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medizin&technik 01.2018

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■ [ MEDIZIN IM DIALOG

■ [ MEDIZIN IM DIALOG ] JETZT ÜBERLEGEN, WAS MAN MIT HIRNDATEN MACHEN DARF Hirndatenmanagement | Im Fachmagazin Nature haben 25 international tätige Wissenschaftler vier Vorschläge gemacht, wie Hirndaten vor massenhafter Auswertung und Manipulation geschützt werden können. Einer der Autoren, Dr. med. Philipp Kellmeyer von der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, erläutert, warum man sich darüber dringend Gedanken machen sollte. Dr. med. Philipp Kellmeyer, M.Phil., ist Facharzt für Neurologie an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und der einzige europäische Autor der Veröffentlichung zum Hirndatenschutz IHR STICHWORT ■ Handlungsbedarf bei Hirndaten ■ Definition von und Schutz vor unerwünschter Nutzung ■ Ethische Verantwortung der Ingenieure ■ Diskussionsbeginn erwünscht Bild: Universitätsklinikum Freiburg ■ Herr Dr. Kellmeyer, wenn man mit Fachleuten über Brain Computer Interfaces spricht, entsteht meist der Eindruck: Es geht um ein spannendes Feld, aber die Möglichkeiten sind noch begrenzt. Wie gut kommt künstliche Intelligenz heute schon an Daten aus einem Gehirn heran? Das kommt auf die Methode an. Bisher haben wir vor allem das EEG, mit dem häufige und lange Messungen möglich sind. Hier lässt jedoch die räumliche Auflösung zu wünschen übrig. Im MRT ist sie sehr gut – aber damit können wir nur zeitlich begrenzt messen. Spezielle, invasive Methoden wie das Messen mit Nadelelektroden, die in das Gehirn eindringen, sind nur in besonderen Fällen anwendbar. Es ist aber zu erwarten, dass neue Methoden entstehen, mit denen wir sowohl zeitlich als auch räumlich detaillierte Daten bekommen und dann ein viel genaueres Bild der Hirnaktivität erhalten können. ■ Was war der Anlass für die aktuelle Veröffentlichung zum Hirndatenschutz? Es gibt sowohl in den USA als auch in Europa große Programme, in denen es um die Erforschung des menschlichen Hirns geht. In Europa ist das Ziel das Erstellen eines Modells, in Amerika sind die Arbeiten darauf ausgerichtet, zu nutzbaren Werkzeugen zu kommen. Die beteiligten US-Forscher haben im Mai 2017 einen Workshop organisiert, bei dem Mediziner, Ingenieure, Rechts - experten und Ethiker über die heutige Situation und die absehbaren Entwicklungen intensiv diskutiert haben. Die Veröffentlichung fasst einige Dis - kussionspunkte dieses Workshops zusammen. Einigkeit bestand aber in dem Punkt, dass wir alle Handlungsbedarf sehen, was den Schutz von Hirndaten angeht. ■ Welche Entwicklungen machen diesen Schutz erforderlich? Bisher haben wir zum einen nur Daten mit den erwähnten Einschränkungen zur Verfügung, zum anderen war die Auswertung bisher nicht präzise genug. Beides ändert sich gerade, es entstehen kleinere Elektroden, die Mikroelektronik ermöglicht es, die Elektroden näher am Gehirn zu platzieren. Bei der Auswertung spielen die intelligenten Algorithmen eine immer größere Rolle. In Zeiten von Big Data können riesige Datenmengen in Echtzeit analysiert werden. Was bisher vor allem für Bildanalyse oder Spracherkennung genutzt wurde, wird nunmehr auch für die Untersuchung von Hirndaten eingesetzt. Das führt dazu, dass wir Hirnzustände immer genauer klassifizieren können und die Systeme immer besser werden, je länger sie die Daten der gleichen Person bekommen. Daher muss man sich Gedanken machen, was mit diesen Daten passiert und passieren darf. ■ Was genau gibt da Anlass zur Sorge? Im Bereich Social Media und Internet hat uns die Entwicklung überholt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir unseren Standort und sonstige Daten bereitwillig zur Verfügung stellen, um bestimmte Services zu nutzen. Auch wenn sich mittlerweile abzeichnet, wie viel man aus diesen Dingen ablesen kann und dass sie keineswegs geschützt sind, lässt sich die Entwicklung nicht zurückdrehen. Dabei ließen sich sogar Zusammenhänge zwischen bestimm- 14 medizin&technik 01/2018

International exhibition and conference on the next generation of manufacturing technologies Frankfurt am Main, 13. – 16.11.2018 formnext.de ■ Wie könnte ein Schutz der Daten im Alltag umgesetzt werden? Als die aktuelle Veröffentlichung entstand, wurde beschlossen, im ersten Schritt nur die Handlungsfelder zu beschreiben. Weitere Artikel sollen folgen, in denen wir konkreter werden. Ein Schritt wäre meines Erachtens, die gemessenen Daten anders als bisher zu verwalten. Wenn sie einmal zentral in einer Cloud gespeichert sind und ausgewertet werden, ist ein unerlaubter Zugriff auf Daten und Ergebnisse nicht mehr auszuschließen – was unter Umständen auch eine rasche Personenzuten Social-Media-Aktivitäten und Depressionen oder sogar suizidalen Tendenzen nachweisen, wie Forschungsprojekte gezeigt haben. Und wie bedenkenlos wir Nutzungsbedingungen bisher zustimmen, zeigt ein scherzhaftes Experiment: Es war problemlos möglich, in Nutzungsbedingungen die Verpflichtung zu verstecken, beim Anbieter ein Jahr lang die Toilette zu reinigen. Soweit hatte aber offenbar kaum jemand gelesen, denn viele haben zugestimmt. Bei der Erfassung und Analyse von Hirndaten haben wir nun die Chance, sinnvolle Regeln festzulegen, bevor sich die Technik überall, auch im Consumerbereich, ausgebreitet hat. Diese Chance sollten wir nutzen. Auch für Ingenieure sind Ethik und Verantwortung ein wichtiges Thema ■ Wie entwickelt sich die nicht-medizinische Nutzung solcher Hirndaten? Große Konzerne wie Google oder Facebook sind an der Verwendung von Hirndaten zu unterschiedlichen Zwecken sehr interessiert und haben mit der Entwicklung entsprechender Geräte begonnen. Dabei kann es um Virtual Reality gehen oder um verbesserte Gaming- Erlebnisse. Vertreter dieser Unternehmen waren auch beim Workshop in den USA dabei und haben mit den Wissenschaftlern diskutiert. Bei Konzernen steht natürlich ein künftiges Geschäftsmodell hinter der Forschung. Regeln gibt es bisher nicht – genau genommen nicht einmal für die medizinische Nutzung der Daten, außer dass diese prinzipiell dem Wohl des Patienten zu dienen hat. ■ Inwiefern sind Hirndaten etwas Besonderes und schützenswert? Sie sind die persönlichsten Daten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Es ist zwar eine philosophische Frage, ob man damit Gedanken lesen kann. Es gibt Menschen, die das bejahen: Schließlich lassen sich damit Hirnzustände erkennen, die ja jedem Gedanken zugrunde liegen müssten. Aber auch wenn die Elektroden etwas auslesen, was wir nicht als „Gedanken“ formulieren könnten, lassen sich damit heute schon Roboter steuern und Gaming-Angebote anpassen. Meiner Ansicht nach sind aber Hirndaten weit mehr als biometrische Daten – ich sehe sie eher in Analogie zu Organen oder Geweben. Für diese gibt es Regeln, die verhindern sollen, dass sie gewerblich angeboten werden. In die Richtung sollten wir weiterdenken. ■ Wie schnell entwickelt sich die Technologie? Insgesamt geht es schneller voran als bisher vermutet, denn es wird viel investiert. Die Algorithmen werden Aufgaben mittelfristig besser erledigen können als Menschen. Dass eine Maschine beim Schach gewinnt, ist nur ein Beispiel dafür. Die lernende Software wird aber auch dazu führen, medizinische Entscheidungen zu unterstützen. Dass sie Bilder von Hautkrebs inzwischen schon genauso gut analysieren und zuordnen kann wie Hautärzte, wurde neulich in Science veröffentlicht. Neue Ideen. Neue Möglichkeiten. Neue Märkte. Es gibt Menschen, die brauchen Sie. Damit Ideen nicht Ideen bleiben, sondern zu Produkten werden. Mit Ihrem Know-how. Präsentieren Sie sich auf der formnext – der internationalen Messe und Konferenz für Additiv Manufacturing und die nächste Generation intelligenter Produktionslösungen. Where ideas take shape. @ formnext_expo # formnext 01/2018 medizin&tec hn i k 15

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