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Beschaffung aktuell 4.2022

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» MANAGEMENT China baut

» MANAGEMENT China baut seine Stellung als Normungsweltmacht aus Der Kampf um die Standards „Wer die Norm macht, hat den Markt“ wusste schon Werner von Siemens im 19. Jahrhundert. „Internationale Standards zu setzen ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der EU“ bestätigt die EU-Kommission Anfang 2022 – und sieht eben diese Wettbewerbsfähigkeit bedroht. Das Deutsche Institut für Normung DIN schätzt den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Normung für Deutschland auf rund 17 Mrd. Euro im Jahr. Eine aktuelle DIN-Studie belegt, dass 84 % der in Deutschland produzierenden Unternehmen im globalen Wettbewerb von dem internationalen Normenwerk profitieren. Normenkonformität gilt beispielsweise als geldwertes Qualitätssiegel. Auf der anderen Seite erschweren bestehende Normen den Marktzugang für neue Unternehmen, zumal dieser Zugang durch Patente bzw. marktbeherrschende Standards nicht nur schwierig, sondern auch teuer werden kann. So unterliegt beispielsweise mehr als die Hälfte der international gehandelten Informations- und Kommunikationstechnologie patentierten Standards. Wer sich nicht normgebend durchsetzen konnte, muss in Folge Lizenzgebühren an die Marktführer zahlen. Welche langfristigen Folgen das haben kann, zeigt das historische Beispiel „Standard-Software“. Seit sich Anfang der 80er-Jahre Microsoft im Kampf gegen die damals übermächtige IBM durchsetzen konnte, haben sich die Machtverhältnisse fundamental geändert. Normen sind mächtiger als Sanktionen Während Sanktionen und Exportkontrollen, Investi - tionsscreenings und Schutzzölle in aller Öffentlichkeit diskutiert werden, wirkten Normen und Standards bislang eher im Hintergrund. Inzwischen gelten Normen entscheiden über Markterfolge. Dementsprechend engagiert wird über Standards gerungen. Bild: freshidea/stock.adobe.com 18 Beschaffung aktuell » 04 | 2022

»Experten aus unseren Schlüsselindustrien müssen sich in Normungsgremien engagieren und die Politik sollte dies fördern .« Christoph Winterhalter, Vorsitzender des Vorstandes DIN aber auch sie als Politikum, denn der europäische Vorsprung schmilzt. Dafür gibt es mehrere Gründe. So definiert die Industrie in Europa ihre Normen innerhalb eines vorgegebenen regulatorischen Rahmens überwiegend selbst. Das ist zwar demokratisch und eröffnet eine breite und transparente Stakeholder- Beteiligung, kostet aber Zeit. Und Zeit ist im Angesicht immer kürzerer Innovationszyklen ein erfolgskritischer Parameter. Chinesische Ingenieure und Entscheider legen nationale Normen dagegen Top-down fest, sprich staatsgetrieben und damit von oben verordnet. Peking geht dabei gründlich vor. So bilden die asiatischen Universitäten nicht nur Forscher und Entwickler aus, sondern gezielt auch eine wachsende Anzahl normbewusster Spezialisten, welche leitende Funktionen in den internationalen Normungsorganisationen anstreben und zunehmend auch besetzen. In Deutschland finden zu diesem Thema dagegen nur vereinzelte Vorlesungen an der TU Berlin statt. Von 31 auf 64 Komitees Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Anzahl der von Chinesen geleiteten Komitees bei der Internationalen Organisation für Normung (ISO) mehr als verdoppelt; Tendenz steigend. Gleichzeitig wachsen die chinesischen Normungsanträge Jahr für Jahr um ungefähr 20 Prozent. Dabei setzt das Land der Mitte eigene Schwerpunkte in allen zukunftsorientierten Bereichen: zum Beispiel in puncto künstliche Intelligenz und autonomes Fahren, im Internet der Dinge sowie im Umfeld von Industrie 4.0 und dem Funkstandard 5G. Laut einer Studie der TU Berlin und dem Start-up Iplytics für das BMWi aus dem Jahr 2020 zur globalen Patentsituation für 5G-Technologie ist dieses Feld inzwischen bereits mit Zehntausenden Patenten belegt, die von allen Marktteilnehmern berücksichtigt, bzw. lizenziert werden müssen. Zu den wichtigsten Besitzern solcher Schutzrechte zählen laut der Studie Huawei und Tencent aus China, Mediatek aus Taiwan sowie Samsung und LG aus Südkorea. Aus Europa sitzen nur Ericsson und Nokia maßgeblich mit in diesem Normungsboot. Aus der Norm wird Marktmacht Ihren neu gewonnenen Einfluss kann die kommunistische Staatsführung in zukünftigen Markterfolg ummünzen. Dazu dient unter anderem die Initiative der neuen Seidenstraße „Belt and Road“. Auf diesem Weg sollen über Handelskorridore in Richtung Asien, Afrika, auf dem Balkan und in Europa nicht nur Infrastruktur und Produkte, sondern auch Standards exportiert und verankert werden. Aus europäischer Sicht besonders umstritten sind dabei das neue chinesische Internetprotokoll „New IP“. Dieses Protokoll unterstützt eine staatliche Kontrolle des Internets inklusive Massenüberwachung. Parallel dazu treiben chinesische Firmen auch die Standardisierung der Gesichtserkennung voran. Die Vorbilder haben das Nachsehen „Im Prinzip macht Peking heute nichts anderes als das, was wir in den 70er-Jahren getan haben, als wir unser Normenwerk nach China exportierten“, meint Christoph Winterhalter, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Normung (DIN) in einem Interview mit der Welt. „Wenn wir feststellen, dass ein neues Thema zu Schlüsseltechnologien wie Industrie 4.0, Blockchain oder Quantencomputern relevant wird, dann haben sich zum gleichen Zeitpunkt höchstwahrscheinlich bereits mehrere Teams an chinesischen Unis darangesetzt, einen kompletten Normungsvorschlag zu formulieren“, fährt Winterhalter fort und mahnt eine Aufwertung der Normung in der Industrie und Politik an. Christoph Winterhalter, Vorsitzender des Vorstandes DIN Bild: Goetz Schleser, DIN Beschaffung aktuell » 04 | 2022 19

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