Wenn Helden vom Himmel fallen - von Patrik Schneider
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die verharmlosende These des Missbrauchs der Generation der 14 bis 18 jährigen im<br />
Kriegsdeutschland. Wegschauen sei eben auch Schuld, so der Autor. Er unterstellt<br />
entwicklungspsychologisch dieser Generation fehlendes Verantwortungsbewusstsein. Er<br />
umschreibt einen ganzen Wertekatalog, den er in den Kriegsjahren bei den Jugendlichen<br />
vermisst habe: „Persönlicher Mut, Zivilcourage, die Fähigkeit, die Wahrheit zu sagen, auch<br />
wenn es bitter weh tut. Im Extremfall: Widerstand zu leisten, wenn unterdrückt und gemordet<br />
wird.“<br />
Der Spiegelredakteur entlässt diese Generation – im Unterschied zu Christine - nicht aus ihrer<br />
historischen Verantwortung, die sie als Jungendliche nicht wahrgenommen haben. Grass wird<br />
nicht individualisiert betrachtet, sondern als klassischer Vertreter einer ganzen Generation<br />
beschrieben. Walter Jens und Martin Walser werden in einem Atemzug genannt. Sie, diese<br />
Kriegsjugendgeneration wird heute als vergiftete, schizophrene Generation bezeichnet. Eine<br />
entschuldigende, lediglich die Gestrüppe der Geschichte verantwortlich machende Sicht <strong>von</strong><br />
Christine und Günter Grass lässt der Journalist nicht zu. Sie verharmlosen und nivellieren die<br />
geschichtliche Schuld, die eben darin bestand, nicht Hinzuschauen, Wegzusehen und sich<br />
später als Opfer eben dieser nicht erkannten Rahmenbedingungen darzustellen. Letztlich ein<br />
hartes Urteil. Die Kriegsjugendlichen müssen sich an ihrem Tun <strong>von</strong> damals heute messen<br />
lassen. Das macht ihre Glaubwürdigkeit erst aus.<br />
Diese sozialpsychologische Deutung kann anregen, das Verhältnis zwischen der<br />
aussterbenden Kriegsgeneration und ihren Enkeln bzw. Urenkeln näher hin zu beleuchten.<br />
Sprechen die Älteren, die die NS-Zeit erlebt haben, überhaupt über ihre Jugend? Wie nimmt<br />
die junge Generation heute die Darstellung ihrer Großeltern wahr? Kann – oder darf – die<br />
Enkelgeneration sich darüber überhaupt ein Urteil erlauben oder anmaßen? Hat die Jugend<br />
<strong>von</strong> heute noch eine Verantwortung für die NS-Vergangenheit? Erinnern als Wert des<br />
Lernens aus der Erfahrung der Geschichte könnte thematisiert werden. Konkret natürlich die<br />
genannten Werte des Widerstandes, des Hinschauens, des Analysierens? Brauchen wir diese<br />
noch?<br />
Vor allem eignet sich dieser Spiegelaufsatz aber auch als Reibungspotential für die<br />
Generation der Religionslehrer, die die Generation Grass selbst im Laufe ihrer<br />
Lebensentwicklung als Eltern, Lehrer, Autoren und Literaten als Vorbilder erlebt hat. Haben<br />
wir vielleicht diese Generation zu schnell aus der Verantwortung entlassen? Nicht<br />
nachgebohrt? Wie beurteilen wir ihre Jugend und eventuelle (Schweige)Schuld? Kennen wir<br />
sie überhaupt? Wie gehen wir damit um, wenn die Älteren heute manchmal ganz verschämt<br />
äußern, dass die Zeit in der NS-Zeit eigentlich doch ganz schön war. Wie kann es geschehen,<br />
dass nicht einem der 4000 Rezensenten, die die Grass Biografie im Vorfeld gelesen und<br />
bewertet hatten, dieses dunkle und lang gehütete Geheimnis im Leben des Schriftstellerheroen<br />
auffiel. Ist diese Biografie schon so normal deutsch, dass sie gar nicht mehr auffällt? Es sind<br />
für mich echte Fragen, die an dieser Stelle nicht beantwortet werden können. Ich möchte mit<br />
dem Hinweis schließen, dass wir selbst durch Grass zur Auseinandersetzung mit dieser<br />
Generation, die uns ihr Geschichtsbild und ihre Wertvorstellung vermittelte und lehrte, in<br />
zeitlicher Distanz aufgerufen sind – gerade als Pädagogen.<br />
Der Fall Grass: eine Werbekampagne<br />
Zum Schluss noch eine – m.A. eine sehr gewagte - These, die aber im Unterricht schnell<br />
Gesprächs- und Zündstoff hergeben könnte: Kurz pointiert: Grass enthüllt seine Lebenslüge<br />
als Werbekampagne für seine Autobiografie: