Brusberg Dokumente - Brusberg Berlin
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Dieter <strong>Brusberg</strong><br />
Gestern und in unserer Zeit<br />
Mutmaßungen und Behauptungen<br />
über Heisig –<br />
Geschichte und Gegenwart<br />
Meiner Meinung nach können große<br />
Werke nur innerhalb der Geschichte<br />
ihrer Kunst entstehen und indem<br />
sie an ihr teilhaben. Einzig innerhalb<br />
der Geschichte kann man erfassen,<br />
was neu und was nachgesagt, was<br />
Entdeckung und was Nachahmung ist,<br />
mit anderen Worten, nur innerhalb<br />
der Geschichte kann ein Werk als Wert<br />
existieren, den man erkennen und<br />
schätzen kann. Nichts scheint mir<br />
folglich für die Kunst furchtbarer als<br />
der Fall aus ihrer Geschichte heraus,<br />
denn es ist ein Fall ins Chaos,<br />
in dem ästhetische Werte nicht<br />
mehr wahrnehmbar sind.<br />
Milan Kundera<br />
in »Verratene Vermächtnisse«<br />
Bernhard Heisig<br />
Tusche auf Papier, 2001<br />
1. ...in unserer Zeit<br />
8. Januar 2002. Ein Neujahrsgruß von<br />
Heisig, postkartengroß: Ein Mann mit<br />
Hut und Mantel, dem Betrachter den<br />
Rücken zugewandt, mit schnellem Strich<br />
gezeichnet, stürmt aus dem Blatt. Vorwärts<br />
oder nach hinten? Dem Neuen<br />
entgegen oder auf der Flucht? Ein pfeilförmiges<br />
Wegzeichen weist auf den<br />
Betrachter. »Vorwärts«, ist zu lesen.<br />
So auch der umseitige Gruß und Wunsch:<br />
»Vorwärts!«. Diesmal mit Ausrufezeichen.<br />
Was heißt das, was will er sagen? Vorwärts<br />
nach hinten, zurück nach vorn,<br />
Kurt Schwitters scheint nahe. Aber Heisig<br />
liegt nichts am dadaistischen Witz, am<br />
Spiel mit den Worten. Er ist Realist.<br />
So sagt er. Und nicht nur als Maler.<br />
Er erzählt gern Witze und seine Pointen<br />
zielen unter die Haut: ein nur leise<br />
stechender Schmerz verweht im Gelächter.<br />
Man spürt ihn erst später. Zurück<br />
nach vorn? Was meint er diesmal?<br />
Er ist doch Realist.<br />
23. Januar 2002. Ein Besuch im Atelier.<br />
Wir reden über seine Bilder. Über Gott<br />
und die Welt also. Über Leben und Tod.<br />
Die Bilder sind wieder voll davon.<br />
Bis zum Bersten. Vor allem die letzten.<br />
Voll von Gewalt, von Tod. Und von Gott.<br />
Für mich jedenfalls. Tod und Gewalt<br />
sieht man. Gott sieht man nicht. Aber er<br />
ist im Bild, unsichtbar und doch zum<br />
Greifen nahe. Eines der Geheimnisse von<br />
Kunst. Geheimnis aller lebenshungriger,<br />
lebensgesättigter Bilder. Bei Heisig sind<br />
sie geprägt von verzweifeltem Glauben.<br />
Er weiß: die Kunst vermag dem Tod zu<br />
widerstehen. Und, vielleicht, die Liebe.<br />
Aber die gehört zur Kunst. Ohne Liebe<br />
gäbe es sie nicht.<br />
Heisig ist, so könnte man sagen, aus der<br />
Zeit gefallen. Mit seinen Bildern, mit<br />
seinem Leben. Er ist aus Leipzig aufs<br />
Land gezogen. Aus der umtriebigen<br />
Stadt, dem sinnenfrohen Sachsen, ins<br />
karge Brandenburg. Am Ende einer Welt.<br />
Zurückgeworfen auf sich, auf seine<br />
Kunst. Allein mit seiner Frau, der Malerin<br />
Gudrun Brüne. Und mit den Katzen.<br />
Schon seit Jahren. Auf der Flucht, wie<br />
manche meinen? Ihn schert es nicht.<br />
Er will malen. Ungestört. Er muß malen.<br />
Und er malt seine ungestümen Bilder.<br />
Ungestüm und unbequem wie eh und je.<br />
Rauh sind sie und gelegentlich ein wenig<br />
ungeschlacht. Jedenfalls auf den ersten<br />
Blick. Es bedarf aber vieler Blicke. Und<br />
sie sind Welten entfernt von der glatten,<br />
schnell eingängigen und schnell abgenutzten<br />
Ästhetik der schönen neuen Welt.<br />
Heisigs Malerei nimmt sich daneben so<br />
altmodisch, so überholt aus, wie der<br />
Glaube an den doch längst totgesagten<br />
Gott. Er malt Bilder vom Krieg der Menschen<br />
gegen Menschen. Bilder, die wir<br />
nicht sehen wollen, die uns aber angehen,<br />
zeigen sie doch die Kehrseite der ach<br />
so schönen neuen Welt. Es sind Bilder,<br />
deren Unversöhnlichkeit erst versöhnlich<br />
wird durch ihre Fähigkeit, den Dialog<br />
mit dem Betrachter aufzunehmen.<br />
Durch die Fähigkeit, Fragen zu stellen<br />
und nach Antworten suchen zu lassen.<br />
In den Bildern. Und in uns.<br />
Versöhnlich sind Heisigs Bilder aber<br />
auch durch die Kraft ihrer Form, einer<br />
Kraft, welche die so gewalttätig vorgetragenen<br />
und von Gewalt bestimmten<br />
Bilder aufleuchten lassen: Grauen gebiert<br />
Schönheit. Eine Schönheit jedoch, die<br />
nicht wohlfeil zu haben ist. Nur wer sie<br />
sucht und sehen will, wird sie finden.<br />
In der Erschütterung. Und in ihr, mag sein,<br />
die Wahrheit. Die Wahrheit der Kunst.<br />
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