rudern-aviron-canottaggio 5/2012 (Okt. 12) - Schweizerischer ...
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OLymPiA LOnDOn 1948<br />
Freundschaft statt Ergometer<br />
An den Olympischen Spielen in London 1948<br />
sassen fünf junge Schweizer Ruderer im gleichen<br />
Boot und hielten sich für unschlagbar. 64<br />
Jahre später sitzen sich vier von ihnen als alte<br />
Herren wieder gegenüber. Und ihre «tiefe<br />
Kameradschaft», die ihnen damals Olympiasilber<br />
bescherte, ist schlagartig wieder da. Die<br />
Wasserverhältnisse waren gut, ein leichter<br />
Gegenwind wehte über das Wasser der<br />
Themse bei Henley, im Sommer 1948. Die<br />
Boote der Vierer mit Steuermann im olympischen<br />
Ruderfinale wurden ins Wasser<br />
gesetzt. Am Start waren Amerika, Dänemark<br />
und die Schweiz. Die Schweizer gingen sofort<br />
in Führung. Vier kräftige Ruderer Mitte<br />
zwanzig und ein blonder Jüngling am Steuer.<br />
Er schrie den Takt in den Wind und feuerte<br />
die Ruderer an. In der Hälfte führten die<br />
«Zürcher Seeklübler» mit einer halben Länge<br />
auf Amerika und mit einer ganzen auf Dänemark.<br />
«Doch dann legten die Yankees einen<br />
langen Zwischenspurt ein», schrieb ein<br />
Reporter. Es kam zum Kopf-an-Kopf-<br />
Rennen. Der junge Steuermann nahm das<br />
amerikanische Boot im Blickfeld wahr, verzweifelt<br />
versuchte er, seine Kameraden zu<br />
noch kräftigeren Zügen anzufeuern. Doch das<br />
gegnerische Boot zog an ihnen vorbei. «Der<br />
Endkampf war hinreissend», stand danach in<br />
der Zeitung. «Nach grossem Ringen blieben<br />
die Überseer [sic] mit einer halben Länge<br />
siegreich.» Der Schock sass tief bei den fünf<br />
Schweizer Ruderern. Dabei hatten sie sich für<br />
unschlagbar gehalten. Sie sassen noch ausser<br />
Atem im Boot, als ihnen bereits die Silbermedaille<br />
übergeben wurde. Sie war in diesem<br />
Moment eine einzige Enttäuschung.<br />
Wiedersehen nach 64 Jahren<br />
Das war vor 64 Jahren. Vieles haben Emil<br />
Knecht (88), Erich Schriever (87), André<br />
Moccand (81) und Rudolf Reichling (87) in<br />
dieser Zeit vergessen. Nicht aber diesen<br />
Moment, als die Amerikaner kurz vor dem<br />
Ziel an ihnen vorbeizogen. «Ich kämpfte und<br />
versuchte noch mehr Dampf zu geben. Ich sah<br />
20 RudernAvironCanottaggio 05/<strong>12</strong><br />
Bereits zum dritten mal war London Austragungsstätte der Olympischen Spiele. Bei der<br />
zweiten Austragung 1948 war die Ausbeute für den SRV eine Silbermedaille durch die<br />
«Zürcher Seeklübler».<br />
nichts mehr, doch ich ruderte weiter», erzählt<br />
Emil Knecht. Seine Augen leuchten. «Wir<br />
wollten nur eines: gewinnen», sagt Erich<br />
Schriever. Und Steuermann André Moccand<br />
habe sich im Ziel «richtig aufgeregt». Nun<br />
sitzen die ehemaligen Ruderer bei Rudolf<br />
Reichling im Esszimmer. Ein jeder von ihnen<br />
ist vom Alter gezeichnet. Doch die Erinnerungen<br />
sind noch lebendig. Sie sind zusammengekommen,<br />
um über die Olympischen<br />
Spiele in London 1948 zu erzählen. Um Erinnerungen<br />
zu wecken und Andenken auszutauschen.<br />
Fotos, die attraktive junge Männer<br />
zeigen, Zeitungsartikel, vergilbte Ranglisten,<br />
ja gar die olympischen Silbermedaillen und<br />
ein blauer Trainer aus Zellwolle liegen verstreut<br />
auf dem Tisch neben Speckkuchen und<br />
frischem Most. Die Geschichten von damals,<br />
die Anekdoten, die Emotionen liegen wie ein<br />
Schleier in der Luft. Genauso wie die Gedanken<br />
an den fünften im Team, Peter Stebler,<br />
der vor wenigen Jahren verstorben ist.<br />
London 1948 (fast) nur für Amateure<br />
«Die Amerikaner hatten eine sehr starke<br />
Mannschaft», sagt Erich Schriever. Man habe<br />
sie bewundert, sagt Moccand, «das waren richtige<br />
Fetzen!» Die hätten sich aber auch ganz<br />
anders auf Olympia vorbereitet. «Die studierten<br />
alle und konnten den halben Tag Sport<br />
treiben!», sagt Reichling empört. Was damals<br />
mit den amerikanischen Studenten begann, ist<br />
dem ehemaligen Nationalratspräsidenten und<br />
Weinbauer bis heute ein Dorn im Auge: die<br />
Professionalisierung des Sports. 1948 galt noch<br />
die Klausel von Coubertin, welche Profis an<br />
Olympischen Spielen ausschloss. Die Olympioniken<br />
mussten unterschreiben, dass sie Amateure<br />
waren. «Es war der grösste Blödsinn,<br />
diese Klausel abzuschaffen», sagt Reichling,<br />
«das ist nicht Sport, wenn jemand den ganzen<br />
Tag trainiert und dafür bezahlt wird.» Schriever<br />
ist da anderer Meinung. Auch für Reichling<br />
war Olympia das «höchste Ziel jedes Sportlers».<br />
Doch die Arbeit kam zuerst. Als er kurz<br />
nach den Olympischen Spielen den Hof des<br />
Vaters in Stäfa übernahm, blieb denn auch keine<br />
Kraft mehr fürs Rudern übrig. «Gesundheits<strong>rudern</strong><br />
war nichts für mich. Ich mag keine<br />
halben Sachen.»<br />
«Extrem gut befreundet»<br />
Die jungen Ruderer des Zürcher Seeklubs<br />
waren Athleten aus Leidenschaft. Und sie<br />
waren Freunde. «Es verband uns eine enge<br />
Kameradschaft», sagt Knecht, der später als<br />
Kaufmann arbeitete, «wir freuten uns jedes<br />
Mal, ins Boot zu steigen.» Eine eingefleischte<br />
Mannschaft, die durch dick und dünn ging.<br />
«Das war unser Erfolgsgeheimnis», sagt<br />
Schriever. Auch Knecht ist überzeugt, dass es<br />
diese Freundschaft war, die das Team so<br />
erfolgreich machte. Die sie bereits «als Juniorboot»<br />
die Schweizer Olympiamannschaft von<br />
1936 schlagen liess und sie nach London<br />
brachte. «Heute werden die Rudermannschaften<br />
aufgrund des Ergometers zusammengestellt.<br />
Ich behaupte, dass so nie dieses<br />
Mannschaftsgefühl aufkommen kann, welches<br />
damals zu unserem Erfolg geführt hatte.»<br />
Und dann packen sie ihre besten Geschichten<br />
aus. Etwa jene von Knecht und Stebler, die am<br />
Vortag eines Wettkampfs wegen einer Frau<br />
ihr Boot im Wasser vergassen und es am<br />
nächsten Tag nirgends mehr fanden. Oder<br />
jene von Reichling, der in neuen Wettkampfunterkünften<br />
regelmässig auf die Betten<br />
der anderen hechtete und diese demolierte,<br />
um sie danach brav wieder zu flicken.<br />
Vier Freunde ohne Steuermann<br />
Die Freunde hatten sich schon früh gefunden.<br />
Politikersohn Reichling, der spätere Architekt<br />
Schriever und Peter Stebler gingen in dieselbe<br />
Mittelschule. Ihr Turnlehrer war Ruderer und<br />
spornte das Trio an. Emil Knecht kam später<br />
dazu: «Ich ging immer einen anderen Weg als<br />
alle anderen», sagt er mit einem breiten<br />
Lachen auf dem Gesicht. Wegen Schwierigkeiten<br />
in der Schule kam Knecht in ein «Institut<br />
zum Nachstudieren». Eigentlich war er<br />
Velorennfahrer. Doch dann nahm ihn ein