CHRONOGRAPH - Glashütte Original

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12 INTERVIEW Der Wissenschaftler und die Atomuhr Dr. Andreas Bauch und sein Team der Physikalische-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig sind die offiziellen Hüter der Zeit in Deutschland. Die Atomuhren liefern die Referenzzeit und die genaue Taktung für das exakte Zeitsignal des DCF77-Senders in Mainflingen bei Frankfurt. Im Zuge des Interviews lernte der Chronograph eine interessante und verantwortungsvolle Persönlichkeit kennen. Chronograph: Herr Dr. Bauch, was ist aus Sicht des Wissenschaftlers Zeit? Dr. Andreas Bauch: „Zeit liefert uns Menschen ein Ordnungsgefüge für Dinge, Beziehungen, Reihenfolgen. Dies gilt so in der Beschreibung alltäglicher Vorgänge wie auch in den Naturwissenschaften. Hier ist das historisch vielleicht bedeutendste Beispiel die Beschreibung der Bewegung der Himmelskörper. Alle uns überlieferten Zeitmaße sind wohl letztlich aus den Aktivitäten der Astronomen erwachsen, die eine Ordnung in die am Himmel beobachtbaren Phänomene bringen wollten. Aber auch die Beschreibung der Entwicklung von Zuständen atomarer Systeme schließt als Parameter Zeit ein. In den alltäglichen Sprachgebrauch wurde zum Beispiel aus der Kernphysik der Begriff Halbwertszeit zurückübernommen.“ Chronograph: Fragen wir im Unterschied dazu den Privatmenschen und nicht den Wissenschaftler: Was bedeutet Zeit für Sie persönlich? Dr. Andreas Bauch: „Über meine eigene Zeit zu verfügen ist der schönste und größte Wunsch, den ich habe: Das, was mir wichtig oder erstrebenswert erscheint, tun zu können, das, was mir überflüssig erscheint, zu vermeiden. Ich versuche, sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich, diesem Ziel nahe zu kommen. Im Privatleben gelingt es mir, glaube ich, schon recht gut. Ich habe eine recht feste Ordnung von Wichtigem zu Unwichtigem, und für das Erstere habe ich dann auch Zeit – meistens zumindest. Im Berufsleben Mitarbeiter und Chefs so weit zu erziehen, die eigene Ordnung zu akzeptieren, das geht zu weit und ist wohl zu viel verlangt.“ Chronograph: Wann haben Sie denn Ihre erste eigene Uhr erhalten? Dr. Andreas Bauch: „Als junger Katholik geht man etwa im dritten Schuljahr zur Kommunion, und zu diesem Anlass war das Geschenk früher ganz häufig eine Uhr – so auch bei mir. Leider war die Uhr in den Augen meiner Mutter so wertvoll, dass ich sie eigentlich zu keinem Anlass tragen durfte. Ich bettelte so lange, bis mir ein Onkel bald eine seiner abgelegten Uhren schenkte, die ich dann tragen und verschleißen konnte. Immerhin hat die erste Uhr so die Zeit überdauert, und ich trage sie immer noch gerne.“ Chronograph: Welche Ansprüche stellen Sie heute an eine moderne Armbanduhr? Dr. Andreas Bauch: „Hier bin ich sicher nicht typisch: In meiner Funktion gehört es sich – in meinen Augen wenigstens –, dass ich eine Funkuhr trage. Schließlich gehört ja die Bereitstellung der Zeitzeichen, die über den Sender DCF77 gesendet werden, zu meinen Aufgaben. Im Prinzip ist natürlich jede normale Quarzuhr ausreichend genau, um fast allen Ansprüchen des täglichen Lebens zu genügen. Meine Zweituhr ist eine Multifunktionsuhr mit Stoppfunktion, Timer, Alarm etc. Die ist beim Schwimmen, Laufen und als Reisewecker ideal“. Chronograph: Mechanische Uhren sind in der heutigen Zeit eigentlich ein Anachronismus; sie gehen verhältnismäßig ungenau und können viel Geld kosten. Welche Bedeutung haben diese klassischen Zeitmesser für jemanden, der aus beruflichen Gründen mit der „genauest“ möglichen, sprich atomar gesteuerten Zeit arbeitet? Dr. Andreas Bauch: „Meine Haltung gegenüber mechanischen Armbanduhren ist nicht durch den Beruf geprägt. Sie sind für mich Produkte des Kunst-Handwerks und müssen daher mit den Kategorien der Bewertung von Schmuck und Kunstwerken beurteilt werden, nicht mit denen der Zeitmessung. Eine Gesellschaft, die der Kunst keine Beachtung schenkt, ist nicht er-lebenswert. Ich freue mich daher, diese kleinen Kunstwerke zu sehen.“ Chronograph: In früheren Zeiten haben wunderschöne und technisch anspruchsvolle Pendeluhren, so z. B. der Glashütter Firma Strasse & Rohde, den Takt für die offi- Dr. Andreas Bauch wacht über die genaueste Zeitquelle Deutschlands. Er und seine Mitarbeiter liefern die Referenzzeit für Funkuhren, Bahn, Flughäfen, Funk, Fernsehen und vieles mehr.
CS2 ist der Star unter den Atomuhren. Seit Mitte der achziger Jahre ist sie in Betrieb und seit 1992 das Maß der Zeit für Deutschland. Die Signale von DCF77 werden so geregelt, dass sie mit CS2 übereinstimmen. zielle Zeit vorgegeben oder sie dienten wissenschaftlichen Zwecken. Diese Uhren liefen äußerst exakt, sie waren aber gleichzeitig auch – betrachtet man heute ihre Gehäuse, Zeiger und Zifferblätter – sehr schön. Gibt es in den physikalischen und astronomischen Wissenschaften noch diese Einheit aus Funktion und Ästhetik? Und falls nein, ist das zu bedauern? Dr. Andreas Bauch: „Bei dem Design einer Atomuhr spielt die Ästhetik keine Rolle mehr. Eine Funkuhr, die einen Käufer finden soll, muss selbstverständlich auch nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet werden. Die Einheit von Funktion und Ästhetik mag bei den Präzisionschronometern gegeben sein, in Museen liegen jedoch auch viele Uhren, bei denen vor Ästhetik die Zeit gar nicht mehr abzulesen ist. Und das war wohl auch nie ihre wirkliche Bedeutung: Vielmehr wollte man aufzeigen, dass man die Zeit beherrscht.“ Chronograph: Die Uhren unserer Manufaktur werden in Glashütte erdacht, geplant und gefertigt. Der Begriff „Made in Germany“ findet sich daher zu Recht auf den Zifferblättern wieder. Kann man das von „Ihren“ Atomuhren auch behaupten? Dr. Andreas Bauch: „Eine Atomuhr ,Made in PTB‘ (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) entsteht zu hundert Prozent im Kopf hier in Braunschweig, natürlich basierend auf Wissen, das von vielen erarbeitet wurde. Die Komponenten wie Vakuum-Teile, elektronische Bauteile, elektronische Geräte kommen jedoch aus verschiedenen Ländern.“ Chronograph: Alle Chronometer, die unsere Manufaktur in Glashütte verlassen, werden INTERVIEW indirekt nach Ihren zeitlichen Vorgaben einreguliert. Somit steckt in jedem dieser Zeitmesser auch ein Stück von Ihnen, Ihrem Team und Ihrer Arbeit. Ist man sich dessen eigentlich bewusst, macht das stolz, wie geht man damit um? Dr. Andreas Bauch: „Es gibt europaweit vielleicht 30 Millionen Funkuhren, die sich nach unserem DCF77-Takt richten. Täglich werden unsere Internet-Zeitserver mehr als 10 Millionen Mal angeklickt. Das bedeutet für uns eine Herausforderung, diese Dienste möglichst immer zuverlässig anbieten zu können. Unsere primären Uhren und die von ihr abgeleitete Zeitskala der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt wird bei vielen Untersuchungen ausländischer Kollegen als Bezug geschätzt. Kleinere europäische Zeitinstitute kontrollieren ihre Zeitskalen mehr oder weniger direkt nach der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Wir haben gelernt, mit dieser Verantwortung umzugehen und bemühen uns, den Ansprüchen gerecht zu sein.“ Chronograph: Wenn Sie die Zeit einmal für eine Weile anhalten könnten, was würden Führungen und Informationsveranstaltungen gehören ebenfalls zum Alltag des Dr. Bauch. Besonders die Jugend interessiert sich für die Prozesse hinter den Kulissen. Sie dann tun, was gegebenenfalls rückgängig machen? Dr. Andreas Bauch: „Diese Weile würde ich am liebsten am Klavier verbringen. Und wenn die Weile länger wäre, würde mir auch etwas einfallen. Ich habe schon viele Fehler gemacht im Leben, aber zum Glück keinen, den man nun unbedingt rückgängig machen müsste.“ Chronograph: Wir danken für das Gespräch! 13
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