PDF zum Download - Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
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I. „Da muss man doch was machen“<br />
20<br />
I. „Brich mit den Hungrigen de<strong>in</strong> Brot“ – Materielle Gr<strong>und</strong>versorgung<br />
E<strong>in</strong> Netz gegen K<strong>in</strong>derarmut <strong>in</strong> Rüsselsheim<br />
„Etwa jedes sechste K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Deutschland ist von Armut<br />
betroffen <strong>und</strong> lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Familie mit E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der<br />
Höhe des Existenzm<strong>in</strong>imums oder nur knapp darüber.<br />
Dies wird vor allem über das SGB II – Gr<strong>und</strong>sicherung für<br />
Arbeitsuchende („Hartz IV“) gewährt. Die Zahl dieser<br />
K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen unter 18 Jahren ist mit Inkrafttreten<br />
von „Hartz IV“ von etwa 1,1 Mio. auf derzeit<br />
etwa 2,2 Mio. angestiegen. Die meisten (etwa 1,9 Mio.)<br />
erhalten Sozialgeld nach dem SGB II, wenn sie jünger<br />
s<strong>in</strong>d als 15 Jahre.“<br />
So beg<strong>in</strong>nt der Bericht der Nationalen Armutskonferenz von<br />
2007.<br />
Bereits Ende 2005 hatte sich mit dem Rüsselsheimer<br />
Bündnis gegen Sozialabbau e<strong>in</strong> breiter Veranstalterkreis aus<br />
Gewerkschaften, Diakonie, Caritas, Unicef <strong>und</strong> Gesellschaftlicher<br />
Verantwortung <strong>in</strong> Rüsselsheim dem Thema K<strong>in</strong>derarmut<br />
mittels e<strong>in</strong>er Podiumsdiskussion genähert.<br />
Die dort gehörten Schilderungen aus dem Alltag <strong>in</strong><br />
Familienberatungs- <strong>und</strong> Erziehungsberatungsstellen ließen<br />
den Teilnehmenden ke<strong>in</strong>e Ruhe. Dem spontanen, empörten<br />
Ausruf e<strong>in</strong>er Teilnehmer<strong>in</strong> „Da muss man doch was machen!“<br />
mussten konkrete Schritte folgen. Das war klar. Zwei Strategien<br />
wurden vere<strong>in</strong>bart: Politische Bewusstse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong><br />
der Stadt <strong>und</strong> konkrete Hilfe für die K<strong>in</strong>der.<br />
Geme<strong>in</strong>sam mit Caritas <strong>und</strong> der <strong>Evangelische</strong>n Matthäusgeme<strong>in</strong>de<br />
entwickelte sich <strong>in</strong> der Folge im Jahr 2006 e<strong>in</strong>e Kleiderkammer<br />
für Kle<strong>in</strong>stk<strong>in</strong>der bis 3 Jahre. Zielgruppe s<strong>in</strong>d vornehmlich<br />
Familien im Hartz-IV-Bezug <strong>und</strong> Alle<strong>in</strong>erziehende.<br />
Räume wurden frei gemacht, Regale angeschafft, e<strong>in</strong> Teil<br />
e<strong>in</strong>es Büros für Gespräche bereitgestellt. Mittels Anzeige <strong>in</strong><br />
Geme<strong>in</strong>debriefen <strong>und</strong> örtlichen Zeitungen fanden sich sofort<br />
sechs junge Frauen, die das Projekt „K<strong>in</strong>derherzchen“ zu<br />
ihrer Sache machten.<br />
Weitere Bündnispartner waren Diakonie <strong>und</strong> Pro Familia.<br />
Heute kommen r<strong>und</strong> 50 Familien regelmäßig zu „K<strong>in</strong>derherzchen“.<br />
Von der Erstl<strong>in</strong>gsausstattung über K<strong>in</strong>derwagen<br />
<strong>und</strong> Wickeltischen wird alles weitergegeben. Und ständig<br />
kommen neue Spenden. K<strong>in</strong>derherzchen ist heute über die<br />
Stadtgrenzen h<strong>in</strong>aus bekannt. Es ist offen für Betroffene aus<br />
dem ganzen Kreis Groß-Gerau.<br />
Und das System funktioniert: Was die Familien nicht mehr<br />
brauchen können, weil die K<strong>in</strong>der größer geworden s<strong>in</strong>d, wird<br />
meist gewaschen wieder zurückgebracht, um es der nächsten<br />
Familie zu übergeben.<br />
Mit e<strong>in</strong>er Fachtagung für Lehrer/<strong>in</strong>nen, Erzieher/<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Fachpersonal der kommunalen Ämter setzte das Rüsselsheimer<br />
Bündnis das Thema K<strong>in</strong>derarmut <strong>in</strong> 2007 fort.<br />
Dort gegebene Berichte von K<strong>in</strong>dern, die ungefrühstückt<br />
<strong>in</strong> die Schule kommen, die sich ke<strong>in</strong> Mittagessen leisten<br />
können, die unzureichend gekleidet oder mit mangelhaften<br />
Schulmaterialen <strong>in</strong> den Klassenzimmern sitzen, ließ die lokale<br />
Öffentlichkeit aufhorchen.<br />
Die sich an die Tagung anschließende Berichterstattung,<br />
Leserbriefe <strong>und</strong> Reaktionen politisch Verantwortlicher spiegelten<br />
über Monate die ganze Breite des Umgangs mit dem<br />
Thema wider: Vom Negieren, über öffentliche Anfe<strong>in</strong>dungen<br />
e<strong>in</strong>zelner bis h<strong>in</strong> zu verständnisvollem Helfenwollen völlig<br />
unbeteiligter Zeitungsleser.<br />
Mit über fünfzehn Berichten <strong>und</strong> den dazugehörenden<br />
Leserbriefen wurde der politische Druck <strong>in</strong> der Stadt immer<br />
höher. Am Ende stand der politische Beschluss im Stadtparlament,<br />
den Essensbeitrag um die Hälfte auf 1,30 Euro<br />
für die betroffenen K<strong>in</strong>der zu reduzieren.<br />
Unterdessen g<strong>in</strong>gen jedoch die Gespräche mit den Verantwortlichen<br />
weiter. Geme<strong>in</strong>sam mit Sachbearbeiter<strong>in</strong>nen aus<br />
dem Sozialdezernat, von Caritas, GEW <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dertagesstättenleiter<strong>in</strong><br />
fand e<strong>in</strong>e Fahrt <strong>in</strong>s niederrhe<strong>in</strong>ische Monheim<br />
statt, um dort vor Ort Möglichkeiten des Umgangs e<strong>in</strong>er<br />
Kommune mit K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Familien <strong>in</strong> Armut zu erleben.<br />
Monheims Präventionskonzept ist preisgekrönt.<br />
Und das Ziel, das war dem Bündnis <strong>in</strong> Rüsselsheim klar,<br />
muss auch <strong>in</strong> unserer Stadt das Erstellen e<strong>in</strong>er Präventionskette<br />
se<strong>in</strong>. Bis dah<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d jedoch noch weitere Bauste<strong>in</strong>e zu<br />
entwickeln.<br />
So ist auch die jüngste Errichtung e<strong>in</strong>er „SCHUL-TAFEL“<br />
zu verstehen. Die SCHUL-TAFEL hilft ganz konkret an den örtlichen<br />
Gr<strong>und</strong>schulen der Stadt, um K<strong>in</strong>dern aus bedürftigen<br />
Familien unbürokratisch <strong>und</strong> unauffällig zu angemessenem<br />
Schulmaterial zu verhelfen. Dazu f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Kooperation<br />
mit den jeweiligen Fördervere<strong>in</strong>en statt. Die Aufgabe der<br />
Pfarrstelle Gesellschaftliche Verantwortung ist koord<strong>in</strong>ierend<br />
<strong>und</strong> im Bereich der Spendene<strong>in</strong>werbung.<br />
Die Vernetzung der unterschiedlichen Stellen <strong>und</strong><br />
Institutionen, Personen <strong>und</strong> Organisationen ist beim Thema<br />
K<strong>in</strong>derarmut vor Ort ganz entscheidend. Nur wenn es gel<strong>in</strong>gt,<br />
dieses Thema auf e<strong>in</strong>er breiten Basis <strong>und</strong> möglichst ohne<br />
jeden parteipolitischen Vorbehalt zu transportieren <strong>und</strong> zu<br />
bearbeiten, kann den betroffenen K<strong>in</strong>dern die Hilfe zukommen,<br />
die sie für ihre Entwicklung benötigen.<br />
Volkhard Guth<br />
Kontakt:<br />
Pfarrer Volkhard Guth<br />
Telefon: 06142 175211 oder 63738,<br />
E-Mail: Sozialpfarramt-Rheim@gmx.de<br />
oder ev.matthaeusgeme<strong>in</strong>de.ruesselsheim@ekhn-net.de<br />
Materialien der <strong>Kirche</strong>nsynode 1: Die Zukunft des Sozialstaates <strong>und</strong> unsere Verantwortung