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2020-3 REISE und Preise

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ÄTHIOPIEN Höhepunkt im

ÄTHIOPIEN Höhepunkt im Leben eines Hamar-Mannes: der erfolgreich absolvierte »Bullensprung« (1. v. links). Auf den Sand- und Felspisten im Bale-Nationalpark ist ein Al Abenteuer FÜR ALLE SINNE Ein Roadtrip von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba in den wilden Süden ist eine Zeitreise ins alte Afrika. Viele dort lebende Völker tragen spektakulären Körperschmuck und praktizieren einzigartige Riten. Wem Komfortverzicht und Schotterpisten nichts ausmachen, wird mit außergewöhnlichen Begegnungen belohnt: Hier ist das Land noch überraschend und ursprünglich, faszinierend und fremd. VON HELGE BENDL 62 REISE-PREISE.de 3-2020

l radfahrzeug Pflicht (2. v. links). Kaffeezubereitung ist in Äthiopien Frauensache (3. v. links). Fischerboote und Pelikane am Ufer des Awassa-Sees (rechts) Zwei Ausflugsboote begegnen sich auf dem Awassa-See im Licht des Sonnenuntergangs Der Moment ist kurz, gerade mal ein Augenzwinkern lang. Doch es scheint, als hielten alle in der Runde gleichzeitig den Atem an. Gerade wirkte das Szenenbild noch laut und ungestüm, das Geschrei der Kinder, die Rufe der Männer, das Singen der Frauen, das Lärmen der Schellen, das Klatschen der Peitschen. Es war ein Fest für alle Sinne, ungemein spektakulär – und doch nur ein unwichtiges Vorgeplänkel für den großen Auftritt. Jetzt ist die Zeit reif: Ein »Bullensprung« steht an, der Initiationsritus der Männer vom Volk der Hamar. Ein Teenager, die Haare bis auf ein Büschel kahl geschoren, nähert sich einer Gruppe Rinder. Er ist komplett nackt, hat nur ein dünnes Band aus Pflanzenfasern um die Brust geschlungen. Die Tiere stehen dicht an dicht nebeneinander, Flanke an Flanke, festgehalten an ihren großen spitzen Hörnern und an ihren Hintern von anderen Männern. Alle in der Runde hoffen und bangen, dass dem Jungen der Bullensprung gelingt. Würde er ihn jetzt nicht wagen, hätte er auf ewig den Ruf eines Versagers – stolpern und stürzen darf er natürlich auch nicht. So nimmt er Anlauf, steigt über ein Kalb auf, rennt über die Rinderrücken. Beim ersten Mal wirkt er noch wackelig, beim zweiten Mal rutscht er fast aus, doch dann ist alle Last von ihm abgefallen und er fliegt förmlich über die Tiere. Nun, endlich, gilt er als Mann! Und lässt sich vor den Kameras der Touristen feiern. DER SÜDEN IST EIN FREILICHTMUSEUM DER VÖLKER Äthiopiens Süden gilt als Freilichtmuseum der Völker: 45 einheimische ethnische Gruppen leben im »Staat der südlichen Völker, Nationen und Nationalitäten«, der bis heute ursprünglichsten Region des Landes. Im Afrikanischen Grabenbruch trotzen sie den steilen Berghängen mit Terrassen wertvolles Ackerland ab oder leben als Halbnomaden von der Rinderzucht. Hier als Tourist auf eigene Faust auf Entdeckungsreise zu gehen, ist kaum möglich, wenn man die Sprachen nicht spricht: Für die Besuche der Dörfer sind lokale Guides Pflicht, und auch die Bezahlung für Fotos muss immer verhandelt werden. Mitbringen sollte man nicht nur einen dicken Stapel Fünf-Birr-Banknoten, sondern auch die Bereitschaft zum Komfortverzicht. Die Unterkünfte im Süden sind oft einfach, die Wege weit, die Schotterpisten staubig. Doch das ist alles halb so wild. Bei den steilen Aufstiegen schwächelt die Klimaanlage im Bus, dafür hat man einen umsichtigen Fahrer. Der lässt sich auch nicht die Laune verderben, als er bei 37 Grad im Schatten den Reifen wechseln muss. Man muss hier das Leben nehmen, wie es kommt – am Abend schmeckt das kalte Bier dann umso besser. Hungersnöte und Unterdrückung sind am Horn von Afrika endlich Geschichte. Für seine radikalen innenpolitischen Reformen und die Aussöhnung mit dem Nachbarland Eritrea hat Premierminister Abiy Ahmed vergangenes Jahr den Friedensnobelpreis erhalten. Die Hauptstadt Addis boomt, doch auf dem Land hat sich an der Lebensweise der Menschen kaum etwas verändert. Der Übergang verläuft fließend. Wer sich die Zeit nimmt, in ein paar Tagen über Land in den wilden Süden zu reisen, nimmt die Veränderung besser wahr als beim schnellen Hüpfer mit dem Flugzeug. Während im Rückspiegel das Verkehrschaos der lärmenden Kapitale zurückbleibt, tauchen – nein, es ist keine Fata Morgana – rechts und links der Straße bereits die ersten Kamele auf, die auf dem Weg zum nächsten Markt an den Schirmakazien knabbern. Es gibt frisches ➔ 3-2020 REISE-PREISE.de 63 Fotos: Helge Belndl

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