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Wenn Helden vom Himmel fallen - von Patrik Schneider

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Wortführer nicht nur ihrer Generation, sondern auch der gesamten intellektuellen<br />

Öffentlichkeit. Deshalb sprechen sie selbst jetzt noch vergleichsweise routiniert und<br />

eloquent.<br />

Aber sie wirken dabei seltsam verhalten, störrisch, beinah weinerlich. Wie wird ihnen<br />

bloß wieder mitgespielt? Ob Walter Jens oder Martin Walser - stets fühlen sie sich<br />

irgendwie an den Pranger gestellt, missverstanden, ungerecht behandelt. Und das,<br />

obwohl ihre Bücher regelmäßig ganz vorne auf den Bestsellerlisten landen und die<br />

Kameras immer noch auf sie gerichtet sind. Frei nach Kurt Tucholsky: Die Generation<br />

Grass sitzt im Ohrensessel und nimmt übel.<br />

Gestern Abend war der Meister selbst an der Reihe. In der extra vorgezogenen neuen<br />

ARD-Sendung "Wickerts Bücher" beantwortete Grass zum ersten Mal im Fernsehen<br />

nach seinem Aufsehen erregenden Interview mit der "FAZ" Fragen zu seiner<br />

Mitgliedschaft in der Waffen-SS, die er in seinem gerade erschienenen<br />

autobiografischen Werk "Beim Häuten der Zwiebel" nach über sechzigjährigem<br />

Verschweigen selbst offenbart hatte.<br />

Wer hätte sich das noch vor zehn Tagen vorstellen können: Der linke deutsche<br />

Großschriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der Autor der<br />

"Blechtrommel", jahrzehntelang Wahlkampfhelfer des Nazi-Emigranten Willy Brandt,<br />

eine Art moralisches Gewissen der Nation, sieht sich gezwungen, eine halbe Stunde<br />

über seine bislang geheim gehaltene Vergangenheit als Soldat der Waffen-SS zu<br />

sprechen.<br />

Dabei war <strong>von</strong> vornherein klar: Dies würde kein Fernsehverhör à la Michel Friedman<br />

werden, bei dem man anschließend die Feuerwehr zu Hilfe hätte holen müssen. Nein,<br />

"Tagesthemen"-Ikone Ulrich Wickert versuchte es mit einem netten Gespräch unter<br />

alten Freunden. Immerhin stellte er zu Anfang und dann noch ein paar Mal die<br />

entscheidende Frage nach dem späten Bekenntnis: "Warum erst jetzt?"<br />

Merkwürdiges deutsches Kammerspiel: Grass, der wenigstens so klug war, die<br />

notorische Pfeife wegzulassen, das Symbol für die schmauchende Gemütlichkeit des<br />

linken Fortschrittsgeistes, wählte eine Mischung aus Martin Luther und Jürgen <strong>von</strong><br />

Manger. Einerseits: Hier sitze ich und kann nicht anders, andererseits:<br />

Wiedergutmachung durch ein "schöneres Leben", wie es die Kabarettfigur mit dem<br />

Ruhrpott-Slang einst formulierte. Im Fall Grass: Läuterung durch das Werk. Lesen<br />

Sie mein Buch! Besser kann ich es auch nicht sagen.<br />

So entwickelte sich auf der malerischen Veranda eines dänischen Luxushotels mit<br />

freiem Blick ins Grüne ein merkwürdiges deutsches Kammerspiel.<br />

Der Mann, der ein Schriftstellerleben lang predigte "Wer schweigt, wird schuldig!",<br />

stets die Läuterung aller anderen im Visier hatte und jeden attackierte, der die<br />

Wahrheit auch nur im Ansatz "verdrängte", verharmloste oder umlog, flüchtete nun<br />

in Sätze wie "Es lag bei mir begraben". "Ich bin mir keiner Schuld bewusst." "Ich bin<br />

da hineingeraten ohne mein Zutun." "Ich wollte eines Tages im größeren<br />

Zusammenhang darüber schreiben." "Es ist mein Recht, jetzt erst zu sprechen." "Die<br />

SS-Runen lösten bei mir keinen Schrecken oder gar Entsetzen aus." "Jeder ist in<br />

seine Zeit hineingeboren." Es waren Sätze, die er früher jedem anderen um die<br />

Ohren gehauen hätte.<br />

Vielleicht hätte er einst noch selbst daran erinnert, dass auch Marcel Reich-Ranicki<br />

"in seine Zeit hineingeboren wurde". Der Unterschied: Als der 17-jährige Waffen-<br />

SSler Grass fanatisch an "Führer" und "Endsieg" glaubte, musste der ein paar Jahre<br />

ältere Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto zur gleichen Zeit tagtäglich fürchten,<br />

"selektiert" und ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert zu werden - <strong>von</strong><br />

jener SS, die Panzerschütze Grass damals für eine "Eliteeinheit" hielt. Vielleicht hätte<br />

er auch daran erinnert, dass die Geschwister Scholl in seinem Alter waren, als sie<br />

öffentlich gegen Hitler und die Nazidiktatur protestierten und dafür ihr Leben ließen.

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