
•• intensivem Umfang<br />
(über 20%)<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
1998 2002 2004 2006<br />
Und das, obwohl es dem Landmaschinenhersteller finanziell gut geht. Kein<br />
Wunder, dass die Stimmung des Betriebsrats am Boden ist. „Früher waren wir<br />
hier eine große Familie. Heute werden wir Mitarbeiter wie Stiefkinder behan<br />
delt. Da werden Personalkosten gedrückt ohne Ende", beschreibt Weikert die<br />
Situation.<br />
Ufer als <strong>Leiharbeit</strong>er Übernahmechancen<br />
haben möchte, muss sich auf Gehälter unter<br />
Metall-Tarif einlassen.<br />
Zu Beginn des Jahrtausends gaben die Seniorchefs Klaus und Dr. Heinz<br />
Dreyer die Geschäftsführung an ihre Söhne Christian und Dr. Justus Dreyer<br />
weiter. Pünktlich zum Firmenjubiläum erinnerten sich die beiden Neuen<br />
an die ursprüngliche Firmenphilosophie: „Danke an unsere Vorfahren! Die<br />
Werte, die sie geschaffen haben, wollen wir nachhaltig weiterentwickeln"<br />
schrieben sie in einer Pressemitteilung. Es dürfe nämlich nicht um kurzfristige<br />
Rendite gehen, sondern um kluges Planen und Investieren, betonen die<br />
beiden: „Mittelfristig soll Amazone einen Umsatz von 500 Millionen Euro<br />
pro Jahr erreichen."
Der Generationenwechsel hat bei dem Landmaschinenhersteller tiefe Spuren<br />
hinterlassen: Offiziell, weil die Produktionskapazität im Stammwerk in Gaste<br />
nicht ausreichte, aber ganz sicher auch, um die dortige Tarifbindung zu<br />
umgehen, gründete die Geschäftsführung 2007 kurzerhand ein neues Werk<br />
im acht Kilometer entfernten Leeden, das als eigenständige Gesellschaft<br />
geführt wird. Eingestellt wird hier grundsätzlich auf <strong>Leiharbeit</strong>sbasis oder mit<br />
einem Einzelarbeitsvertrag ohne Bindung zum Tarifvertrag der Metall- und<br />
Elektroindustrie. Wer als <strong>Leiharbeit</strong>er Übernahmechancen haben möchte,<br />
muss sich auf Gehälter unter Metall-Tarif einlassen. Die Belegschaft besteht<br />
derzeit aus 34 Amazone-Mitarbeitern, die aus Gaste in die neue Gesell<br />
schaft wechselten und von denen jeder zweite unterhalb des Metall-Tarifs<br />
arbeitet, sowie aus 21 <strong>Leiharbeit</strong>ern.<br />
Dass ein Landmaschinenhersteller <strong>Leiharbeit</strong>er einstellt, kann wegen der<br />
großen Saisonabhängigkeit in der Agrarbranche durchaus Sinn machen. Das<br />
Ausmaß der <strong>Leiharbeit</strong> und das erkennbare Ziel, die Lohnkosten durch Leih<br />
arbeit zu reduzieren, führen den <strong>Leiharbeit</strong>sgedanken bei Amazone jedoch ad<br />
absurdum. Betriebsrat Weikert berichtet, dass es keine Seltenheit sei, dass<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er vier Jahre und länger im Betrieb bleiben, seit die gesetzlichen<br />
Befristungen aufgehoben wurden. Ebenso komme es vor, dass Auszubilden<br />
de, die übernommen werden sollen, anstelle einer festen Anstellung zu einer<br />
Zeitarbeitsfirma geschickt werden und von dieser dann wieder zurück zu<br />
Amazone vermittelt würden. „Außerdem arbeiten <strong>Leiharbeit</strong>er bei uns längst<br />
nicht mehr nur auf der untersten Stufe. Viele übernehmen verantwortungs<br />
volle Aufgaben mit Kontrollfunktionen. Sie haben Jobs, in die man<br />
erst aufsteigen muss", sagt Weikert.<br />
Von gleichem Lohn für gleiche Arbeit kann bei<br />
Amazone keine Rede sein. Mitarbeiter mit Metall-<br />
Tarif verdienen 8.600 Euro mehr im Jahr als<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er.<br />
Von gleichem Lohn für gleiche Arbeit kann bei Amazone keine Rede sein.<br />
Der Betriebsrat rechnete kürzlich aus, wie hoch die Lohndifferenz zwischen<br />
regulär Beschäftigten und <strong>Leiharbeit</strong>ern ist: Für die gleiche Tätigkeit be<br />
kommen die nach Metalltarif bezahlten Mitarbeiter 2.572 Euro Brutto im<br />
Monat, während der <strong>Leiharbeit</strong>er mit nur 2.012 Euro auskommen muss.
Noch heftiger sind die Lohnunterschiede, wenn man den Jahresverdienst<br />
vergleicht. Weil <strong>Leiharbeit</strong>er weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld beziehen,<br />
gehen sie mit 25.500 Euro nach Hause; der Mitarbeiter mit Metall-Tarif<br />
bekommt 8.600 Euro mehr. Eigentlich sei die Stimmung zwischen regulär An<br />
gestellten und Zeitarbeitern relativ gut, weil alle froh sind, überhaupt be<br />
schäftigt zu sein, sagt Weikert. „Aber wenn sich die <strong>Leiharbeit</strong>er diesen Lohn<br />
unterschied bewusst machen, sind sie natürlich frustriert."<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
Beschäftigte als Kostenfaktor - am günstigsten<br />
in der russischen Niederlassung mit 2,50 Euro<br />
Bruttostundenlohn, am teuersten in Gaste mit<br />
16,50 Euro brutto. Die Botschaft an die Arbeiter<br />
in Gaste hätte nicht deutlicher sein können:<br />
Ihr seid nicht wettbewerbsfähig.<br />
Außerhalb des Stammsitzes in Gaste hat die Amazone-Führung es hinbe<br />
kommen, den Metall-Tarif komplett zu umgehen. Entweder existiert gar keine<br />
Tarifbindung, wie beispielsweise in der Leipziger Niederlassung, oder es<br />
gelten Tarifabschlüsse mit den „christlichen Gewerkschaften", so zum Bei<br />
spiel in der zweitgrößten Niederlassung in Hude. Diese Abschlüsse sind -<br />
besonders was Urlaubs- und Weihnachtsgeld angeht - nicht mit Metallab<br />
schlüssen zu vergleichen. Nur in Gaste konnte sich Amazone bislang nicht der<br />
ursprünglichen Tarifbindung entziehen. „Die Geschäftsleitung weiß, dass<br />
wir den Laden hier jederzeit lahm legen könnten", sagt Betriebsrat Weikert.<br />
Weites auf die rabiate Weise nicht funktioniert, übt die Geschäftsführung<br />
auf anderem Weg Druck auf die Gaster Belegschaft aus. Bei einer Betriebs<br />
versammlung im Dezember 2006, ein halbes Jahr, nachdem Amazone im<br />
Nebenstandort Hude aus der Tarifbindung ausgestiegen war, präsentierte<br />
die Geschäftsleitung den versammelten Mitarbeitern ein Säulendiagramm,<br />
dem zu entnehmen war, wie hoch die Kosten sind, die Mitarbeiter in den<br />
verschiedenen Standorten verursachen. Beschäftigte als Kostenfaktor-am<br />
günstigsten in der russischen Niederlassung mit 2,50 Euro Bruttostunden<br />
lohn, am teuersten in Gaste mit 16,50 Euro brutto. Die Botschaft an die<br />
Arbeiter in Gaste hätte nicht deutlicher sein können: Ihr seid nicht wettbe<br />
werbsfähig. Seitdem hat sich <strong>Leiharbeit</strong>erquote im Stammsitz mehr als<br />
verdoppelt.
„Ich hab ja keine Alternative"<br />
Statt Lohnerhöhung weniger Urlaub -<br />
dank „christlichem" Tarifvertrag r<br />
„Zeitarbeit als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt" wirbt die Annonce<br />
in der „Thüringer Allgemeinen". Vielen Menschen in der Region geben<br />
solche Anzeigen Hoffnung. So auch Rainer M.*, 47 Jahre alt und seit dem<br />
Jahr 2000 <strong>Leiharbeit</strong>nehmer.<br />
Auf dem normalen Arbeitsmarkt findet der gelernte Fußbodenleger nichts.<br />
Seit Jahren ist er bei der gleichen Zeitarbeitsfirma beschäftigt. In all den<br />
Jahren hat sich sein Lohn nicht geändert. 6,41 Euro brutto bekommt er die<br />
Stunde.<br />
In all den Jahren hat sich sein Lohn nicht<br />
geändert. 6,41 Euro bekommt er die Stunde.<br />
Rainer M. hat Pech gehabt. Eigentlich hätten ihm schon zwei Lohnerhöhungen<br />
zugestanden - wenn die Verleihfirma nur im Interessenverband Deutscher<br />
Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) geblieben wäre. Doch als die erste Lohnerhö<br />
hung anstand, hat das Unternehmen den Arbeitgeberverband umgehend<br />
verlassen und ist nun Mitgliedsunternehmen beim Arbeitgeberverband Mittel<br />
ständischer Personaldienstleister (AMP). Der hat - anders als iGZ und der<br />
andere große Verband BZA - keinen Tarifvertrag mit der DGB-Tarifgemein<br />
schaft. Sondern er hat sich mit den „christlichen Gewerkschaften" auf einen<br />
Tarifvertrag geeinigt, der deutlich schlechter ist.<br />
Als der Arbeitgeber zum AMP wechselte, erhielten alle Beschäftigten ein<br />
Kündigungsschreiben und einen neuen Arbeitsvertrag. Darin war zwar die<br />
gleiche Bezahlung garantiert - aber im Kleingedruckten standen jede Menge<br />
Verschlechterungen. Künftig sollten die <strong>Leiharbeit</strong>er ihre Fahrten zu den<br />
Einsatzbetrieben selbst bezahlen.<br />
1<br />
a
Für Rainer ist das keine Kurzstrecke, denn er legt täglich 100 Kilometer vom<br />
Wohnort bis zum Arbeitsplatz zurück. „Bei den Spritpreisen reißt das ganz<br />
schöne Löcher", sagt er resignierend. Obwohl er mit einigen Kollegen zusam<br />
men eine Fahrgemeinschaft gegründet hat, muss er von den 830 Euro, die er<br />
am Monatsende bekommt, allein 130 Euro für die Benzinrechnung abziehen.<br />
Doch nicht nur beim Geld muss Rainer Einbußen hinnehmen, auch bei Ur<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Nach zwei Tagen in der Kur haben sie<br />
angerufen, dass mein Urlaub nicht genehmigt<br />
werden könne."<br />
laub und Schichtzulagen. Laut Arbeitsvertrag stehen ihm nur 24 Tage Urlaub<br />
zu. Die darf er jedoch nicht nehmen wann er will, sondern wann er gesagt<br />
bekommt - beispielsweise bei schlechter Auftragslage. Als Rainer im vergan<br />
genen Jahr wegen eines Bandscheibenvorfatls in die Reha sollte, sagte sein<br />
Arbeitgeber, dass er nur zwei Wochen Urlaub am Stück nehmen könne. „Nach<br />
zwei Tagen in der Kur haben sie angerufen, dass mein Urlaub nicht geneh<br />
migt werden könne. Wir machen finanzielle Verluste, wenn wir jedem so viel<br />
Urlaub geben, haben sie mir als Begründung gesagt", erzählt Ralf. Auch wenn<br />
er Nachtschicht hat, ist er gegenüber der Stammbelegschaft schlechter ge<br />
stellt. Die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer bekommen die Nachtschichtzulage erst ab 23 Uhr<br />
ausgezahlt, eine Stunde später als die Stammbeschäftigten.<br />
„Ich hab ja gar keine Alternative. Normale<br />
Arbeit findet man in Thüringen kaum."<br />
Trotz all dieser Nachteile will Rainer bei dem Verleiher bleiben. „Ich hab ja<br />
gar keine Alternative. Normale Arbeit findet man in Thüringen kaum. Ich habe<br />
ja immer noch die Hoffnung, dass ich irgendwann übernommen werde."<br />
Gutes Geld für gute Arbeit, das wünscht sich Rainer für seine berufliche<br />
Zukunft. „Gutes Geld, mit dem ich dann auch endlich meinem studierenden<br />
Sohn etwas mehr unter die Arme greifen könnte", sagt der <strong>Leiharbeit</strong>neh<br />
mer. Derzeit kann ihm Rainer nur 15 Euro im Monat zu seinem Studium<br />
beisteuern. Mehr ist einfach nicht drin.<br />
*Name geändert
Staatlich geförderte Sklavenmärkte<br />
Arbeitsagenturen machen mit<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sfirmen gemeinsame Sache<br />
Eigentlich braucht es nur dieses eine Wort: „Premiumkunden". So nennen<br />
die Arbeitsagenturen nicht etwa die Erwerbslosen, denen sie bei der<br />
lobsuche helfen sollen. Nein, so nennen sie die großen <strong>Leiharbeit</strong>sagen-<br />
turen. Mit diesen machen sie bundesweit gemeinsame Sache.<br />
Grund dafür sind, wie so oft, die Hartz-Gesetze. Seit 2003 gelten deutlich<br />
verschärfte Zumutbarkeitskriterien. Arbeitslose müssen quasi jede Stelle<br />
annehmen, solange sie legal und nicht sittenwidrig ist. Wer sich weigert, dem<br />
werden die Zuwendungen gekürzt oder gleich ganz gestrichen. Unter ande<br />
rem diese Gesetzesänderung löste den <strong>Leiharbeit</strong>sboom in Deutschland aus.<br />
Denn das Heer der <strong>Leiharbeit</strong>er rekrutiert sich vor allem aus Arbeitslosen, die<br />
von ihren Arbeitsagenturen in die neuen Billig-Jobs gezwungen werden. In<br />
Köln zum Beispiel ist mittlerweile jede zweite gemeldete offene Stelle eine<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sstelle. Und auch ein Blick in die Jobbörsen von Chemnitz, Jena oder<br />
Dortmund zeigt: hinter fast jedem zweiten Angebot steht ein gewerblicher<br />
Vermittler.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 55<br />
Das Heer der <strong>Leiharbeit</strong>er rekrutiert<br />
sich vor allem aus Arbeitslosen, die von den<br />
Arbeitsagenturen in die neuen Billig-Jobs<br />
gezwungen werden.<br />
ie Vorzugsbehandlung für die Branche geht auch auf einen Kooperations<br />
vertrag zurück, den die Bundesagentur für Arbeit (BA) und der <strong>Leiharbeit</strong>s-<br />
Arbeitgeberverband BZA im Frühjahr 2007 geschlossen haben. Darin ver<br />
pflichtet sich die Arbeitsagentur, „Bedürfnisse der <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen<br />
soweit wie möglich zu berücksichtigen" und persönliche Ansprechpartner zu<br />
benennen. Außerdem können die <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen auf die Job-Börse der<br />
Arbeitsagenturen zugreifen.
Der DGB kritisiert das scharf: „Der Branche wird eine Vorzugsbehandlung<br />
eröffnet, und das im Unterschied zu vielen Klein- und Mittelbetrieben," sagt<br />
Annelie Buntenbach, für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständiges DGB-<br />
Bundesvorstandsmitglied. „Mit der Sonderbehandlung wird die Rotation am<br />
Arbeitsmarkt befördert, denn Heuern und Feuern sind in dieser Branche<br />
keine Seltenheit."<br />
Damit nicht genug - auch finanziell greift die staatlich finanzierte Bundes<br />
agentur den Verleihern kräftig unter die Arme: Die <strong>Leiharbeit</strong>sbranche erhält<br />
überdurchschnittlich oft Lohnkostenzuschüsse, so dass sie ihren Leute noch<br />
weniger als sowieso schon zahlen muss. Und über die sogenannten „Vermitt<br />
lungsgutscheine" landet noch mehr BA-Geld in den Taschen der Personal<br />
dienstleister. Von der angeblichen „Beschäftigungsmaschine" <strong>Leiharbeit</strong> kann<br />
angesichts solcher Subventionierung kaum noch die Rede sein.<br />
Auch in Sachen Qualifizierung bedient sich die Branche gerne aus den öffent<br />
lichen Kassen: Sie bildet selbst kaum aus und ist „sehr ideenreich, um sich<br />
die Qualifizierung aus Beitragsmitteln finanzieren zu lassen", wie Annelie Bun<br />
tenbach kritisiert. In Sachen Lohnhöhe zeigt sich der Staat, zum Schaden<br />
der Arbeitnehmer, ebenso nachgiebig: Selbst mit Verleihern, die ihre Mitarbei<br />
ter unterhalb des vom DGB ausgehandelten Tarifs bezahlen, arbeitet die BA<br />
zusammen. So öffnet sie auch die Tür für die Dumpinglöhne der so genannten<br />
„christlichen Gewerkschaften".<br />
Die Arbeitsagentur arbeitet selbst mit Verleihfirmen<br />
zusammen, die ihre Mitarbeiter unterhalb<br />
des vom DGB ausgehandelten Tarifs bezahlen.<br />
Seit 2007 dürfen sich die <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen zudem über einen weiteren<br />
Service der Arbeitsvermittler freuen: <strong>Leiharbeit</strong>smessen. In vielen Städten<br />
laden Arbeitsagenturen die örtlichen <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen ein, sich und ihre<br />
Stellen zu präsentieren. Die Seriosität der Unternehmen und die Qualität ihrer<br />
Angebote werden vorher nicht geprüft. Auch die gemeldeten Arbeitslosen<br />
werden eingeladen. Oder besser: schriftlich zur Teilnahme aufgefordert - in<br />
nicht wenigen Orten mit der Behauptung, die Teilnahme sei angeblich ver<br />
pflichtend. Und so trotten hunderte Arbeitslose zu den <strong>Leiharbeit</strong>smessen, die<br />
sie oft nur noch „Sklavenmärkte" nennen, aus Angst, von der Arbeitsagentur<br />
abgestraft zu werden, wenn sie nicht erscheinen. So kann es dann auch kaum<br />
noch verwundern, dass sich die Veranstalter nachher über „großen Andrang"<br />
auf ihren Messen freuen.
Der Arbeitsmarkt ist für die Verleihfirmen so dank freundlicher Unter<br />
stützung aus Politik und Verwaltung zum Selbstbedienungsladen geworden.<br />
Die Agenturen liefern neue Kräfte quasi frei Haus und legen oft noch Geld<br />
drauf. Verleiher, die überflüssige Arbeitskräfte wieder loswerden wollen, stel<br />
len sie kurzerhand wieder vor den Toren der Arbeitsagentur ab. Während<br />
jeder normale Arbeitgeber das personalpolitische Risiko selbst tragen muss,<br />
können die Verleihfirmen es einfach auf die <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten und<br />
auf die Arbeitslosenversicherung abwälzen.<br />
„Das muss die Arbeitsagentur in Zukunft verhindern", fordert DGB-Vorstands<br />
mitglied Buntenbach. Zuschüsse vom Staat dürfe es nur noch geben, wenn<br />
die Verleihfirmen für unbefristete Arbeitsverhältnisse und wirklich existenzsi<br />
chernde Löhne sorgen.<br />
Doch nach solch einem vernünftig distanzierten Verhältnis zwischen Arbeits<br />
agenturen und Verleihern sieht es momentan nicht aus. Ganz im Gegenteil.<br />
Dafür reicht ein Blick nach Ludwigshafen. Dort haben Arbeitsagentur und Leih<br />
arbeitsbranche der Einfachheit halber auch gleich die räumliche Distanz auf<br />
gegeben: Seit Juni vergangenen Jahres sitzt die Agentur Trenkwalder unter<br />
einem Dach mit der Arbeitsagentur. So können die Vermittler ihre „Kunden"<br />
gleich rüber schicken, zum Schreibtisch des <strong>Leiharbeit</strong>s-Disponenten. Bei der<br />
Eröffnung stießen Lokalpolitiker und Trenkwalder-Vertreter gemeinsam an -<br />
auf einen „Meilenstein der Arbeitsmarktpolitik".<br />
<strong>Leiharbeit</strong>: Kein echtes Sprungbrett<br />
Berufliche Situation von <strong>Leiharbeit</strong>skräften<br />
V o r h e r<br />
in Westdeutschland '''''WKKKKß nich<br />
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2006,<br />
©Hans-Böckler-Stiftung<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 57<br />
Der Arbeitsmarkt ist für die Verleih firmen<br />
zum Selbstbedienungsladen geworden -<br />
mit freundlicher Unterstützung aus Politik<br />
und Verwaltung.<br />
utimimt V...1-,<br />
2003<br />
' A<br />
' beit
„Ich sehe keinen Weg da raus"<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er in der beruflichen Sackgasse<br />
Sein Abitur hat Franco C* noch gemacht, doch dann „lockte das Geld". Statt<br />
zu studieren, absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung. Jetzt ist er<br />
Anfang 40, sitzt neben seiner Freundin am Wohnzimmertisch und bilanziert<br />
sein bisheriges Leben: „Ich sehe keinen Weg da raus."<br />
Seit über einem Jahr ist C. als <strong>Leiharbeit</strong>er in einer Fabrik in Südhessen, etwa<br />
50 Kilometer von Frankfurt entfernt. „Es gibt keinen klar definierten Aufgaben<br />
bereich für mich", sagt er. Richtig eingearbeitet wurde er nie, nur kurz an<br />
neuen Maschinen eingewiesen. Zufrieden ist er nicht. Doch einen anderen Job<br />
zu finden, sei schwierig, sagt er.<br />
„Ich komme auf keinen grünen Zweig mehr.<br />
Ich habe ja noch nicht mal mehr die Zeit,<br />
mich vernünftig zu bewerben."<br />
Seinen Vertrag hat die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma vor kurzem verlängert, allerdings<br />
läuft er grundsätzlich nur mit einer sechsmonatigen Befristung. So ist der Leih<br />
arbeiter immer in der Probezeit und innerhalb von 14 Tagen kündbar. Den<br />
noch ist der Entleihbetrieb sehr zufrieden mit ihm, erzählt C: „Der Personal<br />
chef hat gesagt, dass ich langfristig eingeplant bin, aber weiterhin nur als<br />
Zeitarbeiter, mit einer Festanstellung wird es nichts werden. Das letzte Mal<br />
haben die im Mai 2007 jemanden übernommen."<br />
Früher hat der Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters<br />
ganz andere Erfahrungen mit <strong>Leiharbeit</strong> gesammelt: „Für mich war so eine<br />
Beschäftigung immer gut, wenn es darum ging, einen kurzen Zeitraum<br />
zu überbrücken oder wenn ich ein Sprungbrett in einen neuen Job brauchte."
Mittlerweile ist er mit dem vermeintlichen Sprungbrett allerdings in eine<br />
Abwärtsspirale geraten: „Ich komme auf keinen grünen Zweig mehr. Ich habe<br />
ja noch nicht mal mehr die Zeit, mich vernünftig wo anders zu bewerben."<br />
Natürlich, sagt C, lautet die Vorgabe eigentlich, dass nicht mehr als<br />
zwölf Stunden pro Tag gearbeitet werden darf. Doch mit elfeinhalb Stunden<br />
regulärer Arbeit, einer halben Stunde Mittagspause, eineinhalb Stunden<br />
Säubern der Maschine und einer halben Stunde fürs Umziehen kommt er re<br />
gelmäßig auf mehr. Außerdem muss C. ja auch noch zur Arbeit kommen,<br />
was auf dem Lande eigentlich nur mit dem Auto funktioniert. Doch das darf<br />
nur seine Lebensgefährtin fahren. Denn C. selbst hat keinen Führerschein<br />
mehr: „Anfang der 90er Jahre wurde der mir einige Monate gesperrt. Danach<br />
habe ich ihn erstmal nicht auf dem Amt abgeholt, weil ich ihn in der Stadt<br />
nicht brauchte, in der ich lebte. Als ich ihn abholen wollte, erklärten die mir,<br />
dass ich ihn neu machen muss. Irgendeine Frist war abgelaufen, von der<br />
ich nichts wusste." Das Geld, den Führerschein neu zu machen, fehlt Franco C.<br />
bis heute.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser<br />
wäre, wenn ich einfach zu Hause bleibe."<br />
Mit seiner Lebensgefährtin und ihren Kindern lebt er zu viert in drei Zimmern -<br />
in einem Dorf, in dem die Mieten noch halbwegs bezahlbar sind. Ein Umzug<br />
wäre sinnvoll: „Aber wie sollen wir das Geld für einen Umzug zusammenbe<br />
kommen? Und welche Wohnung wird einem <strong>Leiharbeit</strong>er vermietet - ganz<br />
ohne Sicherheiten? Da schlägt doch jeder Vermieter nur die Hände über dem<br />
Kopf zusammen!"<br />
Eines hat Franco C. in den vergangenen Jahren als <strong>Leiharbeit</strong>er gelernt:<br />
Dass er sich nicht darauf verlassen kann, Arbeit zu haben. Im Frühjahr 2007<br />
bekam er bei der <strong>Leiharbeit</strong>sfirma, bei der er noch immer beschäftigt ist,<br />
seinen ersten Vertrag und wurde an das Unternehmen verliehen, in dem er<br />
heute wieder beschäftigt ist. Monatelang lief alles glatt, doch eines Mon<br />
tags im Sommer erschien er zur Arbeit und stellte fest, dass er ab dem näch<br />
sten Tag nicht mehr eingeplant war. Dienstags kündigte ihm dann auch<br />
die Verleihfirma. Sie wusste schon länger, dass das Werk, in dem er beschäf<br />
tigt war, keine Arbeit mehr für ihn hatte. „Aber die haben mir das extra<br />
nicht früher gesagt, damit ich noch am Montag in der Firma erscheine und<br />
mein Soll erfülle." Immerhin: Die 14-tägige Kündigungsfrist wurde ein<br />
gehalten.
6o<br />
Danach heuerte C. bei einer anderen <strong>Leiharbeit</strong>sfirma an, die ihn für<br />
6,38 Euro Akkord am Fließband arbeiten ließ. Doch „das ging für mich kör<br />
perlich einfach nicht". Nach wenigen Tagen hatte die vorherige <strong>Leiharbeit</strong>s<br />
firma Wiederverwendung für ihn - in der gleichen Fabrik, in der sie ihn<br />
wenige Wochen zuvor ausgemustert hatte. Jetzt waren auch seine PC-Kennt<br />
nisse gefragt: Er sollte selbst den Wareneingang kontrollieren und mangel<br />
hafte Lieferungen zurückschicken. Wieder ohne Einarbeitung. Wieder für<br />
sieben Euro in der Stunde. „Manchmal frage ich mich, für was ich das alles<br />
mache und ob es nicht besser wäre, wenn ich einfach zu Hause bleibe."<br />
Das Verhältnis zur Stammbelegschaft in der Entleihfirma ist gut, wird aber<br />
zusehends schlechter, berichtet Franco C. Denn die Festangestellten bekom<br />
men Zuschläge, wenn sie Maschinen führen. Die <strong>Leiharbeit</strong>er bekommen<br />
weiterhin ihre sieben Euro ausgezahlt, besetzen aber die bei den Stammmit<br />
arbeitern begehrten Posten an den Maschinen. In der Produktion seines<br />
Entleihbetriebs machen <strong>Leiharbeit</strong>er mittlerweile fast 20 Prozent der Beleg<br />
schaft aus, schätzt er. Die Stimmung kippt, der Konkurrenzgedanke wächst.<br />
„Meine Qualifikation spielt überhaupt keine Rolle<br />
mehr. Du bist wie eine Nummer, du musst einfach<br />
funktionieren, du bist völlig austauschbar."<br />
Franco C. fühlt sich nicht nur deshalb ausgelaugt und fertig: „Meine Quali<br />
fikation spielt überhaupt keine Rolle mehr. Du bist wie eine Nummer, du<br />
musst einfach funktionieren, du bist völlig austauschbar." Und sein Arbeitge<br />
ber - die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma - versucht zu tricksen, wo sie nur kann. Nicht nur<br />
mit der Kündigung, gefolgt von einer Wiedereinstellung: Macht der Entleihbe<br />
trieb einen Tag dicht, wenn nichts zu tun ist, werden C. bei seinem Arbeitge<br />
ber Minusstunden aufgeschrieben, weil er ja nicht produktiv war, berichtet er.<br />
Als sein Arbeitgeber ihm vor einigen Wochen zwei Tage ohne Beschäftigung<br />
in der Entleihfirma zu unbezahltem Urlaub umdeutete, ging Franco C. auf die<br />
Barrikaden. Mittlerweile hat er das Geld für die zwei Tage auf seinem Konto<br />
- allerdings nur, weil er sich beschwerte. Und die Verärgerung bleibt: „Es ist<br />
doch deren Aufgabe, mich in solchen Situationen woanders hin zu vermitteln.<br />
Aber einfach so unbezahlten Urlaub abrechnen geht zu weit."
Er warnt junge Menschen davor, gleich nach dem Schulabschluss als Zeitar<br />
beiter anzufangen: „Die machen dann nie eine Ausbildung und bleiben da für<br />
immer drin stecken." Einen Ausweg aus der Abwärtsspirale sieht er für sich<br />
selbst momentan nicht. Ab und an schafft er es aber, sich irgendwo zu bewer<br />
ben. Bislang erfolglos. Teilweise sehen die Personalchefs schon sein Alter<br />
als Problem, mit dem er nicht mehr ins Team passt. Manchmal kommen An<br />
fragen anderer Personaldienstleister, aber „da würde sich ja auch nichts<br />
ändern". Und dort, wo er jetzt ist, kann er aber auch nicht ewig bleiben: „So<br />
einen Knochenjob kann ich nur noch vier oder fünf Jahre machen."<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Die machen dann nie eine Ausbildung<br />
und bleiben da für immer drin stecken."<br />
Es ist vor allem die Würde, die er sich bewahren will und die ihn überhaupt<br />
noch zur Arbeit gehen lässt. Vor der <strong>Leiharbeit</strong> war er arbeitslos und hat sogar<br />
als Ein-Euro-Jobber in einem städtischen Archiv gearbeitet, nur um etwas zu<br />
tun zu haben. Und doch bleiben die Zweifel am Sinn seines Daseins als Leihar<br />
beiter: „Meine Freundin und ich leben in einer Bedarfsgemeinschaft. Wir<br />
liegen nur knapp über der Bemessungsgrenze für das Arbeitslosengeld II."<br />
*Name geändert
<strong>Leiharbeit</strong>sfirmen ihre Mitarbeiter<br />
Sehr geehrter Herr|<br />
Niederlassung Kiel<br />
Wildrosenweg 7<br />
24119 Kronshagen<br />
Tel. (04 31)9 90 99-0<br />
Fax. (04 31)9 90 99-13<br />
Kronshagen, 19. Oktober 2007<br />
wir möchten uns bei Ihnen für Ihren unermüdlichen und kontinuierlichen Einsatz für<br />
uns bei unseren Kunden im vergangenen Monat bedanken.<br />
Anbei erhalten Sie von uns zwei Rubbelfixiose als Anerkennung. Wir wissen, dass<br />
diese Lose Ihren Leistungen nicht gerecht werden können, wir aber Ihren Einsatz zu<br />
schätzen wissen.<br />
Wir hoffen, dass Sie auch zukünftig mit gleichen persönlichen Einsatz tätig sind und<br />
wir und unsere Kunden weiterhin mit Ihrer Zuverlässigkeit rechnen können.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Runtime Services GmbH-& Cp/KG<br />
- Niederlassung Kiel -/ //<br />
?ersonaldisponent<br />
Runtim* SCfvim GmbH b Co KG<br />
M.iupl'.r'walluny I GeKhaft-.fuhfui<br />
M.ntiPV.fr 5; ^B»95 Brf mm<br />
Metel (04;») 3ö4 88 -r><br />
Tclff.i- (^411) -'O.188 '7int.viwl<br />
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t IA "I filirfflfinlirtic; .i'i Vi,(', ik'<br />
U.tdr't jtiung KM<br />
J4"y Kipl »HontIi-lg*"<br />
retfion (04 c)990 99•"<br />
TeWj» (04 V) H W V * '<br />
Rechliform<br />
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Runtime S*fvK« Beteiligung«. GmbH<br />
Sitr Bremen Mir B 'OS4S<br />
Banken<br />
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BIZ J9o^,r»ooü.<br />
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RUNTIME '<br />
OfN f N ISO BtXM
Abenteuer Betriebsratswahl<br />
Die Tricks der <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen gegen Betriebsräte<br />
Was passiert, wenn man bei einer <strong>Leiharbeit</strong>sfirma einen Betriebsrat<br />
wählen will? Die Firma ändert ihren Namen, geht mit einer anderen zusam<br />
men und lässt anfangs nur über ein Anwaltsbüro von sich hören. So ge<br />
schehen bei der <strong>Leiharbeit</strong>sfirma Runtime* in Karlsruhe.<br />
Letzten Endes haben sie es geschafft. Seit Mitte Juni 2008 sind die etwa<br />
100 Mitarbeiter der <strong>Leiharbeit</strong>sfirma Runtime in Karlsruhe durch einen Be<br />
triebsrat vertreten. Der Weg dahin war jedoch lang und steinig.<br />
„Alles fing an, als sich die <strong>Leiharbeit</strong>er letztes Jahr über die schlechte Be<br />
handlung durch einzelne Vorgesetzte im Entleiherbetrieb BOA BKT GmbH und<br />
die ungerechte Bezahlung beschwert haben", erinnert sich Günter Schmidtke<br />
von der IG Metall Karlsruhe. Tatsächlich fand die IG Metall nach einer ersten<br />
Kontaktaufnahme heraus, dass die meisten Mitarbeiter lediglich in der gerin<br />
gst möglichen Entgeltgruppe entlohnt werden. Je nach Steuerklasse hatten<br />
die Beschäftigten monatlich nur 800 bis 900 Euro zur Verfügung - und das im<br />
Drei-Schicht-Betrieb. Bei einer Bezahlung nach den Tarifverträgen der Metall-<br />
und Elektroindustrie hätte das Entgelt fast doppelt so hoch sein müssen.<br />
Manche der <strong>Leiharbeit</strong>er arbeiten bereits länger als fünf Jahre für BOA BKT,<br />
die der Private-Equity-Firma Odenwald gehört. Das mache deutlich, dass es<br />
hier nicht um Flexibilität geht, sondern um Ausbeutung, so Schmidtke.<br />
Im Frühjahr 2008 entwickelten auf einer Versammlung, an der auch zwei<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
Bei einer Bezahlung nach den Tarifverträgen<br />
der Metall- und Elektroindustrie hätte das Entgelt<br />
fast doppelt so hoch sein müssen.<br />
Bundestagsabgeordnete teilnahmen, etwa 30 Runtime-Mitarbeiter die Idee,<br />
einen Betriebsrat zu gründen.
64<br />
Durch Fusionen und Neugründungen sorgen<br />
Betriebsratsgründung p.<br />
bei <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen: " ><br />
häufig ein echtes Aben- lei<br />
teuer n j {<br />
Günter Schmidtke und sein Kollege Martin Obst besuchten dann im März Fai<br />
die Firma Runtime und leiteten mit der Übergabe eines Schreibens die Wahl Leii<br />
ein. „Wir haben genau darauf geachtet, keinen Formfehler zu machen", Arb<br />
sagt Schmidtke. Denn so sei schon oft eine Wahl verhindert worden, und<br />
dieses Risiko wollten sie in Karlsruhe auf keinen Fall eingehen. „Dann *Die<br />
geschah erst mal gar nichts", stellt Schmidtke fest. Erst auf mehrmaliges<br />
Nachfragen habe sich eine <strong>Düsseldorf</strong>er Wirtschaftskanzlei gemeldet, art> e<br />
die Runtime fortan vertrat. in di<br />
Unternehmen dafür, dass der Betriebsrat immer<br />
nur wenige <strong>Leiharbeit</strong>er vertritt.<br />
Dieses Anwaltsbüro teilte der IG Metall mit, dass Runtime umstrukturiert<br />
sei: Ab sofort waren die bei der BOA BKT GmbH Beschäftigten in einer<br />
eigenen Firma mit dem Namen „Runtime BOA onsite Management" ange<br />
stellt. Das Wahlverfahren wurde also für die neue Firma eingeleitet. Kurze<br />
Zeit später wurde die neue Firma wieder mit einer anderen verschmolzen.<br />
Damit sorgte das Unternehmen dafür, dass der betreffende Betriebsrat nur<br />
die Mitarbeiter vertritt, die auch bei diesem bestimmten Entleiher arbeiten -<br />
alle anderen Runtime-Mitarbeiter blieben weiterhin ohne Betriebsrat.<br />
rat<br />
wä<br />
Fir<br />
Fir<br />
ble<br />
me<br />
Sc!<br />
ob<br />
au;
„Eigentlich gab es keine echten Behinderungen von Seiten der Geschäfts<br />
leitung", stellt Schmidtke mit leicht ironischem Unterton fest. „Wir haben ja<br />
nie jemanden von der Geschäftsleitung zu Gesicht bekommen." Die Betriebs<br />
ratswahl hat am 17. Juni 2008 stattgefunden, fünf Mitarbeiter wurden ge<br />
wählt. Mittlerweile wurde auch ein verantwortlicher Geschäftsführer für die<br />
Firma benannt, die sich jetzt „RT onsite Management" nennt. Hinter dieser<br />
Firma steht der Sohn eines Gesellschafters der ursprünglichen Runtime. Es<br />
bleibt also alles in der Familie. Die Geschäftsleitung von RT onsite Manage<br />
ment hat inzwischen angekündigt, mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten.<br />
Schmidtke: „Wir können heute aber noch nicht sagen, ob das stimmt oder<br />
ob es sich nur um ein Manöver handelt." Im Augenblick sieht es aber danach<br />
aus, dass RT onsite Management den Betriebsrat akzeptiert und eine gewisse<br />
Fairness eingehalten wird. Für die BOA BKT GmbH sind noch zwei weitere<br />
<strong>Leiharbeit</strong>sfirmen tätig. Auch dort hat die IG Metall bereits Kontakte mit den<br />
Arbeitnehmern aufgenommen.<br />
*Die Firma Runtime gehört nach eigenen Angaben zu den 20 größten Personaldienstleistern<br />
in Deutschland. Sie hat über 70 Niederlassungen in sieben Ländern, 57 davon in Deutschland.<br />
Insgesamt beschäftigt Runtime nach eigenen Angaben über 5.000 Mitarbeiter. In Karlsruhe<br />
arbeiten alleine etwa 100 <strong>Leiharbeit</strong>er bei RT onsite Management, viele davon sind mittlerweile<br />
in die 16 Metall eingetreten.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 65
<strong>Leiharbeit</strong>er: Ein Beruf mit Zukunft?<br />
Deutsche Steinkohle AG verleiht Azubis<br />
als Fließbandarbeiter<br />
Jörg Zimmermann absolvierte bei der Deutschen Steinkohle AG eine<br />
Ausbildung zum IT-Systemelektroniker - ein so genannter Zukunftsberuf.<br />
Doch dann landete er als <strong>Leiharbeit</strong>er am Fließband.<br />
Er wollte mit Computern arbeiten. Die Ausbildung als IT-Systemelektroniker<br />
bei der Deutsche Steinkohle AG (DSK) in Saarbrücken schien genau das<br />
Richtige zu sein für Jörg Zimmermann. Das Tochterunternehmen der RAG (ehe<br />
mals Ruhrkohle AG) mit Standorten im Saarland und in Nordrhein-Westfalen<br />
bildet in verschiedenen Sparten aus. Eine Übernahme konnte das Unterneh<br />
men zwar nicht versprechen, denn das Saarland steigt aus dem Steinkohle<br />
bergbau aus - seit Jahren schon werden Stellen gestrichen. Trotzdem war Jörg<br />
Zimmermann optimistisch: Als IT-Fachmann würde er vielleicht doch eine<br />
Chance im Betrieb bekommen.<br />
Drei Jahre später, im Sommer 2004, sah es anders aus. Die DSK wollte<br />
Zimmermann als <strong>Leiharbeit</strong>er zu Bosch nach Homburg bei Saarbrücken<br />
schicken, ein Job am Fließband. Und das, obwohl er seine Ausbildung noch<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Da hat sich keiner getraut, was zu sagen.<br />
Alle dachten, sie werden sonst erst recht nicht<br />
übernommen."<br />
gar nicht abgeschlossen hatte. „Ich habe mich gewehrt", sagt er, „Ich wollte<br />
noch meine Abschlusspräsentation machen. Der Chef hat sich ziemlich<br />
aufgeregt, dass ich nicht da hin wollte." Doch zwingen ließ sich Zimmermann<br />
nicht. Er beendete seine Ausbildung im Unternehmen bevor er zu Bosch<br />
ging. Die meisten seiner Jahrgangskollegen aber gingen in die <strong>Leiharbeit</strong>: „Da<br />
hat sich keiner getraut, was zu sagen. Alle dachten, sie werden sonst erst<br />
recht nicht übernommen."
So wurden aus Azubis <strong>Leiharbeit</strong>er. „SaarEinsatzTeam" nennt sich das<br />
Konstrukt, das die Deutsche Steinkohle AG in Absprache mit der saarlän<br />
dischen Landesregierung gebastelt hat. Seit 1995 verleiht das Unter<br />
nehmen Mitarbeiter an Partnerfirmen wie Bosch oder den Autozulieferer<br />
Halberg Guss - in der Hoffnung, dass sie dort eine feste Anstellung be<br />
kommen. Das <strong>Leiharbeit</strong>s-Modell soll den Ausstieg aus dem Saar-Bergbau<br />
sozialverträglicher machen. Daran hat auch die Landesregierung ein In<br />
teresse. Schon die Auszubildenden gehen oft zum Betriebspraktikum in<br />
andere Unternehmen. „Wir möchten, dass die Mitarbeiter möglichst<br />
früh verschiedene Berufserfahrungen sammeln, damit sie leichter in eine<br />
feste Arbeit kommen", sagt Fritz König, Personaldirektor bei der DSK.<br />
Das klingt gut. Doch Jörg Zimmermann und die meisten Kollegen in<br />
seinem Ausbildungsjahrgang sammelten Erfahrung am Fließband: Rohre in<br />
eine Maschine einlegen, Gewinde testen, Metallkanten abschleifen. Mit<br />
der Ausbildung und den Berufswünschen eines IT-Systemelektronikers hat<br />
das nichts zu tun. Ein Jahr lang arbeitete Jörg Zimmermann bei Bosch.<br />
Die Bezahlung sei fair gewesen, sagt er, aber der Job am Fließband „doch<br />
sehr langweilig". Und dann bekam er auch noch weniger Feiertags- und<br />
Nachtzuschläge als die festangestellten Mitarbeiter von Bosch.<br />
Rohre in eine Maschine einlegen, Gewinde testen,<br />
Metallkanten abschleifen. Mit der Ausbildung<br />
und den Berufswünschen eines IT-Systemelektronikers<br />
hat das nichts zu tun.<br />
Für die <strong>Leiharbeit</strong>er im SaarEinsatzTeam gelten nur Mindestbedingungen,<br />
zum Beispiel ein Stundenlohn von zehn Euro. Eine Garantie, im eigenen Beruf<br />
beschäftigt zu werden, gebe es nicht, sagt Theo Bilsdorfer, Leiter der Perso<br />
nalsteuerung Saar im DSK-Mutterkonzern Ruhrkohle AG. Aber die Mitarbeiter<br />
bekämen eine Chance auf eine Zukunft im Entleihbetrieb: „Seit 1995 sind nur<br />
etwa zehn Leute aus dem SaarEinsatzTeam langfristig arbeitslos geworden",<br />
so Bilsdorfer. Bei rund 2.200 Verliehenen sei das eine gute Bilanz.
So positiv wird das Projekt bei der IG Metall in Saarbrücken nicht gesehen.<br />
Thorsten Dellmann, Gewerkschaftssekretärin der Verwaltungsstelle Saar<br />
brücken, hat das Verleihen in Metallbetriebe kritisch beobachtet: „Die DSK<br />
wollte ganz schnell möglichst viele Leute vermitteln und Erfolge zeigen."<br />
Nicht für jeden Mitarbeiter sei das eine gute Lösung gewesen.<br />
Auch nicht für Jörg Zimmermann. Nachdem sein Vertrag bei Bosch nach<br />
einem Jahr abgelaufen war, bewarb er sich dort um eine längerfristige Stelle.<br />
Vergeblich. Auf eine weitere „Chance" wollte er nicht warten: Er machte sein<br />
Fachabitur und studiert heute Kommunikationsinformatik. Das Projekt<br />
„SaarEinsatzTeam" läuft inzwischen aus. Die DSK denkt aber schon über ein<br />
neues Verleihmodell nach.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite 69
Zwei ungleiche Töchter<br />
Mit der Gründung von Tochterfirmen<br />
umgeht Manpower den Tarifvertrag<br />
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - das <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen<br />
Manpower hat damit scheinbar kein Problem. Seit 1. Juli 2008 ist die<br />
Tochter „Manpower Equal Treatment GmbH" am Markt. Das sei die<br />
„perfekte Antwort" auf die IG Metall-Kampagne, sagt Thomas Reitz, Chef<br />
von Manpower Deutschland. Was Reitz nicht so gerne sagt: Manpower<br />
hat seit Jahren noch eine zweite Tochter. Und die legt es gezielt darauf<br />
an, Löhne zu unterbieten.<br />
„Wir haben mit unseren Plänen jedoch schon im vergangenen Jahr ange<br />
fangen, bevor von der Gewerkschaftskampagne überhaupt die Rede war",<br />
sagt Reitz über die neue Tochter. Die Verleihfirma wolle schließlich „als<br />
Arbeitgeber attraktiv bleiben".<br />
Wesentlich weniger öffentliches Tamtam macht Manpower mit der älteren<br />
Tochter. Sie wurde gezielt gegründet, um Tarifverträge zu unterbieten. Man<br />
power Deutschland ist Mitglied im Bundesverband Zeitarbeit (BZA). Der hat<br />
mit der DGB-Tarifgemeinschaft einen Tarifvertrag geschlossen. Doch 2005<br />
leitete die Firma ein Manöver ein, um diese Tarifverträge zu umgehen. Als<br />
Steigbügelhalter bot sich die Christliche <strong>Leiharbeit</strong>s-Tarifgemeinschaft CGZP<br />
bereitwillig an.<br />
Die Tochterfirma „Manpower Managed Services GmbH" übernahm bei<br />
Gründung im Mai 2005 die Vereinbarung der „christlichen Gewerkschaften"<br />
mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personatdienstleister (AMP).<br />
Statt 7,02 Euro Stundenlohn in der untersten Entgeltgruppe sind es bei<br />
den „Christlichen" lediglich 6,15 Euro. Die billige Manpower-Tochter kam vor<br />
drei Jahren unter anderem in den Siemens-Fabriken in Kamp-Lintfort und<br />
Bocholt zum Einsatz, wo schon zuvor Manpower-<strong>Leiharbeit</strong>er gearbeitet hat<br />
ten. „Auf einmal standen bei uns ratlose <strong>Leiharbeit</strong>er in der Geschäftsstelle,<br />
die gerade neue Arbeitsverträge in die Hand gedrückt bekommen hatten",<br />
erinnert sich der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Bocholt, Heinz Cholewa.
Statt für Manpower selbst sollten die <strong>Leiharbeit</strong>er für deren Tochterfirma<br />
arbeiten. Manpower wollte sich damals zu entsprechenden Presseberichten<br />
nicht äußern. Die Kritik an dieser Doppelstrategie hatte jedoch Folgen:<br />
Nachdem sich der Betriebsrat der Siemens-Standorte wegen der Mitarbeiter<br />
politik bei Manpower beschwert hatte, beendete Siemens am Standort<br />
Bocholt die Zusammenarbeit mit Manpower.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 71
Menschen zweiter Klasse?<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er: Gemobbt und ausgegrenzt<br />
Marion K.* hat 15 Jahre lang als <strong>Leiharbeit</strong>erin im Büro eines<br />
Spezialfahrzeuge-Herstellers gearbeitet. Sie erzählt:<br />
„Ich bin jahrelang von meinen festangestellten Kollegen gemobbt worden.<br />
Von allem haben sie mich ausgeschlossen, von jedem Treffen. Wenn ich<br />
in den Raum gekommen bin, sind die Gespräche verstummt. Und meine Ideen<br />
haben die Kollegen nie angenommen. Da hieß es immer nur 'Das haben wir<br />
immer so gemacht, das machen wir weiter so.' Anerkennung gab es über<br />
haupt nicht. Nur jeden Tag diese angespannte Atmosphäre. Und immer die<br />
Angst, Fehler zu machen. Ich musste nicht 100 Prozent bringen, ich musste<br />
200 Prozent bringen. Wir waren dort Menschen zweiter Klasse. Einmal war<br />
eine Lampe nicht richtig aufgehängt. Da sagte ein Mitarbeiter: 'Die trifft ja nur<br />
die <strong>Leiharbeit</strong>er, um die wäre es nicht so schade'. Wenn man so was hört,<br />
und dann sieht man noch den Lohnzettel der Festangestellten - das tut weh.<br />
Seelisch war das schon ziemlich belastend. Ich habe jeden Abend geheult.<br />
Aber ich habe mich in meinen Bereich sehr gut eingearbeitet. Da konnte mir<br />
keiner was. Und das hat mich stark gemacht."<br />
Luca V.*, 27, hat als <strong>Leiharbeit</strong>er in verschiedenen Unternehmen gearbeitet,<br />
unter anderem in der Metallbranche. Er erzählt von seinen Erfahrungen als<br />
Lagerarbeiter:<br />
„Die Festangestellten wurden besser behandelt als wir <strong>Leiharbeit</strong>er. Sie<br />
konnten sich Aufträge aussuchen und wir mussten immer den Stapel von<br />
oben abarbeiten. Einmal haben mich ein paar Mitarbeiter ins Büro ge<br />
rufen. Die haben gesagt: Uns ist gerade eine Pflanze runtergefallen, mach<br />
mal den Dreck weg. Das kam ein paar Mal vor, dass ich den Müll raus<br />
tragen musste oder den Dreck wegmachen. Da habe ich mich dann gefragt:<br />
Warum ich? Die kamen sich sehr wichtig vor. Da war immer diese Un<br />
freundlichkeit, besonders gegenüber Leuten, die nicht richtig Deutsch<br />
konnten. Das ist etwas, womit ich gar nicht klar komme.
Da habe ich auch manchmal den Mund aufgemacht, aber es hat nichts<br />
gebracht. Ich wollte auch eine Umschulung machen. Aber beim Arbeitsamt<br />
haben sie gesagt, dafür sei ich zu alt. Da war ich 25! Die wollten mich<br />
einfach nur in <strong>Leiharbeit</strong> stecken."<br />
*Namen geändert<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite
Demo bei Gärtner + Klinger:<br />
Zehn Festangestellte entlassen
Rechentricks gegen Abfindung und Sozialpläne<br />
Ein Unternehmen rechnet sich arm<br />
Weil die Firma Gärtner + Klinger in Asperg bei Ludwigsburg Geld sparen<br />
wollte, ließ sie hinter dem Rücken des Betriebsrats einen Teil ihrer Aufträge<br />
durch günstige <strong>Leiharbeit</strong>er erledigen. Zehn Festangestellte wurden<br />
inzwischen entlassen, weil ihre Abteilung angeblich nicht mehr wirtschaft<br />
lich gearbeitet hätte. Ein Rechentrick, um mühseligen Abfindungen und<br />
Sozialplänen zu entgehen.<br />
Auf einmal waren es 50. Den 110 Festangestellten standen 50 Beschäftigte<br />
von der <strong>Leiharbeit</strong>sfirma WIR gegenüber. Die Anzahl der Neuen bei der<br />
Firma Gärtner + Klinger wuchs schleichend. Es dauerte einige Zeit, bis die<br />
Betriebsräte verstanden, was ihr Arbeitgeber im Schilde führte. Als ihnen<br />
endlich ein Licht aufging, hatte Geschäftsführer Uwe Lange die ersten<br />
Kündigungen bereits ausgesprochen.<br />
Das war im Januar 2008. Auch Rosie M.* wurde entlassen. Viele Jahre hatte<br />
sie für die Firma gearbeitet, nun sollte ihre Aufgabe von <strong>Leiharbeit</strong>ern über<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Die Aufträge gingen nicht zurück, sie wurden<br />
einfach von einer anderen Abteilung erledigt,<br />
nämlich der mit den <strong>Leiharbeit</strong>ern."<br />
nommen werden. Neben ihr wurden inzwischen neun weitere Beschäftigte vor<br />
die Tür gesetzt, offiziell verpackt als „betriebsbedingte" Kündigungen. Denn<br />
Uwe Lange und sein Personalchef wollten nicht nur Geld sparen. Sie wollten<br />
ihre Mitarbeiter auch um ihre Rechte bringen.<br />
Wer in Deutschland eine Firma umstrukturieren will, kann das nicht einfach<br />
so. Er braucht dafür die Zustimmung des Betriebsrats. Und die gibt es in der<br />
Regel nur, wenn gleichzeitig ein so genannter Sozialplan vereinbart wird. Dort<br />
wird vereinbart, wer entlassen werden kann und wie die Abfindungen gere<br />
gelt werden. Dem wollte die Firma Gärtner + Klinger entgehen.
Sie sprach „betriebsbedingte" Kündigungen aus - die aber nur aus wirt<br />
schaftlichen Gründen möglich sind. Argument der Firma: Die Abteilung von<br />
Rosie Müller mache seit einigen Monaten viel zu wenig Umsatz. Statistisch<br />
war das korrekt, doch mit der Realität hatte es nichts zu tun. „Dem Unter<br />
nehmen ging es besser denn je", sagt Markus Büchting, Gewerkschaftssekre<br />
tär der IG Metall in Ludwigsburg. „Die Aufträge gingen nach unseren Infor<br />
mationen nicht zurück, sie wurden einfach von einer anderen Abteilung er<br />
ledigt, nämlich der mit den <strong>Leiharbeit</strong>em." So schien es zwar so, als hätten<br />
Rosie M. und ihre Kollegen tatsächlich weniger zu tun, doch in Wirklichkeit<br />
war das nicht mehr als ein Buchhaltertrick.<br />
Ein <strong>Leiharbeit</strong>er, den sie verdächtigten, dass<br />
er einen Betriebsrat gründen wollte, wurde von<br />
einem Tag auf den anderen seinen Job los.<br />
Die zehn gekündigten Mitarbeiter klagten vor dem Arbeitsgericht gegen<br />
ihre Kündigung, die übrigen gingen auf die Straße. Am 23. April 2008 trafen<br />
sich rund 120 Menschen bei Gärtner + Klinger, um gegen die Kündigungen<br />
zu demonstrieren. Mit dabei war Markus Büchting von der IG Metall. Aber<br />
auch Uwe Werner, Personalchef der Firma, stand mit einem Notizblock am<br />
Rand der Menge und schrieb sich die Namen der Beteiligten auf. Jeder von<br />
ihnen bekam später eine Abmahnung. „Die ist zwar arbeitsrechtlich wir<br />
kungslos, aber es macht den Leuten natürlich Angst", sagt Büchting.<br />
Die Mitarbeiter bei<br />
Gärtner + Klinger<br />
demonstrieren gegen<br />
die Kündigungen
Angst verbreitete auch die <strong>Leiharbeit</strong>sfirma WIR. Ein <strong>Leiharbeit</strong>er, den sie<br />
verdächtigten, dass er einen Betriebsrat bei WIR gründen wollte, wurde sogar<br />
von einem Tag auf den anderen seinen Job los. Die zehn entlassenen Festan<br />
gestellten bei Gärtner + Klinger wurden indes für ihre Standhaftigkeit belohnt.<br />
Sieben, darunter auch Rosie M., bekamen vor Gericht sofort Recht, bei den<br />
übrigen dreien wird noch verhandelt. Die Chancen, dass auch ihre „betriebs<br />
bedingten" Kündigungen zurückgenommen werden, stehen aber gut.<br />
*Name geändert<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 77
«Lei!<br />
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<strong>Leiharbeit</strong>er;
„<strong>Leiharbeit</strong> erhöht den Blutdruck<br />
der gesamten Belegschaft"<br />
Der Soziologe Hajo Holst über die Auswirkungen<br />
von <strong>Leiharbeit</strong> auf das Arbeitsklima<br />
Hajo Holst arbeitet am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirt<br />
schaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort forscht<br />
er über Formen von unsicherer Beschäftigung, zu der auch <strong>Leiharbeit</strong><br />
gehört. Mit seinem Team fährt er zu Unternehmen und befragt <strong>Leiharbeit</strong>er,<br />
Personalchefs und Mitarbeiter der Stammbelegschaft. Unterstützt wird<br />
er von der Otto-Brenner-Stiftung.<br />
Herr Holst, die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren dramatisch<br />
gesunken - auch durch <strong>Leiharbeit</strong>, sagen die Befürworter.<br />
Ich bezweifle, dass viele Arbeitsplätze durch <strong>Leiharbeit</strong> entstanden sind. In<br />
den allermeisten Fällen wurden Arbeitsplätze mit <strong>Leiharbeit</strong>ern besetzt, die<br />
im wirtschaftlichen Aufschwung ohnehin besetzt werden mussten.<br />
Sie stehen <strong>Leiharbeit</strong> recht kritisch gegenüber.<br />
Aber kann <strong>Leiharbeit</strong> auch Sinn machen?<br />
Wenn sie zur Flexibilisierung eingesetzt wird, etwa um Produktionsspitzen<br />
abzudecken oder wenn die Herstellung eines neuen Produktes anläuft, dann<br />
finde ich das prinzipiell in Ordnung. Aber dann sollen die <strong>Leiharbeit</strong>er auch<br />
das gleiche Geld bekommen wie ihre Kollegen von der Stammbelegschaft -<br />
mindestens. Im Grunde müsste man ihnen sogar eine Prämie zahlen, weil sie<br />
für den Betrieb eine wichtige Flexibilisierungsleistung erbringen. Ein Riesen<br />
problem sehe ich aber in den Fällen, wo <strong>Leiharbeit</strong>er dauerhaft eingesetzt<br />
werden und eine Quasi-Stammbelegschaft mit geringeren Rechten bilden.<br />
Denn diese Betriebe nutzen die <strong>Leiharbeit</strong>, um den gesetzlichen Kündigungs<br />
schutz zu umgehen und einen Teil des unternehmerischen Risikos auf die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er abzuwälzen.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
Hajo Holst
<strong>Leiharbeit</strong>er haben ständig den möglichen Verlust ihres Arbeitsplatzes<br />
im Kopf. Nutzen die Arbeitgeber diesen Druck bewusst?<br />
Bewusst machen das nur wenige, aber es wird wohl gerne in Kauf genom<br />
men. Es ist ja so: <strong>Leiharbeit</strong> erhöht den Blutdruck der gesamten Belegschaft.<br />
Die <strong>Leiharbeit</strong>er hoffen ständig, vom Unternehmen eine Festanstellung zu<br />
bekommen. Außerdem haben sie Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Auch<br />
die Mitarbeiter der Stammbelegschaft spüren diesen Druck. Sie wissen:<br />
Der <strong>Leiharbeit</strong>er macht dieselbe Arbeit für meist weniger Geld. Ich habe von<br />
fest angestellten Mitarbeitern gehört, dass ihre Vorgesetzten die Beleg<br />
schaftsgruppen gegeneinander ausspielen: Was ist los mit dir, der Leiharbei<br />
ter schafft viel mehr als du. Aus Sicht des Arbeitgebers steigert diese<br />
Konkurrenzsituation die Produktivität.<br />
„Betriebe nutzen die <strong>Leiharbeit</strong>, um den<br />
gesetzlichen Kündigungsschutz zu umgehen<br />
und einen Teil des unternehmerischen<br />
Risikos auf die <strong>Leiharbeit</strong>er abzuwälzen."<br />
Aber kann der Schuss auch nach hinten losgehen?<br />
Unzufriedene <strong>Leiharbeit</strong>er, viel Druck, eine gespaltene Belegschaft:<br />
Geht das nicht zu Lasten der Produktivität?<br />
Ich denke ja. Bei Fließbandarbeit, zum Beispiel, beobachten wir in den letzten<br />
Jahren kürzere Taktzeiten bei immer höheren Anforderungen an die Arbeit. Da<br />
muss die Stimmung am Fließband gut sein, die Mitarbeiter hoch motiviert.<br />
Wenn das Fließband steht, dann wird es teuer. Ich weiß von Unternehmen, die<br />
da Probleme mit den schlechter bezahlten <strong>Leiharbeit</strong>ern hatten. Manche<br />
zahlen jetzt der gesamten Belegschaft denselben Lohn.<br />
Sie sprechen viel mit Menschen, die schon seit langem <strong>Leiharbeit</strong>er sind.<br />
Welche Folgen hat ihr Beschäftigungsstatus auf das tägliche Leben?<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er leben mit einer großen Unsicherheit. Dadurch wird der Planungs<br />
horizont sehr kurz. Wir sehen bei unseren Studien ganz klar, dass <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
eher zögern, eine Familie zu gründen, mit ihren Partnern zusammenzuziehen<br />
oder sich ein Auto zu kaufen. Das erschwert die gesellschaftliche Teilhabe<br />
ungemein. Wir sehen auch: Je länger die Unsicherheit andauert, desto mehr<br />
verlieren die Arbeitnehmer die Hoffnung auf eine feste Stelle.
Es gibt aber doch auch positive Beispiele. Unternehmen, die allen<br />
Mitarbeitern den gleichen Lohn zahlen. Wie hoch ist deren Anteil?<br />
Ich schätze, dass weniger als zehn Prozent der Firmen den <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
den gleichen Lohn zahlen. Übrigens rechtfertigen viele den Einsatz von Leihar<br />
beitern damit, sie müssten Produktionsspitzen abdecken. Unsere Forschung<br />
zeigt, dass dieser Begriff sehr dehnbar ist. Eine Personalchefin sagte mir mal:<br />
Wir stellen <strong>Leiharbeit</strong>er nur ein, um unsere Produktionsspitzen abzudecken.<br />
Diese Spitze haben wir jetzt schon seit fünf Jahren. Da musste auch sie lachen,<br />
das war schon absurd.<br />
Einige Gewerkschaftsmitglieder kritisieren, die Arbeitsagenturen<br />
gingen zu sehr auf Tuchfühlung mit <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen, das Verhältnis<br />
sei viel zu unkritisch...<br />
Da ist schon was dran. Es gibt Berichte, dass manche Agenturen Arbeits<br />
lose zur Teilnahme an Zeitarbeitsmessen verpflichten. Da kommt die Frage<br />
auf, wie kritisch <strong>Leiharbeit</strong> kommuniziert wird, ob die Agenturen auch über<br />
die Risiken von <strong>Leiharbeit</strong> aufklären. Auf der anderen Seite schaffen die<br />
Agenturen keine Arbeit, sie sind eben nur Vermittler. Oft ist der Anteil der<br />
<strong>Leiharbeit</strong> an den gemeldeten freien Stellen so hoch, dass es schwer wird<br />
für die Agenturen, etwas anderes zu vermitteln.<br />
Wo sehen Sie die Gewerkschaften beim Thema <strong>Leiharbeit</strong>?<br />
Die aktuelle Kampagne ist gut und richtig. Die Gewerkschaften haben aber<br />
für lange Zeit die Augen verschlossen und waren nur an den Bedingungen<br />
für die Stammbelegschaften interessiert. Doch je höher der Anteil der<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er, umso schlechter wird die Verhandlungsposition der Gewerk<br />
schaften. Zwei verschiedene Belegschaftsgruppen senken zum Beispiel<br />
die Streikfähigkeit. Das hat die Gewerkschaften zum Umdenken gebracht.<br />
Auf Dauer werden die Gewerkschaften im Bereich der prekären Beschäfti<br />
gung nur handlungsfähig, wenn es ihnen gelingt, die Gegenüberstellung<br />
zwischen Kern- und Randbelegschaft zu überwinden. Unsere Forschungser<br />
gebnisse zeigen, dass man dauerhafte Verbesserungen für die <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
und die Stammkräfte nur gemeinsam erreichen kann. Allein mit einer klas<br />
sischen Stellvertreterpolitik ist das kaum möglich. Nur in den Betrieben, in<br />
denen die gesamte Belegschaft sensibilisiert ist und <strong>Leiharbeit</strong> als ein<br />
politisches Thema begriffen wird, sind dauerhaft Verbesserungen möglich.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite
Tod eines <strong>Leiharbeit</strong>ers<br />
Das Risiko, einen Arbeitsunfall zu haben,<br />
ist bei <strong>Leiharbeit</strong>ern dreimal so hoch<br />
Die Uhr zeigt 3:20, als Helmut Cremer seinen Sohn zum letzten Mal sieht.<br />
Durch die Klappe in der Müllpresse kann er den zermalmten Körper des<br />
21-jährigen erkennen. Stefan war erst seit kurzem bei der Firma tätig. Ein<br />
Verleihunternehmen hatte ihn geschickt.<br />
Stefan Cremer war arbeitslos und deshalb froh, endlich einen Job zu bekom<br />
men. Ausgerechnet sein Vater, der bei der Firma Gewerbeabfallsortierung und<br />
Verwertung Gesellschaft (GVG) in Köln-Niehl als Fahrer beschäftigt war, hatte<br />
ihm zu dem Job verholfen. Da die GVG nur <strong>Leiharbeit</strong>er wollte, fragte Cremer<br />
Uwe Jentsch, den Vorarbeiter des Verleihers Innovative Dienstleistungen Habers<br />
(IDH), mit dem die GVG zusammen gearbeitet hat. Jentsch hatte Erfolg und so<br />
kamen fest angestellter Vater und entliehener Sohn nun häufig zusammen zur<br />
Arbeit.<br />
Auch wenn der Lohn gering war - 6,80 Euro in der Stunde - strengte Stefan<br />
sich bei der Arbeit an; er wollte den Staplerführerschein machen und hoffte,<br />
später wie sein Vater doch irgendwann einen festen Arbeitsvertrag zu be<br />
kommen. In der Unfall-Nacht sah Helmut Cremer seinen Sohn noch kurz nach<br />
zwei Uhr an der Papier- und Kartonpresse. Schon an den beiden Vortagen<br />
sei er dort eingesetzt worden, erinnert sich der Vater.<br />
Die Firma dagegen sagt, der junge <strong>Leiharbeit</strong>er hätte ausschließlich<br />
als Reiniger und Sortierer arbeiten dürfen und auch so gearbeitet. Einer der<br />
Widersprüche, die den Vater ärgern. Unklar ist auch, ob es eine fachliche<br />
inweisung gab. Das Einweisungsprotokoll und die Unterschrift von Stefan<br />
remer seien manipuliert worden, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Der<br />
erleiher bestreitet dies und verweist auf ein Schriftgutachten.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite<br />
Stefan Cremer (t)<br />
.Manchmal sind <strong>Leiharbeit</strong>er mitten in der Nacht<br />
angekarrt worden, die dann ohne Einarbeitung<br />
und Unterweisung arbeiten mussten."
Vorarbeiter Uwe Jentsch bleibt bei seiner Kritik: Weder der Verleiher noch<br />
der Entleiher hätten Wert auf eine korrekte Sicherheitsbelehrung gelegt.<br />
Manchmal seien IDH-<strong>Leiharbeit</strong>er „mitten in der Nacht angekarrt worden, die<br />
dann ohne Einarbeitung und Unterweisung arbeiten mussten". Und so sei<br />
es immer wieder zu einer Reihe von Verstößen gekommen. Er habe dies<br />
seinem Chef mehrmals gesagt und um Abhilfe gebeten. Vergeblich. Noch in<br />
seiner Probezeit habe sich das Unternehmen deshalb von ihm getrennt -<br />
kurz vor der Todesnacht.<br />
„Das Risiko, als <strong>Leiharbeit</strong>er einen Arbeitsunfall<br />
zu erleiden, ist drei mal so hoch wie bei<br />
Beschäftigten mit festen Arbeitsverhältnissen."<br />
Wie es genau zum Unfall an der Müllpresse kommen konnte, weiß niemand.<br />
Zeugen gibt es nicht. Klar ist, dass Stefan Cremer an der gefährlichen An<br />
lage nicht hätte eingesetzt werden dürfen, schon gar nicht alleine. „Doch wäh<br />
rend der Nachtschicht dieser Woche arbeiteten ohnehin nur sieben Männer",<br />
erinnert sich Vater Helmut, „sonst waren es drei- bis viermal so viele". Für die<br />
Bedienung der Presse sei wegen der Unterbesetzung nur ein Kollege in<br />
Frage gekommen: sein Sohn. Bereits in den beiden Nächten vor dem Unfall<br />
war er dazu eingeteilt. Stefan Cremer musste auch den Gabelstapler fahren -<br />
obwohl er noch keinen Führerschein hatte. Ein weiterer Verstoß gegen<br />
Sicherheitsvorschriften.<br />
Die Anlage arbeitete nach Ansicht der Experten einwandfrei. Allerdings war<br />
die Lichtschranke im Pressenraum verdreckt, so dass sich die Presse auch<br />
ohne Zufuhr von Papier ständig hin und her bewegte. Auch zur Unfallzeit.
Man vermutet mittlerweile, dass der Trichter über dem Pressenraum verstopft<br />
war und Stefan ihn frei machen wollte. Wie und warum er in die Presse<br />
rutschte, ist unklar.<br />
Doch auch dies hätte mit einer einfachen Funktechnik verhindert werden<br />
können: Eine Transponder-Sicherung bringt dann das stählerne Ungetüm bei<br />
Gefahr zum Stillstand. Das funktioniert wie bei der Diebstahlsicherung im<br />
Schuhgeschäft: Wenn man den Laden mit neuen Schuhen verlässt ohne be<br />
zahlt zu haben, piepst es. In etlichen Firmen wird diese Technik eingesetzt.<br />
Gefährdete Personen tragen die Sender, die etwa doppelt so groß sind wie ein<br />
Feuerzeug, meist an der Hose. Die Verantwortlichen der Firma GVG - Eigen<br />
tümer sind die Firma Remondis und die Stadt Köln - sahen dafür keine Not<br />
wendigkeit. „Das ist leider nicht der erste Todesfall dieser Art", sagt<br />
ver.di-Vorstandsmitglied Erhard Ott. „Einige Unternehmen scheuen offenbar<br />
die Kosten für ein derartiges Sicherheitssystem. Doch offensichtlich ist<br />
das Leben von Arbeitern und - mehr noch - das Leben von <strong>Leiharbeit</strong>ern in<br />
unserer Gesellschaft nicht viel wert", empört sich Ott.<br />
Arbeitsschutz wird in der <strong>Leiharbeit</strong> ohnehin nicht groß geschrieben - auch<br />
wenn es längst nicht immer tödlich endet. Das Risiko, als <strong>Leiharbeit</strong>er einen<br />
Arbeitsunfall zu erleiden, sei drei mal so hoch wie bei Beschäftigten mit<br />
festen Arbeitsverhältnissen, sagt die Soziatwissenschaftlerin Tatjana Fuchs<br />
vom Internationalen Institut für empirische Sozialforschung. Sie beruft<br />
sich dabei auf interne Statistiken, die die Berufsgenossenschaften bisher<br />
nicht veröffentlichen wollen.<br />
Die Berufsgenossenschaft Elektro Textil Feinmechanik räumt immerhin<br />
ein, dass <strong>Leiharbeit</strong>er „viel häufiger Arbeitsunfälle als die sonstigen Mitar<br />
beiter eines Betriebes" haben.<br />
Helmut Cremer ist sich sicher, dass Stefan noch leben könnte, wenn der<br />
Verleiher und der Entleiher seines Sohnes mehr auf die Sicherheit geachtet<br />
hätten. Enttäuscht ist Cremer von der Kölner Staatsanwaltschaft. Sie mus<br />
ste das bereits eingestellte Ermittlungsverfahren zwar nach kritischen Veröf<br />
fentlichungen erneut eröffnen, hat es aber mittlerweile wieder eingestellt.<br />
Und dies ohne mit einem der Belastungszeugen auch nur zu sprechen, dem<br />
ehemaligen Vorarbeiter Uwe Jentsch. Helmut Cremer fragt sich deshalb,<br />
ob <strong>Leiharbeit</strong>er jetzt auch schon vor der Justiz Menschen zweiter Klasse sind.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite
Leben mit der Angst<br />
Ausnahme Übernahme<br />
Mohamed Z*. ist ein Branchenkenner. Der 30jährige hat für mehr als<br />
20 <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen gearbeitet, war in über 30 Entleihbetrieben eingesetzt:<br />
Montage in einer Fabrik für Autofedern, Ware verpacken, Steine schleppen,<br />
alles. Dabei wollte er nur, was <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen so oft versprechen -<br />
einen festen Job.<br />
Herr Z., Sie haben innerhalb von fünf Jahren in 30 verschiedenen Betrieben<br />
gearbeitet. Warum?<br />
Ich habe immer versucht, eine Festanstellung zu bekommen. Jedes Mal, wenn<br />
ich ein paar Wochen gearbeitet hatte, habe ich den Chef gefragt: Habe ich<br />
eine Chance, irgendwann?<br />
Aber es hat nie geklappt?<br />
Nein. Manche haben gesagt, ich könnte nur <strong>Leiharbeit</strong> machen bei der Firma.<br />
Das war oft so. Dann habe ich gekündigt und immer weiter gesucht.<br />
Waren Sie mal nah dran an einem festen Job?<br />
Einmal. Da haben sie zu mir gesagt: Wir nehmen dich. Doch dann haben<br />
sie einen anderen Kollegen genommen. Aber ich habe es immer weiter<br />
versucht. Manchmal habe ich über 100 Bewerbungen pro Jahr geschrieben.<br />
Aber meistens habe ich noch nicht einmal eine Antwort bekommen.<br />
Deshalb sind Sie in der <strong>Leiharbeit</strong> geblieben.<br />
Ja, aber das ging auch manchmal schief. Einmal hatte die Firma, an die<br />
ich verliehen war, keine Arbeit mehr. Eigentlich muss mir dann die Zeitarbeits<br />
firma einen neuen Job geben. Aber die Sekretärin hat nur gesagt: Tut mir<br />
leid, geht nicht, wir melden uns vielleicht irgendwann. Jetzt muss ich dir kün<br />
digen, sonst kostet es jeden Tag Geld.
Hat sie sich noch mal gemeldet?<br />
Nein. Das passiert oft bei <strong>Leiharbeit</strong>.<br />
Dann haben Sie aber wenigstens Unterstützung von der Arbeitsagentur<br />
bekommen?<br />
Nein. Ich bin nicht zur Arbeitsagentur gegangen. Wenn sie etwas von dir<br />
wollen, dann musst du immer da sein. Aber wenn du was brauchst, dauert es.<br />
Und wer selbst kündigt, wird mit Sperrzeiten bestraft, in denen es kein Geld<br />
gibt. Ich warte nicht auf diese Helfer von der Arbeitsagentur. Ich habe immer<br />
Gas gegeben, habe überall einen Job gesucht, in ganz Nordrhein-Westfalen.<br />
Bis zu 100 Kilometer bin ich gefahren. Obwohl man das Fahrgeld manchmal<br />
selbst bezahlen muss. Die Hauptsache ist: Ich muss mich in meiner Seele und<br />
in meinem Körper immer frei fühlen.<br />
Trotzdem muss der Mensch doch etwas essen, und das kostet Geld.<br />
Stimmt, aber mit Geld hatte ich nie Probleme. Als ich bei der ersten Leih<br />
arbeitsfirma angefangen habe, hatte ich noch ein bisschen Geld von meiner<br />
früheren Arbeitsstelle in einer Pizzeria gespart. Davon habe ich gelebt,<br />
wenn ich keine Anstellung hatte. Und später war ich immer nur kurz arbeits<br />
los. Mir ist es egal, ob ich für vier Euro oder fünf Euro pro Stunde arbeite.<br />
Hauptsache, ich habe was in der Tasche. Ob dreckiger Job oder sauberer Job,<br />
egal. Ich habe auch mal als Toilettenmann gearbeitet.<br />
Aber vielleicht hätte es bessere Jobs gegeben.<br />
Ich habe ja versucht, einen neuen Ausbildungsplatz zu bekommen. Bei<br />
der Arbeitsagentur habe ich zwei Tests gemacht. Aber die sagten, das sei nur<br />
Routine, und auf einen Ausbildungsplatz müsse ich lange warten.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Dann fühle ich mich wie ein Sklave: Man hat<br />
nichts zu sagen. Man muss einfach nur arbeiten,<br />
du bist nur für diese Zeitarbeitsfirma da."
Sie haben eine Ausbildung in einer Textilienschneiderei gemacht. Hat Ihnen<br />
das bei ihren verschiedenen Aufgaben als <strong>Leiharbeit</strong>er geholfen?<br />
Nein, gar nicht. Da habe ich immer als Lagerarbeiter oder Lagerist oder<br />
im Versand gearbeitet. Damit kenne ich mich gut aus. Bei manchen Jobs habe<br />
ich nur drei Tage gebraucht, dann war ich schon drin. Aber bei Montage ist<br />
es in jedem Betrieb anders. Da muss man immer bei Null anfangen. Und bei<br />
manchen Firmen habe ich nur drei oder vier Tage gearbeitet. Oft zeigen die<br />
Kollegen dir zwei Stunden lang, wie es geht, und dann gehen sie einfach weg.<br />
Und erwarten von dir, dass du alles perfekt machst.<br />
Und wenn Sie es dann perfekt konnten, mussten Sie wieder weg.<br />
Ja, das ist einfach immer so. Deshalb hatte ich auch kaum Kontakte zu meinen<br />
Kollegen. Vielleicht ein bisschen, wenn ich mehr als drei Wochen in einem Job<br />
geblieben bin. Aber das ist dann bald wieder auseinander gegangen.<br />
Und die Vorgesetzten bei den <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen?<br />
Manche waren in Ordnung, aber manche haben auch so laut und aggressiv<br />
mit mir gesprochen. Das mag ich nicht. Dann fühle ich mich wie ein Sklave:<br />
Man hat nichts zu sagen. Man muss einfach nur arbeiten, du bist nur für diese<br />
Zeitarbeitsfirma da. „Nein" gibt es nicht. Außerdem gibt es viele Tricks beim<br />
Arbeitsvertrag.<br />
„Ich hab mich nie gut gefühlt bei Zeitarbeit.<br />
Weil du nie sicher bist."<br />
Was für Tricks waren das?<br />
Wenn zum Beispiel im Vertrag stand, dass die Überstunden ausbezahlt<br />
werden, habe ich eine Menge Überstunden gemacht. Am Ende des Monats<br />
habe ich gefragt: Wo ist das Geld? Antwort: Leider können wir das nicht<br />
bezahlen, aber du kriegst Urlaub. Und wenn ich um Urlaub gebeten habe:<br />
Momentan geht das nicht. Zu viel zu tun.
Wie sind Ihre Familie und Ihre Freunde mit dieser Unsicherheit umgegangen?<br />
Ich hab mich nie gut gefühlt bei <strong>Leiharbeit</strong>. Weil du nie sicher bist. Du kannst<br />
keine feste Beziehung aufbauen, keine Familie. Du arbeitest heute hier,<br />
morgen woanders. Heute verdienst du sieben Euro, morgen vielleicht fünf.<br />
Heute arbeitest du, morgen bist du arbeitslos. Dann musst du wieder bei Null<br />
anfangen. Und selbst wenn man Arbeit hat: 700 bis 900 Euro netto reichen<br />
vielleicht für eine Person. Nicht für zwei.<br />
*Name geändert<br />
Schlechte Noten für <strong>Leiharbeit</strong><br />
<strong>Leiharbeit</strong> — die schwa<br />
Anteil der Arbeitnehmer/-innen, die Teilzeitarbeit,<br />
befristete Beschäftigung und <strong>Leiharbeit</strong><br />
mit „negativ" oder „sehr negativ" bewertet haben<br />
befristete<br />
Teilzeit Beschäftigung <strong>Leiharbeit</strong><br />
13,7%<br />
Quelle: Ostner/Kühnel/Ebert,<br />
49,1%<br />
Repräsentative Telefonumfrage bei 2000 Haushalten, 2004<br />
©Hans-Böckler-Stiftung
Landkarte der <strong>Leiharbeit</strong><br />
Prozentualer Anteil der Leih-<br />
arbeiter/-innen an den sozialver<br />
sicherungspflichtig Beschäf<br />
tigten in Landkreisen und kreis<br />
freien Städten in Deutschland<br />
< 2 Prozent<br />
mm 2-4 Prozent<br />
4-6 Prozent<br />
6-8 Prozent<br />
8-10 Prozent<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Juni 2007
„Ich hab die Hoffnung aufgegeben"<br />
<strong>Leiharbeit</strong> im Osten: Eine Reise durch<br />
Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen<br />
Die Suche nach einem Mann, der den <strong>Leiharbeit</strong>ern in Ostdeutschland<br />
ein Gesicht gibt, führt auf eine Parkbank in Merseburg. Da sitzt Uwe S.*,<br />
raucht billige Zigaretten vom Discounter und sagt: „Das hat doch alles<br />
keinen Sinn mehr."<br />
Der Mann aus Sachsen-Anhalt ist Mitte vierzig, aber er sieht aus wie Mitte<br />
sechzig. Die Arbeit hat ihn gezeichnet. Er reinigt die Leitungen von Chemiewer<br />
ken, manchmal muss er in Tanks krabbeln und sie von innen sauber machen,<br />
manchmal sieht er seine Familie für Wochen nicht, weil er auf Einsatz ist. Im<br />
Moment ist Uwe S. krank geschrieben. Vor der Wende hat er in Osteuropa<br />
an Öl-Pipelines gearbeitet, im Winter, bei minus 40 Grad. „Das war hart", sagt<br />
Uwe S. „Aber damals habe ich wenigstens einen vernünftigen Lohn bekom<br />
men." Heute basiert sein Gehalt auf einem <strong>Leiharbeit</strong>s-Tarifvertrag der „christ<br />
lichen Gewerkschaften". „Davon kann ich kaum leben", sagt Uwe S.<br />
Geschichten wie diese gibt es viele in Ostdeutschland. Denn hier ist die<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
In der Metallbranche in Sachsen-Anhalt liegt<br />
der Anteil von <strong>Leiharbeit</strong>ern bei 15 Prozent, im<br />
benachbarten Niedersachsen bei 5,2 Prozent.<br />
Arbeitslosigkeit besonders hoch, die Löhne sind niedriger als im Westen. Und:<br />
In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen liegt der Anteil der <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
an den Beschäftigten höher als im Bundesdurchschnitt. Nach einer Statistik<br />
der Bundesagentur für Arbeit befinden sich unter den 15 deutschen Städten<br />
mit dem höchsten <strong>Leiharbeit</strong>eranteil acht Städte aus diesen neuen Bundes<br />
ländern: Eisenach, Dessau, Gera, Zwickau, Halle, Sonneberg, Plauen und Erfurt.<br />
So lag der Anteil in Eisenach bei 9,7 Prozent im Juni 2007, bundesweit sind<br />
es rund 2 Prozent. Zwar verweisen die Statistiker der Arbeitsagenturen darauf,<br />
dass die Zahlen nur den Sitz der <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen erfassen, nicht den Wohn-<br />
und Einsatzort der <strong>Leiharbeit</strong>er.
Es besteht jedoch kaum ein Zweifel, dass der <strong>Leiharbeit</strong>eranteil in den<br />
meisten Regionen Ostdeutschlands deutlich höher ist als im Westen. So<br />
kommt die IG Metall in einer Umfrage für die Metallbranche in Sachsen-Anhalt<br />
auf einen Anteil von 15 Prozent im Jahr 2007. Der Schnitt im benachbarten<br />
Niedersachsen liegt bei 5,2 Prozent.<br />
Sein Lebenslauf liest sich wie ein<br />
Überlebenskampf gegen die Arbeitslosigkeit.<br />
Der Soziologe Hajo Holst aus Jena versucht solche Zahlen wissenschaftlich<br />
zu erklären. „Im Osten ist die Akzeptanz von <strong>Leiharbeit</strong> insgesamt höher",<br />
sagt Holst. Hier gebe es eine Vielzahl von neuen Betrieben, die schon seit der<br />
Gründung <strong>Leiharbeit</strong>er angestellt hätten. „Da sind die Widerstände natürlich<br />
geringer." Dazu käme die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. „Wenn der Weg<br />
zu einem neuen Job über Monate blockiert ist, dann gibt es oft gar keine<br />
andere Möglichkeit, als es mit <strong>Leiharbeit</strong> zu probieren", so der Wissenschaft<br />
ler. „Viele schlagen sich durch, von einem <strong>Leiharbeit</strong>sjob zum Nächsten."<br />
Genauso geht es Stephan B.* Er ist 32, seine Frau hat gerade Zwillinge be<br />
kommen, er wohnt mit ihr in einem Vorort von Leipzig. „Zeitbude" sagt er zu<br />
einer <strong>Leiharbeit</strong>sfirma und sein Lebenslauf liest sich wie ein Überlebens<br />
kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Seit 1996 hat Stephan für 15 „Zeitbuden" ge<br />
arbeitet, zehn Mal wurde er arbeitslos. Mal schickten die <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen<br />
den gelernten Schweißer zum Fegen, mal musste er Tiefkühlbrötchen eintüten.<br />
„Das gleiche Geld wie die fest Angestellten habe ich nie bekommen." Sein<br />
niedrigster Lohn lag bei 4,97 Euro. Seinen einzigen gut bezahlten Job hatte er<br />
bei MAN - im Westen, in München. 15 Euro bekam er da pro Stunde. „Ich<br />
hab die Schnauze voll und die Hoffnung aufgegeben", sagt Stephan B. und<br />
erzählt, dass seine Frau und er noch nie in den Urlaub gefahren sind.<br />
Seit 2003 haben die Menschen in Jena eine sehr schöne Arbeitsagentur. Sie<br />
liegt direkt an der Saale und bietet einen schönen Blick auf die Altstadt auf der<br />
anderen Seite des Flusses. Unten im Foyer stehen Computer, die die aktuellen<br />
Stellenangebote für Jena ausspucken. Zwar ist Jena in Thüringen kein Spitzen<br />
reiter beim Anteil der <strong>Leiharbeit</strong>.
Doch auch hier erscheinen viele <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen auf dem Bildschirm:<br />
Die „Akzent Personaldienstleistungen" sucht einen Gabelstaplerfahrer.<br />
„Tertia" sucht Helfer, die „gute Kenntnisse im Regalauffüllen" haben.<br />
Im vierten Stock sitzt Agenturleiter Ulrich Gawelleck und sagt, dass „Zeit<br />
arbeit eine ganz normale Beschäftigungsform" sei. Politische Statements gibt<br />
es von ihm zunächst nicht, er darf das nicht, er ist Beamter. „Ich habe gesetz<br />
liche Bestimmungen und da muss ich mich dran halten", sagt Gawelleck.<br />
Irgendwann aber sagt er: „Natürlich hat man nicht immer die besten Gefühle,<br />
wenn man Menschen in Zeitarbeit vermittelt." In der aktuellen Lage sei<br />
man aber über jeden vermittelten Arbeitnehmer froh.<br />
„Natürlich hat man nicht immer die<br />
besten Gefühle, wenn man Menschen<br />
in Zeitarbeit vermittelt."<br />
Auf so eine vermeintliche Erfolgsstory verweist auch die Firma Faurecia,<br />
die in Leipzig die Autositze für BMW herstellt. Personalleiterin Elke Büchner<br />
führt durch die Werkshalle, am Band stehen meist junge Männer. „Die haben<br />
wir alle aus der Arbeitslosigkeit geholt", sagt Büchner. Rund 30 Prozent der<br />
Belegschaft sind <strong>Leiharbeit</strong>er. Sie tragen die selbe Arbeitskleidung, machen<br />
denselben Job. Büchner zeigt mit dem Finger: „<strong>Leiharbeit</strong>er, Stammbeleg<br />
schaft, <strong>Leiharbeit</strong>er" und so weiter. Noch bis vor kurzem verdienten die Leihar<br />
beiter bis zu 600 Euro weniger pro Monat. Das ist heute anders. Der Faurecia-<br />
Betriebsrat erreichte, dass beide Belegschaftsteile denselben Stundenlohn<br />
erhalten. „Das tut uns finanziell weh", sagt Faurecia-Geschäftsführer Joachim<br />
Sauer. „Aber so niedrige Löhne, wie wir sie damals gezahlt haben, passen<br />
nicht mehr in unsere Zeit. Die Löhne in Ostdeutschland sind ohnehin sehr tief."<br />
Eine solche Äußerung ist bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert bei Faurecia<br />
ist der fast bedingungslose Einsatz der Stammbelegschaft für die <strong>Leiharbeit</strong>er.<br />
Der Grund: Fast alle heute fest angestellten Faurecia-Mitarbeiter fingen als<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er an. Der Autozulieferer verweist mit Stolz darauf, viele <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
in einen festen Job gebracht zu haben. Doch auch Faurecia verschweigt nicht:<br />
Der immer noch hohe Anteil an <strong>Leiharbeit</strong>ern dient der Absicherung vor schlech<br />
teren Zeiten. Sollte die Produktion einbrechen, kann sich Faurecia sehr schnell<br />
von den <strong>Leiharbeit</strong>ern trennen. „In unserer schnelllebigen Branche brauchen<br />
wir das", sagt Sauer.<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die schwarze Seite 93
Den <strong>Leiharbeit</strong>ern gefällt das nicht, aber sie trauen sich nicht, das einem<br />
Besucher der Fabrik zu sagen. Beim Werksrundgang sind die Stammbeschäf<br />
tigten leicht zum Gespräch bereit. Die <strong>Leiharbeit</strong>er entfernen sich schnell.<br />
Trotzdem können sich die Faurecia-<strong>Leiharbeit</strong>er relativ glücklich schätzen.<br />
Denn den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft bekommt in Ostdeutsch<br />
land nur ein Bruchteil der <strong>Leiharbeit</strong>er. Sozialforscher Holst schätzt, dass<br />
weniger als zehn Prozent der Unternehmen gleichen Lohn für gleiche Arbeit<br />
zahlen. „Wir kämpfen weiter für faire Löhne", sagt Günter Meißner, erster<br />
Bevollmächtigter der IG Metall in Halle. Auch den Anteil der <strong>Leiharbeit</strong> wolle<br />
man senken. Aber gerade das sei nicht so leicht. „Die hohe Arbeitslosigkeit<br />
im Osten führt einfach dazu, dass sich die Mitarbeiter viel gefallen lassen.<br />
Viele Unternehmen nutzen das aus", meint der Gewerkschafter. „Wir haben<br />
noch viel zu tun."<br />
*Namen geändert
<strong>Leiharbeit</strong> - die schwarze Seite<br />
„Wir haben noch viel zu tun" - so steht<br />
es im letzten Satz des schwarzen Teils über<br />
<strong>Leiharbeit</strong>.<br />
Die IG Metall tut was: Sie setzt sich ein für<br />
die Interessen der Stammbelegschaften und der<br />
<strong>Leiharbeit</strong>skräfte. In den Betrieben, in der Wirt<br />
schaft und in der Gesellschaft. Sie macht Druck<br />
auf die Arbeitgeber, auf ihre Verbände und<br />
auf die Politik. Rund 2,3 Millionen Mitglieder der<br />
IG Metall stehen für die Forderung:<br />
Gleiche Arbeit - Gleiches Geld.
»N31I3S I3MZ<br />
IVH sanv"<br />
„Alles hat zwei Seiten" - so heißt es.<br />
Das trifft auf die <strong>Leiharbeit</strong> zu. Und auch auf<br />
dieses Buch. Es hat eine schwarze und eine<br />
weiße Seite.<br />
Über die weiße Seite der <strong>Leiharbeit</strong> berichtet<br />
der andere Teil dieses Buches.<br />
Er handelt von den Erfolgen, die hauptamtliche<br />
Gewerkschafter, Betriebsräte und Vertrauens<br />
leute errungen haben. Das funktioniert nie im<br />
Alleingang, sondern nur solidarisch mit vielen<br />
gemeinsam. Und natürlich nur gemeinsam mit<br />
den <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>ern.<br />
Der weiße Teil des Buches handelt auch von<br />
Kolleginnen und Kollegen, die sich tagtäglich<br />
dafür einsetzen, dass die <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden. Und von<br />
kleinen Schritten auf dem Weg dahin. Kleine<br />
Schritte, die aber dennoch wertvoll sind. Dieser<br />
Teil handelt auch von Betriebsräten, die Leih<br />
arbeit gar nicht erst zulassen wollen, weil sie<br />
Beschäftigte lieber in festen oder befristeten<br />
Arbeitsverhältnissen sehen als in ungeschützter<br />
<strong>Leiharbeit</strong>. Und von <strong>Leiharbeit</strong>ern, die tatsächlich<br />
als Stammbeschäftigte übernommen werden<br />
konnten.<br />
Die Berichte sollen zeigen: Gemeinsam<br />
können wir viel erreichen. Sie machen Mut, sich<br />
weiter für „Gleiche Arbeit - Gleiches Geld"<br />
einzusetzen.
WEISSBUCH<br />
LEIHARBEIT<br />
ISBN 978-3-00-025633-2
<strong>Leiharbeit</strong> als Lohndumping:<br />
In vielen Betrieben sind <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
Beschäftigte zweiter Klasse.<br />
Unsicherer Status, geringeres<br />
Einkommen, weniger Urlaub.<br />
Das ist ein Skandal.<br />
„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld":<br />
Wenn man <strong>Leiharbeit</strong> zulässt,<br />
dann muss dieser Grundsatz gelten.<br />
Die bundesweite Kampagne der<br />
IG Metall will <strong>Leiharbeit</strong> fair gestalten.<br />
Überall. Das ist unser Ziel.<br />
Gemeinsam in die Offensive:<br />
Für berufliche Sicherheit.<br />
Für eine gerechte Arbeitswelt.<br />
Und für eine starke Gewerkschaft.<br />
Das ist unser Auftrag.<br />
www.gleichearbeit-gleichesgeld.de<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
IG Metall Vorstand<br />
Redaktion<br />
Robert Fuß<br />
Mitarbeit<br />
Hermann G. Abmayr, lens-Jean Berger,<br />
Simone Ebel-Schmidt, Benjamin Hammer,<br />
Jork Herrmann, Melanie Hofmann,<br />
Johannes Pennekamp, Eva-Maria Simon<br />
Fotos<br />
Werner Bachmeier, Manfred Vollmer,<br />
kp works. Berlin<br />
Konzept und Gestaltung<br />
kp works. Berlin<br />
Druck<br />
apm, Darmstadt<br />
Produkt-Nr.<br />
14086-21029<br />
© September 2008
WEISSBUCH<br />
LEIHARBEIT<br />
GLEICHE ARBEIT<br />
GLEICHES GELD<br />
<strong>Leiharbeit</strong><br />
fair gestalten.
VORWORT<br />
„Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf<br />
gleichen Lohn für gleiche Arbeit". Dieses Zitat<br />
stammt aus der Allgemeinen Erklärung der<br />
Menschenrechte von 1948. Bei der <strong>Leiharbeit</strong><br />
wird dieses Menschenrecht in Deutschland<br />
tagtäglich verletzt. Hunderttausendfach.<br />
Deshalb klagen wir an: Wir nehmen es nicht<br />
hin, dass <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen bei gleicher Arbeit<br />
im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent weniger als<br />
Stammbelegschaften verdienen. Wir nehmen es<br />
nicht hin, dass es Menschen erster und zweiter<br />
Klasse geben soll. Und wir nehmen es nicht hin,<br />
dass Unternehmen <strong>Leiharbeit</strong> missbrauchen,<br />
um Stammbelegschaften zu ersetzen und unter<br />
Druck zu setzen. Das ist die schwarze Seite<br />
der <strong>Leiharbeit</strong>, die wir in diesem Schwarzweiß<br />
buch anprangern.<br />
Detlef Wetzel<br />
2. Vorsitzender<br />
der IG Metall<br />
Aber es gibt auch eine andere Seite: In vielen<br />
Fällen setzen sich Betriebsräte und Vertrauens<br />
leute für die <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
ein. Weil ihnen das Schicksal derjenigen nicht<br />
egal ist, die mit ihnen tagtäglich ihre Arbeit ver<br />
richten. In vielen Fällen konnten sie bereits Re<br />
gelungen durchsetzen, um die Situation der Leih<br />
arbeiterinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er zu verbessern.<br />
Die Bandbreite dieser Vereinbarungen ist groß:<br />
Sie reicht von deutlichen Einkommenserhö<br />
hungen bis zur vollständig gleichen Bezahlung<br />
(„Equal pay"). Aber es gibt auch kleine Erfolge:<br />
Etwa wenn die <strong>Leiharbeit</strong>skräfte nicht mehr<br />
den erhöhten Kantinenpreis bezahlen müssen,<br />
sondern ihr Essen genauso bezuschusst wird<br />
wie das der Stammbelegschaft.<br />
Die IG Metall hat auf dem Gewerkschaftstag<br />
im November vergangenen Jahres ihr „Leipziger<br />
Signal" beschlossen. Wir hatten uns vorge<br />
nommen, 200 „Besser"-Vereinbarungen in den<br />
Betrieben abzuschließen. Bis August 2008<br />
hatten wir 328 solcher Vereinbarungen geschlos<br />
sen. Das Ziel, das wir uns selbst gesetzt hatten,<br />
ist also mehr als erfüllt. Auch unser anderes Ziel<br />
werden wir erreichen: Wir hatten uns vorge<br />
nommen, im Jahr 2008 mindestens 10.000 neue<br />
Mitglieder unter den <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und<br />
<strong>Leiharbeit</strong>ern zu gewinnen. Mehrere Tausend<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er sind bereits der IG Metall bei<br />
getreten.
Auf diesem Weg werden wir weitermachen.<br />
Wir wollen konkrete Verbesserungen für die Leih-<br />
arbeitsbeschäftigten erreichen. Dabei ist aber<br />
auch der Einsatz der <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und Leih<br />
arbeiter gefragt: ihr Handeln, ihr Beitritt zur<br />
IG Metall. Denn eine Gewerkschaft ist nur stark<br />
im Handeln, wenn sie eine starke Mitglieder<br />
basis hat. Verbesserungen für die <strong>Leiharbeit</strong>neh-<br />
mer/-innen können wir nur mit ihnen zusammen<br />
erreichen, nie stellvertretend für sie.<br />
Bei der <strong>Leiharbeit</strong> ist obendrein die Politik ge<br />
fordert: Sie hat die Gesetze geschaffen, die<br />
seit 2004 zu einer dramatischen Ausweitung der<br />
<strong>Leiharbeit</strong> geführt haben. All denen, die sich<br />
dafür einsetzen, diese Regeln wieder im Sinne<br />
der Beschäftigten zu verbessern, wollen wir<br />
Fakten und Argumente an die Hand geben.<br />
Wir lassen nicht locker. „Gleiche Arbeit -<br />
Gleiches Geld" ist Menschenrecht. Wir wollen,<br />
dass es durchgesetzt wird. Dieses Schwarz<br />
weißbuch soll ein Beitrag dazu sein.<br />
Detlef Wetzel<br />
2. Vorsitzender<br />
der IG Metall<br />
Vorwort
INHALT<br />
SICHERHEIT,<br />
GERECHTIGKEIT, GEWERKSCHAFT<br />
Die Arbeit der IG Metall-8<br />
<strong>Leiharbeit</strong> fair gestalten.<br />
„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld"<br />
Die Kampagne der IG Metall-9<br />
Aktiv für Gerechtigkeit<br />
Vereinbarungen decken 27 Prozent<br />
der Beschäftigten ab-18<br />
Zehn Argumente für die Kampagne<br />
der IG Metall zur <strong>Leiharbeit</strong><br />
<strong>Leiharbeit</strong> kann besser werden -<br />
mit der IG Metall-20
LEIHARBEIT - DIE WEISSE SEITE<br />
Fairness ist machbar-24<br />
Ein Happy End für Ruslan -<br />
dank Betriebsrat und IG Metall<br />
Erst gab's mehr Geld -<br />
und dann die Festanstellung -25<br />
„Wenn schon <strong>Leiharbeit</strong>, dann fair"<br />
So muss <strong>Leiharbeit</strong> aussehen:<br />
Gleiche Bedingungen, gleicher Lohn-28<br />
Den Missbrauch abgestellt<br />
Planstelle statt Mini-Job-30<br />
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit<br />
Friedhelm Adam setzt sich für die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>nehmer in seinem Betrieb ein-33<br />
„Nur für Super-Notfälle - aber wir sind da"<br />
Betriebsratsarbeit ist dringend nötig -<br />
auch unter erschwerten Bedingungen -36<br />
Ohne <strong>Leiharbeit</strong> geht's auch<br />
Zeitverträge statt <strong>Leiharbeit</strong> -<br />
Bosch-Betriebsrat setzt sich durch - 39<br />
„Der Kampf um Mehrheiten lohnt sich"<br />
IG Metall kämpft für bessere Arbeitsbe<br />
dingungen im Dresdner Infineon-Werk-42<br />
„Es geht fast alles - aber nur mit Druck"<br />
Erfolge in der Automobilbranche-45<br />
Mit Herzblut und guten Argumenten<br />
Dank Betriebsrat organisieren sich<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er in der IG Metall-48<br />
Fair Play und Equal Pay<br />
Bei GABIS gilt: Vermittlung statt Umsatz- 50<br />
Starker Betriebsrat,<br />
starke Gewerkschaft, starke Leistung<br />
Inhalt<br />
Wie aus Leihkräften feste Mitarbeiter werden - 53<br />
„Die Situation in den Griff bekommen"<br />
„Kaskaden-Modell" ermöglicht Übernahme<br />
von <strong>Leiharbeit</strong>ern bei Siemens TS -56<br />
„Es wird keine Menschen<br />
zweiter Klasse geben"<br />
„Equal pay" und „Equal treatment"<br />
bei Mercedes-Benz in Wörth - 57<br />
Gutes Geld für gute Arbeit<br />
Betriebsrat bei Thyssen Krupp<br />
macht vor, wie's geht-58
SICHERHEIT,<br />
GERECHTIGKEIT,<br />
GEWERKSCHAFT<br />
Die Arbeit der IG Metall<br />
Die IG Metall ist die Gewerkschaft für <strong>Leiharbeit</strong>ernehmerinnen und <strong>Leiharbeit</strong><br />
nehmer. Gewerkschafter/-innen und Betriebsratsmitglieder in den Unternehmen setzen<br />
sich ein für „Equal pay" und „Equal treatment" - dafür, dass <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte<br />
nicht weiter als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
<strong>Leiharbeit</strong> fair gestalten.<br />
„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld"<br />
Die Kampagne der IG Metall<br />
Die IG Metall hat im April 2008 eine bundesweite Kampagne zum Thema<br />
<strong>Leiharbeit</strong> gestartet. Diese Kampagne unter dem Titel „Gleiche Arbeit -<br />
Gleiches Geld" ist in mehrfacher Hinsicht Ausdruck einer neuen politischen<br />
Strategie der IG Metall.<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft 9<br />
Die Kampagne „Gleiche Arbeit - Gleiches Geld" geht auf einen Beschluss LEIPZIGER SIGNAL<br />
des 21. Ordentlichen Gewerkschaftstages 2007 zurück. Die Delegierten<br />
beschlossen dort das so genannte „Leipziger Signal". Es richtet sich an<br />
vier Adressaten. Im Wortlaut:<br />
An die <strong>Leiharbeit</strong>er und <strong>Leiharbeit</strong>erinnen:<br />
„ Wir sind die Gewerkschaft für <strong>Leiharbeit</strong>er!"<br />
Die IG Metall ist die Gewerkschaft für <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er.<br />
Gemeinsam mit den Stammbelegschaften werden wir die Arbeitsbedin<br />
gungen verbessern und dafür sorgen, dass der Grundsatz „Gleiche Arbeit -<br />
Gleiches Geld - Gleiche Arbeitsbedingungen" in der <strong>Leiharbeit</strong> gilt und<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er nicht länger ungerechtfertigt benachteiligt werden.<br />
An die Unternehmer/-innen:<br />
Jetzt ist Schluss mit Missbrauch!"<br />
Der scheinbar grenzenlose Einsatz von <strong>Leiharbeit</strong>, die Verdrängung von<br />
regulärer Beschäftigung und Lohndumping durch und auf Kosten der Leihar<br />
beiter ist ab sofort mit der IG Metall nicht mehr zu machen. <strong>Leiharbeit</strong> ist nur<br />
für kurzfristige Auftragspitzen und unvorhergesehene Arbeiten akzeptabel.<br />
Jeder Einsatz wird kritisch geprüft und Missbrauch nicht mehr zugelassen.
An die Politik:<br />
„Ihr seid für die Menschen in <strong>Leiharbeit</strong> verantwortlich!"<br />
Die Politik hat der <strong>Leiharbeit</strong> seit 2003 Tür und Tor geöffnet. Die daraus<br />
resultierende Fehlentwicklung hat zu einer Zunahme der <strong>Leiharbeit</strong><br />
geführt, die noch lange nicht abgeschlossen ist.<br />
VERANTWORTUNG Die Politik ist aufgefordert, in Verantwortung gegenüber der in der Leih<br />
arbeit beschäftigten Menschen eine umfassende Regulierung einzuleiten, um<br />
so Beschäftigung zu existenzsichernden Bedingungen sicherzustellen.<br />
An die IG Metall:<br />
„ Wir packen die <strong>Leiharbeit</strong> aktiv, konsequent und dauerhaft an!"<br />
Die IG Metall wird sich ab sofort der Herausforderung „<strong>Leiharbeit</strong>" in allen<br />
Organisationsgliederungen stellen. Wir schaffen die Voraussetzungen,<br />
damit Betriebsräte und Vertrauensleute in den betrieblichen Auseinanderset iderset-<br />
zungen gestärkt, Leihkräfte kompetent beraten und unterstützt und die ie<br />
notwendigen Auseinandersetzungen mit der Politik und den Arbeitgeb Derverbänden<br />
geführt werden können.<br />
Für uns gilt: Die tariflichen und betrieblichen Flexibilisierungsmöglichkeiten<br />
haben Vorrang vor <strong>Leiharbeit</strong>, und der Einsatz von <strong>Leiharbeit</strong>ern muss im<br />
Umfang reguliert werden. Dort wo <strong>Leiharbeit</strong> stattfindet muss der Grundsatz<br />
„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld" Anwendung finden. Wir streben einen<br />
aktionsfähigen Organisationsgrad bei den in <strong>Leiharbeit</strong> Beschäftigten an.<br />
Das Leipziger Signal ist die Schlussfolgerung der IG Metall aus der Entwick<br />
lung der <strong>Leiharbeit</strong> in den letzten Jahren. Die Arbeitnehmerüberlassung ist<br />
in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach dereguliert worden, angefangen<br />
mit dem Zulassen privater Arbeitsvermittlung im Jahr 1994.<br />
Aufhebung der Regulierung der <strong>Leiharbeit</strong><br />
Die letzten - und bis jetzt geltenden - Änderungen im Arbeitnehmerüber<br />
lassungsgesetz sind zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten. Damit wurden die<br />
letzten flächendeckenden Regulierungen für die <strong>Leiharbeit</strong> aufgehoben:<br />
• So ist die Höchstüberlassungsdauer von <strong>Leiharbeit</strong>skräften ständig erhöht<br />
wurden. 1985 wurde sie von drei auf sechs Monate erhöht, in den Folge<br />
jahren immer weiter ausgedehnt.
Seit 2004 gibt es überhaupt keine Höchstüberlassungsdauer mehr.<br />
Das heißt: Der Einsatz von <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen ist zeitlich unbeschränkt<br />
möglich.<br />
• Das so genannte Synchronisationsverbot ist vollständig entfallen. Bis<br />
2004 musste jeder Beschäftigte in <strong>Leiharbeit</strong> mindestens ein Viertel der<br />
Zeitdauer seines letzten Einsatzes beim Verleihbetrieb weiter beschäf<br />
tigt werden, wenn der Einsatz bei einem Entleihbetrieb beendet war. Die<br />
Verleihfirma stand so in der Pflicht oder trug zumindest das wirtschaft<br />
liche Risiko, für die verliehenen Arbeitskräfte eine Anschlussbeschäftigung<br />
zu finden und sie in dieser Zeit weiter zu bezahlen. Durch den Wegfall<br />
des Synchronisationsverbotes kann den <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen in dem<br />
Moment gekündigt werden, wo der Einsatzbetrieb keine Verwendung<br />
mehr für sie hat. Dadurch ist das unternehmerische Risiko in der <strong>Leiharbeit</strong><br />
vollends vom Verleihbetrieb auf die <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten übergegan<br />
gen. Dies ist umso dramatischer, als sich die Anspruchsvoraussetzungen<br />
für den Bezug von Arbeitslosengeld in den vergangenen Jahren immer<br />
weiter verschärft haben.<br />
• Außerdem sind das besondere Befristungsverbot und das Wiederein-<br />
stellungsverbot in der <strong>Leiharbeit</strong> aufgehoben worden.<br />
• Bestehen geblieben ist einzig das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung<br />
in der Bauindustrie.<br />
Im Gegenzug zu dieser Beschneidung von Rechten wurden (zumindest auf<br />
den ersten Blick) die Rechte von <strong>Leiharbeit</strong>nehmerinnen und <strong>Leiharbeit</strong><br />
nehmern ausgeweitet: Sie sollen für die Zeit der Überlassung an einen Ent<br />
leihbetrieb so zu behandeln sein wie vergleichbare Festangestellte. Dies<br />
gilt sowohl für die gleiche Entlohnung („Equal pay") als auch für die son<br />
stigen Arbeitsbedingungen („Equal treatment"). Allerdings gibt es hiervon<br />
Ausnahmen: So kann die Anwendung eines gesonderten Tarifvertrags für<br />
Leihkräfte vereinbart werden, der ihre Bezahlung gegenüber der Bezahlung<br />
von Festangestellten mindert. Außerdem kann bis dahin Arbeitslosen für<br />
die Dauer von sechs Wochen ein reduziertes Arbeitsentgelt gezahlt werden.<br />
Öffnungsklausel statt „Equal pay"<br />
Insbesondere die Öffnungsklausel per Tarifvertrag hat dazu beigetragen,<br />
dass sich die Bedingungen für <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen dramatisch verschlechtert<br />
haben. Durch diese Öffnungsklausel wurde das Verhältnis von gesetzlichen<br />
und tarifvertraglichen Regelungen völlig auf den Kopf gestellt.<br />
Sicherheit, Gerecht
In allen anderen Wirtschaftszweigen können die gesetzlichen Bestimmungen<br />
durch Tarifverträge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer günstiger ge<br />
staltet werden: So liegt die Arbeitszeit in der (westdeutschen) Metall- und<br />
Elektroindustrie bei 35 Wochenstunden, während gesetzlich bis zu 48 bzw.<br />
60 Wochenstunden zulässig sind. Die Urlaubsdauer beträgt in der Metall- und<br />
Elektroindustrie sechs Wochen, während gesetzlich nur vier Wochen Urlaub<br />
gewährt werden müssen.<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft 13<br />
Die Öffnungsklausel bei der <strong>Leiharbeit</strong> stellt dieses Günstigkeitsprinzip ÖFFNUNGSKLAUSEL<br />
geradezu auf den Kopf: Tarifverträge in der <strong>Leiharbeit</strong> haben nicht die Funkti<br />
on, gesetzliche Standards zu verbessern, sondern können diese Standards<br />
unterschreiten. In dieser Ausgangslage fühlten sich die so genannten „christ<br />
lichen Gewerkschaften" auf den Plan gerufen, eine beispiellose Unterbie-<br />
tungskonkurrenz auszuüben.<br />
„Christliche Gewerkschaften" drücken das Lohnniveau<br />
Der Tarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften<br />
Zeitarbeit (CGZP) und der Arbeitsgemeinschaft Mittelständischer Personal<br />
dienstleister (AMP) für Ostdeutschland sah in der untersten Gruppe einen<br />
Einstiegslohn von 5,77 Euro vor. Hinzu kommt, dass in Arbeitsverträgen die<br />
einzelvertragliche Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag ausreicht. Unter<br />
diesen Umständen ist es der DGB-Tarifgemeinschaft zwar noch gelungen, mit<br />
den beiden <strong>Leiharbeit</strong>sverbänden Bundesvereinigung Zeitarbeit (BZA) und<br />
Interessengemeinschaft Zeitarbeit (iGZ) Tarifverträge zu schließen. Aufgrund<br />
der Sogwirkung durch die Vereinbarungen der „christlichen Gewerkschaften"<br />
ist das Niveau der DGB-Tarifverträge aber nur geringfügig höher ausgefallen.<br />
Die Bundesregierung hatte die <strong>Leiharbeit</strong> dereguliert in der Erwartung, da<br />
durch zusätzliche Dynamik für den Arbeitsmarkt zu erzeugen, bislang Arbeits<br />
lose in den Arbeitsmarkt zu integrieren und über den so genannten „Klebe<br />
effekt" dafür zu sorgen, dass <strong>Leiharbeit</strong>erinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er in den regu<br />
lären Arbeitsmarkt integriert werden. Diese Erwartungen haben sich durch<br />
gängig nicht erfüllt. Zwar wird bisweilen reklamiert, dass ein Großteil des ge<br />
genwärtigen Beschäftigungszuwachses auf die <strong>Leiharbeit</strong> zurückzuführen<br />
sei. Allerdings ist dieser Beschäftigungszuwachs nicht auf die Deregulierung<br />
der <strong>Leiharbeit</strong> zurückzuführen, sondern weitgehend auf die ohnehin günstige<br />
konjunkturelle Situation. <strong>Leiharbeit</strong> hat bis auf eine überschaubare Anzahl<br />
von Stellen als Disponent/Disponentin und anderer administrativer Tätig<br />
keiten bei Verleihfirmen keine zusätzliche Beschäftigung erzeugt. Der Anteil<br />
des administrativen Personals der <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen beträgt nach Auskunft<br />
der 15 führenden <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen rund sieben Prozent.
14<br />
Das würde hochgerechnet bedeuten, dass von den 300.000 Stellen, die<br />
seit 2004 im Bereich der <strong>Leiharbeit</strong> entstanden sind, höchstens<br />
21.000 tatsächlich neue Jobs entstanden sind.<br />
Von den 21.000 ist noch dazu ein - nicht bezifferbarer - Teil abzuziehen,<br />
weil die Koordination und Vergütung der <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten ansonsten<br />
durch die Personalabteilungen der Einsatzbetriebe hätte erfolgen müssen,<br />
deren Arbeit ebenfalls faktisch von den Verleihfirmen übernommen worden<br />
ist. Der Rest erstreckt sich auf Arbeiten, die in den Unternehmen ohnehin<br />
anfallen.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> verdrängt reguläre Arbeitsplätze<br />
<strong>Leiharbeit</strong> hat somit dazu geführt, dass auf breiter Front bestehende reguläre<br />
VERDRÄNGUNG Beschäftigungsverhältnisse zugunsten prekärer Beschäftigungsformen ver<br />
drängt worden sind. In der Folge hat sich die Beschäftigungssitutation nicht<br />
stabilisiert, sondern diese Entwicklung hat insbesondere wegen des geringen<br />
Entlohnungsniveaus in der Zeitarbeitsbranche im Gegenteil eher zu einer<br />
langfristigen Schwächung der Binnenkaufkraft geführt.<br />
Die IG Metall lehnt <strong>Leiharbeit</strong> nicht generell ab. Sie akzeptiert <strong>Leiharbeit</strong> —<br />
allerdings nur, um die Wechselfälle des Lebens abzudecken: das Abarbeiten<br />
von Auftragsspitzen, das Absichern von Produktionsanläufen und die Über<br />
brückung von Krankheitsfällen.<br />
Da das durchschnittliche Arbeitsverhältnis von <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten nur<br />
drei Monate beträgt, hat es sich aufgrund der daraus resultierenden hohen<br />
Fluktuation als äußerst schwierig erwiesen, dauerhafte Vertretungsstrukturen<br />
aufzubauen, zum Beispiel Betriebsräte. Zudem ist der Kontakt der Leihar<br />
beitsbeschäftigten zu ihrem Entleihbetrieb weitgehend auf die Disponen-<br />
ten/-innen und die Gehaltsbuchhaltung beschränkt. Weil sie nicht beim Ver<br />
leih, sondern im Einsatzbetrieb dauerhaft präsent sind, ergeben sich kaum<br />
Kontaktmöglichkeiten zu den Betriebsräten in den Verleihbetrieben.<br />
IG Metall nutzt Strukturen in den Einsatzbetrieben<br />
Die Strategie der IG Metall setzt deshalb nicht in erster Linie bei den Ver<br />
leihbetrieben an, sondern bei den Einsatzbetrieben. Dort verfügt die IG Metall<br />
über ausgeprägte und etablierte Vertretungsstrukturen: Betriebsräte, Ver<br />
trauensleute, Jugend- und Auszubildendenvertretungen. Das bedeutet, es<br />
müssen nicht völlig neue Strukturen aufgebaut werden, sondern es können<br />
bestehende genutzt werden.
Als Vorteil für diese neue Strategie kommt hinzu, dass das Betriebsver<br />
fassungsgesetz die Vertretung der <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen im Einsatzbetrieb<br />
ausdrücklich zulässt: Für sie können Versammlungen abgehalten werden,<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er/-innen sind bei Betriebsratswahlen wahlberechtigt (sofern ihr<br />
Einsatz mindestens drei Monate dauert oder so lange geplant ist). Ein ge<br />
setzgeberisches Manko besteht allerdings darin, dass <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
bei der Ermittlung der Schwellenwerte (Größe des Betriebsrats und Freistel<br />
lungen) nicht mitzählen.<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft 15<br />
Die Betreuung der <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen setzt aber auch einen Mentalitäts- MENTALITÄTSWANDEL<br />
wandel und ein anderes Selbstverständnis der Betriebsräte und Betriebs<br />
rätinnen in den Einsatzbetrieben voraus: Sie müssen erkennen, dass sie nicht<br />
nur für die Vertretung der Interessen der Stammbelegschaft da sind, son<br />
dern müssen sich ebenso für die Belange der <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen einsetzen,<br />
auch wenn deren Arbeitgeber formal ein anderer ist. Sie müssen sich zudem<br />
nicht nur einmalig des Themas annehmen, sondern die Vertretung der Leih-<br />
arbeitsbeschäftigten als dauerhafte Aufgabe begreifen.<br />
Die Handlungsebenen der Kampagne<br />
Die IG Metall-Kampagne erstreckt sich auf drei Handlungsebenen, die in<br />
den ersten zwei Jahren der Kampagnenlaufzeit zeitlich abgestuft angegangen<br />
werden sollen:<br />
• Die betriebspolitische Ebene: Sie hat Priorität. Hier steht vor allem der<br />
Abschluss der „Besser"-Vereinbarungen im Mittelpunkt. Allerdings können<br />
sich die Aktivitäten nicht nur darauf beschränken. Da die durchschnitt<br />
liche Verweildauer einer <strong>Leiharbeit</strong>skraft bei nur drei Monaten liegt, kommt<br />
es ebenso darauf an, die Ansprache und die Betreuung der <strong>Leiharbeit</strong>e<br />
rinnen und <strong>Leiharbeit</strong>er zu verstetigen. Ähnlich wie die systematische An<br />
sprache der neuen Auszubildenden in jedem Herbst muss die Ansprache<br />
der „neuen" <strong>Leiharbeit</strong>skräfte zur regelmäßigen Aktivität der Betriebs<br />
räte werden. Nicht zuletzt darin wird sich die Nachhaltigkeit der Kampagne<br />
erweisen.<br />
• Die tarifpolitische Ebene: Bereits in der Tarifrunde 2007 ist es teilweise<br />
zu gemeinsamen Aktivitäten der <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen und der Stamm<br />
beschäftigten gekommen. Dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zufolge<br />
dürfen <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen nicht zu Streikbrucharbeiten eingesetzt werden.<br />
Dieser Grundsatz ist in den DGB-Tarifverträgen mit BZA und iGZ noch<br />
einmal unterstrichen worden. Das Befolgen dieses Grundsatzes wird aller<br />
dings nicht ausreichen.
Durch den Abschluss von „Equal pay"-Vereinbarungen auf breiterer Ebene<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft 17<br />
ist eine Situation entstanden, in der die einkommenspolitischen Interessen „EQUAL-PAY"<br />
von Stammbeschäftigten und <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen identisch sind, da sich<br />
Einkommenserhöhungen der Stammbelegschaft in vollem Umfang auch auf<br />
die <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen auswirken. Dieser Umstand sollte zu einer breite<br />
ren Information und Mobilisierung genutzt werden. In Betrieben, in denen<br />
kein „Equal pay" gilt, geht es darum, eine Diskussion über solche Verein<br />
barungen zu befördern und/oder um die regulären Tarifverhandlungen über<br />
eine Verbesserung der BZA-/iGZ-Tarifverträge, die Anfang 2009 anstehen,<br />
zusätzlich zu unterstützen.<br />
• Die bundespolitische Ebene: Im Herbst 2009 wird ein neuer Bundestag<br />
gewählt. Die Rahmenbedingungen, die zu einer Ausweitung und zu einem<br />
Missbrauch der <strong>Leiharbeit</strong> geführt haben, sind politisch gesetzt worden.<br />
Somit sind sie politisch auch veränderbar. Die ersten Reaktionen aus den<br />
politschen Parteien auf die IG Metall-Kampagne lassen die Hoffnung<br />
nicht unberechtigt erscheinen, dass diese Absicht zumindest teilweise auf<br />
Akzeptanz stößt. Politiker/-innen aus allen im Bundestag vertretenen<br />
Parteien (bis auf die FDP) haben inzwischen ihre Unterstützung der<br />
IG Metall-Kampagne über die eigens eingerichtete Website<br />
www.gleichearbeit-gleichesgeld.de bekundet.<br />
Die IG Metall hat das Halten von bestehenden und das Gewinnen neuer<br />
Mitglieder als zentrale Aufgabe in das Zentrum ihrer Aktivitäten gestellt. Dies<br />
ist kein Selbstzweck. Mitgliedergewinnung ist nicht unpolitisch, sondern<br />
die politischste Aufgabe der IG Metall überhaupt. An der Mitgliederstärke ent<br />
scheidet sich nicht nur die betriebspolitische Durchsetzungsfähigkeit, son<br />
dern auch die Akzeptanz und Durchsetzungsfähigkeit gewerkschaftlicher Posi<br />
tionen im politischen Raum.<br />
Der Schwerpunkt auf die betriebspolitische Ebene folgt auch der Erkenntnis,<br />
dass sich die Zukunft der IG Metall „in den Betrieben, nicht auf der Straße"<br />
entscheidet, wie ihr Erster Vorsitzender Berthold Huber ausführte. Wie auch<br />
bei der Diskussion um einen branchenbezogenen Mindestlohn setzt die<br />
IG Metall in erster Linie darauf, Verbesserungen für ihre Mitglieder aus eige<br />
ner Kraft und unter Einbeziehung der Mitglieder zu erreichen. Die positiven<br />
Beispiele, von denen einige exemplarisch im „weißen" Teil dieses Buches<br />
dokumentiert sind, belegen, dass diese Strategie erste Erfolge zeigt.
Aktiv für Gerechtigkeit<br />
Vereinbarungen decken 27 Prozent<br />
der Beschäftigten ab<br />
Die IG Metall hatte bis Anfang August 2008 insgesamt 328 Vereinba<br />
rungen zur <strong>Leiharbeit</strong> abgeschlossen. Damit ist das Ziel der Kampagne,<br />
200 „Besser"-Vereinbarungen abzuschließen, mehr als erreicht.<br />
Insgesamt arbeiten somit 27 Prozent der Beschäftigten in der Metall- und<br />
Elektroindustrie in Unternehmen mit Vereinbarungen zur <strong>Leiharbeit</strong>.<br />
„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld": Dieser Anspruch konnte zwar nicht überall<br />
erreicht werden. Dennoch sehen die Vereinbarungen deutliche Verbesse<br />
rungen vor. Bisher getroffene Vereinbarungen regeln unter anderem:<br />
• Gleichbehandlung von Stamm- und Leihbeschäftigten<br />
• Vorrang von befristeten Einstellungen gegenüber dem Einsatz von<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
• innerbetriebliche Maßnahmen und befristete Einstellungen<br />
• Höchstquoten in Prozent der Gesamtbelegschaft, die beim Einsatz<br />
von <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen nicht überschritten werden dürfen<br />
• kein Einsatz von Verleihbetrieben, die Tarifverträge der „christlichen<br />
Gewerkschaften" anwenden<br />
• ausschließlich Zusammenarbeit mit Personaldienstleistern, die sich<br />
an den Tarifverträgen der IG Metall orientieren<br />
• Gewährung von Leistungszulagen<br />
• Aufwandsentschädigung bei überbetrieblichem Einsatz<br />
• Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft<br />
• Bei Neueinstellungen werden bisherige <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen<br />
vorrangig berücksichtigt
Unternehmen mit Besser-Vereinbarungen (Auswahl)<br />
Unternehmen Branche<br />
Daimler/<br />
Mercedes-Benz<br />
Automobilindustrie<br />
Siemens Elektrogeräteindustrie<br />
Bosch Elektrogeräteindustrie<br />
Volkswagen Automobilindustrie<br />
BMW Automobilindustrie<br />
Audi Automobilindustrie<br />
MAN Nutzfahrzeuge, Motorenbau<br />
Ford Automobilindustrie<br />
Opel Automobilindustrie<br />
Schaeffler Wälzlagerindustrie<br />
Airbus Flugzeugbau<br />
ArcelorMittal Stahlindustrie<br />
Motoren-<br />
und Turbinen-<br />
Union (MTU)<br />
Triebwerksindustrie<br />
Porsche Automobilindustrie<br />
Bombardier Flugzeug- und<br />
Schienenfahrzeugbau<br />
Miele Elektrogeräteindustrie<br />
Eurocopter Helikopter<br />
Vereinbarungen zur Besserstellung<br />
von <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft<br />
Zusatztarifvertrag 71<br />
Betriebsvereinbarung 131<br />
Sonstige Vereinbarung 126<br />
insgesamt 328<br />
Unternehmen Branche<br />
Hella Automobilzulieferer<br />
Salzgitter Stahlindustrie<br />
SEW-Eurodrive Elektrische Antriebstechnik<br />
Phoenix Contact Elektrische Verbindungs<br />
und Automatisierungstechnik<br />
Linde Gase und Engineering<br />
Deckel Maho<br />
Gildemeister<br />
Werkzeugmaschinen<br />
Flender Antriebstechnik<br />
MAN Roland Druckmaschinen<br />
Schmitz Cargobull Last- und Transportfahrzeuge<br />
Honsel Automobilzulieferer<br />
Rasselstein Weißblechindustrie<br />
STILL GmbH Gabelstapler<br />
Hansgrohe Armaturen<br />
und Sanitärtechnik<br />
John Deere Landmaschinen<br />
Fujitsu Siemens Elektronikindustrie<br />
Osram Leuchtmittelindustrie<br />
Vaillant Heiztechnik,<br />
regenerative Energien
Zehn Argumente für die Kampagne<br />
der IG Metall zur <strong>Leiharbeit</strong><br />
<strong>Leiharbeit</strong> kann besser werden - mit der IG Metall<br />
<strong>Leiharbeit</strong> hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen<br />
Früher wurde <strong>Leiharbeit</strong> in erster Linie eingesetzt, um Auftragsspitzen zu<br />
bewältigen. Inzwischen dient sie immer mehr dazu, Stammbeschäftigte dauer<br />
haft zu ersetzen. Seitdem die gesetzlichen Beschränkungen für <strong>Leiharbeit</strong><br />
2004 aufgehoben wurden, hat sich die Zahl der <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigten ver<br />
doppelt. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es Ende Juni 2007 bundesweit<br />
insgesamt 731.000 <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen. Berücksichtigt man die hohe<br />
Fluktuation in der Branche, sind es sogar 900.000. Davon sind 215.000 in der<br />
Metall- und Elektroindustrie tätig - unter Berücksichtigung der Fluktuation<br />
sogar 260.000.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> verdrängt reguläre Jobs<br />
<strong>Leiharbeit</strong> schafft keine neuen Jobs. <strong>Leiharbeit</strong>skräfte erledigen Arbeit, die<br />
in den Unternehmen ohnehin anfällt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung (IAB) hat belegt, dass in rund einem Viertel aller Entleihbe<br />
triebe <strong>Leiharbeit</strong> reguläre Beschäftigung verdrängt. Die jüngste Betriebs<br />
rätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)<br />
kommt zu demselben Ergebnis. Auch für das Deutsche Institut für Wirt<br />
schaftsforschung (DIW) deutet vieles darauf hin, dass <strong>Leiharbeit</strong> reguläre<br />
Jobs verdrängt.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist keine Arbeit wie jede andere<br />
Beschäftigte in <strong>Leiharbeit</strong> müssen sich ständig auf neue Situationen ein<br />
stellen: neue Einsatzorte, neue Aufgaben, neue Kollegen. Laut einer Studie<br />
der Technischen Universität Darmstadt leidet auch das Privatleben der<br />
Betroffenen unter <strong>Leiharbeit</strong>. Die meisten sehen ihre Situation als extrem<br />
belastend an. Ein wichtiges Fazit der Studie: <strong>Leiharbeit</strong> bietet kaum eine<br />
Zukunftsperspektive. Denn wegen fehlender Qualifikationsangebote gibt<br />
es kaum berufliche Aufstiegsmöglichkeiten.
<strong>Leiharbeit</strong> ist keine „sichere" Arbeit<br />
<strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen haben in mehrfacher Hinsicht einen unsicheren<br />
Arbeitsplatz. Für Leihkräfte ist das Risiko deutlich höher, vom Arbeitgeber<br />
gekündigt zu werden. Laut IAB endet jedes dritte Arbeitsverhältnis, weil<br />
der Arbeitgeber kündigt. In der übrigen Wirtschaft ist es nur jedes siebte. Die<br />
Fluktuation - also Jobwechsel und Jobverlust - ist extrem hoch: 60 Prozent<br />
der <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen sind nicht länger als drei Monate in der Branche<br />
beschäftigt, jede/-r zehnte <strong>Leiharbeit</strong>sbeschäftigte nicht länger als eine<br />
Woche. Im Schnitt sind <strong>Leiharbeit</strong>skräfte nur drei Monate im selben Einsatz<br />
betrieb tätig.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist keine „Brücke in den Beruf<br />
Nur ein kleiner Teil der <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen wird vom Entleihbetrieb<br />
übernommen. Das IAB schätzt den so genannten Klebeeffekt auf lediglich<br />
15 Prozent, ein höherer Anteil sei „utopisch". Die Verbände der Verleihfirmen<br />
unterschlagen in ihren Wechsel-Statistiken gerne, dass <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
mitunter zwar einen neuen Job finden - aber bei einem anderen Verleiher<br />
und nicht in Stammbeschäftigung. Im Übrigen wird der Klebeeffekt durch die<br />
Allgemeinen Geschäftsbedingungen vieler <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen erschwert:<br />
Sie verlangen, dass der Einsatzbetrieb eine saftige Gebühr an den Verleihbe<br />
trieb zahlt, wenn der Leihbeschäftigte dauerhaft dort bleiben soll, wo er<br />
eingesetzt ist.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist schlecht(er) bezahlt<br />
<strong>Leiharbeit</strong>skräfte verdienen deutlich weniger als die Stammbelegschaft. Einer<br />
Studie der Technischen Universität Darmstadt zufolge erhalten sie 30 bis<br />
50 Prozent weniger Entgelt. Daraus resultieren dann auch geringere Rentenan<br />
sprüche. Besonders wenig verdienen Beschäftigte, für die der Tarifvertrag<br />
der „christlichen Gewerkschaften" gilt. Deren Tarifvertrag für Ostdeutschland<br />
sieht in der untersten Gruppe einen Einstiegslohn von 5,77 Euro vor. Das ent<br />
spricht bei Vollzeitarbeit gerade einmal 875 Euro im Monat. Derart niedrige<br />
Entgelte sind laut IAB „kaum als existenzsichernd" anzusehen und bergen ein<br />
deutliches Armuts- und Abstiegsrisiko. Der dritte Armuts- und Reichtums<br />
bericht der Bundesregierung weist darauf hin, dass der steigende Anteil von<br />
Niedriglöhnen eine wesentliche Ursache von Armut ist.<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft
<strong>Leiharbeit</strong> ist mitbestimmungsfreie Zone<br />
Für das Entleihunternehmen ist nicht nur die niedrigere Bezahlung von<br />
<strong>Leiharbeit</strong>nehmerinnen und <strong>Leiharbeit</strong>snehmer lukrativ. Vielmehr wird Leih<br />
arbeit auch eingesetzt, um die betriebliche Mitbestimmung auszuhebein.<br />
Nur die wenigsten Verleihfirmen haben einen Betriebsrat. Selbst wenn es<br />
einen gibt, ist er weit weg-nämlich beim Verleihbetrieb. Im Einsatzbetrieb<br />
dürfen <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen zwar mitwählen, aber nur wenn sie länger als<br />
drei Monate dort tätig sind oder ein so langer Einsatz geplant ist. Doch bei<br />
der Ermittlung der Größe des Betriebsrats zählen sie nicht mit. Betriebs<br />
räte in Einsatzbetrieben mit einem höheren Anteil an <strong>Leiharbeit</strong>er/-innen<br />
müssen sich also um mehr Beschäftigte kümmern. Für die Betreuung jedes<br />
einzelnen Arbeitnehmers bleibt somit weniger Zeit.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist nicht weniger produktiv<br />
Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass vor allem Personen mit<br />
abgeschlossener Berufsausbildung als <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-in eingesetzt<br />
werden (64 Prozent). In der Regel arbeiten <strong>Leiharbeit</strong>skräfte und Festange<br />
stellte miteinander verzahnt. Beispiel Automobilindustrie: Wenn der eine<br />
die rechte Autotür montiert und der andere die linke, müsste das Band stän<br />
dig anhalten, falls die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer unproduktiver wären. Qualität<br />
wird auch bei Entleihfirmen groß geschrieben. Deshalb würden sie wohl kaum<br />
<strong>Leiharbeit</strong>nehmer beschäftigen, wenn sie wirklich schlechter arbeiteten.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> wird intensiv genutzt<br />
<strong>Leiharbeit</strong> wird besonders in größeren Betrieben eingesetzt. Bedenklich<br />
ist der Anteil derjenigen Betriebe gestiegen, in denen mehr als 20 Prozent<br />
<strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen beschäftigt sind (Intensivnutzer). Ab einer Be<br />
triebsgröße von 150 Beschäftigten wurde <strong>Leiharbeit</strong> im Jahre 2002 nur zu<br />
2,2 Prozent intensiv genutzt. 2006 hatte sich dieser Anteil fast verfünf<br />
facht (10,4 Prozent). Das IAB sieht darin eine „Strategie zur Senkung der<br />
Lohnkosten".
<strong>Leiharbeit</strong> etabliert das Minimum als Maßstab<br />
<strong>Leiharbeit</strong> ist seit 2004 dereguliert, so dass heute <strong>Leiharbeit</strong>skräfte unbe<br />
grenzt im Entleihbetrieb eingesetzt werden dürfen. Außerdem darf <strong>Leiharbeit</strong><br />
auf die Dauer der Arbeit in einem bestimmten Einsatzbetrieb befristet<br />
(synchronisiert) werden. Als Ausgleich wurden <strong>Leiharbeit</strong>nehmer/-innen den<br />
Beschäftigten im Entleihbetrieb zwar formell gleichgestellt. Dieser Gleichstel<br />
lungsgrundsatz ist jedoch eingeschränkt: Wenn im Arbeitsvertrag auf einen<br />
Flächentarifvertrag Bezug genommen wird, gelten dessen Regelungen - auch<br />
wenn sie schlechter ausfallen. So konnten die so genannten „christlichen<br />
Gewerkschaften" arbeitgeberfreundliche Tarifverträge auf unterstem Niveau<br />
abschließen.<br />
Schwerpunkte der <strong>Leiharbeit</strong>:<br />
Handwerk und Industrie<br />
Von allen Beschäftigten in <strong>Leiharbeit</strong><br />
arbeiten...<br />
Sicherheit, Gerechtigkeit, Gewerkschaft<br />
61,1%<br />
Quelle: lAB-Betriebspanel 2006, Berechnungen: Bellmann, 2007<br />
© Hans-Böckler Stiftung 2007
LEIHARBEIT -<br />
DIE WEISSESEITE<br />
Fairness ist machbar<br />
Aus der <strong>Leiharbeit</strong> in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, den gleichen Stundenlohn<br />
wie die festangestellten Kollegen, Schichtzulagen, Urlaubsgeld: Dieser Statusreport<br />
zeigt, dass <strong>Leiharbeit</strong> fair gestaltet werden kann und dass der Kampf für mehr<br />
Gerechtigkeit sich lohnt.
Ein Happy End für Ruslan -<br />
dank Betriebsrat und IG Metall<br />
Erst gab's mehr Geld - und dann die Festanstellung<br />
Erst 5,16, dann 6,85 Euro hat der <strong>Leiharbeit</strong>er Ruslan Yusifov-Gladki für<br />
seine schwere Arbeit in der Kernmacherei bekommen. Der Tariflohn der fest<br />
angestellten Kollegen für die gleiche Arbeit war mehr als doppelt so hoch.<br />
Das war 2005. Mittlerweile gehört auch Ruslan zur Kernbelegschaft der<br />
Kolbenschmidt Aluminium-Technologie AG (ATAG) im württembergischen<br />
Neckarsulm. Zunächst bekam er einen befristeten Vertrag, vor einem Jahr<br />
dann einen unbefristeten.<br />
Etwa jeder zehnte Beschäftigte des Automobilzulieferers ATAG (Motorblöcke)<br />
arbeitete im Sommer 2005 als „Leasingkraft". Einer von ihnen war Ruslan<br />
Yusifov-Gladki. Der Mann, der in Aserbaidschan aufgewachsen ist und<br />
mehrere Sprachen spricht, war entsetzt, als er im viel gelobten Deutschland<br />
erfahren musste, was <strong>Leiharbeit</strong> bedeutet: „Das ist die größte Ungerechtig<br />
keit, die ich hier gesehen habe", sagt er. „Das ist moderne Sklaverei."<br />
„Das ist moderne Sklaverei."<br />
Ruslans „Sklavenhalter" war die Firma IVP. Das Unternehmen hatte mit<br />
dem Automobilzulieferer einen Werkvertrag abgeschlossen. Ruslan war voll<br />
in den Arbeitsprozess in der Kernmacherei integriert, weisungsgebunden<br />
und arbeitete wie fest angestellte ATAG-Kollegen - nur für den halben Lohn.<br />
„Manchmal musste ich nach der Nachtschicht wieder in der Spätschicht<br />
arbeiten. Und das vor allem im Sommer bei extrem hohen Temperaturen",<br />
erzählt der Metaller. Ein klarer Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz und<br />
die betriebliche Mitbestimmung.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Ruslan Yusifov-Gladki
Als der ATAG-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Müller von den unseriösen<br />
Praktiken der Firma IVP erfuhr, hat er sich bei der Personalabteilung be<br />
schwert. Doch die kannte die Verleihfirma nicht. Es stellte sich heraus, dass<br />
das Unternehmen an den Personalern vorbei über den Einkauf angeheuert<br />
worden war.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Der Betriebsrat konnte durchsetzen, dass Ruslan<br />
Yusifov-Gladki und andere <strong>Leiharbeit</strong>er einen<br />
Arbeitsvertrag bekamen.<br />
Auf Grund des Drucks des Betriebsrats bekommt IVP seitdem von ATAG<br />
keinen Vertrag mehr. Der Eigentümer, der Ruslan noch Geld schuldet, hat<br />
Insolvenz beantragt und ist untergetaucht.<br />
Der ATAG-Betriebsrat konnte 2005 durchsetzen, dass Ruslan Yusifov-Gladki<br />
und andere <strong>Leiharbeit</strong>er einen Arbeitsvertrag mit ATAG bekamen. „Dies ist ein<br />
Ergebnis der Vereinbarung zur Standortsicherung, die die IG Metall und der<br />
Betriebsrat mit dem ATAG-Vorstand vereinbart hatte", berichtet Betriebsrats<br />
vorsitzender Müller. „Wir mussten dabei einige Kröten schlucken. Dafür<br />
konnten wir unter anderem die Beschäftigungssicherung bis Ende 2011 und<br />
die Reduzierung der <strong>Leiharbeit</strong> durchsetzen."<br />
20 Leasing-Verträge wurden in ein<br />
Nach der Vereinbarung wurde die <strong>Leiharbeit</strong>squote 2006 auf sechs und<br />
2007 auf drei Prozent gesenkt. Einer der ersten, die davon profitiert haben,<br />
unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.<br />
war Ruslan Yusifov-Gladki. Insgesamt hat ATAG seither circa 30 <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
einen befristeten Arbeitsvertrag gegeben, der auf dem Metall-Tarifvertrag<br />
basiert. 20 dieser Verträge wurden inzwischen in ein unbefristetes Arbeitsver<br />
hältnis umgewandelt. Insgesamt sind heute noch drei Prozent der rund<br />
1.000 Beschäftigten in Neckarsulm <strong>Leiharbeit</strong>er.<br />
„Ein Erfolg", sagt Rudolf Luz, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall im<br />
württembergischen Unterland. „Doch noch lieber wäre mir die Lösung des<br />
ATAG-Schwesterunternehmens KS in Neckarsulm. Dort haben wir die<br />
gleiche Flexibilität ohne <strong>Leiharbeit</strong> erreicht."
„Wenn schon <strong>Leiharbeit</strong>, dann fair"<br />
So muss <strong>Leiharbeit</strong> aussehen:<br />
Gleiche Bedingungen, gleicher Lohn<br />
„Wenn schon <strong>Leiharbeit</strong>, dann aber fair", sagte sich Günter Harrack,<br />
Betriebsratsvorsitzender der Firma Zumtobel Staff in Lemgo, als das Unter<br />
nehmen vor drei Jahren entschied <strong>Leiharbeit</strong>er einzustellen. Es sollte<br />
alles fair zugehen, keine Kluft zwischen den Stammarbeitern und den Leih<br />
arbeitern entstehen.<br />
Deshalb arbeitet Zumtobel nur mit einer einzigen <strong>Leiharbeit</strong>sfirma zusam<br />
men, dem Netzwerk Lippe, das vom Kreis Lippe getragen wird. Warum? „Die<br />
IG Metall Detmold und das Netzwerk Lippe haben einen Vertrag abgeschlos<br />
sen der festschreibt, dass für alle <strong>Leiharbeit</strong>er in Metall-Betrieben auch der<br />
Manteltarif der IG Metall gelten muss", erklärt Harrack. Gleiche Arbeit zu glei<br />
chem Lohn, nur so könne das funktionieren. „Die <strong>Leiharbeit</strong>er bekommen<br />
alle Prämien, alle Schicht-, Spät, Sonder- und Schwerarbeitszulagen und auch<br />
die Treueprämien, sie werden in gleichem Maße behandelt wie alle anderen<br />
Arbeiter auch," so Harrack.<br />
Gleiche Arbeit - Gleiches Geld: Auch der Arbeitgeber<br />
weiß das zu schätzen. Seine <strong>Leiharbeit</strong>er sind<br />
motiviert und haben eine geringe Krankenquote.<br />
Und das Unternehmen fährt gut mit seiner Devise. In den vergangenen<br />
drei Jahren sind knapp 25 <strong>Leiharbeit</strong>er in die Stammbelegschaft übernommen<br />
worden. „Und es steht natürlich außer Frage, dass bei uns restlos alle Leih<br />
arbeiter in die IG Metall eingetreten sind", sagt Harrack stolz. Anfangs seien<br />
einzelne etwas skeptisch gewesen, aber nach zwei Monaten hätten sich<br />
die meisten bedankt. „Die meinten, alles, was du uns versprochen hast, das<br />
hast du auch gehalten", erinnert sich Harrack.
Gleiche Arbeit - Gleiches Geld: Auch der Arbeitgeber weiß das zu schätzen.<br />
Schließlich hat auch er nur Vorteile: Seine <strong>Leiharbeit</strong>er sind motiviert und<br />
haben eine geringe Krankenquote. „Die standen von vorneherein hinter uns",<br />
so der Betriebsratsvorsitzende. „Es freut ja auch den Arbeitgeber, wenn der<br />
Betriebsfrieden dank Gleichbehandlung nicht gestört wird."<br />
Im März 2008 haben noch 50 <strong>Leiharbeit</strong>er bei Zumtobel gearbeitet, Ende April<br />
musste dann aber auch der letzte gehen. „Es tat allen Leid, dass sie gehen<br />
mussten - uns und den <strong>Leiharbeit</strong>ern", sagt Harrack. Die veränderte Auftrags<br />
lage bei Zumtobel habe aber eine Anstellung von <strong>Leiharbeit</strong>ern nicht länger<br />
gerechtfertigt. „Wenn nötig, dann werden wir wieder <strong>Leiharbeit</strong>er beschäfti<br />
gen", verrät Harrack. „Aber nur zu denselben fairen Bedingungen, wie das in<br />
den letzten drei Jahren der Fall war."<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite
Den Missbrauch abgestellt<br />
Planstelle statt Mini-Job<br />
Noch am Wochenende danach war Erich B.* fassungslos und stinksauer.<br />
„Die Firma hat die finanzielle Not einer <strong>Leiharbeit</strong>erin schamlos ausgenutzt",<br />
empört sich der Betriebsratsvorsitzende eines großen Automobilzulieferers<br />
in Süddeutschland. Als Erich B. von dem Fall erfahren hat, ist er gleich zum<br />
Arbeitsdirektor des Unternehmens gegangen. „Der Missbrauch wird<br />
abgestellt", freut sich B.<br />
Der Missbrauch war eine ganz besondere Form von Zweitjob: am selben<br />
Arbeitsplatz. Eine <strong>Leiharbeit</strong>erin war in der Retourenabteilung eingestellt. Bei<br />
einer 37,5-Stunden-Woche erhielt sie rund 1.200 Euro brutto - blieben<br />
800 Euro netto. Nach dem Ausstechen kehrte sie jeden Tag an ihren Arbeits<br />
platz zurück und machte weiter - auf 400-Euro-Basis, als Niedriglohnkraft<br />
ihres Einsatzbetriebs. Für die Arbeitnehmerin war das praktisch. Sie brauchte<br />
halt das Geld - und konnte sogar Zeit und Geld für die Fahrt zwischen zwei<br />
Arbeitsplätzen sparen.<br />
„Ich werde mich dafür einsetzen, dass sie eine<br />
ordentliche Planstelle bekommt, die regulär bezahlt<br />
wird. Die ganze Geschichte mit Mini-Jobs und<br />
<strong>Leiharbeit</strong>, das geht nicht."<br />
Erich B. fragte nach: Diese Konstruktion ist sogar rechtens. „Als Betriebsrat<br />
stehe ich fast ohnmächtig davor, dass die Kollegin 45,5 Stunden arbeitet. Und<br />
durch den Nebenjob ihr Gehalt sogar um 50 Prozent aufbessert. Das kann<br />
doch alles nicht sein." Als Erich B. nachrechnete, kam es sogar noch dotier:<br />
Denn der Einsatzbetrieb zahlte dem Verleiher für ihren regulären Einsatz<br />
einen Stundensatz von rund 15 Euro. In ihrem 400-Euro-Job erhielt die Be<br />
schäftigte jedoch nur 12,60 Euro die Stunde.
Erich B.: „Die Überstunden waren also für die Firma noch billiger als die<br />
reguläre Arbeitszeit als <strong>Leiharbeit</strong>erin."<br />
„Die <strong>Leiharbeit</strong>sgesetzgebung hat eine himmelschreiende Ungerechtigkeit er<br />
zeugt", sagt Erich B. Er ist überzeugtes SPD-Mitglied. „Ich schäme mich, dass<br />
meine Partei so etwas zugelassen hat." Bei dem Automobilzulieferer wird die<br />
Beschäftigte nicht mehr zwei Jobs am gleichen Arbeitsplatz verrichten. Doch<br />
B. weiß auch, dass die Frau auf den Zweitjob angewiesen ist. Er will ihr keinen<br />
Bärendienst erweisen, indem er dafür sorgt, dass sie ihren Zusatzverdienst<br />
los wird und sich anderswo andienen muss: „Sie war ja sogar begeistert über<br />
den Zweitjob. Ich werde mich dafür einsetzen, dass sie eine ordentliche Plan<br />
stelle bekommt, die regulär bezahlt wird. Die ganze Geschichte mit Mini-Jobs<br />
und <strong>Leiharbeit</strong>, das geht nicht."<br />
* Name geändert<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit<br />
Friedhelm Adam setzt sich für die Leih<br />
arbeitnehmer in seinem Betrieb ein<br />
Die Firma Winkelmann Powertrain Components (WPC) aus Ahlen beschäf<br />
tigt derzeit etwa 120 <strong>Leiharbeit</strong>er. Der Hersteller von rotationssymme<br />
trischen Motorkomponenten sowie Baugruppen für Kraftstoffmodule würde<br />
ohne deren Hilfe nicht auskommen. Und gerade weil viele der <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
schon einige Jahre bei WPC arbeiten, kämpft Betriebsratsvorsitzender<br />
Friedhelm Adam dafür, dass <strong>Leiharbeit</strong>er in seinem Betrieb unter gleichwer<br />
tigen Bedingungen arbeiten.<br />
Ihr habt bereits einige Vereinbarungen mit den <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen getroffen.<br />
Welche sind das?<br />
Fast alle <strong>Leiharbeit</strong>er, die bei uns eingesetzt sind, werden nach dem Tarif<br />
vertrag des BZA (Bundesverband Zeitarbeit) oder des iGZ (Interessenverband<br />
Deutscher Zeitarbeitsunternehmen) bezahlt. Beide Tarifverträge haben eini<br />
germaßen identische Grundlöhne in den Eingangsgruppen, einzelne Punkte<br />
wie Spätschichtzulagen, Sonn- und Feiertagszulagen und Überstunden sind<br />
darin entweder nicht oder schlechter geregelt. Wir haben im Januar 2008<br />
deshalb mit unseren Leihfirmen die Vereinbarung getroffen, dass in diesen<br />
Punkten ab sofort der Manteltarifvertrag der IG Metall gilt.<br />
Wie wirkt sich das genau aus?<br />
Die Leihfirmen haben verschiedene Obergrenzen bei Überstunden, bei<br />
Randstad sind das beispielsweise bis zu 263 Plusstunden. Bei uns gilt<br />
ab sofort unsere eigene Stundenregelung, die besagt, dass ab 70 Plusstun<br />
den alles ausbezahlt wird - Überstunden und Prozente.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Friedhelm Adam
Das hört sich ja schon sehr gut an..<br />
Ja, aber es geht noch weiter. Wir arbeiten derzeit an einer Vereinbarung, in<br />
der wir den Leistungslohn einführen wollen. Unsere Stammmitarbeiter<br />
werden nach einem Prämienakkordlohn bezahlt, das wollen wir auch für die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er. Von unseren 120 <strong>Leiharbeit</strong>ern sind etwa 100 Facharbeiter,<br />
auch das muss berücksichtigt werden. Eigentlich müssen alle Löhne erhöht<br />
werden.<br />
„Von unseren 120 <strong>Leiharbeit</strong>ern sind etwa<br />
100 Facharbeiter, auch das muss berücksichtigt<br />
werden. Eigentlich müssen alle Löhne<br />
erhöht werden."<br />
Was heißt das konkret? Wie hoch soll der Leistungslohn sein?<br />
Unser Arbeitgeber erwartet eine Leistung von 125 bis 129 Prozent. Wir wollen<br />
den <strong>Leiharbeit</strong>ern ab Juli zunächst durchweg 125 Prozent auszahlen, danach<br />
haben wir dann Vergleichszahlen und können von da an den tatsächlich<br />
geleisteten Leistungslohn ausbezahlen.<br />
Und wie wollt ihr kontrollieren, dass die Arbeiter das Geld auch bekommen?<br />
Wir melden den Verleihern Ende des Monats, wie viel an den Mitarbeiter<br />
ausbezahlt werden muss. Außerdem bieten wir den <strong>Leiharbeit</strong>ern an, ihnen<br />
bei der Abrechnung zu helfen, damit sie wissen, wie viel sie bekommen<br />
müssen. Und wir kontrollieren auch, ob das tatsächlich passiert. Das haben<br />
wir den Firmen so angekündigt.<br />
Und da machen die Verleihfirmen einfach so mit?<br />
Im Moment sind bei uns <strong>Leiharbeit</strong>er aus sieben verschiedenen Firmen.<br />
Wir werden uns künftig auf zwei Verleiher konzentrieren. Diese beiden Firmen<br />
haben uns zugesagt, dass sie uns bei diesen Regelungen unterstützen<br />
werden.
Und der Vertrag gilt?<br />
Sollte eine der Firmen nicht mehr mitmachen wollen, dann werden wir allen<br />
kündigen. Wir wollen keine Konkurrenz innerhalb der Leihfirmen. Auch<br />
deshalb konzentrieren wir uns künftig auf die beiden Firmen. Und so können<br />
wir schwarze Schafe unter den Firmen abstoßen - obwohl das wirklich schade<br />
um die Mitarbeiter ist.<br />
Was sagen die Stammbeschäftigten zu der gesamten Situation?<br />
Sie sind auf der Seite der <strong>Leiharbeit</strong>er. Auch sie sprechen uns gezielt an und<br />
fordern uns auf, etwas für ihre Kollegen zu tun. Denn oft arbeiten sie schon<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
„Die Stammbeschäftigten sind auf der Seite der<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er. Sie sprechen uns gezielt an und<br />
fordern uns auf, etwas für ihre Kollegen zu tun."<br />
seit zwei oder drei Jahren zusammen - alles, was sie da unterscheidet ist das<br />
Einkommen. Und dafür versuchen wir ja etwas zu tun.<br />
Wissen die <strong>Leiharbeit</strong>er, was ihr für sie tut?<br />
ja, natürlich haben sie schon einiges gehört. Wenn das jetzt aber alles durch<br />
ist, werden wir eine Info-Veranstaltung nur für <strong>Leiharbeit</strong>er einberufen und<br />
ihnen erklären, was es für sie finanziell bedeutet. Wer weiß, vielleicht treten<br />
dann ja auch noch einige der IG Metall bei.<br />
Wie viele <strong>Leiharbeit</strong>er sind denn schon beigetreten?<br />
Wir haben seit gut einem Jahr 15 <strong>Leiharbeit</strong>er übernommen, und alle sind<br />
Mitglieder der IG Metall. Dazu sind noch fünf weitere <strong>Leiharbeit</strong>nehmer<br />
beigetreten. Meist machen die das, weil bei der IG Metall jemand etwas<br />
gegen ihre ungerechte Bezahlung unternimmt.
36<br />
„Nur für Super-Notfälle - aber wir sind da"<br />
Betriebsratsarbeit ist dringend nötig-<br />
auch unter erschwerten Bedingungen<br />
Sie arbeiten weit verstreut in wechselnden Unternehmen, zu unterschied<br />
lichen Zeiten, in verschiedenen Abteilungen - ihre Kollegen kennen sie<br />
häufig nicht: Keine leichte Aufgabe für die Betriebsräte in <strong>Leiharbeit</strong>sfirmen.<br />
Kerstin Kürten arbeitet beim <strong>Leiharbeit</strong>sunternehmen Timepartner in Essen<br />
als Disponentin. Sie weist also <strong>Leiharbeit</strong>er Entleihbetrieben zu. Da sie damit<br />
keine leitende Position hat, darf sie sich auch im Betriebsrat engagieren.<br />
Nach einigen rechtlichen Auseinandersetzungen wurde der Betriebsrat Ende<br />
des Jahres 2006 gegründet. Heute ist Kürten die Betriebsratsvorsitzende.<br />
Die anderen sechs Mitglieder sind „Externe", also <strong>Leiharbeit</strong>er, die in unter<br />
schiedlichen Betrieben in Nordrhein-Westfalen beschäftigt werden.<br />
Wenn Kürten von ihrer Arbeit erzählt, redet sie schnell und präzise. Auch<br />
wenn sie erklärt, warum in ihren Augen nur jemand aus der Verwaltung den<br />
Vorsitz eines Betriebsrates übernehmen sollte: „Welcher Mitarbeiter möchte<br />
seinen Einsatz, vor allem, wenn es eine interessante Tätigkeit ist, mit Arbeit<br />
für den Betriebsrat aufs Spiel setzen? Es ist nahezu unmöglich, diesen Job<br />
vom Betrieb des Kunden aus zu machen. Natürlich ist das rechtlich möglich.<br />
Aber die Frage ist immer, ob man es auch durchsetzen kann und der Kunden<br />
betrieb mit dem Arbeitsausfall einverstanden ist!"<br />
Nach einigen rechtlichen Auseinandersetzungen<br />
konnte ein Betriebsrat gegründet werden.<br />
Aktuell hat Timepartner in Essen rund 120 Mitarbeiter. Die werden an bis zu<br />
30 Kunden im Ruhrgebiet entliehen. Entsprechend schwierig ist es für Kürten,<br />
den Kontakt zu halten.
Noch schwieriger ist es für die <strong>Leiharbeit</strong>er, sich zusammenzufinden:<br />
„Zeitweise arbeiten fünf von ihnen im gleichen Betrieb. Aber oft kennen sie<br />
sich durch die verschiedenen Schichten und Abteilungen gar nicht."<br />
Deshalb und aufgrund der räumlichen Entfernung zur Timepartner-Nieder<br />
lassung und zum Betriebsratsbüro könne sich nur schwer „eine Vertrauens<br />
basis aufbauen", und es falle nicht leicht, die Kollegen für die Betriebsrats<br />
arbeit zu begeistern: „Bei unserer ersten Betriebsversammlung in Essen<br />
waren 13 der 120 Beschäftigten da. Viele Mitarbeiter nehmen lieber vor Ort<br />
bei den Entleihbetrieben an den Versammlungen teil."<br />
In der ganzen Zeit seit seiner Gründung sei der Timepartner-Betriebsrat nur<br />
wenige Male eingeschaltet worden: „Es scheint, als seien wir nur für Super<br />
Notfälle da. Wenn der Mitarbeiter seine Probleme nicht mit den Ansprechpart-<br />
nem in der Niederlassung klären kann, werden wir hinzugezogen."<br />
<strong>Leiharbeit</strong>-die weiße Seite 37
I <strong>Leiharbeit</strong>er dürfen an den Betriebsratswahlen<br />
im Einsatzbetrieb teilnehmen I
Ohne <strong>Leiharbeit</strong> geht's auch<br />
Zeitverträge statt <strong>Leiharbeit</strong> -<br />
Bosch-Betriebsrat setzt sich durch<br />
Seit Jahren verhindert der Betriebsrat des Bosch-Werks Bamberg<br />
erfolgreich den Einsatz von <strong>Leiharbeit</strong>ern und setzt stattdessen auf be<br />
fristete Beschäftigungsverhältnisse. Der Betriebsratsvorsitzende<br />
Hans Wolff im Gespräch.<br />
Du bist Betriebsratsvorsitzender des Bosch-Werks Bamberg. Ein wenig<br />
erinnert das Werk an ein berühmtes gallisches Dorf. Denn so wie dessen<br />
Einwohner immer wieder den Römern trotzten, habt ihr euch die Leih<br />
arbeit bislang erfolgreich vom Hals gehalten. War diese Arbeitsform denn<br />
nie ein Thema?<br />
Doch, schon vor etwa sechs Jahren. Damals lief die Produktion für Bestand<br />
teile eines Dieselmotors aus, und die Produktion der Common Rail-Technik<br />
sollte parallel dazu starten. 600 bis 700 zusätzliche Mitarbeiter waren nötig,<br />
Der Arbeitgeber wollte sie per <strong>Leiharbeit</strong> in den Betrieb holen. Wir vom Be<br />
triebsrat wollten hingegen sozial abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse.<br />
Wie genau seid ihr vorgegangen, um <strong>Leiharbeit</strong> von Bosch in Bamberg<br />
fern zu halten?<br />
Wir setzten uns mit der Bezirksleitung der IG Metall in Verbindung und<br />
verhandelten über einen Ergänzungstarifvertrag. Denn zum damaligen Zeit<br />
punkt durften Mitarbeiter maximal zwei Mal zwölf Wochen befristet be<br />
schäftigt werden. Doch was Bosch brauchte, waren Beschäftigungsverhält<br />
nisse von ein bis eineinhalb Jahren. Die IG Metall stimmte entsprechenden<br />
Vereinbarungen zu und eine Betriebsversammlung wurde einberufen.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
HansWolff
Wie konntet ihr die Beschäftigten von eurem Vorschlag überzeugen?<br />
Wir haben versprochen, dass vor allem Familienangehörige und Arbeits<br />
lose aus der Region die befristeten Verträge bekommen. So war auf einmal<br />
die persönliche Betroffenheit da. Jeder hatte einen Sohn oder Bruder oder<br />
Bekannten, der auf der Suche nach Arbeit war. Da waren alle schnell von<br />
unserer Idee überzeugt.<br />
„ Wir haben mit offenen Karten gespielt und von<br />
vornherein gesagt, dass nach der Befristung keine<br />
Übernahme garantiert ist."<br />
Und das, obwohl es sich nur um Arbeit auf Zeit handelte?<br />
Wir haben mit offenen Karten gespielt und von vornherein gesagt, dass nach<br />
der Befristung keine Übernahme garantiert ist. Aber viele waren sehr froh,<br />
wenigstens für diese Zeit etwas zu haben. Die Arbeitslosenquote lag damals<br />
bei rund zehn Prozent. Nach Ablauf der befristeten Verträge konnten dann<br />
sogar 160 Personen fest übernommen werden.<br />
Gab es seither noch einmal eine Diskussion über <strong>Leiharbeit</strong>?<br />
Zwischenzeitlich wurden wegen einer ähnlichen Produktionsumstellung<br />
noch einmal 60 Zusatzkräfte benötigt. Die Werksleitung von Bosch hat aber<br />
keinerlei Anstalten mehr gemacht, noch einmal über <strong>Leiharbeit</strong> zu reden.<br />
Stattdessen bot sie von vornherein befristete Verträge an.<br />
Kann man die Situation bei Bosch in Bamberg auf andere Unternehmen<br />
übertragen?<br />
In vielen Fällen schon. <strong>Leiharbeit</strong> wird oftmals nur missbraucht. Unsere<br />
Manteltarifverträge sind doch so flexibel, dass man zusätzliche Arbeitskräfte<br />
problemlos über befristete Beschäftigungsverhältnisse bekommen kann.
Dennoch gibt es immer mehr <strong>Leiharbeit</strong>er in der Bundesrepublik...<br />
Ja, weil viele Betriebsräte zu schwach sind oder sich zu schwach fühlen,<br />
um sie zu verhindern.<br />
Aber warum kämpft ihr so vehement gegen <strong>Leiharbeit</strong>?<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
„Unsere Manteltarifverträge sind so flexibel,<br />
dass man zusätzliche Arbeitskräfte problemlos<br />
über befristete Beschäftigungsverhältnisse<br />
bekommen kann."<br />
Für mich und meine Kolleginnen und Kollegen stellen Tarifverträge eine<br />
Mindestbedingung dar. Sobald sie durchlöchert werden, sind sie nichts mehr<br />
wert. Per <strong>Leiharbeit</strong> wird doch auch versucht, die Kosten für Festangestellte<br />
zu drücken. Es wird dabei von den Unternehmern so getan, als sei der Tarifver<br />
trag die Höchst- und nicht die Mindestbedingung.<br />
Also sollten alle Betriebsräte gegen <strong>Leiharbeit</strong> mobil machen?<br />
Auf jeden Fall. Es muss für flächendeckende Tarifverträge gekämpft werden.<br />
Wenn es gelingt, die Belegschaft so wie hier in Bamberg mit ins Boot zu holen,<br />
können Arbeitgeber <strong>Leiharbeit</strong> nicht missbrauchen.
Dennoch gibt es immer mehr <strong>Leiharbeit</strong>er in der Bundesrepublik...<br />
Ja, weil viele Betriebsräte zu schwach sind oder sich zu schwach fühlen,<br />
um sie zu verhindern.<br />
Aber warum kämpft ihr so vehement gegen <strong>Leiharbeit</strong>?<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
„Unsere Manteltarifverträge sind so flexibel,<br />
dass man zusätzliche Arbeitskräfte problemlos<br />
über befristete Beschäftigungsverhältnisse<br />
bekommen kann."<br />
Für mich und meine Kolleginnen und Kollegen stellen Tarifverträge eine<br />
Mindestbedingung dar. Sobald sie durchlöchert werden, sind sie nichts mehr<br />
wert. Per <strong>Leiharbeit</strong> wird doch auch versucht, die Kosten für Festangestellte<br />
zu drücken. Es wird dabei von den Unternehmern so getan, als sei der Tarifver<br />
trag die Höchst- und nicht die Mindestbedingung.<br />
Also sollten alle Betriebsräte gegen <strong>Leiharbeit</strong> mobil machen?<br />
Auf jeden Fall. Es muss für flächendeckende Tarifverträge gekämpft werden.<br />
Wenn es gelingt, die Belegschaft so wie hier in Bamberg mit ins Boot zu holen,<br />
können Arbeitgeber <strong>Leiharbeit</strong> nicht missbrauchen.
„Der Kampf um Mehrheiten lohnt sich"<br />
IG Metall kämpft für bessere Arbeitsbedingungen<br />
im Dresdner Infineon-Werk<br />
„Letztes Jahr war ich in China", erzählt Wigand Cramer. „Andere waren<br />
wegen der Arbeitsbedingungen dort schockiert. Ich kannte das aus<br />
Dresden." Cramer ist IT-Spezialist der IG Metall und betreut in dieser<br />
Funktion unter anderem Infineon.<br />
Wenn er von den Zuständen in Dresden erzählt, benutzt er häufig Worte,<br />
die „besser in keinem Text stehen sollten". Denn das Thema ist brisant, die<br />
Lage angespannt und er ist ziemlich unzufrieden mit der Situation vor Ort.<br />
Noch sitzen nicht nur Mitglieder der IG Metall im<br />
Betriebsrat, doch die Zuversicht ist groß, dass der<br />
Einfluss der IG Metall ständig wachsen wird.<br />
Die IG Metall versucht seit Jahren, ihren Einfluss bei Infineon und dem<br />
Tochterunternehmen Qimonda auszuweiten. Noch sitzen nämlich nicht nur<br />
Mitglieder der IG Metall im Betriebsrat, sondern in der Mehrheit solche,<br />
die der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) zu<br />
zurechnen sind, die von Siemens gezielt mit Millionenbeträgen aufgepäp<br />
pelt wurde, um die IG Metall zu bekämpfen. Doch Cramer ist zuversichtlich,<br />
dass der Einfluss der IG Metall ständig wachsen wird.<br />
Aber selbst wenn die Mehrheit im Betriebsrat zu Gunsten der IG Metall<br />
kippt, liegen schwere Aufgaben vor ihr, schwant es Cramer: „Dieser unterneh<br />
merfreundliche Betriebsrat machte bislang alles, was die Geschäftsfüh<br />
rung wollte. Deshalb liegt da einiges im Argen." So stimmte der Betriebsrat<br />
einst der Einführung von <strong>Leiharbeit</strong> in den Dresdner Werken zu. Denn vor<br />
allem zwei Arten von Halbleitern werden in Dresden produziert: einfache<br />
Speicherchips und komplexe Prozessoren. Die Nachfrage nach Speichern ist<br />
konstant, die nach Prozessoren hingegen schwankt stark.
Da Infineon in Dresden vor allem diese „Logik"-Chips fertigen lassen will,<br />
sollte auch der Personalbedarf durch <strong>Leiharbeit</strong> flexibler werden. „Die<br />
Stammbelegschaft", sagt Cramer, „sollte auf ein Minimum reduziert werden,<br />
und die Betriebsratsmehrheit unterstützte das."<br />
Bei 30 Prozent wurde die Höchstquote für den Einsatz von <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
damals festgeschrieben. In Wahrheit hätten Infineon und Qimonda mittlerwei<br />
le vier Arten von Beschäftigten, erläutert Cramer: Nicht nur Festangestellte<br />
und neu eingestellte <strong>Leiharbeit</strong>er würden beschäftigt, sondern auch befristet<br />
Beschäftigte und jene, die früher befristete Arbeitsverträge hatten und dann<br />
überredet wurden, in die <strong>Leiharbeit</strong> zu gehen. Gerade diejenigen, die in die<br />
<strong>Leiharbeit</strong> gewechselt sind, hätten jetzt „bis zu 500 Euro weniger im Monat<br />
als früher". Vor einiger Zeit wurde in Dresden zudem die Zwölf-Stunden-<br />
Schicht eingeführt - der Betriebsrat ging auch hier nicht auf die Barrikaden.<br />
Zwölf Stunden Arbeit pro Tag sind laut Gesetz gar nicht zulässig. Doch<br />
zwischendurch, erläutert Cramer, werden einfach knapp zweistündige, zum<br />
Teil unbezahlte Pausen verordnet.<br />
Widerstand gegen die Infineon-Praktiken gibt es für Cramers Geschmack viel<br />
zu wenig: „Da herrscht überall die nackte Angst." Denn die Drohung, dass<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
An den deutschen Infineon-Standorten,<br />
an denen die IG Metall die Betriebsratsmehrheit<br />
stellt, ist eine Zwölf-Stunden-Schicht bis<br />
heute undenkbar.<br />
Infineon komplett ins Ausland gehen könnte, ist sehr real - ein großer Teil der<br />
Auftragsfertigung sitzt schon jetzt in Malaysia, Singapur, Taiwan und China.<br />
„Uns fällt es schwer, Mitarbeiter zu mobilisieren. Die Stammbelegschaft<br />
glaubt, dass es sie nicht betrifft. Und die <strong>Leiharbeit</strong>er trauen sich nicht, etwas<br />
zu unternehmen, weil sie dann 'individuell abgekündigt' werden, wie die<br />
Entlassung ohne Kündigungsschutz umschrieben wird", bilanziert Cramer.<br />
Dabei kann eine gut organisierte Arbeiterschaft sehr wohl etwas bewegen:<br />
An den deutschen Infineon-Standorten, an denen die IG Metall die Betriebs<br />
ratsmehrheit stellt, ist eine Zwölf-Stunden-Schicht bis heute undenkbar.<br />
Cramer hofft, dass die IG Metall bald auch in Dresden die Oberhand gewinnt:<br />
„Es kann doch nicht sein, dass hierzulande High Tech zu Low Cost und mit<br />
Lohndumping produziert wird."
„Es geht fast alles - aber nur mit Druck"<br />
Erfolge in der Automobilbranche<br />
In der Automobilbranche sind <strong>Leiharbeit</strong>er gefragt wie in kaum einem<br />
anderen Sektor. Denn, so das Argument der Vorstände und Politiker, mit<br />
<strong>Leiharbeit</strong>ern können Auftragsspitzen abgefedert werden, damit die<br />
Autobauer flexibel und wettbewerbsfähig bleiben. Für Gewerkschaften und<br />
Betriebsräte bedeutet dieser Wunsch nach Flexibilität vor allem eines: viel<br />
Arbeit.<br />
Wolfgang Bergmann ist Betriebsrat im Volkswagen-Werk Zwickau. Er sieht<br />
seine Aufgabe pragmatisch: „Wenn wir schon das System nicht abschaffen<br />
können, dann müssen wir wenigstens die Bedingungen so gut wie möglich<br />
gestalten." Bei VW in Zwickau scheint ihm und seinen Kollegen das gelungen<br />
zu sein: „Arbeitssuchende sind sehr interessiert daran, bei uns eine Stelle<br />
zu bekommen."<br />
Verständlich, denn einst forderte der VW-Betriebsrat das gleiche Grund<br />
lohnniveau für <strong>Leiharbeit</strong>er wie für Stammbeschäftigte - sonst hätte er die<br />
Zustimmung zu weiteren <strong>Leiharbeit</strong>ern verweigert. Nun wird mit den Leih<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
„Wenn wir schon das System nicht abschaffen<br />
können, dann müssen wir wenigstens die<br />
Bedingungen so gut wie möglich gestalten."<br />
arbeitsfirmen ein finanzieller Rahmen vereinbart, der einen entsprechenden<br />
Zuschlag für die Mitarbeiter garantiert. Auch Tariferhöhungen fließen in<br />
die Kalkulation ein. Der Zuschlag kommt allerdings nur zum Tragen, wenn<br />
der Mitarbeiter auch vor Ort tätig ist.<br />
Mittlerweile liegt die Quote der <strong>Leiharbeit</strong>er bei rund zehn Prozent. Sie ist<br />
auf maximal 700 Personen begrenzt. „200 langjährig beschäftige <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
wurden jetzt übernommen oder haben eine Einstellungszusage erhalten",<br />
berichtet Bergmann. Allerdings, gibt er zu bedenken, funktioniere das alles<br />
natürlich nicht einfach so: „Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen.<br />
Es geht alles immer nur mit Druck."
46<br />
„200 langjährig beschäftige <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
wurden übernommen oder haben<br />
eine Einstellungszusage erhalten."<br />
Das Verhältnis zwischen <strong>Leiharbeit</strong>ern und Festangestellten hält Bergmann<br />
für gut: „Da spielt der Konkurrenzgedanke keine Rolle. <strong>Leiharbeit</strong>er werden<br />
gleichberechtigt mit ins Team integriert." Ein Grund dafür ist sicher auch die<br />
Tatsache, dass der Organisationsgrad der <strong>Leiharbeit</strong>nehmer in der IG Metall<br />
bei nahezu 100 Prozent liegt und mit jedem neuen Mitarbeiter Gespräche<br />
geführt werden. Tatsächlich, erläutert der Betriebsrat, seien einige der Leihar<br />
beiter sicher schon seit dem Jahr 2000 dabei: „Einige sind echte Spezialisten,<br />
manchmal sind sie besser qualifiziert als Festangestellte und entsprechend<br />
lange dabei. Mit dem ursprünglichen Sinn von <strong>Leiharbeit</strong> hat das natürlich<br />
nichts mehr zu tun." Dennoch, sagt Bergmann, können alle mittlerweile mit<br />
der Situation im VW-Werk zufrieden sein.<br />
Perspektiven für <strong>Leiharbeit</strong>er gibt es auch bei Opel in Rüsselsheim. Die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er - überwiegend Facharbeiter und Ingenieure - sind Thema bei den<br />
Personalgesprächen und werden gezielt bei anstehenden Festanstellungen<br />
berücksichtigt.<br />
Schon lange ist <strong>Leiharbeit</strong> bei Ford in Köln geregelt. 2003 wurde dort eine<br />
Betriebsvereinbarung geschlossen, die sicherstellt, dass <strong>Leiharbeit</strong>skräfte<br />
nach dem nordrhein-westfälischen IG Metall-Flächentarifvertrag für NRW<br />
entlohnt werden. Zudem ist <strong>Leiharbeit</strong> dort begrenzt: Bei planbarer Abwesen<br />
heit dürfen maximal 3 Prozent der Belegschaft <strong>Leiharbeit</strong>er sein. Um unge<br />
wöhnliche Ereignisse abzufedern, können es bis zu 8 Prozentwerden.<br />
Deutlich mehr Geld als im <strong>Leiharbeit</strong>s-Tarifvertrag erhält, wer an Porsche<br />
in Zuffenhausen ausgeliehen wird. <strong>Leiharbeit</strong>nehmer bekommen pro Stunde<br />
17,02 Euro im Akkurd und 14,25 Euro im Zeitlohn.<br />
Gleiche Entlohnung für <strong>Leiharbeit</strong>nehmer und Festangestellte erreichte die<br />
IG-Metall 2007 im Rahmen einer Betriebsvereinbarung mit BMW in München.<br />
Der Autohersteiler verpflichtete sich, an allen deutschen Standorten nur<br />
noch mit Verleihfirmen zusammenzuarbeiten, die ein Grundentgelt nach dem<br />
Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie zahlen.
Eine grundsätzliche Begrenzung der <strong>Leiharbeit</strong> gilt bei Audi in Ingolstadt:<br />
Sie liegt bei fünf Prozent der Gesamtbelegschaft. <strong>Leiharbeit</strong>er im Bereich des<br />
Leistungsentgeltes erhalten in den ersten drei Monaten 13,94 Euro in der<br />
Stunde, danach 14,68 Euro. Im Bereich des Zeitentgeltes bekommen entlie<br />
hene Mitarbeiter unabhängig von der Einsatzdauer 12,73 Euro. Die Entgelte<br />
werden um den gleichen Prozentsatz erhöht wie in der Metall- und Elektro<br />
industrie.<br />
Auch bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde einigte man sich auf eine Be<br />
grenzung der <strong>Leiharbeit</strong>: Maximal 170 entliehene Mitarbeiter darf es im Werk<br />
geben. „Damit hat sich der Betriebsrat auf relativ wenige <strong>Leiharbeit</strong>er ein<br />
gelassen. Es war ein zäher Aushandlungsprozess", weiß Hermann von<br />
Schuckmann, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in der zugehörigen<br />
Verwaltungsstelle.<br />
Mercedes zahlt der Verleihfirma nun einen Stundensatz, der dem Verleiher<br />
die Bezahlung nach dem Grundentgelt der Metall- und Elektroindustrie<br />
ermöglicht. Die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer haben einen Zusatz im Arbeitsvertrag, der<br />
beim Einsatz bei Mercedes eine „Mercedes-Benz-Zulage" regelt. Der Erste<br />
Bevollmächtigte warnt allerdings davor, bei dieser Regelung von „Equal pay"<br />
zu reden: „Das ist eine .Besser'-Vereinbarung, aber völlig gleich sind die<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er noch lange nicht gestellt. Schließlich bekommen sie keine<br />
Leistungsentgelte - und die machen rund 25 Prozent des gesamten Entgelts<br />
aus. Von Urlaubs- und Weihnachtsgeld ganz abgesehen."<br />
In letzter Konsequenz seien die <strong>Leiharbeit</strong>er bei Mercedes also doch<br />
„Beschäftigte zweiter Klasse", sagt von Schuckmann. Natürlich, berichtet er<br />
weiter, habe es auch über eine Entlohnung mit Leistungsentgelten Ver<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Mercedes zahlt der Verleihfirma nun einen<br />
Stundensatz, der dem Verleiher die Bezahlung<br />
nach dem Grundentgelt der Metall- und<br />
Elektroindustrie ermöglicht.<br />
handlungen gegeben: „Aber wir sind hier nur ein Mercedes-Werk von vielen.<br />
Zu glauben, dass man hier Regelungen umsetzen kann, die im Mercedes-<br />
Werk Untertürkheim nicht gelten, ist leider illusionär."
Mit Herzblut und guten Argumenten<br />
Dank Betriebsrat organisieren<br />
sich <strong>Leiharbeit</strong>er in der IG Metall<br />
Die Belange von <strong>Leiharbeit</strong>ern liegen Josef Sattler besonders am Herzen.<br />
Das Betriebsratsmitglied wirbt deshalb täglich für die IG Metall - mit<br />
Erfolg: Über 70 Prozent der <strong>Leiharbeit</strong>er in der Zahnradfabrik Passau sind<br />
organisiert.<br />
Sattler ist Ansprechpartner von 135 Vertrauensleuten im Passauer Werk<br />
der Zahnradfabrik Friedrichshafen. Und er ist Mitglied im Betriebsrat. In bei<br />
den Ämtern ist es seine Aufgabe, für die Mitarbeiter da zu sein. Und eine<br />
Sache liegt Josef Sattler da besonders am Herzen: die Situation der Leiharbei<br />
ter. Etwa 230 <strong>Leiharbeit</strong>er sind derzeit in der Zahnradfabrik beschäftigt,<br />
70 Prozent davon sind bereits in der IG Metall organisiert.<br />
Wenn Josef Sattler auszieht, um unter den <strong>Leiharbeit</strong>ern neue Mitglieder<br />
für die IG Metall zu werben, klemmt er sich immer auch die IG-Metall-Broschü<br />
re „Fair Leihen" unter den Arm. So kann er den Arbeitern einen Überblick<br />
über ihre Situation geben. „Ich spreche die Leute gezielt an und erkläre ihnen,<br />
welche Vorteile sie haben, wenn sie in die Gewerkschaft eintreten, dass sie<br />
Rechtsschutz haben und dass wir da sind, um ihre Fragen zu beantworten",<br />
erklärt Sattler.<br />
Im Betriebsrat kämpft er mit anderen dafür,<br />
dass möglichst viele <strong>Leiharbeit</strong>er in die<br />
Stammbelegschaft übernommen werden.<br />
Oft genug kämen Leute zu ihm, die Fragen zu ihren Verträgen hätten,<br />
weil sie deren Inhalt nicht richtig kennen - die Verträge werden aber von der<br />
Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) ausgestellt. Sattler und seine<br />
Kollegen mussten sich also zunächst in deren Vertragswerke einlesen, be<br />
vor sie den <strong>Leiharbeit</strong>ern helfen konnten.
Mit Argumenten überzeugen -<br />
die Broschüre der IG Metall zum<br />
Thema <strong>Leiharbeit</strong><br />
„Das ist auch gut für uns, dass wir die anderen Verträge mal zu sehen be<br />
kommen und auch darüber Bescheid wissen", findet Sattler.<br />
Die Stammbelegschaft der Zahnradfabrik Passau zählt 4.100 Personen. Wenn<br />
es nach Josef Sattler ginge, wären es bald 4.330. Im Betriebsrat kämpft er<br />
mit anderen dafür, dass möglichst viele <strong>Leiharbeit</strong>er in die Stammbelegschaft<br />
übernommen werden. „Das ist uns bisher auch schon öfter gelungen", sagt<br />
Sattler. Auch die anderen Mitarbeiter würden es gerne sehen, dass Leiharbei<br />
ter unter besseren Bedingungen arbeiten. „Die kommen auf mich zu und<br />
sagen mir, dass die Leute, wenn sie dieselbe Arbeit machen, auch dieselben<br />
Bedingungen haben sollen." Auch für höhere Stundenlöhne der <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
setzt sich Sattler im Betriebsrat ein.<br />
Die Werbung läuft gut, Sattler konnte schon viele <strong>Leiharbeit</strong>er für die<br />
IG Metall gewinnen. Auch in Zukunft hofft er, dass es so weiter geht.<br />
Sattler: „Wir wollen niemand dazu zwingen, aber dran bleiben müssen<br />
wir halt."<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite
Fair Play und Equal Pay<br />
Bei GABIS gilt: Vermittlung statt Umsatz<br />
Langzeitarbeitslos, schwer vermittelbar? Die Firma GABIS aus Speyer hat<br />
täglich damit zu tun. Als gemeinnützige Arbeitnehmerüberlassung ist ihr<br />
Geschäftsauftrag, schwer vermittelbare, arbeitslose oder von Arbeitslosig<br />
keit bedrohte Menschen über die Entleihphase in ein festes Arbeitsverhält<br />
nis zu vermitteln.<br />
„Für uns stehen nicht Umsatz und Ergebnis im Vordergrund, sondern die<br />
Vermittlung", sagt GABIS-Geschäftsführer Wolfgang Viertel. Im Durchschnitt<br />
werden vierzig Prozent der Vermittelten vom jeweiligen Entleihbetrieb<br />
übernommen.<br />
„Für uns stehen nicht Umsatz und Ergebnis im<br />
Vordergrund, sondern die Vermittlung."<br />
Aber nicht nur hier unterscheidet sich GABIS von kommerzieller Leihar<br />
beit. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt im Schnitt 9,7 Monate im sei<br />
ben Entleihbetrieb. Außerdem entlohnt GABIS nach dem Grundsatz „Equal<br />
pay". Dies ermöglicht ein Rahmentarifvertrag, der aus dem Jahr 1996 stammt<br />
und 2004 mit der IG Metall aktualisiert wurde. Die schnelle und unbürokra<br />
tische Zusammenarbeit mit den Kunden ermöglicht ein Höchstmaß an Flexibi<br />
lität. Faire Bedingungen und klare Absprachen sind das Markenzeichen von<br />
GABIS.<br />
Dass Menschen bei GABIS fair behandelt werden, ist in der Region um<br />
Speyer bekannt. Immer häufiger kommt es vor, dass <strong>Leiharbeit</strong>nehmer ihr Un<br />
ternehmen verlassen und zu GABIS wechseln. „Der gute Name ist die beste<br />
Empfehlung", so Wolfgang Viertel. Sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Kun<br />
den läuft die Empfehlung größtenteils über Mund-zu-Mund-Propaganda. Auf<br />
Werbung oder Annoncen ist man nicht angewiesen.
Größter Kunde der GABIS GmbH ist die Daimler AG in Wörth. 1.200 ehemalige<br />
GABIS-Mitarbeiter konnten in den letzten viereinhalb Jahren an Daimler ver<br />
mittelt werden. Thomas Cantzler und seine Kolleginnen und Kollegen schauen<br />
sich den Arbeitsplatz genau an, für den ein <strong>Leiharbeit</strong>nehmer gesucht wird,<br />
erst dann sucht GABIS die passenden Personen. DerVorteil dieser Methode:<br />
Für den Mitarbeiter garantiert Daimler eine feste Dauer an einem festen Ar<br />
beitsplatz, die Firma profitiert von qualifiziertem Personal und guter Betreu<br />
ung. Die Fluktuation ist dabei sehr gering.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Faire Bedingungen und klare Absprachen<br />
sind das Markenzeichen von GABIS.<br />
Die gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der Personalabteilung<br />
ist Grundlage für die Zufriedenheit bei allen Beteiligten. „Wir finden immer<br />
wieder Kunden, die unsere einfache Geschäftsidee mittragen," so GABIS-<br />
Geschäftsführer Viertel. „Wünschenswert wäre nur, dass das Modell GABIS<br />
auch im kommerziellen Bereich Schule macht."
Starker Betriebsrat,<br />
starke Gewerkschaft, starke Leistung<br />
Wie aus Leihkräften feste Mitarbeiter werden<br />
Bei der STILL GmbH, einem Gabelstaplerbauer, ist <strong>Leiharbeit</strong> verhältnis<br />
mäßig gut geregelt. Detlef Feye, Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter,<br />
erklärt, warum er einen fairen Umgang mit <strong>Leiharbeit</strong>ern für wichtig hält -<br />
und wie er sich gegen das Management durchgesetzt hat.<br />
Ihr habt für die <strong>Leiharbeit</strong>er in eurem Betrieb Regeln durchgesetzt, von<br />
denen andere nur träumen können. Wie habt ihr das geschafft?<br />
Durch hartes Verhandeln. 2005 ging es dem Unternehmen wirtschaftlich<br />
gar nicht gut, es gab eine Entlassungswelle. Wir haben damals mit der Arbeit<br />
geberseite über eine Beschäftigungsgarantie bis 2011 verhandelt. Im Ge<br />
genzug wollte die andere Seite flexiblere Beschäftigungsverhältnisse, also<br />
befristete Anstellungen - und eben auch <strong>Leiharbeit</strong>.<br />
Und darauf habt ihr euch eingelassen?<br />
Wir können uns nicht von der wirtschaftlichen Lage abkoppeln. Aber wir<br />
haben durchgesetzt, dass maximal zehn Prozent der Beschäftigungsverhält<br />
nisse befristet sein dürfen und ebenso maximal zehn Prozent <strong>Leiharbeit</strong><br />
sein darf.<br />
Und wie hat das dann mit den <strong>Leiharbeit</strong>ern im Arbeitsalltag funktioniert?<br />
Erst mal nicht besonders gut. Das lag aber nicht an den <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
selbst - das sind Kollegen wie alle anderen auch. Aber sie waren nun mal<br />
Beschäftige zweiter Klasse, mit weniger Rechten, weniger Geld. Das schlägt<br />
natürlich auf die Stimmung und die Motivation - und damit auch auf die<br />
Qualität der Arbeit. Wir haben immer gesagt, dass wir absolut nichts gegen<br />
die Leute haben, sondern gegen die Beschäftigungsform. Die haben es<br />
verdammt schwer unter den Bedingungen, unter denen sie teilweise arbeiten<br />
müssen. Deshalb haben wir uns ja dann auch für eine fairere Behandlung<br />
eingesetzt, als wir 2007 mit dem Management neu verhandelt haben.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Detlef Feye
Und was habt ihr erreicht?<br />
Eine Menge. Wir haben durchgesetzt, dass <strong>Leiharbeit</strong>er vom ersten Tag an<br />
genau so bezahlt werden wie festangestellte Kollegen. Außerdem arbeiten wir<br />
nur mit Verleihfirmen zusammen, die den eigenständigen Tarifvertrag mit der<br />
IG Metall unterschrieben haben. Wir fahren die <strong>Leiharbeit</strong> jetzt schon zurück.<br />
Ab 2009 soll sie nur noch bedarfsorientiert eingesetzt werden, also bei echten<br />
Auftragsspitzen. So ist das ja ursprünglich auch gedacht.<br />
„ Wir arbeiten nur mit Verleihfirmen<br />
zusammen, die den eigenständigen Tarifvertrag<br />
mit der IG Metall unterschrieben haben."<br />
Und darauf hat sich die Arbeitgeberseite einfach so eingelassen?<br />
Einfach so natürlich nicht. Da mussten wir schon das eine oder andere deut<br />
liche Wort sprechen. Wir sind hier bei STILL gewerkschaftlich sehr gut organi<br />
siert, die Belegschaft steht geschlossen hinter uns - und sie hat sich mit<br />
den <strong>Leiharbeit</strong>ern solidarisiert. Die Unternehmensführung wusste: „Wenn wir<br />
uns nicht kompromissbereit zeigen, dann werden die sich schon zu wehren<br />
wissen." Das ist eine Verhandlungsbasis auf gleicher Augenhöhe, die man<br />
braucht. Der Schlüssel war unsere starke gewerkschaftliche Position im Unter<br />
nehmen.<br />
Und wie läuft die Zusammenarbeit mit den Verleihfirmen?<br />
Mittlerweile recht gut. Wir arbeiten mit ganz verschiedenen zusammen -<br />
mit großen und kleinen. Die wissen, wie die Bedingungen bei uns sind. Wir<br />
holen die Leute ja auch meist direkt für ein halbes Jahr oder länger. Das bringt<br />
nicht nur bei den <strong>Leiharbeit</strong>ern Sicherheit, sondern auch bei den Verleihern.<br />
Deshalb schicken sie uns heute nur noch ihre besten Leute. Viele von denen<br />
schaffen es dann ja auch in eine Festanstellung.
Wieviele sind das?<br />
Seit Ende 2007 insgesamt 130 Leute. Wir haben in zwei Wellen <strong>Leiharbeit</strong>ern<br />
befristete Festanstellungsverträge geben können. In diesem Frühjahr haben<br />
wir dann 100 befristete Stellen entfristet, darunter auch 20 bis 30 ehemalige<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er. Die haben es also innerhalb eines Jahres von der <strong>Leiharbeit</strong> zu<br />
einer unbefristeten Stelle geschafft.<br />
Und sind die dann auch Gewerkschaftsmitglieder geworden?<br />
Ja. Wir haben fast 200 neue Mitglieder dadurch gewonnen. Und von den<br />
40 Vertrauensleuten, die wir kürzlich neu gewählt haben, ist jeder dritte ein<br />
ehemaliger <strong>Leiharbeit</strong>er. Es ist sogar ein Kollege dabei, der jetzt noch als<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er tätig ist. Der hat die Akzeptanz in der Belegschaft, auch wenn er<br />
offiziell gar nicht bei uns beschäftigt ist.<br />
„Man braucht eine Verhandlungsbasis<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
auf gleicher Augenhöhe. Der Schlüssel war<br />
unsere starke gewerkschaftliche Position<br />
im Unternehmen."<br />
Aber wäre es nicht viel besser, wenn sich die <strong>Leiharbeit</strong>er bei ihrem<br />
eigentlichen Arbeitgeber, dem Verleiher, gewerkschaftlich organisieren<br />
würden?<br />
Natürlich wäre es das. Aber dazu gehört eine Menge Mut. Gerade viele kleine<br />
Verleiher buttern ihre Beschäftigten teilweise ganz schön unter. Wir ermun<br />
tern unsere <strong>Leiharbeit</strong>er, für ihre Rechte zu kämpfen. Sie wissen, dass wir auf<br />
ihrer Seite sind. Aber aktiv werden müssen sie natürlich selbst.
56<br />
„Die Situation in den Griff bekommen"<br />
„Kaskaden-Modell" ermöglicht Übernahme<br />
von <strong>Leiharbeit</strong>ern bei Siemens TS<br />
„Die aktuelle Situation haben die deutschen Politiker ganz ohne Not<br />
verursacht", sagt Hans Hoecherl. Er ist der Betriebsratsvorsitzende bei<br />
Siemens TS in München. Er stört sich daran, dass Firmen Mitarbeiter<br />
mittlerweile so lange entleihen dürfen wie sie wollen.<br />
Früher gab es eine Begrenzung der Entleihzeit auf zwei Jahre, davor war die<br />
<strong>Leiharbeit</strong> auf wenige Monate beschränkt. Doch jetzt sei <strong>Leiharbeit</strong> „nur noch<br />
eine Form der Arbeitnehmervermittlung" und Betriebsräte mussten die<br />
Fehlentscheidungen der Politiker ausbaden und versuchen, sich gegen ein<br />
Überhandnehmen der <strong>Leiharbeit</strong> zu stemmen.<br />
Gelungen ist das bei Siemens TS im Dezember 2007, indem das so genannte<br />
Kaskaden-Modell im Rahmen eines Ergänzungstarifvertrages angewandt<br />
wurde. Das Modell verpflichtet die Geschäftsführung, bisherige Leihar<br />
beiter fest zu übernehmen, wenn sie weitere <strong>Leiharbeit</strong>er beschäftigen will.<br />
„Wir vom Betriebsrat haben Entscheidungen nicht zugestimmt, bis eine sinn<br />
volle Lösung gefunden war. Wir wollten verhindern, dass die Quote der<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er noch höher wird und wollten die Situation wieder in den Griff<br />
bekommen", sagt Hoecherl.<br />
So gelang es dem Betriebsrat zu erzwingen, dass die Zahl der Festangestell<br />
ten bei Siemens TS von 540 auf etwa 590 anstieg und 60 statt 5 Mitarbeiter<br />
befristete statt <strong>Leiharbeit</strong>s-Verträge bekamen.
„Es wird keine Menschen zweiter Klasse geben"<br />
„Equal pay" und „Equal treatment"<br />
bei Mercedes-Benz in Wörth<br />
„Natürlich ist uns ein Dauerarbeitsplatz wichtiger als ein befristeter. Aber<br />
<strong>Leiharbeit</strong> und Befristungen werden nun einmal zunehmend vom Unterneh<br />
men als Flexibilisierungsinstrument eingesetzt", sagt Ulli Edelmann, Be<br />
triebsratsvorsitzender des Mercedes-Benz-Werkes Wörth.<br />
Von Anfang an war jedoch klar: Der Betriebsrat verlangt ein Mitsprache<br />
recht bei der Auswahl der Verleihunternehmen. Ebenso war klar: Unterhalb<br />
von „Equal pay", also gleichem Lohn für gleiche Arbeit, wird nicht verhan<br />
delt. Unterstützt von einer gut organisierten Belegschaft wurde sogar noch<br />
mehr erreicht; für die <strong>Leiharbeit</strong>nehmer gibt es die gleichen Zuschlagsre<br />
gelungen, die gleichen Pausenzeiten, den gleichen Essenszuschuss in der<br />
Kantine. Auch die Entgelterhöhung aus der vergangenen Metall-Tarifrunde<br />
wurde in vollem Umfang weitergeben.<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
„Es wird im Werk keine Menschen zweiter Klasse<br />
geben. <strong>Leiharbeit</strong>nehmer sind für die Zeit, in der<br />
sie bei uns sind, unsere Kollegen."<br />
Kein Wunder, dass der Organisationsgrad unter den <strong>Leiharbeit</strong>nehmern<br />
ähnlich hoch ist wie bei der Stammbelegschaft.
Gutes Geld für gute Arbeit<br />
Betriebsrat bei Thyssen Krupp<br />
macht vor, wie's geht<br />
Alte Menschen behaupten manchmal, dass früher alles besser war.<br />
Patrick Wohlfeld ist erst Ende zwanzig, doch sicher liegt es nicht nur daran,<br />
dass er ganz anderer Meinung ist. Er ist Betriebsrat bei TKIN in Leipzig.<br />
Und dort, sagt er, war früher nichts besser.<br />
Der Name TKIN steht für „Thyssen Krupp Industrieservice GmbH". Dahinter<br />
verbirgt sich die hauseigene <strong>Leiharbeit</strong>sfirma des Weltkonzerns Thyssen<br />
Krupp. Bei der Firma lag früher einiges im Argen, berichtet Wohlfeld: „Der<br />
Haustarifvertrag orientierte sich an dem des .Unternehmerverbandes In-<br />
dustrieService + Dienstleistungen' (UIS). Allerdings hatte das Unternehmen<br />
alle in die unterste Lohngruppe eingruppiert. Es gab pro Stunde nur etwa<br />
6,35 Euro." Ein Betriebsrat fehlte. Es gab also niemanden, der die Interessen<br />
der <strong>Leiharbeit</strong>er vertrat.<br />
„Nach einem Jahr wurden alle <strong>Leiharbeit</strong>er<br />
neu eingruppiert. Jetzt gibt es nach der<br />
Einarbeitungsphase mindestens 9,62 Euro<br />
pro Stunde."<br />
Wohlfeld hatte früher für andere Zeitarbeitsfirmen gearbeitet. Als er die<br />
Zustände in Leipzig sah, wandte sich das Gewerkschaftsmitglied an die<br />
IG Metall. Im Mai 2006 gründeten die TKIN-<strong>Leiharbeit</strong>er einen Betriebsrat:<br />
„Wir waren ziemlich schnell gut organisiert. Die Belegschaft hat sofort<br />
mitgemacht. Nach einem Jahr wurden alle <strong>Leiharbeit</strong>er neu eingruppiert. Jetzt<br />
gibt es nach der Einarbeitungsphase mindestens 9,62 Euro pro Stunde."
Was sich im Rückblick so einfach anhört, war für Wohlfeld und seine Kol<br />
legen ein harter Kampf: „Anfangs hat das der Geschäftsleitung natürlich nicht<br />
geschmeckt. Wir mussten mit einer Massenklage drohen, dann gelang die<br />
Umsetzung." Zugute kam dem Betriebsrat dabei die Tatsache, dass die Leihar<br />
beiter von TKIN alle für Thyssen Krupp Automotive (TKA) arbeiten. „Letzt<br />
lich waren dann auch höhere Instanzen im Haus daran interessiert, den Kon<br />
flikt beizulegen." Denn, so Wohlfeld, diese wollen hohe Qualität und gute<br />
Leistungen: „Das kann man für 6,35 Euro ja kaum erwarten."<br />
Bei ihrer Forderung nach mehr Geld kam der Belegschaft auch die Arbeits<br />
marktsituation zu Gute: „Es gibt immer weniger Arbeitslose. Da wären zum<br />
alten Lohn kaum Leute zu finden gewesen." Das nächste Ziel des Betriebs<br />
rats ist eine neue Regelung bei den Arbeitsverhältnissen der <strong>Leiharbeit</strong>er:<br />
„Bislang sind 70 Prozent von ihnen nur befristet eingestellt, lediglich 30 Pro<br />
zent haben einen unbefristeten Vertrag. Das würden wir gerne umkehren."<br />
Das Vertrauen in den Betriebsrat, meint der junge Mann, könnte dadurch<br />
weiter gestärkt werden - selbst wenn schon jetzt über 75 Prozent der Beleg<br />
schaft in der IG Metall organisiert sind. Der funktionierende Betriebsrat<br />
trage ebenfalls seinen Teil zum Arbeitsklima bei: „Mittlerweile fühlt sich<br />
keiner mehr bloß wie eine Nummer."<br />
<strong>Leiharbeit</strong> - die weiße Seite<br />
Auch die Geschäftsleitung hat gemerkt,<br />
dass nur zufriedene <strong>Leiharbeit</strong>er gute<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er sind.<br />
Nach den anfänglichen Konflikten hat sich auch das Verhältnis zur Geschäfts<br />
leitung entspannt. „Die legen uns keine Steine mehr in den Weg", sagt<br />
Wohlfeld. Wahrscheinlich auch, weil sie gemerkt haben, dass nur zufriedene<br />
<strong>Leiharbeit</strong>er gute <strong>Leiharbeit</strong>er sind. Der Betriebsratsvorsitzende dazu:<br />
„Seit wir die neue Vergütung eingeführt haben, ist der Krankenstand gesun<br />
ken und die Mitarbeiter sind bereit, auch Zusatzaufgaben zu übernehmen."
»N31I3S I3MZ<br />
1VH S311V"<br />
„Alles hat zwei Seiten" - so heißt es.<br />
Das trifft auf die <strong>Leiharbeit</strong> zu. Und auch auf<br />
dieses Buch. Es hat eine schwarze und eine<br />
weiße Seite.<br />
Über die schwarze Seite der <strong>Leiharbeit</strong> berichtet<br />
der andere Teil dieses Buches.<br />
Er handelt von Ungerechtigkeit, von Ausbeutung,<br />
von unfairer Behandlung. In diesem Teil kommen<br />
Menschen zu Wort, die viel in Kauf nehmen und viel<br />
erdulden müssen. Sie wollen nur ihren Lebens<br />
unterhalt verdienen, sie wollen teilhaben an der<br />
Gesellschaft und am Arbeitsleben. Sie haben mit<br />
Unternehmen und Unternehmern zu tun, die aus<br />
ihrer Notlage Kapital schlagen.<br />
Der schwarze Teil handelt auch von Politikern<br />
und Verbandsvertretern, die diese Ungerechtigkeit<br />
erzeugt haben oder zumindest billigend in Kauf<br />
nehmen. Er handelt von Unternehmern, die Dum<br />
pinglöhne bezahlen und <strong>Leiharbeit</strong>er behandeln wie<br />
Menschen zweiter Klasse.<br />
Die Berichte sollen zeigen: Es gibt viel zu tun.<br />
Die Namen einiger Betroffener in diesem Teil haben<br />
wir anonymisiert. Diese Menschen wollten ihre<br />
Geschichte erzählen. Aber sie wollen nicht, dass sie<br />
deswegen weitere Nachteile befürchten müssen.<br />
Die tatsächlichen Namen dieser Personen sind uns<br />
bekannt, die Fakten sind verbürgt.