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Handbuch des Staatsrechts der BRD §25

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H. F. Zacher: Das soziale Staatsziel <strong>§25</strong><br />

Stein 107 sprach bereits von <strong>der</strong> „sozialen Demokratie" 108 und von einem „socialen<br />

Staate" 109 .1894 verbindet Julius Ofner 110<br />

erstmals Demokratie, Rechtsstaat<br />

und Sozialstaat zu einem gedanklichen Gefüge: „Die Demokratie verlangt<br />

grundsätzlich den Sozialstaat, einen Organismus, <strong>der</strong> dem Rechtsstaat ähnelt,<br />

sich aber nicht wie dieser darauf beschränkt, das Mein und Dein zu erhalten<br />

... son<strong>der</strong>n die gerechte, auf Gleichheit Aller fußende Verteilung von Vorteilen<br />

und Lasten in ihrer Gesamtheit zum Gegenstand seiner Fürsorge nimmt.<br />

Der Sozialstaat muß auf die Verteilung einen maßgebenden Einfluß üben" 111 .<br />

In <strong>der</strong> Weimarer Zeit ist es vor allem Hermann Heller 112 , <strong>der</strong> dieses Gefüge<br />

wie<strong>der</strong> aufgreift: „Die soziale Idee ist die folgerichtige Fortführung <strong>der</strong><br />

politischen zur wirtschaftlichen Demokratie. Die erstere hat die politischen<br />

Stände beseitigt. Die letztere wendet sich gegen die wirtschaftlichen Klassen<br />

... Sie will ... den reinen Rechtsstaat zum demokratisch-sozialen Wohlfahrtsstaat<br />

dadurch umwandeln, daß sie die ,Anarchie <strong>der</strong> Produktion' durch<br />

eine gerechte Ordnung <strong>des</strong> Wirtschaftslebens zu ersetzen strebt" 113 . Der<br />

Begriff <strong>des</strong> sozialen Rechtsstaats 114<br />

tritt auf; <strong>der</strong> Begriff <strong>des</strong> Sozialstaates wird<br />

wie<strong>der</strong> aufgegriffen 115 . Dann wird freilich auch <strong>der</strong> nationalsozialistische Staat<br />

107 Zu Lorenz v. Stein vor allem Ernst-Wolfgang Böckenförde, Lorenz v. Stein als Theoretiker <strong>der</strong> Bewegung<br />

von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, in: FS für Otto Brunner, 1967, S. 248ff.; Ernst Rudolf Huber,<br />

Lorenz v. Stein und die Grundlegung <strong>der</strong> Idee <strong>des</strong> Sozialstaats, in: Ernst Forsthoff (Hg.), Lorenz v. Stein.<br />

Gesellschaft - Staat - Recht, 1972, S. 495ff.; s. ferner die Beiträge in: Roman Schnur (Hg.), Staat und<br />

Gesellschaft - Studien über Lorenz von Stein, 1978.<br />

108 Lorenz v. Stein, Die Geschichte <strong>der</strong> sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. III:<br />

Das Königtum, die Republik und die Souveränität <strong>der</strong> französischen Gesellschaft seit <strong>der</strong> Februar-<br />

Revolution 1848, 2 1855, hg. v. Gottfried Salomon, 1921, S. 207. Der „Sozialdemokratie" stellt er die<br />

For<strong>der</strong>ung nach einem „Königtum <strong>der</strong> gesellschaftlichen Reformen" (ebd. S. 208f.) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Sozialen<br />

Reform" (S. 40f.) gegenüber.<br />

109 Lorenz v. Stein, Gegenwart und Zukunft <strong>der</strong> Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, 1876, S. 215:<br />

„Der Staat nun, als Persönlichkeit <strong>der</strong> Gesamtinteressen, läßt zwar das Son<strong>der</strong>interesse <strong>des</strong> einzelnen wie<br />

<strong>der</strong> Klasse notwendig zu, weil es selbst die Verwirklichung <strong>der</strong> Selbstbestimmung <strong>des</strong> einzelnen im<br />

Gesamtverkehr enthält; aber als Vertreter je<strong>des</strong> Interesses sind ihm alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Zustände prinzipiell gleich; seine Aufgabe ist zuerst die, daß sie nicht durch das Recht ungleich<br />

werden; er negiert daher zuerst und vor allem den Übergang <strong>des</strong> Interesses in das Vorrecht;... verhin<strong>der</strong>t<br />

er ... das Entstehen <strong>der</strong> Rechtsklassen aus jenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Klassenunterschieden.<br />

Um dies zu können, muß er absolut über je<strong>der</strong> Klasse stehen; denn alle Unfreiheit tritt ein, sowie sich<br />

irgendeine Klasse <strong>der</strong> Staatsgewalt bemächtigt. Er muß ferner die absolute Gleichheit <strong>des</strong> Rechts<br />

gegenüber allen jenen Unterschieden für die einzelne selbst bestimmte Persönlichkeit durch seine Gewalt<br />

aufrechthalten, und in diesem Sinne nennen wir ihn den Rechtsstaat. Er muß aber endlich mit seiner Macht<br />

den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt aller seiner Angehörigen för<strong>der</strong>n, ... ; und in diesem<br />

Sinne sprechen wir von dem gesellschaftlichen o<strong>der</strong> dem socialen Staate." (Hervorhebungen im Original).<br />

110 Studien Sozialer Jurisprudenz, 1894, S. 76.<br />

111 Hervorhebungen im Original.<br />

112 Hermann Heller, Grundrechte und Grundpflichten, in: <strong>der</strong>s., Gesammelte Schriften, 3 Bde., 1971, Bd. II,<br />

S. 281 ff. (291).<br />

113 Hervorhebungen im Original.<br />

114 S. Carl Brinkmann, Besprechung von: Kurt Wolzendorf, Der Polizeigedanke <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen Staates, in:<br />

Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 1918,<br />

S. 388ff. (390): Hermann Heller, Rechtsstaat und Diktatur, in: <strong>der</strong>s. (N 112), S. 450. 462.<br />

115 Robert PilotylFranz Schnei<strong>der</strong>, Grundriß <strong>des</strong> Verwaltungsrechts, 4 ' 5 1930, S. 2: „Die Abkehr von <strong>der</strong> reinen<br />

Rechtsstaatsidee zum sozialen Rechtsstaat (Sozialstaat), die in Deutschland bereits durch die Arbeitsschutzgesetzgebung<br />

eingeleitet war, vollzog sich dann vollends unter dem Drucke <strong>des</strong> verlorenen Weltkriegs<br />

... Der Sozialstaat nähert sich so in gewissem Sinne wie<strong>der</strong> dem alten eudämonistischen Polizeistaate,<br />

wenn auch die Mittel zur Erreichung seines Zieles an<strong>der</strong>e sein müssen."<br />

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