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76 curt // WASCHDL GRANTNOCKERL<br />
WAschdls<br />
grAntnockerl<br />
Weil München nicht München wäre<br />
ohne eine ordentliche Portion Grant,<br />
lässt curt Redakteur Sebastian Klug<br />
(bayerisch: „Waschdl“) an dieser Stelle<br />
in jeder Ausgabe einmal so richtig<br />
den Grantler raus und zeigt auf, was<br />
schief läuft in der Landeshauptstadt.<br />
daS höllISChe paradIeS<br />
DER GRILLKOHLENKOSAKEN<br />
Scho schee do. Wenn die Sonne scheint, ohne herunter-zubrennen, die Bienen am<br />
Viktualienmarkt um die Maßkrüge surren, aus denen Herren im Anzug wochentags<br />
ihre mittägliche Radlermaß gemeinsam mit den Touristen aus aller Welt und den Freiberuflern<br />
aus der Werbe- und Medienbranche trinken, und die Hunde der Freiberufler<br />
sich anschließend in den eiskalten Fluten der Isar erfrischen – dann wirkt die ganze<br />
Stadt wie ein einziger Urlaubstraum, eine zum Leben erweckte Brauereianzeige, ein<br />
Vergnügungspark mit Weißbierrutsche und Breznkarussell.<br />
Doch leider folgt unerbittlich – Woche für Woche – auf das Paradies die Hölle: das<br />
Wochenende. Denn sobald der Freitagnachmittag sich auch nur andeutet, beschließt<br />
München, sich mit aller Gewalt zu erholen, ohne Rücksicht auf Stil, Gemütlichkeit und<br />
sonstige Verluste.<br />
Erholung bedeutet ja ursprünglich, dass man sich in kurzer Zeit das zurückholt, was<br />
einem im unsäglich langen Alltag von Mitbürgern, Kollegen, Miteinkäufern beim Aldi,<br />
Busfahrern und anderen Deppen gestohlen wird: Ruhe, Gelassenheit, Freiheit und ein<br />
gesundes Gefühl für sich selbst und die Welt um einen herum. Weil aber niemand sein<br />
schönes München verlassen will, in dem er ja für seine viel zu kleine Wohnung Monat<br />
für Monat viel zu viel Geld hinblättert, wird die Erholung selbst durch ihren schlimmsten<br />
Widersacher verunmöglicht: die Naherholung. Deren ärgste Form: das Isargrillen.<br />
Das Etablieren eventartiger Pseudo-Traditionen ist eine ganz und gar unmünchnerische<br />
Unangewohnheit, die nur darauf beruht, dass die meisten dieser Trendmünchner nicht<br />
ansatzweise aus Bayern kommen: Grillkohlenkosaken und andere<br />
Pilsmixpreißn, die bereits im April mit einem winzigen Kugelgrill zum<br />
„gemütlichen Angrillen“ am Flaucher einladen und jedem, der den<br />
Flaucher nicht kennt, diesen als „Oase in der Großstadt“ anpreisen,<br />
obwohl sie eigentlich die Hölle der Preißn mitten im Himmel der<br />
Bayern beschreiben. Ein für alle Mal: Ein echter Münchner zelebriert<br />
den Sommer nicht mit Veranstaltungen, sondern ausschließlich mit<br />
seinem Wesen – er setzt sich in den Biergarten und schaut, wer so<br />
kommt. Und wenn’s dann zu viele sind, lässt er auch gerne mal die<br />
Laune sinken.<br />
Weil aber eben nicht jeder Münchner ein Münchner ist, liegt ab Mitte<br />
April ein Nebel im Isartal, wie man ihn nicht einmal in London kennt.<br />
Ab der Brudermühlbrücke ist jeder Quadratzentimeter entweder mit<br />
einem Grillmeister, einem Grillgast oder einem Grill gepflastert. Es<br />
dröhnt aus zahllosen Mobiltelefonen, Kofferradios und den Kehlen<br />
ewig stimmbruchunwilliger Segelschuhträger, die darüber krakeelen,<br />
dass sie sich ihr blassrosa Hillfiger-Leibchen schon wieder mit Cocktailsauce<br />
vollgesaut haben. Gemütlichkeit schaut anders aus.<br />
„Ein Paradies ist immer dann, wenn einer da ist, der wo aufpasst,<br />
dass keiner reinkommt“, hat Gerhard Polt einst konstatiert. Dieser<br />
eine fehlt leider in München. Bleibt nur zu hoffen, dass der Winter<br />
bald kommt. TEXT: SEBASTIAN KLUG // ILLU: MELANIE CASTILLO