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12 Vi 10 - Московская Немецкая Газета - MDZ-Moskau

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<strong>10</strong><br />

FEUILLEToN<br />

Großes Kino<br />

Welche russischen Filme der <strong>MDZ</strong>-Redaktion in diesem Jahr besonders gefallen haben<br />

Die Mannschaft ist der Star<br />

Film: Wykrutassy (выкрутасы)<br />

Genre: Familienkino<br />

Tags: Straßenkinder, Hochzeit, Schmuggelware, Bahnhof, Abführmittel<br />

im fiktiven Städtchen Paltschiki<br />

(das in Wahrheit Ejsk heißt und<br />

am Asowschen Meer liegt) treibt<br />

eine Kinderbande ihr Unwesen.<br />

Die elternlosen Gören verdienen<br />

sich ihren Lebensunterhalt, indem<br />

sie am Strand Wertgegenstände<br />

abräumen, Verkehrsunfälle imitieren<br />

und Melonen mitgehen lassen.<br />

Durch Zufall für ein Nachwuchs-<br />

Fußballturnier rekrutiert, kommt<br />

ihnen dieses „Training“ zugute.<br />

Werberegisseur Lewan Gabriadse<br />

versammelt in seinem ersten Spielfilm<br />

noch weiteres illustres Personal,<br />

allen voran den etwas schusseligen,<br />

etwas einfältigen, aber<br />

liebenswürdigen Russischlehrer<br />

Kolotilow, die <strong>Moskau</strong>er Schönheit<br />

Nadja, den Schnösel Danja<br />

als ihren Freund, Trainer Chlobustin,<br />

dem für den Turniersieg jedes<br />

Mittel recht ist, die eifersüchtige<br />

Direktorin Alla Andrejewna und<br />

den Parlamentsabgeordneten Dreikopfitsch.<br />

Die feine Schauspielerriege<br />

dürfte vor allem dem Ruf von<br />

Produzent Timur Bekmambetow<br />

(„Wächter der Nacht“, „Wächter<br />

des Tages“) gefolgt sein. Es ist ein<br />

großes Vergnügen, Konstantin<br />

Chabenskij, dem Kostja Lukaschin<br />

aus dem Kassenschlager „ironie des<br />

Schicksals. Fortsetzung“ und Weißenführer<br />

Alexander Koltschak<br />

aus „Admiral“, Hollywood-Star<br />

Milla Jovovich („Resident Evil“),<br />

Allzweck-Waffe Sergej Garmasch,<br />

Altmeister Wladimir Menschow<br />

und TV-Ulknudel iwan Urgant,<br />

Das Auto quält sich aus der Tiefgarage herauf, es<br />

läuft klassische Musik: Wladimir (Andrej Smirnow)<br />

ist auf dem Weg ins Fitnessstudio. Zuvor gab es einen<br />

Streit am Küchentisch: Jelena, gespielt von Nadeschda<br />

Markina, bittet ihren Mann um Geld für ihren<br />

Sohn aus erster Ehe. Der arbeitet nicht, erwartet mit<br />

seiner Frau aber bereits das dritte Kind. Wladimir<br />

weigert sich, ihr das Geld zu geben.<br />

Regisseur Andrej Swjaginzew versteht es meisterhaft,<br />

Spannung aufzubauen. Spätestens ab dem<br />

Moment, wo der alternde Wladimir vom Laufband<br />

begehrliche Blicke auf eine junge Schönheit wirft,<br />

ahnt der Zuschauer, dass etwas passieren wird. Aber<br />

er muss sich in Geduld üben, bis es endlich so weit<br />

ist und Wladimir im Schwimmbad einen Herzinfarkt<br />

erleidet. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert und<br />

für Jelena eröffnet sich die Möglichkeit, ihrem Sohn<br />

und dessen Familie doch noch zu helfen.<br />

der 2009 den Eurovision Song<br />

Contest in Russland moderierte,<br />

bei der Arbeit zuzusehen.<br />

Milla Jovovich, die in Kiew geboren<br />

wurde, gab letztlich dem Werben<br />

Bekmambetows nach und ließ<br />

sich zum ersten Mal für einen russischen<br />

Film engagieren. Um ihre<br />

Rolle auch selbst einsprechen zu<br />

können, ohne die Zuschauer mit<br />

amerikanischem Akzent zu irritieren,<br />

las sie den Text vor jeder<br />

Szene dutzendfach vor, bis er saß.<br />

Behilflich war dabei auch Millas<br />

Mutter Galina Loginowa. Sie spielt<br />

in dem Film – ihre Mutter.<br />

„Wykrutassy“, im deutschen Verleih<br />

unter dem Titel „Lucky Trouble“<br />

erschienen, ist ein grundsympathisches<br />

Märchen von Verlierern,<br />

die zu Gewinnern werden. Von den<br />

Schwachen, die über die Starken<br />

triumphieren. Von unfreiwilligen<br />

Helden und freiwilligen Bösewichten.<br />

Optisch wird dabei bisweilen<br />

dick aufgetragen. <strong>Moskau</strong> darf<br />

<strong>Moskau</strong> sein, doch Paltschiki trägt<br />

ästhetisch eher karikaturistische<br />

Züge, irgendwo zwischen Pionierlager<br />

und Ghettoromantik. Aber<br />

diese Überzeichnung hat Methode.<br />

Genauso, wie die flott erzählte<br />

Komödie dankenswerterweise auf<br />

den erhobenen Zeigefinger verzichtet.<br />

Das i-Tüpfelchen sind die<br />

herrlich animierten Fußballszenen.<br />

Zwischen den Strafräumen macht<br />

„Wykrutassy“ so schnell keiner<br />

etwas vor.<br />

Tino Künzel<br />

Familienbande<br />

Film: Jelena (елена)<br />

Genre: Drama<br />

Tags: Altern, Würde, Potenzmittel, Blut, Wasser, Vorstadtkriminalität<br />

kinopoisk.ru<br />

<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />

Keine Liebe in Zeiten der Revolution<br />

Film: Es war einmal eine Frau (Жила-была одна баба)<br />

Genre: Historiendrama<br />

Tags: Hochzeit, Provinz, Alkoholdestillation, Durchhaltekraft, Untergang<br />

Der Titel des Films von Andreij Smirnow klingt<br />

märchenhaft. Doch der Film selbst hat kaum etwas<br />

von einem Märchen. So realistisch und bestürzend<br />

ist diese epische Erzählung über das Leben einer<br />

russischen Bäuerin in den Jahren von 1909 bis 1921.<br />

Smirnows Heldin Warwara durchlebt ihr Schicksal<br />

vor dem Hintergrund der großen Ereignisse der russischen<br />

Geschichte: der erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution,<br />

der Bürgerkrieg genauso wie der Bauernaufstand<br />

von Tambow. Aber im Unterschied zu anderen<br />

historischen Filmen steht bei diesem Meisterwerk<br />

nicht die Geschichte selbst im Mittelpunkt; deren<br />

Wendepunkte markieren nur die Veränderungen im<br />

Leben eines Menschen, einer einfachen Frau, die auf<br />

der Suche nach Liebe ist und die ihr doch verweigert<br />

bleibt.<br />

Warwara (Darija Ekamasowa), die Hauptheldin, der<br />

jeder heldenhafte Zug fehlt, ist keine besondere Persönlichkeit,<br />

sie ist keine Märtyrerin oder Heilige,<br />

keine große Denkerin. Mit viel Willenskraft kämpft<br />

sie sich durch die Schrecken und Greuel dieser harten<br />

Zeiten, in denen beinahe kein Raum für die Liebe ist.<br />

Sie erlebt unendliche und willkürliche Gewalt von<br />

allen Seiten, egal unter welchem Regime sich Russland<br />

befindet: im Zarismus, unter den Weißgardisten<br />

sowie unter den kommunistischen Roten. Aber auch<br />

Film: Generation „P“ (Generation „пи“)<br />

Genre: Komödie, Drama, Fantasy<br />

Tags: Erfrischungsgetränke, Heuschrecken, Verlierer, Kapitalismus<br />

Es gab einmal eine junge Generation in Russland,<br />

welche die Ära Pepsi begründete, damals, in der<br />

Sowjetunion. Das war die Zeit, wo allen alles klar<br />

war und die Gegenwart eine helle Zukunft versprach.<br />

Dann ging es plötzlich schnell: Nach der Wende rollte<br />

sich die schöne Perspektive der kommunistischen<br />

Ewigkeit zu einem winzigen Punkt zusammen. Niemand<br />

hatte bemerkt, dass sich das Land von einem<br />

sozialistischen Giganten zu einer Bananenrepublik<br />

verwandelt hatte. in der allgemeinen Euphorie machte<br />

sich statt strahlender Zukunftsillusionen eine nüchterne<br />

Gegenwart unauffällig breit.<br />

Zufällig oder geplant, aber der Film „Generation<br />

P“ des Regisseurs <strong>Vi</strong>ktor Ginsburg kam genau im 20.<br />

„Todesjahr“ der Sowjetunion in die Kinos. Das Drehbuch<br />

wurde nach dem gleichnamigen Roman von<br />

<strong>Vi</strong>ktor Pelewin verfasst. Der Film schildert die Übergangsphase<br />

vom sozialistischen ins kapitalistische<br />

Regime. Die robusten Sowjetschuhe werden von Adidasturnschuhen<br />

mit chinesischer Herkunft verdrängt,<br />

am Straßenrand wird das Kamasutra verkauft und<br />

aus träumerischen Poeten werden pragmatische Werbeautoren.<br />

So geht es dem Protagonisten Babylen<br />

Mit einfachen aber einprägsamen Bildern erzählt<br />

Swjaginzew von Liebe, bedingungsloser Loyalität<br />

und Familien, die auf simple und zugleich schreckliche<br />

Weise unperfekt sind. Jeder Charakter im Film<br />

scheint verdorben, einzig allein Jelena verkörpert<br />

den guten Menschen, selbst als sie in ihrer Liebe zur<br />

Familie bis zum Äußersten geht.<br />

Der Film, der in Cannes mit dem Preis „Un certain<br />

regard“ ausgezeichnet wurde, zeigt schonunglos die<br />

Unterschiede zwischen den sozialen Schichten im<br />

Moloch <strong>Moskau</strong>, in nüchtern dargestellten Alltagssituationen<br />

enttarnt der Regisseur seine Charaktere,<br />

ihre Gewissenlosigkeit, ihr materielles Denken, ihre<br />

Abgestumpftheit – und zwar sowohl am oberen<br />

als auch am unteren Rand der Gesellschaft. Der<br />

Zuschauer bleibt geschockt aber fasziniert zurück.<br />

Kathrin Aldenhoff<br />

Neustart in den Kapitalismus<br />

von den Männern in ihrem Leben erfährt sie fast nur<br />

Gewalt. Der Zuschauer empfindet kaum Sympathie<br />

für eine Seite, er hat nur Mitleid mit Warwara. Die<br />

Bäuerin leidet im Film, sie wird geschlagen und vergewaltigt<br />

und verliert auch noch den einen Mann, den<br />

sie wirklich liebt und der ihre Liebe erwidert.<br />

„Es war einmal eine Frau“ ist aber keine Schwarzmalerei.<br />

Es ist ein tragischer Film, der dem Zuschauer<br />

viel abverlangt; vor allem auch gute Nerven über mehr<br />

als zwei Stunden hinweg. Aber der Grundgedanke<br />

des Filmes bleibt positiv: Warwara steht dafür, dass<br />

es mehr gute als schlechte Menschen gibt. Dieser<br />

Gedanke muss die Quelle ihrer Stärke sein.<br />

Auch der Glaube an Gott und der Wille Gottes sind<br />

ein Thema. Sacharows Epos zitiert die Legende um<br />

Kitesch, eine versunkene Stadt in der Oblast Nischnij<br />

Nowgorod. Die Stadt soll in den Fluten versunken<br />

sein, um die gottesfürchtigen Einwohner vor den<br />

angreifenden Tartaren zu schützen. Oder ist es – wie<br />

in der biblischen Geschichte um Sodom und Gomorra<br />

– eine Strafe Gottes, dass das Dorf der Heldin<br />

hinweggespült wird, für die Sünden seiner Einwohner?<br />

in jedem Fall geht in diesem Film das bäuerliche<br />

Russland vor unseren Augen zugrunde.<br />

Alisa iwanitzkaja<br />

Tatarsky. Mit seinem Diplom als Literaturwissenschaftler<br />

arbeitet er zuerst in einem Kiosk, bis er<br />

durch einen Bekannten in die aufkommende Werbeindustrie<br />

hineinrutscht. Der Markt der sowjetischen<br />

Waren ist leer, am Horizont sind bereits die Konturen<br />

der westlichen Markenwelt zu sehen. Die Werbebranche<br />

scheint eine Goldgrube zu sein. Coca-Cola<br />

verdrängt das sowjetische „Pepsi“; die blaue Farbe<br />

des berühmten Logos wird ausgetauscht gegen den<br />

geschwungenen weißen Schriftzug auf rotem Grund.<br />

„Sprite“ wird im Bewusstsein des Normalverbrauchers<br />

mit dem Heiligtum der russischen Seele – mit<br />

Birken und Birkensaft verbunden. Und anstelle der<br />

Zigarettenmarke „Jawa“ tritt „Parlament“.<br />

Es geht hier aber um viel mehr als nur um das Entstehen<br />

einer Konsumgesellschaft. Der Film schafft es,<br />

in zwei Stunden die Linien der 20-jährigen Entwicklung<br />

unseres neugeborenen Landes aufzuzeigen. Er ist<br />

aber weder altmodisch noch modern: Es ist ein Film<br />

über die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig.<br />

Es ist ein Film für und über uns.<br />

Katja Gubernatorowa<br />

kinopoisk.ru

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