Wenn Helden vom Himmel fallen - von Patrik Schneider
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Übertragung: Grass kann als der Held, der Gute und Geehrte, gar nicht gescheitert sein, ergo<br />
sind es andere, anonyme Kräfte, die das bewirkten.<br />
Christine charakterisiert den Typ Mensch, der in der gesellschaftlichen Relativität<br />
konkurrierender Weltanschauungen Schuld und Verantwortung als moralische Kategorien<br />
ablehnt und nivelliert. Unbewusste Verstrickungen und geschichtliche Missgeschicke<br />
rechtfertigen das persönliche Verhalten der Menschen. Grass selbst offenbar scheint sich<br />
dieses Rechtfertigungsschematas auch zu bedienen, wenn er im öffentlichen ARD – Interview<br />
mit Ulrich Wickert Sätze, wie diese, verwendet: "Es lag bei mir begraben". "Ich bin mir<br />
keiner Schuld bewusst." "Ich bin da hineingeraten ohne mein Zutun." "Ich wollte eines Tages<br />
im größeren Zusammenhang darüber schreiben." "Es ist mein Recht, jetzt erst zu sprechen."<br />
"Die SS-Runen lösten bei mir keinen Schrecken oder gar Entsetzen aus." "Jeder ist in seine<br />
Zeit hineingeboren." 23<br />
Ethisch werden Frage nach der persönlichen Schuldfähigkeit und Verantwortung des<br />
Menschen sichtbar. Ist mit dem Erreichen der rechtlichen Volljährigkeit auch die moralische<br />
Entwicklung zum autonomen Subjekt schon abgeschlossen? Haben junge Erwachsene auch<br />
eine (gesellschafts)politische Verantwortung? Wie lässt sich heute bsp. der soziologisch<br />
beobachtbare Rückgang der Erstwählerstimmen bei Wahlen ethisch deuten? Theologisch lässt<br />
sich nach dem Verhältnis individueller Schuld und den vorgegebenen gesellschaftlichen<br />
Strukturen des Bösen fragen. Wie kann das Spannungsfeld <strong>von</strong> Norm, Anpassung einerseits<br />
und persönlicher Verantwortung andererseits ausgelotet werden? Biblisch könnte die<br />
Erzählung <strong>von</strong> Jesus und der Ehebrecherin relevant werden – der Umgang mit dem<br />
formalistischen Gesetz und seiner individuellen, menschenwürdigen Auslegung. Gibt es die<br />
Pflicht zum Widerstand? Wo sind Menschen aufgefordert, um der Menschen willen auch<br />
gegen staatliche, willkürliche Gesetze vorzugehen? Ein Anknüpfungsthema könnte bei<br />
Schülern das Thema: Kriegsdienstverweigerung und Widerstand werden – hier sind einige<br />
das erstemal gesellschaftlich vor eine lebensbedeutsame Gewissensentscheidung gestellt, die<br />
sie im Zweifel auch schriftlich begründen müssen. .<br />
3) Schizophrenes Verantwortungsbewusstsein – die vergiftete Generation der<br />
Kriegskinder:<br />
Zu einem ganz anderen Schluss kommt der folgende Spiegelartikel: Reinhard Mohn<br />
analysiert in untenstehendem Artikel das Gespräch <strong>von</strong> Grass mit Wickert und beschreibt<br />
dabei die junge Kriegsgeneration, die den Spagat zwischen begeisternder Nazijugend, Elend<br />
des Krieges und seine Aufarbeitung ein Leben lang versuchte und nicht schaffte. Nach<br />
Ansicht Mohr´s führte das zur Schizophrenie des Bewusstseins genau dieser Generation.<br />
Wegen der Brisanz seiner Hypothese und wegen der guten Lesbarkeit habe ich den Artikel<br />
ungekürzt übernommen, auch wenn er sehr lange erscheint.<br />
SPIEGEL ONLINE - 18.August 2006: Reinhard Mohr, Übelnehmen im Ohrensessel 24 :<br />
„Verdruckst-gemütliches Gespräch unter Freunden: Der Auftritt des wegen<br />
seiner Waffen-SS-Vergangenheit in die Kritik geratenen Schriftstellers<br />
Günter Grass bei Ulrich Wickert zeigte vor allem eines: die Unfähigkeit der<br />
Flakhelfer-Generation, Scham und Schuldgefühle angemessen zu<br />
artikulieren. Seit fast einer Woche sieht man im Fernsehen alte Männer um die 80,<br />
die um Worte ringen. Sie sind berühmte deutsche Schriftsteller und waren lange Zeit<br />
23 Quelle: vgl. Spiegelartikel online <strong>von</strong> R. Mohn unten.<br />
24 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,432325,00.html