Misericordia - Orden der Barmherzigen Brüder Bayern
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<strong>Misericordia</strong> 12/04<br />
Heimatlos?<br />
Im Alten Testament wird uns eine<br />
kleine, aber wun<strong>der</strong>schöne Geschichte<br />
über eine tiefe Frauenfreundschaft<br />
überliefert. Noomi,<br />
eine Frau aus Betlehem, verlässt zusammen<br />
mit ihrer Familie ihre Heimat,<br />
weil dort eine Hungersnot ausgebrochen<br />
ist, die ihr Leben bedroht.<br />
Im fremden Land stirbt ihr<br />
Mann. Ihre zwei Söhne heiraten<br />
Frauen des Landes, und diese Ehen<br />
bleiben ohne Kin<strong>der</strong>. Nach einigen<br />
Jahren sterben auch die beiden<br />
Söhne. Noomi ist nun allein mit ihren<br />
zwei Schwiegertöchtern. Da beschließt<br />
sie, in ihre Heimat zurückzukehren.<br />
Zunächst wird sie von<br />
ihren Schwiegertöchtern begleitet.<br />
Noomi weiß, was es heißt, in <strong>der</strong><br />
Fremde zu sein, und deshalb beschwört<br />
sie die beiden jungen Frauen,<br />
zurückzukehren in ihre Heimat.<br />
Die eine, Orpa, befolgt den Rat und<br />
geht. Die an<strong>der</strong>e, Rut, antwortet<br />
aber ihrer Schwiegermutter: „Wohin<br />
du gehst, dahin geh` auch ich und<br />
wo du bleibst, da bleibe auch ich.<br />
Dein Volk ist mein Volk und dein<br />
Gott ist mein Gott. Wo du stirbst,<br />
da sterbe auch ich.“ (Rut 1,16)<br />
Heimat des Herzens<br />
Diese Erzählung ist<br />
mehr als ein großes<br />
Kompliment einer<br />
Schwiegertochter an<br />
ihre Schwiegermutter.<br />
In ihr wird deutlich,<br />
was wir meinen, wenn<br />
wir von einer „Heimat<br />
des Herzens“ sprechen.<br />
Die Lie<strong>der</strong>macherin<br />
Kathi Salze<strong>der</strong>-Stimmer<br />
hat uns<br />
einen Text geschenkt,<br />
in dem es heißt: „Was<br />
immer Menschen an<br />
dir tun, Gott wendet<br />
sich nicht ab. In Jesus<br />
steht er neben dir,<br />
er blickt dich an und<br />
sagt zu dir: Du darfst<br />
da sein, du darfst leben,<br />
du darfst atmen,<br />
ich gebe dir Raum.“<br />
Die im Johannes-Evangelium beschriebene<br />
Episode von den zwei<br />
Jüngern, die Jesus fragen, wo er<br />
denn wohne, sagt viel über das aus,<br />
was Christus uns mit seinem Leben<br />
sagen wollte. Er lädt die Jünger mit<br />
den Worten ein: „Kommt und seht!“<br />
Seine Wohnung hat Jesus ihnen<br />
nicht zeigen können, weil er keine<br />
hatte. „Die Füchse haben ihre Höhlen<br />
und die Vögel ihre Nester, ich<br />
aber habe keinen Platz, an dem ich<br />
mein Haupt hinlegen kann“, hat er<br />
gesagt. Eine Wohnung hatte er<br />
nicht, aber eine Bleibe: „Wer in <strong>der</strong><br />
Liebe bleibt, <strong>der</strong> bleibt in Gott und<br />
Gott bleibt in ihm.“ Das war es, wo<br />
Jesus wohnte: in Gottes Liebe. Diese<br />
Liebe bewahrte ihn davor, es sich<br />
allzu gemütlich einzurichten in <strong>der</strong><br />
Welt, weil im Wohnen die Gefahr des<br />
Gewöhnens und des Gewöhnlichen<br />
steckt.<br />
Alljährlich feiern wir an Weihnachten<br />
die Geburt eines kleinen Kindes<br />
in einem Stall am Stadtrand von<br />
Betlehem. Dies ist keine romantische<br />
Geschichte, beson<strong>der</strong>s wenn<br />
wir <strong>der</strong>en Fortgang erleben. Hatten<br />
Josef und Maria keine Herberge in<br />
Menschen brauchen mehr<br />
als ein Dach über den Kopf<br />
Heimatlos<br />
Betlehem gefunden, weil sie arm<br />
waren, so mussten sie nach <strong>der</strong><br />
Geburt des Kindes nach Ägypten<br />
flüchten, weil ein wahnsinniger König<br />
alle neugeborenen Kin<strong>der</strong> töten<br />
ließ. Wenn wir an die Dramen denken,<br />
die sich nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg abspielten, als Hun<strong>der</strong>ttausende<br />
von Menschen ihre Heimat<br />
verloren, begreifen wir, in welche<br />
Situation <strong>der</strong> Gottessohn hineingeboren<br />
wurde. Weihnachten ist<br />
uns deshalb so nahe, weil es uns<br />
die Armut vor Augen führt, die auch<br />
heute noch jeden Tag Tausende von<br />
Menschen erleiden, die durch Kriege<br />
und Katastrophen ihre Heimat<br />
verlieren. Aber auch direkt vor unseren<br />
Türen gibt es viele Menschen,<br />
Frauen und Männer, die keinen festen<br />
Wohnsitz haben und ihr Leben<br />
im Freien, unter Brücken und in<br />
Schächten verbringen.<br />
Selber schuld?<br />
Wie in <strong>der</strong> Nachkriegszeit Heimatvertriebene<br />
oft diskriminiert wurden,<br />
so wird auch heute noch die<br />
Situation von Obdachlosen häufig<br />
mit <strong>der</strong> Bemerkung: „Selber schuld!“<br />
quittiert. Der <strong>Orden</strong>sgrün<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Barmherzigen</strong> Brü<strong>der</strong>, Johannes<br />
von Gott, hat arme, gebrechliche<br />
und kranke Menschen von <strong>der</strong> Straße<br />
aufgehoben und ihnen eine Bleibe<br />
gegeben. Wir wissen, dass über<br />
einem seiner Spitäler<br />
<strong>der</strong> Satz: „Das Herz<br />
befehle“ stand. Es genügt<br />
nicht, einmal im<br />
Jahr an Weihnachten<br />
beson<strong>der</strong>e Aktionen<br />
für Heimatlose zu<br />
starten. Menschen<br />
eine „Heimat des Herzens“<br />
geben heißt ein<br />
Umdenken in den<br />
Köpfen herbeiführen.<br />
Christus war nicht<br />
selber schuld, dass er<br />
keine Bleibe in <strong>der</strong><br />
Herberge fand, aber er<br />
hat Konsequenzen<br />
aus seiner eigenen<br />
Armut gezogen und<br />
war vor allem für die<br />
Menschen da, die keine<br />
Heimat hatten.<br />
feb<br />
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