Misericordia - Orden der Barmherzigen Brüder Bayern
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Thema: Erinnerungen<br />
Mann, dem ich gerne ein Denkmal<br />
setzen möchte. Nicht nur dass er<br />
mich mit seinem großen Sachverstand<br />
beruhigte, er gab mir mit seinem<br />
heiteren Wesen wie<strong>der</strong> Lebensmut<br />
zurück. Ich musste in den<br />
folgenden Jahren zweimal für längere<br />
Zeit in ein Lungensanatorium.<br />
Die Krankheit verließ mich erst endgültig<br />
nach elf Jahren, 1952.<br />
„Der Doktor Ritter<br />
wird’s schon richten“<br />
Im August 1942 „avancierte“ ich<br />
vom ambulanten zum stationären<br />
Patienten <strong>der</strong> <strong>Barmherzigen</strong> Brü<strong>der</strong>.<br />
Drei Tage lang hatte ich heftige<br />
Bauchschmerzen für die Folge einer<br />
„Orgie“ gehalten, die ich mit einer<br />
ganzen Schüssel Rhabarber<br />
und einem Liter Buttermilch veranstaltet<br />
hatte. Als mich dann am<br />
Ende doch die Sanitäter auf einer<br />
Bahre die vier Stockwerke in unserem<br />
Haus hinunter trugen, stand<br />
die Frau Plößl im dritten Stock an<br />
<strong>der</strong> Tür und rief mir nach: „Denk<br />
Dir nix, Bua, <strong>der</strong> Doktor Ritter<br />
wird’s schon richten“. Und er richtete<br />
es auch. Obwohl es schon zehn<br />
Uhr abends war, kam er sofort zur<br />
Operation. Ich hätte ja nun eigentlich<br />
bei mir Todesangst vor dem Eingriff<br />
erwartet, doch sehnte ich mich<br />
mit meinen großen Schmerzen nach<br />
dem Operationstisch und als ich<br />
das Gesicht Dr. Ritters sah, war die<br />
letzte Angst verschwunden. Er wurde<br />
nun auch mein „Wun<strong>der</strong>mann“,<br />
<strong>der</strong> mich von da an zu je<strong>der</strong>, auch<br />
<strong>der</strong> ungewissesten Operation, hätte<br />
überreden können.<br />
Drei Tage lang lag ich in einem<br />
Einzelzimmer auf Leben und Tod,<br />
fühlte mich aber gar nicht so. Zwei<br />
<strong>Orden</strong>sbrü<strong>der</strong>, darunter Frater<br />
Desi<strong>der</strong>ius Pammersberger, sorgten<br />
sich um mich, verbreiteten eine<br />
wun<strong>der</strong>sam milde Heiterkeit und als<br />
sie mich nach diesen drei Tagen in<br />
eines <strong>der</strong> hellen Dreibettzimmer an<br />
<strong>der</strong> Südfront des Frauenbaus (<strong>der</strong><br />
Männerbau war Lazarett geworden)<br />
brachten, bedauerte ich die verlorene<br />
„Exklusivität“ des Einbettzimmers.<br />
„Bua, sei froh, dass wir Dich<br />
hier wie<strong>der</strong> rausfahrn können“, sagte<br />
einer <strong>der</strong> Fratres und als ich drei<br />
Wochen später wie<strong>der</strong> aufstehen<br />
10<br />
und herumgehen konnte, war mir<br />
schon klar, dass ich dem Sterbezimmer<br />
entkommen war.<br />
Nach dem Wie<strong>der</strong>erlernen des Gehens<br />
begannen wun<strong>der</strong>schöne<br />
Tage. Ich avancierte zum freiwilligen<br />
Stationshelfer, half Betten überziehen,<br />
brachte den Flurboden mit<br />
einem „Blocker“ auf Hochglanz, saß<br />
am Bett von Frischoperierten. Auf<br />
die tägliche Visite mit Chefarzt<br />
Dr. Ritter habe ich mich auch immer<br />
Dr. Leo Ritter, Chefarzt für Chirurgie von<br />
1929 bis 1965<br />
sehr gefreut. Als er mir nach vier<br />
Wochen, an einem Mittwoch, sagte,<br />
dass ich morgen entlassen werde,<br />
trat ich mit ihm in Verhandlungen.<br />
Am Donnerstag gäbe es doch dieses<br />
gute Blaukraut und am Freitagabend<br />
würde ich die dreifachen<br />
Käseportionen verlieren. Daraufhin<br />
erklärte er mir, wie man das Blaukraut<br />
nach Art seiner rheinischen<br />
Heimat zubereiten sollte und schob<br />
meinen Entlassungstermin auf den<br />
Montag hinaus. Er meinte, ich sei<br />
sowieso schon geschlagen genug,<br />
weil meine Krankheit in die Ferien<br />
gefallen sei.<br />
„Delikatessen“ <strong>der</strong> Amerikaner<br />
Als <strong>der</strong> Krieg zum „Totalen Krieg“<br />
erklärt worden war, wurde ich doch<br />
noch eingezogen. Ende Mai 1945<br />
kam ich aus kurzer Gefangenschaft<br />
wie<strong>der</strong> heim zu meinen Eltern in die<br />
Friedenstraße. Meine Drüsentuberkulose<br />
hatte sich verschlimmert<br />
und so ging ich hinaus zu den<br />
<strong>Misericordia</strong> 12/04<br />
„<strong>Barmherzigen</strong>“. Der Männerbau<br />
war zwar nun US-Army-Hospital,<br />
doch irgendwie kam ich zu Dr. Ritter<br />
durch und <strong>der</strong> nahm mich wie<strong>der</strong><br />
in ambulante Behandlung.<br />
Durch Zufall begegnete mir auch<br />
mein „Röntgen-Frater“ Pankraz. Der<br />
meinte, ich müsste besseres Essen<br />
haben, ich solle am nächsten Tag<br />
wie<strong>der</strong> vorbeikommen. Was für eine<br />
Überraschung! Frater Pankraz vermittelte<br />
mich als Geschirrwäscher<br />
in die Küche des US-Hospitals im<br />
Männerbau. Nichts Besseres hätte<br />
mir - und allen meinen Hausmitbewohnern<br />
in <strong>der</strong> Friedenstraße - begegnen<br />
können. Lohn erhielt ich<br />
zwar keinen, dafür aber konnte ich<br />
jeden Abend einen Marmeladeneimer<br />
voll Essensabfälle mit heim<br />
nehmen, wobei das Wort „Abfälle“<br />
besser durch „Delikatessen“ ersetzt<br />
werden müsste. Mehrmals am Tag<br />
wechselte ich den Inhalt des Eimers.<br />
Hatte ich nach dem Frühstück den<br />
Eimer mit Aprikosenkompott gefüllt,<br />
tauschte ich es schweren Herzens<br />
am Mittag gegen Gemüse um,<br />
was nicht heißen sollte, dass ich<br />
dann am Abend - im Hausgang von<br />
den Mitbewohnern erwartet - nicht<br />
einen Kübel voll roher Rühreimasse<br />
heimbrachte.<br />
Als ich um 1970 einmal einen Film<br />
fürs Fernsehen in Bad Wörishofen<br />
machte, da war ich auch im Sebastianeum<br />
<strong>der</strong> <strong>Barmherzigen</strong> Brü<strong>der</strong>.<br />
Ein großer, stattlicher Frater kam<br />
mir entgegen, mit einem strahlenden<br />
Lächeln: Frater Desi<strong>der</strong>ius, <strong>der</strong><br />
mich 30 Jahre zuvor aus dem Sterbezimmer<br />
getragen hatte. Auch er<br />
hat sich an mich erinnern können.<br />
„Wir haben Dich damals bewun<strong>der</strong>t,<br />
weil Du so gottergeben in diesem<br />
Sterbezimmer gelegen bist“, sagte er<br />
zu mir. Ich wollte ihn nicht anlügen<br />
und antwortete: „Ich hab’ ja nicht<br />
gewusst, dass es das Sterbezimmer<br />
ist. Ich hab’ gemeint, ich liege Erster<br />
Klasse.“ Da hat er gelacht, <strong>der</strong><br />
riesengroße Frater Desi<strong>der</strong>ius. Es<br />
ist aber weniger sein Lachen, son<strong>der</strong>n<br />
sein Lächeln, seine Heiterkeit,<br />
die ihn mir unvergesslich macht;<br />
denn zum wahren Glauben gehört<br />
nicht nur viel Liebe, son<strong>der</strong>n auch<br />
jene Heiterkeit, die selbst im Leiden<br />
stark macht und dem Nächsten<br />
Kraft gibt und Hoffnung.