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Zivildienst in Russland - ein Randphänomen?

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Die Soldatenmütter St. Petersburg<br />

Im Gespräch Pressesprecher Alexander Peredruk<br />

Die Nichtregierungsorganisation „Soldatenmütter St. Petersburg“ ist e<strong>in</strong>e der führenden Menschenrechtsorganisationen<br />

<strong>in</strong> <strong>Russland</strong>, die sich für die Rechte der Wehrdienstleistenden e<strong>in</strong>setzt.<br />

In Reaktion auf die prekären Missstände und Menschenrechtsverletzungen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der russischen Armee wurde die NGO Ende 1991 mit dem Ziel gegründet, e<strong>in</strong>e unabhängige<br />

zivilgesellschaftliche Kontroll<strong>in</strong>stanz zu schaffen. Die Mitglieder der Soldatenmütter beraten<br />

jährlich tausende Soldaten, deren Grundrechte verletzt wurden. Sie vermitteln den Betroffenen<br />

mediz<strong>in</strong>ische Hilfe und klären sie und ihre Angehörigen über ihre verfassungsmäßigen Rechte<br />

auf. Darüber h<strong>in</strong>aus dokumentieren sie Menschenrechtsverletzungen <strong>in</strong>nerhalb der Armee, die<br />

von psychischer Pe<strong>in</strong>igung über Misshandlung bis h<strong>in</strong> zu Totschlag reichen, um die Öffentlichkeit<br />

für diese Thematik zu sensibilisieren. E<strong>in</strong> weiteres Anliegen der Soldatenmütter ist die Etablierung<br />

und Entwicklung des <strong>Zivildienst</strong>es im Land, da sie ihn als e<strong>in</strong> wesentliches Grundrecht<br />

erachten. Mit ihrer Arbeit leisten die St. Petersburger Soldatenmütter e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag<br />

zum Aufbau e<strong>in</strong>er demokratischen Zivilgesellschaft.<br />

Der E<strong>in</strong>satz der NGO wurde bereits mit zahlreichen <strong>in</strong>ternationalen Auszeichnungen gewürdigt,<br />

so unter anderem 2004 mit dem Aachener Friedenspreis und 2015 mit dem Hessischen<br />

Friedenspreis. Im Kontrast dazu wurden Ende August 2014 die St. Petersburger Soldatenmütter<br />

vom russischen Justizm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> die Liste der „Ausländischen Agenten“ aufgenommen.<br />

Auslöser dafür war vermutlich die öffentliche Aufforderung der Vorsitzenden Ella Poljakowa an<br />

die russischen Behörden, sich zu den Meldungen über die Präsenz russischer Truppen <strong>in</strong> der<br />

Ostukra<strong>in</strong>e zu äußern. Diese öffentliche Stigmatisierung stellt seitdem e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

für die Arbeit der Soldatenmütter dar.<br />

Herr Peredruk, Sie haben selbst den <strong>Zivildienst</strong><br />

abgeleistet. Warum haben Sie sich gegen<br />

den Wehrdienst und für den <strong>Zivildienst</strong><br />

entschieden?<br />

Als ich im Jahr 2008 den Wehrdienst antreten<br />

sollte, war genau zu diesem Zeitpunkt<br />

der Krieg mit Georgien eskaliert. In me<strong>in</strong>er<br />

Heimatstadt Murmansk habe ich daraufh<strong>in</strong><br />

aktiv an Demonstrationen gegen den Krieg<br />

teilgenommen. Me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach trägt<br />

e<strong>in</strong> Krieg nicht zu e<strong>in</strong>er wirklichen Lösung<br />

von Problemen bei, sondern führt lediglich<br />

die nächste kriegerische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

nach sich. Ich habe zudem begriffen, dass der<br />

beste Schritt me<strong>in</strong>e Abneigung gegenüber dem<br />

Militär zum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen, nicht bloß <strong>in</strong><br />

der Verweigerung des Wehrdienstes bestehen<br />

sollte, sondern dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en alternativen Weg<br />

zum Militär e<strong>in</strong>zuschlagen. Ich wollte me<strong>in</strong>en<br />

Dienst nicht an der Waffe absolvieren, sondern<br />

nützliche Leistung am Menschen erbr<strong>in</strong>gen.<br />

Von Freunden habe ich dann über den<br />

Alternativen <strong>Zivildienst</strong> erfahren. Als ich me<strong>in</strong>en<br />

Antrag auf <strong>Zivildienst</strong> beim Wehrkommissariat<br />

e<strong>in</strong>gereicht habe, absolvierte lediglich<br />

e<strong>in</strong> Junge <strong>in</strong> ganz Murmansk den <strong>Zivildienst</strong>.<br />

Nach e<strong>in</strong>em halben Jahr waren es fünf weitere<br />

Personen und weitere sechs Monate später<br />

waren es bereits zehn <strong>Zivildienst</strong>leistende <strong>in</strong><br />

der Stadt. Das ist e<strong>in</strong>e hohe Zahl, wenn man<br />

bedenkt, dass Murmansk e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

Militärstadt ist.<br />

Ist e<strong>in</strong>e solche Entwicklung <strong>in</strong> ganz <strong>Russland</strong><br />

zu beobachten?<br />

Ja, e<strong>in</strong>e solche Tendenz kann man <strong>in</strong> ganz<br />

<strong>Russland</strong> beobachten. Jedoch ist zu betonen,<br />

dass es sich dabei nur um e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Erhöhung<br />

der Anzahl an <strong>Zivildienst</strong>leistenden handelt.<br />

War der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den <strong>Zivildienst</strong> mit bürokratischen<br />

Schwierigkeiten verbunden?<br />

Ich persönlich hatte ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten,<br />

den <strong>Zivildienst</strong> anzutreten. Mir wurde die Tätigkeit<br />

als Sanitäter im Krankenhaus von Murmansk<br />

zugewiesen. Me<strong>in</strong>e Aufgabe bestand<br />

vorwiegend dar<strong>in</strong>, Akten an ihren jeweiligen<br />

Ort zu br<strong>in</strong>gen und Patienten zu ihren Zimmern<br />

und Untersuchungsräumen zu geleiten.<br />

Die Dienstzeit war von 8 bis 16 Uhr, also im<br />

Grunde genommen war es e<strong>in</strong>e kurze Arbeitszeit.<br />

Die anschließende freie Zeit konnte ich<br />

dann immer zum Lernen nutzen, um mich auf<br />

me<strong>in</strong>e Sem<strong>in</strong>are vorzubereiten. Im selben Jahr<br />

habe ich nämlich me<strong>in</strong> Studium begonnen.<br />

Wie positioniert sich der Staat zum <strong>Zivildienst</strong>?<br />

Im Grunde hat der Staat ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wände gegen<br />

den <strong>Zivildienst</strong>. Es gibt jedoch e<strong>in</strong>ige Beamte,<br />

die die Entwicklung des <strong>Zivildienst</strong>es<br />

<strong>in</strong> <strong>Russland</strong> beh<strong>in</strong>dern. E<strong>in</strong>fach aufgrund der<br />

Tatsache, dass sie nicht verstehen, welchen<br />

Gew<strong>in</strong>n der <strong>Zivildienst</strong> für die Gesellschaft<br />

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