01.10.2012 Aufrufe

DIE SCHWEIZERISCHE MIGRATIONSPOLITIK IM KONTEXT ... - Fiala

DIE SCHWEIZERISCHE MIGRATIONSPOLITIK IM KONTEXT ... - Fiala

DIE SCHWEIZERISCHE MIGRATIONSPOLITIK IM KONTEXT ... - Fiala

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>DIE</strong> <strong>SCHWEIZERISCHE</strong> <strong>MIGRATIONSPOLITIK</strong><br />

<strong>IM</strong> <strong>KONTEXT</strong> DER NATIONALEN SICHERHEIT UND<br />

GLOBALER ZUSAMMENHÄNGE<br />

Doris <strong>Fiala</strong><br />

Nationalrätin FDP<br />

Mitglied der Schweizer Delegation im Europarat<br />

A thesis submitted to the Department of Humanities, Social and Political<br />

Sciences of the Swiss Federal Institute of Technology (ETH Zurich) in<br />

partial fulfilment of the requirements for the degree of Master of Advanced<br />

Studies in Security Policy and Crisis Management (MAS ETH SPCM).<br />

1. Oktober 2010<br />

Copyright 2010 Doris <strong>Fiala</strong><br />

All Rights Reserved


DANK<br />

Die erhaltene fachliche Unterstützung verdanke ich insbesondere<br />

folgenden Persönlichkeiten:<br />

• Gnesa Eduard, Dr. iur.<br />

Sonderbotschafter für Internationale Migrationszusammenarbeit<br />

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA,<br />

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, Freiburgstrasse<br />

130, 3003 Bern, vormals Direktor des Bundesamtes für Migration<br />

• Köppel Hugo<br />

Schweizerisches Rotes Kreuz, Departement Gesundheit und Integration<br />

Leiter Abteilung Integration und Rückkehr, Werkstrasse 18, 3084 Wabern<br />

• Rohner Hannes<br />

Zukunfts- und Innovationsforscher, Privatdozent, Inhaber b4u Forecast<br />

und Innovation, Murten<br />

• Wenger Andreas, Prof. Dr.<br />

ETH Zürich Forschungsstelle für Sicherheitspolitik, Leiter des Center of<br />

Security Studies an der ETH Zürich<br />

• Zürcher Gottfried<br />

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Bundesamt für<br />

Migration BFM, Vizedirektor Direktionsbereich Migrationspolitik,<br />

Quellenweg 6, 3003 Bern-Wabern<br />

2


• Mitglieder des sogenannten „Runder Tisch zur<br />

Langzeitperspektive der Migrationspolitik bis 2030“; es sind<br />

dies insbesondere Vertreterinnen und Vertreter<br />

• der politischen Parteien der SVP, SP, CVP,<br />

• Schweizerischer Gewerbeverband<br />

• Arbeitgeberverband Schweiz<br />

• Avenir Suisse<br />

• Caritas<br />

• Schweizerisches Rotes Kreuz<br />

• Politische Abteilung IV des EDA<br />

• Bundesamt für Migration<br />

• Travailsuisse<br />

Meinen speziellen Dank richte ich an meine Familie, die mich in allen<br />

politischen sowie beruflichen Belangen und insbesondere während des<br />

Studiengangs MAS SPCM ETHZ unterstützt und viel Verzicht in Kauf<br />

genommen hat.<br />

3


Kapitel Seite<br />

0. Inhaltsverzeichnis 4<br />

0.1. Tabellenverzeichnis 8<br />

0.2. Abbildungsverzeichnis 10<br />

0.3. Abkürzungsverzeichnis 12<br />

Zusammenfassung 15<br />

1. Einleitung und Konzept 19<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 1<br />

1.1. Migrationspolitik 24<br />

1.1.1. Definition Migration 24<br />

1.1.2. Definition Migrationspolitik 25<br />

1.2. Sicherheitspolitik 27<br />

1.2.1. Definition Sicherheit 28<br />

1.2.2. Definition Sicherheitspolitik 29<br />

2. Der globale Rahmen 32<br />

Kürzübersicht zu Kapitel 2<br />

2.1. Der globale Rahmen der Migration 33<br />

2.1.1. Migration und Migrationspolitik allgemein 35<br />

2.1.1.1. Migration und Fakten international 41<br />

2.1.1.2. Fakten und Hintergründe zur Migrationspolitik der EU 44<br />

2.2. Der globale Rahmen der Sicherheit 48<br />

2.2.1. Sicherheit international,<br />

am Beispiel der Grossmacht USA 54<br />

4


2.2.2. Sicherheit international, am Beispiel EU 60<br />

2.2.2.1. Zuwanderung in Zeiten des Terrors in den USA<br />

und in der EU im Vergleich 65<br />

2.2.2.2. Unterschiedliche Wahrnehmung des Ereignisses<br />

und der Gefahren 65<br />

2.2.2.3. Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Debatte 67<br />

2.2.3. Sicherheitsrelevantes Risiko Flüchtlingsproblematik<br />

am Beispiel Subsahara-Afrika 67<br />

2.3. Schnittstellen des globalen Rahmens Migration und<br />

Sicherheit 69<br />

2.3.1. Schnittstelle Terrorismus international 69<br />

2.3.1.1. Schnittstelle Terrorismus am Beispiel, am Deutschland 70<br />

2.3.1.2. Schnittstelle Terrorismus, am Beispiel Grossbritannien 74<br />

2.3.1.3. Schnittstelle Terrorismus, am Beispiel Spanien 81<br />

2.3.1.4. Schnittstelle Terrorismus, respektive innere Sicherheit<br />

am Beispiel Italien 85<br />

2.3.1.5. Zusammenfassung und Vergleich im Bereich<br />

Sicherheitspolitik 91<br />

3. Der Rahmen Schweiz 97<br />

Kürzübersicht zu Kapitel 3<br />

3.1. Migration und Fakten Schweiz 98<br />

3.1.1. Migration Schweiz und Wahrnehmung<br />

in der Öffentlichkeit 98<br />

3.1.2. Die mediale Beeinflussung der Öffentlichkeit, insbesondere<br />

in der Wahrnehmung der Ausländerkriminalität 100<br />

3.1.2.1. Wirklichkeitskonstruktion: Rolle der Medien 100<br />

3.1.2.2. Verschiedene Kriminalitätstheorien 101<br />

3.1.3. Migration und Demografie in der Schweiz 108<br />

5


3.1.3.1. Demografische Entwicklung der Schweiz 108<br />

3.1.3.2. Überalterung prägt Migrationspolitik in der Schweiz 108<br />

3.1.4. Migration und Zulassungspolitik Schweiz 109<br />

3.1.4.1. Zulassung zum Arbeitsmarkt 110<br />

3.1.4.2. Zulassungspolitik in den letzten 30 Jahren 110<br />

3.1.4.3. Neue Zuwanderung 111<br />

3.1.4.4. Humankapital und Wettbewerb der Köpfe 112<br />

3.1.4.5. Abstiegsangst der Mittelschicht und Stimmungsmache 113<br />

3.1.4.6. Die neue Zuwanderung in Zahlen 114<br />

3.2. Sicherheit und Fakten Schweiz 118<br />

3.2.1. Sicherheitspolitischer Faktor Armee der Schweiz 119<br />

3.2.2. Sicherheitspolitischer Faktor Nachrichtendienst<br />

der Schweiz 123<br />

3.2.3. Sicherheitspolitischer Faktor Neutralität<br />

der Schweiz 127<br />

3.2.4. Sicherheitspolitischer Faktor innere Sicherheit<br />

der Schweiz 131<br />

3.2.5. Sicherheitspolitischer Faktor Verträge mit der EU und<br />

Gesetzgebung 142<br />

3.2.5.1. Das Schengener System 143<br />

3.2.5.2. Die Dublin-II-Verordnung 146<br />

3.2.5.3. Schweiz reagiert mit Verschärfung im neuen Asyl- und<br />

Ausländergesetz (AuG) 148<br />

3.2.5.4. Interpol und Europol 149<br />

3.2.6. Sicherheitspolitischer Faktor Diplomatie 151<br />

3.3. Schnittstellen Migration und Sicherheit<br />

in der Schweiz 154<br />

6


3.3.1. Schnittstelle irreguläre Migration und Sicherheit 154<br />

3.3.2. Schnittstelle Migration und Kriminalität sowie öffentliche<br />

Sicherheit 163<br />

3.3.3. Schnittstelle Integration und Sicherheit 164<br />

3.3.3.1. Schnittstelle Sans-Papier und Sicherheit 168<br />

3.3.4. Schnittstelle Friedensförderung und Sicherheit 170<br />

3.4. Fazit Schweiz 174<br />

3.4.1. Begründung der These 1 174<br />

3.4.2. Begründung der These 2 178<br />

3.4.3. Begründung der These 3 179<br />

4. Schlusswort bzw. Empfehlungen 185<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 4<br />

4.1. Empfehlungen im Bereich Migration 186<br />

4.2. Empfehlungen im Bereich Sicherheit 189<br />

5. Bibliographie 193<br />

5.1. Nützliche Links 196<br />

6. Anhang 198<br />

Anhang 6.1. 198<br />

„360-Grad Umfeld-Sphärenanalyse“ (Hannes Rohner Modell)<br />

Entwurf des drafting Committee zuhanden des Runden<br />

Tisches zur Langzeitperspektive der Migrationspolitik<br />

bis 2030, Bericht zur schweizerischen Migrationspolitik 2030,<br />

vom 2. Juni 2010, S.39.<br />

Ein Auszug aus dem noch nicht publizierten Bericht.<br />

Anhang 6.2. 211<br />

MAS Richtfragen, Interview, am Beispiel Deutschland<br />

7


0.1. Tabellenverzeichnis Seite<br />

Tabelle 1: Migrationsentwicklung 43<br />

Tabelle 2: Wichtigste Aufnahmeländer der Migranten 43<br />

Tabelle 3: Wichtigste Herkunftsländer der Migranten 44<br />

Tabelle 4: Übersicht der Gesetzessituation der gesetzgebenden<br />

Gewalt in Frankreich, Deutschland<br />

und Grossbritannien 96<br />

Tabelle 5: Bestand der ständigen ausländischen<br />

Wohnbevölkerung nach Ausländergruppe<br />

seit Ende Dezember 1974 116<br />

Tabelle 6: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres pro<br />

Herkunft der beschuldigten Person,<br />

Verstösse gegen das Strafgesetz 132<br />

Tabelle 7: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009, Verstösse gegen das Strafgesetz 133<br />

Tabelle 8: Anteil der Ausländer im schweizerischen<br />

Freiheitsentzug, seit 2004 bis 2009 134<br />

Tabelle 9: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres<br />

pro beschuldigte Person, Jahr 2009,<br />

Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz 137<br />

Tabelle 10: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz 138<br />

Tabelle 11: Beschuldigte nach Altersgruppen und<br />

Staatsangehörigkeit, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen Betäubungsmittelkonsum 139<br />

8


Tabelle 12: Beschuldigte nach Altersgruppen und<br />

Staatszugehörigkeit, Jahr 2009, Verstoss gegen<br />

das Gesetz – Betäubungsmittelhandel 139<br />

Tabelle 13: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres<br />

pro beschuldigte Person, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Ausländergesetz 140<br />

Tabelle 14: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009, Verstoss gegen das Ausländergesetz 141<br />

9


0.2. Abbildungsverzeichnis Seite<br />

Abbildung 1: Grafik der regionalen Migrationsbewegungen 37<br />

Abbildung 2: Der grosse Rahmen der Sicherheitsstrategie<br />

A Framework for Grand Strategy 55<br />

Abbildung 3: Migrationsfluss in der Schweiz seit 1860 bis 2009 114<br />

Abbildung 4: Einwanderung aus den EU-27/EFTA-Staaten<br />

und aus den übrigen Staaten, seit 1990 114<br />

Abbildung 5: Einwanderung, Auswanderung und<br />

Wanderungsbilanz, seit 1974 115<br />

Abbildung 6: Einwanderung der ständigen ausländischen<br />

Wohnbevölkerung nach Einwanderungsgrund,<br />

Jahr 2009 115<br />

Abbildung 7: Anzahl der Asylgesuche in der Schweiz pro Jahr 117<br />

Abbildung 8: Prozentuale Verteilung der Personen in der<br />

Vollzugsunterstützung nach Regionen<br />

per 31. 12 2009 117<br />

Abbildung 9: Asylgesuche nach den 10 zahlreichsten<br />

Herkunftsländern, Jahr 2009 118<br />

Abbildung 10: Beschuldigte Personen in der Schweiz nach<br />

Staatszugehörigkeit und nach Gesetzen 132<br />

Abbildung 11: Beschuldigte nach Alter und Geschlecht, Jahr 2009,<br />

Verstösse gegen das Strafgesetz 136<br />

10


Abbildung 12: Beschuldigte nach Alter und Geschlecht,<br />

Jahr 2009,<br />

Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz 137<br />

Abbildung 13: Ausländergesetz: Beschuldigte nach Alter und<br />

Geschlecht, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Ausländergesetz 140<br />

11


0.3. Abkürzungsverzeichnis<br />

ALV Arbeitslosenversicherung<br />

AuG Asyl- und Ausländergesetz<br />

BFF Bundesamt für Flüchtlingswesen<br />

BFM Bundesamt für Migration<br />

BfS Bundesamt für Statistik<br />

BWIS Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung<br />

der Inneren Sicherheit<br />

DEZA Agentur für internationale Zusammenarbeit im<br />

Eidgenössischen Departement für auswärtige<br />

Angelegenheiten<br />

CVP Chrisdemokratische Volkspartei<br />

CSS Center of Security Studies ETH Zürich<br />

EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige<br />

Angelegenheiten<br />

EFMS/efms European Forum for Migration Studies<br />

EJPD Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement<br />

EU Europäische Union<br />

EULEX European Union Rule of Law Mission<br />

EUMC Militärausschuss der Europäischen Union<br />

EURODAC europaweites Fingerabdruckidentifizierungssystem<br />

Europol European Law Enforcement Agency<br />

EVD Eidgenössisches Volkswirtschaftdepartement<br />

EVP Evangelische Volkspartei<br />

EWR Europäischer Wirtschaftsraum<br />

12


ESVP Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

ETHZ Eidgenössische technische Hochschule Zürich<br />

Fedpol Bundesamt für Polizei<br />

Frontex Europäische Agentur für die operative<br />

Zusammenarbeit an den Außengrenzen der<br />

Mitgliedstaaten der Europäischen Union<br />

GC<strong>IM</strong> Global Commission on International Migration<br />

GLP Grün Liberale Partei<br />

IDP internally displaced person<br />

konfliktbedingte intern Vertriebene<br />

KFOR Kosovo Force<br />

KKJPD Konferenz der kantonalen Justiz- und<br />

Polizeidirektorinnen und -direktoren<br />

LMT Liaison and Monitoring Teams<br />

MuB Migration-Info.de;<br />

Migration und Bevölkerung Newsletter; ein Projekt des<br />

Netzwerks Migration in Europa, der Bundeszentrale<br />

für politische Bildung und des Hamburgischen<br />

WeltWirtschaftsinstituts<br />

NATO North Atlantic Treaty Organization<br />

NDB Nachrichtendienst des Bundes<br />

NGO Non-Governmental Organization<br />

N-SIS nationaler Schengener Informationssystem<br />

IGH Internationaler Gerichtshof<br />

ILR Interdepartementalen Leitungsgruppe<br />

<strong>IM</strong>ES Bundesamt für Zuwanderung, Integration<br />

und Auswanderung (innerhalb des BFM)<br />

IOM International Organization for Migration<br />

13


PKS Polizeiliche Kriminalstatistik<br />

SiPol-Bericht Sicherheitspolitischer Bericht<br />

SIS Schengener Informationssystem<br />

VIS Visumsinformationssystem<br />

SVG Strassenverkehrsgesetz<br />

SVP Schweizerische Volkspartei<br />

SWISSCOY Verband der Schweizer Armee (Swiss Company) im<br />

Rahmen der friedensfördernden Militärmission KFOR<br />

der NATO im Kosovo<br />

TAK Tripartiten Agglomerationskonferenz - eine politische<br />

Plattform von Bund, Kantonen, Städten und<br />

Gemeinden für eine gemeinsame<br />

Agglomerationspolitik in der Schweiz<br />

u.a. unter anderem<br />

UNDESA United Nations Department of Economic<br />

and Social Affairs<br />

UNDP United Nations Development Program<br />

UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees<br />

Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten<br />

Nationen<br />

UNO United Nations Organization<br />

USA United States of America<br />

WEF World Economic Forum<br />

WTO World Trade organization<br />

VBS Eidgenössischer Departement für Verteidigung,<br />

Bevölkerungsschutz und Sport<br />

ZIS Zollinformationssystem<br />

14


Zusammenfassung<br />

Die nachstehende Master Thesis befasst sich mit der Migrations- und der<br />

Sicherheitspolitik der Schweiz in einem internationalen Umfeld und<br />

globalen Zusammenhängen. Insbesondere interessieren dabei<br />

Schnittstellen der Migrations- zur Sicherheitspolitik, bzw. umgekehrt der<br />

Sicherheits- zur Migrationspolitik. Inwiefern sich die Politikfelder Migration<br />

und Sicherheit tangieren und gegenseitig beeinflussen, ist Gegenstand<br />

der Auseinandersetzung dieser Arbeit.<br />

Der Aufbau ist so gegliedert, dass systematisch zuerst von allgemeinen<br />

Aussagen über globale und internationale Analysen und Feststellungen<br />

beider Politiken (Migration und Sicherheit) zur EU über gegangen und erst<br />

dann der Schweizteil abgehandelt wird. Oder anders ausgedrückt: Die<br />

Überlegungen gehen vom „Grossen, Globalen zum „Kleinen, Nationalen“.<br />

Die Arbeit dokumentiert, welches die aktuellen Herausforderungen der<br />

Sicherheitspolitik sind unter Berücksichtigung der neuen globalen Risiken.<br />

Der Quervergleich neuer Migrationstendenzen und Sicherheitsstrategien<br />

geben Antworten auf die Frage, wie strategisch in der Schweiz<br />

vorgegangen werden kann.<br />

Die Autorin belegt mit ihrer Arbeit die drei von ihr formulierten Thesen:<br />

1. Die Schweizer Migrationspolitik wird auch weiterhin in erster Linie<br />

durch Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklungen beeinflusst. Die<br />

demografische Entwicklung ist dabei von grosser Relevanz.<br />

Überfremdung, der Grad der Integration von Ausländern und<br />

sicherheitspolitische Determinanten wie Kriminalität beeinflussen<br />

zwar die migrationspolitische Debatte, jedoch erst in zweiter Linie.<br />

Determinanten wie Terrorismus und Extremismus spielen bei der<br />

Formulierung einer zukünftigen Migrationspolitik unseres Landes<br />

eine verhältnismässig untergeordnete Rolle, im Gegensatz zur<br />

Situation in anderen Staaten.<br />

15


2. Insbesondere aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung beeinflusst<br />

hingegen die Migrationspolitik Handlungsweisen und Strategien der<br />

Schweizer Sicherheitspolitik massgebend; irreguläre Migration,<br />

Ausländerkriminalität und eine steigende Zahl muslimisch Gläubiger<br />

sind Einflussfaktoren, welche die Sicherheitspolitik in unserem Land<br />

prägen.<br />

3. Der „Sonderfall Schweiz“ hat aufgrund der Direkten Demokratie mit<br />

ihrer konstanten Möglichkeit der Volksinitiativen und Referenden<br />

einen anderen Umgang mit Migrations- und Sicherheitsfragen als<br />

andere Staaten.<br />

Die Begründungen der drei Thesen lauten kurz gesagt:<br />

Recherchen und Analysen haben erstens einmal ergeben, dass die<br />

Migrationspolitik kein explizites, eigenständiges politisches Aktionsfeld in<br />

der Schweiz darstellt, wenngleich die Thematik weltweit ganz oben auf<br />

den politischen Agenden steht. Auch der überparteilich gegründete so<br />

genannte „Runde Tisch zur Migrationspolitik – Langzeitperspektiven für<br />

die Schweiz“ stellt zuerst einmal Fragen rund um die Wirtschaftspolitik, wie<br />

wir sie bereits aus der Vergangenheit kennen. Demografie (Überalterung<br />

der Bevölkerung) und ein erwarteter, wachsender Mangel an Arbeits- und<br />

insbesondere an hochqualifizierten Fachkräften dominieren die<br />

Diskussionen zum Thema in der Schweiz im Zusammenhang rund um die<br />

Sicherung des Wohlstandes des Landes. Erst in zweiter Linie benennt die<br />

Schweizerpolitik Herausforderungen rund um Flüchtlingsproblematiken<br />

sowie rund um die humanitäre Tradition unseres Landes. Die aktuelle<br />

Migrationspolitik ist geprägt vom sogenannten Zwei-Kreise-Modell, d.h.<br />

vom Freizügigkeitsabkommen mit den EU- und EFTA-Staaten sowie der<br />

Beschränkung und Zulassung Drittstaatenangehörigen auf qualifizierte<br />

Personen.<br />

Die Master-Thesis dokumentiert jedoch klar, dass, zweitens, umgekehrt<br />

die Migrationspolitik und globale Risiken die Sicherheitspolitik prägen. Ins<br />

16


Feld geführt werden können die Ausweitung durch Menschen- und<br />

Drogenhandel, illegale Migrations- und Flüchtlingsströme, ethnische<br />

Konflikte sowie die Ressourcenproblematik und der Klimawandel.<br />

Die Schweiz ist ein Land wie jedes andere. Aber darüber hinaus ist sie,<br />

was nur wenige Staaten von sich behaupten können, auch ein politisches<br />

Symbol. Sie repräsentiert ein spezielles Gedankengut, steht für direkt<br />

Demokratie, Föderalismus und Mehrsprachigkeit im Inneren und<br />

Neutralität in der Aussenpolitik, kurz, sie verkörpert eine spezifische Art<br />

von Staatswesen. Im Gegensatz zu den anderen europäischen Staaten ist<br />

die Schweiz keine rein parlamentarische Demokratie, sondern eine<br />

Demokratie mit starken direkt-demokratischen Wurzeln. Das hat<br />

weitreichende Konsequenzen. In beiden Demokratietypen entscheidet<br />

nämlich nicht die gleiche Kategorie von Leuten über die Politik. Im<br />

Ausland obsiegt in Grundsatzfragen meistens die politische Elite, in der<br />

Schweiz hingegen das Volk – zusammen mit der Elite, oder gegen diese.<br />

Oft stimmen Elite und Volk überein. Aber es kommt immer wieder vor,<br />

dass der Souverän andere Prioritäten setzt. Er zwingt den Bundesrat und<br />

Parlament, Wege zu begehen, die diese lieber meiden möchten.<br />

Die dritte These der Verfasserin wird in diesem Sinne begründet, in dem<br />

dokumentiert wird, dass Rechtsparteien und Populisten international wie in<br />

der Schweiz auf dem Vormarsch sind und insbesondere das Thema der<br />

Ausländerkriminalität und organisiertes Verbrechen massgebend die<br />

Stimmbevölkerung einer Direkten Demokratie beeinflussen. Sogenannte<br />

„Re-Nationalisierungstendenzen“ sind in weiten Teilen Europas erkennbar,<br />

in der Schweiz aufgrund der direkten Demokratie aber weitaus<br />

schwerwiegender.<br />

Die Master-Thesis schliesst mit Empfehlungen für die Schweiz, sowohl für<br />

eine künftige Migrations- wie für eine strategisch ausgerichtete<br />

17


Sicherheitspolitik. Für beide Politikfelder gilt gemäss Verfasserin die<br />

Einsicht, internationaler Kooperation nachzuleben, da die Schweiz im<br />

Alleingang die anstehenden Herausforderungen nicht zu bewältigen<br />

imstande ist. Deshalb, gemäss Masterarbeit und Ansicht der Verfasserin<br />

zusammengefasst, sowohl eine umfassende Migrations- wie auch eine<br />

umfassende Sicherheitsstrategie festzuschreiben und diese Departement<br />

übergreifend zu formulieren, was heute noch nicht der Fall ist.<br />

1. Einleitung und Konzept<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 1<br />

18


Das erste Kapitel der Masterthesis beinhaltet eine allgemeine Einleitung<br />

zur gewählten Thematik und beschreibt die relevanten Fragestellungen,<br />

die konzeptionelle Vorgehensweise sowie die von der Verfasserin<br />

aufgestellten drei Thesen, die sie mit dieser Arbeit belegen will.<br />

Zudem werden die Definitionen zur (1.1.1,) Migration bzw. zur (1.1.2.)<br />

Migrationspolitik sowie die Definitionen zur (1.2.1.) Sicherheit und (1.2.2.)<br />

Sicherheitspolitik festgehalten.<br />

Einleitung<br />

Als Nationalrätin (u.a. als Mitglied in den nationalen Kommissionen für<br />

Aussenpolitik, APK, sowie als Mitglied der den Bundesrat beratenden<br />

Kommission für Entwicklungszusammenarbeit) und als Mitglied der<br />

Schweizer Delegation im Europarat in Strassburg (Präsidentin der<br />

Subkommission für Flüchtlingswesen), ist die Verfasserin der Thesis der<br />

Bedeutung der Migrationspolitik für die Schweizer Sicherheitspolitik, in<br />

einem globalen Umfeld nachgegangen. Die Thematik steht unbestritten<br />

international, und insbesondere in fast allen 47 Mitgliedsstaaten des<br />

Europarats, zuoberst auf den politischen Traktandenlisten. Die Frage stellt<br />

sich, inwiefern die Stabilität der Länder davon abhängt, wie den aktuellen<br />

Herausforderungen in diesem Zusammenhang und einem sich stark<br />

veränderten Umfeld begegnet werden kann. Weiter muss beantwortet<br />

werden, inwiefern die Migrationspolitik auch die Sicherheitspolitik<br />

tangieren könnte, bzw. ob umgekehrt die Sicherheitspolitik von der<br />

aktuellen Migrationpolitik beeinflusst wird, untersucht die Verfasserin<br />

dieser Arbeit umfassend. Die Frage, ob es zutrifft, dass die Schweizer<br />

Migrationspolitik wie in der Vergangenheit primär durch Wirtschafts- und<br />

Arbeitsmarktentwicklung beeinflusst wird, ist allenfalls von Relevanz und<br />

weniger neu, als der Sicherheitsaspekt in diesem Zusammenhang.<br />

Globale und neue Risiken prägen die Sicherheitsdiskussionen<br />

international. Ob diese durch die Migrationspolitik beeinflusst werden, und<br />

falls ja, inwiefern, soll nachstehend aus Sicht der Verfasserin dokumentiert<br />

19


eantwortet werden. Der sogenannte „Sonderfall Schweiz“ mit seiner<br />

direkten Demokratie birgt besondere Herausforderungen. Die<br />

Schnittstellen zu den einzelnen Politikbereichen werden daher speziell<br />

aufgezeigt und die Frage stellt sich, ob unser Land mit der Möglichkeit von<br />

permanenten Volksinitiativen, Referenden und seinem ausgeprägten<br />

Föderalismus einen anderen Weg bezüglich Migrations- und<br />

Sicherheitspolitik geht oder zu gehen hat, als das internationale Umfeld.<br />

Unterschiedliche Aspekte sind von Bedeutung: Massgeblich geht es um<br />

• sicherheitspolitische<br />

• wirtschaftspolitische und<br />

• sozialpolitische Aspekte der Migrationspolitik.<br />

Die nachfolgende Arbeit befasst sich daher speziell mit der Migrationsund<br />

der Sicherheitspolitik der Schweiz in einem internationalen Umfeld<br />

und globalen Zusammenhängen. Besonderes Augenmerk wird den<br />

Zusammenhängen nationaler Sicherheit im Kontext zur nationalen<br />

Migrationspolitik gewidmet. Insbesondere interessieren die Schnittstellen<br />

der Migrations- zur Sicherheitspolitik, bzw. umgekehrt der<br />

Sicherheitspolitik zur Migrationspolitik. Die Autorin fokussiert sich auf diese<br />

Themen und verzichtet bewusst darauf, auch die Sozialpolitik oder die<br />

Gesundheitspolitik der Schweiz näher auszuführen, wenngleich diese<br />

zweifelsfrei von Relevanz sind. Die Wirtschaftspolitik wird im<br />

Zusammenhang mit der Migrationspolitik der Schweiz, bzw. mit der<br />

Zuwanderungspolitik und den Bilateralen Verträgen aufgeführt (Schweiz –<br />

EU).<br />

Dabei gilt es aufzuzeigen, inwiefern Sicherheitspolitik in einem<br />

veränderten, globalen Umfeld gefordert ist und aufgrund veränderter<br />

Migrationstendenzen strategisch vorgegangen werden kann.<br />

20


Haben Einwanderungspolitik (gesteuerte und irreguläre), Flüchtlings- und<br />

Asylpolitik, Integrationspolitik sowie Rückführungspolitik einen Einfluss<br />

auf unsere nationale Sicherheitspolitik?<br />

Die Absicht der Verfasserin ist es zu dokumentieren, dass<br />

Sicherheitspolitik nur erfolgreich sein kann, wenn internationale<br />

Zusammenhänge und neue Risiken erkannt und verstanden werden und<br />

in den einzelnen relevanten Punkten ein Quervergleich mit anderen<br />

Ländern gemacht wird. Die Verfasserin hat daher u.a. systematische<br />

Fragen zu den Zusammenhängen der Sicherheits- und der<br />

Migrationspolitik in den Ländern Deutschland, Italien, Spanien und<br />

England gestellt, aber auch das weitere globale Umfeld in Betracht<br />

gezogen. Es handelte sich dabei um eine systematische Befragung,<br />

Recherchen und Analysen. Die äusserst unterschiedlichen<br />

Beantwortungen zeigen jedoch, dass die Politiken nicht über „einen<br />

Leisten“ gezogen werden können und es kein „Patentrezept“ gibt, die<br />

anstehenden Herausforderungen zu meistern. Die Unterschiede in den<br />

Handlungsweisen zur Bewältigung der Probleme sind gross, auch das<br />

dokumentiert die Arbeit. Die diversen Hintergründe sicherheitspolitischer<br />

Ereignisse werden in der Thesis berücksichtigt.<br />

Empfehlungen kann die Autorin nur betreffend die Schweiz geben. Sie<br />

verzichtet bewusst auf die Formulierung von Fazits für das internationale<br />

Umfeld und folgerichtig auch auf Empfehlungen für das globale Umfeld.<br />

Konzept<br />

Prinzipiell gliedert sich die Masterarbeit in vier Teile:<br />

1. Einleitung und Konzept<br />

2. Der globale Rahmen<br />

3. Der Rahmen der Schweiz<br />

4. Schlusswort und Empfehlungen<br />

21


Systematisch wird jeweils von allgemeinen Aussagen über globale,<br />

internationale Feststellungen zur EU übergegangen und erst dann<br />

der Schweizerteil abgehandelt.<br />

Es wird dabei systematisch der Frage der Ausgangslagen nachgegangen<br />

und zwar sowohl international als auch Schweiz-bezogen. Definiert<br />

werden sodann Ziele und Schnittstellen der Migrations- und<br />

Sicherheitspolitik (Schweiz) sowie unterschiedliche politische<br />

Handlungsweisen in den Bereichen Migrations- und Sicherheitspolitik<br />

international und national aufgezeigt. Die Gewichtung der einzelnen<br />

Aktionsfelder, bzw. die Schnittstellen werden festgehalten, gewichtet und<br />

ein Fazit wird gezogen mit entsprechenden politischen Empfehlungen,<br />

ausschliesslich für die Schweiz.<br />

Die Verfasserin der Thesis stellt aufgrund der Fragestellungen (siehe<br />

Einleitung) drei Hypothesen für die Schweiz auf, die sie mit der Arbeit<br />

belegen will:<br />

1. Die zukünftige schweizerische Migrationspolitik wird auch weiterhin in<br />

erster Linie durch Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklungen<br />

beeinflusst. Die demografische Entwicklung ist dabei von grosser<br />

Relevanz. Überfremdung, der Grad der Integration und<br />

sicherheitspolitische Determinanten wie Kriminalität sowie die<br />

demografische Entwicklung, beeinflussen zwar zweifellos die<br />

migrations- und die sicherheitspolitische (öffentliche) Diskussion und<br />

entsprechende Strategien massgebend, jedoch erst in zweiter Linie.<br />

Determinanten wie Terrorismus und Extremismus spielen bei der<br />

Formulierung einer zukünftigen schweizerischen Migrationspolitik nur<br />

eine verhältnismässig untergeordnete Rolle, ganz im Gegensatz zur<br />

Situation in anderen Staaten (z.B. USA, Grossbritannien, Spanien).<br />

2. Im Gegensatz zur Migrationspolitik, die primär durch Wirtschafts- und<br />

Arbeitsmarkentwicklung beeinflusst wird und erst in zweiter Linie durch<br />

sicherheitspolitische Aspekte, beeinflusst die Migrationspolitik<br />

22


umgekehrt die Sicherheitspolitik, insbesondere aufgrund der<br />

öffentlichen Wahrnehmung, massgebend: Irreguläre Migration,<br />

Ausländerkriminalität und eine wachsende Zahl muslimisch Gläubiger<br />

in der Schweiz sind Einflussfaktoren, welche die Sicherheitspolitik<br />

prägen.<br />

3. Die Schweiz hat aufgrund ihrer politischen und strukturellen<br />

Rahmenbedingungen, z.B. aufgrund der Direkten Demokratie<br />

(Volksinitiativen und Referenden), Föderalismus etc. einen anderen<br />

Umgang mit sicherheits- und migrationspolitischen Fragen als andere<br />

Staaten.<br />

Als Grundlage für ihre Ausführungen hat die Verfasserin u. a. den Ansatz<br />

der Recherche aufgrund wissenschaftlicher Literatur (national und<br />

international), direkter Interviews mit Entscheidungsträgern und<br />

Professoren bzw. deren wissenschaftlichen Arbeiten und Analysen,<br />

eigener politischer Erfahrungen und politischer nationaler und<br />

internationaler Zusammenarbeit mit entsprechenden Gremien und<br />

Verantwortlichen sowie basierend auf standarisierte Fragebogen gewählt<br />

und sich auf die Lektüre bestehender wissenschaftlicher Analysen und<br />

Recherchen (national und international) abgestützt 1 .<br />

Zudem hatte sie in ihrem Co-Referenten Dr. Eduard Gnesa einen der<br />

schweizweit erfahrensten Migrationsexperten als Unterstützung. Eduard<br />

Gnesa ist seit dem 1. September 2009 neu Sonderbotschafter für<br />

Internationale Migrationszusammenarbeit (EDA) und ehemaliger Direktor<br />

des Bundesamtes für Migration. Co-Referent und Leiter des Center of<br />

Security Studies an der ETHZ, Prof. Dr. Andreas Wenger, verhalf ihr<br />

insbesondere die generischen Elemente der Sicherheitspolitik sowie die<br />

Zusammenhänge und Aspekte der neuen Risiken zu dokumentieren.<br />

1 Die länderspezifischen Fragebogen sowie die Liste der befragten Personen befinden sich<br />

im Anhang und die Liste der verwendeten Hintergrundliteratur im Kapitel Bibliografie<br />

dieser Arbeit.<br />

23


Diese Arbeit ist wesentlich von seinen Überlegungen und einzelnen<br />

Kursblöcken der Ausbildung MAS in Washington (University of Defence)<br />

geprägt.<br />

1.1. Migrationspolitik<br />

1.1.1. Definition Migration<br />

Migration 2 (von lateinisch „migratio“, Wanderung) umschreibt in der<br />

Soziologie eine Form der Mobilität, ist im weitesten Sinne jeder<br />

längerfristige Wohnortswechsel eines Menschen. Man bezeichnet im<br />

engeren Sinn den Wechsel der Heimat mit Überschreitung einer<br />

Landesgrenze als internationale Migration 3 , innerhalb eines Landes<br />

spricht man von Binnenmigration.<br />

Prozesse der Migration sind ein wesentlicher Bestandteil der<br />

Bevölkerungsentwicklung. Für die Sozialarbeit der meisten Europäischen<br />

Länder ist die Immigration (Einwanderung von Ausländern) von grösserer<br />

Bedeutung als die Emigration (Auswanderung von Einheimischen). In<br />

Entwicklungsländern verhält es sich umgekehrt. Der so genannte „Brain<br />

Drain“ spielt dabei eine grosse Rolle. Menschen, die einzeln oder in<br />

Gruppen ihre bisherigen Wohnorte verlassen, um sich an anderen Orten<br />

dauerhaft oder zumindest für längere Zeit niederlassen, werden als<br />

Migranten bezeichnet. Pendler, Touristen und andere Kurzzeitaufenthalte<br />

fallen nicht unter die Definition von Migration, saisonale Arbeitsmigration<br />

wird jedoch manchmal einbezogen.<br />

2 UN Bericht über die menschliche Entwicklung 2009, UNDP, Genf 2009<br />

3 Wikipedia,<br />

www.efhdarmstadt.de/fuw/download/sysbertexte/11_Beratung_in_multikulturellen_Konte<br />

xtenl.pdf<br />

24


Überschreiten Menschen im Zuge ihrer Migration Ländergrenzen, werden<br />

sie aus der Perspektive des Landes, das sie betreten, Einwanderer oder<br />

Immigranten genannt. Die Soziologie bezeichnet Immigration in der Regel<br />

als Zuwanderung, Emigration entsprechend als Abwanderung.<br />

In dieser Arbeit wird der Begriff „Migration“ in Anlehnung an UN-<br />

Definitionen als grenzüberschreitenden Wechsel des Wohnortes von<br />

Personen umschrieben, die sich dauerhaft (d.h. mehr als ein Jahr)<br />

ausserhalb des Landes aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie<br />

besitzen.<br />

1.1.2. Definition Migrationspolitik<br />

Migrationspolitik (auch Zuwanderungspolitik) beinhaltet die bewusste<br />

Steuerung von grenzüberschreitenden Wanderungen zwischen Staaten.<br />

Die Migrationspolitik stellt eine Querschnittaufgabe dar, die neben den<br />

eigentlichen Ausländer- und asylrechtlichen Bereichen noch weitere<br />

Politikgebiete umfasst, insbesondere die Arbeitsmarktpolitik wie auch die<br />

Migrationsaussenpolitik. Im internationalen Migrationsdiskurs wird heute<br />

vor allem der Bezug der Migration zur Entwicklung betont mit den<br />

Aktionsfeldern reguläre/zirkuläre Arbeitsmigration, Erleichterung und<br />

Valorisierung der Rücküberweisung (Remittances), verstärkter Einbezug<br />

der Akteure der Diaspora und Umgang mit den negativen Auswirkungen<br />

der Migration (z.B. Brain Drain).<br />

Dabei lässt sich Migrationspolitik in vier Aspekte zergliedern:<br />

• Regelung der Zugangsberechtigung für definierte Personengruppen<br />

im Interesse des Aufnahmestaates im Rahmen der<br />

Zulassungspolitik<br />

25


• Gestaltung der Lebensbedingungen im Aufnahmeland durch<br />

Regelungen des Zuganges zu wirtschaftlichen, sozialen und<br />

politischen Rechten (Integrationspolitik)<br />

• Festlegung und Umsetzung einer Rückkehr- und<br />

Reintegrationspolitik unter Berücksichtigung allfällig divergierender<br />

Interessen von Transit- und Herkunftsstaaten; Gestaltung der<br />

Migrationsaussenpolitik (Rückkehr-, Visapolitik, u. a.)<br />

• Langfristig angelegte, nach aussen gerichtete Entwicklungs- und<br />

Menschenrechtspolitik.<br />

Es geht somit einerseits darum, wer wann und zu welchem Zweck<br />

einreisen und wie lange ein Immigrant bleiben darf. Andererseits muss<br />

die Frage beantwortet werden, ob die Zuwanderer in die<br />

Aufnahmegesellschaft integriert, von ihr assimiliert oder von ihr separiert<br />

werden sollen.<br />

Grundlegendes Ziel von Migrationspolitik ist die Festlegung, wem ein<br />

Recht auf Aufenthalt in einem Staat zugesprochen und wem es verwehrt<br />

wird. Personen ohne Aufenthaltsrecht werden als illegale Immigranten<br />

bezeichnet. Migrationspolitik legt also fest, unter welchen Bedingungen<br />

man in ein Land einwandern darf, um dort dauerhaft zu wohnen und zu<br />

arbeiten.<br />

Die neuen, globalen Risiken tangieren die Migrationspolitik weltweit. Es ist<br />

von Relevanz für die Migrationspolitik aller Länder, globale Risiken in die<br />

Migrationspolitik einzubeziehen. Die Migrationspolitik wird von folgenden<br />

Phänomenen geprägt:<br />

• Organisiertes Verbrechen (z.B. Drogenhandel, Menschenhandel<br />

und Menschenschmuggel)<br />

• Terroristische Anschläge mit eingehenden „Vorurteilen gegenüber<br />

ethnischen Gruppen und Religionen (insbesondere Islam)<br />

• Unruhen (z.B. aufgrund ethnischer Konflikte)<br />

26


• Sezessionsbewegungen und „Warlords“<br />

• Klimawandel mit entsprechenden<br />

Naturkatastrophen und damit einhergehenden Klimamigranten<br />

• Ressourcenkonflikte (z.B. Öl, Wasser)<br />

• Überbevölkerung und wirtschaftliche Not<br />

Die Politiken sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Es wird<br />

meistens unterschieden zwischen:<br />

• legaler und illegaler Migration<br />

• Staatsbürgerschaft durch Abstammung (ius sanguinis) oder<br />

Geburtsort (ius solis)<br />

• Migration bei besonderen Fähigkeiten oder Eigenschaften<br />

(Wirtschafts- bzw. Arbeitsmarktimmigration)<br />

• Aufenthalt durch Asyl und/ oder humanitäre Aufenthaltsregelung<br />

• Integration oder Assimilation<br />

• Duldung der irregulären Migration (Amnestie für Sans-Papiers) oder<br />

konsequente Wegweisung illegal anwesender Ausländer<br />

• Souveräne Migrationspolitik des einzelnen Staates oder<br />

gemeinsame Migrationsregelung mehrer Staaten in gewissen<br />

Bereichen (z.B. EU)<br />

1.2. Sicherheitspolitik<br />

Die Sicherheit ist in der Schweiz in der Verfassung verankert. Sie ist erste<br />

Staatsaufgabe. Per Definition muss es in der Sicherheitspolitik darum<br />

gehen, die Menschen in ihrer Selbstbestimmung und Integrität zu<br />

schützen. Kein fremder Wille soll unserem Staat aufgedrängt oder den<br />

Menschen in der Schweiz aufgezwungen werden.<br />

27


1.2.1. Definition Sicherheit 4<br />

Sicherheit = 1 – Risiko, indirekt heisst dies, die Sicherheit wird durch<br />

bestehende Risiken definiert. Sicherheit bezeichnet den Zustand, der<br />

weitgehend frei von Risiken oder als gefahrenfrei angesehen wird. Der<br />

Zustand von Sicherheit ist ein Zustand des Unbedrohtseins, der sich<br />

objektiv im Vorhandensein von Schutz (Schutzeinrichtungen), bzw. im<br />

Fehlen von Gefahr (Gefahrenquellen) darstellt und subjektiv als<br />

Gewissheit von Individuen oder sozialen Gebilden über die Zuverlässigkeit<br />

von Sicherungs- und Schutzeinrichtungen empfunden wird. Es bietet sich<br />

an, Sicherheit als Abwesenheit bzw. Schutz vor Risiken und Gefahren zu<br />

definieren. Mit dieser Definition ist Sicherheit sowohl auf ein einzelnes<br />

Individuum als auch auf andere Lebewesen, auf unbelebte Objekte oder<br />

Systeme wie auch auf abstrakte Gegenstände bezogen.<br />

In komplexen Systemen ist es unmöglich, Risiken völlig auszuschliessen.<br />

Das vertretbare Risiko für jede mögliche Art der Beeinträchtigung hängt<br />

von vielen Faktoren ab und wird zudem subjektiv und kulturell verschieden<br />

bewertet. Im Allgemeinen werden höhere Wahrscheinlichkeiten für<br />

Beeinträchtigungen mit steigendem Nutzen (z.B. Teilnahme am<br />

Strassenverkehr) als vertretbar angesehen.<br />

Um den Zustand von Sicherheit zu erreichen, werden Sicherheitskonzepte<br />

erstellt und umgesetzt. Sicherheitsmassnahmen sind erfolgreich, wenn sie<br />

dazu führen, dass mit ihnen sowohl erwartete als auch nicht erwartete<br />

Beeinträchtigungen abgewehrt bzw. hinreichend gemacht werden.<br />

Sicherheit kann jedoch nicht mehr sein, als ein relativer Zustand der<br />

Gefahrenfreiheit, der stets für einen bestimmten Zeitraum, eine bestimmte<br />

Umgebung oder unter Berücksichtigung von bestimmten Bedingungen<br />

gegeben ist. Im Extremfall können sämtliche Sicherheitsvorkehrungen zu<br />

4<br />

Sipol-Bericht 2010, VBS; University of Defense in Washington; Wikipedia; Meyers grosses<br />

Lexikon<br />

28


Fall gebracht werden durch Ereignisse, die sich nicht beeinflussen oder<br />

voraussehen lassen. Sicherheit bedeutet daher nicht, dass<br />

Beeinträchtigungen vollständig ausgeschlossen sind, sondern nur, dass<br />

sie hinreichend (beispielsweise im Vergleich zum allgemeinen<br />

„natürlichen“ Risiko einer schweren Erkrankung) unwahrscheinlich sind.<br />

Ein prägnantes Modell für die Relativität von Sicherheitsmassnahmen<br />

beschreibt und bedeutet, zahlreiche Vorschriften, Überprüfungen und<br />

somit Risikomanagement zu formulieren und zu betreiben. Das<br />

Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit wird vor allem aus<br />

dem liberalen Standpunkt kritisch beleuchtet, da es davor warnt, stärkere<br />

Überwachung der Bürger durchzusetzen und damit die allgemeinen<br />

Bürgerrechte und die Freiheit des Einzelnen zu schwächen. In diesem<br />

Zusammenhang werden oft Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung als<br />

Argumente für eine Einschränkung der Grundrechte herangezogen.<br />

1.2.2. Definition Sicherheitspolitik<br />

Als Sicherheitspolitik werden alle Massnahmen eines Staates oder einer<br />

Gruppe von Staaten bezeichnet, die zur Abwehr bzw. Vermeidung von<br />

Bedrohungen und Gefahren ergriffen werden, deren Ursprung ausserhalb<br />

des Hoheitsgebietes des betreffenden Staates oder der Staatengruppe<br />

liegen.<br />

Die Sicherheitspolitik umfasst somit die Gesamtheit aller staatlichen Mittel<br />

und Massnahmen zur Vorbeugung und Bewältigung<br />

• der Androhung oder Anwendung von Gewalt strategischen<br />

Ausmasses gegen ein Land, seine Bevölkerung und dessen<br />

Lebensgrundlagen oder Interessen im Ausland,<br />

• von natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen überregionaler<br />

oder nationaler Tragweite.<br />

29


Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der so genannte „erweiterte<br />

Sicherheitsbegriff“ geprägt. Es wurde festgestellt, dass künftig<br />

Bedrohungen nicht ausschliesslich militärischer Natur sind; so wurden in<br />

diesem Zusammenhang vielfältige neue Risiken ausgemacht:<br />

Internationaler Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen<br />

und deren Trägertechnologien, Destabilisierung von Staaten durch die<br />

Ausbreitung von Pandemien, illegale Migration, Umweltgefahren,<br />

organisiertes Verbrechen, vor allem Geldwäsche, Drogenkriminalität und<br />

Menschenhandel, Ressourcenknappheit wie Erdöl und Wasser,<br />

ökonomische Disparitäten und Cyber Crime, bzw. die Anfälligkeit der<br />

Informationstechnologie.<br />

Die vernetzte, zukunftsgerichtete Sicherheitspolitik bzw. eine umfassende<br />

Sicherheitsstrategie vernetzt mehrere Elemente, nämlich: die Armee<br />

mit ihrer Friedensförderung und Kooperationen im Ausland sowie in Form<br />

von Public Private Partnership im Inland, die Polizeikräfte und den<br />

Zivildienst mit der entsprechenden Katastrophenhilfe. Darüber hinaus<br />

braucht es einen starken Nachrichtendienst, die vernetzte Aussenpolitik<br />

und Diplomatie, gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und eine<br />

kluge Informationspolitik sowie interkulturelles Verständnis und<br />

Verhandlungsgeschick. Vorausschauendes Risikomanagement und<br />

Leadership sind auch in der Sicherheitspolitik unabdingbare<br />

Voraussetzungen für gutes Gelingen.<br />

Entscheidend ist, dass wir uns heute (in der Schweiz) nicht mit<br />

symmetrischen Bedrohungslagen konfrontiert sehen. Die neuen<br />

Sicherheitsrisiken dokumentieren eindrücklich, dass diese mit Teilgebieten<br />

der Migrationspoltik untrennbar verbunden sind und bei entsprechenden<br />

Problemlösungen auch die Migrationsseite berücksichtigt werden muss.<br />

30


2. Der globale Rahmen<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 2<br />

31


Das zweite Kapitel der Masterarbeit befasst sich mit dem globalen<br />

Rahmen der Migrationspolitik (2.1.) und dem globalen Rahmen der<br />

Sicherheit (2.2.).<br />

Dabei wird zuerst der Migration bzw. der Migrationspolitik allgemein<br />

(2.1.1.), der internationalen Migration und der Aufzählung der<br />

entsprechenden Fakten (2.1.1.1.) das Augenmerk gewidmet. Den Fakten<br />

und Hintergründen der Migrationspolitik der EU (2.1.1.2.) wird in einem<br />

separaten Unterkapitel nachgegangen.<br />

Der globale Rahmen der Sicherheit (2.2.) wird umfassender beschrieben<br />

und es wird hierbei zuerst den generischen Elementen nachgegangen<br />

sowie beschrieben, wie die sicherheitspolitische Ordnung des Kalten<br />

Krieges geprägt wurde, bzw. wie die wichtigsten Trends in diesem<br />

Zusammenhang seit der Wende der 90er Jahre aufgelistet werden<br />

können. Im Anschluss an diese Ausführungen wird die internationale<br />

Sicherheit einzeln an den Beispielen der Grossmacht USA (2.2.1.), sowie<br />

der EU (2.2.2.) beschrieben und ein Vergleich gezogen (2.2.2.1.).<br />

Das sicherheitsrelevante Risiko der Flüchtlingsproblematik wird am<br />

Beispiel von Subsahara-Afrika (2.2.3.) dokumentiert. Eine spezielle<br />

Erörterung dieser Situation ist insofern angezeigt, als sich diese<br />

Problematik selbst in einschlägigen politischen Kreisen noch nicht in den<br />

Köpfen verankert hat. Die UNO beispielsweise hat bis heute keine<br />

Strategie formuliert, wie dem Phänomen der Klimamigranten begegnet<br />

werden könnte.<br />

Die diversen Schnittstellen werden allgemein, international am neuen<br />

Risiko des Terrorismus behandelt (2.3.1.) und dieselbe Problematik<br />

aufgrund systematischer Befragungen, bzw. aufgrund deren<br />

Beantwortungen an verschiedenen Beispielen dokumentiert. Dabei wählte<br />

die Verfasserin die Länder Deutschland (2.3.1.1.), Grossbritannien<br />

32


(2.3.1.2.), Spanien (2.3.1.3.) und Italien (2.3.1.4.) und verglich die Politiken<br />

der genannten Länder (2.3.1.5.).<br />

2. 1. Der globale Rahmen der Migration<br />

Generische Überlegungen zwingen, zuerst das Phänomen der weltweiten<br />

Migration global abzuhandeln: Die Migration trat zu allen Zeiten der<br />

Menschheitsgeschichte in Erscheinung, lokal, regional und<br />

interkontinental. Das hat sich auch im 20. Jahrhundert nicht geändert und<br />

wird im 21. Jahrhundert noch verstärkt durch Tendenzen der<br />

Globalisierung, wirtschaftliche Zwänge und Flucht vor totalitären Staaten,<br />

aufgrund von wirtschaftlichen Krisen, Kriegen oder auch<br />

Naturkatastrophen weiter anhalten, ja zunehmen. Insbesondere die<br />

„freiwillige Migration“ bedingt durch die Attraktivität einer wachsenden<br />

Wirtschaft der Industrieländer und Dienstleistungsgesellschaften wird<br />

weiterhin zunehmen.<br />

Nach dem Ende des Kalten Krieges eröffnete sich der Migration aufgrund<br />

der Globalisierung eine neue Dimension. Der weltweite<br />

Informationsaustausch, die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung und<br />

die Liberalisierung im Warenhandel öffnen immer mehr den Blick auf die<br />

Märkte sowie auf Attraktivität der Industrieländer. Die gleichzeitige<br />

Marginalisierung und Verarmung weiter Gebiete, insbesondere in Afrika,<br />

Asien und Lateinamerika begründen Krisen, welche „unfreiwillige<br />

Migrationsbewegungen“ verstärken. Die Kettenreaktion der globalen<br />

Finanzkrise, z.B. die potenzielle Kürzung der Entwicklungshilfegelder und<br />

Reduktion des globalen Handels, werden einen massgeblichen Einfluss<br />

auf die globale Migration haben. Weltweit gibt es zurzeit über 200<br />

Millionen internationale Migranten, davon gelten 20 bis 30 Millionen als<br />

„irregulär“. Die Anzahl Flüchtlinge beträgt rund 16 Millionen. Dazu<br />

33


kommen 26 Millionen „konfliktbedingte intern Vertriebene“ (IDP’s) und<br />

25 Millionen IDP’s auf Grund von Naturkatastrophen 5 .<br />

Was zu Vorteilen und Profiten für die Einen gewertet werden kann (z.B.<br />

Kompensation der mangelnden Arbeits- und Fachkräfte für die Schweiz),<br />

kann als so genannter „Brain Drain“, als Verlust an ausgebildeten<br />

Kräften für bestimmte Entwicklungsländer, zum Problem werden. So muss<br />

die Innenpolitik die Migration im Zusammenhang mit Fragen der<br />

Entwicklung der Bevölkerungsstruktur (vor allem in den entwickelten<br />

Ländern) sowie den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der<br />

Integration mitberücksichtigen, und die Aussenpolitik sieht sich mit neuen<br />

Herausforderungen konfrontiert bezüglich der Organisation und Kontrolle<br />

der Migration, der Gestaltung des Verhältnisses zu Transit- und<br />

Herkunftsstaaten sowie der Verhinderung unerwünschter<br />

Zuwanderungsbewegungen.<br />

Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit<br />

Der wachsende Wanderungsdruck zwingt die industrialisierten Länder, die<br />

Planung und Entwicklung einer internationalen Zusammenarbeit im Bezug<br />

auf die Migration-Herausforderungen aktiv an die Hand zu nehmen. Nur<br />

dank guter Kooperation und aufgrund von Absprachen mit allen<br />

Betroffenen, also der Herkunfts-, der Transit- und Zielländer, kann<br />

Migrationspolitik gemeistert werden. Nie zuvor lebten so viele Menschen<br />

ausserhalb ihrer Herkunftsländer, auf der Suche nach einer sicheren und<br />

menschenwürdigen Zukunft.<br />

2.1.1. Migration und Migrationspolitik allgemein<br />

Neu sind bei der Migrationspolitik zum einen das Ausmass der<br />

internationalen Migration und die Dynamik, die angetrieben wird durch<br />

5 IOM 2008 und UNHCR Statistical Online Population Database 2007<br />

34


adikal sinkende Transportkosten und eine umfassende Kommunikation,<br />

die bis in die hintersten Winkel der Erde reicht. Tendenzen der<br />

Globalisierung, wirtschaftliche Zwänge und Flucht vor totalitären<br />

Systemen, aufgrund von wirtschaftlichen Krisen, Krieg oder auch<br />

Naturkatastrophen werden diese Entwicklungen weiter beschleunigen.<br />

Dennoch lebt insgesamt weniger als drei Prozent der Weltbevölkerung<br />

ausserhalb ihres Heimatstaates, was mit sprachlichen, kulturellen und<br />

wirtschaftlichen Gründen sowie den Steuerungsmechanismen der<br />

Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten zusammenhängt. Migration ist<br />

daher die Ausnahme und nicht die Regel. Die menschliche Mobilität wird<br />

oft als Problem angesehen, wird aber zunehmend auch als Chance<br />

wahrgenommen. Migration eröffnet neue Möglichkeiten der<br />

Lebensgestaltung, verändert Beziehungen zu anderen Menschen oder<br />

beseitigt lebensbedrohliche Situationen 6 . Im Zusammenhang mit dem –<br />

nicht zuletzt durch die Globalisierung ausgelösten - Anwachsen der<br />

internationalen Mobilität – ist auch das Thema der internationalen<br />

Migration an die Spitze der globalen politischen Agenda getreten. Dabei<br />

wurde festgestellt, dass nicht nur die wachsende Komplexität des Themas<br />

oder auch das Ausmass der Migrationsbewegungen neu grosse<br />

Herausforderungen für nationale Migrationspolitikern darstellt, sondern<br />

dass Migration durchaus auch sehr positive Auswirkungen auf eine<br />

Gesellschaft, den privaten Sektor oder auch den Staat an und für sich<br />

haben kann. Dies hat zur Folge, dass nebst Steuerungsmassnahmen<br />

auch die Regelung einer Zuwanderung, die Förderung der Integration der<br />

ausländischen Bevölkerung aber auch internationale Zusammenarbeit<br />

sowie Massnahmen zur Ursachenbekämpfung (bzw. Entwicklungs-<br />

Zusammenarbeit, Friedensförderung etc.) wichtige Komponenten einer<br />

modernen Migrationspolitik sind.<br />

6 siehe dazu auch „Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung“<br />

Bericht über die menschliche Entwicklung 2009, UNDP, Genf 2009: das<br />

Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen hat sich in diesem Bericht erstmals mit<br />

dem Thema Entwicklung und Migration umfassend auseinandergesetzt<br />

35


Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Tatsache, dass die grössten<br />

Migrationsbewegungen innerhalb einzelner Regionen stattfinden. Dies<br />

führt dazu, dass zur Bewältigung der durch diese Bewegungen<br />

hervorgerufenen Herausforderungen in regionalen und überregionalen<br />

Konzepten gedacht werden muss.<br />

Auf Initiative der Schweiz und anderer Staaten sowie auf Anregung des<br />

damaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, wurde<br />

im Jahre 2003 die Weltkommission für Internationale Migration ins Leben<br />

gerufen. Die Kommission setzte sich aus 19 Personen aus verschiedenen<br />

Teilen der Welt zusammen, die über hochrangige internationale<br />

Erfahrungen verfügten und sowohl aus der Politik, als auch aus der<br />

Verwaltung des privaten und zivilen Sektors stammen. Die<br />

Weltkommission für Internationale Migration veröffentlichte nach<br />

umfassenden Hearings in der ganzen Welt im Oktober 2005 ihren<br />

Abschlussbericht, der im Jahre 2006 zu einer breit angelegten Diskussion<br />

in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Verhältnis<br />

zwischen Migration und Entwicklung führte und sowohl auf regionaler und<br />

auch auf globaler Ebene wegweisend für die Ausgestaltung der<br />

zukünftigen Migrationspolitik wurde. Die Diskussionen auf höchster<br />

zwischenstaatlicher Ebene werden heute im Rahmen der globalen<br />

Initiative der Staaten „Global Forum for Migration and Development“<br />

weitergeführt 7 . An dem jährlich stattfindendem Global Forum (bisher in<br />

Belgien, auf den Philippinen, Griechenland und 2010 in Mexiko) nehmen<br />

ca. 140 Staaten, darunter auch die Schweiz teil.<br />

7 So spricht man heute nicht mehr über Arbeitsmigration oder Kriegsflüchtlinge, sondern<br />

auch von Mixed-Flows, Klimamigration, etc.<br />

36


Abbildung 1: Grafik der regionalen Migrationsbewegungen 8<br />

Die Weltkommission schlug für internationale Migration folgende<br />

Handlungsprinzipien, die in die Ausgestaltung einer Migrationspolitik<br />

einfliessen sollten, vor 9 :<br />

I. Migration als freie Wahl: Migration und Weltwirtschaft<br />

Frauen, Männer und Kinder sollten in ihrem Herkunftsland ihr Potenzial<br />

ausschöpfen, ihre Bedürfnisse erfüllen, ihre Menschenrechte<br />

wahrnehmen und ihre Ziele verwirklichen können. Sie sollten nur auf<br />

Grund ihrer freien Wahl und persönlichen Entscheidung abwandern<br />

und nicht, weil sie dazu gezwungen sind. Frauen und Männern, die<br />

8 Bericht über die menschliche Entwicklung: Barrieren überwinden; Migration und<br />

menschliche Entwicklung; UNDP 2009<br />

9 Migration in einer interdependenten Welt: Neue Handlungsprinzipien; Bericht<br />

Weltkommission für Internationale Migration; Oktober 2005, Seite 4, Deutsche Version<br />

37


auswandern und in den globalen Arbeitsmarkt eintreten, sollte es<br />

ermöglicht werden, dies auf sichere und legale Weise zu tun, und weil<br />

sie und ihre Fähigkeiten von Aufnahmestaaten und– Gesellschaften<br />

geschätzt und gebraucht werden.<br />

II. Verstärkung der positiven Auswirkungen auf Wirtschaft und Entwick-<br />

lung<br />

Die Rolle von Migranten bei der Förderung von Entwicklung sowie der<br />

Verringerung der Armut in ihren Herkunftsländern und der Beitrag, den<br />

sie zum Wohlstrand ihrer Aufnahmeländer leisten, sollten anerkannt<br />

und gestärkt werden. Internationale Migration sollte sowohl in<br />

Entwicklungsländern als auch in Industriestaaten ein integraler<br />

Bestandteil der nationalen, regionalen und globalen Strategien zum<br />

Wirtschaftswachstum werden.<br />

III. Irregulärer Migration entgegenwirken<br />

Staaten, die in souveräner Rechtsausübung bestimmen, wer ihr<br />

Territorium betreten und wer bleiben darf, sollten ihrer Verantwortung<br />

und Verpflichtung nachkommen, die Rechte von Migranten zu<br />

schützen und freiwillig oder zwangsweise zurückkehrende Bürger<br />

wieder aufnehmen. Bei der Auseinandersetzung mit irregulärer<br />

Migration sollten die Staaten zusammenarbeiten und sicherstellen,<br />

dass ihre Massnahmen die Menschenrechte nicht beeinträchtigen.<br />

Dies schliesst das Recht von Flüchtlingen auf den Zugang zu<br />

Asylverfahren ein. Bei der Auseinandersetzung mit der irregulären<br />

Migration sollten die Regierungen den Dialog mit Arbeitgebern,<br />

Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft suchen.<br />

IV. Stärkung des sozialen Zusammenhalts durch Integration<br />

Migranten und Bürger der Zielländer sollten ihre rechtlichen<br />

Verpflichtungen einhalten. Weiterhin sollten sie von einem<br />

38


wechselseitigen Prozess der Annäherung und Integration profitieren,<br />

der zugleich kultureller Vielfalt Raum bietet und den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt fördert. Dieser Prozess sollte von den lokalen und<br />

nationalen Behörden, Arbeitgebern und Mitgliedern der<br />

Zivilgesellschaft aktiv unterstützt werden und auf einem Bekenntnis zur<br />

Nichtdiskriminierung und Geschlechtergleichheit basieren. Ausserdem<br />

sollte er durch einen objektiven Diskurs in der Öffentlichkeit, Politik und<br />

in den Medien über internationale Migration geprägt werden.<br />

V. Schutz der Rechte der Migranten<br />

Um die Menschenrechte und Arbeitsstandards, die allen Migrantinnen<br />

und Migranten zustehen, besser zu schützen, müssen die<br />

entsprechenden rechtlichen und normativen<br />

Menschenrechtsvereinbarungen gestärkt, effektiver umgesetzt und<br />

nicht diskriminierend angewandt werden. Auf der Grundlage dieser<br />

Verpflichtungen müssen Staaten und andere relevante Akteure mit<br />

dem Thema Migration in einer konsequenteren und kohärenteren<br />

Weise umgehen.<br />

VI. Gutes Regieren durch Kohärenz, konzeptionelle und organisatorische<br />

Kompetenz sowie Kooperation fördern<br />

Gutes Regieren im Bereich der internationalen Migrationspolitik sollte<br />

gefördert werden durch eine verbesserte Kohärenz und verstärkte<br />

Kapazitäten auf nationaler Ebene, durch intensivere Konsultationen<br />

und Kooperation zwischen Staaten auf regionaler Ebene, sowie durch<br />

einen effektiveren Dialog und verstärkte Kooperation zwischen<br />

Regierungen und zwischen internationalen Organisationen auf globaler<br />

Ebene. Diese Anstrengungen müssen auf einem besseren Verständnis<br />

der engen Verknüpfungen zwischen der internationalen Migration und<br />

der Entwicklungspolitik sowie anderen politischen Kernbereichen wie<br />

Handel, finanzielle Hilfe, staatliche Sicherheit, menschliche Sicherheit<br />

sowie Menschenrechten basieren.<br />

39


Diese Handlungsprinzipen prägen seit der Veröffentlichung des Berichts<br />

und der darauf folgenden Debatte über internationale Migration und<br />

Entwicklung an der Vollversammlung der UNO (High Level Dialog on<br />

Migration and Development) im Jahr 2006 10 weltweit die Diskussionen um<br />

ein zukünftige nationale und regionale Migrationspolitik.<br />

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) gelangte im<br />

Jahre 2009 in seinem Bericht „Barrieren überwinden: Migration und<br />

menschliche Entwicklung“ (Genf) weitestgehend zu den gleichen<br />

Schlussfolgerungen wie die Weltkommission in den zitierten<br />

Handlungsprinzipien.<br />

Auch wenn diese willkommenen und notwendigen Debatten auf<br />

internationaler Ebene – die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen<br />

wären – die internationale Migrationspolitik einen Schritt weitergebracht<br />

haben, sind wir noch weit von einer Regelung im Sinne einer weltweit<br />

verbindlichen Migrationspolitik etwa im Sinne einer bindenden Konvention<br />

entfernt. Nach wie vor prägen die souveränen Staaten die Migrationspolitik<br />

ihres Landes, oder – wie im Abschnitt 2.1.1.2. Fakten und Hintergründe<br />

zur Migrationspolitik der EU gezeigt werden soll – sind immerhin teilweise<br />

Ansätze einer regionalen verbindlichen Normierung entstanden oder im<br />

Entstehen begriffen 11 .<br />

2.1.1.1. Migration und Fakten international<br />

10 Vgl. auch http://www.un.org/esa/population/migration/hld/index.html<br />

11 Quelle: Dr. Eduard Gnesa, Referat Migrationspolitik: „Welche Massnahmen<br />

sind in der Schweiz wünschbar und vordringlich“ (gehalten am 10. März 2010, an<br />

der Tagung der Vereinigung der ehemaligen Mitglieder der Bundesversammlung)<br />

40


Von den in den internationalen Statistiken aufgeführten Migranten<br />

beherbergt Europa mit rund 60 Millionen Menschen etwas weniger als ein<br />

Drittel der über 210 Millionen Migranten. Gemessen an der<br />

Gesamtbevölkerung machen Migranten in Europa im Durchschnitt 10 %<br />

aus, verglichen mit 1,5% in Asien, 2 % in Afrika und 14 % in Nordamerika.<br />

Die grösste Zahl der Migranten wandert von weniger entwickelten Staaten<br />

in wirtschaftlich hoch entwickelte Staaten. Vor dem Hintergrund der<br />

steigenden Zahl von Migrantinnen und Migranten stellt sich für Staaten<br />

daher zunehmend die Frage nach einer wirksamen Steuerung. Um dahin<br />

zu gelangen, ist es zunächst notwendig, sich mit den Gründen<br />

auseinander zu setzen, weshalb Menschen zu welchem Zeitpunkt in<br />

welches Land oder welche Region migrieren.<br />

Hintergründe der Migration 12<br />

Die Gründe zur Migration sind entweder im Herkunftsland (sog. „push-<br />

Faktoren“), im Zielland (sog. „pull-Faktoren“) oder aber gleichzeitig in<br />

beiden zu finden. Unterschieden werden kann zwischen ökonomischen<br />

und nicht-ökonomischen Gründen. In den allermeisten Fällen ist aber<br />

keine scharfe Trennung möglich. Zudem können sich die Motive und damit<br />

auch das individuelle Migrationsprojekt im Verlaufe der Zeit ändern. Zu<br />

berücksichtigen ist ferner, dass sich die Verhältnisse rasch ändern<br />

können, sodass ein heutiges Auswanderungsland schon morgen ein<br />

Aufnahmeland wird.<br />

Das Ausmass der Migration lässt sich zu einem grossen Teil mit<br />

wirtschaftlichen und demographischen Unterschieden erklären,<br />

währenddem die Dynamik der Migration von Faktoren wie soziale<br />

Netzwerke und Entwicklungen im Transport- , Informations-<br />

Kommunikations- und Menschenrechtsbereich beeinflusst wird. Mit ihnen<br />

12<br />

Quelle: Philipp Marti/Gottfried Zürcher, Managing Migration: The Global Challange,<br />

Population Bulletin 63, Nr.1(2008)<br />

41


sowie den politischen Antworten der Regierungen lässt sich auch<br />

hinreichend darlegen, weshalb zu welchem Zeitpunkt Migration auf<br />

welchen Routen in welche Regionen und Staaten beobachtet werden<br />

kann.<br />

Die Reaktionen auf die vorgenannten Entwicklungen führen in den<br />

meisten Aufnahmeländern des industrialisierten Nordens dazu, vermehrt<br />

Steuerungsinstrumente vor allem zur besseren Kontrolle der irregulären<br />

Migrationsbewegungen einzuführen. Diese äussern sich in einer<br />

verschärften Visumspraxis, verstärkten Grenzkontrollen, dem<br />

zunehmenden Ausbau der Inlandkontrollen, dem Einsatz von<br />

Informatiklösungen zur Verknüpfung der Kontrollinstrumente und in<br />

restriktiven Regelungen des Zugangs zu sozialen Rechten. Insgesamt<br />

konnte damit eine Stabilisierung der unkontrollierten Migration zumindest<br />

zeitweise erreicht werden. Entscheidende Fortschritte brachten hingegen<br />

Anstrengungen im Bereiche der engeren regionalen Zusammenarbeit.<br />

Diese regionale Zusammenarbeit steht auch im Zentrum der<br />

Migrationsbeziehungen der EU und der Schweiz. Eine bilaterale und<br />

multilaterale Zusammenarbeit mit der EU, den Herkunftsländern- und<br />

Transitstaaten von Migranten ist unabdingbar zur Handhabung der mit<br />

Migration verbundenen Probleme und Chancen.<br />

42


Wichtigste Zahlen und Fakten der gegenwärtigen internationalen<br />

Migration 13<br />

Wie viele internationale Migranten gibt es?<br />

Jahr Anzahl der internationalen<br />

Migranten in Mio.<br />

1970 82<br />

2000 175<br />

2005 200<br />

2010 210<br />

Tabelle 1: Migrationsentwicklung<br />

Wie hoch ist der Anteil an Migrantinnen?<br />

(entspricht der Bevölkerung von Brasilien, des<br />

fünftgrössten Landes der Welt)<br />

Fast die Hälfte der internationalen Migranten weltweit sind Frauen<br />

(48,6 %).<br />

Welches sind die wichtigsten Aufnahmeländer?<br />

In folgenden Staaten wird die Anzahl der Migranten geschätzt:<br />

USA 35 Mio.<br />

Russische Föderation 13,3 Mio.<br />

Deutschland 7,3 Mio.<br />

Ukraine 6,9 Mio.<br />

Indien 6,3 Mio.<br />

Tabelle 2: Wichtigste Aufnahmeländer der Migranten<br />

13 Quelle: Statistiken UNDESA, Weltbank, IOM, ILO und UNHCR<br />

43


Welches sind die wichtigsten Herkunftsländer?<br />

Die wichtigsten Herkunftsländer der Migration sind:<br />

China 35 Mio.<br />

Indien 20 Mio.<br />

Philippinen 7 Mio.<br />

Tabelle 3: Wichtigste Herkunftsländer der Migranten<br />

Wie wirkt sich Migration auf die Demografie aus?<br />

Zwischen 1990 und 2000 waren 56 % des Bevölkerungswachstums in den<br />

entwickelten Ländern der Welt, 3 % in den Entwicklungsländern auf<br />

internationale Migration zurückzuführen. Zwischen 1995 und 2000 waren<br />

75 % des Bevölkerungswachstums in den USA auf Zuwanderung<br />

zurückzuführen.<br />

Wie viel Geld überweisen Migranten in ihre Heimatländer zurück?<br />

Über offizielle Wege geleistete Rücküberweisungen lagen im Jahre 2004<br />

bei etwa 150 Milliarden Dollar. Schätzungen besagen, dass heute etwa<br />

300 Milliarden Dollar zusätzlich über inoffizielle Kanäle transferiert werden.<br />

Der Wert der über die offiziellen Wege geleisteten Rückweisungen beträgt<br />

damit fast das Dreifache der offiziellen Entwicklungshilfe 14 ’ 15 .<br />

2.1.1.2. Fakten und Hintergründe zur Migrationspolitik der EU<br />

In den USA sind Migranten und auch religiöse Minderheiten relativ gut<br />

integriert, in den EU-Staaten sind jedoch insbesondere Muslime eher noch<br />

„randständig“ und wenig akzeptiert. Entscheidender Unterschied ist, dass<br />

14<br />

Quelle: Global Commission on International Migration (GC<strong>IM</strong>), Migration in einer<br />

interdependenten Welt, neue Handlungsprinzipien, Oktober 2005<br />

15 „Barriere überwinden: Migration und menschliche Entwicklung“, UNDP 2009<br />

44


sich die USA als Einwanderungsland verstehen und auf die<br />

Integrationskraft ihres Gesellschaftsmodells vertrauen, die Europäer sich<br />

hingegen immer noch als ethnische Nationalstaaten sehen und als<br />

säkulare Gesellschaften Mühe bekunden mit dem Wiederauftauchen des<br />

Religiösen, gerade was die muslimischen Minderheitskreise betrifft. Diese<br />

Ausgangslage prägt die Migrationspolitik der EU.<br />

Bereits seit ca. 30 Jahren entwickelt die EU eine gemeinsame Asyl- und<br />

Migrationspolitik, die sich in einer ersten Phase primär mit Fragen der<br />

Flüchtlingspolitik befasst hat. In mehreren Schritten ist diese Politik ein<br />

immer zentralerer Bestandteil der Union geworden und hat nun im<br />

Lissabonner Vertrag eine neue Grundlage gefunden 16 .<br />

Darin erhält die Union die Kompetenz, eine gemeinsame Politik in den<br />

Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen der Aussengrenzen zu<br />

entwickeln. Mit dem Stockholmer Programm 17 vom Dezember 2009 hat<br />

sich die Union zudem ein konkretes Arbeitsprogramm für die nächsten<br />

fünf Jahre gegeben (2010 bis 2014). Absehbar ist, dass weitere Bereiche<br />

der Grenzschutzpolitik, der Asylpolitik und der Einwanderungspolitik noch<br />

stärker vereinheitlicht oder mindestens harmonisiert werden.<br />

Die Strategie der EU zur Migrationspolitik ist auch massgebend im<br />

sogenannten „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und<br />

Recht in der Europäischen Union (EU; November 2004) begründet 18 .<br />

16<br />

siehe dazu auch Quelle: Anhang Titel V des Vertrages über die Arbeitsweise der EU,<br />

Art. 67ff.<br />

17 siehe dazu Quelle: Stockholmer Programm<br />

http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/09/st17/st17024.de09.pdf<br />

18 siehe dazu auch Haager Programm<br />

http://europa.eu/legislation_summaries/human_rights/fundamental_rights_within_europea<br />

n_union/l16002_de.htm<br />

45


Das so genannte „Grünbuch“ („Angesichts des demografischen Wandels –<br />

eine neue Solidarität zwischen den Generationen“) liefert darüber hinaus<br />

ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration. Es liefert<br />

gemeinsame Kriterien für die Zulassung von Wirtschaftsmigranten und<br />

gemeinsame Kriterien, die dem Ziel dienen, den Verwaltungsaufwand für<br />

die EU-Mitgliedstaaten rund um legale und illegale Migration sowie für<br />

Drittstaaten so gering wie möglich zu halten. Insbesondere ist es Ziel des<br />

sog. Grünbuchs, Diskussionen rund um das Thema vertiefter in Gang zu<br />

bringen.<br />

Seit dem Vertrag von Amsterdam 19 verfügt die Europäische Union über<br />

die erforderliche Rechtsgrundlage, um Massnahmen in bestimmten<br />

Bereichen der Einwanderungspolitik beschliessen zu können. Dessen<br />

ungeachtet liegt das Recht zur Festsetzung von Zahlen für die Zulassung<br />

von Drittstaatangehörigen bei den Mitgliedstaaten. Eine Präferenz für den<br />

einheimischen Arbeitsmarkt wird klar formuliert, was bedeutet, dass vor<br />

der Zulassung eines Arbeitnehmers aus einem Drittstaat den<br />

Mitgliedstaaten gegenüber nachgewiesen werden muss, dass die<br />

betreffende Stelle nicht mit einer einheimischen Arbeitskraft besetzt<br />

werden kann, wobei für bestimmte Kategorien (z.B. Forscher) Ausnahmen<br />

gemacht werden. Daueraufenthaltsberechtigte haben seit 2006 die<br />

Möglichkeit, sich in einen zweiten Mitgliedstaat zu begeben und sich dort<br />

zum Studium, zur Arbeit oder zu anderen Zwecken niederzulassen. Auch<br />

flankierende Massnahmen zur Integration, Rückkehr und Zusammenarbeit<br />

mit Drittländern sind in der EU klar geregelt. Bereits gemäss den<br />

Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom Oktober<br />

1999 hat die EU mit der Konzeption und Umsetzung einer umfassenden<br />

Einwanderungspolitik begonnen. Die EU regelt mit vier Richtlinien die<br />

Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für folgende Gruppen von<br />

Erwerbstätigen:<br />

19 Siehe Link: http://www.europarl.europa.eu/topics/treaty/pdf/amst-de.pdf<br />

46


• Hoch qualifizierte Arbeitnehmer<br />

• Saisonarbeiter<br />

• Innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer<br />

• Bezahlte Auszubildende<br />

Darüber hinaus regelt 20 die Europäische Union<br />

• die Zusammenarbeit mit Drittländern<br />

• die Sicherung der Grenzen<br />

• eine integrierte Verwaltung der Aussengrenzen<br />

• sichere Reise- und Identitätspapiere<br />

• die Bekämpfung von Menschenhandel<br />

• den Status von illegal anwesenden Drittstaatenangehörigen<br />

• und bekämpft gemeinsam die illegale Beschäftigung<br />

• und formuliert eine gemeinsame Rückführungspolitik<br />

Seit den siebziger Jahren und dem Auftreten von Wirtschaftskrisen als<br />

zyklisches Phänomen, haben die Europäischen Staaten eine teilweise<br />

restriktivere Einwanderungspolitik entwickelt. Der verbesserte Zugang zu<br />

Information, die Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten und des<br />

Verkehrs auf langen Strecken, die Zunahme von Schlepperbanden, die<br />

wachsende Mobilität im Bereich der Arbeit und die gesteigerten<br />

Forderungen der Wirtschaft stellen Aspekte der Globalisierung dar, welche<br />

die Migration auch in der EU fördern. Die weltweite Verarmung in<br />

Entwicklungsländern verstärkt insbesondere die unfreiwillige Migration,<br />

welche durch humanitäre Krisen und interne Konflikte erzeugt wird. Davon<br />

ist die EU insbesondere an ihren Aussengrenzen stark betroffen.<br />

20 Quelle:<br />

http://europa.eu/legislation_summarise/justice_freedom_security/free_movement, 2009<br />

47


2. 2. Der globale Rahmen der Sicherheit<br />

Generische Elemente<br />

Gemäss Joseph S. Nye ist der Begriff Sicherheit heute zum sozialen<br />

Wertesymbol geworden 21 . Dabei ist Sicherheit nicht als eine absolute,<br />

sondern als relative Grösse zu verstehen und enthält stark subjektive<br />

Komponenten. Gefahrenlosigkeit darf als allen semantischen<br />

Bedeutungen (des Wortes Sicherheit) unterliegendes gemeinsames<br />

Sinnelement angesehen werden 22 . Unter Gefahr versteht man<br />

demgegenüber allgemein die Möglichkeit des Eintritts eines als negativ<br />

bewerteten Ereignisses. Sicherheitspolitik ist ein dynamischer Prozess<br />

und bedarf ständiger individueller und kollektiver Evaluationsprozesse<br />

sowie der politischen Willensbildung über den Konsens nationaler<br />

23<br />

Werte .<br />

Seit Anfang der sechziger Jahre ist ein allmählicher Verlust des Primats<br />

militärischer Sicherheit feststellbar. Dieser Prozess begann mit einer<br />

Globalisierung und – nur wenig später – einer Mässigung des Ost-West-<br />

Konflikts. Die militärische Fast-Konfrontation in Kuba gilt als der<br />

entscheidende Wendepunkt in der Sicherheitspolitik.<br />

Rüstungsbeschränkungsabkommen und wirtschaftliche Komponenten<br />

(Öl,<br />

Chemie und nukleare Energie) gewannen an Bedeutung.<br />

Die Kontrahenten lernten die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Sicherheit<br />

verstehen und trafen sich zu Rüstungskontrollverhandlungen: als Folge<br />

der militärischen Interdependenzen verlagerte sich der Schwerpunkt der<br />

Abschreckung auf die begrenzt und flexibel einsetzbaren Optionen: und<br />

21 Quelle: Joseph S. Nye, Kollektive wirtschaftliche Sicherheit, EA, BD. 29 (1974), 650ff.<br />

22 Quelle: Kaufmann, Franz-Xaver: In Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches<br />

Problem: Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften.<br />

2.umgearb. Aufl. Stuttgart 1973, S. 151f.<br />

23 Quelle: Prof. Dr. Andreas Wenger, CSS Analysen<br />

48


schliesslich hat sich durch früher nicht gekannte wirtschaftliche und<br />

soziale Modalitäten der Sicherheitsgefährdung die wahrgenommene<br />

Bedrohung von der militärischen auf die sozioökonomische Ebene<br />

verlagert 24 ’ 25 . Die Ereignisse rund um den und nach dem zweiten<br />

Weltkrieg waren noch geprägt von Abschreckungsverteidigung, nuklearen<br />

Waffenstrategien und der Rolle der Verbündeten. Erst der Strategiewandel<br />

1989/1991 leitete den effektiven Prozess der Globalisierung ein, durch<br />

den Fall der Mauer in Berlin und die Informationsrevolution.<br />

Die sicherheitspolitische<br />

Ordnung des Kalten Krieges wurde geprägt<br />

von<br />

• Bipolarität (1947)<br />

• der Teilung Deutschlands (1949)<br />

• dem System der Allianzen<br />

( NATO 1949/WTO 1955)<br />

• nukleares Patt (1961)<br />

• dem Status Quo des „langen Friedens“ (1962/63 Kuba Krise)<br />

• Wirtschaftlichem, militärischem<br />

und ideologischem Wettbewerb<br />

• globalem Antagonismus<br />

• Stellvertreterkriege (proxy wars)<br />

und andere indirekte Konflikte<br />

entlang der Ost/West-Trennlinie<br />

• Sicherheitssubjekt = Staat; Verteidigung<br />

militärisch (Armee); Bedrohung = von aussen<br />

= reaktiv, national,<br />

Wichtigste Trends seit der sogenannten Wende der 90er Jahren<br />

24 Quelle: Kaufmann, Franz-Xaver: In Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches<br />

Problem: Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften.<br />

2. umgearb. Aufl. Stuttgart 1973, S. 151f.<br />

25 Quelle: Prof. Dr. Andreas Wenger, CSS Analysen<br />

49


• Ausweitung der Gefahren und Risiken wie Terrorismus, Menschen-<br />

und Drogenhandel Migrations- und Flüchtlingsströme und<br />

verletzliche Infrastrukturen<br />

• Transnationale Probleme<br />

• Neue Risikotypen, globale Gefahren durch nichtstaatliche<br />

Akteure<br />

• Neue geografische Nähe (Erreichbarkeit) und dadurch<br />

Gefahrenurheber<br />

• Innerstaatliche Konflikte und regionale Destabilisierung<br />

• Asymmetrische Bedrohungslage und Technologielücke<br />

• Grösserer europäischer Sicherheitsraum<br />

• Internationales Krisenmanagement<br />

• Ethnische Konflikte im Balkan, Zentralasien und Kaukasus<br />

• Aufgrund innerstaatlicher Konflikte<br />

90 % zivile Opfer<br />

• Komplexe Interdependenzen<br />

erweiterte<br />

• Erfolgreiche Umwandlungsprozesse der Osteuropäischen Länder<br />

• Marginalisierungsprozesse in Afrika<br />

• Reformstau im Mittleren Osten<br />

• Kriegsgefahr der grossen Kräfte unwahrscheinlicher<br />

• Regionaler Wettbewerb (Indien - Pakistan, Iran - Saudi Arabien)<br />

• Ungleiche Kräfteverhältnisse (nicht mehr geografisch<br />

gebunden)<br />

• Globalisierung<br />

(Souveränitätsverlust)<br />

• Vergrösserung wirtschaftlicher Unterschiede<br />

• Extremismus<br />

• Proliferation<br />

vernetzt Lokales mit Globalem<br />

• Privatisierung der<br />

Gewalt durch sogenannte Warlords, korrupte und<br />

terroristische Netzwerke, Failing States<br />

• Wasserknappheit, Ressourcenkonflikte und Klimawandel<br />

• Islamisierung<br />

• Umfassende Sicherheitsstrategien<br />

(comprehensive approach)<br />

50


• Neue Formen der Kooperation (durchlässige Allianzen/Sektor-<br />

übergreifend)<br />

• Präventionskultur nimmt zu<br />

• Verstärkter Einsatz der Friedensförderung/Friedensdurchsetzung<br />

normative Grundlagen, institutionelle Eigenheiten<br />

und historische<br />

Rahmenbedingungen und Erfahrungen sowie finanzielle<br />

Rahmenbedingungen divergieren von Land<br />

zu Land und beeinflussen den<br />

Strategiebildungsprozess der Sicherheitspolitik.<br />

Ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis<br />

wird unter anderem beeinflusst<br />

durch:<br />

• Verlust gemeinsamer<br />

Normen<br />

•<br />

sowie für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und<br />

freie Märkte<br />

• Kombination militärischer und ziviler Instrumente<br />

Bestimmungsgrössen nationaler Sicherheit sind heute gemäss Joseph S.<br />

Nye sowohl ein Mindestmass an wirtschaftlichem Wohlergehen wie auch<br />

eine gewisse politische und soziale Autonomie. Politische Prozesse,<br />

• die Schwäche der liberalen Staaten<br />

Komplexität der Gesellschaften und der Arbeit<br />

• allgemeine Beschleunigung des Wachstums<br />

• globale Risiken<br />

Am Beispiel des Klimawandels kann exemplarisch die globale Form der<br />

Risiken dokumentiert werden: Ein neueres und in der Bevölkerung noch<br />

wenig bekanntes Phänomen stellt heute die unfreiwillige Migration durch<br />

den Klimawandel dar 26 ’ 27 . Gemäss Expertenberichten erhöht der<br />

26<br />

Quelle: Dr. Christian Catrina, stellvertretender Chef der Direktion für Sicherheitspolitik<br />

in der Schweiz, VBS<br />

27<br />

„Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung,<br />

UNDP 2009<br />

51


Klimawandel vor allem die Gefahren von Naturkatastrophen 28 . Dazu<br />

gehören schwere Stürme genauso wie Überschwemmungen, Erdrutsche<br />

als Folge ungewöhnlicher Durchnässung des Erdreichs, ebenso wie<br />

Dürre, Waldbrände und Perioden extremer Kälte oder Hitze. Laut<br />

Experten könnten der Klimawandel und seine Folgen eine Rolle bei der<br />

Verschärfung internationaler Konflikte spielen. Die Ressourcenknappheit<br />

in der Region südlich des Mittelmeers wird sich noch akzentuieren.<br />

Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen Klimawandel und<br />

bewaffneten Konflikten. Dadurch werden Afrika, der Nahe Osten oder<br />

auch die karibischen Inseln zu so genannten „hot spots“. Diese Debatte ist<br />

nicht das Monopol von Sicherheitsexperten, auch die Vereinten Nationen<br />

und die OSZE nehmen aktiv daran teil. In Somalia befanden sich im<br />

Sommer 2010 über zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Das hat mit<br />

der Situation der sogenannten „failing states“ genauso wie mit dem<br />

Klimawandel zu tun. Alles deutet darauf hin, dass die zunehmende<br />

Wasserknappheit bestehende zwischenstaatliche Spannungen verschärft.<br />

Die jüngsten Differenzen zwischen Ägypten und dem Sudan auf der einen<br />

und Äthiopien auf der anderen Seite scheinen darauf hinzudeuten. Die<br />

jüngsten Wettergeschehen in Pakistan (ca. 20 Millionen Menschen sind<br />

auf der Flucht) und in China (geschätzte 12 Millionen Menschen verloren<br />

ihr Obdach) wie auch Wald- und Torfbrände rund um Moskau im August<br />

2010 (siehe NZZ vom 17.8.2010) deuten darauf hin, dass<br />

Umweltmigration ernster als je zu nehmen ist und bei der Bewältigung<br />

auch sicherheitspolitische Fragen von grosser Bedeutung sind. Neben<br />

Überschwemmungen und Bränden können auch Erdbeben,<br />

wie in Haiti,<br />

oder auch Dürre Migrationsursachen sein, so sind z.B. im Norden Syriens<br />

in den letzten Jahren mehrere Tausend Personen vor der Dürre<br />

geflüchtet, z.T. in die syrischen Städte, z.T. ins Ausland.<br />

28 Think Tank New Delhi, NZZ 22. Juli 2010, Vicken Cheterian<br />

52


Klimaveränderungen werden heute als so genannte<br />

„Gefahrenmultiplikatoren“<br />

bezeichnet. Experten sprechen von sechs<br />

ökologischen Bedrohungsfeldern:<br />

1. Wasserknappheit<br />

2. Bodenerosion<br />

3. Waldzerstörung<br />

4. Klimaveränderung<br />

5. Anstieg des Meeresspiegels<br />

6. Umweltverschmutzung durch Giftmüll sowie Freisetzung<br />

radioaktiver Substanzen.<br />

Umweltbedingte Migration und entsprechende Migrationsströme werden<br />

mittelfristig zunehmen. Es wurden bereits einige Schätzungen der Anzahl<br />

der Menschen vorgestellt, die in Folge des Klimawandels gezwungen sein<br />

werden, ihre Heimat zu verlassen: sie reichen von 200 Millionen bis hin zu<br />

einer Milliarde 29 . Die Umweltveränderungen variieren nicht<br />

ausschliesslich, aber auch in Abhängigkeit des Reichtums eines Landes.<br />

Das Gleiche spielt auch innerhalb eines Landes eine Rolle. Es ist zu<br />

erwarten, dass der Verlust von Arbeitsplätzen wegen klimatisch bedingter<br />

Veränderungen (z.B. in der Landwirtschaft, mit Folgewirkungen auch auf<br />

die verarbeitende Industrie) der Migration Auftrieb geben wird. Das mag in<br />

vielen Fällen nicht der allein entscheidende Grund sein, so verschiedene<br />

Referate von Dr. Ch. Catrina, jedoch könnte auch die Schweiz mit<br />

ansteigenden Zahlen von Schutzsuchenden konfrontiert werden, was<br />

zunächst Betreuungsprobleme aufwerfen dürfte. Die sicherheitspolitischen<br />

Instrumente Aussenpolitik, Armee und Bevölkerungsschutz wären auch in<br />

der Schweiz betroffen. Die Schweiz und ihre Einwohner werden aller<br />

Voraussicht nach künftig aufgrund der Klimamigranten als Arbeitnehmer,<br />

29 „Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung“, UNDP 2009, S.56<br />

53


Touristen, als Asylland, Entwicklungshelfer und Friedensförderer bei<br />

humanitären Aktionen betroffen sein.<br />

Die Autorin bezieht sich im Folgenden auch auf Aussagen eines<br />

bekannten Think Tanks in Indien, New Delhi. Die dort tätigen Experten<br />

bezeichneten als grösste Bedrohung ihres Landes nicht etwa die atomare<br />

Gefahr durch Pakistan, sondern den Klimawandel, der den Anstieg des<br />

Meeresspiegels verursacht und mit entsprechenden Überschwemmungen<br />

„Hunderte von Millionen Flüchtlinge“ nach Indien bringt. Den Klimawandel<br />

als Sicherheitsrisiko zu betrachten, birgt jedoch die Gefahr, dass Staaten<br />

sich der Suche nach militärischen Lösungen zuwenden (beispielsweise im<br />

Hinblick auf potenzielle Flüchtlingswellen), obwohl das Problem<br />

30<br />

ökologischer, sozialer und ökonomischer Natur ist .<br />

Wirksamste Sicherheits- und Migrationspolitik in diesem<br />

Zusammenhang ist aus Expertensicht denn auch nicht die<br />

Orientierung an einer Minderung der Immigration, sondern der Abbau<br />

der Ursachen von notgedrungener und erzwungener Migration.<br />

2.2.1. Sicherheit international, am Beispiel der Grossmacht USA<br />

Die grosse nationale Sicherheitsstrategie der USA wird wie folgt<br />

definiert 31 ’ 32 : Gemäss Dr. Alan Gropman, ist „eine grosse<br />

Sicherheitsstrategie die Kunst und Wissenschaft, die Ziele der nationalen<br />

Sicherheit zu erreichen“ oder anders ausgedrückt „die grosse<br />

Sicherheitsstrategie ist ein konstanter Prozess, welcher sich wechselnden<br />

30<br />

siehe dazu auch Kapitel 2.2.3 „Sicherheitsrelevantes Risiko Flüchtlingsproblematik am<br />

Beispiel Subsahara-Afrika“<br />

31 Quelle: Alan Gropman, US National Defense University in Washington<br />

32<br />

Prof. Dr. Andreas Wenger CSS, Dr. Victor Mauer, CSS Analysen zur Sicherheitspolitik,<br />

CSS ETHZ<br />

54


Bedingungen und Umständen bezüglich diversen Bedrohungsszenarien<br />

in einem Umfeld von Chancen und Risiken anzupassen weiss, bzw.<br />

(gemäss Hart) „die<br />

Kunst, militärische Mittel einzusetzen, die einer<br />

Sicherheitsstrategie zur<br />

Umsetzung verhelfen“. Verschiedene Instrumente<br />

müssen dabei aufeinander abgestimmt und angewandt werden. Dazu<br />

zählen die USA harte und weiche Instrumente (hard and soft power<br />

instruments)<br />

• die Diplomatie<br />

• die Wirtschaft<br />

• die Information und Informationstechnologien<br />

• sowie militärische Instrumente.<br />

Der grosse Rahmen der Sicherheitsstrategie lässt sich schematisch wie<br />

nachstehend nach Dr. Alan Gropman darstellen:<br />

Enduring Principles nachhaltige Grundsätze<br />

National<br />

Interests and Objectives nationale Interessen und Ziele<br />

Domestic Environment nationales Umfeld<br />

55


International Environment internationales Umfeld<br />

Decision-making Process Entscheidungsprozess<br />

Resources Mittel<br />

Resources Allocation Mittelzuweisung; Mittelverwendung<br />

Elements of National Power Elemente der nationalen Macht<br />

Abbildung 2: Der grosse Rahmen der Sicherheitsstrategie<br />

A Framework for Grand Strategy<br />

Die nachhaltigen Grundsätze, „Enduring<br />

Principles“, umfassen die in der<br />

Verfassung verankerten Grundsätze wie:<br />

• Alle Menschen wurden gleichwertig<br />

erschaffen<br />

• Alle Menschen haben die gleichen Grundrechte, zu diesen zählen<br />

1. Die repräsentative Demokratie<br />

2. Die Gewaltentrennung<br />

(checks and balances)<br />

3. Die Religionsfreiheit<br />

Die nationalen Interessen und Ziele, „National Interests and<br />

Objectives“, werden dabei massgebend vom nationalen und<br />

internationalen Umfeld, „Domestic and International Environment“<br />

beeinflusst.<br />

„All politics is local“ (Tip O’Neil) oder anders ausgedrückt, die Politik wird<br />

in erster Linie vom nationalen Umfeld bestimmt.<br />

Stichworte hierzu sind:<br />

• Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit<br />

• National dominierende politische<br />

Parteien<br />

• Lokal dominierende politische Parteien<br />

• Einfluss des internationalen Handels<br />

• Ethnische, Rassen- und religiöse Bande<br />

• Migration, insbesondere illegale Einwanderung<br />

• Sämtliche freiwilligen Kräfte<br />

Zu den nationalen Zielen der USA (Sicherheit) zählen:<br />

56


• Das Überleben der USA als freies, unabhängiges Land und dessen<br />

Grundrechte sowie die Menschen zu schützen,<br />

• das Wirtschaftswachstum zu sichern,<br />

• eine freie und sichere Welt gegen grosse Bedrohungen zu<br />

verteidigen,<br />

• das Wachstum menschlicher Freiheit, der Demokratie und freie<br />

Märkte in der Welt zu fördern<br />

• sowie gesunde und<br />

kräftige Allianzen und Partnerschaften sicher zu<br />

stellen mit all jenen Kräften, die gemeinsame Besorgnis mit den<br />

USA teilen.<br />

Das internationale Umfeld beeinflusst die Interessen und<br />

Sicherheitsziele der USA ebenfalls massgebend. Stichworte in diesem<br />

Zusammenhang sind:<br />

• Regionale Spannungen<br />

• Geopolitische Lage<br />

• Allianzen und<br />

Partnerschaften<br />

• Schwerwiegende Feindseligkeiten<br />

in Schlüsselregionen<br />

• Schwerwiegender Antipathien in Schlüsselregionen<br />

• Internationaler Handel<br />

• Globaler und regionaler Terrorismus<br />

• Krankheit<br />

• Weit verbreiteter Armut<br />

• Wachsende unbefriedigte Erwartungen<br />

Der Entscheidungsprozess der USA zur Verteidigung nationaler Sicherheit<br />

wird durch die Möglichkeit<br />

zur Bereitstellung der Verteidigungsmittel<br />

geprägt.<br />

Dazu zählen jedoch nicht ausschliesslich militärische, sondern auch<br />

die nachstehenden Elemente:<br />

57


• Geografie<br />

• Natürliche Ressourcen<br />

• Bevölkerung, militärische Bereitschaft<br />

• Kapazität der Industrie<br />

• Nationaler Charakter<br />

• Nationale Moral<br />

• Qualität der Regierung<br />

• Qualität der Diplomatie<br />

• Nationaler Wille<br />

Tragende Säule der US Sicherheitspolitik ist die Abschreckung seit<br />

1945 und der klare Wille, Macht nicht nur anzudrohen, sondern auch<br />

auszuüben. Eine weitere sicherheitspolitische Konstante ist die<br />

globale Allianzenbildung. Die USA sind viele Partnerschaften<br />

eingegangen: NATO (North Atlantic Treaty Organization, ANZUS<br />

(Australien, Neuseeland, USA), BILATERALE (Philippinen, Japan, Korea,<br />

Thailand etc.), sichtbare Bündnisse (Israel, Saudi-Arabien, Kuwait,<br />

Vereinte Arabische Emirate etc.). Zudem leben die USA den globalen<br />

Krieg gegen Terrorismus und den Kampf gegen radikalen<br />

Fundamentalismus. Sie haben in diesem Zusammenhang den<br />

Geheimdienst massiv gestärkt.<br />

Die vier eingangs erwähnten Tools/Instrumente zur Erhaltung<br />

nationaler Macht (Diplomatie, Ökonomie, Militär und Information) der<br />

USA zur Verteidigung ihrer sicherheitspolitischen Ziele lassen sich wie<br />

vorgehend erwähnt in „hard und soft power“-Instrumente unterteilen.<br />

In diesem Zusammenhang ist „wahre Macht“ als so genannte „hard<br />

power“ zu verstehen, als die direkte Möglichkeit zur territorialen Kontrolle,<br />

militärische Macht, Ressourcen-Überlegenheit und die Macht<br />

Verbindungen und Kohärenz herzustellen. Demgegenüber zählen die<br />

58


Ökonomie, Information, Technologie und die Fähigkeit Konsens zu<br />

bilden als „soft power“-Instrumente.<br />

Je grösser internationale Abhängigkeiten werden, desto mehr Gewicht<br />

wird den sogenannten soft power Instrumenten zuteil sowie der Forderung<br />

nach Leadership, die zu einer grossen Sicherheitsstrategie zu führen hat.<br />

Der wachsende Bedarf an nachhaltigen Konfliktbewältigungen<br />

begünstigt die Stärkung der soft power Instrumente und der Kooperation.<br />

Der emotionalen Intelligenz, interkulturellem Bewusstsein, Biss- und<br />

Strategie- fokussiertem, umfassendem Denken und Handeln messen die<br />

US-Sicherheitsexperten heute grösseres Gewicht bei als auch schon –<br />

man hat aus den strategischen Fehlern der Vergangenheit gelernt<br />

(Stichworte hierzu sind der Krieg im Irak und die schwierige, langwierige<br />

Operation in Afghanistan).<br />

Die USA sind gemäss Expertenaussagen heute zudem mehr besorgt rund<br />

um Herausforderungen der Kräfte Russland, China, Pakistan etc., denn<br />

um transatlantische Bündnisse einer NATO, welche in schwindendem<br />

Masse gleiche Werte wie die USA vertritt und keine kohärente Meinung<br />

zur NATO-Strategie unter den Mitgliedern zu formulieren vermag. Anders<br />

als noch vor 10 Jahren ist die uneingeschränkte Führungsrolle der USA<br />

nicht mehr unumstritten. Der Wegfall der sowjetischen Bedrohung und die<br />

damit einhergehende Erweiterung des Handlungsspielraumes der<br />

Mitgliedstaaten der NATO sowie das Ringen zwischen amerikanischer<br />

Hegemonie und westeuropäischer Selbstbehauptung haben zu einer<br />

Verschiebung des Gravitationszentrums innerhalb des Bündnisses<br />

geführt. Während des Kalten Krieges lies sich die zelebrierte<br />

Sonderstellung in einer weitgehend statischen Allianz, die den Europäern<br />

aus strukturellen Gründen nur begrenzten Handlungsspielraum erlaubte,<br />

noch rechtfertigen. Als sich aber das Bündnis nach dem Zerfall der<br />

Sowjetunion als zentrale sicherheitspolitische Institution im erweiterten<br />

59


euro-atlantischen Raum etablierte, wurde der politische und militärische<br />

Preis des Abseitsstehens zunehmend unvertretbar. Die hervortretende<br />

Divergenz nationaler strategischer Kulturen wird immer deutlicher.<br />

Relativ neu sind die USA auch zunehmend beschäftigt mit der so<br />

genannten „Homeland Security“ (innere Sicherheit). Dabei spielt die<br />

illegale Migration (Mexico) eine immer dramatischere Rolle. Aufgrund der<br />

wirtschaftlichen Krise, einem wachsenden Verschuldungsgrad,<br />

Arbeitslosigkeit, Gesundheits- und Sozialkosten, wird auch in den USA<br />

das Verteidigungsbudget<br />

gekürzt.<br />

Entscheidungsträger sind zusehends<br />

auch in den USA gezwungen, in<br />

neuen Szenarien zu denken. Casimir Yost zeigt in seinem<br />

„methodologischen Fadenkreuz“ die Dimensionen „Wettbewerb“ versus<br />

Kooperation“, bzw. fragmentierte internationale Systeme versus<br />

Wachstum und Aufkommen nichtstaatlicher Akteure. Die treibenden Kräfte<br />

dabei sind<br />

• Wachsender Energiebedarf<br />

• Globale Sicherheitsherausforderungen und neue globale Risiken<br />

und die damit einhergehende<br />

• Notwendigkeit zum internationalen Mittragen der<br />

sharing“).<br />

Lasten („burden<br />

Die Wahrnehmung der USA als Akteur in der Rolle des globalen<br />

Sicherheitsgaranten wird dabei zunehmend, insbesondere durch die EU-<br />

Staaten hinterfragt (siehe dazu Kapitel 2.2.2.).<br />

2.2.2. Internationale Sicherheit, am Beispiel der EU 33<br />

33<br />

Quelle: CSS Analysen ETHZ und National University of Defense in Washington sowie<br />

Befragungen<br />

der Parlamentarier des Europarats in Strassburg, insbesondere<br />

60


Im Gegensatz zur im Kapitel 2.2.1. erörterten Sicherheitsstrategie der<br />

USA , welche die Hegemonie, den ungebrochenen Führungsanspruch<br />

der Grossmacht, nach wie vor dokumentiert, sieht sich Europa und<br />

insbesondere die EU als Sicherheitssystem einem vollends veränderten<br />

Umfeld gegenübergestellt. Der europäische Einigungsprozess hat<br />

massgebend zu einem neuen Selbstbewusstsein in diesem<br />

Zusammenhang beigetragen. Die Europäische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik hat zudem bemerkenswerte Fortschritte erzielt.<br />

Der bedeutsamste Wandel europäischer Sicherheit betrifft die<br />

Überwindung des Krieges als Mittel innereuropäischer<br />

Konfliktaustragung. Die Einigung Europas nach 1945 war eine Reaktion<br />

auf das Versagen des traditionellen Sicherheitssystems des europäischen<br />

Mächtegleichgewichts. Die EU zählt heute 27 Mitgliedstaaten mit<br />

insgesamt einer halben Milliarde Einwohner.<br />

Sie ist der weltweit grösste<br />

Binnenmarkt und eine globale Handelsmacht. Sie hat Europa Wohlstand<br />

und Frieden gebracht und beansprucht eine weltpolitische<br />

Mitverantwortung und ist mit ihrem umfassenden Ansatz der<br />

Friedensförderung zu einem wichtigen Akteur des internationalen<br />

Krisenmanagements geworden.<br />

Sicherheit durch Integration<br />

Die unter dem militärischen Schutzschirm der NATO ermöglichte<br />

wirtschaftliche Integration der EU ist zu einem zentralen<br />

sicherheitspolitischen Paradigma Europas geworden. Entscheidend für<br />

den Erfolg der Strategie „Sicherheit durch Integration“ war die<br />

fortlaufende Ausweitung des Integrationsprozesses auf weitere<br />

europäische Staaten. Die EU hat zudem die sich nach dem Fall der<br />

Justizministerin Leutheusern Schnarrenberger, Deutschland, vormals Mitglied der<br />

Liberalen Fraktion des Europarats<br />

61


Berliner Mauer eröffnende strategische Chance einer Projektion ihres<br />

Sicherheitsmodells auf Gesamteuropa konsequent genutzt.<br />

Die einst weitgehend statische Allianz der NATO wird durch eine<br />

gewisse Europäisierung des Bündnisses in Frage gestellt, wenngleich<br />

regionale Unterschiede, Komplexität und die Divergenz strategischer<br />

europäischer Kulturen und geschichtliche Vergangenheiten grosse<br />

Herausforderungen für eine gemeinsame Sicherheitsstrategie darstellen<br />

und die Bündnispartner zu überfordern und die Kompetenzregelungen der<br />

NATO zu übersteigen scheinen. Nichts desto trotz ist der europäische<br />

Wille zur Selbstbehauptung und zu neuen Verteidigungsansätzen<br />

unverkennbar.<br />

Wie eine ergänzende Partnerschaft zwischen der NATO und der EU in<br />

der Zukunft konkret ausgestaltet werden kann, bleibt vorerst noch<br />

umstritten. Denn, so sehr der amtierende Präsident der USA, Barak<br />

Obama, den Bruch mit der Vorgängerregierung<br />

betonte, so sehr stellte er<br />

sich mit seinem Appell, wonach ein Wandel der amerikanischen Position<br />

mit einer Veränderung der europäischen Haltung einhergehen müsse, in<br />

die Tradition aller US-Präsidenten der Nachkriegsjahre. Der<br />

Vertragsmultilateralismus der USA wird zwar nicht grundsätzlich in Frage<br />

gestellt, hat aber wie der Fall Afghanistan verdeutlicht, keinen Vorrang<br />

mehr, wenn er den eigenen Handlungsspielraum übermässig einschränkt<br />

und keinen markanten Mehrwert im Hinblick auf Legitimität, europäische<br />

Beiträge und europäische Selbstverpflichtung schafft.<br />

Zivil-militärischer Gesamtansatz<br />

Die EU Sicherheitsstrategie setzt - im Gegensatz zu den USA - mit seinen<br />

unterschiedlichen historischen Erfahrungen stark auf den<br />

Multilateralismus, Sicherheit dank Integration, zivile Instrumente und<br />

internationales Recht. Die so genannte „soft power“, Wirtschaftskraft,<br />

Diplomatie und Information haben Priorität. Die EU sieht sich denn<br />

auch<br />

62


mehr als „regionalen Architekten der Sicherheit“ denn als ausführende<br />

Macht. Militärische Aktionen werden nur dann eingesetzt, wenn<br />

diplomatische Instrumente versagen. Der Fokus liegt beim so genannten<br />

zivil-militärischen Gesamtansatz (comprehensive civil-military<br />

approach). Soziale Kohäsion und<br />

Integration von Immigranten sind hierzu<br />

wichtige Stichworte. Die Bedingungen für gutes Gelingen einer<br />

„comprehensive approach strategy“ sind auf politisch-strategischem sowie<br />

auf operationellem und taktischem Niveau:<br />

• Einbindung der amtierenden Regierungen in Krisenherden<br />

• Gesamt-(Regierungs-)Ansatz:<br />

Prävention, Ermittlung und<br />

Erkennung, Schutz, Management-Verbesserung- und Erholung<br />

• Gemeinsame Konzeptentwicklung<br />

• Zivile und militärische Interoperabilität, inkl. gemeinsames Training<br />

• Klare Definition der Ziele<br />

• Klare und gezielte Verteilung der möglichen Mittel<br />

• Gemeinsames operatives Vorgehen aller Beteiligten<br />

(Friedensförderung und Friedenssicherung)<br />

• Gemeinsame nationale und internationale Sicht der Aufgaben<br />

Innere Sicherheit 34<br />

Seit die Themen Justiz und Inneres mit dem Vertrag von Maastricht 1993<br />

zu einem EU-Kooperationsbereich wurden, hat sich die Zusammenarbeit<br />

in der inneren Sicherheit dynamisch entwickelt. So wurden mehrere<br />

Informationssysteme zum raschen Datenaustausch konzipiert. Mit dem<br />

Schengen-Informationssystem besitzt die EU eine elektronische<br />

Fahndungsdatei, die sich vor allem im Kampf gegen grenzüberschreitende<br />

Verbrechen bewährt hat. Daneben existieren europaweit ein<br />

Fingerabdruckidentifizierungssystem (Eurodac), ein Visums-Informations-<br />

34 siehe dazu auch die Ausführungen des Kapitels 3.2.5. Sicherheitspolitischer Faktor<br />

Verträge mit der EU und Gesetzgebung<br />

63


System (VIS) und ein Zollinformationssystem (ZIS). Zudem ist<br />

hinzuweisen auf die 2005 eingesetzte Zusammenarbeit an den<br />

Aussengrenzen (Frontex) mit Sitz in Warschau, die u. a. ein<br />

Küstenpatrouillennetz für das Mittelmeer koordiniert. Zudem wurde<br />

Europol (europäische Polizeibehörde) und eine analoge Justizbehörde<br />

(Eurojustiz) eingerichtet, um die Strafverfolgung in Bereichen wie<br />

Drogenhandel, Geldwäscherei, Schleuserkriminalität und Terrorismus zu<br />

koordinieren. Die innere Sicherheit ist eine zunehmend wichtige Säule der<br />

europäischen Einigung. Der diesbezügliche Wandel europäischer<br />

Sicherheit hat sich stark beschleunigt, seit 1998/1999 die Europäische<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Rahmen der<br />

gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) initiiert wurde.<br />

Ungeklärte Frage rund um die Grenzen Europas<br />

Bis heute unbeantwortet geblieben ist die Frage, wo Europas Grenzen<br />

tatsächlich liegen sollen. Innerhalb der EU ist eine Erweiterungsmüdigkeit<br />

unverkennbar. Dennoch stehen z.B. die Türkei und Kroatien in<br />

Beitrittsverhandlungen. Ohne eine europäische Perspektive dürfte der<br />

Westbalkan eine Zone der Instabilität bleiben. Viele Länder der EU<br />

stehen jedoch insbesondere einem Beitritt der Türkei äusserst skeptisch<br />

gegenüber. Themen rund um die muslimische Glaubensgemeinschaft<br />

bilden eine Debatte, deren Ausgang äusserst ungewiss ist. Viele fragen<br />

sich nicht zu Unrecht, ob die muslimische Diaspora sich an westlich<br />

aufgeklärte, säkulare Werte halten kann und will und ob eine Integration<br />

überhaupt gelinge könnte. Interessant in diesem Zusammenhang ist die<br />

geopolitische, strategische Ansicht der meisten Sicherheitsexperten der<br />

USA, welche geradezu auf einen EU-Beitritt der Türkei drängen 35 .<br />

Ein Beitritt der Türkei zur EU würde 70 Millionen Menschen integrieren,<br />

die heute keinem effektiven Sozialsystem angehören und deren religiöser<br />

35 Quelle: National University of Defense in Washington<br />

64


Hintergrund, der Islam, bereits heute zu populistischen und gefährlichen<br />

Auseinandersetzungen innerhalb der politischen EU-Landschaften führt.<br />

Experten, selbst muslimisch Gläubige<br />

(unter ihnen Prof. Bassam Tibi,<br />

Universität Göttingen), warnen vor diesem Schritt. Sie fordern<br />

insbesondere einen „europäisierten, liberalen, aufgeklärten Islam“. Die<br />

Türkei<br />

dürfte der EU die Grenzen der Möglichkeiten der Integration in aller<br />

Härte vor Augen führen und noch grosse Herausforderungen bereiten.<br />

Nicht nur aus Sicht der Autorin dieser Master-Thesis könnte ein Türkei-<br />

Beitritt zu unüberwindbaren Differenzen innerhalb der europäischen<br />

Gemeinschaft und gar zum Bruch der EU führen.<br />

2.2.2.1. Zuwanderung in Zeiten des Terrors in den USA und in der EU<br />

im Vergleich 36<br />

Seit September 2011 und den zahlreichen anderen Attentaten<br />

islamistischer Terroristen gibt es weltweit eine neue Debatte über die<br />

Frage, ob angesichts<br />

der neuen Risiken und Gefahren die Prinzipien<br />

offener<br />

Gesellschaften aufrechterhalten werden können und inwieweit<br />

Migration nebst Chancen auch Verlust von kultureller Homogenität<br />

und<br />

Identität darstellt. Internationale<br />

Debatten über Migration, Integration und<br />

Sicherheit finden unterschiedlich statt. Die Frage und Bewertung der<br />

Zusammenhänge zwischen Migration und ihrem terroristischen<br />

Bedrohungspotenzial sowie die politischen Konsequenzen werden<br />

unterschiedlich gezogen. Exemplarische Beispiele hierfür liefern die USA<br />

und Europa.<br />

36 als Basis für diese Ausführungen verwendete die Autorin insbesondere Erkenntnisse<br />

und zitiert Dr. Steffen Angenendt, Forschungsinstitut der DGAP in Berlin, Leiter<br />

Programme internationale Migration sowie Belinda Cooper, World Policy Institute er New<br />

School in New York, Koordinatiorin Programm Citizenship and Security sowie das<br />

Bundesamt für Migration in Bern<br />

65


2.2.2.2. Unterschiedliche Wahrnehmung des Ereignisses<br />

und der Gefahren<br />

Gewisse religiöse Minderheiten in den EU-Staaten und auch in der<br />

Schweiz, z.B. die Muslime sind eher wenig akzeptiert. Die USA versteht<br />

sich als Einwanderungsland, welches auf die Integrationskraft ihres<br />

Gesellschaftsmodells vertraut. Die Europäer verstehen sich hingegen<br />

immer noch als ethnische Nationalstaaten und bekunden als säkulare<br />

Gesellschaften Mühe mit dem Wiederauftauchen des Religiösen, gerade<br />

in muslimischen Minderheitskreisen. Europa und auch die Schweiz<br />

befürchtet zudem seine Aufnahmekapazität zu überschreiten und<br />

diskutiert darüber, wie verbindlich menschen-, bürgerrechtliche und<br />

demokratische Normen im Kampf gegen Terrorismus sein müssen.<br />

Besonders konservative Kreise vertreten die Ansicht, dass die Balance<br />

zwischen offenen Grenzen und Sicherheit nicht gewährleistet sei.<br />

Stellvertreterdiskussionen, gerade auch in der Schweiz (Minarett-Initiative<br />

und Burka-Diskussionen) prägen den Alltag. Die Frage, inwieweit das<br />

Zugehörigkeitsgefühl zur Aufnahmegesellschaft die Anfälligkeit zur<br />

Kriminalität und extremistischen Versuchung schmälert, ist in der<br />

öffentlichen Meinung umstritten, wenngleich von Experten immer wieder<br />

bejaht. Gemäss Letzteren kann Sicherheit in diesem Zusammenhang nur<br />

dank enormer Integrationsbemühungen gelingen.<br />

Der grundlegende Unterschied zu den klassischen Einwanderungsländern<br />

(USA, Kanada, Australien und Neuseeland) ist, dass die meisten<br />

europäischen Staaten und auch die Schweiz sich nicht als<br />

Einwanderungsland verstehen und dauerhafte Zuwanderung nur in<br />

„Ausnahmefällen“ (humanitäre und wirtschaftliche Gründe) bewilligen<br />

wollen. Eine wirkliche Offenheit für Zuwanderung in dem Sinne, dass<br />

kulturelle und ethnische Heterogenität als etwas Positives empfunden<br />

würde, ist in Europa nicht und auch in der Schweiz<br />

nur sehr beschränkt<br />

vorhanden. In Europa werden muslimische Zuwanderer vor allem deshalb<br />

66


oft mit Argwohn betrachtet, weil ihnen (zu Recht oder Unrecht) unterstellt<br />

wird, sie hätten aufgrund eines anderen Wertesystems ein geringeres<br />

Interesse als andere Zuwanderer, sich zu integrieren. Diese Debatte gilt<br />

es, in unserem Land aber auch im restlichen Europa versachlichter als bis<br />

anhin, aber schonungslos zu führen, wollen wir lösungsorientiert handeln.<br />

400‘000 muslimisch Gläubige leben allein in der Schweiz-Grund genug,<br />

mehr als Minarette und Burka zu thematisieren.<br />

2.2.2.3. Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Debatte<br />

In der sicherheitspolitischen Debatte wird ein direkter Zusammenhang der<br />

neuen Form des Terrorismus mit Migration gesehen. Insbesondere wird<br />

dabei betont, dass es sich beim neuen Terrorismus ausschliesslich um<br />

einen „islamischen“ Terrorismus handelt, der innerhalb eines<br />

unterstützenden Netzwerkes agiere. Nach Auffassung amerikanischer<br />

Sicherheitsexperten geht die Terroristen-Rekrutierungstheorie dahin, dass<br />

vor allem in Europa Islamisten versuchen könnten, potenzielle<br />

Gefolgsleute unter legal anwesenden, aber sozial randständigen<br />

Einwanderern<br />

der zweiten und dritten Zuwanderungsgeneration, bzw. zum<br />

Islam konvertierten Einheimischen anzuwerben. Interessant ist, dass<br />

Experten darauf hinweisen, dass die<br />

Mobilitätschancen, die offenen<br />

Grenzen und Gesellschaften dazu führen, dass selbst der Touristenstatus<br />

für das Ausüben von erfolgreichen Terrorakten reiche. Dennoch führt<br />

umfassendes Verständnis rund um die Debatte der Zuwanderung nicht am<br />

Konsens vorbei, dass Sicherheit mehr bedeutet, als „harte Sicherheit“,<br />

also mehr als etwa Grenzkontrollen.<br />

2.2.3. Sicherheitsrelevantes Risiko Flüchtlingsproblematik,<br />

am Bespiel Subsahara-Afrika<br />

Am Beispiel der Konflikte in Subsahara-Afrika kann aufgezeigt werden,<br />

was mit den Aussagen gemeint ist, dass Sicherheit nur vernetzt und in<br />

67


Kooperation mit anderen Staaten gewährleistet werden kann. Von 40<br />

Subsahara-Staaten befinden sich zurzeit rund 26 Staaten in bewaffneten<br />

Konflikten. Mindestens 3 Millionen Menschen befinden sich aufgrund<br />

dieser Tatsache auf der Flucht. Auch wenn nicht alle dieser Flüchtenden<br />

vor den Küsten der mediterranen Gewässer stranden, so sind es doch<br />

Tausende, die vor Lampedusa, Malta oder Gran Canaria ankommen und<br />

auf eine bessere Zukunft hoffen. Viele unter ihnen sind unbegleitete<br />

Minderjährige (sog. „unaccompanied minors“). Sie sind aufgrund von<br />

Unruhen und hoffnungslosen Situationen in ihren Ländern auf der Flucht<br />

vor Bürgerkriegen, ethnischen Konflikten und so genannten „failing<br />

states“. Sie kennen weder Rechtsstaatlichkeit noch Demokratie und haben<br />

sozusagen nichts zu verlieren. Viele gehören aber auch zum neuen<br />

Phänomen der Klimaflüchtlinge (Merke: der Begriff „Klimaflüchtlinge“ ist<br />

nicht konform mit der Flüchtlingsdefinition der Genfer<br />

Flüchtlingskonvention von 1951. Deshalb wird in dieser Master-Thesis<br />

konsequent der Begriff „Klimamigranten“ verwendet). Die Verknappung<br />

von Wasser hat gravierende Auswirkungen. In einigen afrikanischen<br />

Ländern dürften die Erträge bis zu 50% zurückgehen (Quelle CSS). Die<br />

Verknappung von Ressourcen wie Wasser und Landwirtschaftsflächen<br />

kann die menschliche Sicherheit unterminimieren und Unter- und<br />

Mangelernährung, Krankheiten und Armut und somit die Flüchtlingsströme<br />

fördern und begünstigen. Entscheidend dafür, ob solche Konflikte politisch<br />

gelöst werden können oder Destabilisierungsprozesse auslösen, sind die<br />

lokalen Ordnungs- und Steuerungskapazitäten, sprich Governance. Die<br />

Staaten rund um Subsahara-Afrika erfahren durch den Klimawandel eine<br />

Verschärfung bereits bestehender Konflikte. Klimawandel stellt heute<br />

unbestrittenermassen eine sicherheitspolitische Herausforderung dar und<br />

ein Potenzial an Gewaltkonflikten. Mit einem erhöhten<br />

Destabilisierungsprozess ist zu rechnen. Eine umfassende zivilmilitärische<br />

Stabilisierung auch weit entfernter Konfliktherde, wird in<br />

Zukunft mehr denn je auch im Interesse der inneren Sicherheit der<br />

68


Schweiz liegen. Die Friedensförderung in Konfliktregionen wird weiter an<br />

Bedeutung gewinnen. Der Ausbau der Friedensförderung wird vor dem<br />

Hintergrund der sicherheitspolitischen Implikationen unumgänglich sein.<br />

Der<br />

Klimawandel wird künftig in sicherheitspolitische Bedrohungs- und<br />

Lageanalysen mit einzubeziehen sein. Klimawandel und Energiesicherheit<br />

sind künftig stärker zu berücksichtigen. Auch wenn dank dem Abkommen<br />

Schengen / Dublin für die Schweiz in diesem Zusammenhang<br />

grosse<br />

Probleme gemildert werden, so ist nicht davon auszugehen, dass die<br />

mediterranen Staaten auf Dauer die Problemlösung rund um die<br />

Flüchtlingsströme aus Subsahara-Afrika im Alleingang zu bewältigen<br />

gewillt sein werden.<br />

2.3. Schnittstellen des globalen Rahmens Migration und Sicherheit<br />

2.3.1 Schnittstelle Migration und Sicherheit im Allgemeinen<br />

Die USA genauso wie die EU haben den direkten Zusammenhang<br />

zwischen Migrations- und Sicherheitspolitik längst erkannt und – wenn<br />

auch auf unterschiedliche Art – entsprechend reagiert. Die Unterschiede<br />

zeigen sich insbesondere in den Antworten auf das neue Risiko des<br />

Terrorismus. Während die USA Terrorismus als Krieg und Bedrohung<br />

von<br />

aussen interpretiert und entsprechend beantwortet, sieht Europa die<br />

Terrorfrage als schwerstes Verbrechen an. Beide versuchen jedoch direkt<br />

oder indirekt mit dem so genannten „comprehensive approach“<br />

Extremismus und Islamismus anzugehen. Während die USA mehr<br />

Friedenssicherung zu erzwingen sucht, begegnet die EU der drohenden<br />

Gefahr mit Friedensförderung. Beide haben sich jedoch der<br />

Demokratisierung und der Rechtsstaatlichkeit verschrieben. Dies zeigt u.a.<br />

ihre Politik in Afghanistan genauso wie ihre Einsätze in Kosovo.<br />

Viel besser dokumentieren die Herausforderungen rund um<br />

die innere<br />

Sicherheit jedoch die Schnittstellen Migrations- und Sicherheitspolitik<br />

betreffend Flüchtlingsströme und illegale Einwanderung: Was in Europa<br />

69


die bedrängende Flüchtlingsproblematik rund um Subsahara-Afrika<br />

dokumentiert oder auch die umstrittene Einwanderung aus der Türkei<br />

(bestes Beispiel hierfür ist Deutschland), bedeutet für die USA die illegale<br />

Einwanderung aus Südamerika, insbesondere aus Mexiko. Illegale<br />

Migration bedeutet für alle betroffenen Länder eine aktuelle und<br />

anhaltende Bedrohung und Erhöhung der Kriminalitätsrate.<br />

• Die USA hat eine eigentliche Mauer erstellt zwischen ihrem Land<br />

und Mexiko. Die EU hat ihre Aussengrenzen verstärkt kontrolliert<br />

und gesichert. Beide haben<br />

zum Ziel, irreguläre Migration zu<br />

bekämpfen in der Erkenntnis, dass Sicherheit und Migration<br />

untrennbar verflochten sind.<br />

• Die USA erwartet als klassisches Einwanderungsland volle<br />

Integration der Immigranten ab initio, demgegenüber haben die<br />

einzelnen EU-Länder verschiedene Integrationskonzepte. Die<br />

Erkenntnis, dass verschiedene und vernetzte Massnahmen nötig<br />

sind, teilen die USA mit der EU, leben jedoch sehr unterschiedliche<br />

Einwanderungskriterien.<br />

• Die Klimafolgen und deren Auswirkungen auf alle Staaten, die USA<br />

wie die EU-Länder und den Rest der Welt, führen die Evidenz vor<br />

Augen, dass globale Risiken des Klimawandels Einfluss auf die<br />

Migrationsströme haben und<br />

Massnahmen im Bereich der<br />

Sicherheit zur Bewältigung unumgänglich sind. Entwicklungs- und<br />

Schwellenländer versuchen ein Recht auf Entwicklungs-<br />

und<br />

Industrieaufholbedarf in dieser Frage geltend zu machen, die USA<br />

weigern sich nach wie vor, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen<br />

währenddem die EU über weite Strecken von einer eigentlichen<br />

politischen, grünen Welle unter Druck gesetzt wird. Weltweite<br />

politische Kohärenz jedenfalls lässt sich in der Klimafrage bis heute<br />

nur sehr bedingt erkennen.<br />

2.3.1.1. Schnittstelle Terrorismus, am Beispiel Deutschland<br />

70


Das Ereignis und seine Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik<br />

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der deutsche<br />

Gesetzgeber umfangreiche Gesetzesänderungen zur Bekämpfung des<br />

Terrorismus vorgenommen. Die Bundesregierung hat zudem mit ihrer in<br />

die internationale Staatengemeinschaft eingebundenen Anti-Terror-Politik<br />

auf die seit dem 11.9.2001 weltweit gravierend veränderte<br />

Bedrohungsdimension des internationalen Terrorismus mit einer Vielzahl<br />

politischer, diplomatischer, polizeilicher, nachrichtendienstlicher,<br />

justizieller, humanitärer, ökonomischer, finanzieller und militärischer<br />

Massnahmen zur Bekämpfung des internationalen<br />

Terrorismus reagiert.<br />

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nennt die Verwaltung des Bundestages<br />

rund 25 Massnahmen. Kernelemente dieser neuen<br />

„Sicherheitsarchitektur“ sind das Terrorismusbekämpfungsgesetz<br />

vom 11.<br />

Januar 2007 und das entsprechende Terrorismusergänzungsgesetz vom<br />

10. Januar 2007.<br />

Die Gesetze erweitern die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden und<br />

enthalten u. a. Regelungen zur<br />

• Verbesserung des Datenaustausches,<br />

• Verhinderung der Einreise terroristischer Straftäter,<br />

• Einführung Identität- sichernder Massnahmen im Visumsverfahren,<br />

• Verbesserung der Grenzkontrollen,<br />

• Verstärkte Überprüfung von sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten,<br />

• Aufnahme biometrischer Merkmale in Pässen und<br />

Personalausweisen,<br />

• Beschränkung extremistischer Ausländervereine,<br />

• Erweiterung der Rasterfahndung hinsichtlich der verwendeten Daten,<br />

• Beschränkung des Schusswaffengebrauchs in zivilen Luftfahrzeugen<br />

auf Polizeibeamte,<br />

71


• Sicherstellung der Energieversorgung<br />

• und zum gemeinsamen Dateiengesetz: Anti-Terror-Datei und<br />

Projektdateien<br />

Allerdings unterstreicht Deutschland, dem Spannungsfeld zwischen<br />

Freiheit und Sicherheit gerecht werden<br />

zu wollen, das unveräusserliche<br />

Bürgerrecht des Einzelnen nicht durch diese Befugniserweiterungen an<br />

der einen oder anderen Stelle<br />

in unangemessener Weise zu<br />

beeinträchtigen-auch wenn der Staat mit seinem Gewaltmonopol Frieden<br />

und Sicherheit zu gewährleisten habe.<br />

Hauptziele und Handlungsschwerpunkte der deutschen Sicherheits<br />

Politik seit dem 11. September 2001<br />

Folgende Hauptziele der deutschen Sicherheitspolitik wurden nach dem<br />

11. September 2001 definiert:<br />

• Terroristische Strukturen zerstören – hohen<br />

Fahndungs- und<br />

Ermittlungsdruck aufbauen<br />

• Den Terrorismus bereits im Vorfeld aufklären und abwehren<br />

• Die internationale Zusammenarbeit<br />

weiter ausbauen<br />

• Die Bevölkerung schützen, vorsorgen und die Verwundbarkeit des<br />

Landes reduzieren<br />

• Die Ursachen des Terrorismus bekämpfen<br />

Als wesentliche Handlungsschwerpunkte<br />

zur Erreichung dieser Ziele<br />

werden folgende Punkte genannt:<br />

• Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden untereinander und<br />

mit der Justiz<br />

•<br />

Enge Zusammenarbeit des Generalbundesanwaltes mit anderen<br />

Staaten<br />

• Betreffend Informationen und Personen, Plänen und<br />

Zusammenhängen des Terror-Netzwerks Al-Qaida und anderer<br />

72


islamistischer Gruppierungen, mit allen rechtsstaatlich zur Verfügung<br />

stehenden Mitteln und Quellen beschaffen und gründlich auswerten<br />

• Bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden personell und finanziell<br />

Deutschland betont, dass die Bekämpfung des Terrorismus ein<br />

wesentliches Element der nationalen, bilateralen und multilateralen<br />

Aussen- und Sicherheitspolitik sei und sowohl z.B. die aktive<br />

Zusammenarbeit mit internationalen Gremien, als auch die Bekämpfung<br />

der Finanzierung des Terrorismus oder die Ausbildung der Polizisten in<br />

diesem Zusammenhang gestärkt werden müsse. Zur Erreichung des Ziels,<br />

die Bevölkerung zu schützen, vorzusorgen und die Verwundbarkeit des<br />

Landes zu reduzieren, werden die Sicherheitsvorkehrungen regelmässig<br />

untersucht und in gemeinsamen Schutzkonzepten von Staat und<br />

Betreibern der aktuellen Bedrohungslage angepasst. Hierzu gehören u. a.<br />

die erforderlichen Massnahmen zur Sicherung kerntechnischer<br />

Einrichtungen durch zusätzlich technische, personelle und<br />

organisatorische Sicherheitsmassnahmen. Die Justizministerin führt weiter<br />

aus, dass zum Schutz der Bevölkerung vor den Folgen terroristischer<br />

Angriffe auch die Bereithaltung und Einübung geeigneter<br />

Krisenbewältigungsinstrumente zur Ermöglichung einer schnellen und<br />

sicheren Erkennung von Krankheitserregern und eine gezielte<br />

Risikobewertung gehöre. Deutschland verfügt gemäss eigenen Aussagen<br />

über ein führendes System einer flächendeckenden rettungs-, notfall- und<br />

katastrophenmedizinischen Versorgung.<br />

Schwerpunkt der Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus ist es, die<br />

Radikalisierung und Rekrutierung von Personen für Terror-Netzwerke in<br />

Deutschland zu verhindern, so die Justizministerin, und der Ausbreitung<br />

islamistischen Gedankenguts entgegenzuwirken. Islamistische<br />

Extremisten müssen innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen, aus denen<br />

sie stammen oder in die sie eingebunden sind, isoliert werden, damit<br />

ihnen von dort keine materielle oder ideelle Unterstützung zuteil wird. Die<br />

73


präventiven Massnahmen werden im In- und Ausland verfolgt. So wird ein<br />

intensiver Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen,<br />

insbesondere im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz, geführt, dessen<br />

Ziel es ist, muslimische Zuwanderer und deren Nachkommen in den<br />

demokratischen Rechtsstaat und die deutsche Zivilgesellschaft zu<br />

integrieren, um einem Abgleiten<br />

in radikale Positionen entgegenzuwirken.<br />

Parallel dazu verstärkt Deutschland die Entwicklung weltoffener<br />

Zivilgesellschaften und, um einem Abgleiten in radikale Positionen<br />

entgegenzuwirken. Parallel dazu verstärkt Deutschland die Entwicklung<br />

weltoffener Zivilgesellschaften und demokratischer und rechtsstaatlicher<br />

Strukturen in terrorismusgefährdeten Staaten.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Deutschland hat mit einem eigentlichen Konzept auf das neue Risiko des<br />

Terrors reagiert und zwar sowohl im Bezug auf die umfassende innere<br />

Sicherheit wie auch mit verstärkter internationaler Zusammenarbeit. Die<br />

Strategie umfasst politische, diplomatische, polizeiliche,<br />

nachrichtendienstliche, justizielle, humanitäre, ökonomische, finanzielle<br />

und militärische Massnahmen. Schwerpunkt bildet dabei, die<br />

Radikalisierung und Rekrutierung von Personen für Terror-Netzwerke in<br />

Deutschland zu verhindern und islamistische Extremisten gesellschaftlich<br />

in ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft zu isolieren. Der Deutschen<br />

Islamkonferenz kommt in diesem<br />

Zusammenhang hohe Bedeutung zu.<br />

Deutschland<br />

verstärkt zudem die Entwicklung weltoffener<br />

Zivilgesellschaften und demokratische sowie rechtsstaatliche Strukturen<br />

in<br />

terrorismusgefährdeten Staaten. Bei der Integration von Ausländern im<br />

Sinne der Prävention und in der Erkenntnis, dass Migrationspolitik stark<br />

die Sicherheitspolitik prägt, handelt Deutschland gemäss einem<br />

„comprehensive approach“.<br />

2.3.1.2. Schnittstelle Terrorismus, am Beispiel Grossbritannien<br />

74


Das Ereignis und seine Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik<br />

Am Morgen des 7. Juli 2005 kam es in London während des<br />

Berufsverkehrs innerhalb kürzester Zeit zu insgesamt vier Explosionen,<br />

ausgelöst durch Bombenträger (sogenannte Rucksackbomber) in drei U-<br />

Bahn-Zügen und einem Doppeldeckerbus. Dabei wurden 56 Menschen<br />

(inklusive der vier Selbstmordattentäter) getötet und über 700 teilweise<br />

schwer verletzt. Viele Menschen waren bis zum Nachmittag in den<br />

betroffenen Zügen eingeschlossen. Die Anschläge wurden in den<br />

britischen Medien auch unter der Abkürzung 7/7 genannt, in Anlehnung an<br />

die Terroranschläge vom 11. September 2001, 9/11, in den USA.<br />

Aufgrund der Vorfälle wurden zunächst viele U-Bahn-Stationen evakuiert<br />

und das gesamte Bus- und U-Bahn-Netz stillgelegt. Am Abend wurde der<br />

öffentliche Verkehr teilweise wieder aufgenommen. Das Bankenviertel und<br />

weit über 40 Strassen blieben zeitweise gesperrt. Der Handel an der<br />

Londoner Börse wurde ausgesetzt.<br />

Premierminister Tony Blair verliess<br />

wegen der Anschläge vorübergehend das gleichzeitig stattfindende G-8-<br />

Treffen in Schottland, um sich in London ein Bild der Situation zu machen.<br />

Es ist unklar, ob die Anschläge in Zusammenhang mit dem gleichzeitig<br />

stattfindenden G-8-Gipfel in Gleneagles oder der am Vortrag getroffenen<br />

Entscheidung über London als Austragungsort der Olympischen<br />

Sommerspiele 2012 standen.<br />

Eine angebliche Gruppe namens „Geheime Gruppe von Al-Qaidas<br />

Dschihad in Europa“, die bisher noch nie in Erscheinung getreten war,<br />

hatte sich im Laufe des Vormittags im Internet zu den Anschlägen<br />

bekannt. In der Erklärung hiess es, die Anschläge seien eine Vergeltung<br />

für britische Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak. Die Gruppe drohte<br />

mit weiteren Anschlägen in Dänemark und Italien. Das Bekenntnis war<br />

jedoch nicht auf einer der üblichen Al-Qaida-Webseiten erschienen,<br />

wodurch der Verdacht eines Trittbrettfahrers aufkam. Die Echtheit konnte<br />

bisher nicht richtig überprüft werden. Nachdem es zuerst nicht als<br />

75


gesichert galt, dass es sich bei den Anschlägen um Selbstmordattentate<br />

gehandelt hatte, da die mutmasslichen Täter Parkscheine und<br />

Rückfahrtkarten gekauft und Ausweispapiere bei sich hatten, wurden die<br />

vier mutmasslichen Attentäter auf Videoaufnahmen gefunden. Drei der<br />

vier Täter waren Briten pakistanischen Ursprungs, die aus dem Raum<br />

Leeds stammten. Bei der Durchsuchung ihrer Häuser wurde Sprengstoff<br />

gefunden. Im Bekennervideo klagte einer der Attentäter die britische<br />

Gesellschaft und die Regierung Tony Blair an, unmittelbar verantwortlich<br />

zu sein. Er führte aus, dass seine Terrorgruppe einen regulären Krieg<br />

gegen die demokratische britische Gesellschaft führe, er sei ein Soldat. In<br />

der darauffolgenden Woche fanden zahlreiche Verhaftungen in Pakistan<br />

und Ägypten statt. Am 9. April 2006 veröffentlichte die britische Zeitung<br />

„The Observer“ Schlussfolgerungen aus einem Untersuchungsbericht,<br />

demzufolge man eine Verbindung zu Al-Qaida nicht habe ermitteln<br />

können. Nach den Anschlägen kam es im Land zu verschiedenen<br />

Zwischenfällen, die von der Polizei als mögliche Racheakte interpretiert<br />

wurden. Mehrere Moscheen wurden angegriffen und teilweise mit<br />

Brandsätzen beworfen. Am 13. Juli wurde in Nottingham ein Pakistaner<br />

von einer Gruppe Jugendlicher zu Tode geprügelt.<br />

Nach den Anschlägen vom 7. Juli 2005 wuchs die Sorge in<br />

Grossbritannien und insbesondere in Anti-Rassismus-Kreisen, dass<br />

einzelne Personen und politische Parteien den religiösen Hintergrund der<br />

Bombenleger instrumentalisieren und als Vorwand für rassistische<br />

Übergriffe und Beschimpfungen von Minderheiten, insbesondere britischer<br />

Muslime, nutzen könnten. Dies ist der Hintergrund für den entsprechenden<br />

Bericht des EUMC 37 . Der Bericht bestätigt, dass die Zahl der<br />

glaubensbedingten Hassverbrechen in der Zeit der Anschläge überall im<br />

Vereinigten Königreich zeitweilig in Besorgnis erregendem Ausmass<br />

37 Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Stelle_zur_Beobachtung_von_Rassism<br />

us_und_Fremdenfeindlichkeit<br />

76


wuchs. Auf längere Sicht besteht jedoch Hoffnung: Nachdem<br />

Spitzenpolitiker und Führer von Religionsgemeinschaften die Anschläge<br />

übereinstimmend aufs Schärfste verurteilten und zugleich für die legitimen<br />

Rechte von Muslimen eintraten, ging die Zahl wieder rasch zurück,<br />

insbesondere liessen die Führer muslimischer Glaubensgemeinschaften<br />

Europas keinerlei Sympathie für die Bombenleger erkennen. All diese<br />

Faktoren erwiesen sich als entscheidend für die zurückgehende Zahl von<br />

Übergriffen und Vorurteilen gegenüber Minderheiten und trugen dazu bei,<br />

dass einem zunehmenden Trend zu Angriffen und Anschlägen von Beginn<br />

an den Nährboden entzogen werden kann. Die wahre Prüfung besteht<br />

jedoch darin, diese ersten ermutigenden Reaktionen in langfristige<br />

wirksame Massnahmen münden zu lassen, die sich mit den<br />

grundlegenden Fragen befassen, die in der Zeit nach den Ereignissen in<br />

London aufgeworfen wurden:<br />

Wie können Ausgrenzung und Diskriminierung aus Gründen der Rasse,<br />

ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung bekämpft werden?<br />

Politische Führer und Einrichtungen sowie auch die Medien tragen hier<br />

eine besondere Verantwortung, Antworten auf diese Fragen zu finden. Der<br />

Bericht des EUMC zeigt auf, dass ein<br />

positiver Wandel möglich ist, sofern<br />

eine klare politische Führung, Unterstützung durch die Institutionen und<br />

Bürgergesellschaft und eine besonnene Berichterstattung in den Medien<br />

gewährleistet sind. Solche gemeinsame Anstrengungen sind von<br />

überragender Bedeutung für die Arbeit auf ein gemeinsames Europa, das<br />

seine kulturelle Vielfalt wertschätzt, ohne die damit verbundenen<br />

Herausforderungen zu ignorieren.<br />

Initiativen der Regierung und der muslimischen<br />

Gemeinschaft nach<br />

den Anschlägen<br />

Im Wesentlichen wurden zwei Initiativen zur Erörterung weiterer<br />

Massnahmen gestartet:<br />

77


1. Staatsminister des Innenministeriums trafen sich im Sommer mehrmals<br />

mit Vertretern der muslimischen Gemeinschaften im ganzen Land zu<br />

einem Meinungsaustausch.<br />

2. Der Innenminister veranlasste die Bildung von sieben Arbeitsgruppen,<br />

denen Führer der muslimischen Gemeinde und islamische Gelehrte<br />

sowie Beamte des Innenministers<br />

angehörten und die Vorschläge zur<br />

Stärkung des Zusammenhalts und zur Bekämpfung des<br />

Extremismus<br />

entwickeln sollten.<br />

Ergänzend zum Beratungsprozess<br />

erörterten die sieben von der<br />

Regierung gebildeten Arbeitsgruppen<br />

die folgenden Themen:<br />

• Einbeziehung der Jugend<br />

• Bekämpfung von Extremismus und Radikalisierung<br />

• Unterstützung regionaler und lokaler Initiativen und<br />

Gemeinschaftsaktionen<br />

• Einbeziehung von Frauen<br />

• Schulung und Akkreditierung von Imamen<br />

sowie die Rolle der<br />

Moscheen als Glaubensquelle für die gesamte Gemeinde<br />

• Bereitstellung umfassender Bildungsleistungen im Vereinigten<br />

Königreich, die auf die Erfordernisse der muslimischen Gemeinde<br />

zugeschnitten sind<br />

• Sicherheit, Islamfeindlichkeit, Schutz der Muslime vor Extremismus<br />

und Vertrauen der Gemeinde zur Polizei<br />

Im September 2005 legten die Arbeitsgruppen ihre Vorschläge vor.<br />

Darunter fanden sich auch die folgenden Vorschläge, die vom britischen<br />

Innenminister besonders begrüsst wurden:<br />

• Einrichtung eines nationalen Beirats für Imame und Moscheen:<br />

Dieser soll Moscheen Empfehlungen geben, wie sie verhindern<br />

78


können, von Extremisten instrumentalisiert zu werden; wie sie ihre<br />

Abhängigkeit von Religionsministern aus dem Ausland verringern,<br />

Massstäbe setzen und den Zusammenhalt und die<br />

Führungsfähigkeiten von Imamen verbessern können<br />

• Schaffung eines nationalen Forums gegen Extremismus und<br />

Islamfeindlichkeit: Diese unabhängige Initiative würde ein<br />

regelmässiges Forum für verschiedene Mitglieder der britischen<br />

muslimischen Gemeinde zur Erörterung von Themen und<br />

Zusammenhängen mit der Bekämpfung von Islamfeindlichkeit und<br />

Extremismus schaffen, die sich auf die muslimische Gemeinde<br />

auswirken. Erfahrung und Wissensaustausch könnten sichergestellt<br />

werden.<br />

• Landesweite Roadshow mit einflussreichen, volksnahen<br />

Religionsgelehrten: Darin könnten der westlichen Welt die Lehre<br />

des Islams erklärt und zugleich Extremismus verurteilt werden.<br />

Zugleich kündigte das Innenministerium Beratungen über Vorschläge für<br />

eine Kommission zu Fragen der Integration und Kohäsion an, d.h. ein<br />

beratendes Gremium, das sich auf die Ermittlung und Umsetzung von<br />

Möglichkeiten zur Überwindung der<br />

Integrationsbarrieren und somit zur<br />

Überwindung eines drohenden „homegrown Terrorismus“ konzentriert.<br />

Muslime sollten stolz sein, Britische Staatsbürger zu sein, und sich<br />

integriert fühlen.<br />

Nach den Plänen des Innenministers sollte sich die Kommission mit den<br />

folgenden vier Fragestellungen befassen, welche der so genannten Social<br />

38<br />

Identity Theory Rechnung tragen<br />

38 Quelle : Studie von Dr. Werner Wirth, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung der Universität Zürich, 2005<br />

« Medien, Migration und Kriminalität. Eine Inhaltsanalyse von Schweizer Tageszeitungen,<br />

Juni 2005<br />

79


• Wie kann ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen<br />

werden, das alle Gemeinschaften einschliesst?<br />

• Wie kann ein gemeinsames Bekenntnis zu kulturellen Normen und<br />

•<br />

•<br />

Verhaltensweisen geschaffen werden, insbesondere bei Personen<br />

unterschiedlicher Glaubensrichtungen und kultureller Identitäten?<br />

• Wie können Ungleichheiten,<br />

die Menschen unter Umständen an<br />

den Rand der Gesellschaften drängen, entschlossener bekämpft<br />

werden?<br />

Wie können Gemeinschaften, die ein abgeschottetes Leben führen,<br />

dazu ermutigt und ermuntert werden, sich in der Gesellschaft<br />

umfassender zu engagieren?<br />

Ein Bestandteil der Strategie als Beantwortung der Fragen ist der<br />

Fonds „Faith Communities Capacity Building Fund“. Mit insgesamt<br />

5 Mio. £, die in diesem Sektor investiert werden, verfolgt der Fonds<br />

das Ziel, das staatsbürgerliche Engagement innerhalb von<br />

Glaubensgemeinschaften und die Beziehungen zwischen den<br />

Glaubensgemeinschaften zu verbessern. Besondere Priorität<br />

erhalten Projekte für den Kompetenzaufbau von Jugendlichen und<br />

Frauen innerhalb der Glaubensgemeinschaften; eine weitere<br />

Priorität gilt Projekten, die in den 88 am stärksten benachteiligten<br />

Gebieten und in den 50 Gebieten mit der grössten Glaubensvielfalt<br />

durchgeführt werden 39 .<br />

Insgesamt kann gesagt werden, dass Grossbritannien eine Strategie der<br />

Integration und Prävention verfolgt, die mit Recht als „Comprehensive<br />

Approach“ bezeichnet werde kann. Im Kampf gegen Terrorismus wählt die<br />

Regierung den Ansatz der<br />

so genannten 4P’s: Persue, Protect, Prevent,<br />

Prepare, wobei der Prävention das grösste Gewicht beigemessen wird.<br />

39 Quelle: http://communities.homeoffice.gov.uk/raceandfaith<br />

80


Genannt werden Prävention gegen Radikalisierung, Prävention gegen<br />

mangelnde Identität, Prävention gegen Armut, und Prävention gegen<br />

mangelnde politische Einbindung und gegen Arbeitslosigkeit.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Die Erkenntnis, dass so genannter „homegrown terrorism“ vor allem bei<br />

der zweiten Generation muslimisch Gläubiger, also bereits eingebürgerter<br />

ehemaliger Migranten im Sinne der Prävention in Angriff genommen<br />

werden muss, prägt die Antiterror-Massnahmen Grossbritanniens und ihre<br />

Migrationspolitik. Der Einbezug der Jugend, Gemeinschaftsaktionen,<br />

Einbezug von Frauen, die Schulung und Akkreditierung und die<br />

Bereitstellung umfassender Bildungsleistungen sowie der Schutz der<br />

Muslime vor Extremismus sind dabei tragende Säulen. Wie Deutschland<br />

setzt<br />

aber auch Grossbritannien zudem stark auf die internationale<br />

Zusammenarbeit und in diesem Sinne auf die Stärkung so genannter<br />

„failing states“, die Demokratisierung sowie die Förderung der<br />

Rechtsstaatlichkeit gefährdeter Länder. Sicherheit Dank Kooperation mit<br />

der globalen Welt zeigen sich in ihrem militärischen Ansatz, im<br />

Engagement in Krisenherden und der Friedensförderung.<br />

2.3.1.3. Schnittstelle Terrorismus, am Beispiel Spanien<br />

Die Bombenexplosion,<br />

die am Morgen des 11. März 2004 in der Zeit von<br />

7:35 Uhr und 7:55 Uhr von zehn islamistischen Terroristen in eng<br />

besetzten Madrider Vorortzügen ausgelöst wurden, forderten 191 Tote<br />

und etwa 1500 Verletzte. Der dramatische Terrorakt vom 11. März 2004<br />

ist jedoch gemäss Experten nicht direkt auf die mit der spanischen<br />

Migrationspolitik vor den Anschlägen damals bestehenden Probleme<br />

zurückzuführen.<br />

Die dafür verantwortlichen islamistischen Terroristen stammten nicht aus<br />

Kreisen der in Spanien lebenden Migranten, also nicht aus Kreisen bereits<br />

in Spanien wohnhafter Muslime, sondern insbesondere aus Marokko. 3<br />

81


Tage vor der Wiederwahl des amtierenden rechtsbürgerlichen<br />

Staatspräsidenten José Maria Aznar der Partido Popular, wurde das Land<br />

durch den Terrorakt schwer erschüttert und der Anschlag wurde als<br />

symbolischer Akt gegen die politische Unterstützung Aznars zugunsten<br />

des Irak-Kriegs gewertet. Die Informationspolitik nach den verheerenden<br />

Madrider Anschlägen wurde durch die amtierende Regierung von<br />

vornherein einseitig auf die baskische Untergrundorganisation ETA<br />

gelenkt. Die sozialistische Arbeiterpartei PSOE wertete Aznars vorschnelle<br />

Schuldzuweisung als gezielte Lüge, um angesichts der Unterstützung der<br />

USA im Irakkrieg einer drohenden Abstrafung bei der Wahl am 14. März<br />

zu entgehen. Aznars konsequenter Kurs an Seite des amerikanischen<br />

Präsidenten Bush war von grossen Teilen der spanischen Bevölkerung<br />

abgelehnt worden. Experten sind sich einig, dass der brutale Vorfall den<br />

amtierenden Präsidenten zu Fall brachte und der Linken bei den Wahlen<br />

Vorschub leistete, die seither das Land unter José Louis Zapatero (PSOE)<br />

regieren.<br />

Bis auf den Versuch der linken Regierung, mittels einer Politik der „offenen<br />

Türe“ und der darin eingeschlossenen Regulierung des Aufenthalts von<br />

illegalen Migranten weiteren islamistischen Terror zu bekämpfen,<br />

scheinen die Anschläge von Madrid keine weiteren direkten Auswirkungen<br />

auf die Sicherheitspolitik gehabt zu haben.<br />

Das Ereignis und seine Auswirkungen auf die Migrationspolitik<br />

Bis 1960 war Spanien vor allem ein Land der Emigration (unter Emigration<br />

versteht man das Auswandern aus der eigenen Heimat). Erst 1995,<br />

nachdem ein grosser Immobilienboom und so genanntes „fast<br />

money/schnelles Geld“ einsetzte, war das Land neu auf Arbeitskräfte<br />

durch Zuwanderung/Migration angewiesen. In nur 6 Jahren wuchs die<br />

Bevölkerung aufgrund starker Arbeitskräftenachfrage von 40 Millionen<br />

Einwohnern auf 46 Millionen. Insbesondere spanisch sprechende<br />

Migranten, vor allem aus Lateinamerika und vor allem aus Ecuador<br />

82


lieferten in ihre Herkunftsländer rund 12% des BIP’s (Beispiel Ecuador).<br />

Viele Migranten stammten auch aus den Maghreb-Staaten; insgesamt<br />

wanderten über 2 Millionen Muslime ein, und interreligiöse Probleme<br />

begannen relativ rasch ein Gesicht zu bekommen. Vor allem im Süden<br />

nahmen Konflikte rasant zu. Der Crash in der Region von Salt, wo 43 %<br />

der Bewohner heute muslimischen Hintergrunds sind, dokumentiert die<br />

Situation der eigentlicher Ghettos, die aber auch in Grossstädten wie<br />

Barcelona und Madrid Realität sind. Die Ghettobildung und die damit<br />

einhergehende Kriminalität zählen zu den eigentlichen grossen<br />

Herausforderungen der spanischen Migration seit 1995. Auch illegale<br />

Einwanderer stellen in Spanien eine sehr grosse Herausforderung dar.<br />

Ganz offensichtlich gelang es zudem wenig bis gar nicht, Integration<br />

zufriedenstellend zu verwirklichen.<br />

Die Amtszeit von José Louis Zapatero (PSOE) ist geprägt von einer<br />

starken Polarisierung der spanischen Innenpolitik durch<br />

Auseinandersetzungen mit der grössten Oppositionspartei PP und einigen<br />

gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere der katholischen Kirche. Die<br />

Linke Spaniens hat als Folge der Terroranschläge der Islamischen<br />

Kampfgruppe Marokkos, Al-Quaida und als Lösungsansatz im Kampf<br />

gegen islamistischen Terror im Migrationsbereich eine Politik der „offenen<br />

Türen“ propagiert und umgesetzt. Insbesondere wurden rund 700‘000<br />

irreguläre Migranten regularisiert. Ganz offensichtlich glaubte man daran,<br />

mit einer entgegenkommenden, migrationsfreundlichen Politik die<br />

Gefahren weiterer Terrorakte und muslimischer Unruhen in Spanien<br />

selber entgegen treten zu können.<br />

Erst seit der Wirtschaftskrise, ab 2006, wurde die Politik geändert und im<br />

Bezug auf Ausländer- und Asylrecht verschärft verfahren, nachdem man<br />

festgestellt hatte, dass die Gefängnisse Spaniens mit kriminellen<br />

Migranten überfüllt waren. Die grösste Gruppe unter den in Spanien<br />

lebenden Ausländern sind die Marokkaner mit etwa 600‘000, gefolgt von<br />

83


Ecuadorianern, 400‘000. Aus den nordafrikanischen Ländern kommen fast<br />

ausschliesslich Männer aus ländlichen Gebieten. Unter den Marokkanern<br />

ist die Kriminalitätsrate höher als bei den Iberoamerikanern. Hingegen<br />

sind jugendliche Schlägerbanden in Grossstädten ein gravierendes<br />

Problem, bei welchem auch die Südamerikaner eine wesentliche Rolle<br />

spielen. Rumänische Kinder üben sich zudem im Strassendiebstahl und<br />

haben die einheimischen Bettler schon fast alle von den in diesem<br />

Wirtschaftszweig üblichen Arbeitsplätzen verdrängt. Madrid hat in diesem<br />

Zusammenhang die Regierungen Ungarns, Österreichs und Italiens<br />

ersucht, ihre Grenzen besser zu kontrollieren. Spanien hält sich streng an<br />

Schengen. An Quoten und Einladungen besonderer Berufsgruppen hat<br />

man trotz der Probleme noch nicht gedacht. Man weiss in Madrid<br />

allerdings, dass viele Afrikaner über die Pyrenäen-Grenze nach Norden<br />

ziehen, auch wenn das den Franzosen nicht passt. In Spanien wächst<br />

derzeit die Angst in der Bevölkerung vor unkontrollierter Zuwanderung,<br />

insbesondere an den spanischen Aussengrenzen.<br />

Interessant ist, dass die Linke nach wie vor Integrationsprobleme schön<br />

redet und wenig auf die wachsende Ausländerarmut eingeht: Nachdem<br />

die Hälfte der in Spanien lebenden Ausländer aus dem spanisch<br />

sprechenden Amerika stammen, gelingt aufgrund ähnlichem kulturellem<br />

Hintergrund und gleicher Sprache die Integration gemäss der amtierenden<br />

Regierung gut. Sie erhalten ziemlich schnell die spanische<br />

Staatsbürgerschaft und alle Rechte der in Spanien geborenen Personen.<br />

Die anhaltenden Flüchtlingsströme aus den Subsahara-Staaten Afrikas<br />

überfordern das Land jedoch immer mehr. Der Ruf nach einem erhöhten<br />

„Burden Sharing“ der EU-Länder (gemeinsames Tragen der Lasten)<br />

betreffend Flüchtlingsströme wird lauter und stellt auch für die<br />

Europäische Union Herausforderungen dar, die letztlich nur gemeinsam<br />

und vernetzt gemeistert werden können. In diesem Zusammenhang muss<br />

daran erinnert werden, dass allein von rund 40 Staaten der Subsahara<br />

84


sich zurzeit rund 26 in bewaffneten Konflikten befinden. Sogenannte<br />

„failing states“, mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Korruption aber auch die<br />

Klimaproblematik weisen den schwierigen Weg der Zukunft: Es kann nicht<br />

damit gerechnet werden,<br />

dass die Flüchtlingsproblematik künftig<br />

abnehmen wird. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die<br />

Probleme zunehmen werden. Der Ruf nach einer kohärenten<br />

europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik und vernetzten<br />

Entwicklungshilfemassnahmen wird lauter. Das Thema steht denn auch in<br />

den allermeisten Ländern zuoberst auf der Traktandenliste.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Die Bombenexplosion vom 11. März 2004 hat Spanien massiv erschüttert.<br />

Allerdings durchlebte das Land bereits seit Jahrzehnten Terroranschläge<br />

aufgrund eigener, innerer Konflikte und verfügte in diesem Sinne über eine<br />

gewisse „Katastrophenerfahrung“. Auch illegale Einwanderung und<br />

Ghettobildung mit der einhergehenden Kriminalität zählen zu den<br />

aktuellen, eigentlichen grossen Herausforderungen des Landes. Bis heute<br />

gelang es wenig bis gar nicht, Integration zufriedenstellend herzustellen.<br />

Erst seit der Wirtschaftskrise ab 2006 wurde der Versuch, irreguläre<br />

Migranten dank Regularisierung zu integrieren, gestoppt.<br />

Jugendliche<br />

Schlägerbanden<br />

z.B., stellen auch heute noch eine grosse<br />

Herausforderung dar. In Spanien wächst die Angst der Bevölkerung<br />

vor<br />

unkontrollierter Zuwanderung.<br />

Anhaltende Flüchtlingsströme aus den<br />

Subsahara-Staaten Afrikas überfordern die Regierung immer mehr. Eine<br />

kohärente, Sicherheitspolitik, wie es die Beispiele Deutschland und<br />

Grossbritannien zeigen, ist in Spanien nicht festzumachen.<br />

2.3.1.4. Schnittstelle Terrorismus, respektive innere Sicherheit<br />

am Beispiel Italien<br />

Am 30. Oktober 2007 schockierte der brutale Sexualmord, verübt durch<br />

einen 24-jährigen rumänischen Roma, der den Mord zuerst bestritt, an<br />

einer 47-jährigen Soldatengattin, Giovanna Reggiani, in der Nähe eines<br />

85


von rumänischen Flüchtlingen bewohnten Lagers in der römischen<br />

Vorstadt Tor di Quinto nicht nur Italien sondern auch Rumänien. Der<br />

Ehemann des Opfers war Chef der Antiminen-Einheit der italienischen<br />

Marine. Der Fall erlangte Brisanz, weil er die heftigen, momentan nicht nur<br />

in Italien, sondern in ganz Europa geführten, öffentlichen Debatten über<br />

den Status von Flüchtlingen und legalen Ausländern weiter anheizte.<br />

Manche Italiener reagierten mit hasserfüllter Gewalt: Nach dem Tod<br />

Reggianis wurden in Rom drei Rumänen überfallen und mit Schlagstöcken<br />

verprügelt. Die Politik beeilte sich zu betonen, dass das Problem der<br />

illegalen Migration geregelt werden müsse. Der italienische Präsident<br />

Giorgio Napolitano hatte unverzüglich ein Dekret unterzeichnet, das die<br />

sofortige Ausweisung straffälliger EU-Bürger vorsah. Das Argument dieser<br />

Sofortmassnahme seitens der Regierung war, dass nur mit harten<br />

politischen Massnahmen gegen ausländische Straftäter die Ruhe in Italien<br />

gewahrt und Selbstjustiz verhindert werden könne. Italiens Regierung<br />

erinnerte an die gesetzlichen Verschärfungen nach den Anschlägen in<br />

Madrid und argumentierte mit Vergleichen, die faktisch schwer zu<br />

verteidigen waren, in der Bevölkerung aber ankamen und die drastische<br />

Ausländerstrategie zu rechtfertigen suchten. Die Argumentationslinie<br />

verlief dahingehend, dass erstens viel mehr zu befürchten sei, als einzelne<br />

Gewalttaten (in Anspielung an islamischen Terrorismus), und dass<br />

zweitens die Ausschaffung einzelner Individuen die allgemeine innere<br />

Sicherheit verstärke. Die rumänische Regierung ihrerseits willigte ein, eng<br />

mit Italien zusammenarbeiten. Übergriffe auf Migranten scheinen in Italien<br />

eine Art „Nebenbeschäftigung“ für Jugendliche zu werden und die heutige<br />

politische Rechte (Lega Nord) äussert sich öffentlich und rassistisch über<br />

Muslime. Der Lega Nord-Bürgermeister scheute sich beispielsweise nicht,<br />

Muslime öffentlich aufzufordern, in „ihre eigenen Moscheen zu pinkeln“<br />

(September 2008). Seine Äusserungen begründete er damit, dass der Bau<br />

von Moscheen ein „nationales Problem“ darstelle. In diesem<br />

86


Zusammenhang darf an die vom Schweizer Volk mit grosser Mehrheit<br />

angenommene Anti-Minarett-Initiative erinnert werden.<br />

Heute leben schätzungsweise 550‘000 Rumänen in Italien, viele von ihnen<br />

gehören der Volksgruppe der Sinti und Roma an. Seit Rumänien am 1.<br />

Januar 2007 der EU beigetreten ist, hat die Zahl der Rumänen in Italien<br />

drastisch zugenommen. Einige italienische und rumänische Politiker,<br />

erpicht darauf, rasche und rigorose Lösungen durchzusetzen, gaben<br />

skandalöse Stellungnahmen ab, die an die fremdenfeindlichen und<br />

totalitären Slogans der Vergangenheit erinnerten. Eine groteske Art und<br />

Weise des neuen „Nationalstolzes der Italiener“ konnte wahrgenommen<br />

werden. Verärgerte Stimmen über die EU-Erweiterung wurden in Italien<br />

lauter und die dadurch entstehenden Spannungen nahmen zu.<br />

Tatsächlich ist die stärkere Migration ein alltägliches Faktum einer<br />

zentrifugalen und globalen Modernität geworden. Nebst<br />

sicherheitspolitischen Bedenken äussern sich italienische Politiker<br />

dahingehend, dass wachsende Zuwanderung auch eine kulturelle<br />

Herausforderung darstelle, die Diskussion um politische Rechte,<br />

insbesondere rund um Asylrecht und Menschenrechte gesamteuropäisch<br />

geführt werden müssten. Ein unkontrollierter Zuwachs an Ausländern<br />

bedrohe zudem das Sozialsystem Italiens, dessen Sicherung längst auch<br />

für Bürgerinnen und Bürger Italiens zu den täglichen politischen<br />

Fragezeichen und zum besorgten Diskurs gehöre. Illegale Einwanderung<br />

stützt Schwarzarbeit, welche dem Land Steuern und Sozialleistungen<br />

entzieht. Nicht nur in Privathaushalten, auch im Gastgewerbe und in<br />

Gewerbeunternehmen der Industrie sowie in der Betreuung alter<br />

Menschen stellt die Schwarzarbeit ein wachsendes Problem Italiens dar.<br />

Lohndumping aufgrund Schwarzarbeit findet insbesondere in jenen Jobs<br />

statt, die von Italienern nicht ausgeführt werden wollen.<br />

Anders als in der Schweiz wird das Dekret von Romano Prodi, dass selbst<br />

EU-Bürger innert kürzester Zeit ausgeschafft werden können, in Italien<br />

87


selbst von Linken unterstützt. Die „Vertreibung“ kann praktisch sofort<br />

vollstreckt werden, und es gibt kein Recht auf einen Rechtsbehelf<br />

innerhalb des Landes. Was erstaunt ist, dass die schweizerische Presse<br />

wenig bis nichts über die Gesetzesänderungen Italiens berichtet hatte. Der<br />

UN-Ausschuss gegen Folter hat sich kürzlich besorgt über „die sofortige<br />

Vollziehung der italienischen Ausweisungsverfügungen ohne gerichtliche<br />

Überprüfung“ ausgedrückt.<br />

Das Ereignis und seine Auswirkungen auf die Migrationspolitik<br />

Historisch zählte Italien zu den Auswanderungsländern. Erst nach der<br />

Ölkrise 1973 und den gleichzeitig restriktiveren Aufnahmebedingungen in<br />

traditionellen Einwanderungsländern Europas wird Italiens Migrationssaldo<br />

positiv. Damals traf die Zuwanderung auf eine Politik der offenen Türen.<br />

Kriminelle Mafia-Organisationen und Italien interner Terrorismus der Roten<br />

Brigaden prägte das Land<br />

seit jeher weitaus mehr als Migrationsfragen.<br />

Das erste Ausländergesetz des Landes wurde denn auch erst 1986<br />

verabschiedet, als Einwanderung noch nicht als Problem angesehen<br />

wurde. Daher beschränkte sich das Gesetz grundsätzlich auf die<br />

Regelung der Arbeitsbedingungen und den Zugang zum Arbeitsmarkt.<br />

Es<br />

folgten weitere Gesetze:<br />

• 1990 das Zuwanderungsgesetz Nr. 39 als eigentliche<br />

Legalisierungskampagne<br />

• 1995 eine weitere Legalisierungskampagne per „DINI-Dekret“<br />

• 1998 das Zuwanderungsgesetz Nr. 40, „Turco-Napolitano“<br />

• 2002 das Zuwanderungsgesetz Nr. 189, die fünfte<br />

Legalisierungskampagne, „Bossi-Fini“<br />

Heute besteht die Praxis der Gesetzeserlassung per Rundschreiben, die<br />

alle darauf abzielen, die illegale Einwanderung einzuschränken und die<br />

illegale Einwanderung wirksamer zu bekämpfen. Italien ist besonders in<br />

den Küstenregionen Ziel von<br />

so genannten Flüchtlingsbooten. Im 1998er<br />

88


Gesetz wurden u. a. das System der jährlichen Einreisequoten für<br />

ausländische Arbeitnehmer und die Abschiebehaft für Ausreisepflichtige<br />

eingeführt. Interessant sind Aussagen der Caritas, die angibt, dass<br />

quantitativ ca. 650‘000 Zuwanderer mehr zu verzeichnen seien, als<br />

offizielle Quellen angeben.<br />

Offizielle Schätzungen besagen, dass in Italien rund 2,5 Millionen<br />

Ausländer leben, inklusive derjenigen, die sich illegal im Land aufhalten,<br />

bzw. auf die Entscheidung über ihren Legalisierungsantrag warten (vergl.<br />

MuB 9/02). Italien hat somit einen Ausländeranteil von 4,2 %, der EU-<br />

Durchschnitt liegt bei rund 5 %. Die meisten Ausländer mit legalem<br />

Aufenthaltsstatus kommen aus Marokko, Albanien, von den Philippinen<br />

und aus Tunesien. Stark vertreten sind auch Rumänien (Roma), China,<br />

Senegal, Sri Lanka und Ex-Jugoslawien,<br />

wobei in der Zwischenzeit die<br />

Rumänen zur grössten Ausländergruppe in Italien geworden sind. Eine<br />

besondere Herausforderung stellt der Anteil Romas dar, welcher zu<br />

eigentlichen Hetzkampagnen führte.<br />

„Verlässliche“ Aussagen zur Charakteristik der Zuwanderung in Italien<br />

beschreiben diese wie folgt 40 :<br />

• Einwanderung konzentriert sich im Norden wegen Arbeitsplatzangebot<br />

• Einwanderung findet<br />

hauptsächlich aufgrund Arbeitssuche statt<br />

• Die Zugewanderten befinden sich vorwiegend im arbeitsfähigen Alter<br />

• Eine wachsende Anzahl an Aufenthaltsgenehmigungen aus familiären<br />

Gründen und ein steigender Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund<br />

in Italiens Schulen zeigen Stabilisierungstendenzen, v. a. in<br />

Emilia-Romagna<br />

• Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika stellen eine der grossen<br />

Herausforderungen dar<br />

40 Quelle: efms, european forum for migration studies<br />

89


• Die Roma-Problematik führt zu Rassismus und sogar zu Selbstjustiz.<br />

Mit dem Gesetz, das im September 2002 in Kraft trat (vergl. MuB 6/02 41 ),<br />

wurden verschiedene Neuerungen wirksam: Die Erteilung einer<br />

Aufenthaltsbewilligung zwecks Arbeitssuche wurde abgeschafft, die<br />

jährlichen Einreisequoten wurden auf Staatsbürger von Ländern<br />

beschränkt, mit denen Rückübernahmeabkommen bzw.<br />

Kooperationsabkommen bestehen. Ferner wurde die Durchsetzung der<br />

Ausreispflicht verschärft, die maximale Dauer der Abschiebehaft von 30<br />

auf 60 Tage verlängert und die obligatorische Abnahme von<br />

Fingerabdrücken für alle Ausländer eingeführt, die eine<br />

Aufenthaltsbewilligung bzw. deren Verlängerung beantragten. Heute ist<br />

eine legale Einwanderung zum Zweck der Arbeitsaufnahme nur noch<br />

möglich, wenn für Ausländer schon vor der Einreise ein konkretes<br />

Stellenangebot im Rahmen der von der Regierung festgelegten<br />

Einreisequoten vorliegt. Die drei Säulen der heutigen italienischen<br />

Migrationspolitik beinhalten:<br />

1. Staatliche Steuerung der Zuwanderung (Quotenregelung)<br />

2. Bekämpfung illegaler Migration<br />

3. Förderung der Integration ansässiger Zuwanderung<br />

Italien kann illegalen Einwanderern auch nicht mehr mit Amnestien<br />

die<br />

Aufenthaltsbewilligung erteilen.<br />

Die EU hat sich klar gegen Amnestien<br />

ausgesprochen, weil damit keine Probleme gelöst werden. Amnestien<br />

bewirken eine Sogwirkung für andere illegale Zuwanderer 42 .<br />

Fazit und Gewichtung<br />

41 Migration-Info.de; Migration und Bevölkerung Newsletter; ein Projekt des Netzwerks<br />

Migration in Europa, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Hamburgischen<br />

WeltWirtschaftsinstituts, Ausgabe 6 in 2002<br />

42 siehe gleiche Problematik nachstehend bezüglich Spaniens, Abschnitt 2.3.1.3.<br />

90


Wie Spanien hat auch Italien aufgrund innerpolitischer Konflikte<br />

langjährige Erfahrung mit Terroranschlägen. Die Roten Brigaden prägten<br />

das Land weit mehr als Migrationsfragen. Wie Spanien war auch Italien<br />

lange mehr Aus- als Einwanderungsland. Das erste Ausländergesetz<br />

entstand erst 1986. Und wie Spanien hat auch Italien heute mit der<br />

Flüchtlingsproblematik der Subsahara- Afrika-Staaten zu kämpfen. Die<br />

Roma-Problematik schürt zudem eigentlichen Rassenhass bei<br />

Einheimischen, und die italienische Regierung hat erkannt, dass<br />

Integration<br />

ansässiger Zugewanderter und die Bekämpfung illegaler<br />

Migration prioritär sind. Die innere Sicherheit wurde auch in Italien<br />

aufgrund einer zu langen und zu unklaren Migrationspolitik stark<br />

beeinträchtigt.<br />

2.3.1.5. Zusammenfassung und Vergleich im Bereich<br />

Sicherheitspolitik<br />

Bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden<br />

weltweit in demokratischen Staaten Anti-Terrorismusgesetze mit dem Ziel<br />

erlassen, sich gegen ähnliche Ereignisse auf eigenem Territorium zu<br />

schützen. Beschränkungen der individuellen Versammlungs-, Religions-,<br />

und Redefreiheit sowie des Schutzes der Privatsphäre liessen in der<br />

Öffentlichkeit schon bald den Verdacht aufkommen, dass Regierungen die<br />

angsterfüllte Stimmung unter den Bürgern ausnutzten, um übermässig<br />

autoritäre Gesetze einzuführen. Während Regierungen die Massnahmen<br />

als notwendiges Mittel rechtfertigten, um staatliche Fähigkeiten im Bereich<br />

Anti-Terrorismus und Sicherheit auszubauen, sahen<br />

Menschenrechtsorganisationen in den Gesetzen eine gefährliche<br />

Einschränkung des Schutzes der Menschenrechte.<br />

Untersuchungen zu<br />

diesen zwei entgegen gesetzten Gesichtspunkten wurden bislang nur sehr<br />

begrenzt vorgenommen, so dass sich weiterhin die Frage stellt, welches<br />

Gleichgewicht zwischen Sicherheit und demokratischer Freiheit mit diesen<br />

Gesetzen tatsächlich erreicht worden ist.<br />

91


Vergleichende Analysen der Gesetzgebungen in Frankreich, Deutschland<br />

und Grossbritannien zeigen, dass Grossbritannien härter durchgegriffen<br />

hat als vergleichbare Staaten, werden die drei Länder hinsichtlich ihrer<br />

Auswirkungen auf acht Kategorien von Freiheitsrechten (Privatsphäre und<br />

informationelle Selbstbestimmung, Personenfreiheit, Freie<br />

Meinungsäusserung, privates Eigentum, Bewegungsfreiheit (Asyl und<br />

Immigration), Zuständigkeit der Geheimdienste, persönliche Identifikation<br />

und Anderem) miteinander verglichen und es werden einige<br />

Schlussfolgerungen möglich, um die bestehenden Unterschiede zwischen<br />

den Ländern zu erklären. Nachdem Spanien und Italien mehr einen<br />

„internen Terrorismus“ erlebten, konkretisiert die Autorin der Master Thesis<br />

insbesondere Deutschland und Grossbritannien. Aufgrund der besonderen<br />

liberalen Werte Frankreichs wurden aber auch diesem Lande<br />

Überlegungen gewidmet.<br />

Trotz der unvermeidlichen Unterschiede, wenn Systeme des Zivilrechts<br />

mit denen des Gewohnheitsrechts verglichen werden, sind die drei<br />

ausgewählten Länder in drei Aspekten ausreichend ähnlich, um ihre<br />

Auswahl für diese Untersuchung nahe zu legen:<br />

1. Ihre Gesetze haben sich aus einem bewährten politischen Konsens<br />

liberaler und demokratischer Überlieferungen entwickelt, welche das<br />

Individuum vor ungerechtfertigter Einmischung durch den Staat<br />

schützen. Grosse Denker aller drei Länder (Deutschland: Althuisius<br />

und Kant, Frankreich: Voltaire, Diderot und Rousseau,<br />

Grossbritannien: Locke, Paine und Mill) errichteten ihre Theorien auf<br />

dem Grundsatz der Dualität von Subjekt<br />

und Objekt, vom Individuum<br />

als Gegensatz zu Staat und Gesellschaft. Sie trugen massgeblich zur<br />

Einbeziehung von Idealen wie Rede- und Pressefreiheit in die<br />

jeweiligen nationalen Rechtstexte bei.<br />

2. Alle drei Staaten hatten ihren jeweiligen Anteil an der Planung und<br />

Ausführung der Anschläge 9/11, wodurch ähnliche Sorgen über<br />

92


Europas, Brutstätte für religiösen Extremismus, Aufstände<br />

eingewanderter Jugendlicher in Vorstätten; D: Mohammed Atta von<br />

1992 - 1999 in Deutschland lebend, studierte an der Universität<br />

Hamburg).<br />

3. Die dritte Ähnlichkeit zwischen den drei Staaten war, dass sie es als<br />

einzige europäische Staaten unter die ersten fünf (nebst Kanada und<br />

den USA) in eine „Schand-Liste“ brachten, welche von mehreren<br />

nichtstaatlichen, dem Schutz von Menschenrechten verpflichteten<br />

Organisationen veröffentlicht wurden.<br />

Vergleich der Auswirkungen auf die bürgerlichen Freiheiten<br />

In der Zeit unmittelbar nach den Anschlägen war die plötzliche und<br />

umtriebige Geschäftigkeit staatlicher Stellen in den drei Ländern nicht nur<br />

auf Polizeiuntersuchungen beschränkt. Die Legislative – alarmiert durch<br />

die Möglichkeit weiterer, unmittelbar folgender Angriffe auf ihre eigenen<br />

Territorien und bedrängt durch ungeduldige Exekutiven – vergeudete<br />

keine Zeit, die als notwendig erachteten Änderungen in ihre nationalen<br />

Gesetze einzubringen. Ein bemerkenswerter Aspekt dieser Gesetze ist<br />

zweifelsohne die Geschwindigkeit, mit der sie durch die nationalen<br />

Gesetzgebungsvorlagen, welche die Einschränkung<br />

bürgerlicher<br />

Freiheiten mit sich bringen konnten,<br />

ohne jahrelange Verhandlungen<br />

zwischen verschiedenen Interessensgruppen,<br />

politischen Parteien und<br />

Fachausschüssen durchgeboxt<br />

werden konnten.<br />

93


Fazit und Gewichtung<br />

Grossbritanien<br />

• Grosse Besorgnis, stärkste Einschränkung der Grundfreiheiten<br />

• Besondere Beziehung zu den USA<br />

• Ihre Vergangenheit und fortgesetzte Unterstützung für die<br />

amerikanischen militärischen<br />

Operationen in der arabischen Welt<br />

• Ihre kulturelle und rechtliche Verwandtschaft, welche im Vergleich zu<br />

Frankreich und Deutschland, besonders empfindlich als Ziel für weitere<br />

Terroranschläge machte<br />

• GB Geschichte und Erfahrungen mit Terrorismus, durch den<br />

territorialen Streit über Nordirland (nahtlose und erweiterte Fortsetzung<br />

der Anti-Terror-Massnahmen)<br />

• Grundsatz der Parlamentarischen Souveränität, nur schwacher<br />

Einfluss der Justiz<br />

(Jahr 2000, Human Rights Act, Europäische<br />

Menschenrechtskonvention erstmals verankert)<br />

• Fehlen einer schriftlichen Verfassung zwecks formalisierter Kontrolle<br />

der Exekutive.<br />

Deutschland<br />

• Besorgt<br />

• Deutsche Geschichte, vier Jahrzehnte „Halbherrscherstatus“, eher<br />

neutrales und<br />

nicht-militärisches Engagement in auswärtigen<br />

Angelegenheiten<br />

• Grosser Anteil der türkischen Staatsangehörigen unter der deutschen<br />

Bevölkerung<br />

94


• Liberalstes Asyl Gesetz auf dem Kontinent, welches dazu führte, dass<br />

das Recht restriktiver zu verfassen um zu verhindern, dass<br />

Ressentiments nicht auf Deutschland überschwappten<br />

• Parlamentarische Souveränität als wesentlich eingeschränkteres<br />

Prinzip (Verfassungsgericht)<br />

• Verfügt über eine schriftliche Verfassung seit 1949.<br />

Frankreich<br />

• Wenig besorgt<br />

• Frankreichs Geschichte gegenüber USA seit dem Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs<br />

• Opponent gegen das hegemonistische Bestreben der USA in<br />

politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen, inkl. NATO<br />

Kommando und Führungsstrukturen<br />

• Verschiedene Handelsstreitigkeiten (WTO) zwischen Frankreich<br />

und den USA<br />

• Beherbergt mehr als ein Drittel der muslimischen Bevölkerung<br />

Europas (kontraproduktive Folgen bezüglich Antiimmigration und<br />

Anti-Asylpolitik)<br />

• Parlamentarische Souveränität ein wesentlich eingeschränktes<br />

Prinzip (Verfassungsrat)<br />

• Verfügt über eine schriftliche Verfassung seit 1958<br />

95


Gesetz der<br />

gesetzgebenden Gewalt<br />

vorgelegt<br />

Gesetz durch gesetzgebende<br />

Gewalt gebilligt<br />

Frankreich Deutschland Grossbritannien<br />

16.10.2001 15.11.2001 12.11.2001<br />

31.10.2001 20.12.2001 13.12.2001<br />

Gesetz ausser Kraft treten 31.12.2003 11.01.2007 bis heute<br />

Privacy X X unbeschränkt<br />

Freedom of the Person X - X<br />

Freedom of Expression - - X<br />

Private Property - - X<br />

Freedom of Movement - X X<br />

Jurisdiction of Secret<br />

Services<br />

- X X<br />

Personal Identification - X -<br />

Miscellaneous X X X<br />

Tabelle 4: Übersicht der Gesetzessituation der gesetzgebenden<br />

Gewalt in Frankreich, Deutschland und Grossbritannien<br />

96


3. Der Rahmen Schweiz<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 3<br />

Den Rahmen Schweiz unterteilt die Verfasserin im Wesentlichen in die<br />

Unterkapitel „Migration und Fakten Schweiz“ (3.1.), „Sicherheit und Fakten<br />

Schweiz“ (3.2.) sowie die „Schnittstellen zwischen der Migration und der<br />

Sicherheit in der Schweiz“ (3.3.). Sie zieht im Unterkapitel „Fazit Schweiz“<br />

(3.4.) ein entsprechendes Fazit aus ihrer Sicht.<br />

Ausführlich wird dabei zuerst die Migrationspolitik in den Bereichen<br />

Wahrnehmung der Öffentlichkeit (3.1.1.) beschrieben und der<br />

Ausländerkriminalität besonderes Augenmerk gewidmet (3.1.2.). Auch die<br />

Rolle der Medien (3.1.2.1.) und verschiedene Kriminalitätstheorien werden<br />

beschrieben (3.1.2.2.). Demografische Fakten (3.1.3), Zulassungspolitik<br />

(3.1.4.) und neue Zuwanderung (3.1.4.3.) zeigen den Rahmen der<br />

Schweizer Migrationspolitik ebenfalls erklärend auf.<br />

Sechs sicherheitspolitische Faktoren (Armee, Nachrichtendienst,<br />

Neutralitätspolitik, innere Sicherheit, Verträge mit der EU und Diplomatie)<br />

werden unter Kapitel 3.2.1. bis 3.2.6. beschrieben. Am Ende der einzelnen<br />

Unterkapitel werden Fazits gezogen und Gewichtungen vorgenommen.<br />

Schliesslich werden unter Kapitel 3.3. die diversen Schnittstellen der<br />

Migration zur Sicherheitspolitik beschrieben. Dabei wird das Augenmerk<br />

auf vier, bzw. fünf relevante Schnittstellen gerichtet und zwar in den<br />

Unterkapiteln 3.3.1. bis 3.3.4. Die Verfasserin der Masterarbeit erachtet<br />

die Themenblöcke „Irreguläre Migration und Sicherheit“ (3.3.1.), „Migration<br />

und Kriminalität sowie öffentliche Sicherheit“ (3.3.2.), „Integration und<br />

Sicherheit“ (3.3.3) und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die<br />

„Schnittstelle Sans-Papiers“ (3.3.3.1.) sowie die „Friedensförderung und<br />

Sicherheit“ (3.3.4.) von besonderer Relevanz.<br />

97


3.1. Migration und Fakten Schweiz<br />

3.1.1. Migration Schweiz und Wahrnehmung der Migration in der<br />

Öffentlichkeit<br />

In den migrationspolitischen Auseinandersetzungen in der Schweiz nimmt<br />

das Thema individuelle und nationale Sicherheit eine zentrale Rolle ein.<br />

Insbesondere steht Migration und Kriminalität immer wieder an der Spitze<br />

der politischen Auseinandersetzungen. So ist oft festzustellen, dass das<br />

Thema Ausländerkriminalität und neuerdings auch Arbeitsplatzsicherheit<br />

und soziale Sicherheit (am Beispiel ALV) gezielt auch von den politischen<br />

Parteien regelrecht zu ihren Gunsten bewirtschaftet wird. In diesem<br />

Diskurs spielen auch die Medien eine ganz zentrale Rolle.<br />

Gerade bei Themen wie Migration und Kriminalität, wo direkte Vergleiche<br />

mit der unmittelbaren Umwelt fehlen, beziehen wir den grössten Teil<br />

unserer Informationen aus den Massenmedien. Diese Informationen sind<br />

durch charakteristische Züge vorselektioniert, einerseits durch die<br />

Medienstelle der Polizei, anderseits durch die Massenmedien. Diese<br />

Selektion ist nötig, damit sich der Rezipient in seiner Umwelt orientieren<br />

kann, jedoch können sich durch eine problematische und allenfalls<br />

einseitige Berichterstattung daraus ganz bestimmte, unter anderem auch<br />

fremdenfeindliche Vorstellungen herausbilden. Bei der Darstellung der<br />

Ausländerkriminalität ist die isolierte Interpretation von „nackten Zahlen“<br />

wie beispielsweise die Tatsache der Zunahme schwerer Gewalttaten<br />

durch Ausländer, die selten Auskunft über Veränderungen im<br />

Anzeigeverhalten geben, in der Rechtsprechung sowie wirtschaftlichen<br />

und sozialen Bedingungen, schwierig. So ist beispielsweise das<br />

Nationalitätsmerkmal straftatverdächtiger und strafverfolgter Personen<br />

neben Alter und Geschlecht eines der wenigen Merkmale, das mit<br />

ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in allen Polizei- und Gerichtsstatistiken<br />

erscheint. Über viele andere Merkmale wie sozioökonomischer Status,<br />

Lebenslage oder den spezifischen Handlungskontext ist es viel<br />

98


schwieriger irgendwelche Informationen zu erhalten. Löst man die<br />

Statistiken nur nach dem Indikator Nationalität auf, dann ergibt sich das<br />

Bild einer Gesellschaft, in der Ausländer massiv krimineller sind als<br />

Einheimische. Jedoch kann man diesen Befund nicht direkt mit der<br />

Bevölkerungsstatistik vergleichen, denn auch Touristen und Asylbewerber<br />

werden straffällig. Betrachtet man zusätzlich noch andere Faktoren, wie<br />

Alter und sozioökonomischer Status, so lässt sich kaum mehr ein<br />

Unterschied zwischen Einheimischen und Ausländern feststellen. Es muss<br />

aber klar darauf hingewiesen werden, dass die Kriminalstatistik nur einen<br />

Teil aller Delikte erfasst. Vor allem Delikte, die nicht von Amtes wegen<br />

verfolgt werden müssen, werden oft nicht angezeigt, zusätzlich ist zu<br />

erwähnen, dass ein Ausländer eher angezeigt wird als ein Einheimischer.<br />

Die im Rahmen der Studie untersuchten Selektionskriterien von<br />

Journalisten zeigen offenbar, dass ein Ereignis von Nachrichtenfaktoren<br />

und bestimmten Nachrichtenwerten mitgeprägt ist 43 . Bezüglich der<br />

Kriminalität kann allgemein festgehalten werden, dass Medien eher selten<br />

über Kriminalität im Alltag, sonder vornehmlich über besonders<br />

spektakuläre und dramatische Vorfälle berichten. Wollte man Kriminalität<br />

von Ausländern in einem weiteren Kontext verstehen, bräuchte es Artikel,<br />

welche Hintergründe der Tat bzw. des Täters aufzeigen. Jedoch wird über<br />

Kriminalität vorwiegend in Kurzmeldungen berichtet.<br />

Wird nun Migration in den Medien vor allem über negative Themen wie<br />

Ausländerkriminalität etc. definiert, so kann es sehr schnell dazu kommen,<br />

43 Galtung und Ruge (1965) stellten folgende Nachrichtenfaktoren auf: Frequenz,<br />

Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Kontinuität, Variation, Bezug<br />

zu Elite-Nationen, Bezug Elite-Personen, Personalisierung sowie Negativismus<br />

(vergleiche Kunczik / Zipfel 2001: 247f). Galtung und Ruge unterzogen ihre Theorie einer<br />

Prüfung, indem sie die Berichterstattung norwegischer Zeitungen über Kongo-, die Kuba-<br />

und die Zypern-Krise bezüglich ihrer Nachrichtenwerte untersuchten und stellten fest:<br />

dass: „Je entfernter eine Nation ist, desto eher wird nur über Handlungen der Elite<br />

berichtet; je niedriger der soziale Rang einer Person ist, desto negativer ist das Ereignis,<br />

je weniger kultureller Nähe gegeben ist, desto bedeutsamer muss ein Ereignis sein, um<br />

berichtet zu werden. Nicht bestätigt werden konnte der Zusammenhang zwischen<br />

Entfernung einer Nation und Negativismus des Ereignisses“.<br />

99


dass gerade bei der direkten Demokratie solche Ereignisse sehr schnell<br />

die Migrationspolitik beeinflussen können 44 .<br />

Im Kontext Kriminalität und öffentliche Sicherheit wird deutlich, welche<br />

Wichtigkeit im Sinne der Prävention das Thema Integration von<br />

Ausländern hat. Im nachstehenden Kapitel wird näher darauf<br />

eingegangen.<br />

3.1.2. Die mediale Beeinflussung der Öffentlichkeit, insbesondere<br />

in der Wahrnehmung der Ausländerkriminalität<br />

Es lässt sich leicht dokumentieren, dass die Schweiz zwar ein<br />

Einwanderungsland ist, die Schweizer Bevölkerung sich jedoch mit dieser<br />

Tatsache schwer tut, und insbesondere die Parteien ganz links und rechts<br />

des politischen Spektrums Stimmung machen und davon zu profitieren<br />

suchen, die Probleme medial für sich auszunutzen, bzw. die Probleme<br />

rund um die Ausländerkriminalität zu ihren Gunsten bewirtschaften. Die<br />

wissenschaftliche Studie des Teams rund um Prof. Dr. Werner Wirth 45<br />

liefert relevante Erkenntnisse.<br />

3.1.2.1. Wirklichkeitskonstruktion: Rolle der Medien<br />

In einer komplexen, pluralistischen und ausdifferenzierten Gesellschaft<br />

kommt den Massenmedien in Bezug auf die Wirklichkeitskonstruktion eine<br />

44 Der Labeling Approach ist ein kritischer Ansatz und besagt, dass vor allem Akteure,<br />

welche an der Macht sind, Normen durchsetzen können, welche in ihrem Interesse<br />

stehen. Wenn man unter diesem Aspekt die direkte Demokratie beleuchtet, haben<br />

Schweizer Bürger, welche durch Abstimmungen den Gesetzgebungsprozess<br />

beeinflussen können mehr Macht und erhalten dadurch ihre Vormachtstellung vor den<br />

Ausländern (vergleiche dazu auch erleichterte Einbürgerung, Asylgesetzgebung, usw.).<br />

45 Quelle: Studie von Dr. Werner Wirth, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung der Universität Zürich, 2005<br />

« Medien, Migration und Kriminalität. Eine Inhaltsanalyse von Schweizer Tageszeitungen,<br />

Juni 2005<br />

100


sehr wichtige, in gewissen Bereichen sogar die entscheidende Rolle zu.<br />

Gerade bei Themen wie Migration und Kriminalität, wo direkte Vergleiche<br />

mit der unmittelbaren Umwelt fehlen, beziehen wir den grössten Teil<br />

unserer Informationen aus den Massenmedien. Diese Informationen sind<br />

durch charakteristische Züge vorselektioniert, einerseits durch die<br />

Medienstelle der Polizei, anderseits durch die Massenmedien. Diese<br />

Selektion ist nötig, damit sich der Rezipient in seiner Umwelt orientieren<br />

kann, jedoch können sich durch eine problematische und allenfalls<br />

einseitige Berichterstattung daraus ganz bestimmte, unter anderem auch<br />

fremdenfeindliche Vorstellungen herausbilden.<br />

Zusätzliche Relevanz erhält das Thema Kriminalität durch die stetige<br />

Zunahme von gemeldeten Delikten, insbesondere der schweren<br />

Gewalttaten. Im Kanton Zürich zum Beispiel hat die Anzahl der Straftaten<br />

in den letzten 24 Jahren um 55.8% zugenommen, während die<br />

Bevölkerung nur um 12,5 % gewachsen ist. Es ist klar, dass diese Zahlen<br />

aus der Kriminalitätsstatistik nicht isoliert betrachtet werden dürfen, denn<br />

auch das Anzeigeverhalten und die Rechtsprechung sowie die<br />

wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen haben sich stark verändert.<br />

Nicht weniger als 50% dieser schweren Gewaltdelikte im Kanton Zürich<br />

werde von ausländischen Staatsangehörigen verübt. Dies lässt sich zwar<br />

einerseits durch den Kriminaltourismus und anderseits durch die Altersund<br />

Geschlechterstruktur der ausländischen Wohnbevölkerung erklären,<br />

ist aber bezüglich fremdenfeindlichen Einstellung schwerwiegend, da die<br />

„nackten Zahlen“ selbst einen falschen Eindruck vermitteln.<br />

3.1.2.2. Verschiedene Kriminalitätstheorien<br />

Die Arbeit von Prof. Dr. Werner Wirth beschäftigt sich in erster Linie mit<br />

der Darstellung von Kriminellen in Schweizer Tageszeitungen. Wer sind<br />

diese Kriminellen, aus welchen Gründen sind sie kriminell geworden und<br />

101


welche Rolle spielt dabei die Migration, bzw. der einzelne Migrant in der<br />

Kriminalität? Die Studie geht prinzipiell von vier allgemeinen Kriminali-<br />

tätstheorien aus:<br />

• Biologische Kriminalitätstheorie (Geschlechts spezifisch)<br />

• Sozialpsychologische Kriminalitätstheorie (soziale Lerntheorien und<br />

Kontrolltheorien)<br />

• Sozialstrukturelle Kriminalitätstheorie (Anomie-Theorie, Labeling-<br />

Theorie und Theorie der sozialen Desorganisation)<br />

• Multifaktorielle Kriminalitätstheorie<br />

sowie von drei speziellen Kriminalitätstheorien<br />

• Kriminalität und Massenmedien<br />

• Fremdenfeindliche Gewalt<br />

• Ausländerkriminalität.<br />

Von besonderer Bedeutung ist gemäss Prof. Dr. Wirth die Erkenntnis,<br />

dass innerhalb einer Gesellschaft kulturelle Handlungsziele vorgegeben<br />

werden und die soziale Struktur die Mittel zur Realisierung dieser Ziele zur<br />

Verfügung stellt oder eben auch nicht; dabei steht nicht allen<br />

Gesellschaftsmitgliedern der gleiche Zugang zu eben den legitimen Mitteln<br />

von Handlungszielen zu. Diese Teile der Gesellschaft sind einem starken<br />

Druck ausgesetzt, welcher durch Konformität (legitime Mittel zur<br />

Zielerreichung), Innovation (illegitime Wege der Zielerreichung durch<br />

leichtere Delikte), Rebellion (Ziele wie auch Mittel werden durch andere<br />

ersetzt), Rückzug (Ziele und Mittel werden ersatzlos verworfen) und<br />

Ritualismus (Ziele werden durch andere ersetzt, jedoch mit legitimen<br />

Mitteln erreicht) ersetzt wird.<br />

102


Sozialisationstheorien und Terroristen der zweiten Einwanderungsgeneration<br />

Die Sozialisationstheorien gehen davon aus, dass bei Kriminellen die<br />

Sozialisation der Person fehlgeschlagen ist und sie deshalb kriminell wird.<br />

Als Sozialisation wird dabei die Anpassung an Normen und Werte der<br />

sozialen Umwelt verstanden. Dieser Ansatz ist vor allem bei Ausländern<br />

zweiter oder dritter Generation interessant, da diese oft in zwei Welten<br />

leben. Einerseits in der durch die Eltern vermittelten Welt des<br />

Herkunftslandes und anderseits im Einwanderungsland. Dabei können<br />

Identitätskrisen ausgelöst werden. In Kapitel 3.2. hat die Autorin der<br />

Master-Thesis am Beispiel der Terrorismus-Problematik Grossbritannien<br />

auf eben diesen Umstand hingewiesen.<br />

Subkulturtheorie und Jugendkriminalität<br />

Die Subkulturtheorie ist eine Fortentwicklung der Theorie zur<br />

Bandenkriminalität (Ansatz der Chicagoer Schule, Im Zentrum der Theorie<br />

steht die Devianz, also die Abweichung von allgemein akzeptierten<br />

Verhaltenserwartungen. Für ein Individuum besteht ein<br />

Spannungszustand zwischen Situation, in der es sich befindet, z.B.<br />

schlechte Ausbildung und dem angestrebten Ziel, z.B. Wunsch nach einer<br />

„guten“ Arbeit. Daraus ergibt sich das Problem der Anpassung. Konkret<br />

heisst das, dass die Person, die eine schlechte Arbeit annehmen muss,<br />

durch diese Stellung im Subsystem Arbeit auch im Subsystem Prestige<br />

eine schlechte, niedrige Stellung innehat und somit im ganzen sozialen<br />

System „schlecht“ dasteht und unzufrieden mit der eigenen Lage ist.<br />

Befinden sich mehrer Personen in einer ähnlichen Lage und können sich<br />

darüber verständigen, besteht die Möglichkeit der Bildung einer Subkultur.<br />

Es werden aufgrund der gemeinsamen Versager-Gefühle neue Normen<br />

und Werte formuliert, und somit kann Aggression gegen das<br />

gesellschaftliche System gerechtfertigt werden. Die Subkulturtheorie ist<br />

zentral für das Verständnis von Jugendkriminalität.<br />

103


Kulturkonflikttheorie und Ausländerkriminalität<br />

Die Kulturkonflikttheorie geht auf den amerikanischen Soziologen Sellin<br />

zurück, sie wird im Zusammenhang mit der Frage der Erklärung von<br />

Ausländerkriminalität verwendet. Die Theorie beruht auf der Vorstellung<br />

von Relativität der kulturellen Werte. Bei Migrationsbewegungen werden<br />

kulturell vorgeprägte Verhaltensmuster mitgenommen. In einer kulturell<br />

anders strukturierten Umgebung kann es dann zu Konflikten von<br />

kulturellen Wert- und Verhaltensnormen kommen. Die Situation verlangt<br />

eine Anpassungsfähigkeit gegenüber den neuen Werten und Normen auf<br />

der einen und Toleranz auf der anderen Seite. Die Bewältigung dieser<br />

Situation läuft nicht immer konfliktfrei ab. Aus der Konfliktsituation, sich<br />

dem Normensystem des Gastlandes anzupassen, entstehen Aussen- und<br />

Innenkonflikte:<br />

Aussenkonflikte sind dann gegeben, wenn sich der Ausländer weiterhin an<br />

dem Normensystem seines Heimatlands orientiert. Aussenkonflikte sind<br />

auch alle Straftaten, die bei Ausländern durch Frustration ausgelöst<br />

werden, bei der der Ausländer erkennt, dass er die Ziele und Normen des<br />

Gastlandes mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten auf dem legalen Weg<br />

nur bedingt oder gar nicht erreichen kann. Bei Innenkonflikten handelt es<br />

sich um einen Konflikt in der Gruppe der Ausländer selbst (z.B. auch in<br />

den Familien), der destabilisierend wirkt. Im Gegensatz zu ihren Eltern<br />

verinnerlichen die Kinder durch ihren ständigen und engen Kontakt mit der<br />

Umwelt weitgehend die Ziele, Normen und Wertvorstellungen des<br />

Gastlands und rebellieren gegen vermeintlich rückständige Ansichten und<br />

Auffassungen ihrer Eltern. Insbesondere erfolgt Rebellion gegen die<br />

Moralvorstellungen und Erziehungsmethoden. Verstärkt werden die<br />

Konflikte noch durch Sprachprobleme innerhalb der Familien und die<br />

damit verbundenen unterschiedlichen Wertvorstellungen.<br />

104


Polizeiliche Kriminalitätsstatistik und Merkmale, die zur Kriminalität<br />

führen<br />

Das Nationalitätsmerkmal straftatverdächtiger und strafverfolgter<br />

Personen ist neben Alter und Geschlecht eines der wenigen Merkmale,<br />

das mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in allen Polizei- und<br />

Gerichtsstatistiken erscheint. Über viele andere Merkmale, wie<br />

sozioökonomischer Status, Lebenslage oder den spezifischen<br />

Handlungskontext ist es viel schwieriger irgendwelche Informationen zu<br />

erhalten. Löst man die Statistiken nur nach dem Indikator Nationalität auf,<br />

dann ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, in der Ausländer massiv<br />

krimineller sind als Einheimische. Jedoch kann man diesen Befund nicht<br />

direkt mit der Bevölkerungsstatistik vergleichen. denn auch Touristen und<br />

Asylbewerber werden straffällig. Betrachtet man zusätzlich noch andere<br />

Faktoren, wie Alter und sozioökonomischer Status, so lässt sich kaum<br />

mehr ein Unterschied zwischen Einheimischen und Ausländern feststellen.<br />

Eine Studie aus Stuttgart, welche sich mit straffälligen Jugendlichen<br />

befasst, berücksichtigt z.B. nur eine weitere Komponente, nämlich die der<br />

Schulbildung, und kam zu einem völlig anderen Ergebnis, so dass gesagt<br />

werden kann, dass die Staatsangehörigkeit keinen Einfluss auf die<br />

Straffälligkeit von Jugendlichen hat. Daraus können wir schliessen, dass<br />

Schulbildung weitaus wichtiger ist zur Vermeidung von Kriminalität als die<br />

Nationalität. Es muss aber klar darauf hingewiesen werden, dass die<br />

Kriminalstatistik nur einen Teil aller Delikte erfasst. Vor allem Delikte, die<br />

nicht von Amtes wegen verfolgt werden müssen, werden oft nicht<br />

angezeigt. Zusätzlich ist zu erwähnen, dass ein Ausländer eher angezeigt<br />

wird als ein Einheimischer (vergleiche dazu den „Labeling Approach“).<br />

Ein wichtiger Hinweis zur Strafurteilsstatistik ist der, dass 26% der<br />

verurteilten Täter Ausländer ohne Schweizer Wohnsitz sind, also nicht zur<br />

ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz zählen. Es bleiben gemäss<br />

Statistik 20 % als verurteilte Ausländer mit Schweizer Wohnsitz. Verändert<br />

105


man nun die Grundgesamtheit so, dass nur Täter mit Schweizer Wohnsitz<br />

betrachtet werden, so liegt der Ausländeranteil bei rund 27 %, also ist die<br />

Gefahr als Ausländer in der Schweiz wohnend kriminell zu werden beim<br />

Faktor 1,3. Bei den Asylanten sieht das Bild leicht anders aus, bereinigt<br />

man Alter und Geschlecht, haben junge männliche Asylanten eine<br />

1,7fache 30 bis 39-jährige eine 1,3fache und über 40-jährige eine 2,6fache<br />

Verurteiltenbelastung. Abschliessend kann gesagt werden, dass bei<br />

Verurteilten nicht das Merkmal „Ausländer“, sondern der Aufenthaltsstatus<br />

ausschlaggebend ist.<br />

„Labeling Approach“ und wichtige Akteure<br />

Der „Labeling Approach“ ist ein kritischer Ansatz und besagt, dass vor<br />

allem Akteure, welche an der Macht sind, Normen durchsetzen können,<br />

welche in ihrem Interesse stehen 46 . Wenn man unter diesem Aspekt die<br />

direkte Demokratie beleuchtet, haben Schweizer Bürger, welche durch<br />

Abstimmungen den Gesetzgebungsprozess beeinflussen können, mehr<br />

Macht und erhalten dadurch ihre Vormachtstellung vor den Ausländern<br />

(vergleiche dazu auch erleichterte Einbürgerung, Asylgesetzgebung,<br />

usw.).<br />

Nachrichtenwerttheorie<br />

Dass die Medien nicht nur im Abstimmungsprozess grosse Einflussnahme<br />

auf die Meinungsbildung haben können, dürfte unbestritten ein. Die<br />

Selektionskriterien von Journalisten zeigen offenbar, dass ein Ereignis von<br />

Nachrichtenfaktoren, bestimmten Nachrichtenwerten mitgeprägt ist.<br />

Galtung und Ruge (1965) stellten folgende Nachrichtenfaktoren auf:<br />

Frequenz, Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz,<br />

46 Quelle: Studie von Dr. Werner Wirth, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung der Universität Zürich, 2005<br />

« Medien, Migration und Kriminalität. Eine Inhaltsanalyse von Schweizer Tageszeitungen,<br />

Juni 2005<br />

106


Kontinuität, Variation, Bezug zu Elite-Nationen, Bezug zu Elite-Personen,<br />

Personalisierung sowie Negativismus. Galtung und Ruge unterzogen ihre<br />

Theorie einer Prüfung, indem sie die Berichterstattung norwegischer<br />

Zeitungen über Kongo-, die Kuba- und die Zypern-Krise bezüglich ihrer<br />

Nachrichtenwerte untersuchten und stellten fest: dass: „Je entfernter eine<br />

Nation ist, desto eher wird nur über Handlungen der Elite berichtet; je<br />

niedriger der soziale Rang einer Person ist, desto negativer ist das<br />

Ereignis, je weniger kulturelle Nähe gegeben ist, desto bedeutsamer muss<br />

ein Ereignis sein, um berichtet zu werden. Nicht bestätigt werden konnte<br />

der Zusammenhang zwischen Entfernung einer Nation und Negativismus<br />

des Ereignisses“. Ganz allgemein wird festgehalten, dass Medien eher<br />

selten über Kriminalität im Alltag, sondern vornehmlich über besonders<br />

spektakuläre und dramatische Vorfälle berichten (vergleiche Wassermann<br />

1997). Wollte man Kriminalität von Ausländern in einem weiteren Kontext<br />

verstehen, bräuchte es Artikel, welche Hintergründe der Tat bzw. des<br />

Täters aufzeigen. Jedoch wird über Kriminalität vorwiegend in<br />

Kurzmeldungen berichtet.<br />

Dieser Labeling-Ansatz ist auch insofern interessant, dass die<br />

Normabwendung nicht ausschliesslich auf abweichendes Verhalten<br />

bezogen wird, sondern auch von aktiven Vorgängen der Definition,<br />

Selektion, Zuschreibung und Stigmatisierung begleitet wird. In der Realität<br />

zeigt es sich daran, dass mehr Ausländer in der Tatverdächtigungsstatistik<br />

aufgeführt sind, ohne dass später eine Anklage erhoben wird oder eine<br />

Verurteilung stattfindet. Dieser Tatbestand verdeutlicht, dass Ausländer<br />

eher verdächtigt werden als Einheimische. Der „Labeling Approach“ ist<br />

relevant, da er auf der Mikroebene die Normanwendung von Anzeige,<br />

Verhaftung bis zum Urteil beleuchtet und eine Stereotypisierung vorwirft,<br />

sowie auf der Makroebene die erhöhte registrierte Kriminalität von<br />

Ausländern in der Gesellschaft auf einen sozial-instanzlichen<br />

Definitionsvorgang zurückführt.<br />

107


3.1.3. Migration und Demografie in der Schweiz<br />

Zwei Besonderheiten sind hervorzuheben: zunächst die Entwicklung<br />

generell und vor allem die Überalterung.<br />

3.1.3.1. Demografische Entwicklung der Schweiz<br />

Bei der ersten Zählung im Jahr 1860 hatte die Schweiz 2,5 Millionen<br />

Einwohner und Einwohnerinnen. Heute sind es weit über 7 Millionen.<br />

Parallel zu dieser Zunahme stellt man eine Alterung der Bevölkerung fest,<br />

d.h. anteilsmässig eine Abnahme der jüngeren und eine Zunahme der<br />

älteren Personen. Diese Tendenz wird sich gemäss Bundesamt für<br />

Statistik innerhalb der nächsten Jahrzehnte fortsetzen. Die sogenannten<br />

Babyboomer kommen in die Jahre und bei wachsender Wirtschaftskraft<br />

dürfte sich innert weniger Jahre ein markanter Arbeitskräftemangel<br />

einstellen. Auch in diesem Sinne hat die Migration eine grosse Auswirkung<br />

auf die Bevölkerungsstruktur der Schweiz, genauso wie auf die Sicherung<br />

der Arbeitsplätze.<br />

3.1.3.2. Überalterung prägt Migrationspolitik in der Schweiz 47<br />

Für die Schweiz und die schweizerische Wirtschaft waren Ein- und<br />

Auswanderungen immer sehr wichtig. Sie waren je nach der<br />

Wirtschaftslage unterschiedlich und hatten einen grossen Einfluss auf die<br />

bevölkerungsstatistische Dynamik des Landes. So hat zwischen 1986 und<br />

1994 die Migrationsdifferenz 48 (Differenz zwischen der Zahl der<br />

Einwanderungen und derjenigen der Auswanderungen) die natürliche<br />

Differenz (Differenz zwischen Geburten und Todesfällen) überstiegen.<br />

47<br />

Quelle: Schweizerischer Arbeitsgeberverband, gestützt auf Zahlen des Bundesamtes<br />

für Statistik<br />

48 Quelle: Jahresstatistik 1994, Bundesamt für Migration<br />

108


Eine Abnahme der Bevölkerung ab ungefähr 2030 dürfte ein<br />

wahrscheinliches Szenario darstellen und die Migrationspolitik,<br />

insbesondere die Zulassungspolitik prägen. Im Jahre 2035 wird einer von<br />

vier Einwohnern 65 Jahre alt oder älter sein und bereits im Jahre 2015<br />

werden wir mit einer abnehmenden berufstätigen Bevölkerung konfrontiert<br />

sein. Die Frage stellt sich daher, ob die Einwanderung ein Mittel gegen die<br />

Überalterung der Wohnbevölkerung sein kann. Zudem lassen sich<br />

Migrationsbewegungen nur teilweise lenken. Es gilt ferner zu bedenken,<br />

dass Migranten und Migrantinnen künftig selbst auch einmal Pensionierte<br />

sein werden. Es gilt daher, in diesem Zusammenhang an<br />

Produktionssteigerung und bessere Ausnutzung des Arbeitspotenzials der<br />

Frau und der älteren Menschen zu denken.<br />

3.1.4. Migration und Zulassungspolitik Schweiz<br />

Die Migrationspolitik und insbesondere die Zulassungspolitik sind infolge<br />

der unterschiedlichen Ansprüche aus verschiedenen Politikbereichen<br />

gewissen Zielkonflikten ausgesetzt. Bei der Zulassung von<br />

Ausländerinnen und Ausländern stehen gesamtwirtschaftliche Interessen<br />

in Vordergrund, nicht in erster Linie humanitäre Aspekte. Umgekehrt sind<br />

für humanitäre Überlegungen die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen<br />

der Schweiz nicht ausschlaggebend, auch wenn es immer gilt, die<br />

souveränen Entscheide des Landes – unter Vorbehalt der<br />

völkerrechtlichen Verpflichtungen – zu beachten. Es gibt in diesem Sinne<br />

grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Einreise und Gewährung des<br />

Aufenthalts. Besondere Bedeutungen kommen der Einhaltung der<br />

Menschenrechte zu. Diesem Aspekt wird ein spezielles Kapitel in dieser<br />

Master-Thesis gewidmet. Die Schweiz ist Mitglied im Europarat und der<br />

humanitären Tradition seit jeher verpflichtet.<br />

109


3.1.4.1. Zulassung zum Arbeitsmarkt<br />

In der Schweiz wird das so genannte duale Zulassungssystem verfolgt.<br />

Dieses basiert auf dem Konzept der sogenannten Öffnung zwischen der<br />

Schweiz und den EU-Staaten im Rahmen der Umsetzung des<br />

Freizügigkeitsabkommens. Dieses Abkommen wird auf die EFTA-Staaten<br />

ausgedehnt. Eine Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung zur<br />

Ausführung eine Erwerbstätigkeit soll in erster Linie Angehörigen von<br />

Mitgliedstaaten der EU und der EFTA in Anwendung des<br />

Freizügigkeitsabkommens erteilt werden. Nur wenn keine geeigneten<br />

Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus der Schweiz oder einem<br />

Mitgliedstaat der EU und der EFTA gefunden werden, können<br />

Bewilligungen an Führungskräfte, Spezialisten oder andere qualifizierte<br />

Arbeitskräfte aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) erteilt werden. Bei der<br />

Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen müssen zusätzlich die beruflichen<br />

Qualifikationen, die berufliche Anpassungsfähigkeit, die Sprachkenntnisse<br />

und das Alter eine nachhaltige Integration in den schweizerischen<br />

Arbeitsmarkt und in das soziale Umfeld erwarten lassen.<br />

3.1.4.2. Zulassungspolitik in den letzten 30 Jahren<br />

Die Migrationspolitik der letzten 30 Jahre hat wegen der grosszügigen<br />

Zulassung von Hilfskräften und Saisonniers zu einem kontinuierlich<br />

steigenden Anteil niedrig qualifizierter Arbeitskräfte bei der ausländischen<br />

Wohnbevölkerung geführt. Dies hat die Ausländerarbeitslosigkeit erhöht,<br />

den strukturellen Wandel gehemmt und die Produktionsentwicklung<br />

verlangsamt. Heute haben wir es allerdings mit einer neuen Zuwanderung<br />

zu tun, die ein echter Trendbruch darstellt. Dieser wird in einem Buch des<br />

Think Tanks Avenir Suisse untersucht und namhafte Wissenschaftler<br />

beschreiben wissenschaftlich belegt wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />

Aspekte. Die Zahl der Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten ging gegen<br />

110


2001 deutlich zurück. Der Anteil der Nord- und Westeuropäer nimmt<br />

bereits seit 1997 deutlich zu.<br />

3.1.4.3. Neue Zuwanderung<br />

Die neue Zuwanderung unterscheidet sich von der alten vor allem in<br />

geografischer Zusammensetzung, im Qualifikationsniveau und den<br />

Migrationsmotiven. Ein migrationspolitischer Paradigmawechsel hat<br />

(Personenfreizügigkeit gegenüber der EU einerseits und striktere<br />

Ausländer- und Asylgesetzgebung auf der anderen Seite) zu einem<br />

Zuwanderungsmix geführt. Der Zuzug ist ein wichtiger Wachstumsmotor,<br />

von welchem die einheimische Bevölkerung stark profitiert. Mit ca. 22 %<br />

Migrationsanteil liegt die Schweiz höher als in klassischen<br />

Einwanderungsländern wie z.B. Kanada und gar doppelt so hoch wie in<br />

den USA. Eine ehemals unterschichtende Zuwanderung hat sich in eine<br />

durch- und überdurchschnittliche Zuwanderung gekehrt.<br />

Heute stammen zudem 70 % der Zugewanderten aus Ländern der<br />

Europäischen Union 49 .<br />

Der Schwerpunkt des Zuzugs hat sich somit in Regionen verlagert, die der<br />

Schweiz sprachlich und kulturell nahestehen. Das erleichtert die<br />

Integration. Während unter Migranten, die seit über zehn Jahren in der<br />

Schweiz leben, weniger als 20 % einen tertiären Bildungsabschluss<br />

haben, sind es unter neu Zugewanderten 58 %, eine Quote, die doppelt so<br />

hoch ist, wie unter den Schweizern selbst. Die Zuwanderung führt in<br />

diesem Sinne in den Arbeitsmarkt und nicht mehr in die Sozialsysteme.<br />

Darüber hinaus gab es beim Aufenthaltsstatus eine Verschiebung von<br />

Fremdarbeitern, Saisonniers und Flüchtlingen hin zu Jahresaufenthaltern<br />

und Niedergelassenen.<br />

49 siehe dazu Statistiken im Abschnitt 3.1.4.6.<br />

111


Auslöser der neuen Zuwanderung sind der Strukturwandel im<br />

Arbeitsmarkt und migrationspolitische Reformen. Zusammenfassend<br />

könnte man sagen, dass wir den neuen Schweizer Einwanderungsmix<br />

also einem Zusammenspiel zwischen veränderter Arbeitskräftenachfrage<br />

und migrationspolitischen Reformen verdanken. Die Migrationspolitik von<br />

heute kann dank der Personenfreizügigkeit als erfolgreiche liberale<br />

Einwanderungspolitik bezeichnet werden: Die gesamte Zunahme der<br />

Arbeitsproduktivität von 0,5 % jährlich lässt sich auf die Zuwanderung<br />

zurückführen. Dies entspricht einem Beitrag zum BIP von 2,4 Milliarden<br />

Schweizerfranken gemäss Avenir Suisse.<br />

Inzwischen werden 27 % aller Arbeitsstunden in der Schweiz durch<br />

Ausländer erbracht. 43 % der hier wirkenden Professoren sind Ausländer<br />

und 60 % der Führungskräfte der SMI Schweizer Unternehmen sind<br />

Ausländer. Die Migrationspolitik, die neue Zuwanderungspolitik kann mit<br />

Recht als strategischer volkswirtschaftlicher Faktor betrachtet werden.<br />

Personenfreizügigkeit wird von der Avenir Suisse denn auch als beste<br />

„Antimigrationspolitik“ dargestellt.<br />

3.1.4.4. Humankapital und Wettbewerb der Köpfe<br />

Die Schweiz steht im Wettbewerb um die besten Köpfe. Humankapital ist<br />

in diesem Zusammenspiel von grosser Bedeutung für den Wohlstand und<br />

die wirtschaftliche Sicherheit des Landes. Die Wettbewerbsfähigkeit von<br />

Ländern wird zunehmend von hochqualifizierten Mitarbeitern bestimmt, die<br />

in wissensbasierten Volkswirtschaften etwa 20 bis 30 % der Beschäftigten<br />

ausmachen. Björn Johansson, der internationale Personalberater, sagt,<br />

dass die Schweiz das Land der höchsten Ausländerquote im<br />

Topmanagement ist, und dass diese Internationalisierung innerhalb<br />

weniger Jahre stattgefunden habe. Die neue Zuwanderung wird sogar<br />

von Roger Köppel (Chefredaktor der Weltwoche) als wirtschaftlichen<br />

112


„Glücksfall für unser Land“ genannt. Die Schweiz wird in den grösseren<br />

Zusammengang der europäischen Integration gestellt und für ihre<br />

Integrationskraft als Schmelztiegel gelobt.<br />

3.1.4.5. Abstiegsangst der Mittelschicht und Stimmungsmache<br />

Dennoch ist aufgrund dieses Migrationsphänomens der vergangenen<br />

Jahre in der Schweiz eine gewisse „Abstiegsangst der Mittelschicht“ zu<br />

beobachten. Es steht ausser Frage, dass die SVP in diesem<br />

Zusammenhang seit Jahren Stimmungsmache betreibt. Neustes Bespiel<br />

liefert sie mit der Broschüre (in alle Haushalte, Ende Juli 2010): „Welche<br />

Ausländerpolitik wollen Sie?“ Mit den Suggestivfragen „Wie viel<br />

Ausländerkriminalität wollen Sie? Wie viel Islam wollen Sie? Wie viel<br />

Asylgesuche wollen Sie?“ werden aus Politmarketing-Gründen ganz<br />

bewusst ungute Gefühle gegenüber der ausländischen Wohnbevölkerung<br />

geschürt.<br />

113


3.1.4.6. Die neue Zuwanderung in Zahlen<br />

250'000<br />

200'000<br />

150'000<br />

100'000<br />

50'000<br />

0<br />

-50'000<br />

-100'000<br />

Solde migratoire<br />

Immigrations<br />

Emigrations<br />

Les scénarios de l‘évolution de la population de la Suisse, 2010-2060<br />

Raymond Kohli, OFS, Avril 2010<br />

Eidgenössisches Departement des Innern EDI<br />

Bundesamt für Statistik BFS<br />

Migrationsfluss in der Schweiz seit 1860 bis 2009<br />

Les flux migratoires en Suisse depuis 1860-2009<br />

-150'000<br />

1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010<br />

Abbildung 3: Migrationsfluss in der Schweiz seit 1860 bis 2009<br />

Die nachstehenden Darstellungen stammen aus den Statistiken des BfS –<br />

Bundesamt für Statistik.<br />

Abbildung 4: Einwanderung aus den EU-27/EFTA-Staaten und aus<br />

den übrigen Staaten, seit 1990<br />

114<br />

3


Abbildung 5: Einwanderung, Auswanderung und Wanderungsbilanz,<br />

seit 1974<br />

Abbildung 6: Einwanderung der ständigen ausländischen<br />

Wohnbevölkerung nach Einwanderungsgrund,<br />

Jahr 2009<br />

115


Tabelle 5: Bestand der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung<br />

nach Ausländergruppe seit Ende Dezember 1974<br />

116


Abbildung 7: Anzahl der Asylgesuche in der Schweiz pro Jahr<br />

Abbildung 8: Prozentuale Verteilung der Personen in der<br />

Vollzugsunterstützung nach Regionen per 31. 12 2009<br />

117


Abbildung 9: Asylgesuche nach den 10 zahlreichsten<br />

Herkunftsländern, Jahr 2009<br />

3.2. Sicherheit und Fakten Schweiz<br />

Ausrichtung der schweizerischen Sicherheitspolitik<br />

Unter der schweizerischen Sicherheitspolitik ist der koordinierte Einsatz<br />

aller Kräfte der Nation zu verstehen, der Gefahren und Bedrohungen<br />

strategischen Ausmasses präventiv und operativ begegnet. Sie umfassen<br />

sowohl die Instrumente und Mittel der Aussen-, Wirtschafts-, Migrationsund<br />

der Ressourcenpolitik wie diejenigen von Armee, Polizei und des<br />

Staatsschutzes, insbesondere auch des Schweizerischen<br />

Nachrichtendienstes. Aufgrund des Verfassungsauftrages (Artikel 2, BV -<br />

Bundesverfassung) hat der Bund die Freiheit und die Rechte des Volkes<br />

zu schützen, die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes zu wahren<br />

118


und sich für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung<br />

einzusetzen. Die Schweiz verfolgt deshalb die folgenden<br />

sicherheitspolitischen Ziele:<br />

1.) Unversehrtheit der Bevölkerung und nachhaltig gewährleistete<br />

Lebensgrundlagen<br />

2.) Internationale Stabilität im Rahmen des Völkerrechts.<br />

3.2.1. Sicherheitspolitischer Faktor Armee der Schweiz<br />

Im Rahmen des Sicherheitsverbundes Schweiz ist die Armee ein<br />

strategisches Mittel in der Hand der Landesregierung zur Wahrung ihrer<br />

Handlungsfähigkeit. Sie bleibt auf absehbare Zeit die einzige<br />

sicherheitspolitische Reserve des Landes. Im Falle eines militärischen<br />

Angriffs ist sie somit das entscheidende Instrument. Qualitativ erbringt sie<br />

Schlüsselbeiträge, z.B. den Schutz des Luftraums, Aufklärungen aus der<br />

Luft, ABC-Abwehr, Katastrophenhilfe und Führungsinfrastruktur. Die<br />

Aufgaben der Armee sind in Artikel 58 Absatz 2 der Bundesverfassung<br />

definiert und in Artikel 1 des Bundesgesetzes von 1995 über die Armee<br />

und die Militärverwaltung umschrieben. Sie umfassen Kriegsverhinderung<br />

und Erhaltung des Friedens, Verteidigung, Unterstützung der zivilen<br />

Behörden und Friedensförderung. Die definierten Aufgaben sind die<br />

längerfristigen Vorgaben für die Armee, und aus ihnen werden auf Grund<br />

einer jährlichen Überprüfung der Bedrohungen und Gefahren die Aufträge<br />

an die Armee abgeleitet. Kurz könnte der ursprüngliche Zweck der Armee<br />

auch dahingehend definiert werden, potenzielle Gegner davon abzuhalten,<br />

die Schweiz militärisch anzugreifen. Seit geraumer Zeit dient die Armee<br />

aber auch weiteren Zwecken. Sie dient zum Schutz von Bevölkerung und<br />

deren Lebensgrundlagen und leistet schliesslich auch einen<br />

vorbeugenden Beitrag im Ausland, um Auswirkungen bewaffneter<br />

Konflikte auf die Schweiz zu verringern. Die Landesverteidigung leistet<br />

Abwehr gegen einen militärischen Angriff und die Unterstützung der zivilen<br />

119


Behörden zum umfassenden Schutz des Landes und dessen Bewohnern.<br />

Die Armee leistet schon allein durch ihre Existenz, ihre Bereitschaft und<br />

ihre Ausrüstung einen präventiven Beitrag zu Sicherheit, Frieden und<br />

Stabilität im sicherheitspolitischen Umfeld der Schweiz. Dieser Beitrag<br />

erfolgt teilweise in Zusammenarbeit, einerseits mit den<br />

sicherheitspolitischen Partnern im Inland und anderseits durch<br />

internationale Kooperation in der militärischen Ausbildung und der<br />

Rüstungsbeschaffung, in der militärischen Friedensförderung und in der<br />

Unterstützung humanitärer Hilfeleistung.<br />

Auch wenn wir neue Risiken zu verkraften haben, und diesen zu<br />

begegnen wissen, sind bewaffnete Konflikte zwischen staatlichen<br />

Streitkräften nach wie vor eine wiederkehrende Realität. Beispiele dafür<br />

sind der Angriff einer von den USA geführten Koalition auf den Irak im<br />

Jahre 2003 und der Krieg in Georgien im August 2008. Aber auch im<br />

europäischen Umfeld bestehen militärische Bedrohungspotentiale. Ein<br />

umfassendes Gesamtsystem ist unumgänglich. Dieses umfasst Führung,<br />

Führungsunterstützung und Aufklärung bis hin zum Kampf und der<br />

Kampfunterstützung am Boden, in der Luft und aus der Luft sowie in den<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien. Der Wandel der<br />

Bedrohung legt aber auch nahe, die Zweckmässigkeit der bisherigen<br />

Mittel, Massnahmen und Einrichtungen zu überprüfen und zu<br />

hinterfragen.<br />

Entgegen der Darstellung des Sicherheitspolitischen Berichts 2010<br />

(SiPol- Bericht) hat sich auch das sicherheitspolitische Umfeld der<br />

Schweiz stark verändert: Heute sind wir von einem soliden Ring<br />

befreundeter und friedlicher Länder umgeben, die miteinander in<br />

weiträumigen Allianzen, namentlich der NATO und der EU, verbunden<br />

sind und für Sicherheit und Stabilität in Europa sorgen. Auch die<br />

Migrationspolitk wird von der EU über weite Strecken gemeinsam<br />

formuliert und es bestehen erste Ansätze eines “burden sharing“ (z.B.<br />

120


Dublin-System) in Angelegenheiten der Flüchtlingsthematik. und in der<br />

Migrationsaussenpolitik (Prävention irreguläre Migration, Hilfe vor Ort,<br />

Rückkehrprogramme, Aussengrenzenfonds, Frontex, etc). Mit der<br />

Ausdehnung der EU und der NATO auf eine Reihe osteuropäischer<br />

Staaten – heute 27 Mitglieder, ist der Sicherheitsraum um die Schweiz<br />

noch grösser geworden. Ein allfälliger Angreifer müsste ihn zunächst<br />

durchbrechen, bevor er die Schweizergrenze erreichen könnte. Sollte das<br />

gelingen, hätte auch die beste autonome Landesverteidigung keine<br />

Chance mehr. Die Landesgrenze ist nicht mehr unsere Sicherheitsgrenze,<br />

weder aus verteidigungs- noch aus migrationspolitischer Sicht. Die<br />

Bedeutung entfernter Konfliktherde hat hingegen auch für unser Land<br />

zugenommen. Am schnellsten verletzlich ist unser Luftraum, denn<br />

Luftangriffe können praktisch ohne Vorwarnung in kriegerischer oder<br />

terroristischer Absicht auf strategisch sensible Objekte wie<br />

Kernkraftwerke, Staumauern, Transversalen und andere<br />

infrastrukturanlagen erfolgen. Entfernte Konflikte (zum Beispiel in<br />

Subsahara-Afrika) zeigen aber auch auf, inwiefern Flüchtlingsströme die<br />

mediterranen Gewässer erreichen und in der Folge unser Land betreffen<br />

können. Die Bedrohung des Terrorismus wird zwar im SiPol-Bericht<br />

erwähnt, doch werden daraus zu wenig konkrete Schlussfolgerungen<br />

gezogen. Der zerstörerische Luftangriff auf die Twin Towers von New York<br />

vom 11. September 2001 wie auch die terroristischen Anschläge auf Züge<br />

und Bahnhöfe in London und Madrid haben die Verletzlichkeit von<br />

vermeintlich sicheren Staaten mit aller Deutlichkeit illustriert. In dieser<br />

Master-Thesis geht die Autorin explizit auf diese neuen Risiken ein und<br />

zeigt explizit auch den Zusammenhang zur Migrationspolitik auf (Beispiel<br />

des sogenannten „Homegrown Terrorismus“ in England).<br />

Die heutige und auch die im sicherheitspolitischen Bericht vorgesehene<br />

Armee entspricht dem sicherheitspolitischen Umfeld wie erwähnt nicht<br />

mehr. Gemäss dem SiPol-Bericht ist der Hauptauftrag der Armee jedoch<br />

121


noch immer die klassische Landesverteidigung. Auslandeinsätze und<br />

Friedenswahrung sollen zwar möglich sein, aber nur mit sehr<br />

bescheidenen Mitteln erfüllt werden. Dies ist ein deutlicher Widerspruch<br />

zur Militärdoktrin in fast allen anderen europäischen Staaten. Selbst<br />

bevölkerungsmässig kleine europäische Staaten leisten mehr. In den<br />

letzten fünf Jahren befanden sich durchschnittlich 280 schweizerische<br />

Armeeangehörige in Auslandeinsätzen zur Friedensförderung. Das ist die<br />

Hälfte von Slowenien mit seinen bloss 2 Millionen Einwohnern, etwa<br />

dreimal weniger als im Fall Finnlands und Schwedens und fast fünfmal<br />

weniger als im Fall Österreichs. Eine Reihe kleiner Länder wie etwa<br />

Belgien, Dänemark, Estland, Kroatien, Norwegen und die Slowakei stellen<br />

sogar Kräfte für die Stabilisierung Afghanistans zur Verfügung, dies in der<br />

Einsicht, dass der Kampf gegen den Terrorismus uns alle etwas angeht.<br />

Ganz offensichtlich haben diese Länder zudem auch die Einsicht<br />

gewonnen, dass die grossen Herausforderungen in der<br />

Flüchtlingsproblematik nur dann gemeistert werden können, wenn wir vor<br />

Ort, also im Konfliktland selber einen Beitrag leisten und dies insgesamt<br />

nicht nur finanziell günstiger ist, sondern auch innerpolitische Konflikte<br />

rund um die Flüchtlingsproblematik mindert.<br />

Aufgrund der Bilateralen Verträge arbeiten wir in einer ganzen Anzahl von<br />

Bereichen eng mit der EU zusammen: wirtschaftlich, im Polizei- und<br />

Asylwesen, in der Forschung, der Bildung etc. (siehe dazu auch die<br />

Ausführungen der Autorin dieser Master-Thesis betreffend<br />

Schengen/Dublin). Es gibt über 100 Abkommen und weitere sind<br />

unterwegs. Nur im eminent wichtigen Bereich der Sicherheit leben wir<br />

dieser Politik nicht nach. Es ist schwer einzusehen, was uns daran hindert,<br />

das Prinzip der Bilateralen Verträge auf die Sicherheitspolitik<br />

auszudehnen. Je knapper die finanziellen Mittel sind, desto mehr ist die<br />

Sicherheitspolitik auf internationale Zusammenarbeit angewiesen und je<br />

122


mehr die Armee im europäischen Umfeld kooperiert, desto grösser dürften<br />

ihre Erfolgschancen im Konfliktfall sein.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Wenngleich die Schweizer Bevölkerung mehrmals an der Urne deutlich ja<br />

gesagt hat zu einer starken, modernen Armee, werden die Budgets seit<br />

Jahren gekürzt, und der Wille des Souveräns in diesem Sinne nicht<br />

respektiert. Innert 20 Jahren hat sich das Verteidigungsbudget von 1,8 %<br />

auf 0,8 % des Bruttoinlandproduktes reduziert – was einen eigentlichen<br />

Sinkflug bedeutet. Der neuste Sicherheitspolitische Bericht 2010 macht<br />

besonders für Insider deutlich, dass ein Ringen im Gange ist zwischen der<br />

Generation im Sinne einer „Armee von 1961“ (im Volksmund auch<br />

„Stahlhelmfraktion“ genannt) und einer zukunftsgerichteten Optik, welche<br />

Sicherheit dank Kooperation propagiert. Unheilige Allianzen zwischen<br />

Kräften ganz links und ganz rechts verweigern eine Lageanalyse, die den<br />

neuen Bedrohungslagen gerecht würde. Die Armee hat bei der<br />

Bevölkerung nicht zuletzt aufgrund dieser unklaren Haltung und aufgrund<br />

einer fehlenden umfassenden Sicherheitsstrategie massiv gelitten, was<br />

der Sicherheitsfrage in einem Land der direkten Demokratie nicht eben<br />

zuträglich ist.<br />

3.2.2.. Sicherheitspolitischer Faktor Nachrichtendienst der<br />

Schweiz 50<br />

Der SiPol-Bericht äussert sich wenig konkret über die Möglichkeiten und<br />

Effizienz des Nachrichtendienstes 51 , Mängel benennt er nicht. So steht im<br />

Bericht etwa Folgendes:<br />

„Die diffuse Bedrohungslage, mit der die Schweiz konfrontiert ist, erhöht<br />

die Bedeutung nachrichtendienstlicher Aufklärung und Früherkennung.<br />

Bundesrat und Parlament forderten angesichts der zunehmenden<br />

50 Quelle: Entwurf Sicherheitspolitischer Bericht 2010, Abschnitt zum Nachrichtendienst<br />

51 Quelle: Diskussionen mit Dr. Markus Seiler, Direktor Nachrichtendienst Schweiz<br />

123


Interdependenzen von innerer und äusserer Sicherheit seit Längerem eine<br />

verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem Dienst für Analyse und der<br />

Prävention (Inlandnachrichtendienst) und dem Strategischen<br />

Nachrichtendienst (Auslandnachrichtendienst). Im Zuge der folgerichtigen<br />

Fusion vom 1. Januar 2010 wird es auch darum gehen, Synergiepotentiale<br />

zu suchen und zu nutzen. Der NDB ist das Kompetenzzentrum für<br />

sämtliche nachrichtendienstliche Belange der inneren und äusseren<br />

Sicherheit. Er unterstützt die politische und militärische Führung und<br />

weitere Dienststellen bei Bund und Kantonen und trägt mit seinen<br />

Erkenntnissen und Beurteilungen zu bedrohungsgerechten und breit<br />

abgestützten Entscheiden bei. Der NDB richtet den Einsatz seiner Mittel<br />

nach den Bedürfnissen und Erwartungen seiner Partner und<br />

Leistungsbezüger. Der NDB hat den generellen gesetzlichen Auftrag, die<br />

Lage umfassend zu beurteilen. Dazu gehören nicht nur die Aufklärung,<br />

Beschreibung und Beurteilung der aktuellen Situation, sondern auch die<br />

Früherkennung möglicher Gefährdungen. In erster Linie interessieren<br />

dabei Entwicklungen, die direkt oder indirekt die Interessen der Schweiz,<br />

insbesondere ihre Sicherheit und Handlungsfähigkeit betreffen.<br />

Früherkennung ermöglicht es der politischen und militärischen Führung<br />

und anderen Dienststellen der Verwaltung von Bund und Kantonen,<br />

zweckmässige Entscheide zu treffen. Der NDB gewährleistet mit dem<br />

Bundeslagezentrum die fortlaufende Lagedarstellung und Lagebeurteilung<br />

im Bereich innere und äussere Sicherheit sowie die Warnung und<br />

Alarmierung im Ereignisfall. Eine besondere Aufgabe hat der NDB mit der<br />

Bearbeitung von Informationen der inneren Sicherheit. Er ist ein<br />

wesentlicher Teil des Staatschutzes. Der Bund trifft zusammen mit den<br />

Polizeiorganen der Kantone vorbeugende Massnahmen zur frühzeitigen<br />

Verhinderung und Bekämpfung solcher Gefahren. Da sich innere und<br />

äussere Sicherheit kaum noch voneinander unterscheiden lassen, tragen<br />

sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland auch zur<br />

Wahrung der inneren Sicherheit bei“.<br />

124


Die Beschreibung der Aufgabenweise ist wenig konkret und benennt<br />

lediglich, dass der NDB Informationen beschaffen muss, die andere<br />

Bundesstellen mit ihren Rechtsgrundlagen und Mitteln nicht besorgen<br />

können, und dass er diese unter Berücksichtigung öffentlich zugänglicher<br />

Informationen auswerte. Der NDB erhalte, so liest man, exklusive<br />

Informationen aus menschlichen Quellen, der Aufklärung von<br />

Kommunikationsmitteln im Ausland und einem grossflächigen Netz<br />

ausländischer Partnerdienste.<br />

Der SiPol-Bericht verzichtet, darauf einzugehen, dass der<br />

Nachrichtendienst in der Schweiz seit der Fichenaffäre unter „stumpfen<br />

Waffen“ leidet. So ist es ihm verwehrt, in private Räume einzudringen,<br />

Telefone abzuhören etc. Das scheint ein grosses Problem zu sein, denn<br />

so kann er sich kein umfassendes Bild über die Bedrohungslage<br />

verschaffen. Wir sprechen hierbei weniger von Monitoring als von<br />

Prävention im Gegensatz zur Aufklärung von begangenen Attentaten.<br />

Wenn man zudem weiss, dass das ND-Geschäft äusserst stark nach dem<br />

Prinzip von Geben und Nehmen lebt, so läuft die Schweiz Gefahr, dass<br />

sie auch auf internationalem Parkett kein attraktiver Partner sein kann.<br />

Schliesslich ist davon auszugehen, dass sich Kriminelle, kriminelle<br />

Organisationen (z.B. die Mafia) und Terroristen die Lücken im<br />

Abwehrdispositiv der Schweiz ebenso zu Nutze machen wie fremde<br />

Nachrichtendienste.<br />

Was die Bedrohung durch Terrorismus betrifft, so ist die Lage durch die<br />

Annahme der Minarett-Initiative und den Versuch der Instrumentalisierung<br />

dieses Volksentscheids durch Libyen zur Diskreditierung der Schweiz in<br />

der muslimischen Welt in der Tat komplexer geworden. Auch ist offenbar<br />

zu beobachten, dass islamistische Homepages zunehmend in Deutsch<br />

und Französisch abgefasst werden, was das Potenzial für Radikalisierung<br />

vergrössert. Das überhöhte mediale Interesse an (konvertierten)<br />

Extremisten kann ebenfalls dazu führen, dass das Risiko zunimmt,<br />

125


wonach ein in der Schweiz lebender, radikalisierter Einzeltäter in Aktion<br />

treten könnte. In diesem Falle hätten wir es mit dem so genannten<br />

„homegrown Terrorismus“ zu tun. Einmal mehr muss daher gefordert<br />

werden, dass man auch in der Schweiz, ohne zu übertreiben, die<br />

Zusammenhänge zwischen Migration, sich verändernder<br />

Bevölkerungsstruktur und den neuen Bedrohungen noch vertiefter<br />

analysiert, akzeptiert und politisch die richtigen Folgerungen zieht: Eine<br />

davon wäre, die präventive Tätigkeit (Dschihadismus Monitoring,<br />

erweiterte Möglichkeiten zur Überwachung von mutmasslichen<br />

Gewaltextremisten oder Terroristen gemäss Vorschlag des Bunderates<br />

zur Revision des BWIS, welches leider vom Parlament abgelehnt wurde)<br />

der Nachrichtendienste und der Kriminalpolizeien (Titel „Staatsschutz“) zu<br />

stärken und auszubauen. Es kann nicht sein, dass Datenschutz zu<br />

Täterschutz wird. Experten, gestützt auch auf internationale Erfahrungen<br />

vieler Staaten, betonen in diesem Zusammenhang einmal mehr, dass die<br />

politische Führung analog zu Deutschland eine Strategie entwickeln sollte,<br />

wie sie mit dem Phänomen Sicherheit / Migration gesamthaft umgehen<br />

will. In Kapitel 3.2. dieser Thesis wird der „Comprehensive Approach“<br />

Deutschlands beschrieben.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Auch beim Nachrichtendienst zeigt sich das Fehlen einer umfassenden<br />

Sicherheitsstrategie des Landes. Zwar wurden die zivilen<br />

Nachrichtendienste im Januar 2010 fusioniert, jedoch ist der<br />

Nachrichtendienst der Armee nach wie vor nicht unter der gleichen<br />

Führung angesiedelt. Die Beschreibung der Aufgabenweise ist im neusten<br />

sicherheitspolitischen Bericht wenig konkret und verzichtet auch darauf,<br />

dass der Nachrichtendienst der Schweiz seit der „Fichenaffäre“ unter<br />

„stumpfen Waffen“ leidet. Wenn man weiss, dass der Nachrichtendienst<br />

stark nach dem Prinzip von Geben und Nehmen lebt, so läuft die Schweiz<br />

Gefahr, dass sie auch auf internationalem Parkett kein attraktiver Partner<br />

sein kann. Schliesslich ist davon auszugehen, dass sich Kriminelle,<br />

126


kriminelle Organisationen (z.B. die Mafia) und Terroristen sowie fremde<br />

Nachrichtendienste die Lücken im Abwehrdispositiv der Schweiz zu Nutze<br />

machen können.<br />

3.2.3. Sicherheitspolitischer Faktor Neutralität der Schweiz<br />

Die CSS Analyse der ETHZ zur Sicherheitspolitik vom September 2007<br />

beschreibt eindrücklich Differenzen, bzw. wie sich in der Schweiz<br />

Traditionalisten und Öffnungsbefürworter um die Deutungshoheit der<br />

Neutralität „streiten“. Die Omnipräsenz der Neutralität verdecke die<br />

Tatsache, dass deren sicherheitspolitische Relevanz stark abgenommen<br />

habe. Gleichzeitig behindere sie, so die Autoren der Analyse, eine<br />

fundierte Diskussion über die sehr unterschiedlichen Visionen, deren<br />

Unvereinbarkeit die Schweizer Handlungsfähigkeit beeinträchtige.<br />

Erforderlich sei ein vom Neutralitätsbegriff losgelöster Strategieprozess,<br />

der eine Festlegung der zentralen Interessen und Prioritäten und eine<br />

bessere Koordination der zivilen und militärischen Mittel ermöglichen<br />

könnte.<br />

Die Neutralität geniesst in der Schweiz ungebrochene Zustimmung. In<br />

Meinungsumfragen sprachen sich im Februar 2007 noch 92 % der<br />

Schweizer für die Neutralität aus. Die Popularität dieses Konzepts<br />

widerspiegelt sich auch in der Politik und insbesondere traditionell<br />

konservative Kreise und unheilige Allianzen der Parteien ganz rechts und<br />

ganz links des politischen Spektrums nutzen das Thema zur Verhinderung<br />

von Armee-Reformen im Sinne der „Sicherheit dank Kooperation“. Sie<br />

verhindern so gemeinsam eine interessensgeleitete Sicherheitspolitik. In<br />

der Vergangenheit erwies sich die Neutralität für den multiethnischen<br />

Kleinstaat als eine erfolgreiche Sicherheitsstrategie, um sich den<br />

dynastisch, konfessionell und später nationalistisch geprägten Kriegen in<br />

Europa zu entziehen und die innere Kohäsion zu wahren. Im<br />

europäischen Gleichgewichtssystem des 19. und frühen 20. Jahrhunderts<br />

127


wurde sie denn auch von den Grossmächten als Stabilitätsfaktor<br />

anerkannt. Nicht zuletzt deshalb blieb die Schweiz von beiden Weltkriegen<br />

verschont. Diese Argumentation wird noch heute von klassischen<br />

Neutralitätsbefürwortern argumentativ ins Feld geführt. Während des<br />

Kalten Kriegs verlor die Schutzfunktion der Neutralität jedoch an<br />

Bedeutung. Die Schweiz positionierte sich im Ost-West-Antagonismus<br />

ideell klar auf Seiten der westlichen Wertegemeinschaft. So beliebt die<br />

Neutralität in der Schweiz nach wie vor sein mag, so umstritten ist heute<br />

ihre konkrete inhaltliche Bedeutung, denn gegensätzliche Konzepte von<br />

„aktiver“ und „integraler“ Neutralität prallen aufeinander und machen<br />

deutlich, dass Neutralität losgelöst von ihrem völkerrechtlich definierten<br />

militärischen Kern zu einem politischen Kampfbegriff geworden ist.<br />

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich die bereits in<br />

den 1990er Jahren erkennbare Asymmetrie als Wesensmerkmal des<br />

Bedrohungsbildes akzentuiert. Angesichts der fortschreitenden<br />

Entstaatlichung und Entterritorialisierung aktueller Gefahren und Risiken<br />

hat die Bedeutung der Neutralität als Sicherheitsstrategie weiter<br />

abgenommen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Neutralität vor<br />

islamistischem Terrorismus schützt, der gegen westliche Werte ebenso<br />

wie gegen muslimische Andersgläubige gerichtet ist. Dieser Meinung ist<br />

auch eine Mehrheit der Bevölkerung. Gemäss der Jahresstudie<br />

„Sicherheit 2007“ gehen 66 % der Befragten davon aus, dass die<br />

Neutralität eines Landes für Terroristen bei der Beurteilung möglicher<br />

Anschlagsziele kein relevanter Faktor ist. Die auf zwischenstaatliche<br />

Kriege ausgerichtete Neutralität kann aber auch auf andere aktuelle<br />

Bedrohungen wie die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, das<br />

Scheitern von Staaten mit entsprechenden Flüchtlingswellen oder die<br />

organisierte Kriminalität keine Antworten liefern. Dass die Neutralität<br />

trotzdem populärer denn je ist, hat offenbar mit der anhaltenden<br />

Identifikationsfunktion der Neutralität zu tun. 80 % der Bevölkerung hält<br />

die Neutralität als untrennbar mit dem helvetischen Staatsgedanken<br />

128


verbunden. Die Traditionalisten anerkennen zwar durchaus, dass sich das<br />

Bedrohungsbild seit 1989 stark verändert hat. Eine Anpassung des<br />

aussen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums lehnen sie aber ab.<br />

Rechtskonservative Kreise in der Schweiz suggerieren deshalb nach wie<br />

vor, dass eine Rückkehr zur integralen Neutralität der Nachkriegszeit die<br />

nationale Sicherheit erhöhen würde. So sprechen sie sich gegen<br />

sicherheitspolitische Kooperation aus, gegen militärische Auslandeinsätze,<br />

einen EU-Beitritt und eine Einmischung in Konflikte mit nichtstaatlichen<br />

Akteuren, da alle diese Massnahmen in ihren Augen die Neutralität der<br />

Schweiz gefährden. Entgegen einem breiten internationalen Konsens,<br />

wonach die heute dominierenden Risiken und Krisen nur im Verbund zu<br />

bewältigen sind, sehen sie im nationalen Alleingang die beste<br />

Überlebensstrategie. Dennoch erachtet gemäss Studien nur eine<br />

Minderheit der Bevölkerung eine autonome Sicherheitsbewältigung als<br />

machbar.<br />

Die Vorsteherin des EDA, Bundesrätin Micheline Calmy Rey hat auf die<br />

Traditionalisten mit dem Gegenkonzept der“ aktiven Neutralität“ reagiert.<br />

Sie verwendet die Neutralität zur Legitimierung einer aktiven Aussenpolitik<br />

mit der Begründung, dass gerade weil die Schweiz neutral sei,<br />

Friedensförderung und aktives Verteidigen von Menschenrechten und das<br />

Verteidigen des Völkerrechts der Solidaritätsmaxime entspreche und das<br />

„Abseitsstehen“ der Schweiz kompensiere. Die Differenzen der ideellen<br />

Überzeugungen spiegeln sich ganz konkret auch im Prozess rund um den<br />

SiPol-Bericht 2010. Bundesrat Ueli Maurer (Vorsteher des VBS) und das<br />

EDA schienen über gewisse Strecken regelrecht gelähmt ob der<br />

Differenzen. Anstatt sich in einen fruchtlosen Deutungsstreit um die<br />

„wahre Neutralität“ zu verstricken, sollten die politischen<br />

Entscheidungsträger die dem Streit zugrunde liegenden grundsätzlichen<br />

Differenzen bezüglich der Ausrichtung der Aussen- und Sicherheitspolitik<br />

diskutieren und eine klare und kohärente sicherheitspolitische Strategie<br />

129


formulieren. Gefragt wäre ein vom Neutralitätsbegriff losgelöster nationaler<br />

Strategieprozess, in welchem die Schweiz aufgrund einer umfassenden<br />

Bedrohungsanalyse ihre aussen- und sicherheitspolitischen Interessen<br />

und Prioritäten festlegt und daraus klare Aufträge für geeignete<br />

Instrumente ableitet. Interessant bei dieser Diskussion ist der Vergleich mit<br />

unserem ebenfalls neutralen Nachbarn Österreich, der Neutralitätspolitik<br />

aktiv lebt, sich ebenfalls zu den neutralen und Allianz-freien Staaten in<br />

Europa zählt und (bis 2006) 1236 Truppen in Friedensmissionen engagiert<br />

hat (die Schweiz dem gegenüber lediglich 274 Truppen im vergleichbaren<br />

Zeitrahmen).<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Traditionalisten (umfassende Neutralität) und Öffnungsbefürworter (aktive<br />

Neutralität) stehen miteinander in der Thematik rund um die<br />

Deutungshoheit der Neutralität im Widerspruch. Erforderlich wäre ein vom<br />

Neutralitätsbegriff losgelöster Strategieprozess, der eine Festlegung der<br />

zentralen Interessen und Prioritäten und somit eine bessere Koordination<br />

der zivilen und militärischen Mittel ermöglichen könnte. Die Neutralität<br />

geniesst zwar in der Schweiz ungebrochene Zustimmung des Souveräns.<br />

Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich<br />

die Asymmetrie als Wesensmerkmal des Bedrohungsbildes allerdings<br />

akzentuiert. Angesichts der fortschreitenden Entstaatlichung und<br />

Entterritorialisierung aktueller Gefahren und Risiken hat die Bedeutung der<br />

Neutralität als Sicherheitsstrategie weiter abgenommen. Es gibt jedenfalls<br />

keine Anzeichen dafür, dass Neutralität z.B. vor islamistischem<br />

Terrorismus schützen würde. Die Bevölkerung scheint sich bewusst zu<br />

werden, dass eine autonome Sicherheitsbewältigung nicht mehr machbar<br />

ist. Es gilt daher zu verdeutlichen, dass eine aktivere<br />

Neutralitätsauslegung neue Staatsmaxime sein müsste. Interessant wäre<br />

ein Vergleich mit unserem Nachbarn Österreich, der Neutralitätspolitik<br />

aktiv lebt und sich dennoch als neutrales Land versteht und ebenfalls<br />

ohne Allianz Partner agiert.<br />

130


3.2.4. Sicherheitspolitischer Faktor Polizeikräfte der Schweiz und<br />

innere Sicherheit<br />

Die Schweiz ist verglichen zu anderen Ländern eine Heimat für ihre<br />

Menschen, die grosse Sicherheit und öffentliche Ordnung gewährt. Der<br />

Schutz vor kriminellen Übergriffen ist als gut zu bezeichnen, wenngleich<br />

die effektiven Zahlen an Delikten nicht zu verharmlosen sind. Gewalttaten,<br />

Sexualstraftaten, Vermögensstraftaten und der Verstoss gegen das<br />

Betäubungsmittelgesetz sowie gegen das Ausländergesetz nehmen<br />

insbesondere in der Öffentlichen Wahrnehmung einen hohen Stellenwert<br />

ein.<br />

Für diese Master-Thesis von Relevanz ist insbesondere die Frage<br />

nach dem Anteil beschuldigter Ausländer und inwiefern<br />

Migrationspolitik die Sicherheitspolitik beeinflusst.<br />

Die neuste polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) gibt Auskunft über Fakten<br />

und Zahlen über die im Jahr 2009 erfassten, gesamthaft 446‘505 Delikt-<br />

Fälle. Von diesen Straftaten entfallen<br />

• 82 % auf das Strafgesetzbuch<br />

• 13 auf das Betäubungsmittelgesetz<br />

• 4 % auf das Ausländergesetz<br />

• 1 % auf weitere strafrechtlich relevante Bundesnebengesetze<br />

In diesen Zahlen nicht berücksichtig sind Widerhandlungen gegen<br />

kantonale Gesetze oder das Strassenverkehrsgesetz (SVG).<br />

Das Bundesamt für Statistik erhebt jährlich im September die Daten zur<br />

inneren Sicherheit, bzw. zu den Delikten und veröffentlicht die Zahlen<br />

Anfang des Folgejahres. Es handelt sich bei der Statistik 2009 in diesem<br />

Sinne um die neusten Zahlen der Schweiz, die zurzeit zur Verfügung<br />

stehen, und in diese Arbeit integriert wurden. Die nachstehenden<br />

Darstellungen stammen aus den Statistiken des BfS – Bundesamt für<br />

131


Statistik, Neuchâtel, Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) Jahresbericht<br />

2009.<br />

Abbildung 10: Beschuldigte Personen in der Schweiz nach<br />

Staatszugehörigkeit und nach Gesetzen<br />

Tabelle 6: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres pro<br />

Herkunft der beschuldigten Person,<br />

Verstösse gegen das Strafgesetz<br />

132


Tabelle 7: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009, Verstösse gegen das Strafgesetz<br />

133


Im nachstehenden Excel-Dokument werden auch die Anteile der<br />

einzelnen Regionen ausgewiesen. Die Kantone haben sich in Fragen<br />

des Straf- und Massnahmevollzugs in drei Regionen zusammen<br />

geschlossen:<br />

• Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz<br />

• Strafvollzugskonkordat der Ostschweiz<br />

• Strafvollzugskonkordat lateinischen Schweiz<br />

Einerseits zeigen die Daten aus der Erhebungsreihe Fakten zum<br />

Ausländeranteil im Freiheitsentzug der Jahre 2004 – 2009. Andererseits<br />

wird der Ausländeranteil in der Untersuchungshaft für das Jahr 2009<br />

separat ausgewiesen.<br />

Tabelle 8: Anteil der Ausländer im schweizerischen Freiheitsentzug,<br />

seit 2004 bis 2009<br />

Beschuldigte Personen<br />

Der Anteil der aufgeklärten Straftaten ist insbesondere in Bezug auf die<br />

Beschuldigten von Interesse. Je höher die Aufklärungsquote, desto<br />

repräsentativer die Aussagen zu den beschuldigten Personen. Einmal<br />

mehr betätigt sich repräsentativ die kriminologisch bereits gefestigte<br />

Erfahrung, dass männliche Personen im Alter zwischen 18 und 30<br />

Jahren besonders häufig polizeilich auffallen. Der Vergleich mit den<br />

Bevölkerungszahlen zeigt aber, dass die 15- bis 17- jährigen<br />

Beschuldigten die höchste Belastung aufweisen.<br />

Neu werden Beschuldigte ohne Schweizer Staatszugehörigkeit auch nach<br />

ihrem rechtlichen Aufenthaltsstatus unterschieden. Eine differenzierte<br />

134


Betrachtung nach jeweiligem Gesetz oder sogar Straftatbestand ist dabei<br />

wichtig. Der Anteil der ausländischen Beschuldigten bleibt im Bereich<br />

des Strafgesetzbuches mit 47,8% im Rahmen der Vorjahre, auch<br />

wenn zu berücksichtigen ist, dass früher noch nicht alle<br />

Straftatbestände des Strafgesetzbuches enthalten waren.<br />

Beschränkt man den Blick auf die ständige Wohnbevölkerung der<br />

Schweiz, so sind 64 % der Beschuldigten Schweizer Staatsangehörige<br />

und rund 36 % Ausländer mit Niederlassungs- oder<br />

Jahresaufenthaltsbewilligungen. Der Ausländeranteil in der ständigen<br />

Wohnbevölkerung betrug 2008 rund 22 %, ihr Anteil an den<br />

Beschuldigten liegt mit 14 Prozentpunkten deutlich über ihrem<br />

Bevölkerungsanteil. Inwiefern dies mit dem durchschnittlichen<br />

tieferen sozioökonomischen Status der ständigen ausländischen<br />

Wohnbevölkerung zusammenhängt, wird sich mit dem zukünftigen<br />

Integrationsindikatorensystem des BFS bald besser eruieren lassen.<br />

Mit 4,4 % aller Beschuldigten sind auch Personen aus dem Asylbereich<br />

bei den Straftaten, gegen das Strafgesetzbuch gemessen, an ihrer<br />

Zahl zu der Gesamtbevölkerung, übervertreten. Von den insgesamt<br />

rund 9’300 Straftaten mit mutmasslichen Beteiligungen dieser<br />

Beschuldigungsgruppe handelt es sich zum grössten Teil um<br />

Vermögensstraftaten, Ladendiebstahl 2’243, allgemeinem Diebstahl 611<br />

und Einbruchdiebstahl 537.<br />

14,2% der registrierten Beschuldigten entfallen schliesslich auf die Gruppe<br />

Ausländer ohne längerfristige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Bei<br />

dieser Personengruppe fällt trotz möglicherweise verkürzter<br />

Aufenthaltsdauer und erschwerter Identifikationsmöglichkeiten auf, dass<br />

der Anteil wiederholt registrierter Personen im Vergleich zu anderen<br />

Beschuldigtengruppen erhöht ist: 5,1 % der Beschuldigten,<br />

minderjährige Ausländer ohne längerfristige Aufenthaltsberechtigung<br />

wurden innerhalb 2009 für mehr als 10 Straftaten polizeilich registriert.<br />

Dieser Anteil liegt bei den beschuldigten erwachsenen Schweizern resp.<br />

135


Ausländern der Wohnbevölkerung bei 2,1 %. 21,6 % der aufgeklärten<br />

152‘417 Straftaten gegen das Strafgesetzbuch sind gemäss aktuellem<br />

Wissensstand den Beschuldigten mit mehr als zehn registrierten<br />

Straftaten zuzuschreiben.<br />

Die Verteilung der Beschuldigten nach Nationalitäten entspricht<br />

weitgehend den jeweiligen Bevölkerungsanteilen, insbesondere wenn man<br />

sich auf die Beschuldigten der ständigen Wohnbevölkerung bezieht. Bei<br />

den Beschuldigten ohne längerfristige Aufenthaltsbewilligung fallen im<br />

Bereich Strafgesetzbuch in absoluten Zahlen hauptsächlich<br />

Staatsangehörige von Frankreich (eingebürgerte Algerier, Tunesier etc.),<br />

Serbien/Montenegro/Kosovo und Rumänien auf. Je nach Gesetz und<br />

Kanton variiert die Verteilung der Nationalität der Beschuldigten jedoch<br />

beträchtlich.<br />

Abbildung 11: Beschuldigte nach Alter und Geschlecht, Jahr 2009,<br />

Verstösse gegen das Strafgesetz<br />

136


Abbildung 12: Beschuldigte nach Alter und Geschlecht, Jahr 2009,<br />

verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

Tabelle 9: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres<br />

pro beschuldigte Person, Jahr 2009, Verstösse gegen<br />

das Betäubungsmittelgesetz<br />

137


Tabelle 10: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009, Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

138


Tabelle 11: Beschuldigte nach Altersgruppen und<br />

Staatsangehörigkeit, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen Betäubungsmittelkonsum<br />

Tabelle 12: Beschuldigte nach Altersgruppen und<br />

Staatszugehörigkeit; Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Gesetz - Betäubungsmittelhandel<br />

Ausländergesetz<br />

Erstmals liegen nun auch die Zahlen zu den polizeilichen Registrierungen<br />

von Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz vor.<br />

Erwartungsgemäss betrifft ein Grossteil die illegale Einreise oder den<br />

unrechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz (69 %, 18‘543 Straftaten) –<br />

Widerhandlungen, die sich gemäss rechtlichen Rahmenbedingungen auf<br />

139


spezifische Nationalitäten beschränken. Daneben ist insbesondere noch<br />

der Bereich der unrechtmässigen Beschäftigten resp. Erwerbstätigkeit mit<br />

17 % resp. 4499 Straftaten zu erwähnen.<br />

Tabelle 13: Anzahl Straftaten innerhalb eines Kalenderjahres<br />

pro beschuldigte Person, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Ausländergesetz<br />

Abbildung 13: Ausländergesetz: Beschuldigte nach Alter und<br />

Geschlecht, Jahr 2009,<br />

Verstoss gegen das Ausländergesetz<br />

140


Tabelle 14: Beschuldigte nach Nationalität und Aufenthaltsstatus,<br />

Jahr 2009, Verstoss gegen das Ausländergesetz<br />

141


Eine abschliessende Würdigung der Zahlen ist nur eingeschränkt möglich,<br />

da der Jahresbericht noch teilweise unter dem Einfluss der Umstellungen<br />

gegenüber Vorjahren erfolgte.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Es kann erhärtet festgestellt werden, dass der Anteil von Ausländern an<br />

erfassten Delikten gross ist und die Migrationspolitik in diesem Sinne die<br />

Sicherheitspolitik zweifellos stark beeinflusst (siehe dazu auch Kapitel<br />

Integration und Kriminalitätstheorien).<br />

Es besteht seit Jahren die Forderung nach mehr Polizeikräften. Innerhalb<br />

von Expertenkreisen geht man davon aus, dass in der Schweiz der<br />

Bestand um 1600 Polizisten erhöht werden und diese Forderung endlich<br />

auch politisch Nachhall finden müsste. Dies wiederum bedingt höhere<br />

Sicherheitsbudgets in den einzelnen Gemeinden und Kantonen. Auch die<br />

Forderung nach erhöhten Mitteln zur besseren Integration, insbesondere<br />

jugendlicher Ausländer und Ausländerinnen, erhärtet sich beim Lesen der<br />

neusten polizeilichen Kriminalstatistik 2009 erneut. Dem Ruf nach einer<br />

härteren Gangart gegenüber kriminellen Ausländern wird mit dem neuen<br />

und verschärften Ausländer- und Asylgesetz Rechnung getragen. Die<br />

Ausschaffungsinitiative betreffend kriminelle Ausländerinnen und<br />

Ausländer sowie die neuste Initiative privater Kreise, gemäss derer die<br />

Einführung der Todesstrafe gefordert wird, zeigt die Stimmung einer nicht<br />

zu unterschätzenden Teilöffentlichkeit in der Schweiz – „ Perception is<br />

reality“! Diesem Umstand hat die Politik Rechnung zu tragen.<br />

3.2.5. Sicherheitspolitischer Faktor Verträge mit der EU und<br />

Gesetzgebung<br />

Diese werden als wichtige Elemente zur Schnittstelle irreguläre Migration<br />

und Sicherheit betrachtet.<br />

142


3.2.5.1. Das Schengener-System<br />

Die Schengener Abkommen stehen für eine inzwischen weitverzweigte<br />

Rechtsentwicklung, deren Kernbereich die Abschaffung der stationären<br />

Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Schengenstaaten darstellt. Die<br />

ursprünglichen Schengener Abkommen werden jedoch inzwischen fast<br />

vollständig durch verschiedene andere Rechtsakte ersetzt oder überlagert.<br />

Die Rudimente dieser Abkommen und das darauf aufbauende Recht<br />

bilden den so genannten Schengener Besitzstand, der häufig auch als<br />

Schengen-Acquis bezeichnet wird.<br />

Mit dem Beitritt der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein zu<br />

Schengen ist der Schengener Rechtsraum in Westeuropa geschlossen.<br />

Das Schengener System, wie auch Dublin ist am 12.12.2008 für die<br />

Schweiz in Kraft getreten.<br />

Mobilität in Europa und Freizügigkeit in der Europäischen Union sind<br />

damit endgültig Alltag – allerdings auch für Tatverdächtige. Weil Letztere<br />

an der Grenze nicht mehr kontrolliert werden, ergeben sich daraus<br />

Sicherheitsprobleme, die durch eine verstärkte grenzüberschreitende<br />

Zusammenarbeit der Schengen-Staaten kompensiert werden müssen.<br />

Der Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der<br />

grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration (Prümer<br />

Vertrag) wird gelegentlich als Schengen II bezeichnet, da er die mit dem<br />

Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) verstärkte polizeiliche<br />

und justizielle Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten weiterführt.<br />

Personenkontrollen fallen weg<br />

Während innerhalb des Schengen-Gebietes die Personenkontrollen<br />

weggefallen sind, werden Personen an den Aussengrenzen zu<br />

Drittstaaten nach einem einheitlichen Standard kontrolliert. Dazu wurde<br />

ein elektronischer Fahndungsverbund (Schengener Informationssystem)<br />

143


geschaffen und einheitliche Einreisevoraussetzungen für Drittausländer<br />

festgelegt. Daher ist an jedem Punkt der Schengen-Aussengrenze die<br />

Einreise zu verweigern, wenn kein Schengen-Visum vorhanden ist oder<br />

aus anderen Gründen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit eines<br />

Schengenstaates festgestellt wird. An den Flughäfen gibt es getrennte<br />

Abfertigungen für Flüge aus den Schengen-Mitgliedstaaten und aus<br />

Drittstaaten. Ist ein so genanntes einheitliches Schengen-Visum von<br />

einem Mitgliedstaat erteilt worden, besteht Reisefreiheit für einen<br />

Kurzaufenthalt von max. 3 Monaten in allen Schengen-Staaten. Auch die<br />

Inhaber eines Aufenthaltstitels eines Schengenstaates geniessen<br />

Reisefreiheit in den anderen Mitgliedstaaten. Vor allem wurde die<br />

grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit intensiviert, um der<br />

erleichterten Mobilität der Straftäter begegnen zu können. Dazu gehören<br />

der erleichterte Informationsaustausch, gemeinsame Streifen im<br />

Binnengrenzraum, die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Observation<br />

oder Verfolgung von Straftätern.<br />

Aufenthaltsverbote<br />

Das Schengen-System beinhaltet ferner unter anderem<br />

Aufenthaltsverbote für den gesamten Schengen-Raum. Diese<br />

Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung im SIS, beruhen auf einer<br />

nationalen Entscheidung wie beispielsweise der Wiedereinreisesperre<br />

nach Ausweisung oder Abschiebung. Dem liegt der Gedanke zu Grunde,<br />

dass Straftäter, die aus einem Schengenstaat wegen einer dauerhaften<br />

Gefahr für die öffentliche Sicherheit fernzuhalten sind, grundsätzlich auch<br />

in den anderen Schengenstaaten unerwünschte Personen sind. Dies ist<br />

insbesondere auch für die im Kapitel „Sicherheitspolitische Schnittstelle<br />

Terrorismus“ betreffend die Argumente und Aussagen zur neuen<br />

Terrorismusgefahr relevant. Aber auch betreffend Ausnahmefälle, zum<br />

Beispiel für Grossveranstaltungen (z.B. Fussball Europa und<br />

Weltmeisterschaften, G8-Gipfel in Genua oder das WEF in der Schweiz)<br />

144


ist das Aufenthaltsverbot von grosser Bedeutung für die Sicherheit, aber<br />

auch für Sichercherheitsmassnahmen im Migrations- und<br />

Flüchtlingswesen.<br />

Zollkontrollen bleiben<br />

Nicht weggefallen sind im Schengen-Gebiet die Zollkontrollen. Wer aus<br />

einem Schengen-Staat in einen anderen Schengen-Staat einreist, der<br />

nicht Mitglied der Zollunion ist (die Schweiz), hat die mitgeführten Waren<br />

am Zoll zu deklarieren, wenn diese nicht innerhalb der Freigrenze des<br />

Einreisestaates liegen. Die Nichtbeachtung des Prinzips der<br />

Selbstdeklaration wird auch in der Schweiz hart bestraft.<br />

Illegale Einwanderung: Kritik und gleichzeitig Nachweis, dass das<br />

System „funktioniert“?<br />

Die Folgen und Auswirkungen des Schengener Übereinkommens sind seit<br />

den 1980er Jahren der Kritik ausgesetzt. Entgegen der zum Teil<br />

populistischen aktuellen Stimmungsmache konservativer Kreise in der<br />

Schweiz ist festzuhalten, dass der Wegfall von Grenzkontrollen zwischen<br />

den Teilnehmerstaaten mit der Verpflichtung einhergeht, dass die<br />

Aussengrenzen zum Zwecke der Fluchtabwehr, der Bekämpfung illegaler<br />

Einwanderungen, angemessen, das heisst meist verstärkt, zu sichern<br />

sind. Personen, die eine derartige Grenze dennoch rechtswidrig<br />

überwinden wollen, nehmen teure und kriminelle Schleuser-Unternehmen<br />

in Anspruch oder riskieren beim Grenzübertritt ihr Leben. Nach Angaben<br />

von Pro Asyl sind z.B. an der Schengen-Südgrenze, insbesondere an der<br />

Meerenge von Gibraltar und in der Ägäis, zwischen 1994 und 2004 mehr<br />

als 5000 Menschen beim versuchten Grenzübertritt ums Leben<br />

gekommen (Quellennachweis jungle-world.com). Allerdings muss dem<br />

entgegen gehalten werden, dass das System nur funktioniert, wenn<br />

Staaten ihren Verpflichtungen zur Grenzüberwachung nachkommen, weil<br />

sonst automatisch andere Staaten betroffen sind: so gab es wiederholt<br />

Vorwürfe, dass z.B. Italien sich illegaler Einwanderer entledige, die auf die<br />

145


Insel Lampedusa gelangen (so genannte „Boat People“). Durch die<br />

Zunahme illegaler Einwanderung in europäische Staaten, wie etwa aus<br />

Spanien oder Italien, insbesondere aus afrikanischen Staaten, wird das<br />

illegale Geschäft dahinter verstärkt und teilweise echtes Kapital daraus<br />

geschlagen, indem die Rechtlosigkeit illegaler Einwanderer für Billigarbeit<br />

ausgenutzt wird. Im Juni 2008 erklärte der damalige deutsche<br />

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, die Erweiterung des Schengen-<br />

Raums nach Osten habe keine Zunahme der illegalen Einwanderung und<br />

der Kriminalität gebracht. Zugleich erklärte der Sprecher des Ministeriums<br />

allerdings, dass ein Vergleich zum Vorjahr aufgrund der unterschiedlichen<br />

Kontrollen nicht möglich sei.<br />

3.2.5.2. Die Dublin-II-Verordnung<br />

Gemäss der Dublin-Verordnung sind die Mitgliedstaaten gehalten, anhand<br />

objektiver und hierarchischer Kriterien zu ermitteln, welcher Mitgliedstaat<br />

für die Prüfung eines im Gebiet der Mitgliedstaaten gestellten Asylantrags<br />

zuständig ist. Das System soll „Asyl-Shopping“ verhindern und gleichzeitig<br />

sicherstellen, dass für einen Asylbewerber nur ein Mitgliedstaat zuständig<br />

ist. Wird unter Zugrundlegung der Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als<br />

zuständig bestimmt, kann dieser andere Mitgliedstaat ersucht werden, den<br />

Asylbewerber aufzunehmen und den Asylantrag zu prüfen. Wenn der<br />

ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit anerkennt, hat der erste<br />

Mitgliedstaat für die Überstellung des Asylbewerbers in den anderen<br />

Mitgliedstaat zu sorgen. Hat ein Mitgliedstaat einen Asylantrag bereits<br />

geprüft oder bereits mit der Antragsprüfung begonnen, so kann er ersucht<br />

werden, den sich unerlaubt in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltenden<br />

Asylbewerber wieder aufzunehmen. Der zuständige Mitgliedstaat, in den<br />

der Bewerber überstellt wird, muss dann die Prüfung des Asylantrags<br />

abschliessen.<br />

146


Kriterien im Bezug auf den Grundsatz der Einheit der Familie<br />

Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten<br />

Minderjährigen („Unacompanied Minor“), so ist der Mitgliedstaat, in dem<br />

sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmässig aufhält, für die Prüfung<br />

seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen<br />

liegt. Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in<br />

dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.<br />

Kriterien im Bezug auf illegale Einreise oder Aufenthalt in einem<br />

Mitgliedstaat<br />

Hat ein Asylbewerber die Grenze eines Mitgliedstaates illegal<br />

überschritten, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags<br />

zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des<br />

illegalen Grenzübertritts. Wird festgestellt, dass sich der Asylbewerber<br />

zum Zeitpunkt seiner Antragsstellung zuvor während eines<br />

ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem<br />

Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung<br />

des Asylantrags zuständig. Hat der Asylbewerber sich für einen Zeitraum<br />

von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten<br />

aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für<br />

die Prüfung des Asylantrags zuständig. Stellt ein Drittstaatenangehöriger<br />

(z.B. aus einem afrikanischen Land) einen Asylantrag in einem<br />

Mitgliedstaat, in dem kein Visumszwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat<br />

für die Prüfung zuständig. Im internationalen Transitbereich eines<br />

Flughafens ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags<br />

zuständig.<br />

Herausforderungen rund um das Dublin-Abkommen, auch für die<br />

Schweiz<br />

Diese Rechtslage zeigt eindrücklich, wie umfassend und kompliziert sich<br />

das Dublin-Abkommen für einzelne Länder darstellen kann. Insbesondere,<br />

wenn Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen (wie es<br />

147


z.B. Italien oder Spanien vorgeworfen wird) und illegal Eingewanderte in<br />

Nachbarländer „abschieben bzw. durchwinken“, wie es unter Kapitel<br />

Schengen „Kritik“ ausgeführt wurde, kann die Belastung für<br />

Mitgliedstaaten, auch für die Schweiz, von grossem Ausmass sein.<br />

Die Zwischenbilanz für die Schweiz zeigt erste Erfolge: so hat z.B. die<br />

Schweiz 2009 im Fall von ca. 6’000 Personen einen andern Dublin-Staat<br />

um Übernahme eines Asylsuchenden ersucht, weil dieser für die<br />

Behandlung des Gesuchs zuständig ist; in ca. 4’600 Fällen erklärte sich<br />

der betreffende Staat zuständig und zur Übernahme bereit (siehe<br />

Asylstatistik BFM 2009).<br />

Zu Schengen und Dublin kann festgehalten werden: Je enger sich die<br />

Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten entwickelt, desto weniger<br />

kann sich die Schweiz – sicherlich auch in Zukunft – ein Abseitsstehen<br />

leisten, sei dies in sicherheitspolitischer Hinsicht, sei dies, um nicht zum<br />

„Reserve-Asylland“ zu werden.<br />

3.2.5.3. Schweiz reagiert mit Verschärfung im neuen Asyl- und<br />

Ausländergesetz (AuG)<br />

Ein Teil der Massnahmen zur Verbesserung der Situation im Migrations-<br />

sprich Sicherheitsbereich sind durch das neue Ausländergesetz in<br />

Sachen Missbrauchsbekämpfung abgedeckt und bereits erfolgt (das neue<br />

Ausländergesetz trat am 1.1.2008 in Kraft). Als Beispiele können genannt<br />

werden: Das Strafmass bei rechtswidriger Einreise, Aufenthalt und<br />

Ausreise wie auch die Bekämpfung des Schlepperwesens werden<br />

verschärft. Der Datenaustausch zwischen den Behörden wird verstärkt<br />

(Art. 97 AuG bezüglich Scheinehen und Art. 118 AuG Scheinehe als<br />

Straftatbestand). Carrier-Sanktionen für Luftfahrtunternehmen (neu nur<br />

noch für Personen mit gültigem Ausweis möglich, Art. 92 AuG). Um den<br />

Menschenhandel zu bekämpfen können heute Zeugen grundsätzlich<br />

Aufenthaltsbewilligung erhalten (Art. 30 AuG). Die Bekämpfung für<br />

148


Schwarzarbeit ist in Art. 117 des AuG geregelt, und das neue<br />

Schwarzarbeitsgesetz ist seit Januar 2008 in Kraft. Ergänzungen der<br />

Haftbestimmungen (z.B. Ausschaffungshaft) sind in Kraft, z.B. die<br />

Durchsetzungshaft, die in Art. 78 geregelt wurde, für Personen, die die<br />

Schweiz nach rechtskräftigem Urteil nicht verlassen wollen.<br />

Das neue Asylgesetz (in Kraft seit 1.1.2008) regelt die Nothilfe an<br />

Personen neu, indem nur noch Personen mit einem rechtskräftigen<br />

Wegweisungsentscheid Nothilfe erhalten.<br />

3.2.5.4. Interpol und Europol<br />

Die internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol ist eine 1923 in<br />

Wien gegründete und von den Vereinten Nationen als Völkerrechtssubjekt<br />

anerkannte Organisation mit Sitz in Lyon, Frankreich (mit 182<br />

Mitgliedstaaten). Das europäische Polizeiamt Europol mit Sitz in Den<br />

Haag ist wie die Schengener Polizeizusammenarbeit Teil des<br />

Sicherheitsdispositivs der EU, deren Hauptaufgabe es ist, die EU-<br />

Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von international organisierter<br />

Kriminalität zu unterstützen. Die Errichtung von Europol wurde 1992 im<br />

Vertrag von Maastricht beschlossen. Als Herzstück der Sicherheit wird oft<br />

das Schengener Informationssystem, SIS, genannt. Es besteht aus einem<br />

Zentralrechner in Strassburg und den nationalen Schengener<br />

Informationssystemen, den sog. N-SIS.<br />

Die Schweiz hat in diesem Zusammenhang -einmal mehr- zwar ein<br />

Mitspracherecht, jedoch kein Mitentscheidungsrecht. Unser Land ist<br />

allerdings verpflichtet, neue Rechtsakte der EG und der EU, die<br />

Schengen-relevant sind, zu übernehmen und, soweit diese nicht<br />

unmittelbar anwendbar sind, im nationalen Recht umzusetzen.<br />

Die Zusammenarbeitsverträge mit Agenturen, einerseits der<br />

Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation Interpol und anderseits<br />

149


der Europol, welche den Informationsaustausch unter den Mitgliedstaaten<br />

erleichtern soll, sind für die internationale Zusammenarbeit und die<br />

internationale Sicherheit und Bekämpfung von internationalen kriminellen<br />

Handlungen von grosser Bedeutung betreffend die Kooperation rund um<br />

die Rechtshilfe. Schengen ist heute als multidisziplinäres Konzept und<br />

Dispositiv zu verstehen, welches auf die Erhöhung der Sicherheit im<br />

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ausgerichtet ist. Die<br />

polizeiliche Zusammenarbeit beruht bekanntlich auf den nachstehenden<br />

Säulen: Grenzkontrolle, Terrorismusbekämpfung, Visa, Einreise und Asyl.<br />

Informationsaustausch, grenzüberschreitende Observation und<br />

grenzüberschreitende Kommunikationsverbindungen (Informationssystem<br />

SIS) sind dabei zentral. Besonders ist auf das Dreiecksverhältnis<br />

zwischen der Schweiz, Europol und EU hinzuweisen.<br />

Dass alle Massnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität und damit zur<br />

Verbesserung der Sicherheit als Teil der Freiheit auch zu Beschränkungen<br />

von Freiheitsrechten führen können, ist unbestreitbar (vergleiche dazu<br />

auch Alexander Ruch, Sicherheit in der freiheitlichen, rechtsstaatlichen<br />

Demokratie). Das Risiko unnötiger Freiheitsbeschränkungen von Seiten<br />

derer, welche die Aufgabe haben, Sicherheit und damit Freiheit zu<br />

gewährleisten, so gering als möglich zu halten, ist in erster Linie<br />

Verpflichtung des Gesetzgebers und der Exekutive.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Seit dem Inkrafttreten der Abkommen Schengen und Dublin ist die<br />

Mobilität und Freizügigkeit in der Europäischen Union auch für die<br />

Schweiz endgültig Alltag. Die europäische Zusammenarbeit zur<br />

Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und<br />

der illegalen Migration sind für die Schweiz von grosser Bedeutung. Die<br />

Verträge bringen nur dann grosse Sicherheit, wenn sich alle Mitglieder an<br />

die Vereinbarung halten. Damit dies geschieht und richtig vollzogen wird,<br />

ist es prioritär, dass sich alle Mitglieder an die Vereinbarungen halten. Nur<br />

150


dann kann die Sicherheit für unser Land gewährleistet werden. Ein aktives<br />

und kritisches Zusammenarbeiten ist Bedingung für ein Gelingen. Auch<br />

die Schweiz muss sich bewusst sein, dass es ein Geben und Nehmen ist.<br />

Das neue Ausländergesetz mit Verschärfungen in Sachen<br />

Missbrauchsbekämpfung ist richtig, die mangelnde politische Bereitschaft,<br />

mehr Lasten mitzutragen, kann die Kooperation jedoch gefährden.<br />

3.2.6. Sicherheitspolitischer Faktor Diplomatie<br />

Die Macht bestimmt über weite Strecken das Kräftefeld der Aussenpolitik<br />

der Staaten. Für die Schweiz als Kleinstaat gelten andere Kräftefelder in<br />

der Aussenpolitik. Hier kommt ganz besonders die Diplomatie zum Zuge.<br />

Sie ist Machtpolitik mit anderen Mitteln. Sie hat zu versuchen, die<br />

Projektion der Gewalt, die Demonstration der Stärke der Grossmächte,<br />

das Diktat der Macht zurückzudrängen und durch die Kraft des Wortes<br />

und durch ein verbindliches Netz des Völkerrechts zu „zähmen“. Denn in<br />

einem Land wie der Schweiz ist die Aussenpolitik letztlich der Innenpolitik<br />

untergeordnet. Wer den Vorrang der Aussenpolitik verföchte, würde schon<br />

bei der nächsten Volksabstimmung zur Vernunft gebracht. Unser Land tat<br />

sich lange sehr schwer, sich mit Aussenpolitik und Diplomatie<br />

anzufreunden und sie als wichtigen sicherheitspolitischen Faktor zu<br />

anerkennen. Erst in der Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte sich die<br />

Diplomatie effektiv in unserem Land. Mit heute über 300 Aussen-<br />

Vertretungen verfügt sie jedoch über ein ebenso dichtes Netz wie andere<br />

europäische Staaten vergleichbarer Grösse. Aktuell unterscheidet sich die<br />

Diplomatie in ihrer äusseren Erscheinung kaum von anderen Ländern.<br />

Die Diplomatie zählt innerhalb einer Sicherheitsstrategie zu den so<br />

genannten „weichen Faktoren“ (siehe dazu auch Ausführungen unter<br />

Kapitel 2.2.1. „Sicherheit international am Beispiel der Grossmacht USA“),<br />

innerhalb den Bemühungen eines Landes Konsens zu bilden, Länder<br />

151


übergreifend Beziehungen zu pflegen und eigene Werte zu verteidigen. Je<br />

grösser internationale Abhängigkeiten werden, desto mehr Gewicht wird<br />

den weichen Faktoren, u. a. der Diplomatie als so genanntes „soft power<br />

Instrument“ beigemessen.<br />

Die Ausgangslage der Schweiz umfasst insbesondere:<br />

• Freie, direkt demokratische Strukturen und Gesetzgebungen<br />

• Unabhängigkeit und Neutralität (Allianz freies Land)<br />

• Wohlfahrt/Wohlstand<br />

• Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte Verfassungsbasis.<br />

Ziele der Diplomatie sind:<br />

1. Territoriale Integrität<br />

• Erhalten und erweitern der bilateralen Beziehungen<br />

• Aktive Neutralitätspolitik<br />

2. Garantie einer sicheren Umwelt für die Bevölkerung<br />

• Stärkung der Informationsbeschaffungskapazität<br />

• Multinationales Netzwerk für den Schweizer Nachrichtendienst<br />

• Vernetzung nationaler Instrumente<br />

• Internationale Organisationen in der Schweiz, Rolle als Mediator<br />

3. Förderung und Verteidigung der demokratischen Werte, Stärkung der<br />

internationalen Rechtsstaatlichkeit und respektvolle Konfliktlösungen<br />

• Aktive Teilnahme bei gemeinsamen internationalen Bemühungen<br />

• Lancierung und Förderung von Initiativen bezüglich<br />

Menschenrechte und deren Verankerung in den Gesetzgebungen<br />

4. Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der globalen Märkte<br />

• Abbau von Handelshemmnissen<br />

152


• Stärkung des Finanz- und des Industrieplatzes Schweiz<br />

• Beitragsleistungen im Sinne der Stärkung des Verständnisses für<br />

den „Sonderfall Schweiz“ mit seiner direkten Demokratie<br />

5. Erhalt der Fähigkeit, die Schweiz als unabhängiges Land zu bewahren<br />

(siehe dazu obige Argumente).<br />

Die direkt vorgesetzte Stelle der Schweizer Diplomatie ist das<br />

Departement des Äusseren, jedoch auch das Sicherheitsdepartement, die<br />

Wirtschaft sowie die Justiz sind Einfluss nehmend.<br />

Das diplomatische Corps besteht aus allen bei der gleichen Regierung<br />

akkreditierten Missionschefs (Botschaft). Es wird vom Doyen präsidiert.<br />

Doyen ist normalerweise der ranghöchste Missionschef, der am längsten<br />

im betreffenden Land akkreditiert ist. Einige Staaten räumen dem Nuntius<br />

einen Sonderstatus hinsichtlich seiner Rangfolge ein. Er wird oft als Doyen<br />

des diplomatischen Corps anerkannt. Bei offiziellen Anlässen ist der<br />

Doyen der Sprecher des diplomatischen Corps. Er ist auch derjenige, der -<br />

im Namen und nach Konsultation des diplomatischen Corps- allfällige an<br />

den Residenzstaat gerichtete Protestnoten übergibt. Der Begriff<br />

"Diplomatisches Corps" kann auch die Gesamtheit des diplomatischen<br />

Personals in einem Staat bezeichnen.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Der sicherheitspolitische Faktor Diplomatie prägt die Schnittstelle<br />

Migration- und Sicherheitspolitik vor allem indirekt und weniger messbar.<br />

Die Diplomatie zählt denn auch zu den sogenannten „weichen Faktoren“<br />

einer umfassenden Sicherheitsstrategie, deren Fehlen die Autorin<br />

bemängelt. Die guten Beziehungen zum globalen Umfeld zu pflegen, darf<br />

allerdings nicht unterschätzt werden. Insbesondere bei der Rückführung<br />

illegal eingereister Migranten spielt sie eine gewichtige Rolle. Auch bei<br />

populistischen Ausländerthemen, z.B. Islamophobie (Anti-Minarett-<br />

Initiative) hat die Diplomatie eine aufklärende, wichtige Rolle im<br />

153


internationalen Umfeld zu spielen und insbesondere unsere direkte<br />

Demokratie und die Neutralitätspolitik unseres Landes, bzw. „den<br />

Sonderfall Schweiz“, zu erklären, damit Goodwill erhalten bleibt. Zudem ist<br />

die Diplomatie und der Nachrichtendienst in enger Verknüpfung zu sehen<br />

und in diesem Sinne wichtiger Faktor der Sicherheitspolitik. Den im<br />

Ausland tätigen Botschaftern unterstehen bekanntlich unsere<br />

Militärattachées, was den direkten Bezug zur Armee, der<br />

Friedensförderung und auch zur Terrorismusabwehr tangiert.<br />

3.3. Schnittstellen Migration und Sicherheit in der Schweiz<br />

3.3.1. Schnittstelle irreguläre Migration und Sicherheit<br />

Der Begriff „irreguläre Migration“ wird verwendet, um eine Vielzahl<br />

unterschiedlicher Phänomene zu beschreiben. Er bezieht sich auf<br />

Personen, die gesetzeswidrig in ein fremdes Land einreisen oder sich dort<br />

illegal aufhalten. Dazu zählen Migranten, die ein Land unerlaubt betreten<br />

oder dort unerlaubt verbleiben, Personen, die über eine internationale<br />

Grenze geschleust wurden, Opfer von Menschenhändlern sowie<br />

abgelehnte Asylbewerber, die ihrer Verpflichtung zur Ausreiche nicht<br />

nachkommen. Sie werden auch einfach als Migranten mit irregulärem<br />

Status bezeichnet. Die Analyse der irregulären Migration wird weiterhin<br />

durch den ernsthaften Mangel an präzisen Daten behindert. Dies<br />

erschwert es, auch Trends zu identifizieren oder das Ausmass des<br />

Phänomens in unterschiedlichen Teilen der Welt zu vergleichen. Gesichert<br />

ist allerdings, dass die Zahl irregulärer Migranten ständig steigt. Die<br />

Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)<br />

schätzt, dass zwischen 10 bis 15 % der 56 Millionen Migranten in Europa<br />

einen irregulären Status haben, und dass jährlich etwa eine halbe Million<br />

undokumentierte Migranten in der EU ankommen. Was diese Zahlen<br />

exakt für die Schweiz bedeuten, kann nur geschätzt werden.<br />

154


Die irreguläre Migration untergräbt das souveräne Recht der Staaten zu<br />

entscheiden, welche Personen ihr Staatsgebiet betreten dürfen und<br />

welche nicht. Dieser Mangel an Kontrolle wirkt sich direkt oder indirekt auf<br />

eine Vielzahl von Politikbereichen (z.B. Sicherheit, Gesundheit,<br />

Arbeitsmarkt) aus.<br />

Um ihre Souveränität und Sicherheit zu verteidigen, investieren Staaten<br />

immense Mühen und Ressourcen in die Verhinderung der irregulären<br />

Migration. Der Erfolg dieser Anstrengungen ist jedoch begrenzt. Die<br />

Zunahme der irregulären Migration hängt zum Teil auch mit einem Mangel<br />

an regulären Möglichkeiten der Zuwanderung zusammen. Sie wird<br />

ausserdem durch kriminelle Netzwerke begünstigt, die von<br />

Menschenschmuggel und -handel profitieren. Ferner hat die Zunahme von<br />

Diasporagemeinschaften und transnationalen sozialen Netzwerken es für<br />

Menschen leichter gemacht, irregulär von einem Land in ein anderes zu<br />

reisen. Irreguläre Migration hat eine Reihe negativer Konsequenzen.<br />

Wenn sie in grösserem Ausmass auftritt und die Aufmerksamkeit der<br />

Medien auf sich zieht, kann irreguläre Migration das Vertrauen der<br />

Öffentlichkeit in die Integrität und Effizienz der Migrations- und Asylpolitik<br />

eines Staates untergraben. Sie stellt die Ausübung der staatlichen<br />

Souveränität in Frage und kann insbesondere in den Fällen, in denen sie<br />

mit Korruption und organisiertem Verbrechen einhergeht, zu einer<br />

Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werden. Wenn irreguläre Migration<br />

zu schärferem Wettbewerb um knappe Arbeitsplätze führt, kann sie auch<br />

zum Entstehen fremdenfeindlicher Gefühle beitragen, die nicht nur gegen<br />

Migranten mit irregulärem Status, sondern oft auch gegen länger<br />

ansässige Migranten und anerkannte Flüchtlinge und ethnische Minderheiten<br />

gerichtet sind.<br />

155


Gemäss dem im Juni 2004 veröffentlichten Bericht des Bundes zur<br />

irregulären Migration 52 sind für die Schweiz Aussagen und Angaben über<br />

die Ursachen, das Ausmass und die Auswirkungen der illegalen Migration<br />

nur teilweise vorhanden. Dementsprechend können auch nur teilweise<br />

sicherheitsrelevante Aussagen gemacht werden. Illegal Anwesende sind<br />

offenbar insbesondere in strukturschwachen Branchen wie der<br />

Landwirtschaft, dem Baugewerbe, in privaten Haushalten und dem<br />

Sexgewerbe tätig. Trotz Arbeitslosigkeit existiert nach wie vor eine<br />

Nachfrage nach billiger Arbeit. Gemäss Studie von Prof. Schneider<br />

(Universität Linz) sind Zehntausende ausländischer Arbeitskräfte illegal<br />

beschäftigt 53 . Gemäss dieser Studie sind dies Zehntausende mehr als<br />

noch vor 10 Jahren. Erfahrung zeigen, dass illegale Einreisende und<br />

Aufenthalte insbesondere in folgenden Situationen vorkommen:<br />

• Selbstständige<br />

Schwarzarbeit<br />

Einreise zur Suche und Aufnahme einer<br />

• Illegaler Nachzug von Verwandten und Bekannten (Erschleichen<br />

von Visum und vermitteln von Arbeitsplatz (Kettenmigration)<br />

• Persönliche Voraussetzung für den legalen Aufenthalt fehlen<br />

(fehlende Finanzmittel nach Scheidung oder nichtbewilligter<br />

Aufenthalt beim Konkubinatspartner oder beim<br />

gleichgeschlechtlichen Partner)<br />

• Nach einem befristeten legalen Aufenthalt erfolgt keine Ausreise<br />

(z.B. nach abgeschlossener Ausbildung, nach Ablauf einer<br />

Kurzaufenthaltsbewilligung etc.)<br />

52 Bericht zur illegalen Migration (<strong>IM</strong>ES, BFF; fedpol und Grenzwachtkorps; Juni 2004)<br />

53 Illegale und deren Arbeitgeber bezahlen oft/meist keine Beiträge für die Sozialversicherungen<br />

und keine Steuern. Wissenschaftliche Schätzungen sprechen von<br />

Verlusten in der Höhe von bis zu 10 Milliarden Schweizerfranken pro Jahr!<br />

156


• Illegale Einreise und illegaler Aufenthalt im Asylbereich (Umgehung<br />

von Grenzkontrollen, Untertauchen während eines Asylverfahrens<br />

oder nach negativem Asylentscheid) 54<br />

• Schlepper-Organisationen ermöglichen illegale Einreise (kriminelle<br />

Organisationen).<br />

Irreguläre Migration kann auch mit einer Bedrohung des Lebens der<br />

betroffenen Migranten verbunden sein: Das internationale Zentrum für<br />

Entwicklung von Migrationspolitik schätzt, dass etwa 2000 Migranten<br />

jedes Jahr bei dem Versuch sterben, das Mittelmeer aus Richtung Afrika<br />

nach Europa zu überqueren. Menschenhändler beuten Migranten<br />

skrupellos aus. Sie werden häufig für Tätigkeiten eingesetzt, die schlecht<br />

bezahlt oder gar nicht bezahlt sind, oder sie werden zu erniedrigenden<br />

Arbeiten gezwungen. Menschen, die unerlaubt in ein Land einreisen oder<br />

sich dort aufhalten, sind dem Risiko der Ausbeutung auf verschiedenen<br />

Ebenen ausgesetzt (Arbeitgeber, Vermieter etc.).<br />

Die Mehrzahl der als Haushalthilfen und in der Sexindustrie tätigen<br />

Migranten sind Frauen. In diesen Arbeitsfeldern besteht ein besonderes<br />

Missbrauchsrisiko. Auch in der Schweiz ist heute das Thema<br />

emotionsgeladen: Migrantenkinder mit irregulärem Status, die von ihren<br />

Eltern getrennt sind, stellen eine besonders verletzliche Gruppe dar. Sie<br />

können Opfer von Menschenhandel und zur Arbeit in der Sexindustrie<br />

gezwungen werden. Ausserdem riskieren sie staatenlos zu werden. Opfer<br />

von Menschenhandel sind schliesslich oft illegal anwesende Migrantinnen<br />

im Bereich der Prostitution. Es handelt sich nach Schätzungen des fedpol<br />

um mehrere tausend Personen, z.B. 6’000 im Jahre 2003.<br />

54 Gemäss Asylstatistik des Bundesamts für Migration sind im Jahr 2009 2‘788<br />

Personendes Asylbereichs untergetaucht<br />

http://www.bfm.admin.ch/etc/medialib/data/migration/statistik/asylstatistik/jahresstatistik/k<br />

ommentierte_jahresstatistik.Par.0003.File.tmp/statistik-jahr-2009-kommentar-d.pdf<br />

157


Fazit und Gewichtung<br />

Grenzkontrollpolitik muss als Teil einer langfristigen Strategie im<br />

Zusammenhang mit anderen Massnahmen zur Bekämpfung der<br />

irregulären Migration verstanden werden. Die EU-Staaten, aber auch die<br />

Schweiz haben aufgrund ihrer Erfahrungen eingesehen, dass allein mit<br />

strengen Grenzkontrollen die irreguläre Migration nicht gebremst werden<br />

kann. Im Umgang mit irregulärer Migration muss sich das Augenmerk<br />

sowohl auf soziale und wirtschaftliche Defizite als auch auf Mängel in der<br />

Regierungspraxis und bei der Gewährleistung von Menschenrechten<br />

richten, die Ursachen dafür sind, dass Menschen ihre Heimatländer<br />

verlassen.<br />

Die Strategie zur Eindämmung irregulärer Migration muss auf<br />

zwischenstaatlichem Dialog und auf Kooperation beruhen. Staaten sollten<br />

die Situation der Migranten mit irregulärem Status durch Rückkehr oder<br />

bei Härtefällen durch Legalisierung lösen. Generalamnestien wie vor<br />

einigen Jahren in Italien oder Spanien lösen das Problem nicht, im<br />

Gegenteil, die irreguläre Migration wird durch die mit einer Amnestie<br />

verbundene Sogwirkung nur noch gefördert. Amnestien sind auch zutiefst<br />

ungerecht, denn sie benachteiligen jene, die nach irregulärem Aufenthalt<br />

das Land vorschriftsgemäss verlassen.<br />

Jede Rückkehr sollte aber so durchgeführt werden, dass sie sicher und<br />

menschenwürdig verläuft und die grundlegenden Menschenrechte<br />

lückenlos berücksichtigt werden. Die betroffenen Migranten tragen<br />

ebenfalls Verantwortung für ihre Rückkehr und sind verpflichtet, mit den<br />

Behörden zusammenzuarbeiten, wenn sie aus legitimen Gründen dazu<br />

aufgefordert werden, das Land zu verlassen. Es ist zudem allgemein<br />

anerkannter Grundsatz, dass Staaten die Verpflichtung haben, ihre<br />

eigenen Staatsangehörigen wieder in ihr Territorium aufzunehmen. In der<br />

Praxis gestaltet sich dieser Grundsatz allerdings oft schwierig und<br />

158


erfordert viel Zeit und Recherchen, die effektive Identität der Migranten<br />

gesichert zu erheben.<br />

In der EU und in der Schweiz haben die Verantwortlichen diese<br />

Schnittstelle irreguläre Migration/Sicherheit seit geraumer Zeit erkannt und<br />

verschiedene Abkommen, Gesetze und Reglemente mit diversen<br />

Massnahmen erlassen, die den genannten Forderungen weitgehend, aber<br />

nicht vollständig Rechnung tragen:<br />

a) Mit dem Inkrafttreten der Schengen- und Dublinassoziierung am 12.12.<br />

2008 ist die Schweiz ganz (Grenzschutzpolitik via Schengen) oder<br />

teilweise (Asylpolitik via Dublin) in diese Politiken eingebunden und<br />

übernimmt auch die entsprechenden Weiterentwicklungen. Diese<br />

Zusammenarbeit ermöglicht der Schweiz, zusammen mit den EU-Staaten<br />

die irreguläre Migration verstärkt zu bekämpfen. Eine Zwischenbilanz zeigt<br />

erste Erfolge.<br />

b) Die Schweiz ist an der Kontrolle und Sicherung der Aussengrenzen der<br />

EU beteiligt (Frontex und Aussengrenzenfonds)<br />

c) Über Schengen ist die Schweiz auch an der EU-Visumspolitik beteiligt<br />

d) Auch auf der Basis der neuen schweizerischen Ausländer- und<br />

Asylgesetze wurden in den letzten Jahren erfolgversprechende<br />

Instrumente erarbeitet, die den Entwicklungen irreguläre<br />

Migration/Sicherheit Rechnung tragen: Mit dem Konzept der<br />

Migrationspartnerschaft (Art.100 des Ausländergesetzes) hat die Schweiz<br />

ein Instrument geschaffen, das eine partnerschaftliche Migration mit den<br />

Staaten und anderen Akteuren (internationale Organisationen, NGO`s,<br />

Diaspora, Privatwirtschaft) ermöglichen soll. Mit diesem Instrument sollen<br />

schweizerische migrationspolitische Interessen unter Einbezug der<br />

Interessen des Partnerlandes durchgesetzt werden. Je nach Bedürfnis<br />

kann eine Migrationspartnerschaft verschiedene Aktionsfelder beinhalten:<br />

so z. B. polizeiliche Kooperation, Rückkehr, Rückkehrhilfe, Kampf gegen<br />

159


Menschenhandel, Entwicklungszusammenarbeit, Visapolitik, Rechtshilfe<br />

etc). Ein „Memorandum of Understanding“ konnte in diesem Sinn schon<br />

mit Bosnien (14.4.2009), Serbien (30.6.2009) und dem Kosovo (3.2.2010)<br />

unterzeichnet werden. Die Gespräche über ein ähnliches Abkommen mit<br />

Nigeria schreiten voran (siehe dazu und zum Folgenden Stellungnahme<br />

des Bundesrates zur Motion der Fraktion CVP/EVP/GLP „Verstärkung der<br />

Migrationsaussenpolitik“ vom 9.3.2010)<br />

e) Zur Bewältigung internationaler Migrations- und Flüchtlingsströme, die<br />

zu irregulärer Migration oder gefahrvoller Weiterwanderung führen<br />

können, hat der Bund ferner das Konzept des Schutzes von Flüchtlingen<br />

in den Herkunftsregionen („protection in the region“) erarbeitet. Damit wird<br />

das Engagement zugunsten Schutzbedürftiger im Erstaufnahmeland<br />

verstärkt, indem die nationalen Schutzkapazitäten zugunsten von<br />

Flüchtlingen verbessert werden. Verschiedene Bundesstellen (DEZA,<br />

BFM, etc) haben z.B. in Jemen, einem wichtigen Aufnahmeland von<br />

Flüchtlingen aus dem Horn von Afrika mit der Umsetzung von Projekten<br />

begonnen. In Syrien, dem wichtigsten Aufnahmeland für Flüchtlinge aus<br />

dem Irak, beginnt zurzeit die Umsetzung eines Programms.<br />

f) Das Asylgesetz (Art. 93) sieht sodann die Förderung der freiwilligen<br />

Rückkehr in Herkunfts- und Transitregionen vor, was ebenfalls ein<br />

Element der Prävention irregulärer Migration darstellt. Die Schweiz hat<br />

vor allem seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien die Rückkehrhilfe gekoppelt<br />

mit der nötigen Strukturhilfe drastisch verstärkt. So bewilligte der<br />

Bundesrat z.B. im Jahre 1999 einen Verpflichtungskredit von 235 Mio.<br />

Franken für solche Projekte, die in der Regel vom BFM zusammen mit der<br />

DEZA erfolgreich realisiert wurden (siehe dazu im Einzelnen „Die Arbeit<br />

der Interdepartementalen Leitungsgruppe Rückkehrhilfe ILR“, BFM/DEZA,<br />

Bern 1999).<br />

160


g) Der Schwerpunkt des schweizerischen Engagements zur Bekämpfung<br />

des Menschenhandels liegt bei der Prävention sowie dem Schutz<br />

betroffener und potenzieller Opfer. Dazu wurden v. a. Massnahmen zur<br />

Steigerung von Kapazitäten von in- und ausländischen Akteuren<br />

umgesetzt. Im Rahmen der UNO und der OSZE setzt sich die Schweiz<br />

proaktiv für die Schaffung von Standards ein. Beim Einsatz im Ausland<br />

geht es vor allem darum, die Herkunftsstaaten oder die Transitländer von<br />

Menschenrechtsopfern in der Schweiz, wie z.B. Nigeria oder Serbien zu<br />

unterstützen.<br />

Staaten müssen ihre Bemühungen zur Bekämpfung der unterschiedlichen<br />

kriminellen Phänomene der Schleuse-Tätigkeiten und des<br />

Menschenhandels verstärken. In beiden Fällen müssen die Täter<br />

strafrechtlich verfolgt, die Nachfrage an ausbeuterischen Dienstleistungen<br />

unterbunden und den Opfern angemessener Schutz und Hilfe gewährt<br />

werden. Menschenhändler- und Schmuggler werden selten angezeigt, da<br />

die Opfer aus Angst vor Repression keine Aussagen machen. Die<br />

Aufklärung wird insofern erschwert, als die Opfer von Menschenhandel bis<br />

vor kurzem umgehend aus der Schweiz ausgewiesen wurden 55 . Eine<br />

Gesetzesänderung von 2009 sieht nun vor, dass die Opfer aus wichtigen<br />

Gründen in der Schweiz bleiben können, namentlich während der Dauer<br />

des Prozesses oder aus humanitären Gründen.<br />

Der Bundesrat und das Parlament haben zur Lösung der<br />

Schnittstellenproblematik irreguläre Migration/Sicherheit den richtigen<br />

Weg eingeschlagen; die Umsetzung seiner Strategie müsste aber rascher<br />

erfolgen, weil auf politischer Ebene hiezu ein Grundkonsens besteht, was<br />

verschiedene parlamentarische Vorstösse belegen. Ebenso müsste die<br />

departementsübergreifende Zusammenarbeit bei internationalen<br />

55<br />

Vgl. auch Bericht zur illegalen Migration (<strong>IM</strong>ES, BFF; fedpol und Grenzwachtkorps;<br />

Juni 2004)<br />

161


Migrationsfragen im Sinne einer ganzheitlichen, wirkungsvollen und<br />

kohärenten Politik verbessert werden (z.B. bei der Bekämpfung der<br />

irregulären Migration, bei der „protection in the region“, den<br />

Migrationspartnerschaften, bei der Bekämpfung des Menschenhandels,<br />

des Einbezugs der Entwicklungszusammenarbeit, etc.). Ebenso sollte der<br />

Bund mit gezielten Informations- und Aufklärungsprojekten, v.a. in Afrika,<br />

potenzielle Migranten auf die legalen Möglichleiten und die Risiken einer<br />

Zuwanderung in die Schweiz aufmerksam machen. Bezüglich der<br />

Schnittstelle Migration/Sicherheit müsste sich die Schweiz auch dringend<br />

Überlegungen machen, wie mit sich abzeichnenden gemischten<br />

Wanderungsströmen umzugehen ist – manche Personen fallen unter den<br />

Flüchtlingsschutz, andere kommen irregulär als Arbeitsmigranten oder in<br />

Zukunft womöglich als Umweltmigranten. Der Konnex zur Sicherheit ist<br />

vor allem bei grösseren Wanderungsströmen evident.<br />

Vermutlich zeigt sich nirgends der enge Zusammenhang zwischen<br />

Migration- und Sicherheitspolitik so deutlich wie bei der irregulären<br />

Migration. Irreguläre Migration untergräbt das souveräne Recht der<br />

Staaten zu entscheiden, welche Personen ihr Staatsgebiet betreten dürfen<br />

und welche nicht. Dieser Mangel an Kontrolle wirkt sich direkt und indirekt<br />

auf den Politikbereich der Sicherheit aus. Dabei haben wir nicht nur an<br />

Korruption, Menschenhandel und Menschenschmuggel zudenken,<br />

sondern vielmehr auch die hohe Anzahl delinquenter Personen. Auch die<br />

Schwarzarbeit ist dazu gewichtiges Stichwort. Nebst illegal arbeitenden<br />

Haushalthilfen sind auch das Sexgewerbe sowie die Bauindustrie<br />

betroffen. Die Strategie zur Eindämmung muss auf zwischenstaatlichem<br />

Dialog und auf Kooperation beruhen. Nur in enger Zusammenarbeit mit<br />

der EU kann es der Schweiz gelingen, eine kohärente Sicherheitspolitik in<br />

diesem Bereich umzusetzen. Die Verträge Schengen und Dublin spielen<br />

eine tragende Rolle in diesem Zusammenhang.<br />

162


3.3.2. Schnittstelle Migration und Kriminalität sowie öffentliche<br />

Sicherheit<br />

In der Debatte um die öffentliche Sicherheit wird immer wieder die so<br />

genannte Ausländerkriminalität als ein wichtiger Faktor, der das<br />

Sicherheitsempfinden der Bevölkerung negativ beeinflusst, erwähnt. So<br />

wird per Statistik nachgewiesen, dass sich einzelne Ausländergruppen<br />

überdurchschnittlich an kriminellen Taten beteiligen, insbesondere bei<br />

Drogenhandel, Diebstahl und Gewaltdelikten 56 .<br />

In einer vom Team von Prof. Dr. Werner Wirth der Universität Zürich im<br />

Jahr 2005 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie zur Rolle der Medien<br />

im Zusammenhang mit der Ausländerkriminalität 57 wird auch auf<br />

verschiedene Theorien über die Ursachen eingegangen. Die Studie geht<br />

prinzipiell von vier allgemeinen und drei speziellen Kriminalitätstheorien<br />

aus 58 .<br />

Von besonderer Bedeutung bezüglich der Kriminalität von Ausländern ist<br />

gemäss Prof. Dr. Wirth die Erkenntnis, dass innerhalb einer Gesellschaft<br />

kulturelle Handlungsziele vorgegeben werden und die soziale Struktur die<br />

Mittel zur Realisierung dieser Ziele zur Verfügung stellt oder eben auch<br />

nicht; dabei steht nicht allen Gesellschaftsmitgliedern der gleiche Zugang<br />

zu eben den legitimen Mitteln von Handlungszielen zu. Diese, nicht in die<br />

Gesamtgesellschaft integrierten Teile der Gesellschaft sind einem starken<br />

Druck ausgesetzt, welcher durch Konformität (legitime Mittel zur<br />

56 Bereits die Kriminalstatistik im Jahre 2003 wies bei den Verzeigungen einen<br />

Ausländeranteil von 55,3 % auf, was den höchsten Stand der letzten zehn Jahre<br />

bedeutet hatte. Eine gesamtschweizerische Auswertung neueren Datums, die auch den<br />

Status der Ausländer berücksichtigte, bestand nicht, da die entsprechenden Daten von<br />

den meisten Kantonen gar nicht erhoben wurden.<br />

57 „Medien, Migration und Kriminalität: Eine Inhaltsanalyse von Schweizer<br />

Tageszeitungen“ vom Juni 2005; IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung der Universität Zürich, 2005<br />

58 Biologische (Geschlechts spezifisch), Sozialpsychologische (soziale Lerntheorien und<br />

Kontrolltheorien), sozialstrukturelle (Anomie-Theorie, Labeling-Theorie und Theorie der<br />

sozialen Desorganisation) und multifaktorielle Kriminalitätstheorie sowie als spezielle<br />

Theorie Kriminalität und Massenmedien; fremdenfeindliche Gewalt und<br />

Ausländerkriminalität<br />

163


Zielerreichung), Innovation (illegitime Wege der Zielerreichung durch<br />

leichtere Delikte), Rebellion (Ziele wie auch Mittel werden durch andere<br />

ersetzt) Rückzug (Ziele und Mittel werden ersatzlos verworfen) und<br />

Ritualismus (Ziele werden durch andere ersetzt, jedoch mit legitimen<br />

Mitteln erreicht) ersetzt wird.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Das Kapitel 3.2.4. der inneren Sicherheit liefert dazu die wichtigsten<br />

Erkenntnisse. So wird beispielsweise nachgewiesen, dass einzelne<br />

Ausländergruppen überdurchschnittlich an kriminellen Taten beteiligt sind<br />

(Drogenhandel, Diebstahl und Gewaltdelikte). Der Integration kommt in<br />

diesem Punkt prioritäre Bedeutung zu.<br />

3.3.3. Schnittstelle Integration und Sicherheit<br />

Im Bericht „Probleme der Integration von Ausländerinnen und Ausländern<br />

in der Schweiz“ 59 des Bundes von 2006 wird Integration als<br />

Chancengleichheit verstanden. Integration ist dann gelungen (Soll-<br />

Zustand), wenn Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz in den<br />

verschiedenen Integrationsbereichen vergleichbare Kennzahlen aufweisen<br />

wie Schweizerinnen und Schweizer, die sich insbesondere im Hinblick auf<br />

Alter, das Geschlecht, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage, die<br />

Familiensituation sowie die berufliche Ausbildung in ähnlichen<br />

Lebenssituationen befinden. Im Bericht werden folgende zentrale<br />

Integrationsbereiche aufgeführt:<br />

• Schulbildung<br />

• Berufsbildung<br />

• Arbeitsmarkt<br />

59<br />

Vgl. Bericht „Probleme der Integration von Ausländerinnen und Ausländern in der<br />

Schweiz“ , EJPD, Juli 2006<br />

164


• Soziale Sicherheit<br />

• Gesundheit<br />

• Sprache<br />

• Quartierentwicklung<br />

• Teilnahme am gesellschaftlichen Leben<br />

• Religion und Kultur<br />

• Öffentliche Sicherheit<br />

Die Schnittstelle Integration / Sicherheit spielt nach Ansicht der Autorin in<br />

folgenden Bereichen eine wichtige Rolle:<br />

a) Eine besondere Bedeutung kommt nach den Terroranschlägen in New<br />

York, Madrid und London der Integration betreffend Religion und Kultur<br />

zu. Seit den Anschlägen haben sich Diskussionen über religiöse und<br />

kulturelle Differenzen auch in der Schweiz zu einer eigentlichen „Islam-<br />

Debatte“ entwickelt, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Annahme der<br />

Anti-Minarett-Initiative fand. Das Spannungsfeld betrifft aber auch<br />

Bekleidungsvorschriften (Kopftuch und Burka), der Teilnahme der Kinder<br />

am Schulunterricht (Sport, Schullager), der Friedhöfe und Sakralräume<br />

sowie weiterer Bereiche wie Zwangsheiraten. Das föderalistische System<br />

hat über viele Jahre angepasste Lösungen ermöglicht. Die Abstimmung<br />

zur Minarett-Initiative hat aber scharf vor Augen geführt, dass man in<br />

Zukunft eine Gefährdung der Sicherheit nicht ausschliessen kann, wenn<br />

nicht durch verbesserte Integration, durch ein kontrolliertes<br />

Zulassungssystem, aber auch durch klares Aufzeigen der Rechte und der<br />

Pflichten der Ausländerinnen und Ausländer fremdenfeindlichen<br />

Tendenzen entgegengewirkt wird.<br />

b) Gut integrierte Ausländerinnen und Ausländer gefährden die<br />

Sicherheit in der Regel nicht. Auch wenn der erwähnte Bericht des<br />

Bundes von 2006 zu Recht festhält, dass die Ausländerintegration in der<br />

Schweiz angesichts des hohen Ausländeranteils (ca. 21,5 %) im Grossen<br />

und Ganzen gelungen ist (S.103 spricht von grösstenteils friedlichen und<br />

165


problemlosen Zusammenleben) werden auch die Probleme ungeschminkt<br />

dargestellt. Der Konnex Ausländerkriminalität – Sicherheit – Integration ist<br />

augenfällig. Gut Integrierte gefährden die Sicherheit nicht. Wo liegen somit<br />

die Probleme?<br />

Die Übersicht über die wichtigsten Ursachen für Integrationsprobleme<br />

zeigt, dass eine schwierige sozio-ökonomische Lage und Bildungsferne<br />

die wichtigsten Ursachen für Integrationsprobleme darstellen. Der Zugang<br />

zu einer Erwerbstätigkeit ist dabei die zentrale Bedingung für eine<br />

gelungene Integration, und folglich muss der Sprachkompetenz(lokale<br />

Sprache) grosses Gewicht beigemessen werden. Zudem ist daher auch<br />

die Integrationsförderung in den Bereichen Berufsbildung sowie<br />

Arbeitsmarkt in den bestehenden Institutionen, den Berufsschulen und<br />

Betrieben zu stärken. Besondere Risikogruppen sind ausländische<br />

Jugendliche aus bildungsfernen Familien, insbesondere der zweiten<br />

Zuwanderungsphase. Es zeigt sich, dass auf allen Ebenen (Bund, Kanton<br />

und Gemeinden) bereits grosse Anstrengungen zur Integration<br />

unternommen werden. Der Zeitgeist entspricht heute dem Credo von<br />

„fordern und fördern“. Wir sprechen nicht nur von den Rechten der<br />

Ausländerinnen sondern klar auch von ihren Pflichten.<br />

Aufgrund der Problemanalyse von 2006 hat der Bundesrat am 22. August<br />

2007 ein Massnahmepaket verabschiedet, das 46 Massnahmen<br />

umfassen. Diese wurden von 15 Bundesstellen erarbeitet und sollen die<br />

Integration der Ausländerinnen und Ausländer verbessern. Diese<br />

Massnahmen setzen in den Bereichen Sprache, Bildung, Arbeit, soziale<br />

Sicherheit und Förderung der gesellschaftlichen Integration im<br />

Wohnumfeld an. Die Gewaltprävention und die Bereiche Sport,<br />

Gesundheit oder Rassismusbekämpfung sind weitere ergänzende<br />

Massnahmen im Kompetenzbereich des Bundes 60 . Der Bundesrat hat im<br />

60 Quelle: Interdepartementale Arbeitsgruppe Migration IAM unter der Federführung des<br />

Bundesamts für Migration BFM hat den Bericht "Umsetzung Massnahmenpaket<br />

166


Januar 2010 die zweite Berichtserstattung zur Umsetzung des<br />

Massnahmepakets zur Kenntnis genommen: der grösste Teil der<br />

Massnahmen wurde planmässig umgesetzt. Zurzeit erarbeitet der<br />

Bundesrat zuhanden des Parlaments einen Bericht zur Frage der<br />

Weiterentwicklung der Integrationspolitik des Bundes 61 .<br />

Fazit und Gewichtung<br />

In der aktuellen Debatte muss es darum gehen, die wirtschaftlichen und<br />

gesellschaftlichen Akteure noch stärker einzubinden. In diesem Sinne<br />

empfiehlt beispielsweise die Tripartite Agglomerationskonferenz 62 ’ 63 (TAK)<br />

richtigerweise, die schweizerische Integrationspolitik auf folgender Basis<br />

weiter zu entwickeln:<br />

Bund, Kantone sowie die Städte und Gemeinden bezeichnen die Stärkung<br />

des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf der Grundlage der Werte der<br />

Bundesverfassung als gemeinsames Integrationsziel. Zur Verfolgung<br />

dieses Ziels stützen sie ihre Integrationspolitik auf vier gleichwertige<br />

Grundprinzipien ab: „Chancengleichheit verwirklichen“, „Potenziale<br />

nutzen“, „Vielfalt berücksichtigen“ und „Eigenverantwortung einfordern“.<br />

Im föderalistischen Staat ist es gerade bei der Integrationspolitik in<br />

Zusammenhang mit Sicherheitsfragen zentral, dass die drei Ebenen<br />

Gemeinde, Kanton, Bund eng miteinander zusammenarbeiten. Das<br />

bedingt eine gute Koordination. Mit der Schaffung der Tripartiten<br />

Agglomerationskonferenz sind diese Ebenen vertreten, was ein guter Start<br />

Integration 2009" publiziert,<br />

www.bfm.admin.ch/etc/medialib/data/migration/integration/berichte.Par.0036.File.tmp/ber<br />

-ums-integration-2009-d.pdf<br />

61 Quelle: Die Medienmitteilung EJPD vom 27.01.2010,<br />

www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/2010/ref_2010-01-<br />

27.html<br />

62 Bei der Tripartiten Agglomerationskonferenz handelt es sich um eine politische<br />

Plattform von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden für eine gemeinsame<br />

Agglomerationspolitik in der Schweiz (www.tak-cta.ch)<br />

63 Vgl. „Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik“, Bericht und<br />

Empfehlungen der TAK vom 29. Juni 2009<br />

167


ist. Hingegen müsste in diesem Gremium wohl auch die Sicherheitspolitik<br />

vermehrt zur Sprache kommen. Die Autorin ist überzeugt, dass der<br />

Integrationsfaktor eine zentrale Rolle spielt im Zusammenhang mit der<br />

Bekämpfung von Terrorismus und Ausländerkriminalität.<br />

Gut integrierte Ausländer und Ausländerinnen gefährden die Sicherheit in<br />

der Regel nicht. Auch wenn die Ausländerintegration in der Schweiz<br />

angesichts des hohen Ausländeranteils im Grossen und Ganzen gelungen<br />

ist, sind Probleme im Konnex zur Ausländerkriminalität augenfällig. Eine<br />

schwierige sozio-ökonomische Lage und Bildungsdefizite sind die<br />

wichtigsten Ursachen für Integrationsprobleme. Im föderalistischen Staat<br />

Schweiz ist es gerade bei der Integrationspolitik im Zusammenhang mit<br />

Sicherheitsfragen zentral, dass die drei Ebenen Gemeinde, Kanton und<br />

Bund eng zusammenarbeiten. Mit der Schaffung einer Tripartiten<br />

Agglomerationskonferenz sind diese Ebenen vertreten. Die<br />

Sicherheitspolitik müsste jedoch vermehrt zur Sprache kommen.<br />

3.3.3.1. Schnittstelle Sans-Papiers und Sicherheit<br />

Im Jahre 2005 wurde in einer Studie, die das BFM beim Politologen<br />

Claude Longchamp in Auftrag gegeben hat, festgestellt, dass ca. 100‘000<br />

so genannte Sans-Papiers in der Schweiz leben 64 . Insbesondere die<br />

Landwirtschaft und die Bauwirtschaft sollen davon profitiert haben. 6<br />

Teilstudien wurden von den Kantonen Zürich, Baselstadt, Thurgau, Genf,<br />

Waadt und Tessin erstellt aufgrund von Befragungen. Schliesslich wurden<br />

die nationalen Expertenschätzungen auf die nationale Ebene<br />

hochgerechnet.<br />

Sans-Papiers, Papierlose und Schwarzarbeitende wurden in dieser Studie<br />

als Menschen definiert, die sich länger als einen Monat ohne geregelte<br />

Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten und keine feste Absicht<br />

64 Longchamp, Claude et al. (2005). Sans Papiers in der Schweiz: Arbeitsmarkt, nicht<br />

Asylpolitik ist entscheidend. Bern: gfs.bern.<br />

168


zur Ausreise aus der Schweiz haben. Die Diskussion dreht sich vor allem<br />

um abgewiesene und untergetauchte Asylsuchende, die aber nicht à priori<br />

mit Schwarzarbeitenden gleich gesetzt werden können, da Schwarzarbeit<br />

auch verrichtet werden kann, wenn man legal in der Schweiz lebt.<br />

Interessant ist, dass das Problem in der Romandie akuter ist als in der<br />

Deutschschweiz. Auf den ersten Blick erscheint das Phänomen der Sans-<br />

Papiers als reines Problem des städtischen Raums. Die eher anonymen<br />

Lebensverhältnisse in städtischen Ballungsgebieten erlauben es Sans-<br />

Papiers, sich nicht oder nur wenig erkannt in der Schweiz aufzuhalten.<br />

Zudem ist das Bewusstsein um das Phänomen in der Romandie grösser<br />

als in der deutschsprachigen Schweiz. Tatsache ist, dass gemäss<br />

Auffassung von Experten Sans-Papiers vielerorts Spuren hinterlassen.<br />

Insbesondere auch in Gebieten ausgeprägter Landwirtschaft. In diesem<br />

Sinne sind Sans-Papiers ein Phänomen, das mit dem Arbeitsmarkt<br />

verbunden ist. Sie arbeiten meist in prekären Arbeitsverhältnissen mit<br />

schlechter Bezahlung und mit hoher Wochenstundenzahl. Sie sind nach<br />

Expertenmeinung überwiegend nicht kriminell, denn sie wollen es nicht<br />

riskieren, erkannt zu werden. Sans-Papiers kommen vor allem dort vor, wo<br />

das Volkseinkommen überdurchschnittlich ist und/oder wo viele Ausländer<br />

und Ausländerinnen leben. Ein systematischer Zusammenhang mit der<br />

Asylpolitik lässt sich gemäss Studie Claude Longchamp dagegen für die<br />

Zeit bis 2005 nicht belegen. Weder sind Sans-Papiers zahlreicher, wo es<br />

viele Flüchtlinge gibt, noch kommen sie bisher auffällig häufig dann vor,<br />

wenn es viele abgewiesene Asylsuchende gibt. Interessant ist, dass sich<br />

die Experten einig sind, dass die Zahl der Sans-Papiers weiter steigen<br />

wird. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Zuteilung<br />

der Asylsuchenden in proportionalem Verhältnis zur kantonalen<br />

Bevölkerung und nicht zum Arbeitsmarkt erfolgt. Dies erklärt auch die Zahl<br />

der Sans-Papiers in den einzelnen Kantonen. Im Kanton Zürich sollen<br />

gemäss Expertenschätzungen gegen 20‘000 Sans-Papiers wohnen, in<br />

Genf gegen 10‘000 und im Tessin rund 2’000. Die Gesamtschätzung liegt<br />

169


ei rund 90‘000 Sans-Papiers schweizweit und nicht wie Experten vorerst<br />

befürchteten bei 300‘000. Die Sicherheit scheint verhältnismässig wenig<br />

von Sans-Papiers betroffen. Die finanziellen Konsequenzen sind hingegen<br />

beachtlich (keine Steuereinnahmen, keine Abgabe von Sozialleistungen!).<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Die Sicherheit ist verhältnismässig wenig tangiert von den Sans-Papiers,<br />

aber der Faktor Quantität spielt natürlich eine zentrale Rolle. Sollte die<br />

Anzahl Sans-Papiers stark zunehmen, könnte die Sicherheit ernsthaft<br />

gefährdet sein (Anonymität, soziale Unruhen, Proteste, etc). Deshalb ist<br />

alles daran zu setzen, dass dieser Zustand in überschaubarem Ausmass<br />

bleibt und keine kollektiven Gruppen-Regularisierungen oder Amnestien<br />

für alle vorgenommen werden. Die Schwarzarbeit der Sans-Papiers führt<br />

überdies zu Wettbewerbsverzerrungen, zu Steuerausfällen und wegen<br />

Ausbleiben von Sozialleistungen zu Mehrbelastungen von einheimischen<br />

und legal in der Schweiz erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern.<br />

3.3.4. Schnittstelle Friedensförderung und Sicherheit<br />

Die Schweiz leistet in verschiedenen Ländern friedensfördernde Einsätze.<br />

Zurzeit sind Soldaten und Soldatinnen im Libanon, in Korea, in Bosnien<br />

und in Kosovo stationiert. Um die Schnittstelle „Friedensförderung und<br />

Sicherheit“ zu dokumentieren, wählt die Autorin das Beispiel Kosovo, wo<br />

im Sommer 2010, zur Zeit der Fertigstellung dieser Master-Thesis, rund<br />

220 Angehörige der SWISSCOY (davon 20 Frauen) im Camp „Casa<br />

Blanca“ stationiert waren.<br />

Die sicherheitspolitischen Ereignisse in den Sommermonaten 2010 zeigen<br />

auf, dass die Lage im Kosovo weiterhin angespannt ist.<br />

• Die aktuelle Lage wird durch Machtkämpfe innerhalb der kosovoalbanischen<br />

Parteien und Clanstrukturen die organisierte<br />

Kriminalität, die weit verbreitete Korruption in Regierungskreisen<br />

170


• Weiterhin sorgen aber auch interethnische Spannungen für einen<br />

anhaltenden Unsicherheitsfaktor. Durch die Existenz serbischer<br />

Parallelstrukturen ist die Lage im Norden des Kosovos sowie in den<br />

wenigen verbleibenden serbischen Enklaven besonders<br />

angespannt. Das Hauptkonfliktpotenzial liegt darin, dass der von<br />

kosovo-serbischen Parallelstrukturen dominierte Norden nicht<br />

gewillt ist, sich dem Diktat der Hauptstadt Pristina zu unterwerfen.<br />

Beim Versuch Pristinas, oder der internationalen Gemeinschaft<br />

(EULEX), die Strukturen des Staates Kosovo auch im Norden zu<br />

implementieren, droht die Lage zu eskalieren. Die „hot spots“<br />

befinden sich in der ethnisch geteilten nordkosovarischen Stadt<br />

Mitrovica und an den Grenzübergängen zu Serbien.<br />

• Dass sich die Lage im Kosovo zu einem weiteren bewaffneten<br />

Regionalkonflikt entwickeln kann, wird jedoch als wenig<br />

wahrscheinlich erachtet.<br />

• Auch die NATO geht derzeit davon aus, dass der Abbau der KFOR<br />

fortgesetzt wird und die weitere Lageentwicklung mit reduzierten<br />

Kräften überwacht und beobachtet werden kann.<br />

• Die Schweizer Armee wird ihr Engagement bis Ende 2011 im<br />

bisherigen Rahmen (rund 220 Männer und Frauen) weiterführen.<br />

Anstelle von Infanteriekräften werden jedoch vermehrt<br />

nachrichtendienstliche Elemente, so genannte LMT’s („Liaison and<br />

Monitoring Teams“) eingesetzt.<br />

Beurteilung seitens der Armee<br />

Der Entscheid des IGH (Internationaler Gerichtshof), Kosovo als<br />

eigenständigen Staat zu akzeptieren, kann als politische Niederlage für<br />

171


Serbien gedeutet werden. Dass es im Nachgang des Entscheids bisher zu<br />

keinen sicherheitsrelevanten Ereignissen gekommen ist, lässt darauf<br />

schliessen, dass Belgrad die lokalen kosovo-serbischen Politiker nördlich<br />

des Ibar unter seiner Kontrolle hat und die Aufforderung des serbischen<br />

Präsidenten zum Gewaltverzicht seine Wirkung zeigte. Sollte Pristina<br />

jedoch das Urteil des IGH zum Anlass für einseitige<br />

Souveränitätsansprüche im Norden nehmen, sind Protestaktionen seitens<br />

der Kosovoserben zu erwarten. Daneben könnte auch eine allfällige<br />

Ausweitung der Aktivitäten der EULEX im Nordkosovo zu Protesten<br />

führen. Derzeit ist unklar, ob der Entscheid des IGH tatsächlich eine<br />

internationale Anerkennungswelle auslösen wird.<br />

Politische Beurteilung und Schnittstelle zur Sicherheit<br />

Dass die Schweiz heute 400‘000 muslimisch Gläubige beheimatet<br />

(gegenüber 40‘000 vor rund 20 Jahren), hat massgebend mit den Unruhen<br />

und dem Krieg in Ex-Jugoslawien zu tun. Aber auch die grosse türkische<br />

Diaspora zählt zu den muslimisch Gläubigen in der Schweiz. In der Phase<br />

der schwersten Unruhen (1999) flüchteten innert weniger Monate rund<br />

150‘000 Menschen in unser Land- inzwischen haben bereits über 60‘000<br />

die Schweiz wieder verlassen und sind in ihre Heimat Kosovo<br />

zurückgekehrt. Nicht zu Unrecht fragen sich viele Schweizer Bürgerinnen<br />

und Bürger, ob sich die muslimische Kosovo Diaspora an unsere<br />

Verfassung und Werte halten will und sich zu integrieren weiss. Die<br />

Kriminalitätsstatistik weist eine hohe Prozentzahl Gesetzesbrecher aus<br />

Ex-Jugoslawien auf (über 50 % aller ausländischen Delinquenten). Die<br />

Stimmung in unserem Land gegenüber den Ausländern und insbesondere<br />

gegenüber muslimisch Gläubigen und Ex-Jugoslawen ist kritisch, was<br />

insbesondere die SVP aus Politmarketing-Gründen für sich zu nutzen<br />

weiss und zusätzlich Stimmung macht, sich gleichzeitig jedoch<br />

sicherheitspolitisch gegen Friedensförderungen im Ausland stellt. Aus<br />

Sicht der Autorin gilt es die einfache Frage zu stellen, ob die Schweiz<br />

172


einen internationalen Beitrag zu leisten gewillt ist, neue Flüchtlingsströme<br />

zu verhindern und vor Ort in diversen so genannten „failing states“ Einsatz<br />

zum Staatsaufbau und zur Friedenssicherung zu leisten. Das Beispiel des<br />

Kosovos sowie das Beispiel Bosnien zeigen klar 65 , dass ein enger<br />

Zusammenhang zwischen den politischen Spannungsfeldern<br />

Auslandeinsätze und Flüchtlingsstrom-Verhinderung bestehen, und die<br />

Schweiz nebst humanitären Gründen allein schon aus „Eigennutz“ an<br />

solchen Langzeitoperationen sowie an der Strukturhilfe (z.B. dank<br />

notwendigen Projekten seitens des DEZA) im Sinne des internationalen<br />

„burden sharings“ beteiligt sein sollte. Gerade unsere<br />

Rückführungsprogramme leisten einen wichtigen Beitrag, den Flüchtlingen<br />

die Rückkehr in ihre Heimat zu erleichtern und langfristig zu sichern.<br />

Fazit und Gewichtung<br />

Die politische Rechte in der Schweiz kämpft vehement gegen<br />

Auslandeinsätze/Friedensförderung. Einerseits wird in der Schweiz<br />

Stimmung gemacht gegen irreguläre Migration und Flüchtlinge, anderseits<br />

wird verweigert, die Hilfe zur Ursachenbekämpfung aktiv anzugehen. Die<br />

Schweiz versteckt sich in diesem Sinne hinter einer Neutralitätspolitik, die<br />

bei genauer Betrachtung den heutigen Bedrohungslagen nicht mehr<br />

standhält. „Burden Sharing“ (Mittragen der Lasten) ist in diesem<br />

Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. Zur Erhaltung der Sicherheit der<br />

Schweiz scheint der Autorin das Thema sicherheitspolitische<br />

Kooperation, insbesondere mit Europa, von zentraler Bedeutung.<br />

65 Quelle: Diskussionen mit VBS, Divisionär Peter Stutz und Geri Bezzola, leitender<br />

Kommandant der SWISSCOY in Kosovo sowie eigene Beurteilung, insbesondere nach<br />

dem Truppenbesuch vom 1. August 2010<br />

173


3.4. Fazit Schweiz<br />

3.4.1. Begründung der These 1<br />

Die genaue Beobachtung und Recherchen zur nationalen Schweizer<br />

Politik machen deutlich, dass die Migrationspolitik kein explizites,<br />

eigenständiges politisches Aktionsfeld darstellt. Auch der 2009,<br />

überparteilich, gegründete so genannte „Runde Tisch zur<br />

Langzeitperspektive der Migrationspolitik bis 2030“ stellt zuerst<br />

einmal Fragen rund um die Wirtschaftspolitik in diesem<br />

Zusammenhang. Massgebende Fragen 66 wurden wie folgt<br />

identifiziert:<br />

Auf Grundlage der eruierten Szenarien zu den Entwicklungen der<br />

Demografie und der Migrationsflüsse in der Schweiz lassen sich gewisse<br />

Fragestellungen und Herausforderungen für die Schweizer<br />

Migrationspolitik 2030 ableiten.<br />

• Eine andauernde Migration von jungen Personen in die Schweiz<br />

verursacht generell eine Verlangsamung der demografischen<br />

Alterung und der Abnahme des Erwerbsquotienten. Gleichzeitig<br />

ermöglicht sie durch eine Erhöhung an Erwerbstätigen eine<br />

Zunahme an AHV-Beitragszahlern. Es stellt sich folglich die Frage,<br />

ob die Migrationspolitik 2030 ein Mindestmass an Einwanderung<br />

von der EU oder von Drittstaaten sicherstellen muss, um diesen<br />

Herausforderungen zu begegnen.<br />

• Zudem stellt sich die Frage, welche Rolle die Migrationspolitik mit<br />

Blick auf den erwarteten Mangel an gut und hochqualifizierten<br />

Arbeitskräften spielen soll. Sind Massnahmen notwendig, um die<br />

Attraktivität des Schweizer Arbeitsplatzes für EU-Bürger zu<br />

erhöhen? Oder ist eine Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber<br />

66 Quelle: Bericht zur Schweizerischen Migrationspolitik 2030<br />

174


hochqualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten erforderlich?<br />

Welche Rolle spielt bei diesem internationalen Talentwettbewerb<br />

der Privatsektor und welche die Migrationspolitik? Und welche<br />

Massnahmen oder Unterstützungsprogramme sind angesichts einer<br />

Dequalifizierung von einem bedeutenden Anteil der<br />

hochqualifizierten Migranten notwendig, damit die Schweiz vom<br />

ausländischen Humankapital (Brain Gain) verstärkt profitieren<br />

kann?<br />

• Oder kann durch Bildungsreformen ein genügender Nachwuchs<br />

bereit gestellt werden, sodass solche Überlegungen in Bezug auf<br />

eine zukünftige Migrationspolitik an sich überflüssig sind?<br />

• Im Kontext der prognostizierten Tertiärisierung der erwerbstätigen<br />

Bevölkerung stellt sich die Frage, ob bei einer gleich bleibenden<br />

Migrationspolitik die Bedürfnisse nach niedrig qualifizierten<br />

Arbeitskräften weiterhin gedeckt werden können. Bedeutet dies,<br />

dass eine auf die demografischen Entwicklungen sensibilisierte<br />

Migrationspolitik 2030 eine gewisse Öffnung bezüglich der<br />

Zulassung von Arbeitskräften aus Drittstaaten vollziehen müsste?„<br />

Den ersten aufgeführten Punkt zu den Zielen der geltenden<br />

Migrationspolitik der Schweiz definiert die Expertengruppe des<br />

Runden Tisches wie folgt:<br />

1. Sie sichert und fördert den Wohlstand unseres Landes.<br />

Dafür braucht es Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ohne sie<br />

könnten viele Wirtschaftszweige wie die Bauwirtschaft, der<br />

Tourismus, das Gesundheitswesen oder der Finanz- und<br />

Werkplatz Schweiz das aktuelle Niveau nicht halten.<br />

• Während die Migrationspolitik der USA oder auch jene Europas<br />

über weite Strecken Friedenssicherung im Ausland als äusserst<br />

175


gewichtig beurteilen und Friedenssicherung (USA Beispiel<br />

Afghanistan) zu erzwingen suchen, bzw. (z.B. Deutschland) mit<br />

ihrer in die internationale Staatengemeinschaft eingebundenen<br />

Anti-Terror-Politik und einer eigentlichen Islamkonferenz die<br />

Prävention von Terrorismus zu beeinflussen und zu minimieren<br />

suchen, formuliert die Schweiz nicht einmal explizit die Terrorgefahr<br />

im Zusammenhang mit der geführten Debatte rund um die<br />

Migrationspolitik unseres Landes.<br />

• Fragen rund um das Zusammengehörigkeitsgefühl werden in der<br />

Willensnation Schweiz eher aus Sicht der vier Schweizer<br />

Sprachregionen gestellt als, denn im Sinne der Prävention gegen<br />

Kriminalität und Radikalisierung ausländischer Wohnbevölkerung.<br />

Das Verständnis, Migrationsströme auch in diesem Zusammenhang<br />

zu erfassen, scheint weitgehend zu fehlen. Das mag entscheidend<br />

damit zusammen hängen, dass unser Land bisher vor Terrorakten<br />

verschont geblieben ist. Gemäss Ausführungen von Bundesrat Ueli<br />

Maurer (vom 20. September 2010) hat die Sensibilisierung rund um<br />

Terrorakte nur unmittelbar nach dem Ereignis 9/11 zugenommen,<br />

jedoch nicht nachhaltig. Entsprechend wird Prävention in<br />

Krisengebieten im Sinne von „Ursachen bekämpfen und nicht<br />

Symptome bewirtschaften“ sogar von wichtigen politischen Kreisen<br />

vollends in Abrede gestellt. Dies begründet und dokumentiert, dass<br />

Terrorismus und Radikalisierung keinen namhaften Einfluss auf<br />

unsere Migrationspolitik finden.<br />

Erst in zweiter Linie hält die aktuelle schweizerische<br />

Migrationspolitik als angestrebtes Ziel fest:<br />

• Sie gewährt den Verfolgten Schutz, wie es der humanitären<br />

Tradition der Schweiz entspricht. Wer vor Krieg, Verfolgung und<br />

Folter fliehen muss, soll Aufnahme finden. Jedoch: längst nicht alle,<br />

176


die ein Asylgesuch stellen, werden als Flüchtlinge anerkannt oder<br />

vorläufig aufgenommen. Abgewiesene müssen das Land wieder<br />

verlassen; diesem Zweck dient die Rückkehrhilfe.<br />

• Der Runde Tisch mit seiner Expertengruppe führt ganz spezifisch<br />

aus, dass die aktuelle Migrationspolitik primär geprägt sei von<br />

einem Zwei-Kreise-Modell (Auszug aus dem migrationspolitischen<br />

Bericht des Runden Tisches): Freizügigkeit mit den EU- und EFTA-<br />

Staaten und Beschränkung und Zulassung von<br />

Drittstaatsangehörigen auf qualifizierte Personen Übersetzt könnte<br />

man „emotionslos“ sagen, dass der Arbeitsmarkt die<br />

Migrationspolitik an erster Stelle prägt, vor anderen Kriterien.<br />

• Selbstverständlich trägt der Expertenbericht umfassend unserer<br />

humanitären Tradition Rechnung. Dennoch wird deutlich, dass die<br />

erste Überlegung dem Arbeitsmarkt gilt. Diese Aussage ist nicht als<br />

Kritik zu verstehen, Denn ohne prosperierenden Arbeitsmarkt kann<br />

die Schweiz auch der humanitären Tradition nur in geringerem<br />

Masse gerecht werden.<br />

Sicherheitspolitische Aspekte werden jedoch erst in zweiter Linie<br />

aufgeführt und tangieren die Migrationspolitik nur indirekt.<br />

Demgegenüber kann gesagt werden, dass umgekehrt die<br />

Migrationspolitik die Sicherheitspolitik ganz direkt tangiert, was in<br />

der zweiten These der unter Kapitel 1 aufgeführten drei Thesen<br />

festgehalten wurde.<br />

177


3.4.2. Begründung der These 2<br />

Die Master-Thesis der Verfasserin dokumentiert jedoch klar, dass<br />

umgekehrt die Migrationspolitik und globale Zusammenhänge die<br />

Sicherheitspolitik der Schweiz prägen.<br />

Bereits in Kapitel 2.2. („Der globale Rahmen Sicherheit“), werden die<br />

„wichtigsten internationalen Trends seit der sogenannten Wende der 90er<br />

Jahre“ aufgelistet. Unter anderem ist dabei Folgendes von Relevanz, nicht<br />

nur für das globale Umfeld, sondern vielmehr auch gültig für die Schweiz:<br />

• Die Ausweitung der neuen Risiken durch Menschen- und<br />

Drogenhandel<br />

• Illegale Migrations- und Flüchtlingsströme<br />

• Ethnische Konflikte, z.B. im Balkan und entsprechende<br />

Flüchtlingsströme<br />

• Ressourcenkonflikte und Klimawandel sowie<br />

Marginalisierungsprozesse in Afrika und so genannte „failing states“<br />

mit entsprechender Flüchtlingsproblematik etc.<br />

Eine auffällig hohe ausländische Kriminalitätsrate in der Schweiz<br />

dokumentiert die Bedrohung der inneren Sicherheit aufgrund der Migration<br />

und insbesondere ungenügender Integration in diesem Zusammenhang.<br />

Sicherheitsaspekte werden denn insbesondere von populistischen<br />

Parteivertretern permanent im Zusammenhang mit illegaler Migrationsund<br />

Flüchtlingswesen ins Feld geführt. Der Druck,<br />

Sicherheitsvorkehrungen und Gesetze zu verschärfen, ist eine Folge<br />

davon, genauso wie ein verschärftes Asyl- und Ausländergesetz. Der Ruf<br />

nach einer grösseren Zahl Polizeikräfte wird aber auch von gemässigteren<br />

Parteien geteilt. Schärfere Grenzkontrollen werden insbesondere auch<br />

nach den Verträgen mit der EU („Schengen“) gefordert.<br />

178


Im krassen Widerspruch zu dieser Realität steht die Tatsache, dass sich<br />

die gleichen politischen Kräfte, welche die Ausländerkriminalität<br />

permanent „bewirtschaften“, konsequent gegen Ursachenbekämpfung in<br />

Krisengebieten (z.B. Friedensmissionen im Kosovo oder anderen „failing<br />

states“) aussprechen und dabei die sogenannt umfassende Neutralität<br />

über Gebühr bemühen, d.h. einer „Sicherheit dank Kooperation“ eine<br />

Absage erteilen. Selbst den mit der EU vereinbarten Verträgen „Dublin“<br />

zur gemeinsamen Bewältigung der Flüchtlingsproblematik attestieren die<br />

Kreise rund um die SVP kein gutes Zeugnis. Sie betonen zwar unentwegt,<br />

dass die Migrationspolitik unseres Landes versagt habe und fordern mehr<br />

Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung, stellen jedoch die Prävention im<br />

Ausland (z.B. Friedensförderung und Entwicklungshilfe) in Abrede. Die<br />

öffentliche Meinung wird durch ein eigentliches „Campaining“ in diesem<br />

Sinne geprägt, was zur Begründung der These 3 führt.<br />

3.4.3. Begründung der These 3<br />

Nicht nur in der Schweiz, auch international sind populistische<br />

Rechtsparteien auf dem Vormarsch. Sie alle bewirtschaften das<br />

Ausländerthema und insbesondere das Thema der<br />

Ausländerkriminalität massgebend und erreichen die<br />

Stimmbevölkerung mit ihren Aussagen.<br />

Die Schweiz mit ihrer weltweit einzigartigen direkten Demokratie kann an<br />

der obgenannten Tatsache nicht unbeteiligt vorbei sehen. Die öffentliche<br />

Meinung, die öffentliche Stimmungsmache auch, beeinflusst in unserem<br />

Lande mehr als im umliegenden Ausland. Nicht primär der ausgeprägte<br />

Föderalismus ist hier ins argumentarische Feld zu führen, sondern die<br />

mehrmals jährlichen Abstimmungen, die Möglichkeit der<br />

Stimmbevölkerung, Referenden und Initiativen zu ergreifen. Als Beispiel<br />

sind die Bilateralen Verträge mit der EU zur Personenfreizügigkeit sowie<br />

179


Schengen und Dublin zu nennen. Die Androhung der Kündigung der<br />

Verträge durch das Stimmvolk stellt ein reales Risiko dar und kann die<br />

Schweiz nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch<br />

bedrohen. Diesem Umstand gilt es vermehrt Rechnung zu tragen. Die<br />

verantwortlichen Politiker gemässigter Lager haben die Pflicht, mehr<br />

Aufklärungsarbeit zu betreiben und der Bevölkerung die Zusammenhänge<br />

und Schnittstellen der Sicherheits- und Migrationspolitik aufzuzeigen.<br />

Permanente Budgetkürzungen im Sicherheitsbereich stehen im krassen<br />

Widerspruch zur Forderung nach mehr Sicherheit. Nirgends kann wohl<br />

derart direkter Schaden angerichtet werden in diesem Zusammenhang<br />

wie in der Schweiz. Nirgends kann die bewusst gesteuerte öffentliche<br />

Meinungsbildung derart direkt auf künftige Politiken, Massnahmen und<br />

Mittel Einfluss nehmen.<br />

Demgegenüber muss festgehalten werden, dass illegale Migrationsströme<br />

und Flüchtlingswesen gemäss Experten weiterhin zunehmen dürften und<br />

nur sehr beschränkt beeinflusst werden können, was bedeutet, dass<br />

Diskussionen rund um Kriminalität und organisiertes Verbrechen noch<br />

vermehrt die politische Landschaft in unserer direkten Demokratie prägen<br />

werden. Eine ausgewogene Handlungsweise und umsichtiges<br />

Stimmverhalten stellen eine grosse Herausforderung dar.<br />

Allgemeinere abschliessende Feststellungen<br />

Wird die Verbindung / Schnittstelle zwischen Migration und Sicherheit<br />

bzw. umgekehrt also genauer untersucht, so kann festgestellt werden,<br />

dass die Migration die Sicherheit eines Landes oft nicht nur in einem<br />

Gebiet wie z.B. Arbeitsplatzsicherheit oder soziale Sicherheit beeinflussen<br />

kann. Beispielsweise kann irreguläre Migration gleichzeitig die Sicherheit<br />

des Arbeitsmarktes durch Schwarzarbeit, die öffentliche Sicherheit durch<br />

Kriminalität und die innere Sicherheit durch terroristische Aktivitäten<br />

negativ beeinflussen. Dies zeigt sich beispielweise auch in der<br />

unterschiedlichen Wahrnehmung der Probleme. So kann es durchaus<br />

180


vorkommen, dass beispielsweise aus der Sicht des Staates wegen der<br />

Einkommensverluste die von irregulären Migranten verrichtete<br />

Schwarzarbeit als grosses Problem angesehen wird, währenddessen<br />

gewisse Sektoren der Wirtschaft je nach Konjunkturlage nur dank dieser<br />

Schwarzarbeit überleben können und parallel dazu nimmt die Bevölkerung<br />

diese Migranten als einen Teil der Kriminalität wahr 67 . Aufgrund dieser<br />

Tatsachen kann davon ausgegangen werden, dass sich in der Regel<br />

durch Migration ausgelöste Probleme im Bereich Sicherheit gegenseitig<br />

beeinflussen und daher auch als Gesamtes angegangen werden müssen.<br />

Eine zentrale Herausforderung für die Schweiz<br />

Die Schweiz als europäisches Binnenland profitiert zwar von der<br />

Sicherheitsgemeinschaft in Europa, tut sich jedoch nach wie vor schwer<br />

mit der Frage, inwieweit sie am europäischen Einigungsprozess<br />

partizipieren soll. Neben strukturellen Eigenheiten wie der direkten<br />

Demokratie und dem ausgeprägten Föderalismus stehen einer EU-<br />

Mitgliedschaft auch Befürchtungen bezüglich einer Schwächung der<br />

Wirtschafts- und Finanzstandorts im Wege. Dazu kommt das historisch<br />

geprägte Rollenverständnis der Schweiz als abseits stehender<br />

Sonderfall 68 ’ 69 . Von ihrer traditionellen, durch die Erfahrung einer<br />

konfliktreichen Nachbarschaft bestimmten Strategie „Sicherheit durch<br />

Neutralität“ und autonome Landesverteidigung hat sich die Schweiz<br />

mental erst begrenzt verabschiedet, obwohl deren Logik wohl durch den<br />

im Kern irreversiblen europäischen Integrationsprozess und das sich seit<br />

1989 stark veränderte Bedrohungsbild unterminiert worden ist. Die grosse<br />

Zahl der Bilateralen Abkommen ist jedoch Ausdruck eines engen<br />

Beziehungsgeflechts. Allerdings führen Steuerstreit und<br />

Flüchtlingsproblematik vor Augen, wie krisenanfällig dieser technische<br />

Bilateralismus ohne effektiven politischen Rahmen ist. Während Brüssel<br />

67<br />

Vgl. dazu z.B. die Vorfälle um die irregulären Plantagenarbeiter in Süditalien Ende<br />

2009<br />

68<br />

Quelle: Botschafter Dr. Paul Widmer, Autor „Die Schweiz, ein Sonderfall“<br />

69<br />

Quelle: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik März 2007<br />

181


im Gegenzug für die selektive schweizerische Partizipation am<br />

Einigungsprozess eine Respektierung europäischer Regelungen auch in<br />

nicht durch die bilateralen Verträge abgedeckten Gebieten erwartet,<br />

beharrt Bern auf einer strikt rechtlichen Interpretation des Sachverhaltes.<br />

Die Frage der langfristigen Tragfähigkeit des bilateralen Weges stellt<br />

neuerdings der Think Tank Avenir Suisse in Frage. Avenir Suisse stellt zur<br />

Diskussion, ob ein EWR II oder ein EU-Beitritt nicht trotz allen Vorbehalten<br />

für die Zukunft den einzig richtigen Schritt darstellt.<br />

Im Bereich der inneren Sicherheit kooperiert die Schweiz unter<br />

Federführung des EJPD bemerkenswert intensiv mit der EU. Auch hier<br />

sind Nachteile einer Nichtmitgliedschaft in der EU sichtbar. So hat die<br />

Schweiz bezüglich des sich dynamisch entwickelnden Schengenrechts<br />

kein Stimmrecht. Eine Annäherung der Schweiz an die EU-<br />

Aussensicherheitspolitik ist bisher ebenfalls weitgehend ausgeblieben,<br />

trotz der im Sicherheitspolitischen Bericht formulierten „Sicherheit dank<br />

Kooperation“. Der neuste Sicherheitspolitische Bericht ist zögerlich und<br />

nicht umfassend. Der amtierende Bundesrat Ueli Maurer, SVP, tut sich<br />

besonders schwer mit allem, was internationale Kooperation bedeuten<br />

würde und beinhalten könnte. Anders als andere neutrale EU-Staaten,<br />

z.B. Österreich, Schweden, Finnland und Irland, hat die Schweiz auch<br />

davon abgesehen, ihre militärische Einsatz- und Fähigkeitsplanung<br />

vermehrt auf die ESVP und das Konzept der sogenannten „Battle Groups“<br />

auszurichten.<br />

Wer sich mit internationaler Sicherheitspolitik beschäftigt (siehe dazu die<br />

Kapitel 2.2.1 und insbesondere Kapitel 2.2.2 (Sicherheit international am<br />

Beispiel der EU), kommt nicht umhin in aller Härte zu bemängeln, dass die<br />

Schweiz zwar über einen sicherheitspolitischen Bericht 2010, nicht jedoch<br />

über eine Sicherheitsstrategie verfügt. Dies ist für die Sicherheit und<br />

insbesondere auch für die Migrationspolitik von Nachteil. Die Autorin<br />

dieser Master-Thesis ist überzeugt, dass sich die Schweiz künftig, will sie<br />

glaubwürdig und schlagkräftig Handlungsspielraum bewahren und<br />

182


Sicherheit für unser Land gewährleisten und im Rahmen einer<br />

bedrohungsgerechten Aussensicherheitspolitik handeln, verstärkt am<br />

veränderten europäischen Sicherheitsumfeld zu orientieren hat (siehe<br />

dazu auch Empfehlungen im Bereich Sicherheit unter Kapitel 4.2.). Im<br />

Wahljahr 2011 dürften diese Themen äusserst kontrovers debattiert<br />

werden.<br />

Parallel zur Einführung des freien Personenverkehrs in der EU erfolgte ein<br />

Sicherheitsabbau durch die Aufhebung der Grenzkontrollen (an den<br />

Innengrenzen der EU). Dieser Sicherheitsabbau wurde weitgehend<br />

kompensiert durch den Aufbau neuer Sicherheitsstrukturen (Verbindung<br />

SIS II – VIS- EURODAC / Europol, Frontex, etc.)<br />

Was in der Migrationspolitik verbunden mit Teilen der inneren<br />

Sicherheitspolitik (Grenzsicherheit, Kriminalitätsbekämpfung, Visapolitik,<br />

etc.)- somit weitgehend gelungen ist v. a. wegen der Einbindung der<br />

Schweiz in die wichtigsten Migrationsinstrumente der EU (freier<br />

Personenverkehr in Verbindung mit Schengen/Dublin, Frontex, Europol,<br />

Aussengrenzenfonds, etc), kann von der Aussensicherheitspolitik auf die<br />

ganze Welt bezogen leider nicht gesagt werden. Gerade der wichtige<br />

Aspekt "Sicherheit durch Kooperation" und friedenserhaltende<br />

Massnahmen würden dazu beitragen, im Verbund mit anderen Staaten mit<br />

gleichen Interessen unkontrollierte, unerwünschte und schädliche<br />

Migrationsströme zu verhindern. Eine kluge Aussensicherheitspolitik<br />

müsste im Interesse der Schweiz das Engagement der Armee im Sinne<br />

der Beteiligung an Friedensmissionen stark erhöhen, sei es in<br />

Krisenregionen, sei es in Regionen, wo Umweltmigration entsteht. Ein<br />

solches Verständnis der Aussensicherheitspolitik würde in Krisenregionen<br />

mit grossem Migrationspotenzial einmal zur Stabilität der Region und zur<br />

Hilfe vor Ort beitragen, und gleichzeitig die irreguläre Migration-mit den<br />

bekannten Folgen auch für die Schweiz-eindämmen. Ein solches<br />

Verständnis der Sicherheitsaussenpolitik würde Hand in Hand mit der<br />

Migrationsaussenpolitk der Schweiz einhergehen: Sicherheit durch<br />

183


Kooperation, friedenserhaltende Massnahmen, Migrationspartnerschaften,<br />

Schutz und Hilfe vor Ort, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit,<br />

Rückkehrprojekte mit Strukturhilfe. Aktuell liesse sich dieser Ansatz sehr<br />

gut am Horn von Afrika anwenden, wo das enorme Sicherheitsmanko den<br />

Frieden in der Region stark gefährdet zu irregulärer Migration führt, was<br />

auch für die Schweiz nachteilige Folgen hat (siehe z.B. auch Abschnitt<br />

2.2.3. zu Subsahara-Afrika).<br />

184


4. Schlusswort bzw. Empfehlungen<br />

Kurzübersicht zu Kapitel 4<br />

In Kapitel 4 stützt sich die Verfasserin dieser Master-Thesis auf die<br />

Ausführungen und Überlegungen der vorgängigen drei Kapitel und zieht<br />

einzeln Schlüsse bzw. formuliert Empfehlungen für die Bereiche<br />

Migrations- und Sicherheitspolitik der Schweiz.<br />

Unter Kapitel 4.1. finden sich Empfehlungen zum Bereich der Migration.<br />

Im Wesentlichen geht es darum zu unterstreichen, dass die Schweiz mit<br />

gleichgesinnten Staaten im Bereich der Migration kooperieren sollte, will<br />

sie die grossen Herausforderungen der Zukunft in diesem Bereich<br />

meistern. Es wird aber auch die Erkenntnis verdeutlicht, dass<br />

Ausländerkriminalität als Schwerpunktthema der Integrationspolitik zu<br />

verstehen ist. Und „last but not least“ werden u. a. Empfehlungen im<br />

Bereich der Zuwanderungspolitik formuliert. Insgesamt werden 6<br />

Empfehlungen zum Ausdruck gebracht, die alle vor Augen führen, dass<br />

Verbesserungen dank Kooperation (international und national)<br />

unausweichlich scheinen.<br />

Dem von der Verfasserin der Masterarbeit ins Leben gerufene so<br />

genannte „Runde Tisch zur Formulierung einer künftigen Migrationspolitik<br />

für die Schweiz bis 2030) wird spezielles Augenmerk gewidmet.<br />

Unter Kapitel 4.2. werden Empfehlungen zur Sicherheitspolitik der<br />

Schweiz formuliert. Insbesondere bemängelt die Autorin das Fehlen einer<br />

eigentlichen und umfassenden Sicherheitsstrategie und bedauert die<br />

Tatsache, dass Finanzmittel im Bereich der Sicherheit sich nicht an einer<br />

solchen Gesamtstrategie orientieren, sondern eher an parteipolitischen<br />

Differenzen, welche wiederum die Wahrnehmung der Öffentlichkeit<br />

negativ beeinflussen. Die Autorin stellt in diesem Zusammenhang sowohl<br />

die innere wie auch die äussere Sicherheit zur Debatte mit ihren<br />

185


Empfehlungen und plädiert dafür, Sicherheit als erste Staatsaufgabe nicht<br />

zum Stiefkind der Schweizer Politik verkommen zu lassen.<br />

4.1. Empfehlungen im Bereich Migration<br />

Im Bereich Migration werden seitens der Autorin der Master-Thesis<br />

folgende Empfehlungen formuliert:<br />

1. Die Schweiz unterstützt mit gleichgesinnten Staaten internationale<br />

Instrumente zur Lenkung von legalen und irregulären Migrationsbewegungen<br />

• Der Bund hat eine noch aktivere Migrationsinnen- und<br />

Aussenpolitik zu betreiben unter Einbezug der sicherheitspolitisch<br />

verknüpften Interessen und Massnahmen.<br />

• Eine vermehrte bilaterale und multilaterale Kooperation mit der EU,<br />

den Herkunfts- und Transitstaaten von Migranten ist notwendig zur<br />

Handhabung der mit Migration verbundenen Probleme und<br />

Chancen.<br />

• Die Zusammenarbeit mit der EU in sicherheits- und migrationspolitischer<br />

Sicht ist weiterzuführen. Bei der Bekämpfung der<br />

irregulären Migration, der Ausländerkriminalität, und der<br />

Verhinderung, dass die Schweiz zum "Reserve-Asylland" Europas<br />

wird, sind die künftigen Instrumente der EU (wie bisher) soweit<br />

immer möglich zu übernehmen. Dies deshalb, weil die EU in der<br />

Migrations- und Sicherheitspolitik weitestgehend die gleichen<br />

Interessen hat wie die Schweiz.<br />

2. Die Schweiz soll sich an einem "burden sharing" bei Asylsuchenden<br />

noch aktiver beteiligen.<br />

3. Die Schweiz muss die Integration der ausländischen Bevölkerung<br />

verstärken, dies vermindert Kriminalität und trägt zu einer Verbesserung<br />

186


des Zusammenlebens der einheimischen und ausländischen Bevölkerung<br />

bei.<br />

• Die Bekämpfung der Ausländerkriminalität und allgemein die<br />

Gewaltbekämpfung ist als Schwerpunkt der Integrationsförderung<br />

des Bundes aufzunehmen.<br />

• Die Niederlassungsbewilligung soll erst nach bestandenem<br />

Sprachtest erteilt werden. Die gesetzlich vorgesehenen<br />

Integrationsvereinbarungen (Art. 54 Ausländergesetz) sind<br />

konsequent einzusetzen, v.a. bei schwer integrierbaren Personen.<br />

• Für Ausländer, die eine Betreuungs- und Lehrtätigkeit ausüben,<br />

zum Beispiel religiöse Betreuungspersonen (z.B. Imame) oder<br />

Lehrer für heimatliche Sprache und Kultur sind besondere<br />

Zulassungsregeln einzuführen, die durch den Bund erlassen und<br />

streng kontrolliert werden.<br />

4. Der Bund soll zusammen mit den Kantonen, der Wirtschaft und den<br />

Gewerkschaften rasch prüfen, inwieweit das Zwei-Kreise-Modell bei<br />

Zuwanderung in die Schweiz auch noch in den kommenden Jahren zur<br />

Anwendung kommen soll (Freizügigkeit mit der EU bei der Rekrutierung<br />

von qualifizierten und weniger qualifizierten Erwerbstätigen und in Nicht-<br />

EU- Staaten bloss von Hochqualifizierten). Angesichts der<br />

demografischen Entwicklung in der Schweiz und in den EU-Staaten<br />

(Alterung der Gesellschaft) ist absehbar, dass die Rekrutierung von<br />

Arbeitskräften aus der EU nicht mehr genügt. Nach Bedarf muss auch<br />

Erwerbstätigen aus Nicht-EU-Staaten in gewissen Berufen – nicht nur den<br />

Hochqualifizierten - die Zulassung ermöglicht werden, selbstverständlich<br />

kontingentiert und nach genau definierten Kriterien (z.B. bei der<br />

Rekrutierung von Pflegepersonal).<br />

187


5. Der Abschluss von Migrationspartnerschaften, die in erster Linie der<br />

Schweiz dienen, aber auch die Interessen des Partnerstaates<br />

miteinbeziehen, ist zu erhöhen. Folgende Aktionsbereiche stehen dabei im<br />

Vordergrund: Rückübernahme, Visapolitik, Prävention irregulärer<br />

Migration, Kampf dem Menschenhandel, legale Arbeitsmigration, Hilfe vor<br />

Ort, Entwicklungszusammenarbeit, Entschuldungsmassnahmen,<br />

Polizeizusammenarbeit.<br />

• Die Schweiz soll mehr Projekte „protection in the region“, v.a. in<br />

Afrika unterstützen. Dies dient dem Schutz von Verfolgten und<br />

Vertriebenen in der Herkunftsregion und verhindert die irreguläre<br />

Weiterwanderung.<br />

• Die Schweiz soll mit gezielten Informations- und<br />

Aufklärungsprojekten potenzielle Migranten auf die legalen<br />

Möglichkeiten und auf die Risiken illegaler Einwanderung in die<br />

Schweiz aufmerksam machen.<br />

• Die departementsübergreifende Zusammenarbeit in internationalen<br />

Migrationsfragen im Sinne einer ganzheitlichen, wirkungsvollen und<br />

kohärenten Politik ist zu verbessern (z.B. bei den<br />

Migrationspartnerschaften, der Bekämpfung des Menschenhandels,<br />

des Einbezugs der Entwicklungszusammenarbeit, der Bekämpfung<br />

der irregulären Migration). Die involvierten Dienststellen im<br />

EJPD/EDA/EVD haben in Zukunft vermehrt auch mit den<br />

sicherheitspolitischen Stellen des VBS zusammenzuarbeiten, damit<br />

die Synergien bei Massnahmen im Interesse der Schweiz besser<br />

genutzt werden können.<br />

• Die Schweiz soll vermehrt mit der EU bei Projekten und<br />

Programmen, wie z.B. die gemeinsame Rückführung von<br />

abgewiesenen Asylbewerbern in den Heimatstaat, oder bei der<br />

Prävention irregulärer Migration sowie der Hilfe vor Ort kooperieren.<br />

188


6. Die Schweiz soll sich aktiv an Lösungsvorschlägen betreffend<br />

Klimamigranten beteiligen. Es sind rasch Vorschläge zu erarbeiten, die<br />

die rechtliche Situation, die Ursachenbekämpfung sowie den<br />

Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Fragen enthalten.<br />

Die künftige Migrationspolitik der Schweiz steht auch im Zentrum der<br />

Debatten des „Runden Tisches zur Langzeitperspektive der<br />

Migrationspolitik bis 2030 “, der bis Ende 2010 einen Bericht zur<br />

schweizerischen Migrationspolitik in den Jahren 2020 bis 2030<br />

vorstellen wird.<br />

Die Autorin nimmt an diesem Runden Tisch teil und ist sehr zuversichtlich,<br />

dass die migrationspolitischen Perspektiven innovativ sind, und dass der<br />

Bericht auch realistische und umsetzbare Empfehlungen enthalten wird.<br />

Die Autorin erhofft sich, dass der Bericht auch die Zusammenhänge<br />

Migration und Sicherheit darlegt und entsprechende Massnahmen enthält,<br />

die zu einer Verbesserung der heutigen Situation führen werden.<br />

4.2. Empfehlungen im Bereich Sicherheit<br />

Zur Zeit der Verfassung dieser Master-Thesis steht der<br />

sicherheitspolitische Bericht 2010 in den politischen Gremien zur Debatte<br />

und wurde noch nicht abschliessend beurteilt. Ein Bericht ist aus Sicht der<br />

Verfasserin dieser Masterarbeit allerdings noch keine Strategie.<br />

Diese Tatsache führt zu folgenden Empfehlungen im Bereich Sicherheit:<br />

1. Es ist eine umfassende Sicherheitsstrategie zu formulieren, welche so<br />

genannte „hard power“ (Armee und Polizei) und „soft power“ (Diplomatie,<br />

Aussenpolitik, Information inkl. Nachrichtendienst und Wirtschaftspolitik)<br />

vernetzt darstellt. Dazu ist eine Gesamtlageanalyse zu erstellen, „worst<br />

case“-Fälle sind zu berücksichtigen und in Szenarien denkend sollen die<br />

Mittel- und Langzeitperspektiven im Bereich Sicherheit aufgezeigt werden.<br />

Dabei ist den neuen globalen Risiken vermehrt Rechnung zu tragen.<br />

189


2. Eine umfassende Sicherheitsstrategie denkt in verschiedenen<br />

Szenarien und Bedrohungsbildern. Einflussfaktoren müssen in der<br />

Analyse der Ausgangslage entsprechend gewichtet werden. Ist die<br />

Lageanalyse nicht in Szenarien bearbeitet und auch ein so genannter<br />

„worst case“ formuliert, werden oft falsche Fazits gezogen und allenfalls<br />

nicht die richtigen Massnahmen eingeleitet, was die Empfehlung<br />

begründet:<br />

3. Die Einflussfaktoren, so genannte „Driver“ und „Wild Cards“, analog zur<br />

„360-Grad Umfeld-Sphärenanalyse“ (Hannes Rohner-Modell), sind in die<br />

Langzeitüberlegungen zu den Schnittstellen Migration- und<br />

Sicherheitspolitik einzubeziehen. (siehe im Anhang „360-Grad Umfeld-<br />

Sphärenanalyse“)<br />

Aus Sicht der Verfasserin findet vernetztes und Departement<br />

übergreifendes Handeln zu wenig statt. Die Empfehlung lautet daher:<br />

4. Die Autorin empfiehlt, eine Expertengruppe zu den Schnittstellen<br />

Migrationspolitik/Sicherheitspolitik auf nationaler Ebene zu bilden, welche<br />

vernetzt die Schnittstellen der Departements Justiz, Armee, Aussenpolitik<br />

in Zusammenarbeit mit der KKJPD an die Hand nimmt. Nach wie vor ist<br />

sie als Nationalrätin der Meinung, es müsse in diesem Sinne ein<br />

eigentliches Sicherheitsdepartement geschaffen werden.<br />

Die Schweiz ist nicht zuletzt aufgrund ihrer geografischen Lage inmitten<br />

der EU „sicher“. Niemand ist eine Insel – auch die Schweiz nicht.<br />

5. Die internationale Zusammenarbeit und Kooperation soll deshalb<br />

gestärkt werden unter Berücksichtigung der Neutralitätspolitik der<br />

Schweiz. Die Autorin empfiehlt daher einen bilateralen Vertrag zum<br />

Thema Sicherheit mit der EU an die Hand zu nehmen.<br />

190


6. Der Begriff der Neutralität muss dabei umfassender definiert werden.<br />

Aktive Neutralitätspolitik ist moderne Sicherheitspolitik. Die Beispiele<br />

anderer Länder (z.B. Österreich) zeigen, dass wir als neutrales Land und<br />

ohne Allianzpartner dennoch aktiver und globaler vernetzt handeln<br />

könnten. Es ist zu prüfen, in welcher Form und in welchem Umfang<br />

bilaterale Verträge mit der EU im Bereich Sicherheit und Migration<br />

bestehen oder neu, bzw. umfassender in Angriff genommen werden<br />

müssten.<br />

7. Der Finanzmittelbedarf im Bereich der Sicherheit hat sich an einer<br />

entsprechenden Gesamtstrategie zu orientieren und nicht am politischen<br />

Kalkül, wo man vordergründig am ehesten sparen könnte.<br />

Das Thema der inneren Sicherheit ist nicht nur in der Schweiz aktuell.<br />

Neue Risiken sind global und können weder im schweizerischen<br />

Alleingang noch von der Armee allein gemeistert werden. In überwiegend<br />

vielen Szenarien der Bedrohung innerer Sicherheit sind insbesondere die<br />

Polizeikräfte gefordert. Die Autorin unterstützt daher jene politischen<br />

Stimmen, welche eine Stärkung der polizeilichen Mittel fordern.<br />

8. Die innere Sicherheit sollte gestärkt werden: Die finanziellen Mittel zur<br />

Aufstockung der Polizeikräfte müssten auf Gemeinde- und Kantonsebene<br />

aufgrund eines transparenten und genau analysierten Bedarfs aufgestockt<br />

werden. Experten sprechen von 1’600 fehlenden Polizeikräften<br />

gesamtschweizerisch.<br />

9. Die Wahrnehmung einer grossen Teilöffentlichkeit im Bereich Sicherheit<br />

ist negativ. Es gilt mit Fakten und nicht mit Emotionen intensiver<br />

Aufklärungsarbeit zu betreiben. Die Schweizer Stimmbevölkerung hat<br />

mehrmals an der Urne „JA“ zu einer modernen, starken Armee<br />

191


(verstanden als wichtiger Bestandteil der Sicherheitspolitik) gesagt. Es gilt<br />

den Willen des Souveräns in diesem Zusammenhang zu respektieren.<br />

Abschliessend kann festgehalten werden, dass gemäss Verfassung die<br />

Sicherheit erste Staatsaufgabe ist.<br />

10. Es gilt daher, dieser Tatsache gebührender Rechnung zu tragen.<br />

192


5. Bibliographie<br />

Bereich Thema Literatur<br />

Situation<br />

Schweiz<br />

Situation<br />

Schweiz<br />

Allgemein<br />

Elemente der<br />

schweizerischen<br />

Migrationspolitik<br />

▪ Paul Widmer: Die Schweiz als<br />

Sonderfall. Verlag Neue Zürcher<br />

Zeitung, Zürich 2007<br />

▪ Referat - Dr. Paul Widmer,<br />

Botschafter, ständiger Vertreter der<br />

Schweiz beim Europarat in Strassburg<br />

«Historische Perspektiven der<br />

Aussenpolitik der Schweiz», Grächner<br />

aussenpolitische Herbsttagung, 2010<br />

▪Botschaft zum Bundesgesetz über<br />

Ausländerinnen und Ausländer (März<br />

2002)<br />

▪Botschaft zum Bundesgesetz über<br />

Ausländerinnen und Ausländer,<br />

Beitrag des EDA zur Migrationspolitik<br />

2009 bis 2010 (EDA 2009).<br />

Sicherheit ▪„Schlussbericht der Arbeitsgruppe<br />

Ausländerkriminalität, AGAK“ (EJPD,<br />

KKJPD; März 2001)<br />

Zuwanderung ▪„Die neue Zuwanderung: Die Schweiz<br />

zwischen Brain-Gain und<br />

Überfremdungsangst“ (Avenir Suisse,<br />

Oktober 2008)<br />

Irreguläre Migration ▪ „Sans Papiers in der Schweiz:<br />

Arbeitsmarkt, nicht Asylpolitik ist<br />

entscheidend“ (gfs.bern / BFM, April<br />

2005)<br />

▪ „Bericht zur illegalen Migration<br />

(<strong>IM</strong>ES, BFF; fedpol und<br />

Grenzwachtkorps; Juni 2004)<br />

▪ „Wichtigste Massnahmen zur<br />

Bekämpfung der illegalen Migration“<br />

(<strong>IM</strong>ES, BFF, fedpol. GWK; Juni 2004)<br />

▪ „Aufnahme von Flüchtlingsgruppen<br />

und Hilfe vor Ort“ (Bericht und<br />

Empfehlungen der Eidgenössischen<br />

Kommission für Migrationsfragen<br />

EKM; 2008).<br />

193


Internationale<br />

Migration<br />

EU-<br />

Migrationspolitik<br />

Integration ▪ „Probleme der Integration von<br />

Ausländerinnen und Ausländern in der<br />

Schweiz“ (BFM, Juli 2006)<br />

▪„Weiterentwicklung der<br />

schweizerischen Integrationspolitik<br />

(Tripartite Agglomerations-konferenz;<br />

Mai 2009)<br />

▪„Frühförderung“ und „Jahresberichte<br />

2008 und 2009 der EKM“,<br />

(Empfehlung der Eidgenössischen<br />

Kommission<br />

EKM; 2009).<br />

für Migrationsfragen<br />

▪Studie von Dr. Werner Wirth, IPMZ –<br />

Institut für Publizistikwissenschaft und<br />

Medienforschung der Universität<br />

Zürich, 2005, « Medien, Migration und<br />

Kriminalität. Eine Inhaltsanalyse von<br />

Schweizer Tageszeitungen, Juni 2005<br />

▪Longchamp, Claude et al. (2005).<br />

Sans Papiers in der Schweiz:<br />

Arbeitsmarkt, nicht Asylpolitik ist<br />

entscheidend. Bern: gfs.bern.<br />

Allgemeines ▪ „Migration in einer interdependenten<br />

Welt: Neue Handlungsprinzipien“<br />

(Weltkommission für Internationale<br />

Migration; Oktober 2005)<br />

▪ „Bericht über die menschliche<br />

Entwicklung 2009; Barrieren<br />

überwinden: Migration und<br />

menschliche Entwicklung“ (United<br />

Nations Development Programme,<br />

UNPD; 2009)<br />

▪OSZE Bericht<br />

Generelle Strategie ▪ „Haager Programm zur Stärkung von<br />

Freiheit, Sicherheit und Recht in der<br />

Europäischen Union“ (EU; November<br />

2004)<br />

Wirtschaftsmigration ▪ „Grünbuch über ein EU-Konzept zur<br />

Verwaltung der Wirtschaftsmigration“<br />

(EU-Kommission; Januar 2005)<br />

▪„International Migration Outlook<br />

(SOPEMI 2009)"Umsetzung<br />

Massnahmenpaket Integration 2009"<br />

194


Legale<br />

Zuwanderung<br />

▪ „Strategischer Plan zur legalen<br />

Zuwanderung“ (EU-Kommission;<br />

Dezember 2005)<br />

Irreguläre Migration ▪Prioritäten bei der Bekämpfung der<br />

illegalen Einwanderung“ (EU-<br />

Kommission; Juli 2006)<br />

Migration und<br />

Entwicklung<br />

Demografischer<br />

Wandel<br />

▪ „Migration und Entwicklung: konkrete<br />

Leitlinien“ (EU-Kommission;<br />

September 2005)<br />

▪ „Zirkuläre Migration und<br />

Mobilitätspartner-schaften zwischen<br />

der Europäischen Union und<br />

Drittstaaten“ (EU-Kommission; Mai<br />

2007)<br />

▪ „Bericht über die menschliche<br />

Entwicklung 2009 – Barrieren<br />

überwinden: Migration und<br />

menschliche Entwicklung“<br />

(Veröffentlichung für das<br />

Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />

Nationen, UNDP).<br />

▪ „Grünbuch angesichts des<br />

demografischen Wandels – eine neue<br />

Solidarität zwischen den<br />

Generationen“ (EU-Kommission; März<br />

2005)<br />

Sicherheit ▪Kaufmann, Franz-Xaver: In Sicherheit<br />

als soziologisches und<br />

sozialpolitisches Problem:<br />

Untersuchungen zu einer Wertidee<br />

hochdifferenzierter Gesellschaften. 2. ,<br />

umgearb. Aufl. Stuttgart 1973,<br />

195


5.1. Nützliche Links<br />

Allgemein<br />

http://www.who.int/hrh/migration/code/WHO_global_code_of_practice_EN.<br />

pdf<br />

http://www.internationalepolitik.de/ip/archiv/2006/maerz2006/zuwanderung<br />

-in-zeiten-des-terrors--hilft-erfolgreiche-integration-gegen-dieislamistische-bedrohung-.html<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Schengener_Abkommen<br />

http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_mov<br />

ement_of_persons_asylum_immigration/l33153_de.htm<br />

http://db.jhuccp.org/ics-wpd/exec/icswppro.dll?BU=http://db.jhuccp.org/icswpd/exec/icswppro.dll&QF0=DocNo&QI0=239877&TN=Popline&AC=QBE<br />

_QUERY&MR=30%25DL=1&&RL=1&&RF=LongRecordDisplay&DF=Long<br />

RecordDisplay<br />

http://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/dokumentation/reden/2003/2003-<br />

03-29.html<br />

http://de.wikinews.org/wiki/Ausschreitungen_gegen_Roma_in_Italien<br />

http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19.html<br />

Deutschland<br />

Bundesakademie für Sicherheitspolitik:<br />

http://www.baks.bundeswehr.de/portal/a/baks/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPL<br />

MnMz0vM0Y_QjzKL9403dXcHSYGZbq76kTCxoJRUfV-<br />

P_NxUfW_9AP2C3IhyR0dFRQCYXSE1/delta/base64xml/L3dJdyEvd0ZN<br />

QUFzQUMvNElVRS82X01fNUcx<br />

Italien<br />

Council of Refugees: http://www.cir-onlus.org/m<br />

196


Grossbritannien<br />

http://www.liberty-human-rights.org.uk/index.shtml ;<br />

http://www.liberty-human-rights.org.uk/issues/2-terrorism/index.shtml<br />

http://www.justice.org.uk/enterb/index1.html<br />

http://www.icmpd.org/default.asp?nav=home<br />

Schweiz<br />

www.bfm.admin.ch/etc/medialib/data/migration/integration/berichte.Par.00<br />

36.File.tmp/ber-ums-integration-2009-d.pdf<br />

www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/2010<br />

/ref_2010-01-27.html<br />

197


6. Anhang<br />

Anhang 6.1.<br />

„360-Grad Umfeld-Spärenanalyse“ (Hannes Rohner Modell)<br />

Ausgangslage, Rahmenbedingungen, Perspektiven,<br />

Entwurf des drafting Committee zuhanden des Runden Tisches zur<br />

Langzeitperspektive der Migrationspolitik bis 2030, Bericht zur<br />

schweizerischen Migrationspolitik 2030, vom 2. Juni 2010, S.39.<br />

Ein Auszug aus dem noch nicht publizierten Bericht.<br />

198


199


200


201


202


203


204


205


206


207


208


209


210


Anhang 6.2.<br />

MAS Richtfragen, Interview, am Beispiel Deutschland<br />

_______________________________________________________________<br />

MAS interview guidelines on policy of Germany<br />

National security policy is the subject, especially public safety<br />

(terrorism) but also economic safety (threat to hack into computers).<br />

I would want to know what the strategic goals of the national security<br />

policy and what the specific measures are. This leads to the<br />

following key questions:<br />

National security policy before the terror attacks in New York,<br />

9. September 2001<br />

1. What were the main goals of the national security policy before the<br />

incident (main approaches, strategic objectives, etc.)?<br />

2. Principal axes of intervention to attain the goals?<br />

3. How were the results of the implementations assessed before the<br />

incident (SWOT if relevant)?<br />

National security policy after the terror attacks in New York,<br />

9. September 2001<br />

1. What have been the main goals of the national security policy since<br />

the incident (main approaches, strategic objectives, etc.)?<br />

2. Principal axes of intervention to attain the goals?<br />

3. How the results of this implementation are assessed (SWOT if<br />

relevant)?<br />

National migration policy is the subject, especially in the field of<br />

immigration, integration, asylum\refugees and repatriation. I would<br />

want to know what the strategic goals of the national migration<br />

policy and what the specific measures are.<br />

This leads me to the following key questions:<br />

National migration policy before the terror attacks in New York,<br />

9. September 2001<br />

1. What were the main goals of the national migration policy before<br />

the incident (main approaches, strategic objectives, etc.)?<br />

2. Principal axes of intervention to attain the goals?<br />

211


3. How the results of implementation were assessed (SWOT if<br />

relevant)?<br />

National migration policy after the terror attacks in New York, 9.<br />

September 2001<br />

1. What have been the main goals of the national migration policy<br />

since the incident (main approaches, strategic objectives, etc.)?<br />

2. Principal axes of intervention to attain the goals?<br />

3. How have the results of implementation been assessed (SWOT if<br />

relevant)?<br />

Linking of national security policy and national migration policy<br />

Before the terror attacks in New York, 9. September 2001<br />

1. What were the main links between the national security policy and<br />

the national migration policy before the incident (map of<br />

connections, for example economic safety and immigration, etc.)?<br />

2. How did the national security policy influence the national migration<br />

policy in the context of these links (list of contents\measures for<br />

each connection)<br />

3. What were the results of the links and<br />

4. How did you assess the effectiveness of the links?<br />

After the terror attacks in New York, 9. September 2001<br />

1. What have been the main links between the national security policy<br />

and the national migration policy after the incident?<br />

2. How has the national security policy influenced the national<br />

immigration policy in the context of these links?<br />

3. What were and are the results of these links and<br />

4. How do you assess the effectiveness of these links?<br />

5. As a part of migration policy what measures in terms of security<br />

policy should be implemented to tackle the challenges and<br />

6. How will those measures be assessed (SWOT if relevant)?<br />

212


<strong>DIE</strong> <strong>SCHWEIZERISCHE</strong> <strong>MIGRATIONSPOLITIK</strong><br />

<strong>IM</strong> <strong>KONTEXT</strong> DER NATIONALEN SICHERHEIT UND<br />

GLOBALER ZUSAMMENHÄNGE<br />

THESIS FOR MAS ETHZ SPCM DEGREE<br />

By<br />

Doris <strong>Fiala</strong><br />

Approved: __________________________________________________<br />

Prof. Dr. Andreas Wenger,<br />

ETH Zürich Forschungsstelle für Sicherheitspolitik<br />

Leiter des Center of Security Studies an der ETH Zürich<br />

Approved: __________________________________________________<br />

Dr. iur. Eduard Gnesa<br />

Sonderbotschafter für Internationale Migrationszusammenarbeit<br />

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten<br />

EDA, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA<br />

Freiburgstrasse 130, 3003 Bern<br />

(vormals Direktor des Bundesamtes für Migration)<br />

213

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!