Brusberg Dokumente - Brusberg Berlin
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Ursula Bode<br />
Damals und gestern und heute und . . .<br />
Bernhard Heisig ist 78 Jahre alt. Ein deutscher<br />
Maler. Einer der Großen der DDR.<br />
Ein Realist, der heute eine historische<br />
Figur wäre, hätte er denn aufgegeben.<br />
Er tat es nicht, sondern erhielt sich seinen<br />
Zorn und seine Trauer, seine Fragen und<br />
seine Leidenschaft – für die Menschen<br />
wie für das Malen. Doch wechselte er den<br />
Wohnsitz, ging von Leipzig nach Brandenburg<br />
und sperrte dort die dörfliche<br />
Idylle aus, um mit seinen Bildern allein<br />
zu sein. Was seither entstand, entspricht<br />
als bildnerische Demonstration einer Bemerkung,<br />
die der Künstler 1988 seinem<br />
Publikum zurief: ». . . daß der Kampf um<br />
den Frieden so hart wird, daß kein Stein<br />
auf dem anderen bleibt«.<br />
In Breslau geboren, erlebte Heisig als<br />
junger Kriegsfreiwilliger die Kämpfe um<br />
die zur Festung erklärten Heimatstadt.<br />
Als bildender Künstler, dem »die menschliche<br />
Figur das bezugs- und ausdrucksfähigste<br />
Medium« war, entwickelte er<br />
sich in der DDR gegen die Vorstellung<br />
von einer fortschrittlich-optimistischen<br />
Historienmalerei zu einem gefeierten,<br />
immer wieder umstrittenen Maler, der<br />
das Chaos der deutschen Geschichte<br />
fortlebte.<br />
Den »Versuch einer Aufklärung der<br />
geheimen Mythen-, Katastrophen- und<br />
Kriegsfaszination, die die Menschen unter<br />
religiösen,ideologischen und moralischen<br />
Vorzeichen immer wieder in den Sog der<br />
Selbstvernichtung treibt«, nannte Eckhart<br />
Gillen diese Malerei im Westberliner<br />
»Zeitvergleich«-Katalog von 1988.<br />
36<br />
Malen gegen die »Beharrlichkeit des<br />
Vergessens« (so ein Bildtitel Heisigs<br />
von 1977). Malen als Arbeit an der Erinnerung,<br />
als Exhumierung der eigenen<br />
Geschichte, den Theatertexten Heiner<br />
Müllers vergleichbar (wie Gillen meint).<br />
Malerei als Aufruf, als Aufschrei, als<br />
reflektierte und auf der Leinwand ausgelebte<br />
Verdichtung von Vergangenheit<br />
und Gegenwart. Ein Realismus aus<br />
expressiver Handschrift, der grell aufbegehrt,<br />
der Formen bersten läßt und<br />
Bildräume ins Wanken bringt. So läßt<br />
sich dieses Lebenswerk umschreiben.<br />
Heisigs Bilderbühnen ähneln mit ihren<br />
immer wieder abrufbaren Sequenzen<br />
filmischen Abläufen. Ein Lebens-Film<br />
ereignet sich; Bewegung folgt auf<br />
momentanen Stillstand, und Schnitte in<br />
Zeit und Raum irritieren ein malerisches<br />
Kontinuum, für das Heisig ein Ende nicht<br />
vorsieht. Für ihn gäbe es keine fertigen<br />
Bilder, sagt Dieter <strong>Brusberg</strong>. Auch wenn<br />
er unentwegt das Gegenteil behaupte.<br />
Auch unfertige gäbe es nicht. »Es gibt<br />
nur das Malen.«<br />
Auch das Gemälde »Damals und gestern<br />
und heute und . . .« aus den Jahren 2002<br />
bis 2003 hat sich stetig weiterentwickelt:<br />
mit seinem Format von 1,30 mal 4,80<br />
Metern buchstäblich ein opus magnum.<br />
Ein Lebenszeugnis. Ein Kommentar in<br />
eigener Sache. Ein Bild der Bilder, bekenntnisreich,<br />
dramatisch und opulent<br />
gemalt. Der Maler umgreift darin seine<br />
Welt und fügt deren Facetten neu zusammen:<br />
die Albträume des Unbewußten,<br />
die Zeichen der Erinnerung, die Symbole<br />
einer irrlichternden Gegenwart, deren Zukunft<br />
offen ist. Während sich der Maler<br />
selbst, etwas versetzt von der Mitte des<br />
Bildes, in der Menge porträtiert – auf den<br />
Stock gestützt wie Friedrich der Große –,<br />
geht ganz rechts sein alter ego, die anonyme<br />
Rückenfigur eines Zeitungslesers<br />
von der Bühne ab.<br />
Studie<br />
Öl auf Hartfaser, 2002<br />
35 x 135 cm<br />
Damit nimmt Heisig, wie in den meisten<br />
Partien des Gemäldes, ein Motiv aus<br />
einem früheren auf. »Ich hätte gerne<br />
freundlichere Bilder gemalt« nannte<br />
er ein Werk aus dem Jahr 2000, dessen<br />
Menschenmenge nun auf des Malers<br />
jüngster Bilderbühne ebenso auftaucht<br />
wie der ins Blaue entschwindende dunkle<br />
Mann mit Zeitung.<br />
»Damals und gestern und heute und . . .«<br />
ist ein Pandämonium der Sinnlosigkeit<br />
von Krieg, Gewalt und Lebensgier. Und<br />
eine Antwort des Künstlers auf jenes<br />
nahezu doppelt so große Gemälde von<br />
1974, eines der wichtigsten Heisigs aus<br />
der DDR-Zeit, das als Auftragsarbeit für<br />
den Neubau der Bezirksleitung der SED<br />
in Leipzig entstand. »Gestern und in unserer<br />
Zeit« – so der Titel – war jahrelang<br />
verschollen. Das fünfteilige Werk gelangte<br />
schließlich über die »Treuhand«<br />
in den Besitz der <strong>Berlin</strong>er Nationalgalerie.<br />
Aber Bernhard Heisig befand, es sei nicht<br />
fertig. Er wolle daran weiterarbeiten.<br />
Schließlich sei es sein Leben. Doch<br />
dann begann der Maler ein neues Bild:<br />
»Damals und gestern und heute und...«.<br />
Sein Leben, was sonst.