Hakoah Wien - Oper Graz
Hakoah Wien - Oper Graz
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Unterrichtsmaterial zu<br />
<strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong><br />
von Yael Ronen & Ensemble<br />
1
OnstageBackstage<br />
Inszenierung am Schauspielhaus <strong>Graz</strong><br />
Spielzeit 2012/2013<br />
Konzept und Regie: Yael Ronen<br />
Dramaturgie: Regina Guhl, Irina Szodruch<br />
Regieassistenz: Manuel Czerny<br />
Bühne: Fatima Sonntag<br />
Kostüme und Choreographie: Moria Zrachia<br />
Besetzung<br />
Michael Fröhlich: Michael Ronen<br />
Michaela Aftergut: Birgit Stöger<br />
Oliver Aftergut: Knut Berger<br />
Fußballfan Ulf, Kommentator: Sebastian Klein<br />
Großvater Fröhlich, Sascha: Julius Feldmeier<br />
Zur Regisseurin<br />
Yael Ronen: Geboren 1976 in Jerusalem, studierte Szenisches Schreiben am HB Studio in New York<br />
und Regie am Seminar Hakibbutzim in Tel Aviv. Zu ihren Stückentwicklungen zählen u. a. Reiseführer<br />
in das gute Leben (2003) und Nut Case (2008) am Israelischen Nationaltheater Habima, Tel Aviv,<br />
Plonter am Cameri Theater, Tel Aviv (2005), eine Bearbeitung von Antigone am Staatsschauspiel<br />
Dresden (2007) und Bat Yam am Wroclawski Teatr Wspólczesny (2008).<br />
Ihre Arbeiten Third Generation (2008) und The Day Before the Last Day (2011) – beides<br />
Koproduktionen der Berliner Schaubühne mit dem Habima – wurden zu zahlreichen Festivals<br />
eingeladen. Yael Ronen inszeniert zum ersten Mal in Österreich.<br />
Termine<br />
Die Termine entnehmen Sie bitte dem monatlichen Leporello oder der Homepage des<br />
Schauspielhaus <strong>Graz</strong>. www.schauspielhaus-graz.com<br />
2
Inhalt<br />
Der israelische Vizeleutnant Michael Fröhlich wird mitten aus einem Einsatz in Ramallah abberufen<br />
und nach <strong>Wien</strong> geflogen. Er soll das lädierte Bild seiner Armee, das durch die internationale Presse<br />
zirkuliert, aufpolieren, indem er Vorträge hält, Fundraising organisiert und die Menschen von der<br />
Notwendigkeit der Landesverteidigung überzeugt. Den ersten Vortrag hält er auch, merkt dabei aber,<br />
wie viel er verschweigt. Er erlebt in Österreich zum ersten Mal einen Alltag ohne Kriegsbedrohung,<br />
wo die Sirenen nur noch für zivile Katastrophenfälle getestet werden. Eine Österreicherin namens<br />
Michaela spricht ihn an, weil sich im Nachlass ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter ein Foto fand,<br />
das auf deren Verbindung mit Wolf Fröhlich, dem Großvater von Michael hinweist. Sie sucht nach<br />
Spuren ihrer möglicherweise jüdischen Vergangenheit. All diese Ereignisse und Eindrücke werfen<br />
Michael aus der Bahn. Auf der Suche nach dem früheren Familiensitz trifft er Ulf, den Hooligan mit<br />
weichem Herzen, der zufällig in der alten Wohnung der Fröhlichs lebt. Dort findet sich eine Tasche<br />
voller Pokale und Zeitungsausschnitte, die Michaels Großvater als Spieler der legendären<br />
Fußballmannschaft des jüdischen Sportclubs „<strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong>“ zeigen. Schließlich erscheint der<br />
Großvater leibhaftig und bricht einen Generationenstreit vom Zaun. Ist er das Produkt einer<br />
überreizten Fantasie? Einer posttraumatischen Störung? Denn der Soldat Michael ist untergetaucht<br />
und versucht, das ständige Klingeln seines Handys zu ignorieren.<br />
Weiters sind in die Geschichte verwoben: Oliver Aftergut, der ewige Ersatztorwart und Gatte der<br />
Psychologin Michaela sowie deren neuer Patient Sascha – oder ist er eine Sie? Jedenfalls hat Sascha<br />
die Gabe, Spielzüge auf dem Fußballplatz vorauszusagen, wie andere die Zukunft aus der Hand lesen.<br />
„<strong>Wien</strong> um 1930: Ein junger Jude träumt von einem Leben in Tel Aviv. Tel Aviv 2012: Der Enkel dieses<br />
Mannes träumt davon, österreichischer Staatsbürger zu werden. Beide müssen ihre Identität finden<br />
und zwar in einer Zeit der Gewalt, des drohenden Krieges. Den Hintergrund für diese Geschichte<br />
bildet das berühmte historische Fußballteam <strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong>, aus dessen Reihen junge Männer<br />
aufbrachen, um den Staat Israel aufzubauen.<br />
Die Geschichte, die wir erzählen, handelt von zwei Generationen der gleichen Familie, von<br />
Emigration, Nationalgefühl, Fußball und Männlichkeit.“<br />
(Yael Ronen)<br />
3
Fragestellungen<br />
� Michael kommt aus Israel nach <strong>Wien</strong>, um das Image Israels und der israelischen Armee zu<br />
verbessern. Wie verläuft sein Aufenthalt in <strong>Wien</strong>? Welche Stationen durchläuft er? Erfüllt er<br />
seinen Auftrag?<br />
� Welche unterschiedlichen Typen von Figuren werden gezeigt?<br />
� Im Stück begegnen sich verschiedene Personen, die sich nicht kennen und doch findet sich<br />
immer eine Verbindung. Wie sehen diese Gemeinsamkeiten aus? Welches<br />
Beziehungsgeflecht (-netz) ergibt sich daraus?<br />
� Welche der Figuren sind dir sympathisch, welche unsympathisch? Oder haben alle Figuren<br />
einen sympathischen Kern? Wenn ja, was macht die Figuren sympathisch?<br />
� Kannst du das Verhalten und die Ziele der einzelnen Rollen nachvollziehen? Immer oder in<br />
gewissen Situationen?<br />
� Welche Träume haben die verschiedenen Personen? Kannst du sie nachvollziehen? Was sind<br />
deiner Meinung nach die Motive für diese Träume?<br />
� Welche Situationen sind deiner Meinung nach entscheidend für den Verlauf des Stücks? An<br />
welchen Stellen hätten die Personen auch andere Entscheidungen treffen können? Wie hätte<br />
sich das Stück dann entwickeln können?<br />
� Welche Argumente zum Thema Israel werden gebracht? Welche Personen argumentieren<br />
wie? Kannst du die Argumente nachvollziehen? Könntest du dich für eine Seite entscheiden?<br />
� Wie beeinflusst der Einsatz von Musik und Licht das Stück? Welche Atmosphären,<br />
Stimmungen entstehen dadurch und was bewirken diese Atmosphären?<br />
� Was stellt das Bühnenbild für dich dar und wie wird es eingesetzt? Welche Räume werden<br />
geschaffen?<br />
� Im Stück finden sich verschiedene zeitliche Ebenen? Wie werden sie dargestellt? Wie werden<br />
sie miteinander verbunden?<br />
� In der Inszenierung sind die SchauspielerInnen in verschiedenen Rollen und Geschichten,<br />
aber auch als sie selbst auf der Bühne zu sehen. Wie werden diese Ebenen miteinander<br />
verknüpft? Was könnte der Grund sein, dass die SchauspielerInnen als sie selbst im Stück<br />
vorkommen?<br />
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Zugaben<br />
1. Ausgangspunkt/Hintergrund<br />
2. Regina Guhl: Zur Entstehung der Produktion „<strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong>“<br />
3. Familiendialog<br />
4. Zionismus und Diaspora<br />
5. Die Geschichte der <strong>Wien</strong>er HAKOAH<br />
1. Ausgangspunkt/Hintergrund<br />
Die israelische Autorin und Regisseurin Yael Ronen begab sich auf Spurensuche: Ihre Familie stammt<br />
aus <strong>Wien</strong>, der Großvater war Spieler in der legendären Fußballmannschaft des Sportclubs <strong>Hakoah</strong><br />
(hebräisch: Kraft). 1909 gegründet, war <strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong> Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins<br />
liberaler Juden und der Idee, durch Muskelkraft den Geist zu erneuern. Auch Großvater Ronen warf<br />
seine österreichischen Papiere weg und ging nach Israel. Seine Enkel stehen heute vor der Frage, ob<br />
sie sein Lebensprojekt als gescheitert erklären und wieder auswandern sollten.<br />
2. Regina Guhl, Dramaturgin: Zur Entstehung der Produktion „<strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong>“<br />
Thema:<br />
Das Thema war gesetzt - in diesem Falle waren es folgende Themen/Fragestellungen:<br />
1.) Die Familiengeschichte der Ronens, speziell die Emigration des Großvaters Wolf Fröhlich (der<br />
Name wird wörtlich übersetzt in das hebräische „Ronen“) nach Israel, gegen den Willen<br />
seiner Familie, die seit Generationen als Pelzhändler in <strong>Wien</strong> lebten.<br />
2.) Gleichzeitig die Frage, die die Generation 30plus in Israel derzeit beschäftigt: Hat das<br />
„Experiment Nationalstaat“ in Israel angesichts der verhärteten politischen Lage noch einen<br />
Sinn? Muss man nicht einen eigenen Lebensentwurf in der „Diaspora“ machen? Welche<br />
Sehnsüchte und Schmerzen hängen daran (Verlust von Heimat, Verlust von Identität, Verlust<br />
von Sprache)?<br />
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3.) Der Sportclub „<strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong>“ als zionistische Organisation - das Konzept des<br />
Arbeitsweise:<br />
Recherche:<br />
„Muskeljudentums“ als Gegenentwurf zum Klischee-Juden und den damit verbundenen<br />
Themen von Sportbegeisterung und Konzepte von Männlichkeit.<br />
� Texte lesen<br />
� Besuch des Sportclubs <strong>Hakoah</strong> <strong>Wien</strong><br />
� Beschäftigung mit „Sportlichkeit“ und den eigenen Erfahrungen damit<br />
� Beschäftigung mit dem Begriff „Heimat“ - gerade auch von Seiten der „Europäer“: Birgit<br />
Stöger als Österreicherin und die anderen als Deutsche<br />
Arbeitsaufträge und Improvisation:<br />
Die Regisseurin Yael Ronen vergibt Aufgaben in den Proben:<br />
� In kleinen Arbeitsgruppen oder auch einzeln schreiben die Schauspieler Impuls-Texte zu den<br />
vorher genannten Themen und Fragestellungen: Mann-Frau-Beziehungen,<br />
Heimatverhältnisse, etc.<br />
� Improvisationen zu „Sport“.<br />
Die dabei entstandenen Texte dienen als Vorlage zur Improvisation. Dabei wird ständig für Yael<br />
Ronen ins Englische simultan übersetzt. Die Improvisation wird aufgezeichnet und transkribiert. Yael<br />
Ronen „überschreibt“ dies zu einer Szene und kommt mit einem rohen Dialogentwurf in die nächste<br />
Probe. Der Text wird probiert, wieder überarbeitet und als „Modul“ für verfolgenswert befunden<br />
oder auch weggelegt. So wächst ein Pool von möglichen Szenen und Themen. In den letzten vier<br />
Wochen wird daraus ein „Szenengerüst“ gebaut und überprüft.<br />
Figuren wie die der Österreicherin, die sich danach sehnt, jüdische Vorfahren zu haben, oder dem<br />
Sportexperten, der in diesem Fall seine eigenen Moderationstexte schrieb (Sebastian Klein),<br />
entstehen ebenfalls auf diese Weise.<br />
Die Arbeit braucht Konzentration, Nerven und Un-Eitelkeit, wenn Sachen, die liebgewonnen wurden,<br />
zugunsten der Gesamterzählung rausfliegen. Alle Texte sind während der Proben er- oder gefunden.<br />
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Parallel arbeitet die Choreografin an Bildern, die sich über Körper erzählen. Den Schluss haben wir<br />
drei Tage vor der Premiere erfunden.<br />
Biografisches Vorgehen:<br />
� „Ronen“: Die Generationenfrage zwischen Großvater und Enkel ist real. Die Ronens (Vater,<br />
Sohn, Tochter) haben verschiedene Einstellungen zu ihrem Verbleiben in Israel. Alle haben<br />
auch das Bewusstsein, zu wenig mit dem Großvater zu Lebzeiten gesprochen zu haben.<br />
Entsprechend erinnern sie sich auch an unterschiedliche Details aus den wenigen<br />
Erzählungen des Großvaters.<br />
� „Schauspielende“: Auch die Schauspielenden haben ihre eigene Familiengeschichten<br />
recherchiert und unterschiedlich genau erinnert. Die eigene Sozialisation (z.B.: Mit welchen<br />
Werten bin ich aufgewachsen?) spielte von Anfang an eine entscheidende Rolle bei der<br />
Materialfindung. Die Beschreibung der eigenen Biografie (möglichst ehrlich) stand am Beginn<br />
der Recherche- und Schreibarbeit. Natürlich wurden diese Figuren-Geschichten dann<br />
fiktionalisiert – aber alle haben einen wahren, realen Kern.<br />
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3. Familiendialog<br />
Probenimprovisation mit Ilan (Vater von Yael und Michael), Yael und Michael<br />
Ronen<br />
Yael Ronen: Lasst uns Material über das Auswandern nach <strong>Wien</strong> sammeln und über die Bedeutung<br />
des österreichischen Passes für die Figur des Michael sprechen. Ilan, übernimm bitte auch die<br />
Position des Großvaters.<br />
Ilan Ronen: Michael, ich kann mir zwar vorstellen, dass du in <strong>Wien</strong> lebst, aber ich sehe dich einfach<br />
nicht ohne das Mittelmeer. Ich meine damit nicht nur das Wasser, sondern die Menschen und vor<br />
allem die Mentalität – die findest du nirgendwo anders.<br />
Michael Ronen: Aber seine Mentalität nimmt man mit. Die verliert man nicht so einfach.<br />
Ilan: Ich glaube, dieses neue Leben in <strong>Wien</strong> ist eine Art Wunschbild in deinem Kopf.<br />
Michael: Man kann sich anpassen. Ich gehe nicht nach Europa, weil es hier netter ist als in Israel. Ich<br />
gehe aus Israel weg, weil es unerträglich ist, dort zu leben. Was du über Israel sagst, stimmt. Aber die<br />
Frage ist doch, wie viel von deinem eigenen Leben du opfern willst, nur um die vertraute Mentalität<br />
um dich zu haben. Denn diese Mentalität umfasst auch die ‚Bomben-Mentalität‘, die ‚Ich muss alle 5<br />
Minuten Nachrichten hören‘-Mentalität, die ‚Angst vor dem Ende der Welt‘-Mentalität und die<br />
Angst, dass du deine Miete nicht mehr zahlen kannst.<br />
Ilan: Das alles regt mich furchtbar auf. Ich bin wirklich fassungslos. Dein Großvater hat sich einer<br />
echten Herausforderung gestellt. Er brach damals ins Ungewisse auf. Es war ein Abenteuer und er<br />
ging auf diese Reise ins Ungewisse, um das Leben der Juden grundsätzlich zu verändern. Hast du das<br />
auch vor? Dein Leben ändern, eine Familie in Europa gründen – was auch immer? Oder willst du dich<br />
ganz von uns lösen?<br />
Michael: Nein. Ich glaube sogar, dass ich Großvaters Auftrag weiterführe.<br />
Ilan: Du hast dich früher nie für unsere europäischen Wurzeln interessiert. Deine Geschichte beginnt<br />
am Mittelmeer.<br />
Michael: Ja, klar. Israels Anfang und Ende. Das Narrativ beginnt mit den Flüchtlingsbooten aus<br />
Europa und endet mit den Arabern, die uns ins Meer zurückjagen wollen. Das ist das ganze Konzept.<br />
Daraufhin werden wir erzogen. Europäische Wurzeln haben heißt: Gruppenreisen nach Polen<br />
machen und den Holocaust Memorial Day am Tag des Aufstandes im Warschauer Ghetto begehen.<br />
Aber wir sind keine Insel und als ich einmal die Nase rausgesteckt habe, entdeckte ich das andere<br />
Konzept – das des Juden in der Diaspora. Seither finde ich Großvaters Leben in <strong>Wien</strong>, seine<br />
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Sport-Erfahrungen, seine Existenz als Jude in Europa viel interessanter als die Details über sein Leben<br />
in einem zionistischen Kibbuz.<br />
Ilan: Du verrätst seine Lebensaufgabe.<br />
Yael: Ich möchte mich kurz einmischen. Ich weiß, dass wir im Vergleich zu euch eine glückliche<br />
Generation sind. Aber wir sehen nicht mehr ein, warum wir unseren Lebensstil, unsere persönlichen<br />
Ambitionen für irgendeine gemeinsame Idee opfern sollten, die in der Realität weit von einem<br />
positiven Lebensentwurf entfernt ist. Ja, es fühlt sich fast verantwortungslos an, hier zu leben. Als<br />
Mutter denke ich an die schlechte Ausbildung meines Sohnes in einer fast faschistischen und<br />
rassistischen Gesellschaft.<br />
Michael: Warum sollten wir nach den Regeln dieses Regimes leben?<br />
Ilan: Wenn du nach <strong>Wien</strong> zurück gehst, um in unserer Familiengeschichte zu forschen und dies zu<br />
deiner Rückkehr nach Israel führt – dann machst du mich glücklich. Der Traum aller Juden, in eine<br />
Heimat zurückzukehren, ist tief in unserer Tradition verankert. Aber die konkrete Enstehung dieser<br />
Heimat als israelischer Staat war an ganz konkrete historische Einflüsse gekoppelt. Es ist nicht so,<br />
dass eine Gruppe Träumer aufbrach und sagte: „Jetzt verwirklichen wir ihn.“ Die damals<br />
revolutionäre Idee der Nationalstaaten und die kommunistische Bewegung spielten eine große Rolle.<br />
Plötzlich entstanden überall Nationen – so auch nach dem Fall der österreichisch-ungarischen<br />
Monarchie. Damit stand auch die Idee eines Judenstaates im Raum. Ab 1933 kam dann die reale<br />
Lebensbedrohung durch den Faschismus dazu, der die Menschen zum Auswandern zwang. All dies<br />
hat das Gefühl bestärkt, konkrete Schritte unternehmen zu müssen. Dein Großvater hat sich dagegen<br />
entschieden, das Leben und das Geschäft seines Vaters fortzusetzen und der hat den Aufbruch seines<br />
Sohnes nach Israel als ‚Flucht vor der Verantwortung‘ interpretiert. Das war ein echter<br />
Generationenkonflikt! Die Eltern deines Großvaters haben Österreich erst im letzten Augenblick<br />
verlassen und zwar zunächst in Richtung Südamerika, weil sie an die ganze Idee von einem jüdischen<br />
Staat in Palästina nicht glaubten. Das hat auch mit unserer Religion zu tun, denn in der Bibel ist der<br />
Satz „Eines Tages gelangen wir ins gelobte Land” mit der Rückkehr des Messias verknüpft. Es ist auch<br />
eher als ein Symbol zu sehen, nicht als geografische Angabe. Die Auswanderer waren säkulare<br />
Zionisten und gingen, wie gesagt, aus eigenem Entschluss in ein reales Land Palästina. Sie belebten<br />
eine 2000 Jahre alte tote Sprache wieder – und wir sprechen heute Hebräisch, als hätte es das immer<br />
schon als Umgangssprache gegeben. So etwas ist in der ganzen Weltgeschichte noch nicht<br />
vorgekommen. Unsere Vorbilder waren die großen biblischen Helden: Samson, die Makkabäer, Bar<br />
Kochba – allesamt echte Rebellen.<br />
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Michael: Mit denen wachsen wir auch noch auf. Ich könnte dazu etwas sagen, aber sprich erst einmal<br />
zu Ende<br />
Ilan: Wir hatten das Gefühl, die gesamte jüdische Nation zu verändern, indem wir unseren Charakter<br />
veränderten. Wir waren nicht die mit der Kippa und der traditionellen Kleidung. Wir bewiesen, dass<br />
wir Berufe ausüben können, die nirgendwo in der Geschichte der Juden in der Diaspora möglich<br />
waren, zum Beispiel Ackerbau treiben und ein eigenes Militär aufbauen, das uns beschützt. Die<br />
Generation meines Großvaters, die die Erfahrung der Schutzlosigkeit gemacht hatte – beispielsweise<br />
bei Ausschreitungen an ihren Universitäten, wo keiner ihr Leben beschützt hätte – wollte das<br />
Stereotyp des Juden, der immer nur davonläuft und nie kämpft, verändern. Das alles gegen den<br />
Willen ihrer Elterngeneration.<br />
Yael: War Großvater nie enttäuscht über die Entwicklungen in seinem Land, das sich ja weit von<br />
seiner Vision entfernt hat?<br />
Ilan: Wenn, dann war er von sich selbst enttäuscht. Dass der Traum nicht funktioniert hat. Der Traum<br />
des Kibbuz war doch, die alten Familienstrukturen aufzulösen und eine neue Art von Familie zu<br />
schaffen – und damit neue Menschen. Ein Kollektiv, in dem alle neue Berufe lernen, in der Natur<br />
leben, wo alle das Gleiche verdienen, die gleiche Erziehung erhalten. Ideologische Konflikte gab es<br />
über die Art und Weise, dieses gemeinsame Ziel zu erreichen. Heute gehören die Kibuzzim, wie man<br />
weiß, zu den größten kapitalistischen Organisationen in Israel.<br />
Yael: Aber an Auswanderung hat er nie gedacht?<br />
Ilan: Zurückgehen? Niemals. Er pflegte seine Beziehung zu Österreich, fuhr jedes Jahr hierher in ein<br />
Berghotel, in Altaussee, glaube ich. Das hat er sehr genossen. Als er älter wurde, hat er immer Fotos<br />
gezeigt und lange Vorträge darüber gehalten. Das war für ihn die Reise zurück in seine<br />
Vergangenheit. Sehr berührend.<br />
Michael: Hat er irgendwann daran gezweifelt, ob seine Entscheidung, die ganze Familie nach Israel zu<br />
bringen, richtig war?<br />
Ilan: Ganz entschieden: Nein. Er war stolz darauf. Er gehörte zu der kleinen visionären Gruppe der<br />
Zionisten. Lasst mich euch daran erinnern, dass die meisten Juden wegen des Holocaust nach Israel<br />
kamen. Denkt an die Millionen Emigranten aus Russland.<br />
Michael: Warum hat er nie seine österreichische Staatsbürgerschaft erneuert, damit ich einen Pass<br />
bekomme?<br />
Ilan: Wenn der Enkel den österreichischen Pass zurück haben will, dann bedeutet das für den<br />
Großvater, dass er versagt hat. Er hat deine Gründe durchaus verstanden, dass du nämlich nicht<br />
darauf aus bist, deine Identität zu verleugnen. Aber trotzdem: wenn der Pass neben praktischen<br />
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Erwägungen auch ein Symbol der Zugehörigkeit darstellt, dann hat Großvater als Zionist versagt. In<br />
gewisser Weise verstehe ich ihn.<br />
Michael: Gut. Denn ich kann mich durchaus mit ihm identifizieren. Aber der Generationsunterschied<br />
bewirkt doch auch, dass wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf unsere Realität schauen. Ich<br />
kann euch sagen, dass ich bei meinem ersten Berlin-Besuch schockiert darüber war, dass die meisten<br />
Männer meiner Generation als Kinder nicht mal Plastikwaffen haben durften, während ich schon mit<br />
sieben Jahren amerikanische Soldaten nachgespielt habe. Er muss doch gesehen haben, dass seine<br />
Kinder und Kindeskinder von klein auf militarisiert wurden, weil man immer unter der Bedrohung des<br />
Krieges lebt und dass es physisch gefährlicher ist, als Jude in Israel zu leben als irgendwo sonst auf<br />
der Welt. Das ist auch der Schock für diese Figur, die ich spiele: das Bewusstsein, dass man immer<br />
unter dem Primat Töten oder getötet werden leben muss. Es gibt keine andere Option. Ich bin sicher,<br />
das ist nicht das, was Großvater wollte und wofür er gelebt hat.<br />
Ilan: Nein, er hat sicher nicht erwartet, dass der Krieg so lange dauert.<br />
Michael: Wir fangen an, uns zu fragen, wie lange wir noch für eine Idee kämpfen sollen?<br />
Yael: Wie viel für den Traum von einem Land opfern?<br />
Ilan: Du solltest dein Leben niemals für eine Ideologie aufs Spiel setzen. In dieser Hinsicht bin ich ganz<br />
auf Michaels Seite. Aber andererseits glaube ich, dass in der Ursprungsidee, der Schaffung eines<br />
israelischen Staates, noch viel Potential ist. Wir haben es noch nicht ausgeschöpft.<br />
Michael: Natürlich.<br />
Ilan: Außerdem wissen wir ja leider, dass die Gewalttätigkeit, die Lebensgefahr, nicht nur in Israel<br />
besteht, sondern in vielen Ländern, einschließlich den europäischen. Und damit meine ich nicht nur<br />
Terrorismus.<br />
Michael: Hier heulen zwar jeden Samstagmittag die Sirenen, aber nur zur Überprüfung für den zivilen<br />
Katastrophenfall. Keiner erwartet einen Atomangriff. Sie leben nicht in dieser permanenten Angst<br />
und ich kann nur sagen, dass es wirklich sehr gesund ist, eine Weile außerhalb dieses Kriegsszenarios<br />
zu leben.<br />
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4. Zionismus und Diaspora<br />
Zionismus (von Zion = Wohnsitz Jahwes) bezeichnet eine politische Ideologie und die damit<br />
verbundene Bewegung, die auf Errichtung, Rechtfertigung und Bewahrung eines jüdischen<br />
Nationalstaats in Palästina abzielt. Als Eretz Israel wird dabei ein aufgrund historischer und religiöser<br />
Überlieferung beanspruchtes Siedlungsgebiet der Juden in Palästina bezeichnet. Der Zionismus wird<br />
als Ideologie den Nationalismen, als politische Bewegung den Nationalbewegungen zugerechnet.<br />
Schlüssel- und Führungsfigur des modernen politischen Zionismus ist Theodor Herzl, der Begriff<br />
Zionismus wurde 1890 von Nathan Birnbaum geprägt. Der Zionismus entstand unter dem Eindruck<br />
des zunehmenden Antisemitismus gegenüber der jüdischen Diaspora. Insbesondere Ausschreitungen<br />
und antisemitische Schriften und Verschwörungstheorien im russischen Einflussbereich wurden<br />
thematisiert. Der Zionismus wurde durch andere Nationalismen und moderne soziale Bewegungen<br />
beeinflusst (z.B.: Arbeiterbewegung). Die zionistische Bewegung trug zur Verstärkung mehrerer<br />
Phasen der Alija („Rückkehr ins Gelobte Land“) und damit zur Staatsgründung Israels 1948 bei.<br />
Die Vertreter des Zionismus berufen sich auf die historischen Wurzeln des Judentums und betrachten<br />
den Zionismus als zeitgemäße Verwirklichung des jahrtausendealten Traums der Israeliten vom<br />
Zusammenleben in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im „Land Israel“. Der Glaube an die einstige<br />
Rückkehr aller Juden in dieses Land ist Thema der Exilsprophetie seit Deuterojesaja (5./4.<br />
Jahrhundert v. Chr.) und wird seinerseits auf frühe, in der Tora gesammelte Traditionen<br />
zurückgeführt.<br />
Durch Theodor Herzl wurden die verschiedenen Richtungen im Kongress-Zionismus auf Basis des<br />
Basler Programms gebündelt. Ab 1897 wurde vor den Augen der Weltöffentlichkeit das Ziel eines<br />
jüdischen Gemeinwesens in Palästina angestrebt. Seit Beginn kamen immer wieder<br />
Richtungsstreitigkeiten („politischer Zionismus“, „praktischer Zionismus“, „revisionistischer<br />
Zionismus“ etc.) auf, die nur mit Mühe in Einklang zu bringen waren. Die Forderung der<br />
Staatsgründung Israels wurde 1948 erfüllt. Seither ist der (Neo-) Zionismus vorherrschend für das<br />
Selbstverständnis Israels. Die unterschiedlichen Ausrichtungen und Strömungen prägen bis zur<br />
Gegenwart die wesentlichen politischen Parteien und Koalitionen Israels. Bestrebungen, ein so<br />
genanntes postzionistisches Israel einzurichten, blieben bisher auf kleine Intellektuellenkreise<br />
beschränkt<br />
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(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Zionismus)<br />
Diaspora: Vom Wortursprung her bedeutet Diaspora Zerstreuung. Ursprünglich wurde der Begriff vor<br />
allem für Juden und Jüdinnen verwendet, die in verschiedenen Ländern lebten (beginnend mit der<br />
Babylonischen Gefangenschaft Jahrhunderte vor Christi Geburt). Mittlerweile wird der Begriff<br />
Diaspora für viele andere Gruppen verwendet. Jemand, der in der Diaspora ist, lebt nicht mehr im<br />
ursprünglichen Heimatland, weil sie oder er von dort vertrieben wurde oder aber auswanderte. In<br />
diesem Sinne gibt es viele Arten von moderner Diaspora, z.B. lebt die erste Generation von<br />
MigrantInnen in europäischen Ländern in der Diaspora.<br />
(Quelle: http://www.politik-lexikon.at/diaspora)<br />
4. Die Geschichte der <strong>Wien</strong>er HAKOAH<br />
Die <strong>Wien</strong>er HAKOAH (auf hebräisch "Kraft") zählt zu den traditionsreichsten und erfolgreichsten<br />
Sportvereinen Österreichs. In seiner Geschichte spiegelt sich aber auch die Geschichte der <strong>Wien</strong>er<br />
Juden des 20. Jahrhunderts.<br />
Gegründet wurde dieser jüdische Sportverein im Jahre 1909 als Folge des gestiegenen<br />
Selbstbewusstseins liberaler Juden und der veränderten Einstellung zur Körperkultur. Ein zweiter<br />
wichtiger Grund war die Ausgrenzung der Juden von anderen Sportvereinen durch Arierparagraphen.<br />
Nachdem die jüdischen Bürger in <strong>Wien</strong> zu jener Zeit eine große Gemeinschaft waren (180.000),<br />
erfreute sich die HAKOAH schnell regen Zustroms. In der Folge wurden verschiedene Sektionen wie<br />
Fechten, Fußball, Hockey, Leichtathletik, Ringen und Schwimmen gegründet.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Sportbetrieb - trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation<br />
- ausgebaut und es kamen weitere Sektionen wie Eishockey, Handball, Schach, Ski-Touristik, Tennis,<br />
Tischtennis und Wasserball dazu. Damit wurde die HAKOAH zu einem der mitgliederstärksten<br />
Sportvereine Österreichs. Der HAKOAH Platz im <strong>Wien</strong>er Prater avancierte sogar zum<br />
gesellschaftlichen Zentrum vieler <strong>Wien</strong>er Juden. Das Stadion der HAKOAH fasste im Jahr 1922 3.500<br />
Sitzgelegenheiten und 25.000 Stehplätze. Ein tadelloses Fußballfeld, Laufbahn und Sprungplatz für<br />
die vielen Leichtathleten des Klubs.<br />
Der Enthusiasmus der <strong>Hakoah</strong>ner der Zwischenkriegszeit wurde mit zahlreichen nationalen und<br />
internationalen Titeln (auch bei den Olympischen Spielen) belohnt. Legendär sind vor allem die<br />
Erfolge der Fußball- und Wasserballmannschaft, der Ringer und der Schwimmer.<br />
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Ab 1933 verschärfte sich die politische Situation und der reguläre Sportbetrieb wurde immer stärker<br />
eingeschränkt. Viele <strong>Hakoah</strong>ner verließen im Laufe dieser Jahre <strong>Wien</strong> und ihre geliebte HAKOAH.<br />
1938 wurden die Vereinsstätten der HAKOAH beschlagnahmt. Das Fußball- und Sportstadion in der<br />
Krieau von der Gemeinde <strong>Wien</strong> der SA-Standarte 90 in Pacht gegeben.<br />
1941 wurde der Name HAKOAH in <strong>Wien</strong> offiziell ausradiert, es folgte die systematische Vernichtung<br />
der jüdischen Bevölkerung.<br />
Aber nur kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der HAKOAH von einigen wenigen Überlebenden<br />
und Rückkehrern (etwa 6000) neues Leben eingehaucht. Mit viel Begeisterung und persönlichen<br />
Einsatz gelang es einige Sektionen wieder aufzubauen - obwohl die beschlagnahmten Sportstätten<br />
nicht rückerstattet wurden. Den Anfang machten die Sportarten Schwimmen und Leichtathletik, im<br />
Laufe der Zeit kamen Basketball, Bridge, Fußball, Judo, Karate, Tennis, Tischtennis, und Wasserball<br />
dazu. Leider konnten nicht alle diese Sektionen aufrechterhalten werden.<br />
Obwohl die Zahl der jüdischen Sportler in <strong>Wien</strong> nach dem Holocaust dramatisch gesunken war,<br />
errangen diese etliche nationale und internationale Titel. Vor allem bei den Maccabi-Spielen (den<br />
jüdischen Olympischen Spielen) konnten <strong>Hakoah</strong>ner einige Medaillen gewinnen.<br />
Heute interessiert sich die jüdische Jugend in <strong>Wien</strong> wieder verstärkt für den Sport. Die HAKOAH<br />
registriert starken Zulauf und blickt optimistisch in die Zukunft.<br />
(Quelle: http://www.hakoah.at)<br />
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