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Den Escher Magazine de la Ville d'Esch-sur-Alzette

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D’Meenung vum<br />

Von Esch über<br />

Oberkerschen nach<br />

Paris und zurück<br />

Ich habe nur die ersten vier Jahre meines Lebens in<br />

Esch gewohnt. Aber <strong>de</strong>r Grundstein für dieses gründlich<br />

verwurzelte Gefühl, dass man ein <strong>Escher</strong> ist, war gelegt.<br />

Dieses Bewusstsein fand dann seine Verankerung in<br />

<strong>de</strong>r Gymnasialzeit. Ich war damals <strong>de</strong>r einzige Schüler<br />

<strong>de</strong>r aus Oberkerschen, wo meine Eltern hingezogen<br />

waren, <strong>de</strong>n Weg in <strong>de</strong>n Sü<strong>de</strong>n fand.<br />

Ich verdanke meiner Geburtsstadt sehr viel: eine<br />

humanistisch geprägte Ausbildung im Gymnasium und<br />

eine musikalische Erziehung im alten Musikkonservatorium<br />

im Schatten <strong>de</strong>r Dekanatskirche, <strong>de</strong>m Ort<br />

meiner Taufe. Bei<strong>de</strong> er<strong>la</strong>uben mir heute noch das<br />

Leben nicht kopflos zu durchschreiten.<br />

Kulturelle Heimat<br />

Esch hatte schon damals ein reges Kulturleben:<br />

mehrere Kinos im Herzen <strong>de</strong>r Stadt, darunter mit <strong>de</strong>m<br />

„Empire“ das mo<strong>de</strong>rnste und schönste <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

Daneben gab es einen dynamischen Film-Club <strong>de</strong>r<br />

Lyzeen, die an Dienstag- und Donnerstagnachmittagen<br />

im „Ariston“ weniger kommerzielles Kino anboten. Der<br />

quirlige Jos Wampach, seines Zeichens Direktor <strong>de</strong>s<br />

Theaters, <strong>de</strong>r nebenbei auch die städtische Galerie<br />

betrieb, bot <strong>de</strong>n Schülern damals phantastische<br />

Abonnementprogramme an. Beson<strong>de</strong>rs das <strong>de</strong>utsche<br />

Schauspiel war hochkarätig, aber auch das musikalische<br />

Angebot war vorzüglich. Meine Eltern nahmen mich als<br />

Dreizehnjährigen zum ersten Mal mit in die Oper. Es gab<br />

„Figaros Hochzeit“, aufgeführt vom Salzburger<br />

Mozarteum unter Baumgartner. Und diese Stun<strong>de</strong><br />

bestimmte mein weiteres Leben maßgeblich. Musik<br />

erhellt nicht nur manche Schatten, die das Leben wirft,<br />

sie gibt die Kraft und sorgt für <strong>de</strong>n unabdingbaren<br />

Ausgleich in unserem immer hektischeren Dasein. Aber<br />

auch für unsere erste Bekanntschaft mit <strong>de</strong>r Malerei<br />

zollen wir <strong>de</strong>r Stadt Tribut. Schon damals konnten wir in<br />

<strong>de</strong>r städtischen Galerie eine g<strong>la</strong>nzvolle Ausstellung mit<br />

Werken <strong>de</strong>s großen heute weltbekannten chinesischen<br />

Malers Zao Wou Ki bestaunen.<br />

Ästhetik ist dieser Stadt ja nicht fremd. Immer<br />

wie<strong>de</strong>r wird unterstrichen, dass die <strong>Alzette</strong>-Straße die<br />

längste Einkaufszeile <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ist. Ist sie auch.<br />

Aber sie birgt vor allem für mich die Gefahr <strong>de</strong>r<br />

Halsstarre, weil ich immer diese herrlichen Fassa<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> bestaunen muss. Jedoch nicht<br />

nur diese Zeitzeugen eines aufstreben<strong>de</strong>n Bürgertums,<br />

das hier ausgiebig <strong>de</strong>m Jugendstil fronte, sind<br />

bemerkenswert. Meine Tante arbeitete damals im<br />

„<strong>Escher</strong> Tageb<strong>la</strong>tt“. Ich holte sie oft in <strong>de</strong>r beeindrucken<strong>de</strong>n<br />

Eingangshalle ab und wir schlen<strong>de</strong>rten dann<br />

zu ihrer Wohnung in <strong>de</strong>r Beleser Straße. Dabei<br />

durchkreuzten wir eine Arbeitersiedlung, wohl aus <strong>de</strong>n<br />

20er Jahren. Ich fand und fin<strong>de</strong> diese Viertel auch heute<br />

noch eine beachtliche Leistung in konzeptueller,<br />

ästhetischer und sozialer Hinsicht.<br />

Die neue Ära<br />

Die Stahlkrise <strong>de</strong>r 70er Jahre mit ihren schmerzhaften<br />

Strukturreformen setzten Esch arg zu, bremsten<br />

ihren E<strong>la</strong>n und knappere Einnahmen stutzten die<br />

Ambitionen <strong>de</strong>r Stadtverantwortlichen. <strong>Den</strong>noch wur<strong>de</strong><br />

beson<strong>de</strong>rs im Wohnungsbau viel getan und die Sanierung<br />

von veralteten Stadtvierteln weiter getrieben o<strong>de</strong>r<br />

in Angriff genommen.<br />

Die Jahrtausendwen<strong>de</strong> gab das eigentliche Startzeichen<br />

für eine neue Ära <strong>de</strong>r Entwicklung im gelungenen<br />

Zusammenspiel mit <strong>de</strong>n Nachbargemein<strong>de</strong>n, beson<strong>de</strong>rs<br />

Sassenheim. Die Regierung machte hier Nägel mit<br />

Köpfen, in<strong>de</strong>m sie wichtige staatliche Projekte in<br />

Esch-Belval ansie<strong>de</strong>lte und damit ein ermutigen<strong>de</strong>s<br />

Zeichen für die Privatindustrie gab. Die von einigen<br />

Seiten umstrittene Aufteilung <strong>de</strong>r neuen Universität wird<br />

sich wohl im Nachhinein als Glücksfall herausstellen,<br />

da sie sowohl <strong>de</strong>r Hauptstadt als auch <strong>de</strong>r südlichen<br />

Metropole dynamische Impulse in <strong>de</strong>r jeweils dominieren<strong>de</strong>n<br />

Sparte geben wird.<br />

Mit <strong>de</strong>r Universität und ihren wissenschaftlichen<br />

Komponenten, mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Forschungsinstituten,<br />

die ihren Sitz im Umfeld <strong>de</strong>r Hochschule haben<br />

wer<strong>de</strong>n, ist die Basis gelegt, um das Konzept einer<br />

„écocité“, wie sie von Frankreichs Präsi<strong>de</strong>nt angeregt<br />

wur<strong>de</strong>, grenzüberschreitend verwirklichen zu können.<br />

Auch wenn wir noch nicht genau wissen, was dieses<br />

urbanistische Projekt bis ins letzte Detail beinhalten<br />

wird, so scheint jedoch sicher, dass es <strong>de</strong>m zukunftsorientierten<br />

Konzept <strong>de</strong>r nachhaltigen Entwicklung<br />

unterstellt wird. Luxemburg hat hierbei eine maßgebliche<br />

Vorarbeit geleistet. Wenn heute <strong>de</strong>r französische<br />

Präsi<strong>de</strong>nt Nico<strong>la</strong>s Sarkozy <strong>de</strong>m Projekt – in vielerlei<br />

Hinsicht ein Pilotprojekt – seine ganz persönliche<br />

Unterstützung gewährt, so be<strong>de</strong>utet dies auch eine<br />

Anerkennung für die zehnjährige mustergültige P<strong>la</strong>nung<br />

und Projektausführung auf luxemburgischer Seite. Wenn<br />

wir diesem neuen Stadtteil eine Chance geben wollen,<br />

sämtlichen Funktionen einer mo<strong>de</strong>rnen Agglomeration<br />

gerecht zu wer<strong>de</strong>n, dann brauchen wir die Partnerschaft<br />

mit Frankreich. Und die Republik und ihr Präsi<strong>de</strong>nt<br />

haben verstan<strong>de</strong>n, dass die Lokomotivfunktion von<br />

Esch und Beles nur von Gewinn sein kann für das<br />

nördliche Lothringen, das noch mehr unter <strong>de</strong>m<br />

Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>r Stahlindustrie als unsere Minette-Gegend<br />

gelitten hat und noch heute böse Narben zeigt.<br />

Eine Erfolgsstory in grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />

Zusammenarbeit<br />

Esch-Belval-<strong>Alzette</strong> kann mit vereinten Ambitionen<br />

und Kräften eine Erfolgsstory in grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />

Zusammenarbeit wer<strong>de</strong>n, ein wirklich europäisches<br />

Mo<strong>de</strong>llbeispiel. Wir sollten nun rasch unsere ureigenen<br />

Interessen mit <strong>de</strong>nen Frankreichs vergleichen und, bei<br />

genügen<strong>de</strong>r Über<strong>la</strong>ppung dieser Interessen, zügig zur<br />

Durchsetzung schreiten. Ich bin überzeugt, dass wir<br />

noch gar nicht alle Möglichkeiten kennen. Kosten-<br />

senken<strong>de</strong> Synergieeffekte in verschie<strong>de</strong>nen Forschungsbereichen<br />

– immer vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r nachhaltigen<br />

Entwicklung – sind nur eine erste Folge. Das Ziel<br />

muss es sein, die Forschung enger an die Wirtschaft zu<br />

bin<strong>de</strong>n, eine Praxis, die in <strong>de</strong>n angelsächsischen<br />

Län<strong>de</strong>rn längst zum Alltag gehört.<br />

Wir sollten um eine erfolgreiche zusammenhängen<strong>de</strong>,<br />

mo<strong>de</strong>rne, grenzüberschreiten<strong>de</strong> Stadt<strong>la</strong>ndschaft<br />

bemüht sein. In Frankreich re<strong>de</strong>t man gerne von<br />

„villes nouvelles“, einem Konzept, das wir in diesem<br />

Fall verdrängen sollten. Es gilt die Symbiose mit <strong>de</strong>m<br />

historischen Stadtkern herzustellen. Esch-Belval ist<br />

vielleicht eine „Neustadt“ im Sinne Karls IV. und<br />

seiner Stadtaus<strong>de</strong>hnung im Prag <strong>de</strong>s 14. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

aber es sollte keine „ville nouvelle“ im französischen<br />

Sinne sein. Es gilt also, trotz so mancher topographischer<br />

Schwierigkeiten, diesen Stadtteil mit <strong>de</strong>m<br />

historischen Stadtzentrum zu verzahnen. Die Intensität<br />

<strong>de</strong>r Neubelebung dieses alten Kerns wird als<br />

Gradmesser für die gelungene Integration <strong>de</strong>s neuen<br />

Viertels dienen.<br />

Esch und mit <strong>de</strong>r Stadt <strong>de</strong>r gesamte Sü<strong>de</strong>n stehen<br />

vor einer Entwicklung, welche – wie einst die Stahlindustrie<br />

– die Geschicke für die nächsten hun<strong>de</strong>rt<br />

Jahre schreiben wird. Wir müssen diese einmalige<br />

Chance voll ausnützen, d.h. gestalterisch und visionär<br />

mitbestimmen.<br />

Es freut mich, meine Stadt im Auf- und Umbruch zu<br />

erleben. Ich habe immer zu ihr gehalten, nur ein<br />

einziges Mal stand ich nicht auf ihrer Seite. 1972 als<br />

<strong>de</strong>r FC Hautcharage gegen Jeunesse Esch spielte und<br />

gewann, hatte ich mich nicht <strong>de</strong>r unbeschreiblichen<br />

Euphorie in Oberkerschen entziehen können. Es gab<br />

damals kein Dilemma, die Dorfmannschaft war das Idol.<br />

Dass es einfacher ist auf Seiten <strong>de</strong>s Siegers zu stehen,<br />

war ja nicht von Anfang an eingep<strong>la</strong>nt.<br />

Georges Santer, gebürtiger <strong>Escher</strong>, ist seit September<br />

2007 Botschafter Luxemburgs in Paris.<br />

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