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Zivildienst in Russland - ein Randphänomen?

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muss bei der Männlichkeitskonstruktion der <strong>Zivildienst</strong>leistenden<br />

folglich e<strong>in</strong>e Rolle spielen,<br />

die über e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Abgrenzung der Geschlechter<br />

h<strong>in</strong>ausgeht. Diese Distanzierung ist gerade auch<br />

deshalb nicht möglich, weil die <strong>Zivildienst</strong>leistenden<br />

während ihrer Dienstzeit <strong>in</strong> der Regel zu<br />

Hause wohnen und nicht selten <strong>in</strong> sozialen Pflegee<strong>in</strong>richtungen<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden, die traditionell<br />

von weiblichen Beschäftigten dom<strong>in</strong>iert<br />

werden. Damit steht ihre Lebenswelt <strong>in</strong> starkem<br />

Kontrast zu der Praxis im Militär, die die jungen<br />

Rekruten von ihren Familienmitgliedern isoliert<br />

und dem weiblichen Kontakt nicht nur entzieht,<br />

sondern alles Weibliche als Abweichung von der<br />

gewünschten, männlichen Norm def<strong>in</strong>iert.<br />

Doch wenn nicht das Weibliche als primäre Negativ-Folie<br />

für das Männlichkeitskonzept der <strong>Zivildienst</strong>leistenden<br />

dient, wie def<strong>in</strong>ieren sie ihre<br />

Männlichkeit dann? Die Interviews mit den <strong>Zivildienst</strong>leistenden<br />

zeigten, dass die Abgrenzung<br />

zu den Soldaten – ohne die Wehrdienstleistenden<br />

zu verurteilen – dabei e<strong>in</strong>e wichtige Funktion<br />

übernimmt. Dem zur Gewalt Erzogenen, Gleichgeschalteten<br />

und durch die Armee entmenschlichten<br />

„Mann“ stellen die Ersatzdienstleistenden<br />

e<strong>in</strong> Identitätskonzept entgegen, das die eigene<br />

Persönlichkeit, die Me<strong>in</strong>ungs- und Entscheidungsfreiheit<br />

sowie das Recht auf körperliche<br />

Unversehrtheit und Privatheit <strong>in</strong> den Fokus stellt.<br />

Dabei fällt auf, dass bei den genannten Stichpunkten<br />

das „Männliche“ h<strong>in</strong>ter das allgeme<strong>in</strong><br />

Menschliche zurücktritt und damit das Mannse<strong>in</strong><br />

nicht klar markiert wird. Andere Aspekte, die herausgestellt<br />

wurden, wie der Verweis auf ihren<br />

Bildungsgrad bzw. die Möglichkeit, sich während<br />

der Dienstzeit parallel weiterzubilden sowie<br />

das vergleichsweise höhere Gehalt werteten die<br />

<strong>Zivildienst</strong>leistenden als e<strong>in</strong>en Vorteil, der sich<br />

h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>deutiger <strong>in</strong> den Bahnen e<strong>in</strong>es männlich<br />

def<strong>in</strong>ierten Wettbewerbs bewegte. Dazu<br />

passt auch die Aussage, dass der Wehrdienst noch<br />

schlechter als der <strong>Zivildienst</strong> <strong>in</strong> die eigene berufliche<br />

Laufbahn <strong>in</strong>tegrierbar sei.<br />

Auch gegenüber den Dienstpflichtigen, welche<br />

auf <strong>in</strong>formellem Wege dem Wehrdienst entgehen,<br />

grenzten sich die „Alternativen“ folgendermaßen<br />

ab: Der weit verbreiteten Auffassung, die<br />

<strong>Zivildienst</strong>leistenden seien eher naive und nicht<br />

besonders kluge Sonderl<strong>in</strong>ge, die nicht wissen,<br />

wie man das Gesetz und die Regeln umgeht –<br />

e<strong>in</strong> Wissen, das nicht nur <strong>in</strong> Bezug auf Männer<br />

als positiv gewertet wird – entgegneten die jungen<br />

Männer mit der Betonung ihrer juristischen<br />

Fachkenntnisse, der guten Vorbereitung und der<br />

Fähigkeit, alle bürokratischen Hürden und E<strong>in</strong>schüchterungsversuche<br />

zu bewältigen. Diese<br />

hervorgehobene Durchsetzungskraft und Standhaftigkeit<br />

verb<strong>in</strong>det sie, bewusst oder unbewusst,<br />

wiederum mit wesentlichen Eigenschaften e<strong>in</strong>er<br />

militärisch def<strong>in</strong>ierten Männlichkeit, was e<strong>in</strong> <strong>Zivildienst</strong>leistender<br />

klar zum Ausdruck brachte:<br />

In der Beschreibung se<strong>in</strong>er Schwierigkeiten auf<br />

dem Weg zum <strong>Zivildienst</strong> bediente er sich nicht<br />

nur e<strong>in</strong>er Metaphorik, die aus dem militärischen<br />

Bereich entlehnt war, er bezeichnete se<strong>in</strong>e Situation<br />

auch als eigens erklärten „Krieg gegen das<br />

Wehrkommissariat“.<br />

E<strong>in</strong> ähnlich komplexes Bild ergab die Befragung<br />

von <strong>Zivildienst</strong>leistenden, die nach erfolgreichem<br />

Antrag ihren Dienst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Pflegee<strong>in</strong>richtung absolvieren müssen. Während<br />

e<strong>in</strong>ige Ausführungen zeigten, dass die <strong>Zivildienst</strong>leistenden<br />

die Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiblichen<br />

Kollektiv e<strong>in</strong>er „Militärclique“ vorziehen und die<br />

sozial anspruchsvolle Tätigkeit, beispielsweise<br />

als Krankenpfleger, durch das entgegengebrachte<br />

„menschliche Danke“ als erfüllend empf<strong>in</strong>den,<br />

bestätigten andere e<strong>in</strong>e gewisse Verbundenheit<br />

mit der, wenn nicht militärischen, so doch e<strong>in</strong>er<br />

traditionellen sowie rigiden Vorstellung von<br />

Männlichkeit, <strong>in</strong>dem sie die Arbeit als klassische<br />

Pflegekraft für e<strong>in</strong>en jungen Mann als unzumutbar<br />

bewerteten. Dementsprechend berichteten<br />

e<strong>in</strong>ige der Jungen von Abteilungswechseln <strong>in</strong>nerhalb<br />

der E<strong>in</strong>richtung oder von Aufgabenverlagerungen<br />

zugunsten Tätigkeiten re<strong>in</strong> logistischer<br />

oder handwerklicher Natur, die den eigenen<br />

Kompetenzen adäquat ersche<strong>in</strong>en. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

verdeutlicht dieser Umstand, dass auch die<br />

Arbeitgeber den <strong>Zivildienst</strong> für die jungen Leute<br />

möglichst attraktiv gestalten wollen und die<br />

schwere Arbeit im Pflegebereich, verständlicherweise<br />

aufgrund des Mangels an Erfahrung, aber<br />

auch da diese Tätigkeit <strong>in</strong> der Regel von weiblichen<br />

Beschäftigten erledigt wird, ausklammern.<br />

Die gleiche Haltung lässt sich auch bei den <strong>in</strong>terviewten<br />

Experten feststellen, die <strong>in</strong> ihrer Auf-<br />

klärungsarbeit immer wieder betonen, dass die<br />

<strong>Zivildienst</strong>leistenden nicht zw<strong>in</strong>gend <strong>in</strong> sozialen<br />

Pflegee<strong>in</strong>richtugen bzw. als klassische Pflegekraft<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden müssen, um den Dienst<br />

von se<strong>in</strong>em negariven Image zu befreien.<br />

Insgesamt ergab die Auswertung der Interviews,<br />

dass die <strong>Zivildienst</strong>leistenden die rigiden Geschlechtervorstellungen<br />

zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad<br />

aufbrechen und e<strong>in</strong> alternatives Männlichkeitsbild<br />

im Kontrast zur militärisch def<strong>in</strong>ierten Norm generieren,<br />

das sich weder durch e<strong>in</strong>e klare Abgrenzung<br />

zum Weiblichen, noch e<strong>in</strong>er starken „männlichen“<br />

Schablone bedient. Vielmehr rücken sie<br />

verstärkt das eigenwillige Individuum und se<strong>in</strong>e<br />

Persönlichkeit im Kontrast zum Wehrdienstleistenden<br />

<strong>in</strong> den Vordergrund und stellen dem „Kult<br />

Foto: © Stratievskij<br />

des Starken“ ihre Intelligenz, Aufgeklärtheit sowie<br />

das Pr<strong>in</strong>zip der Gewaltlosigkeit entgegen.<br />

Gleichzeitig bleiben die jungen Männer dem traditionellen<br />

Männlichkeitsbild <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Punkten<br />

verbunden. Das Bemühen der <strong>Zivildienst</strong>anwärter,<br />

ihre Männlichkeit durch Eigenschaften wie<br />

das staatsbürgerliche Pflichtbewusstse<strong>in</strong>, ihre<br />

Durchsetzungskraft und „Kampfbereitschaft“<br />

zu markieren, kann als Ausgleichsversuch gewertet<br />

werden, der sie dem militärischen Ideal<br />

nicht vollständig entrücken soll. Zudem kann<br />

die Bevorzugung von „männlichen“ Tätigkeiten<br />

im Rahmen ihres Dienstes als e<strong>in</strong>e Abwehrhaltung<br />

gegenüber dem Stereotyp e<strong>in</strong>es „cross-gender-freaks“<br />

verstanden werden, der aus der Nähe<br />

der <strong>Zivildienst</strong>leistenden zu e<strong>in</strong>em weiblichen,<br />

sozialen und friedliebenden Umfeld resultiert.<br />

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