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LOU ANDREAS SALOMÉ

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Die himmlischen Güter des Jenseits spielten bei den Juden keine Rolle, da sie innerhalb ihrer eigenen Religion niemals<br />

selbständig eine Jenseitslehre ausgebaut hatten, sondern diese erst spät, namentlich auf Grund persischer Einflüsse zugleich<br />

mit der Engel- und Dämonenlehre rein äusserlich aufgenommen haben.<br />

Alle Religion beruht schliesslich auf einer Art von Kontraktverhältniss, d. h. auf einer irgendwie geordneten Gegenseitigkeit der<br />

Beziehungen zwischen Gott und Menschen; ich finde aber, dass der Jenseitsglaube, der bei den andern Völkern die<br />

Belohnungen und Bestrafungen, oder, religiös gesprochen: die Seligkeit der Gottesnähe und die Unseligkeit der<br />

Gottesverlassenheit, bis in das Leben nach dem Tode hinausschiebt, an diesem Kontraktcharakter garnichts ändert. Hingegen<br />

ist gerade der Mangel des Jenseitsglaubens, meiner Meinung nach, ganz ausserordentlich bezeichnend für die naive Festigkeit<br />

der jüdischen Religiosität, indem dieser, wie kein anderer Glaube, die Zuversicht auf Gott erleichtert und tröstlich macht.<br />

Erst durch ihn ist ja die Möglichkeit gegeben, den Zweifeln auszuweichen, wenn das wirkliche Lehen den Vorstellungen von<br />

Gott nicht entspricht, weil alle Räthsel und Widersprüche im Jenseits noch ihre Lösung finden mögen. Man könnte das Jenseits<br />

insofern geradezu definiren als eine in der Phantasie vorgenommene Verlängerung der beiden parallellaufenden sich niemals<br />

berührenden Linien von Glauben und Leben, Wunsch und Wirklichkeit, Gottesverheissung und Welterfahrung, – die, in's<br />

Unendliche verlängert, dem menschlichen Blick die wohlthätige Täuschung aufdrängen, dass sie schliesslich zusammentreffen.<br />

Darum hängt es nicht zum wenigsten von einer plausibeln Entwicklung der Jenseitstheorien ab, wie lange und wie erfolgreich<br />

eine Religion sich gegen alte Skrupel wehren, und wie viele Anhänger sie sich gewinnen kann. Um die Zeit von Jesu Geburt<br />

waren dem Judenthum viele Heiden zugethan, die sich allerdings infolge der allzurigorosen Reinlichkeitsbestimmungen nicht in<br />

den jüdischen Verband aufnehmen liessen, sondern unter dem Namen der »Gottesfürchtigen« nur am Kultus theilnahmen,<br />

aber zu einer wirklichen Weltreligion hätte es sich dennoch nicht ausbreiten können, weil in der ganzen alten Welt allmächtig<br />

stark der Schrei nach dem Jenseits laut geworden war und Befriedigung um jeden Preis verlangte: der Nothschrei der<br />

lebensmüden, der sinkenden Kulturen. Indem das Judenthum auf diese Hauptsache verzichtete, indem es seine Religion<br />

muthig und kindlich auf das gründete, was sie ihrem innern Sinn und Wesen nach war, nämlich eine Korrektur und Beseligung<br />

des praktischen Menschenlebens, – begab es sich auf den gefährdetesten Posten, auf den nicht Viele ihm zu folgen<br />

vermochten.<br />

Es besass die bornirte Grossartigkeit, denjenigen Zusatz zu seiner Religion zu verschmähen, der allein ihre Existenz noch<br />

schützen konnte, obwohl – oder vielleicht weil – er kein rein religiös bedingter Zusatz war. Das Judenthum fuhr fort Ernst zu<br />

machen mit der innersten Glaubensvoraussetzung: »was Gott verspricht, das muss das Leben halten«, – und machte damit<br />

sozusagen die Probe auf das Exempel: die nur tragisch enden konnte.<br />

Der Islam hat seinerzeit, als er zur Weltreligion emporstieg, genau das entgegengesetzte Verfahren eingeschlagen: er hat dem<br />

Altaraberthum alle strotzende Lebenskraft ausgebrochen und die altarabische Welt und Heiterkeit verschüttet, um dafür auf<br />

ihr das künftige Paradies aufzubauen, in dessen sinnlicher Ausmalung und Pracht sich die gewissermassen nur versetzte<br />

semitische Vollblütigkeit noch zeigt. Und damit hat er die Völker siegend um sich vereinigt, was der so unendlich viel edlern<br />

jüdischen Religion versagt blieb. Der Moslim, der auf dem Schlachtfelde stirbt, nachdem er im Kampfe für Allah noch einmal<br />

seinen nun eigentlich verpönten blutdürstigen Instinkten recht irdisch hat fröhnen dürfen, und dann dafür in das glänzende<br />

ewige Paradies eingeht:

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