12 Vi 10 - Московская Немецкая Газета - MDZ-Moskau
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02<br />
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(Feuilleton, Russland-Deutschland,<br />
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(Wirtschaft, Netzwelten, Freizeit)<br />
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Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />
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der Redaktion wieder.<br />
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Redaktionsschluss:<br />
14. Dezember 2011.<br />
Gedruckt in der Druckerei<br />
„Krasnaja Swesda“.<br />
Auflage 25 000 Expl.<br />
Номер заказа 5406<br />
<strong>Газета</strong> в розницу<br />
не распространяется.<br />
Выпуск издания осуществлен<br />
при финансовой поддержке<br />
Федерального агентства по печати<br />
и массовым коммуникациям.<br />
<strong>Moskau</strong>er Deutsche Zeitung Nr. 24 (319) Dezember 2011<br />
Fragen zu den Wahlprotesten<br />
Alle durften ihren Unmut zum Ausdruck bringen, einige aber nur heimlich<br />
3Wurde bei den Wahlen betrogen<br />
und wenn ja – in welchem Ausmaß?<br />
Der Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ liegt am unteren Ende<br />
der Prognosen von Wahlforschern,<br />
darunter auch vom renommierten<br />
unabhängigen Lewada-Zentrum.<br />
<strong>Vi</strong>ele Kommentatoren sprechen<br />
deshalb von der fairsten aller<br />
unfairen Wahlen in Russland.<br />
Kritiker behaupten jedoch, der<br />
Kreml habe lediglich ein noch<br />
weitaus schlechteres Ergebnis<br />
soweit geschönt, wie es öffentlich<br />
einigermaßen vertretbar gewesen<br />
sei. Als Beweis für diese These<br />
dokumentieren sie vor allem im<br />
internet zahlreiche Manipulationen<br />
und Manipulationsversuche,<br />
die sich durch ihre Schamlosigkeit<br />
auszeichnen. Obwohl den<br />
Verantwortlichen klar gewesen<br />
sein muss, dass der Schwindel<br />
auffliegt, meinten sie offenbar,<br />
nichts befürchten zu müssen. So<br />
wurden in <strong>Moskau</strong> gleich mehrere<br />
Protokolle von Wahllokalen nach<br />
der Auszählung und der Ausgabe<br />
von Kopien an die Wahlbeobachter<br />
über Nacht zu Gunsten<br />
von „Einiges Russland“ korrigiert.<br />
Bezeichnend auch, dass in den<br />
acht Stadtbezirken, in denen fälschungssichere<br />
elektronische<br />
Urnen zum Einsatz kamen, die<br />
Regierungspartei nur zwischen<br />
25,7 und 41,2 Prozent der Stimmen<br />
erreichte, während offiziell<br />
für <strong>Moskau</strong> 46,6 Prozent vermeldet<br />
wurden. Dmitrij Peskow, Sprecher<br />
von Wladimir Putin, redet die Zahl<br />
der „angeblichen Verstöße“ klein.<br />
Sie beträfen höchstens 0,5 Prozent<br />
aller Stimmen, sagte er, und<br />
hätten damit keinen Einfluss auf<br />
das Gesamtergebnis, selbst wenn<br />
sich die Vorwürfe bewahrheiten<br />
sollten. Ex-Finanzminister Alexej<br />
Kudrin glaubt dagegen, dass eine<br />
Neuauszählung in „wahrscheinlich<br />
Hunderten von Wahllokalen“<br />
geboten sei. im Radiosender „Echo<br />
Moskwy“ forderte er zudem Wahlleiter<br />
Wladimir Tschurow zum<br />
Rücktritt auf.<br />
Wie viele menschen nahmen an der<br />
Massendemo am <strong>10</strong>. Dezember in<br />
moskau teil?<br />
Da darauf noch oft Bezug genommen<br />
werden wird, möchte man es<br />
gern genau wissen. Die Angaben<br />
reichen jedoch von 25 000 (Polizei)<br />
bis <strong>10</strong>0 000 (Veranstalter). Eine<br />
derart große Differenz erklärt sich<br />
offenbar aus der interessenlage<br />
beider Seiten, die davon ausgegangen<br />
zu sein scheinen, dass das<br />
auch den Medien klar ist und sie<br />
die Unter- beziehungsweise Übertreibung<br />
von selbst relativieren.<br />
Die Protestaktion stellt gerade<br />
wegen ihrer Teilnehmerzahl ein<br />
Novum dar. Doch wären <strong>10</strong>0 000<br />
Menschen – das entspricht der<br />
Einwohnerzahl einer deutschen<br />
Großstadt wie Cottbus oder<br />
Koblenz – auf einer Fläche von<br />
600 mal 90 Metern unterzubringen?<br />
Wohl kaum. So groß ist aber<br />
der Bolotnaja-Platz. Wie Luftaufnahmen<br />
zeigen, war er nicht ganz<br />
zur Hälfte gefüllt. Doch weil sich<br />
die Menschen auch auf der Luschkow-Brücke<br />
und am gegenüberliegenden<br />
Ufer drängten, könnte<br />
man insgesamt 50 Prozent der<br />
54 000 Quadratmeter Fläche veranschlagen,<br />
also 27 000 Quadratmeter.<br />
Experten berechnen Menschenmengen<br />
nach dem Faktor 1<br />
bis 1,5 pro Quadratmeter. Da die<br />
Protestler speziell vor der Bühne<br />
dicht an dicht standen, ist hier der<br />
Maximalwert sinnvoll. Das ergibt<br />
summa summarum eine Teilnehmerzahl<br />
von 40 500. Wegen des<br />
Kommens und Gehens im Verlaufe<br />
mehrerer Stunden sollte jedoch<br />
von einigen Tausend Menschen<br />
mehr ausgegangen werden.<br />
Wer waren die Teilnehmer?<br />
Menschen aller Altersgruppen,<br />
die meisten vermutlich überhaupt<br />
nicht gesellschaftlich organisiert.<br />
Vertreter unterschiedlichster<br />
Bewegungen, von den Liberalen<br />
über die Kommunisten bis zu<br />
den Nationalisten. Aktivisten der<br />
Homosexuellen-Szene wollten<br />
ein Transparent für faire Wahl-<br />
Die zehn Regionen mit dem höchsten Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ (in Prozent):<br />
Tschetschenien (99,5), Mordwinien (91,6), Dagestan (91,4),<br />
inguschetien (91,0), Karatschajewo-Tscherkessien (89,8), Tuwa<br />
(85,3), Kabardino-Balkarien (85,3), Tatarstan (77,9), Jamal-Nenzen-<br />
Autonomiebezirk (71,7), Baschkortostan (70,5). Freie Willensbekundung<br />
vorausgesetzt, wird die Regierungspolitik demnach besonders<br />
in den Nationalrepubliken im Kaukasus und anderswo geschätzt.<br />
20. bis 22. August<br />
1991<br />
Politischer Protest in <strong>Moskau</strong>:<br />
Die größten Aktionen der letzten 20 Jahre<br />
Großdemonstrationen gegen die Reformgegner aus dem so genannten<br />
„Notstandskomitee“, das nach der Macht im Lande trachtet. Auf<br />
dem Platz vor dem „Weißen Haus“ – dem heutigen Regierungssitz,<br />
damals Sitz des Obersten Sowjets Russlands – kommen am 20. August<br />
1991 mehr als <strong>10</strong>0 000 Menschen zusammen.<br />
3. Oktober 1993 Das Parlament verweigert sich Präsident Boris Jelzin und mobilisiert<br />
einige Zehntausend Anhänger auf dem Oktoberplatz, die dann die<br />
Absperrung durch OMON-Sonderpolizei durchbrechen.<br />
31. März 2001 Massenveranstaltung gegen die De-facto-Verstaatlichung des bis<br />
dahin unabhängigen Fernsehsenders NTW auf dem Puschkinplatz. Die<br />
Teilnehmerzahl wird vom Staatsfernsehen mit 2 000 und von den Veranstaltern<br />
mit 20 000 beziffert.<br />
16. Dezember 2006,<br />
14. April, 11. Juni,<br />
24. November 2007<br />
„Märsche der Nichteinverstandenen“, organisiert von der außerparlamentarischen<br />
Opposition. Es handelt sich um genehmigte Kundgebungen<br />
ohne Genehmigung für Märsche. Zwischen 1 000 und 6 000<br />
Teilnehmer.<br />
22. August 20<strong>10</strong>: Konzert auf dem Puschkinplatz gegen den Autobahnbau durch den<br />
Chimki-Wald. Nach unterschiedlichen Quellen zwischen 2 000 und<br />
5 000 Teilnehmer.<br />
31. Oktober 20<strong>10</strong> Erste genehmigte Aktion der „Strategie 31“ auf dem Triumphplatz. Es<br />
kommen nach Polizeiangaben 800 Menschen, die Veranstalter sprechen<br />
von 3 000 – mehr als je davor und danach.<br />
5. Dezember 2011 Bei einer genehmigten Kundgebung nach den Dumawahlen bei der<br />
Metrostation Tschistyje Prudy fordern nach Schätzungen von Journalisten<br />
5 000 bis 7 000 Menschen freie Wahlen.<br />
6. Dezember 2011 Die Polizei löst auf dem Triumphplatz eine nicht genehmigte Veranstaltung<br />
gegen Wahlbetrug auf, an der zwischen 2 000 und 5 000<br />
Menschen teilnahmen.<br />
<strong>10</strong>. Dezember 2011 Eine Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz richtet sich gegen Wahlbetrug.<br />
Den Aufruf unterstützen vor Ort schätzungsweise 40 000 bis<br />
50 000 Menschen.<br />
en und eine Regenbogen-Fahne<br />
entfalten, die ihnen aber von den<br />
Nationalisten entrissen wurden.<br />
Der gemeinsame Protest war<br />
ganz offenbar nicht aus sozialer<br />
Not geboren. Eher ist das Gegenteil<br />
der Fall: Gerade weil viele<br />
Russen inzwischen der größten<br />
materiellen Sorgen ledig sind,<br />
richten sie ihr Augenmerk immer<br />
mehr auf die staatsbürgerliche<br />
Bevormundung. Wirtschaftlich<br />
den aufrechten Gang geübt zu<br />
haben, um dann in zivilgesellschaftlichen<br />
Dingen nicht mitreden<br />
zu dürfen, erscheint ihnen<br />
zunehmend absurder. Alexej<br />
Wenediktow, Chefredakteur des<br />
Radiosenders „Echo Moskwy“,<br />
sprach deshalb davon, es habe<br />
sich „nicht um eine politische,<br />
sondern eine ethische Demonstration“<br />
gehandelt.<br />
Zusammengestellt von<br />
Tino Künzel.<br />
Die zehn Regionen mit dem niedrigsten Stimmenanteil für „Einiges<br />
Russland“ (in Prozent):<br />
Gebiet Jaroslawl (29,0), Gebiet Archangelsk (31,8), Gebiet Murmansk<br />
(32,0), Karelien (32,3), <strong>Moskau</strong>er Umland (32,4), Gebiet Swerdlowsk/<br />
Jekaterinburg (32,7), Stadt St. Petersburg (33,0), Gebiet Wologda (33,4),<br />
Meeresrandbezirk/Wladiwostok (33,4), St. Petersburger Umland<br />
(33,7). Die politisch unzufriedensten Russen leben vor allem in der<br />
Mitte und im Norden von Russlands europäischem Teil.<br />
Tino Künzel