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Brusberg Dokumente - Brusberg Berlin

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4. Eine Nachschrift, August 2003<br />

Also noch einmal: Zurück nach vorn.<br />

Zurück in den Februar letzten Jahres.<br />

Da hatte ich noch gut lachen. Da gehörte<br />

Heisigs Bild noch mir. So glaubte ich.<br />

Ich hatte es ja gekauft. Vorbehaltlos aus<br />

Leidenschaft.Fasziniert vom malerischen<br />

Furor, gepackt vom großen und bitteren<br />

Stoff. Vom Aufbegehren gegen das<br />

Fatum der Menschheit. Gewalt, Aufruhr,<br />

Unrecht. Immer und immer wieder.<br />

Heisig schuf sein Bild »Gestern und in<br />

unserer Zeit« in den frühen siebziger<br />

Jahren eines Jahrhunderts, welches uns<br />

schon entfallen scheint. Leben wir doch<br />

längst in einer neuen Zeit. Und das nicht<br />

nur mit Blick auf den Kalender. Wir<br />

bewegen uns in blendend hellen Räumen<br />

virtueller Welten, während die mythischen<br />

Bilder, die einmal unser Bewußtsein<br />

geformt, unsere sinnenhafte Wahrnehmung<br />

geprägt haben, wieder ins<br />

Dunkel versinken. Und mit ihnen unsere<br />

Seele. Versunken in der Vergangenheit<br />

sind auch der Staat und die Partei, in deren<br />

Auftrag Heisig das wandgroße Bild<br />

einmal geschaffen hat. Vor 30 Jahren.<br />

Aber als ich es zum ersten Mal sah, es<br />

ist ja noch nicht lange her, schien es so<br />

aufregend und herausfordernd, als sei es<br />

tatsächlich erst gestern gemalt worden:<br />

schon Meisterwerk und, fraglos auch das,<br />

noch Fragment. Heisig wollte vollenden,<br />

wozu ihm damals keine Zeit blieb, keine<br />

Zeit gelassen wurde. Wollte Erfahrungen<br />

einbringen. Jetzt. Ein halbes Leben später.<br />

Geht das noch? Zweifel. Zwiespalt.<br />

Gefühl gegen Verstand. Ist doch ein Bild<br />

nicht nur Kunstwerk, das zu verändern<br />

ureigenstes Recht des Künstlers bleibt,<br />

es ist, notwendigerweise, immer auch ein<br />

Stück Geschichte. Hier: Ein Panorama<br />

deutscher, nein – europäischer Entwurzelung<br />

und Wiederfindung. Weitgespannt.<br />

Idealismus und Terror. Commune und<br />

Krieg. Buchenwald und Vietnam. Unsere<br />

Geschichte. Die Geschichte der menschlichen<br />

Natur. Histoire Naturelle. Zeitlos.<br />

Beispielhaft, in einem Bild. Kunstwerk.<br />

Aber auch Zeitspiegel. Doch Zeit und Zeiten<br />

werden in Heisigs Malerei entgrenzt.<br />

Beharrlichkeit der Erinnerung. Es war<br />

nicht mehr schwer: Er hatte freie Hand;<br />

die Hand des Malers, wenn man so will,<br />

das letzte Wort. Ist er doch, sehend und<br />

handelnd, eingeschlossen in Geschichte.<br />

Auch in seine Geschichte, in sein Bild.<br />

Also: Februar 2002.<br />

Zwei der fünf Leinwände waren schon im<br />

Atelier in Strodehne: jede 240 cm hoch<br />

und 190 cm breit. Ganz schön groß. Eine<br />

Herausforderung nicht nur künstlerischer<br />

Art. Auch der Maler war 30 Jahre älter<br />

geworden. Aber immer noch ein Löwe.<br />

Streitbar. Ein Wahrheitssucher. Und aller<br />

Plackerei ungeachtet guter Dinge. Noch.<br />

Im Mai forderte er eine dritte Leinwand<br />

an. Na klar. Doch gab es Einwände. Vom<br />

neuen Eigentümer.<br />

Wie das? Ich hatte das Bild doch gekauft.<br />

Vorbehaltlos. Aber nicht ohne Bedenken.<br />

Ich wollte sicher sein, ganz sicher, daß<br />

bei dem Erstverkauf in turbulenten<br />

Wendejahren alles mit rechten Dingen<br />

zugegangen war. Die beigebrachten<br />

<strong>Dokumente</strong> schienen glaubwürdig. Mein<br />

Lieferant gab sich überzeugt. Mir blieb<br />

ein Zweifel, klein und leise, aber bohrend:<br />

Früheres Eigentum der SED. Das<br />

war ein weites und heikles Feld. Beharrliche<br />

Nachforschungen, Gespräche, Verhandlungen.<br />

Ende Mai war dann klar:<br />

Mein Bild, Heisigs großes »Unvollendete«,<br />

war Eigentum der Bundesrepublik<br />

Deutschland. De jure seit 1995. Kraft<br />

Einigungsvertrag mit der SED/PDS.<br />

De facto erst jetzt. Dank privater Initiative.<br />

Entschädigungslos. Gesetz ist Gesetz.<br />

Und auch ein Rechtsstaat selten dankbar.<br />

Der Maler wird, so ist zu befürchten,<br />

sein Bild nicht vollenden können. Ein<br />

Meisterwerk wird Fragment bleiben.<br />

»Sehend sahen sie umsonst und hörten<br />

hörend nicht.« Den Satz schreiben die<br />

Mythen Prometheus zu, dem Gott, der<br />

den Menschen nicht nur das Feuer brachte,<br />

sondern seinen Geschöpfen, mit Athenes<br />

Hilfe, auch die Seele gab.<br />

Der Maler hatte sich im Mai eine Leinwand<br />

bestellt. Fünf Meter lang. Halb<br />

so groß wie ehedem, aber immer noch<br />

groß genug. Und diesmal in einem Stück.<br />

Und in eigenem Auftrag. Seit 15 Monaten<br />

malt er jetzt an seinem neuen Bild, arbeitet<br />

seinen alten Stoff und seinen Zorn ab,<br />

will vollenden, was nicht zu vollenden<br />

ist. Bleibt auf Distanz und ergreift Partei.<br />

Wie schon immer. Das Bild heißt »Damals<br />

und gestern und heute und...«. Ein Panorama<br />

deutscher, nein – europäischer Entwurzelung<br />

und Wiederfindung. Weitgespannt.<br />

Idealismus und Terror. Commune<br />

und Krieg. Buchenwald und Vietnam.<br />

Austauschbar. Ohne Ende: »...in den<br />

menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare<br />

Gewalt, Allen und Keinem<br />

verliehen.« Büchners Wort, verzweifelte<br />

Resignation. Heisigs Bild, Malwut. Menetekel.<br />

Und doch: Lust am Malen, inhaltsschwer,<br />

farbgesättigt, farbsprühend. Ein<br />

Haupt- und Meisterwerk. Fraglos. Auch<br />

noch Fragment? Heisig sagt, es sei fertig.<br />

Doch wer weiß? Urteilen wird die Zeit.<br />

Uns aber bleibt Hoffnung. Solange Kunst<br />

entsteht. Auf daß wir sehend sehen.<br />

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