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magazin bunsen - Deutsche Bunsengesellschaft für Physikalische ...

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DEUTSCHE BUNSEN-GESELLSCHAFT<br />

Ronald Imbihl, Rolf Jürgen Behm und Robert Schlögl<br />

Vom idealen zum realen System: Druck-Lücke<br />

und Material-Lücke in der Heterogenen Katalyse<br />

Die Heterogene Katalyse ist ein klassisches Thema in der <strong>Physikalische</strong>n<br />

Chemie, das schon allein auf Grund seiner wirtschaftlichen Bedeutung<br />

- 90% der Produkte in der chemischen Industrie und damit<br />

gut 10% des Bruttosozialproduktes Deutschlands durchlaufen<br />

während ihrer Herstellung einen heterogen katalysierten Prozess -<br />

einen großen Grad an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit beansprucht<br />

[1]. Man kann es fast schon einen Anachronismus nennen,<br />

dass die Katalysatorentwicklung in der Industrie in der Regel immer<br />

noch mehr oder minder empirisch in screening-Verfahren ("trial-anderror")<br />

verläuft und nicht auf quantifizierbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

über die Wirkungsweise von Katalysatoren beruht. Die<br />

mit dem Aufkommen der Surface Science in den 70er Jahren verbundene<br />

Hoffnung, dass nun eine sehr zügige wissenschaftliche Durchdringung<br />

der Heterogenen Katalyse stattfinden würde, hat sich trotz<br />

der enormen wissenschaftlichen Produktivität dieses Gebiets bis auf<br />

wenige Ausnahmen nicht erfüllt [2]. Elementarprozesse der Katalyse<br />

wie Adsorption, Desorption, die Aktivierung kleiner Moleküle usw.<br />

konnten zwar rigoros aufgeklärt werden, allerdings beschränken sich<br />

diese Erkenntnisse auf kinetisch anspruchslose Reaktionen (ohne<br />

wesentliche Reaktionsverzweigungen), die unter Bedingungen<br />

studiert wurden, die weit entfernt sind von denen der industriellen<br />

Katalyse. Die Übertragung dieses Wissensfundus auf kinetisch<br />

anspruchsvolle Reaktionen gelingt bis heute nicht. Die konzeptionellen<br />

Herausforderungen dieses so genannten "Einkristallansatzes", umschrieben<br />

mit den beiden Begriffen Druck- und Material-Lücke, sollen<br />

im folgenden dargestellt und daraus Ansätze zur Überwindung der<br />

Druck- und Material-Lücke abgeleitet werden.<br />

Fast immer geht die Surface Science von dem wohldefinierten Zustand<br />

des thermodynamischen Gleichgewichtes aus, wenn sie<br />

Adsorbateigenschaften, Oberflächengeometrien, etc. betrachtet.<br />

Nun ist aber praktisch per Definition ein katalytisches Reaktionssystem<br />

weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht, so<br />

dass sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf<br />

katalytische Systeme stellt. Die quantenchemische Beschreibung von<br />

katalytischen Reaktionssystemen hat gezeigt, dass, sobald man<br />

Zustände zulässt, die energetisch oberhalb des Gleichgewichtes<br />

liegen, man oft eine Vielzahl sehr unterschiedlicher, aber energetisch<br />

dicht beieinander liegender metastabiler Zustände erhält, woraus sich<br />

die Problematik der Behandlung komplexer Reaktionswege erklärt.<br />

Unter Reaktionsbedingungen wird sich bei genügend starker Reaktionsdynamik<br />

oft eine andere Oberflächenstruktur mit einer anderen chemischen<br />

Zusammensetzung und einer anderen Adsorbatverteilung<br />

einstellen als unter Gleichgewichtsbedingungen. Kurzum, eine statische<br />

Betrachtungsweise wird dem Phänomen der Katalyse nicht gerecht,<br />

da die Reaktion den Katalysator modifiziert und der Katalysator selbst<br />

wird, um einen von Prigogine geprägten Terminus zu verwenden, zu<br />

einer dissipativen Struktur.<br />

Prof. Dr. Ronald Imbihl<br />

Institut <strong>für</strong> <strong>Physikalische</strong> Chemie und Elektrochemie, Universität Hannover,<br />

Callinstr. 3-3a, 30167 Hannover<br />

Tel.: 0511 / 762-2349, Fax: 0511 / 762-4009<br />

imbihl@pci.uni-hannover.de<br />

Man kann einwenden, dass, obwohl prinzipiell falsch, der Gleichgewichtsansatz<br />

meist doch eine vernünftige Näherung darstellt. Bei<br />

Einkristallmessungen im UHV (10 -10 mbar) wird dies wegen der<br />

geringen Dynamik auch meist gelten, doch bei den um mehr als 13<br />

Größenordnungen höheren Drücken der industriellen Katalyse, auch<br />

Realkatalyse genannt, wird die Reaktionsdynamik den Zustand des<br />

aktiven Katalysators bestimmen. Neben dieser in Abb. 1 graphisch<br />

dargestellten Drucklücke existiert auch eine Materiallücke, denn in<br />

der Realität werden nicht Einkristalle, sondern typischerweise komplizierte,<br />

oft mehrphasige Substanzgemische als Katalysatoren eingesetzt.<br />

Ein zentrales Element dieser Dynamik ist die Wechselwirkung<br />

des Katalysatormaterials mit den Reaktanden, die über die Bildung<br />

stabiler bzw. metastabiler Phase auch zu einer Deaktivierung des<br />

Katalysators führen kann.<br />

Stoffliche<br />

Komplexität<br />

UHV/Ein-<br />

kristall<br />

Real-<br />

katalyse<br />

Druck<br />

Abb. 1: Schematische Darstellung der Druck- und Material-Lücke in<br />

der Heterogenen Katalyse.<br />

Im einfachsten Ansatz, die Druck- und Material-Lücke zu überwinden,<br />

dem Einkristallansatz, werden die unter "idealen" Bedingungen im<br />

UHV an Einkristallen gewonnenen Daten auf die "reale" Welt der Katalyse<br />

extrapoliert, was immerhin mehr als 10 Größenordnungen im<br />

Druck umfasst und voraussetzt, dass die Einkristallorientierungen die<br />

aktiven Plätze des Katalysators repräsentieren. Weiterhin wird gefordert,<br />

dass über die Drucklücke keine strukturellen Veränderungen von<br />

Katalysator und allen beteiligten Adsorbatsystemen erfolgen. Herausragendes<br />

Beispiel <strong>für</strong> das Funktionieren dieser Extrapolation ist die<br />

Ammoniaksynthese nach Haber-Bosch, bei der, basierend auf den Eiseneinkristalldaten<br />

von Ertl et al., die bei 200 bar erzielten Umsätze bis auf<br />

einen Faktor 2 reproduziert werden konnten [3]. Da der Realkatalysator<br />

ein sehr komplexes Substanzgemisch mit Eisen als Hauptbestandteil<br />

darstellt, war der Erfolg des Einkristallansatzes in diesem Falle<br />

alles andere als trivial.<br />

Prof. Dr. Rolf Jürgen Behm<br />

Abt. Oberflächenchemie und Katalyse, Universität Ulm,<br />

Albert-Einstein Allee 47, 89069 Ulm<br />

Tel.: 0731 / 50-25450, Fax: 0731 / 50-25452<br />

juergen.behm@chemie.uni-ulm.de<br />

ASPEKTE<br />

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