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Zivildienst in Russland - ein Randphänomen?

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fung bis zum Gerichtsbeschluss aufzuheben.<br />

Falls e<strong>in</strong> positives Urteil gefällt wurde, muss<br />

noch e<strong>in</strong>e weitere Hürde genommen und die<br />

Musterung durchlaufen werden. Erst durch<br />

die Besche<strong>in</strong>igung der mediz<strong>in</strong>ischen Tauglichkeit,<br />

kann dem E<strong>in</strong>berufenen e<strong>in</strong>e Stelle<br />

für die Ableistung des <strong>Zivildienst</strong>es zugeteilt<br />

werden. Bei Untauglichkeit gelten für ihn die<br />

gleichen Rechte wie für jeden Wehrpflichtigen<br />

– je nach Fall wird er von der Dienstpflicht zurückgestellt<br />

oder vollständig befreit.<br />

Organisation des Ersatzdienstes<br />

Verantwortlich für die Organisation des <strong>Zivildienst</strong>es<br />

s<strong>in</strong>d an erster Stelle die Regierung<br />

bzw. der Präsident. Dieser kann durch Erlasse<br />

oder andere normative Rechtsakte die geltende<br />

Gesetzgebung konkretisieren oder ergänzen<br />

sowie neue Gesetzes<strong>in</strong>itiativen e<strong>in</strong>leiten.<br />

Für die praktische Ausgestaltung des <strong>Zivildienst</strong>es<br />

hat der Präsident se<strong>in</strong>e Kompetenzen<br />

an die dafür zuständigen Behörden übertragen.<br />

Neben den örtlichen Militärkommissariaten,<br />

die für die E<strong>in</strong>berufung, Prüfung und<br />

Zulassung zum <strong>Zivildienst</strong> zuständig s<strong>in</strong>d, ist<br />

hierfür auch das Arbeitsm<strong>in</strong>isterium verantwortlich.<br />

Dieses hat die Aufgabe e<strong>in</strong>e Liste<br />

mit allen Organisationen und freien Stellen,<br />

die von <strong>Zivildienst</strong>leistenden besetzt werden<br />

können, aufzuführen und den e<strong>in</strong>zelnen Antragstellern<br />

zuzuweisen. Bei der Zuteilung<br />

sollte nach Möglichkeit die Qualifikation der<br />

Dienstleistenden berücksichtigt werden. Aufgrund<br />

des Personalmangels <strong>in</strong> der Abteilung<br />

der betreffenden Arbeitsbehörde – momentan<br />

s<strong>in</strong>d zwei Mitarbeiter e<strong>in</strong>gestellt – ist diese<br />

Rücksicht nicht immer gewährleistet. Grundsätzlich<br />

ist die Palette an möglichen Tätigkeiten<br />

aber groß. Das Verzeichnis des Arbeitsm<strong>in</strong>isteriums<br />

zählt 130 Beschäftigungsarten und<br />

unzählige Organisationen mit e<strong>in</strong>em hohen<br />

Personalbedarf <strong>in</strong> ganz <strong>Russland</strong>. Im Gegensatz<br />

zu den Anfängen des <strong>Zivildienst</strong>es handelt<br />

es sich heute ausschließlich um zivile Organisationen<br />

und nicht mehr um zivile Tätigkeiten<br />

<strong>in</strong> militärischen oder dem Militär nahestehenden<br />

E<strong>in</strong>richtungen. Zu diesen gehören <strong>in</strong>sbesondere<br />

Sozial- und Pflegee<strong>in</strong>richtungen,<br />

kulturelle Zentren (z.B. Museen, Theater) sowie<br />

Bundesnetzagenturen (z.B. die russische<br />

Post). Bei den Vakanzen handelt es sich <strong>in</strong> der<br />

Regel um Arbeitsplätze im Bereich ger<strong>in</strong>g qualifizierter<br />

und schlecht bezahlter Arbeit.<br />

Das Wehrdienst-Modell<br />

Seit dem politischen Umbruch und dem Inkrafttreten<br />

der heutigen Verfassung haben<br />

auch <strong>in</strong> Bezug auf den Wehrdienst und se<strong>in</strong>e<br />

Ausgestaltung Veränderungen stattgefunden.<br />

Im Februar 1993 wurde das seit 1939 gültige<br />

Gesetz „Über die allgeme<strong>in</strong>e Wehrpflicht“<br />

durch das Gesetz „Über die Wehrpflicht und<br />

den Wehrdienst“ abgelöst. Damit blieb die<br />

russische Armee nach wie vor und vorwiegend<br />

e<strong>in</strong>e Wehrpflichtarmee, die aber nun durch<br />

e<strong>in</strong>e Berufsarmee auf freiwilliger Basis ergänzt<br />

wird. Die Anzahl der sogenannten „Vertragssoldaten“<br />

(im Russischen kontraktniki) kann<br />

entsprechend der sozioökonomischen Situation<br />

des Landes und den Mechanismen e<strong>in</strong>es<br />

zivilen Arbeitsmarktes variieren. Zudem<br />

können mit der E<strong>in</strong>führung der Verträge auch<br />

Frauen <strong>in</strong> der Armee dienen. Trotz bisherigem<br />

Ausschluss aus den Kampftruppen stellt ihre<br />

Präsenz e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur Demokratisierung<br />

der Streitkräfte dar. Gleichzeitig<br />

bedeutet das neue Wehrdienst-Modell, dass<br />

nicht alle wehrpflichtigen Männer zwischen<br />

dem 18. und dem 27. Lebensjahr zwangsläufig<br />

<strong>in</strong> die Armee e<strong>in</strong>berufen werden müssen.<br />

Je nach Zulauf <strong>in</strong> die Armee bzw. Anzahl der<br />

Berufssoldaten werden von der politischen<br />

Führung jährlich E<strong>in</strong>berufungsquoten bestimmt,<br />

die die Reihen auffüllen sollen. Die<br />

E<strong>in</strong>berufung, der auch die Anwärter auf den<br />

<strong>Zivildienst</strong> unterliegen, f<strong>in</strong>det nach festen Term<strong>in</strong>en<br />

zweimal im Jahr statt - im Frühl<strong>in</strong>g (1.<br />

April - 15. Juli) und im Herbst (1.Oktober - 31.<br />

Dezember).<br />

Staatsbürgerliche Pflicht und persönliches<br />

Grundrecht<br />

E<strong>in</strong> weiteres Novum im Gesetz über den Wehrdienst,<br />

welches <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />

Grundrechtschutz steht, ist der stärkere Fokus<br />

auf die Belange des wehrpflichtigen Bürgers.<br />

Während <strong>in</strong> Artikel 62. der sowjetischen<br />

Verfassung von 1977 „die heilige Pflicht jeden<br />

Bürgers“, das sozialistische Vaterland zu verteidigen,<br />

e<strong>in</strong>e Schlüsselstellung <strong>in</strong> der sowjetischen<br />

Ideologie und Sozialisation der männlichen<br />

Bürger e<strong>in</strong>nahm, ist seit dem Wechsel<br />

des Systems e<strong>in</strong>e Verschiebung <strong>in</strong> diesem<br />

Rechte- und Pflichten-Verhältnis zu konstatieren.<br />

Neben dem Recht, die bürgerliche Pflicht<br />

durch e<strong>in</strong>en zivilen Ersatzdienst abzuleisten,<br />

werden im Gesetz e<strong>in</strong>e Vielzahl an sozialen,<br />

ausbildungsorientierten und mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Gründen für die Befreiung oder Zurückstellung<br />

vom Militärdienst formuliert. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

wurde die Dienstzeit der Wehrpflichtigen<br />

erheblich verkürzt. Im Unterschied zur Sowjetzeit,<br />

<strong>in</strong> der der Wehrdienst je nach Truppene<strong>in</strong>satz<br />

bis zu fünf Jahre betragen konnte<br />

und damit e<strong>in</strong>e Berufs- und Lebensplanung<br />

im heutigen S<strong>in</strong>ne unmöglich machte, dauert<br />

der Dienst seit 2008 – bis dah<strong>in</strong> waren es zwei<br />

Jahre – nur noch e<strong>in</strong> Jahr.<br />

Zivil- und Wehrdienst im Vergleich<br />

Vergleicht man die Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen<br />

die Wehrpflichtigen ihren jeweiligen Dienst<br />

ableisten müssen, so können dem <strong>Zivildienst</strong><br />

Vorteile, aber auch Nachteile gegenüber dem<br />

Militärdienst zugesprochen werden. Vorteilhaft<br />

ist die Unterstellung des <strong>Zivildienst</strong>es<br />

unter das Arbeitsgesetzbuch. Dadurch haben<br />

die jungen Männer vor allem geregelte und<br />

begrenzte Arbeitszeiten mit Anspruch auf Wochenenden<br />

und Urlaubstage. Während ihrer<br />

Dienstzeit können sie meistens zu Hause wohnen<br />

bleiben, was <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie kostengünstiger<br />

und sicherer ist. Das ursprünglich im Gesetz<br />

formulierte Exterritorialitätspr<strong>in</strong>zip, das<br />

den Zivilangestellten e<strong>in</strong>en Dienst außerhalb<br />

ihres Wohngebiets zuweist, hat <strong>in</strong> der Praxis<br />

se<strong>in</strong>e Gültigkeit aus den gleichen Kostenerwägungen<br />

verloren – für die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

müssten die Organisationen Wohnungen oder<br />

Wohnheime zur Verfügung stellen. Des Weiteren<br />

bekommen die <strong>Zivildienst</strong>leistenden mit<br />

durchschnittlich 5500 Rubel e<strong>in</strong>en vergleichsweise<br />

höheren Lohn als die Rekruten mit etwa<br />

2000 Rubel im Monat. Anderseits haben die<br />

Wehrpflichtigen im <strong>Zivildienst</strong> e<strong>in</strong>en großen<br />

Nachteil: Ihre Dienstzeit ist mit 21 Monaten<br />

fast doppelt so lang wie die beim Militär, wobei<br />

die effektiven Arbeitstage im zivilen Bereich<br />

die der Rekruten beim Militär nicht wesentlich<br />

übersteigen. E<strong>in</strong> weiterer Nachteil, der<br />

sich aus dem gesellschaftspolitischen Kontext<br />

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