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LOU ANDREAS SALOMÉ

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Damit lösten sie mit paradoxer Keckheit den tödtlichen Widerspruch zwischen Leiden und<br />

Gerechtigkeit, an dem das Judenthum zu Grunde ging; sie kehrten einfach die Rangordnung um, – die Letzten wurden die<br />

Ersten, und wen Gott liebte, den züchtigte er.<br />

So ist Jesu Kreuzesbild stehen geblieben in dieser triumphirenden christlichen Glaubenswelt, und erinnert uns daran, dass es<br />

immer nur der Einzelne, der grosse Einzelne ist, der die Spitzen der Religion, ihre echte Seligkeit und ihre volle Tragik, erreicht.<br />

Was er dort oben erlebt, erfährt die Menge unten nicht; sein tragisches Ende, sein tragisches Erkennen bleiben so heimlich und<br />

individuell, wie seine Beseligung und Gotteinheit es waren, und entziehen sich der Geschichte.<br />

In das Triumphgeschrei des kompakten und nützlichen Glaubens, der für Alle ist, klingt immer nur ganz – ganz leise und<br />

schmerzlich das letzte Wort der Religiosität, die nur hier und da für einen armen Einsamen ist, – der sie zu tief durchkostete:<br />

»Eli! Eli! lama sabachthani!«<br />

11<br />

Albrecht Altdorfer Kreuzigung Christi.<br />

Eli Eli lama sabachthani! Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen

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