WLZ 80 | Nov. 2020
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Historik: Jüdische Schicksale (Teil 2)
Großindustriellenfamilie Mautner
in Trattenbach
Die jüdische Familie
Mautner baute ein Textilimperium
auf und errichtete
durch Zufall eine
Baumwollweberei in
Trattenbach. In der Gemeinde
sind auch heute
noch Erinnerungen an die
Familie erhalten.
Stephan Mautner verbrachte seine Zeit gerne auf
seiner Jagdhütte, dem Nothnagelhof.
Heute ist der Nothnagelhof in Privatbesitz und im
Ort als „Mautner-Villa“ bekannt.
Zuneigung zum Ort
Die Familie Mautner war eine in
der Textilindustrie tätige Wiener
Großindustriellenfamilie, die ein
Textilimperium aufbaute. Neben
zahlreichen Niederlassungen in
Niederösterreich, Böhmen und
Ungarn wurde unter anderem
1893 eine Holzschleiferei in Trattenbach
gekauft, die drei Jahre
www.hlw-pinkafeld.at
< Virtueller Tag der offenen Tür:
Freitag, 18. Dez. 2020; 9 bis 17 Uhr
später zu einer Baumwollweberei
umgewandelt wurde, der
dritten Mautnerschen Weberei
neben Nachod und Schumberg.
Es wird angenommen, dass Isaac
und Isidor Mautner die Fabrik
bei einem Jagdausflug entdeckten
und sich nach einer Besichtigung
für den Kauf entschieden.
Die Familie Mautner besaß ein
Gefühl für soziale Verantwortung:
Als im Sommer 1916 aufgrund
der schlechten Auftragslage
der Betrieb eingestellt werden
musste, wurde die Belegschaft
nicht entlassen. Stattdessen organisierte
Stephan Mautner, Sohn
von Isidor, eine private Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
und
ließ auf eigene Kosten und gegen
Entgelt von den arbeitslosen
Arbeitern eine Straße zu seiner
Jagdhütte, dem Nothnagelhof,
anlegen. Auch heute noch zeugt
ein aufwendig gestalteter Gedenkstein
an der Mautnerstraße
– wie sie heute noch heißt – von
der Dankbarkeit der Belegschaft.
Stephan war Trattenbach generell
sehr zugetan, fertigte im
Laufe der Jahre zahlreiche Aquarelle
und Bleistiftzeichnungen
von Trattenbach, der Umgebung
und seinen Bewohnern an und
schrieb sogar zwei Bücher über
den kleinen Ort.
Was übrig blieb
Im Zweiten Weltkrieg wurden
die zahlreichen Besitzungen der
Familie schließlich arisiert, beschlagnahmt
und verkauft. Ihre
Einrichtungsgegenstände und
diverse Sammlungen volkstümlicher
Gegenstände wurden unter
anderem dazu verwendet,
das neu gegründete Ausseer
Heimathaus in Bad Aussee auszustatten.
Nichts sollte mehr an
die Mautners erinnern: So wurde
der 1925 feierlich eingeweihte
Gedenkstein für Konrad Mautner
zerstört – er war der jüngere Bruder
von Stephan und hat sich wie
kein anderer um die Grundlseer
Volkskultur verdient gemacht.
Auch das Jagdhaus von Stephan
Mautner in Trattenbach kam unter
kommissarische Verwaltung.
Stephan und seine Frau Else wurden
schließlich in Ausschwitz
ermordet.
Die Fabrik der Mautners in Trattenbach
gibt es noch und ist
heute im Besitz von Frau Alexandra
Klein und der Firmensitz der
Firma Meerkatz & Klein, die mit
historischen Baustoffen handelt.
Der Nothnagelhof von Stephan
Mautner wird heute von den Gemeindebewohnern
als Mautner-
Villa bezeichnet und wurde vor
einigen Jahren durch die Privatbesitzer
renoviert. ❏
Stefanie Schadler
Quelle: „Die anderen Mautners“,
Wolfgang Hafer
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Wechselland Zeitung | November 2020