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Meine Bühne - Die regionale Veranstaltungszeitung für Reutlingen, Tübingen und Stuttgart

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Ausgabe 34 | November 2012<br />

DER NACHGESCHMACK<br />

VON GLÜCK<br />

Nun war es soweit. Markus Lanz moderierte die erste<br />

Ausgabe von „Wetten dass...?“.<br />

Es war nicht schlecht <strong>und</strong> auch nicht besonders gut.<br />

Sein Versuch eines „Stand Up“ Monologs zu Beginn<br />

ließen einen allerdings hoffen, dass er niemals eine<br />

„Late Night Show“ moderieren wird. <strong>Die</strong> Gags schlugen<br />

dermaßen ein, dass man bei genauem Hinhören<br />

die Grillen in der Halle zirpen hören konnte. Der Rest<br />

des Abends plätscherte dann so dahin. Keine großartigen<br />

Fehltritte, nichts wirklich Hervorzuhebes – Lanz<br />

eben. Das Publikum wird mehr einbezogen, die Kandidaten<br />

bekommen eine Lounge <strong>und</strong> ein Kind stiehlt allen<br />

die Show. Hatten wir alles schon <strong>und</strong> trotzdem wollten<br />

es wieder über 13 Millionen Fernsehzuschauer sehen.<br />

<strong>Die</strong>se Quote wird Markus Lanz nicht halten können.<br />

Aber so lange er Thomas Gottschalk beim „Supertalent“<br />

auf RTL schlägt, wird sich das ZDF nicht beklagen. Fraglich<br />

ist hingegen, ob Gottschalk zufrieden sein kann.<br />

Sein Konkurrenzprogramm zu Lanz bewegt sich zwischen<br />

grenzdebilen Kandidaten <strong>und</strong> definitiv psychisch<br />

gestörtem Publikum. Wenn tatsächlich mal ein talentierter<br />

Künstler auftritt, sorgt der Verantwortliche im Schnittraum<br />

da<strong>für</strong>, dass man sich auch diesen nicht<br />

anschauen kann. Trifft ein Sänger den richtigen Ton,<br />

wird auf schreiendes Publikum geschwenkt oder werden<br />

Reaktionen der Jury eingefangen. Dann wird wieder<br />

alles von vorne in Zeitlupe gezeigt.<br />

GERNE MIT DRAMATISCHER ODER<br />

HERZZERREISSENDER MUSIK, JE NACH ANLASS<br />

Es scheint einfach nicht möglich, einen Künstler 90 Sek<strong>und</strong>en<br />

ohne Unterbrechung auftreten zu lassen. Entweder<br />

ist der durchschnittliche RTL Zuschauer durchweg<br />

an ADHS erkrankt oder man stellt im Schnitt einfach<br />

fest, dass so ein Schwachsinn nicht am Stück gezeigt<br />

werden kann. Und in diesem Sammelsurium von Idiotie<br />

sitzt Gottschalk, der große Abendunterhalter <strong>und</strong> bewertet<br />

die „Talente“. Fast verloren sitzt der alte Mann<br />

am Tisch. Kann er zufrieden sein? Was treibt ihn an, in<br />

solch einem Format gelandet zu sein? Seine Vorabendshow<br />

scheiterte kläglich. Wollte er den Status des großen<br />

Samstagabendunterhalters wieder zurückerobern?<br />

Als Showgigant im deutschen Fernsehen hätte er auf<br />

dem Höhepunkt aufhören können. Einfach hinter den<br />

Kulissen der Branche weiterarbeiten, seine Erfahrungen<br />

weitergeben, sein Leben genießen.<br />

Doch manche Menschen vermögen es nicht, den Moment<br />

zu erfassen, in dem sie zufrieden sein sollten. Zu<br />

realisieren, wann man glücklich ist, ist eine seltene<br />

Gabe. Vielmehr werden Vergleiche zu früher herangezogen.<br />

Ein ständiges Lechzen nach vergangenen Zeiten,<br />

als alles gut war. Nur wenige können innehalten<br />

<strong>und</strong> sagen – ja, ich bin hier <strong>und</strong> jetzt glücklich. <strong>Die</strong><br />

Meisten sind sich nur sicher, dass sie es mal waren <strong>und</strong><br />

versuchen sich dieses Empfinden wieder in Erinnerung<br />

zu rufen. Allerdings ist dies nur ein billiger Abklatsch<br />

des wahren Gefühls der Glücklichkeit. Nostalgische<br />

Rückbesinnung verwehrt einem die Chance auf zukünftige<br />

Zufriedenheit. Ein gefährlicher Zustand in unserer<br />

Zeit, der viele umtreibt.<br />

Man bezweifelt, dass sich Markus Lanz solche Gedanken<br />

macht. Aber er tut ja niemanden was. Er ist halt da.<br />

Thomas Gottschalks Gesichtsausdruck vermittelt hingegen<br />

eher geistige Abwesendheit. Ein weiterer Kandidat<br />

hüpft völlig talent- <strong>und</strong> gehirnzellenfrei auf der <strong>Bühne</strong><br />

herum. Gottschalk nimmt einen Schluck Wasser <strong>und</strong><br />

räuspert sich. Da war er vielleicht – der Nachgeschmack<br />

von Glück. (Chris Heilig)<br />

<strong>Meine</strong><br />

<strong>Bühne</strong><br />

ICH WILL<br />

NICHT NACH<br />

BERLIN<br />

<strong>Die</strong> Fremdscham im deutschen Fernsehen ist<br />

eine tückische Partnerin auf dem Sofa. Sie<br />

kommt plötzlich <strong>und</strong> unerwartet. Doch<br />

dann mit voller Wucht. Ein Ziehen im Kopf breitet<br />

sich schmerzvoll aus <strong>und</strong> mutiert zu einer reflex-<br />

artigen Suche nach der Fernbedienung. Vornehm-<br />

lich tritt sie bei Protagonisten auf, die unfreiwillig<br />

vor der Kamera landen.<br />

Jeder kann sie auslösen. Studien haben ergeben,<br />

dass tatsächlich das Schmerzzentrum im Gehirn<br />

hierbei angesprochen wird. Doch was RTLII mit<br />

seinen „Fake-Doku-Serien“ hervorruft hat noch<br />

kein Mediziner erforscht. Mit dieser dunklen Materie<br />

des Unwohlseins will sich einfach kein Forscher<br />

herumschlagen. „Nee, mach du mal. Ich<br />

hau’ mir lieber nen Nagel in den Kopf“. Aber als<br />

Heinz Sielmann des Trashes wagte ich mich an<br />

den Selbstversuch. Eine Kissenwand auf der<br />

Couch als Tarnung.<br />

JEDER FORSCHER BRAUCHT EINE HECKE IN<br />

DIE ER ABTAUCHEN KANN, WENN ES ZU GE-<br />

FÄHRLICH WIRD. UND LOS GING ES. „BERLIN –<br />

TAG UND NACHT“<br />

Irgendwelche Leute leben in einer WG in Berlin,<br />

lieben sich, betrügen sich, schreien sich an, vertragen<br />

sich, schreien sich wieder an <strong>und</strong> kommentieren<br />

dann, warum sie sich gerade angeschrien<br />

haben. Schon nach fünf Minuten musste ich das<br />

Experiment abbrechen. Wenigstens konnte sich<br />

Heinz Sielmann von den Löwen, die er observierte<br />

einfach auffressen lassen. Da hörte der<br />

Schmerz zumindest irgendwann auf. Doch hier<br />

zieht er noch St<strong>und</strong>en nach. Vor allem, da dieses<br />

Format überall zu allen Themen läuft. Seien es<br />

Teenager auf Mallorca, Detektive, Anwälte, Immobilienmakler<br />

oder eine WG in Berlin.<br />

<strong>Die</strong> Konstante ist <strong>und</strong> bleibt die geistige Umnach-<br />

tung der Darsteller <strong>und</strong> ein Drehbuch mit völlig<br />

absurden Dialogen <strong>und</strong> permanentem Rumge-<br />

schreie. <strong>Die</strong> Einstellungskriterien müssen sich ir-<br />

gendwo zwischen Statist bei „Gute Zeiten,<br />

Schlechte Zeiten“, der permanent gegen die<br />

Wand läuft <strong>und</strong> einem Barhocker aus derselbigen<br />

Serie abspielen. Nichts, aber auch gar nichts ist<br />

ANSICHTSSACHE<br />

11<br />

Schon die Idee einer „Fake-Doku“ ist völlig abs-<br />

trus. Schlichte Unterhaltung hat durchaus seine<br />

Berechtigung. Man muss nicht immer mit Arte<br />

einen Nordsibirischen Steinhauer auf Erk<strong>und</strong>ungsreise<br />

durch die T<strong>und</strong>ra begleiten.<br />

Aber es gibt doch die Möglichkeit echte Menschen<br />

mit der Kamera in ihrem Alltag zu begleiten<br />

ohne in den völligen Schwachsinn<br />

abzudriften. <strong>Die</strong> gleiche Kamera, die gleiche<br />

Vorgehensweise. Doch dann hätten die Drehbuchautoren<br />

keine Arbeit. Und sie sind die wahren<br />

Verbrecher.<br />

Mittelbare Täter oder bildlicher gesprochen – die<br />

„Charles Mansons der Fernsehlandschaft“ benützen<br />

Laiendarsteller als Werkzeuge um ihre hirnverbrannte<br />

Idee von Unterhaltung unters Volk zu<br />

bringen.<br />

Hier liegt vielleicht die Entstehungsgeschichte der<br />

„Fake-Doku“. Das BKA <strong>und</strong> der BND haben sich<br />

zum Wohle aller Deutschen verbündet <strong>und</strong> diese<br />

Autoren verpflichtet in einem abgeschlossenen<br />

Raum zu bleiben. Ansonsten würden H<strong>und</strong>erte<br />

von ihnen mit Scheiße im Hirn frei rumlaufen. Es<br />

wäre einfach zu gefährlich auf den Strassen<br />

Deutschlands.<br />

<strong>Die</strong> geistige Diarrhöe könnte ansteckend sein.<br />

Und so verfrachtet man sie lieber in einen Raum<br />

<strong>und</strong> lässt sie ihre gefährliche Fracht auf Papier<br />

entleeren. <strong>Die</strong>se dünne Schicht scheint geeigneter<br />

<strong>für</strong> den mentalen Sondermüll, als die direkte verbale<br />

Freisetzung in unserer Gesellschaft. Wohl<br />

besser, dass Autoren angestellt werden <strong>und</strong> sie<br />

somit weggeschlossen bleiben. Doch irgendwann<br />

haben sie vielleicht doch Freigang <strong>für</strong> eine Drehortbesichtigung<br />

in Berlin.<br />

Da bleibe ich zur Sicherheit doch westlich des<br />

Limes – <strong>und</strong> zwar <strong>für</strong> immer! (Chris Heilig)<br />

(Chris Heilig)

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