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Leseprobe Grünes Blut

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Prolog<br />

Schweißgebadet lag Adea in ihrem Bett. Der Raum war düster<br />

und der Geruch des Todes hing in der Luft. Schon seit vielen<br />

Wochen lag sie hier, unfähig aufzustehen. Links und rechts von<br />

ihr saßen zwei Männer und lauschten, lauschten ihrer<br />

Geschichte, der Geschichte ihres Lebens, welche einer<br />

schmerzhaften und grausamen Odyssee glich. Manchmal zeigte sich<br />

eine kleine Träne in Adeas Augenwinkeln, trotzdem war sie<br />

gefasst. Immer wieder setzte sie aus, wie um die Wut der beiden<br />

Zuhörer zu dämpfen, die Wut, die diese Geschichte in ihren<br />

Köpfen und Seelen hinterließ.<br />

Es war kaum vorstellbar, dass diese Erzählung in ein<br />

einziges kurzes Leben passte. Sie war so ungeheuerlich wie<br />

grausam und niemand wusste bisher davon. Doch Adea wollte sie<br />

loswerden, wenigstens einmal, solange sie noch konnte. Mit<br />

einem Husten hatte alles begonnen, dann kam die Diagnose, eine<br />

Erkenntnis, die sie vernichten sollte. Der Krebs hatte sie in<br />

ihren Klauen und bald würde sie diese Welt verlassen. Sie hatte<br />

nur noch den Wunsch, dass ihre Geschichte nicht in<br />

Vergessenheit geriet. Was ihre Nachkommen damit anfangen<br />

würden, interessierte sie nicht. Die Gedanken an Rache waren<br />

längst im Nebel ihrer Schmerzen verschwunden, die sie<br />

tagtäglich eisern im Griff hielten, doch ihre Söhne sollten<br />

noch wissen, wo sie herkamen, auch wenn die Wahrheit<br />

entsetzlich war.<br />

Eben hatte sie ihren letzten Satz hervorgebracht, dann<br />

schloss sie die Augen für immer.<br />

2


Kapitel 1<br />

Der Winter hielt die Stadt Chur mit eiskalter Hand<br />

umklammert und der weggepflügte Schnee türmte sich auf beiden<br />

Seiten der Straße, als sich Karl Spescha in seinen Wagen<br />

setzte. Noch ahnte er nicht, was ihn gleich erwarteten sollte.<br />

Er war das, was man gemeinhin als Sonderling bezeichnete.<br />

Andere Leute zeigten wenig bis gar kein Interesse an ihm und<br />

Frauen schon gar nicht. Sein pockennarbiges Gesicht sah aus wie<br />

eine Mondlandschaft unter dem Teleobjektiv. Seine gedrungene<br />

Gestalt war so unscheinbar, dass man schon zweimal hinsehen<br />

musste, um ihn überhaupt zu bemerken. Bereits in der Schule<br />

bekundete er große Mühe, dem Stoff zu folgen und eine<br />

Berufsausbildung blieb ihm aus dem gleichen Grund versagt. Noch<br />

bis zum Alter von neun Jahren pinkelte er des Nachts in sein<br />

Bett und auch tagsüber scherte er sich nicht ums Wasserlösen,<br />

was seine Mutter dazu veranlasste, ihn weiterhin mit Windeln<br />

auszustatten. Das Gespött in der Schule war denn auch<br />

vorprogrammiert und es kostete ihn eine Heidenmühe, den ewigen<br />

Sticheleien und Kränkungen aus dem Weg zu gehen. Er war von<br />

magerer Statur und wirkte auf die Leute kränklich, obwohl er<br />

sich bester Gesundheit erfreute.<br />

Das Einzige, was er wirklich beherrschte, war der Umgang mit<br />

Geld, was aber eher auf einem unbändigen Sparwillen beruhte,<br />

den er von seinem Vater mitbekam. Diese Fähigkeit hatte er<br />

allerdings auch bitter nötig, denn was ihm seine Eltern<br />

hinterließen, war eine ganze Menge. Von seiner Mutter lernte<br />

Karl einfache Gerichte zu kochen, was er auch häufig tat, denn<br />

der Gang ins nächste Restaurant kostete Geld.<br />

Zeitlebens hatte er mit seinen Eltern zusammengelebt und nun<br />

war er allein und fühlte sich einsam. Seine Triebhaftigkeit<br />

glich der eines Kaninchens und so blieb ihm nichts anderes<br />

übrig, als zwischendurch ein Bordell aufzusuchen, um sich<br />

Erleichterung zu verschaffen, doch eigentlich bereute er es<br />

meist kurz darauf, denn Karl war auch ziemlich geizig. Die<br />

Kleidung, die er trug, war denn ebenso schon über zwanzig Jahre<br />

alt und mit den Schuhen verhielt es sich kaum besser. Bei jedem<br />

3


Paar waren die Sohlen mit Sicherheit bereits mehrmals erneuert<br />

worden, und wenn es mehr von solchen Leuten gäbe, wäre das<br />

Schusterhandwerk mit Sicherheit nicht ausgestorben.<br />

Doch nun wollte er wieder einmal nach seinem Haus sehen,<br />

welches er vor zwei Monaten vermietet hatte, nachdem es ein<br />

halbes Jahr lang leer gestanden hatte. Nicht, dass etwa sein<br />

Geldbeutel oder sein Bankkonto darunter leiden würden, wenn es<br />

unbewohnt wäre, aber Karl wusste, dass ein leer stehendes<br />

Gebäude mit der Zeit Schaden nahm und auch sein angeborener<br />

Geiz ließ diese Sichtweise nicht zu. Aus dem gleichen Grund zog<br />

er es vor, in einer kleinen Wohnung in der Stadt zu leben, wo<br />

er nur siebenhundert Franken Miete zahlte.<br />

Er startete den Motor und fuhr langsam im zweiten Gang an,<br />

um ein Durchdrehen der Räder zu vermeiden. Karl dachte an<br />

seinen Vater, der vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet und<br />

ihm, neben einem fetten Bankkonto, einzig dieses Haus und den<br />

alten Wagen hinterlassen hatte. Zwar bewohnte das Anwesen in<br />

den letzten Jahren immer mal wieder jemand, jedoch nie für<br />

sonderlich lange. Meist zogen die Mieter des hohen Preises<br />

wegen wieder aus, denn Karl verlangte dreitausend Franken, auch<br />

für Chur ein stolzer Preis.<br />

Es war etwa drei Wochen vor Weihnachten, als das Telefon<br />

klingelte.<br />

»Ja, Spescha«, meldete sich Karl.<br />

»Gorani, Sie haben Haus zu vermieten. Kann ich mir mal<br />

ansehen?«<br />

»Sicher, wann passt es Ihnen?«<br />

»Jederzeit.«<br />

»Wollen wir uns gleich beim Haus treffen in einer Stunde?«<br />

»Abgemacht, also bis dann.«<br />

Karl wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Der<br />

Mann sprach gebrochen Deutsch und er hatte so seine Mühe mit<br />

Ausländern, die sich hier so schamlos breitmachten, so als wäre<br />

die Schweiz das Paradies. Schon sein Vater war immer gegen<br />

diese Schmarotzer gewesen und auch Karl erbte diese Sichtweise<br />

– so wie alles Übrige. Aber seine Geldgier gewann Oberhand, er<br />

ließ es vorerst auf sich beruhen und machte sich auf den Weg.<br />

Der Mann stand bereits dort, als Karl eintraf, gelehnt an<br />

einen schwarzen Mercedes. Aus seinem Mund ragte eine dicke<br />

4


Zigarre, die er von einem Mundwinkel zum anderen schob. Er trug<br />

elegante Kleidung und seine Schuhe glänzten mit der<br />

Krawattennadel um die Wette.<br />

»Sind Sie Herr Gorani?«, fragte Karl.<br />

»Ja, der bin ich – und Sie Herr Spescha sind?«<br />

»Ja, genau. Wofür brauchen Sie denn das Haus?«<br />

»Ich haben Familie, zwei Kinder, und ich mich gerne in Chur<br />

möchte niederlassen.«<br />

Aha, Familie, dachte Karl. Klingt schon einmal nicht<br />

schlecht. »Und woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?«<br />

»Aus Italien«, log Gorani, aber mit diesem Namen ging er<br />

auch als Italiener durch – und ja, gelogen war das auch nur<br />

halb. Seine wahre Herkunft durfte er auf gar keinen Fall<br />

preisgeben. Er ließ sich von Karl das Haus zeigen und man wurde<br />

schnell handelseinig. Als ihm dann Gorani die ersten drei<br />

Monatsmieten bar auf die Hand legte, waren Karls Zweifel<br />

endgültig beseitigt.<br />

So kam ihm dieser südländisch aussehende Herr gerade recht,<br />

der das Haus für fünf Jahre mieten wollte und auch gleich drei<br />

Monate im Voraus bezahlte. Auch die genannte Familie mit den<br />

angeblichen Kindern trugen dazu bei, Karls Bedenken zu<br />

zerstreuen. Bis heute hatte er die Sache sich selbst<br />

überlassen, und so war es an der Zeit, einmal nachzusehen, ob<br />

die Mieter sich auch wohlfühlten, denn das war Karl ihnen<br />

schuldig, so glaubte er jedenfalls.<br />

Wieder begann es leicht zu schneien und er umklammerte<br />

krampfhaft das Lenkrad seines über dreißigjährigen BMW, um ein<br />

Schleudern zu vermeiden. Der Wagen bildete denn ebenso ein<br />

Erbstück von seinem Vater, so wie alles Übrige, was er seinen<br />

Besitz nannte. Nur noch etwa dreihundert Meter vom Haus<br />

entfernt kam ihm ein schwarzer Mercedes entgegen. Doch Karl<br />

dachte sich nichts weiter dabei und bemühte sich, seinen Wagen<br />

in der Spur zu halten. Mit Mühe absolvierte er damals die<br />

Fahrschule, denn Karl erwies sich nicht als der Geschickteste<br />

und dazu auch noch als farbenblind. Viele Male wollte er bei<br />

Rot losfahren, denn Rot war für ihn einfach Grün und damit<br />

basta. Schließlich brachte man ihm bei, bei Grün anzuhalten und<br />

bei Rot loszufahren und damit fuhr er eigentlich ganz gut, bis<br />

heute jedenfalls.<br />

5


Vor dem Haus lag ein kleiner Parkplatz, auf den er nun<br />

einschwenkte, Schnee geräumt hatte offensichtlich niemand und<br />

der liebe Karl kam bedrohlich ins Rutschen. Nirgendwo brannte<br />

Licht und er dachte schon, vergeblich hier rausgefahren zu<br />

sein. Er würgte den Motor ab, oder besser gesagt tat dieser das<br />

von selbst, und stieg aus. Er hielt die Hand vors Gesicht, um<br />

sich vor dem Schneefall zu schützen und eilte zum Haus. Kein<br />

Laut war zu hören, es war totenstill. Karl klingelte. Nichts.<br />

Das gibt’s doch nicht. Bei diesem Wetter niemand zu Hause? Er<br />

läutete nochmals, aber nichts regte sich. Dann begab er sich an<br />

die eine Seite des Hauses und versuchte durch ein Fenster einen<br />

Blick zu erhaschen. Seltsam, dachte er. Der Raum, den er vor<br />

sich sah, war leer. Nicht ein einziges Möbelstück stand darin.<br />

Er ging zum nächsten Fenster und wieder präsentierte sich ihm<br />

dasselbe Bild. Das ist doch nicht möglich, dachte Karl. Die<br />

Leute wohnen doch schon zwei Monate lang hier. Er ging auf die<br />

andere Seite des Hauses, spähte wieder durch ein Fenster und<br />

sah erneut nur einen leeren Raum. Sind die etwa noch gar nicht<br />

eingezogen? Nein, sagte sich Karl, irgendetwas stimmt hier<br />

nicht. Er ging zur Haustür zurück und drückte vorsichtig die<br />

Türklinke hinunter. Es war offen. Langsam schubste er die Türe<br />

nach innen und schritt hinein. Es war sonst nicht seine Art,<br />

andere Wohnungen zu betreten, doch diesmal war die Neugier zu<br />

groß. Ist ja schließlich mein Haus, dachte Karl.<br />

Der Eingangsbereich präsentierte sich etwa gleich wie die<br />

Zimmer, die er schon durchs Fenster gesehen hatte. Gähnende<br />

Leere, einfach nur Leere. Es sah aus, als ob hier überhaupt nie<br />

jemand gewohnt hätte. Karl erkundete weiter und betrat ein<br />

Zimmer nach dem anderen, aber überall bot sich das gleiche<br />

Bild. Er wollte sich schon umdrehen, als ihm etwas <strong>Grünes</strong> am<br />

Boden auffiel. Es sah aus wie eine Spur, die in ein Zimmer<br />

führte, in dem er noch nicht gewesen war. Er folgte den grünen<br />

Flecken, drückte die Türe auf und erschrak zu Tode.<br />

Monsch kehrte heute ungewöhnlich früh vom Polizeikommando<br />

nach Hause zurück. Nach der Jagd auf den Serienmörder vom<br />

vergangenen Sommer war es seltsam ruhig bei der<br />

Kriminalpolizei, deren Leiter er war. Überhaupt hatte sein<br />

ganzes Leben eine Hundertachtzig-Grad-Wende vollzogen. Nachdem<br />

6


Eva mit ihrer Tochter aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen<br />

war, löste er diese kurzerhand auf und suchte sich mit Corina<br />

eine neue Bleibe, die sie an der Tittwiesenstraße auch fanden.<br />

Mit Unterstützung ihres Vaters hat auch Eva mit ihrer<br />

gemeinsamen Tochter Anouk eine Unterkunft gefunden und Monsch<br />

durfte die Kleine, während der Trennungszeit, doch immerhin<br />

einmal pro Woche sehen. Anouk weilte sehr gern bei ihrem Vater<br />

und auch mit Corina verstand sie sich bestens. Nach fünf<br />

hässlichen Wochen bei ihren Großeltern war sie ohnehin nicht<br />

mehr gut auf ihre Mutter zu sprechen. Am liebsten wäre sie<br />

gleich ganz bei ihrem Vater geblieben, aber es ging nun mal<br />

nicht nach ihrem Ermessen und so fügte sich die Zehnjährige in<br />

ihr Schicksal.<br />

Doch noch etwas anderes stand im Raum und das bereitete<br />

Monsch Freude und Sorge zugleich. Corina war schwanger und die<br />

Prophezeiung der Wahrsagerin, die einen kleinen Jungen<br />

vorhergesagt hatte, schien aufzugehen. Im Gegensatz zu seinen<br />

gemischten Gefühlen freute sich Corina riesig auf ihren<br />

Nachwuchs und so auch Anouk, die es gar nicht erwarten konnte,<br />

Bruder oder Schwester zu begrüßen.<br />

Sehr zum Ärger von Eva wollte Anouk das Weihnachtsfest<br />

unbedingt bei ihrem Vater verbringen und sie setzte sich<br />

diesbezüglich auch durch. Das mit der Schwangerschaft musste<br />

bereits im August letzten Jahres passiert sein, denn Corina war<br />

jetzt, Anfang Februar, bereits im siebten Monat. Monsch wusste<br />

zwar noch nicht, wie das funktionieren sollte, er als<br />

Alleinverdiener, wo ihn doch die Alimente zu erdrücken drohten.<br />

Allerdings konnte er sich gut vorstellen, Anouk zu sich zu<br />

nehmen und so von Alimenten und Unterhaltszahlungen befreit zu<br />

sein. Aber da war eben noch Eva, die überhaupt nicht so dachte<br />

und sich wegen ihrer Eifersucht auf Corina zu keinem Dialog<br />

bereit erklärte, und ob ein Richter auf die Wünsche eines<br />

zehnjährigen Mädchens einging, stand auf einem anderen Blatt.<br />

Doch Monsch würde genau dafür kämpfen, und zwar nicht nur, um<br />

sich selbst vor einem finanziellen Fiasko zu bewahren, sondern<br />

weil er seine kleine Tochter abgöttisch liebte.<br />

Aufgrund ihrer Schwangerschaft versetzte man Corina<br />

kurzerhand in den Innendienst der Polizei, was ihr gar nicht<br />

behagte. »Ich bin doch nicht krank«, sagte sie immer wieder,<br />

7


doch niemand hörte auf sie. Auch bei ihrem Karatetraining<br />

musste sie zurückstecken, und da Corina nicht im Traum daran<br />

dachte, nach der Niederkunft aus dem Polizeidienst<br />

auszuscheiden, rückte auch Monsch’ Wunsch, sein Mädchen zu sich<br />

zu nehmen, in weite Ferne. Es schien, als hätte der Alltag sie<br />

beide völlig eingeholt, doch so schnell wollten sie nicht klein<br />

beigeben.<br />

Corina weilte bereits zu Hause, als Monsch eintraf.<br />

»Du hast ein Einschreiben bekommen«, sagte sie kleinlaut.<br />

»Von wem?«<br />

»Keine Ahnung, sieht aber irgendwie amtlich aus.«<br />

Monsch nahm den Brief und öffnete ihn. »Er kommt von meinem<br />

Anwalt. Die Gerichtsverhandlung ist auf den zwanzigsten Februar<br />

angesetzt.«<br />

»Dann bleibt uns noch etwas Zeit, um uns wegen Anouk etwas<br />

einfallen zu lassen«, sagte Corina.<br />

»Und woran denkst du?«<br />

»Ich könnte mir durchaus vorstellen, mir eine Auszeit von<br />

einem Jahr zu nehmen und deshalb könnten wir dem Gericht<br />

verkaufen, dass Anouk bei uns besser aufgehoben ist. Warum soll<br />

denn ein Kind immer bei der Mutter leben, du hast doch als<br />

Vater die gleichen Rechte und überdies könnten wir Anouk eine<br />

komplette Familie bieten. Ich habe mit dem Polizeikommandanten<br />

gesprochen und er meint, dass ich ohne Probleme ab sofort ein<br />

Jahr über pausieren könnte, um danach wieder voll<br />

einzusteigen.«<br />

»Das würdest du tun?«<br />

»Klar, es ist nur zu unser aller Besten. Anouk ist gerne<br />

hier, ich mag sie und finanziell würde es uns auch besser<br />

gehen. Wenn ich dann nach einem Jahr meinen Dienst wieder<br />

aufnehme, wird niemand mehr danach fragen.«<br />

»Da kennst du aber Eva schlecht. So wie ich sie einschätze,<br />

wird sie sofort ein neues Gerichtsverfahren beantragen.«<br />

»Aber damit wird sie nicht durchkommen, weil Anouk<br />

eigentlich bei uns bleiben will.«<br />

»Vielleicht hast du recht, und wann willst du aufhören zu<br />

arbeiten?«<br />

8


»Hab’ ich dir gesagt, ich kann mich jederzeit freistellen<br />

lassen.«<br />

»Und wenn das Gericht Anouk trotzdem Eva zuspricht?«<br />

»Dann beginne ich einfach wieder zu arbeiten.«<br />

»Und das Kind?«<br />

»Geben wir zu einer Tagesmutter. Er lässt mich ohnehin nicht<br />

gern ziehen, also ist der Chef sicher froh, wenn ich früher als<br />

geplant zurückkehre.«<br />

Das Telefon klingelte und Monsch ging an den Apparat.<br />

»Ja, Monsch ...«<br />

»Ich komme.«<br />

»Was ist?«<br />

»Ich muss los.«<br />

Karl blieb vor Schreck wie angewurzelt stehen. Der ganze<br />

Raum war grünverschmiert und in der Mitte lagen drei<br />

Männerleichen. Im ersten Moment wusste er nicht, was er tun<br />

sollte. Er schloss vorsichtig die Türe und dachte nach. Die<br />

Polizei, ich muss die Polizei rufen. Er schaute sich im Haus<br />

um, ob er irgendwo ein Telefon finden konnte, denn ein Handy<br />

besaß er nicht, aber er konnte keines entdecken. Die Nachbarn<br />

kamen ihm in den Sinn. Er rannte hinaus und wäre beinah<br />

hingefallen. Der Schneefall hatte zugenommen und er eilte zum<br />

Nachbarhaus.<br />

Eine Frau öffnete. »Ach, Sie sind's Herr Spescha. Was kann<br />

ich für Sie tun?«<br />

»Dürfte ich mal schnell telefonieren, Frau Erni?«<br />

»Selbstverständlich, kommen Sie doch herein.«<br />

Karl betrat das Haus, das Telefon befand sich im Wohnzimmer.<br />

Er wählte.<br />

»Kantonspolizei Graubünden.«<br />

»Hier ist Karl Spescha. Sie müssen schnell kommen, es ist<br />

ein Mord geschehen, oder wenn ich ehrlich bin: gleich drei.«<br />

»Was drei? Wo sind Sie überhaupt?«<br />

»Ich bin bei einer Nachbarin am Telefonieren.«<br />

»Dass Sie telefonieren, ist mir klar, aber wo sind Sie?«<br />

»In der Kirchgasse.«<br />

»Und hat diese Kirchgasse auch eine Nummer?«<br />

»Fünfundfünfzig.«<br />

9


»Und jetzt noch mal ganz genau, was ist eigentlich<br />

passiert?«<br />

»Drei tote Männer liegen im Haus. Es ist mein Haus, ich habe<br />

es vermietet.«<br />

»Rühren Sie nichts an, wir kommen.«<br />

»Ich dachte, das Haus steht leer?«, sagte Frau Erni.<br />

»Nein, ich habe es vor zwei Monaten vermietet.«<br />

»Aber da war nie jemand da. Doch jetzt, wo Sie es sagen: Ich<br />

habe ein paar Mal einen Mann mit zwei Frauen gesehen, die<br />

aussahen wie Flittchen.«<br />

»Das müssen Sie der Polizei erzählen.«<br />

»Sind da wirklich Tote in dem Haus?«, fragte Frau Erni.<br />

»Ja, gleich drei.«<br />

»Das ist ja schrecklich – und das in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft, furchtbar.«<br />

Als Karl das Haus verließ, traf auch die Polizei ein. Er<br />

eilte zu seinem Anwesen.<br />

»Haben Sie uns angerufen?«, fragte ein Polizist.<br />

»Ja, das war ich.«<br />

»Haben Sie das Haus betreten?«<br />

»Ja, ich war nur ganz kurz drinnen.«<br />

»Bleiben Sie bitte hier und halten Sie sich zu unserer<br />

Verfügung. Die Ermittler werden Fragen an Sie haben.«<br />

Zwanzig Minuten wartete Karl nun schon vor dem Haus, als<br />

endlich Monsch eintraf. Doch der beachtete ihn gar nicht und<br />

verschwand sofort im Gebäude.<br />

»Was ist denn das für eine Schweinerei?«, fragte Monsch<br />

Sabine Müller, die Leiterin der Spurensicherung. Sie stand<br />

zugleich der Gerichtsmedizin vor und so konnte sie bereits zu<br />

Beginn einer Ermittlung für gewöhnlich schon recht gut Auskunft<br />

geben.<br />

»Sie sind regelrecht kastriert worden«, sagte Sabine. »Allen<br />

dreien wurden jeweils Penis und Eier abgeschnitten. Man hat sie<br />

an Händen und Füßen gefesselt und einfach verbluten lassen.<br />

Aber die Tat ist noch gar nicht lange her. Der Mann da draußen,<br />

Spescha heißt er, glaub’ ich, hat sie gefunden. Soviel ich<br />

10


weiß, ist er der Besitzer des Anwesens. Wäre der etwas früher<br />

hier gewesen, hätte er den Täter noch überraschen können.«<br />

»Weiß man schon, wer die Toten sind?«<br />

»Nein, außer, dass sie alle Männer über sechzig sind. Aber<br />

das hier solltest du dir ansehen.« Sabine zeigte auf die Stirn<br />

einer Leiche – und dort stand geschrieben: Für unser Muter.<br />

»Das ist bei allen zu finden«, sagte Sabine.<br />

»Könnte auf einen Racheakt hindeuten. Aber da sind auch zwei<br />

Fehler drin: Müsste es nicht heißen ‚unsere Mutter‘ und Mutter<br />

mit zwei t?«<br />

»Du hast recht, vielleicht Ausländer?«<br />

»Das ist denkbar, oder jemand, der orthografieschwach ist,<br />

etwa ein Legastheniker?«<br />

»Mal sehen, womöglich geben die Fingerabdrücke etwas her?«<br />

»Und wo ist dieser Spescha jetzt?«<br />

»Er wartet draußen und friert sich den Hintern ab«, sagte<br />

Sabine.<br />

Monsch ging nach draußen. »Sind Sie Herr Spescha?«<br />

»Ja, der bin ich.« Karl war buchstäblich durchgefroren und<br />

Monsch sagte zu ihm: »Kommen Sie doch bitte herein.«<br />

Spescha folgte Monsch und sie gingen in einen Raum, wo sie<br />

ungestört reden konnten.<br />

»Also, jetzt mal ganz der Reihe nach. Was ist passiert?«<br />

»Ich bin so gegen fünfzehn Uhr hierhergefahren und habe mich<br />

gewundert, dass niemand anwesend war. Dann bin ich ums Haus<br />

herum gegangen und habe zum Fenster hineingesehen. Ich wurde<br />

stutzig, da keine Möbel erspähen konnte, bin zurück zum Eingang<br />

und habe die Klinke hinuntergedrückt. Zu meiner Verwunderung<br />

stand die Türe offen und so bin ich halt hineingegangen. Dann<br />

habe ich die grünen Spuren und die Leichen entdeckt.«<br />

»Was für grüne Spuren denn?«<br />

»Ja, die am Boden eben.«<br />

»Sie meinen rote Spuren?«<br />

»Ach ja, wissen Sie, ich bin farbenblind.«<br />

»Und was hatten Sie überhaupt hier zu suchen?«, fragte<br />

Monsch.<br />

»Na hören Sie mal, mir gehört das Haus.«<br />

»Aber Sie wohnen nicht darin?«<br />

11


»Nein, ich habe es erst kürzlich vermietet.«<br />

»Und an wen haben Sie es vermietet?«<br />

»An einen Herrn, Gorani heißt er. Er wollte mit seiner<br />

Familie einziehen und hat auch gleich für drei Monate im Voraus<br />

bezahlt.«<br />

»Und warum weilten Sie dann hier oben?«<br />

»Weil ich seit zwei Monaten nichts mehr von den neuen<br />

Bewohnern gehört habe und mal nachsehen wollte, wie es meinen<br />

Mietern so geht.«<br />

»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«<br />

»Nur als ich heraufgefahren bin, ist mir ein schwarzer<br />

Mercedes begegnet. Ach ja, die Nachbarin, von deren Haus aus<br />

ich telefoniert habe, weiß vielleicht etwas.«<br />

»Und wie heißt diese Nachbarin?«<br />

»Das ist Frau Erni. Sie wohnt gleich im nächsten Gebäude.«<br />

»Können Sie den Mann beschreiben – Gorani war sein Name,<br />

oder?«<br />

»Ja, er war ziemlich groß, südländischer Typ, schwarze<br />

Haare, schlank, sah ausnehmend gut aus, etwa vierzig Jahre alt.<br />

Glauben Sie, er hat etwas damit zu tun?«<br />

»Das wissen wir noch nicht, aber wir werden es herausfinden.<br />

Halten Sie sich zu unserer Verfügung. Wahrscheinlich müssen Sie<br />

bei der Herstellung eines Phantombildes behilflich sein. Am<br />

besten, Sie melden sich in einer Stunde auf dem<br />

Polizeikommando. Und noch was, den Mietvertrag brauchen wir.«<br />

Monsch ließ Spescha stehen und machte sich auf zum<br />

Nachbarhaus.<br />

»Kommen Sie herein«, sagte Frau Erni, »Sie sind sicher von<br />

der Polizei?«<br />

»Ja genau, Monsch ist mein Name. Ich hätte ein paar Fragen<br />

an Sie.«<br />

»Ich habe nur gesehen, dass ein paar Mal ein Mann hier oben<br />

war, mit zwei Frauen, die etwas komisch aussahen.«<br />

»Was meinen Sie mit ‚komisch‘?«<br />

»Ja, eben komisch, wie Huren so aussehen.«<br />

»Können Sie den Herrn und die Damen beschreiben?«<br />

»Das wird schwierig, dafür waren sie zu weit weg, ich konnte<br />

sie nicht genau erkennen.«<br />

»Aber dass sie wie Huren aussahen, das haben Sie gesehen?«<br />

12


»Ja, das sieht man schließlich von Weitem.«<br />

»Sie sagten, diese Leute wären ein paar Mal hier oben<br />

gewesen. Wie oft denn nun genau?«<br />

»Zweimal, ums genau zu sagen.«<br />

»Und Sie haben nur immer diese Leute ausgemacht?«<br />

»Ja, nur diese drei.«<br />

Monsch verabschiedete sich von Frau Erni, setzte sich in<br />

seinen Wagen und fuhr zum Polizeikommando zurück. Ihm war, als<br />

stünde er vor der Wiederholung der schrecklichen Ereignisse des<br />

letzten Sommers, nur dass diesmal die Leichen gleich auf einmal<br />

auftraten und seiner Meinung nach wahrscheinlich kein<br />

Serienmörder am Werk war.<br />

Pünktlich nach genau einer Stunde traf Karl Spescha ein und<br />

wurde sofort zum Zeichner geschickt, der mit seiner Hilfe ein<br />

Phantombild anfertigte. Eine weitere Stunde später läutete<br />

Monsch’ Telefon, es war Sabine.<br />

»Wir konnten anhand der Fingerabdrücke, die alle in unserer<br />

Kartei waren, die Identität der Toten feststellen. Es handelt<br />

sich um Reto Bruhin, Walter Enzler und Roger Andreoli. Andreoli<br />

ist übrigens der Chef der Fremdenpolizei und die anderen beiden<br />

waren ebenfalls bei dieser Behörde tätig, sind aber<br />

mittlerweile pensioniert. Vielleicht kannst du etwas anfangen<br />

damit?«<br />

»Danke, aber wir müssen erst die Angehörigen verständigen.<br />

Hast du sonst noch Informationen?«<br />

»Nein, erst nach der Obduktion.«<br />

Monsch beschloss, zuerst die Frau des noch amtierenden Chefs<br />

der Fremdenpolizei aufzusuchen und fuhr zur Bergstraße. Erhard<br />

und Niklaus, seine zwei Kollegen, schickte er zu den anderen<br />

Witwen.<br />

Türe.<br />

Eine zierliche Dame von knapp sechzig Jahren öffnete ihm die<br />

»Sind Sie Frau Andreoli?«<br />

»Ja, was gibt’s?«<br />

»Mein Name ist Monsch, Kantonspolizei. Ich muss Ihnen leider<br />

eine schreckliche Mitteilung machen: Ihr Mann wurde tot<br />

aufgefunden.«<br />

13


Die Frau schien nicht im Geringsten überrascht zu sein und<br />

bat Monsch einzutreten. »Nehmen Sie bitte Platz. Hat ihn eine<br />

seiner Huren umgebracht?«<br />

»Sie wirken sehr gefasst«, sagte Monsch.<br />

»Wissen Sie - Wir sind seit bald vierzig Jahren verheiratet<br />

und schon genauso lange ist mein Mann, oder soll ich besser<br />

sagen war mein Mann, ein Weiberheld. Eigentlich hat er somit<br />

nur verdient, was ihm schon lange zusteht. Ich bin ganz froh,<br />

dass ich ihn los bin.«<br />

»Auf der Stirn Ihres Mannes stand Für unsere Mutter<br />

geschrieben. Wissen Sie, was das bedeuten könnte?«<br />

»Keine Ahnung. Vielleicht hat er im Lauf der Jahre mal eine<br />

geschwängert, soll ja durchaus vorkommen, und jetzt rächen sich<br />

die Nachkommen.«<br />

Von dieser Warte aus hatte es Monsch noch gar nicht<br />

betrachtet und er fand das einen sehr interessanten<br />

Anhaltspunkt.<br />

»Erzählen Sie mir etwas über Ihren Mann.«<br />

»Sie meinen abgesehen davon, dass er ein Hurenbock war?«<br />

»Ja, so in etwa.«<br />

»Also, gearbeitet hat er viel und er hat immer gut für uns<br />

gesorgt, das muss man ihm lassen. Das ist auch der Grund, warum<br />

ich das die ganzen Jahre über ausgehalten habe und bei ihm<br />

geblieben bin.«<br />

»Kennen Sie die Frauen, mit denen er Verhältnisse pflegte?«<br />

»Einige ja, andere nicht.«<br />

»Können Sie uns eine Liste erstellen, von denen, die Ihnen<br />

bekannt sind?«<br />

»Und wie weit zurück soll die gehen?«<br />

»So weit wie möglich. Wenn Ihre Vermutung zutrifft, dürfte<br />

der Auslöser für das Verbrechen schon eine ganze Weile her<br />

sein.«<br />

»Die Liste wird aber sicher sehr lang werden.«<br />

Monsch dachte nach. Irgendetwas an dieser Frau machte ihn<br />

stutzig. Hat sie vielleicht etwas mit den Morden zu tun? Doch<br />

er verwarf den Gedanken gleich wieder, denn ehrlich gesagt,<br />

wenn er sie so ansah, mit ihren kaum einssechzig, konnte er<br />

sich nicht vorstellen, dass sie es mit drei gestandenen<br />

14


Mannsbildern aufnehmen konnte, oder konnte sie etwa auf Helfer<br />

zurückgreifen? Er verabschiedete sich von ihr und bat sie, die<br />

Unterlagen an das Polizeikommando zu senden. Immer wieder<br />

tauchte die Personenbeschreibung von Spescha vor seinem<br />

geistigen Auge auf. Südländischer Typ und sehr groß, elegant<br />

gekleidet, Frauenbegleitung. Er ließ es für den Moment auf sich<br />

beruhen und machte sich auf den Weg nach Hause.<br />

»Bist du das?«, fragte Corina.<br />

»Ja ich bin’s«, sagte Monsch.<br />

»Was war denn los?«<br />

»Drei Morde.«<br />

»Was!, und ausgerechnet jetzt bin ich nicht im Außendienst.<br />

Erzähl.«<br />

»Drei Männerleichen, alle über sechzig und mit<br />

abgeschnittenen Penissen und Eiern.«<br />

»Das hört sich ja fast so brutal wie im letzten Sommer. Hast<br />

du schon Anhaltspunkte?«<br />

»Nein, noch nichts Vernünftiges. Wir kennen nur den Mieter<br />

dieses Hauses namentlich und auf der Stirn der Männer stand Für<br />

unsere Mutter geschrieben. Ach ja, alle drei waren bei der<br />

Fremdenpolizei beschäftigt, einer davon ist sogar heute noch<br />

Chef dort. Seine Frau hat behauptet, er sein ein Weiberheld und<br />

es geschehe ihm ganz recht.«<br />

»Bei der Fremdenpolizei sagst du?«<br />

»Ja, alle drei, zwei sind mittlerweile pensioniert.«<br />

»Vielleicht gibt es ja noch andere Gemeinsamkeiten.«<br />

»Und welche sollten das sein?«<br />

»Das weiß ich im Moment auch noch nicht. Habt ihr die<br />

Computer der Männer überprüft? Die geben manchmal ganz schön<br />

was her.«<br />

»Nein, das habe ich völlig vergessen, aber ich werde mich<br />

morgen gleich darum kümmern. Ich selbst habe nur die eine Witwe<br />

aufgesucht. Die anderen haben Erhard und Niklaus<br />

benachrichtigt.«<br />

»Du kannst mir die Computer morgen bringen. Ich würde gerne<br />

die Festplatten durchforsten«, sagte Corina. »Dann kann ich<br />

wenigstens etwas für dich tun.<br />

15


Kapitel 2<br />

Mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres nahm Antonio<br />

Berthers Leben eine entscheidende Wende – und das war vor genau<br />

siebzehn Jahren. Bis dahin lief alles glatt. Er wuchs in<br />

Disentis auf und besuchte dort auch die Schulen. Seinen Namen<br />

und sein südländisches Aussehen verdankte er seiner<br />

italienischen Mutter und er schien der Mädchenschwarm<br />

schlechthin zu sein. Nicht nur Gleichaltrige fuhren auf ihn ab,<br />

sondern auch reife Damen, die in ihm eine Art Adonis sahen.<br />

Doch er war auch ein außergewöhnlich guter Schüler und<br />

durchlief ab dem zwölften Lebensjahr das Gymnasium an der<br />

dortigen Klosterschule. Dennoch hielt sich Antonio brav zurück,<br />

bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr, da lernte er Doris<br />

Casanova kennen, eine zwanzigjährige Blondine, die ihn in die<br />

Geheimnisse der körperlichen Liebe einweihte. Es kam, wie es<br />

kommen musste und Antonio konnte alsbald die Finger nicht mehr<br />

von ihr lassen. Tagtäglich wollte Doris Sex und seine<br />

schulischen Leistungen nahmen in gleichem Maße ab, wie seine<br />

sexuelle Energie zunahm. Immer öfter schwänzte er den<br />

Unterricht und vergnügte sich stattdessen mit Doris im Bett.<br />

Alle Ermahnungen seiner Lehrer schlug er in den Wind, und als<br />

er achtzehn wurde, flog er von der Schule, kurz vor der<br />

Maturität.<br />

Nun hatte auch Doris genug von ihm, was wollte sie denn mit<br />

einem Mann ohne Schulabschluss und gab ihm den Laufpass. Am<br />

Boden zerstört, beschloss er, es zu seiner Lebensphilosophie zu<br />

machen, sich am weiblichen Geschlecht zu rächen. Als ihm dann<br />

seine Mutter zu guter Letzt auch noch eröffnete, dass sein<br />

Vater nicht sein leiblicher sei und er zeitlebens einer<br />

Täuschung aufgesessen hatte, hatte Antonio endgültig genug und<br />

fasste einen Entschluss.<br />

Es war ein Donnerstag im August 1991, als sich Antonio in<br />

den Zug setzte, bewaffnet mit einem Inserat, welches er aus<br />

einer Männerzeitschrift ausgeschnitten hatte. Die Reise führte<br />

ihn auf direktem Weg nach Zürich und von dort aus zu einer<br />

Adresse am Zollikerberg. Die letzte Etappe seines Weges legte<br />

er mit der Strassenbahn zurück und nun stand er vor einer<br />

16


großen, alten Villa und läutete. Ein kleiner Mann, dessen<br />

beidseitig bekettete Handgelenke sofort auffielen, öffnete ihm<br />

die Tür.<br />

»Ja, was kann ich für Sie tun?«<br />

»Mein Name ist Antonio Berther, wir haben telefoniert.«<br />

»Ah richtig, Sie sind hier wegen unserer Ausschreibung für<br />

Gigolos. Dann mal rein in die gute Stube.«<br />

Die Villa besaß ein riesiges Entree. An der Decke hing ein<br />

gewaltiger Kronleuchter und die Wände waren mit Bildern<br />

verschiedenster Herren tapeziert, die hier wahrscheinlich der<br />

Sünde zum Opfer fielen. Der Mann bat Antonio ihm zu folgen und<br />

unversehens standen sie vor einer Türe, an die er klopfte. Eine<br />

rauchige Frauenstimme rief: »Herein!«<br />

Sie traten ein und Antonio sah eine matronenhafte Lady, die<br />

sich, mit den Füßen auf dem Tisch, genüsslich auf ihrem Stuhl<br />

räkelte.<br />

»Treten Sie näher junger Mann, nicht so schüchtern. Wurde<br />

aber auch Zeit, dass wir wieder einmal junges Fleisch kriegen.<br />

Ich bin Madame Etoile.«<br />

Antonio schritt auf den Schreibtisch zu und setzte sich der<br />

Dame gegenüber hin. Das war irgendwie eigenartig, denn hinter<br />

der Dame hing ein großer Spiegel an der Wand, in dem er ihren<br />

Rücken und sich selbst deutlich sehen konnte und der die Frau<br />

noch größer erscheinen ließ, als sie ohnehin schon war. Ihm kam<br />

es so vor, als stünde er unter Dauerbeobachtung, und er begann,<br />

sich auf seinem Stuhl hin und her zu winden.<br />

»Nicht so nervös, junger Mann, ich beiße Ihnen Ihr Ding<br />

schon nicht ab. Sie wollen also Gigolo werden?«<br />

»Ja«, seufzte Antonio.<br />

»Wann hatten Sie das erste Mal Sex?«<br />

»Mit sechzehn.«<br />

»Und, wie war’s?«<br />

»Ganz gut, glaube ich zumindest.«<br />

»Wie alt war denn die Dame?«<br />

»Zwanzig.«<br />

»Klingt gut, bei etwas reiferen Damen lernt man fürs Leben«,<br />

grinste Madame und gab schallendes Gelächter von sich.<br />

»Und warum genau wollen Sie Gigolo werden?«<br />

17


»Ich habe mir sagen lassen, dass man dabei recht gut<br />

verdienen kann«, antwortete Antonio.<br />

»Und kostenloses Vergnügen quasi umsonst dazu.« Wieder brach<br />

die Alte in lautes Kichern aus. »Wie steht’s denn um Ihre<br />

Manieren?«<br />

»Wie meinen Sie das?«<br />

»Ja, Manieren eben. Sie werden Damen zu allen möglichen<br />

Anlässen begleiten, und da sind gewisse Verhaltensweisen<br />

angezeigt, aber das bringen wir Ihnen bei. Außerdem werden wir<br />

Ihnen zeigen, wie man eine Dame befriedigt und sie in Ekstase<br />

versetzt. Dafür bin übrigens ich persönlich zuständig.«<br />

Au weia, dachte Antonio. Sie meint doch nicht etwa, dass ich<br />

mit ihr ins Bett gehen muss?<br />

Wie wenn die Alte seine Gedanken lesen könnte, sagte sie<br />

sogleich: »Bei mir erlernen Sie die hohe Kunst eine Frau zu<br />

befriedigen und glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen.<br />

Unsere Kundinnen haben teilweise ganz spezielle und auch<br />

ausgefallene Wünsche, die es zu erfüllen gilt. Manche mögen es<br />

streng, andere zärtlich und auch perverse Spielchen sind nicht<br />

ausgeschlossen. Wir zeigen Ihnen wie Sie sich ganz auf die<br />

Bedürfnisse der jeweiligen Frau einstellen. Dabei werden Sie in<br />

verschiedene Rollen schlüpfen müssen. Sie müssen jeder Frau das<br />

Gefühl vermitteln, für sie der Einzige zu sein. Ob Sie’s mir<br />

glauben oder nicht, die Fantasie gewisser Frauen kennt keine<br />

Grenzen. Ihre Ausbildung wird etwa eine Woche lang dauern und<br />

während dieser Zeit werden Sie hier bei mir im Haus wohnen,<br />

dann sehen wir weiter. Ewald wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen, wir<br />

treffen uns dann zum Nachtessen.«<br />

Noch etwas benommen ließ sich Antonio von Ewald auf sein<br />

Zimmer führen. Er war sehr unsicher, ob er bei dieser Alten<br />

überhaupt einen hochkriegen würde, aber es hatte keinen Zweck.<br />

Er war nun einmal hier, fügte sich in sein Schicksal und legte<br />

sich aufs Bett.<br />

Um achtzehn Uhr betrat Ewald sein Zimmer und weckte ihn.<br />

»Zeit fürs Abendessen, junger Mann.«<br />

Antonio folgte Ewald in einen Raum, der alles, was Antonio<br />

bisher gesehen hatte, in den Schatten stellte. So ungefähr<br />

mussten die Könige früher gehaust haben, die er aus den<br />

Geschichtsbüchern kannte. Die Wände waren gepflastert mit<br />

18


Gobelins, zwei riesige Leuchter hingen bedrohlich von der Decke<br />

und in der Mitte des Raums stand ein riesiger, langer,<br />

gedeckter Tisch. Ewald bat Antonio, sich zu setzen. Vor sich<br />

sah er nun links und rechts eine Reihe Besteck und ihm schwante<br />

Böses.<br />

hin.<br />

Dann trat Madame Etoile ein und setzte sich ihm gegenüber<br />

»Na, dann wollen wir mal. Ewald, du kannst servieren.«<br />

Als Erstes wurden Weinbergschnecken gereicht und unter den<br />

neugierigen Blicken von Ewald und Madame begann Antonio sich<br />

mit den Gehäusen abzumühen. Er hatte noch nie zuvor Schnecken<br />

gegessen und so wusste er auch nicht, wie er das am besten<br />

anstellen sollte. Schon geschah das Malheur und die erste<br />

Behausung flog in hohem Bogen auf den Teller von Madame.<br />

»Ist nicht weiter schlimm. Ewald wird Ihnen alles<br />

beibringen. Ende dieser Woche werden Sie meinen, nie etwas<br />

anderes gegessen zu haben.«<br />

Als Nächstes wurden Austern serviert, auch das ein Gericht,<br />

welches Antonio nicht kannte und er stellte sich in etwa gleich<br />

dämlich an wie zuvor bei den Schleimtieren. Wenn das so<br />

weitergeht, werde ich am Ende der Woche verhungert sein, dachte<br />

er bei sich, doch es sollte noch dicker kommen, denn beim<br />

nächsten Gang schaute ihm ein Hummer entgegen. Konzentriert<br />

versuchte er, mit einem Blick zu Madame, Informationen zu<br />

erhaschen, aber es blieb bei einem Versuch. Dann endlich wurde<br />

ein Filet gereicht und Antonio kam doch noch auf seine Kosten.<br />

Ewald trug eben die Reste der Nachspeise weg, als Madame sagte:<br />

»So, jetzt geht’s zum gemütlichen Teil. Wenn Sie mir bitte<br />

folgen wollen.«<br />

Sie führte ihn in ein Zimmer, welches nur aus Spiegeln<br />

bestand. Sogar an der Decke waren welche angebracht worden.<br />

Madame kam auf ihn zu, begann ihn zu küssen und fasste ihm in<br />

den Schritt. Gekonnt öffnete sie ihm die Hose, während sie<br />

seine Hand an ihren gewaltigen Busen führte. Dieser sah aus wie<br />

das Euter einer nichtgemolkenen Kuh und Antonio bekam Angst,<br />

irgendwann davon erschlagen zu werden. »Nicht so schüchtern,<br />

junger Mann. Jetzt zeigen Sie mal, was Sie können.«<br />

Antonio überlegte kurz, dann dachte er: Dir werde ich’s<br />

zeigen, du alte Hexe. Er packte die Alte und warf sie aufs<br />

19


Bett. Es war nicht zu fassen, aber sein steifes Glied ragte<br />

bereits fast senkrecht empor. Er wollte sich eben auf sie<br />

werfen und in sie eindringen, als Madame schrie: »Nicht so<br />

stürmisch, junger Mann. Frauen lieben das Vorspiel. Du musst<br />

das so lange hinauszögern, bis sie richtiggehend nach dir<br />

betteln. Ich habe überall an meinem Körper wichtige Zonen, die<br />

es zu erregen gilt. Am besten erledigst du das mit der Zunge.«<br />

Antonio begann an ihren Brüsten zu knabbern, dann wandte er<br />

sich ihrem Bauchnabel zu, der tief in ihrem massigen Bauch<br />

steckte, und langte schließlich dort an, wo andere Frauen sich<br />

eines haarigen Dreiecks erfreuten. Doch bei ihr war da kein<br />

Dreieck, sondern einfach nur Haare, und zwar ungeheure Mengen<br />

davon. Madame Etoile spreizte die Beine und Antonio konnte den<br />

Eingang dieser haarigen Grotte deutlich sehen. »Du musst mich<br />

dort unten so lange mit der Zunge verwöhnen, bis ich nach<br />

deinem Schwanz schreie und dann wartest du noch ein Weilchen,<br />

bevor du eindringst.«<br />

Antonio dachte ans Abendessen und an die schleimigen<br />

Schnecken, denn genau so präsentierte sich nun das Zentrum der<br />

weiblichen Lust vor seinen Augen, dann vergrub er seinen Kopf<br />

im haarigen Dschungel und begann sie mit seiner Zunge zu<br />

verwöhnen. Sie fing an leicht zu stöhnen, während er geschickt<br />

seine Zunge kreisen ließ und sie schließlich in ihre Öffnung<br />

steckte. Nun bettelte sie ihn an, doch endlich zu ihr zu<br />

kommen, aber Antonio dachte an ihre Worte und hielt sich tapfer<br />

zurück. Die Alte kam immer mehr in Fahrt und begann zu<br />

schreien, doch Antonio dachte gar nicht daran klein beizugeben.<br />

Erst als sie so richtig flehte und wehklagte, führte er die<br />

Spitze seines Penis langsam an ihre Öffnung, ohne aber in sie<br />

einzudringen, was die Alte nun endgültig aus der Fassung<br />

brachte. Dann drang er in sie ein.<br />

»Das war gar nicht übel fürs erste Mal«, sagte seine<br />

Lehrmeisterin, nachdem sie befriedigt war. Ich kann dir noch<br />

sehr viel mehr beibringen, aber uns bleibt ja noch eine Woche<br />

lang Zeit.«<br />

Diese Zeit wollte kein Ende nehmen, aber Antonio lernte<br />

geduldig. Es gelang ihm sogar mit der Zeit, Schnecken, Austern<br />

und sonstigen Krabbeltieren den Schneid abzukaufen, nur die<br />

20


täglichen Schäferstündchen mit der Alten begannen ihn zu<br />

langweilen, obwohl sie ihm die perversesten Spiele beibrachte.<br />

Doch Antonio sollte bald merken, dass dies noch das Harmloseste<br />

war, was ihn erwartete, denn der Erfindungsreichtum<br />

gelangweilter Frauen kannte keine Grenzen.<br />

Dann, am Ende der ersten Woche, drückte ihm Madame<br />

zweitausend Franken in die Hand und bat ihn, sich in Zürich<br />

eine Wohnung zu suchen und sich ein Telefon anzuschaffen.<br />

Antonio nahm seinen neuen Beruf sehr ernst, so ernst, dass er<br />

bald der begehrteste Gigolo von Madame Etoile wurde und sich<br />

vor Aufträgen kaum noch retten konnte. Seine Tätigkeit führte<br />

ihn auch in ferne Länder, denn die liebeshungrigen Damen<br />

wollten die jährlichen Ferien nicht ohne Begleitung antreten.<br />

Aber auch finanziell ging es Antonio immer besser, denn manche<br />

Damen überhäuften ihn mit Geschenken, und zweitausend Franken<br />

Tageseinnahme waren keine Seltenheit. Doch vierzig Prozent<br />

seines Liebeslohnes musste er der Madame abliefern und genau<br />

das ging ihn langsam, aber sicher auf den Geist. Hinzu kam,<br />

dass er in Eveline, einer langbeinigen Blondine, eine Freundin<br />

gefunden hatte, die an seinem Job wenig Gefallen fand.<br />

Der Sommer 1994 hielt eben Einzug, als Antonio eine Idee<br />

gebar. Kurz nach Beginn seiner Tätigkeit für Madame Etoile<br />

schaffte er sich einen Computer an und der Gebrauch des<br />

Internets nahm rasant zu. Immer mehr Webseiten mit<br />

einschlägigen Angeboten befanden sich im Netz, und er<br />

entschloss sich, von diesem Kuchen ein Stück abzuschneiden. Er<br />

dachte gar nicht daran, sich weiterhin alten, ausgemergelten<br />

Weibern hinzugeben, sondern sein Glück anderswo zu suchen. Noch<br />

gab es nämlich viel mehr Männer, die ein Abenteuer suchten, als<br />

Frauen, doch wo wollte er das weibliche Material hernehmen? Und<br />

noch etwas anderes plagte Antonio. Ihn quälte schreckliches<br />

Heimweh und er wollte so schnell wie möglich in seinen<br />

Heimatkanton zurück.<br />

Mit fast fünfhunderttausend Franken Kapital in der Tasche<br />

und Eveline im Schlepptau mietete er in Chur ein Haus und ließ<br />

es gleich nach seinen Wünschen herrichten. Von seinen vielen<br />

Reisen her wusste er, dass Damen aus Thailand für ein Leben<br />

ohne Hunger gern ihre Beine breitmachten, aber wie sollte er<br />

21


die in der Schweiz auf Dauer beschäftigen, ohne Probleme mit<br />

der Fremdenpolizei zu bekommen? Doch auch für dieses Problem<br />

fand er eine Lösung.<br />

Der Chef der Fremdenpolizei war damals Walter Enzler und<br />

Antonio fand schnell heraus, dass dieser dem weiblichen<br />

Geschlecht nicht abgeneigt zu sein schien. Er beschloss, sich<br />

an Enzler heranzumachen und eine Art Freundschaft zu knüpfen.<br />

Ziel dieser Aktion war, ihm kostenlos Mädchen anzubieten, und<br />

als Gegenleistung dafür, von der Fremdenpolizei in Ruhe<br />

gelassen zu werden.<br />

Enzler war damals dreiundfünfzig Jahre alt, verheiratet,<br />

Vater von zwei erwachsenen Kindern und seit über zehn Jahren<br />

Chef der Fremdenpolizei Graubünden. Sein Markenzeichen bildete<br />

seine Fliege, ohne die er nie das Haus verließ. Immer mal<br />

wieder pflegte er Affären, denn er konnte die Finger nicht von<br />

den Weibern lassen. Jeden Morgen um halb zehn Uhr<br />

verabschiedete er sich für ein Weilchen, setzte sich ins<br />

nahegelegene Café, wo er bei Kaffee und Brötchen die Zeitung<br />

las. Als er wieder einmal in seine Lektüre vertieft dasaß,<br />

erkundigte sich ein Mann, ob er sich zu ihm setzen dürfe.<br />

»Ja bitte, kein Problem«, sagte Enzler.<br />

Antonio liess sich nieder und betrachtete sein Gegenüber,<br />

welches, tief in die Zeitung versunken, vor sich hin brodelte.<br />

Als die Bedienung kam, bestellte er einen Kaffee.<br />

»Sie sind doch der Chef der Fremdenpolizei, oder?«, begann<br />

Antonio.<br />

Enzler schaute kurz auf und sagte: »Ja, der bin ich, kennen<br />

wir uns?«<br />

»Ich glaube, ich habe Sie schon einmal in der Zeitung<br />

gesehen, kann aber bereits eine Weile her sein. Doch ich<br />

besitze ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Ist es nicht<br />

furchtbar mühsam, sich andauernd mit Ausländern herumschlagen<br />

zu müssen?«<br />

»Wem sagen Sie das, aber irgendjemand muss es ja tun.«<br />

»Sind denn die Ausländerzahlen eher gestiegen oder<br />

gesunken?«<br />

22


»Im Moment sind sie wieder leicht im Steigen. Es kommt etwas<br />

darauf an, ob irgendwo auf dieser Welt Kriege oder sonstige<br />

Unruhen ausbrechen.«<br />

»Ist sicher kein leichter Job, denn das Volk hat man ja<br />

ohnehin gegen sich, wenn ich an die Asylantenheime und so was<br />

denke.«<br />

Eine junge Frau in einem superkurzen Minirock betrat das<br />

Café. Enzler konnte den Blick nicht von ihr lassen und Antonio<br />

zwinkerte ihr schelmisch zu, ohne dass Enzler es bemerkt hätte.<br />

»Hübsche Beine«, sagte Antonio. »Die wäre doch glatt eine<br />

Sünde wert.«<br />

»Sie können’s ja versuchen. Mit einem alten Trottel wie mir<br />

kann die ohnehin nichts anfangen.«<br />

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Antonio. »Soll ich<br />

sie fragen, ob sie an unseren Tisch kommen will?«<br />

»Das schaffen Sie nie«, sagte Enzler.<br />

Antonio stand auf und wandte sich an die Dame, die kurz<br />

darauf aufstand und sich zu ihrem Tisch hin bewegte.<br />

»Darf ich Ihnen einen Kaffee offerieren?«, fragte Enzler.<br />

»Sehr gern, das ist äußerst nett von Ihnen.«<br />

Eveline platzierte sich demonstrativ in Enzlers Nähe, was<br />

diesen sichtlich zu erregen schien.<br />

»Es ist schön, bei zwei so gut aussehenden Männern zu<br />

sitzen«, dabei schaute sie Enzler tief in die Augen. »Ich<br />

könnte mir sehr gut vorstellen, mit einem von euch, einen<br />

netten Abend zu verbringen.«<br />

»Das wäre überhaupt kein Problem«, sagte Enzler, dem die<br />

Gier ins Gesicht geschrieben stand.<br />

»Na, dann haben Sie heute Abend noch nichts vor?«<br />

Natürlich hatte Enzler etwas vor. Er war mit zwei Freunden<br />

zum Kartenspielen verabredet, doch das müsste sich seiner<br />

Meinung nach eigentlich verschieben lassen.<br />

»Sie müssen mir nur sagen wann und wo!«<br />

»Um sieben Uhr im ‚Hemingway‘?«, schlug sie vor.<br />

»Ich werde dort sein«, sagte Enzler. »Ach, wie heißen Sie<br />

eigentlich?«<br />

»Ich heiße Eveline.«<br />

23


Um fünf vor sieben Uhr traf Enzler im „Hemingway“ ein und<br />

verzog sich gleich in den hinteren Teil, wo Sitzgruppen das<br />

Feld beherrschten. Von Eveline noch keine Spur.<br />

Dann, um fünf nach sieben Uhr, traf sie ein und setzte sich<br />

gleich ziemlich nahe zu ihm.<br />

»Warten Sie schon lange?«<br />

»Nein, erst zehn Minuten.«<br />

»Und, was wollen wir mit dem angebrochenen Abend<br />

anstellen?«, fragte Eveline.<br />

»Worauf hätten Sie denn Lust?«<br />

»Ich könnte mir da ziemlich viel vorstellen«, sagte Eveline<br />

und legte ihm demonstrativ die Hand auf seinen Oberschenkel.<br />

Sie spürte, wie sich seine Hose ausbeulte, und wanderte mit der<br />

Hand noch ein Stückchen weiter nach oben. Dann legte sie ihm<br />

die Hand auf die Brust, küsste ihn auf die Backe und flüsterte<br />

ihm ins Ohr: »Möchtest du es nicht auch?«<br />

»Klar, und wo?«<br />

»Bist du mit dem Auto hier?«<br />

»Ja.«<br />

»Gehen wir?«<br />

Das musste man Enzler nicht zweimal sagen. Er nahm Eveline<br />

bei der Hand und zog sie hinter sich her. Ganz Gentleman alter<br />

Schule öffnete er ihr die Wagentüre, und sie lotste ihn ins<br />

Rheinquartier, wo Antonios Haus stand. Noch während der Fahrt<br />

ließ sie ihren Minirock hochgleiten, damit er ihr Höschen sehen<br />

konnte.<br />

Er folgte ihr ins Haus und sie führte ihn in ein Zimmer mit<br />

einem riesigen Bett. Dann begann sie ihn nach Strich und Faden<br />

zu verführen und Enzler konnte nicht genug von ihr kriegen.<br />

Raum.<br />

Nach einer Dreiviertelstunde stand plötzlich Antonio im<br />

»Was machen Sie denn hier?«, fragte Enzler sichtlich<br />

überrascht.<br />

»Das Gleiche könnte ich Sie fragen? Aber ums kurz zu machen:<br />

Ich bin hier, um Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.«<br />

»Und der wäre?«<br />

»Sie können auf Lebenszeit in diesem Haus gratis vögeln, so<br />

oft Sie wollen, dafür drücken Sie bei den Mädchen, die hier<br />

24


tätig sind, ein Auge zu, und als Gegenleistung wird nie jemand<br />

davon erfahren.«<br />

»Und in welcher Hinsicht soll ich ein Auge zudrücken?«<br />

»Wir werden hier ausländische Mädchen beschäftigen, die<br />

keine Aufenthaltsbewilligung besitzen. Sie sorgen einfach<br />

dafür, dass uns die Behörden in Ruhe lassen.«<br />

»Das ist aber nicht so einfach, so wie Sie sich das Ganze<br />

ausgedacht haben.«<br />

»Lassen Sie sich etwas einfallen.«<br />

Enzler überlegte. Wäre schon eine ziemlich heiße Sache, wenn<br />

er hier kostenlos seine Lust befriedigen könnte, andererseits<br />

müsste er ziemlich viele Leute in Schach halten. Er überlegte<br />

hin und her und kam schließlich zu dem Schluss, dass es zu<br />

schaffen sein müsste.<br />

»Gut, einverstanden, wenn ich jeweils drei Freunde<br />

mitbringen kann, die ebenfalls kostenlos bedient werden.«<br />

»Das lässt sich arrangieren«, sagte Antonio.<br />

»Und wann soll die ganze Sache starten?«, fragte Enzler.<br />

»In einem Monat. Wir werden vor allem Asiatinnen<br />

beschäftigen. Die kommen ganz normal als Touristinnen in die<br />

Schweiz und Sie kümmern sich darum, dass sie nicht ausgewiesen<br />

werden. Ich werde Ihrer Frau erzählen, was Sie in Ihrer<br />

Freizeit so treiben, sollten sich auch nur die geringsten<br />

Schwierigkeiten einstellen. Also seien Sie etwas kreativ, ich<br />

verlasse mich auf Sie.«<br />

»Unter einer Bedingung«, sagte Enzler.<br />

»Und die wäre?<br />

»Die Mädchen müssen mir persönlich alle mit vollständigem<br />

Namen und Altersangabe gemeldet werden, sobald sie in der<br />

Schweiz sind, sonst kann ich für nichts garantieren.«<br />

Einen Tag später flogen Antonio und Eveline nach Bangkok, um<br />

die ersten Mädchen anzuwerben.<br />

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