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LOU ANDREAS SALOMÉ

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das ist der denkbar schneidendste Gegensatz zum Juden, etwa zur Zeit der römischen Herrschaft, der als Märtyrer für seinen<br />

untergehenden Glauben stirbt. Denn was bedeuten die Leiden selbst all der christlichen ihres Himmels gewissen Märtyrer<br />

gegen dieses Leiden des Treuen und doppelt Hoffnungslosen: hoffnungslos, weil Gott sich an ihm nicht bestätigt, seine Macht<br />

und sein Versprechen nicht bewahrheitet, – und weil der Moment der Selbstaufopferung, der höchsten menschlichen Treue,<br />

zugleich den grässlichen Tod im Zweifel in sich schliesst, im Zweifel an der göttlichen Treue, an der göttlichen Existenz.<br />

Zur Zeit Jesu litt und kämpfte bereits das Judenthum um der Widersprüche willen, die Leben und<br />

Glauben auseinanderzureissen drohten. Die Klage, die im erschütterndsten aller religiösen Klagelieder, dem Buch Hiob, zu uns<br />

spricht, war schon in das Bewusstsein Vieler gedrungen. In den immer wieder erneuten Messiaserwartungen sprach sich nicht<br />

zum wenigsten die Zuversicht aus, Gott müsse sich endlich auf das Zweifelloseste und Sichtbarste beweisen, müsse klar werden<br />

lassen, was denn versehen worden sei. Aber auch jetzt, in den Zeiten schweren politischen<br />

Zusammenbruchs, wird die Lösung der Frage immer noch praktisch, im Leben selbst, nicht mit Hülfe spitzfindiger Theorien und<br />

vermittelnder Philosophieen gesucht. Sogar der vielverlästerte Pharisäismus ist in seiner Art ein Beweis dafür, wie wenig die<br />

jüdische Religiosität sich durch den Verstand zu helfen wusste, wie ganz sie sich innerhalb der Handlung und Gesinnung<br />

bewegte.<br />

Die Härte, ja die pedantische Widersinnigkeit des Pharisäischen Gesetzesfanatismus war nichts als ein hülfloser letzter<br />

gewaltiger Appell an die göttliche Gerechtigkeit: »Wenn Israel nur zwei Sabbate hielte, wie sich's gebührt, so würde es sofort<br />

erlöst werden!« (Schabbath f. 118 b.) Und weil es nicht erlöst wurde, – die steigende Rigorosität der Vorschriften. Sicher<br />

beruhte die wohlthuende Wirkung, die von Jesu Persönlichkeit ausging, zum grössten Theil in seinem frohen, von keinen<br />

Skrupeln und Aengsten erschütterten Gottvertrauen, das »sich nicht sorgte,« so wenig wie die Lilien auf dem Felde oder die<br />

Vögel unter dem Himmel, weil es der Liebe des Vaters in seiner eigenen kindlichen Liebe überschwänglich gewiss war.<br />

Um zu dieser Auffassung zu gelangen, brauchte Jesus nur auf die vorexilischen Propheten zurückzugehen, für welche der<br />

fromme Wandel vor Gott noch ein Zeichen des Dankes und der Ehrfurcht, nicht aber ein Werk war, mit dem man sich mühsam<br />

Gottes Segen erkämpfen und verdienen musste. »An Liebe hab ich Gefallen, und nicht am Opfer,« sprach Jesu mit dem Gott<br />

des Propheten Hosea und mancher Anderen.<br />

Ja, Jesu eigner Zeitgenosse Hillel hat Maximen ausgesprochen, die den bei Matthäus in der sogenannten Bergpredigt<br />

stehenden völlig gleichen, und die Originalität der Persönlichkeit kann hier wesentlich nur in der freudigen Ruhe und<br />

Beseligung gelegen haben, die Jesus in seiner Einheit mit Gott empfand. Diese Innigkeit und Verinnerlichung, die er damit dem<br />

religiösen Verhältniss gab, hob dasselbe für seine Umgebung vielleicht einen Augenblick aus den lastenden äussern Zweifeln<br />

und<br />

Sorgen heraus: gehoben wären diese aber freilich erst dann gewesen, wenn Jesus mit seinem Gottvertrauen im weitesten<br />

Maasse Recht behielt, – d. h. wenn Gott sein Werk auf das Sichtbarlichste segnete.<br />

Kein Zweifel, dass Jesus das als ganz selbstverständlich voraussetzte, und dass er seine Mission erst vollendet glauben konnte<br />

mit dem politischen Sieg, mit der Bekehrung der Oberen und der Aufrichtung des Messiasreichs. Kann denn ein Vater sein Kind<br />

preisgeben, wenn es hingebt, ihn zu verkündigen? wie sollte er jemals für möglich halten, dass Gott ihn in seinem kindlichsten,<br />

heiligsten Thun im Stiche lassen werde?

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